Erstes Capitel Gobelins Die kalten Strahlen einer halbverschleierten Wintersonne brachen sich auf den Eisflächen der Pegnitz . Frisch gefallener Schnee lag auf den Dächern von Nürnberg , schmückte die zierlichen Giebelkanten mit glänzendweißem Besatz und wölbte über jedes Chörlein noch einen zweiten Baldachin , so weich und anschmiegend , als sei er aus sammetener Decke gewoben . Aus den Essen wirbelte grauer Rauch empor , am dichtesten aus den hohen Schornsteinen der Gießhütten . In dem mit Marmor und Eisengittern von durchbrochener Gießarbeit verziertem Kamin in Elisabeth Scheurl's Wohnzimmer brannten große Eichenknorren , um den weiten Raum mit behaglicher Wärme zu erfüllen . Die Thür des Nebenzimmers stand offen und auch darin loderte ein prasselndes Feuer . Dies Gemach erschien zu einem Arbeitszimmer umgeschaffen . An der Wand befand sich eine große Holztafel , auf deren himmelblauem Grund eine Auferstehung Christi gemalt war . Der Engel des Herrn saß im leuchtenden Gewand im Grabe , die Jünger und Frauen standen bestürzt davor , zur rechten Seite zeigte sich der Auferstandene , die ganze Gestalt vom goldenen Heiligenschein umflossen . Die Farben waren sehr bunt und lebhaft , die Gestalten lang gezogen und eckig , aber einzelne Gesichter von sprechendem Ausdruck . In der im Vordergrund stehenden Maria Magdalena erkannte man ohne Mühe Elisabeth's Conterfei . Daneben lehnten noch kleinere Holztafeln mit schwebenden oder betenden Engeln , umgeben von Palmen oder Sternen , aus denen meist Ecken in verschiedenen Zusammensetzungen gebildet waren . An den beiden hohen Bogenfenstern , von denen die schweren Damastvorhänge zurückgeschoben waren , um ungehindert alles Licht einzulassen , das die kurzen Wintertage spendeten , standen zwei ungeheure Stickrahmen , noch nicht groß genug , um den Stoff zu fassen , der darin verarbeitet werden sollte , und darum noch an den Seiten aufgerollt war . Hier sah man ein mühevolles Werk weiblicher kunstgeübter Hände begonnen . Das große aufgestellte Gemälde von der Hand des Malers Hans Beuerlein diente als Muster , und sollte sich hier in damals üblichem Gobelinsstich noch einmal wiederholen . Ganze Körbe , von Wolle und Seide in strahlenden Farben , und mit Gold und Silberfaden angefüllt , standen bereit , das reichste Material zur Verarbeitung zu bieten . Etwa seit Jahresfrist war Elisabeth auf den Gedan ken gekommen , die Töchter der edlen Geschlechter Nürnbergs aufzufordern , mit ihr vereint einen Teppich vor das Hochaltar der Kirche von St. Lorenz zu sticken , an deren Verschönerung gerade jetzt so begeistert gearbeitet ward . War doch damals alle Kunst zu einem Ganzen vereint in der Kirche und strebte alle Kunstbegeisterung diesem erhabenen Mittelpunkt zu – so auch die der Frauen . Elisabeth aber ging immer Allen gern mit einem leuchtenden Beispiel voraus , stand immer gern an der Spitze und ordnete Alles nach ihrem Sinn und Geschmack , der denn auch durch seine Veredlung und Reinheit berufen war , vor dem Anderer zur Geltung zu kommen . Ihr geachteter Name wie ihr Reichthum fielen dabei nicht minder in die Wagschaale , und auch ihre Feindinnen und Neiderinnen mußten sich damit begnügen , sie im Stillen zu verspotten und zu verleumden , öffentlich aber ihr den Vorrang zu lassen und persönlich ihr höflich zu begegnen . Bei einem so regen Geiste , wie dem Elisabeth's , und einem so glühenden Herzen , wie in ihrer Brust schlug , dem sie doch nicht mehr die einstige laute Sprache gestatten durfte und wollte , war das Bedürfniß um so dringender , immer für ein Großes oder Allgemeines zu wirken , durch ein edles Streben und eine anregende Thätigkeit sich selbst im Gleichgewicht zu erhalten . Ihr klarer Verstand erkannte das selbst , und halb berechnend , halb nur ahnungsvoll gestaltete sie darnach ihr Leben . Ziemlich zwei Jahre war sie nun verheirathet . Christoph Scheurl war nach wie vor befriedigt und stolz durch ihren Besitz , ließ sie ungehindert über seinen Reichthum verfügen und freute sich , wenn sie denselben anwendete , den Glanz und die Ehre seines Namens zu erhöhen , wie es sowohl durch Unternehmungen wie die obige geschah , als auch dadurch , daß sie die Bevorzugten des Handwerkes und der Kunst theils für sich arbeiten ließ , theils mit einem Kreise von Gelehrten um sich versammelte , und so bestrebt war , so viel als möglich nicht nur mit den andern Nürnberger Geschlechtern zu wetteifern , sondern auch den Medicäern und anderen italienischen Großen es nachzuthun , so viel es in ihren Kräften war . Daneben erfüllte Elisabeth treulich jede Pflicht der deutschen Hausfrau , war gegen ihren Gemahl so aufmerksam wie er gegen sie , und wie er sie , ließ auch sie ihn gern in allen Stücken gewähren . Bei ihr war die Begeisterung für die Kunst und alle höheren allgemeinen Angelegenheiten aus innerster Empfindung hervorgegangen , zum wahren Lebensbedürfniß geworden ; bei ihm war nur Eitelkeit und Ehrgeiz dabei das leitende Motiv , im Uebrigen lebte er seinen Geschäften als Kaufmann und Rathsmitglied , und fand mehr Gefallen an Zechgelagen und Schmausereien als an gelehrten Gesellschaften und Kunstbestrebungen . Gern überließ er diese seiner Gemahlin , und diese grollte ihm ebenso wenig darüber , wenn er Tage und Nächte außer dem Hause in wüsten Gesellschaften zubrachte , die trotz der Betheiligung vornehmer und hochangesehener Rathsmitglieder keineswegs zu den mäßigen und sittenreinen gehörten . So lebte dies Paar glücklich und zufrieden vor den Augen der Welt ; der Gatte war es wirklich , denn ihm genügte dieser äußere ungestörte Lebensgenuß , und sein Herz , das wohl einst auch Leidenschaften gekannt und wärmere Empfindungen , war jetzt doch längst alt und kalt geworden , nicht mehr gemacht für zartere Regungen , die in seinem männlichen Alltagsleben , dessen Freuden im wechselnden Besuch der Trinkstuben und größerer Gastereien bestanden , gänzlich untergegangen . Elisabeth gehörte zu den edlen Frauenseelen , welche von sittlichen Grundsätzen erfüllt still dulden und entsagen , und den Schein des Glückes bewahren , auch wo sie dieses selbst als verloren erkennen , um sich so wenigstens vor dem Mitleid zu sichern , das sie wie eine Schande empfinden , wenn die Lebensschicksale , welche es hervorrufen , nicht , wie z.B. schmerzliche Verluste durch den Tod , Sendungen einer höheren Macht sind , sondern Folgen eigener und fremder menschlicher Handlungen . Ueber ein Jahr war vergangen , seit sie auf's Neue das Opfer eines Complots hatte werden sollen , das Eberhard von Streitberg gegen sie eingeleitet . Die Erschütterungen , welche damit verbunden waren , das plötzliche Wiedersehen , der Schrecken , die ganze nächtliche Scene eines blutigen und ungewissen Kampfes , wohl auch der lange Aufenthalt nach solcher Erregung im feuchten Walde und der nächtlichkalten Luft – dazu der Entschluß , vor wie nach über Eberhard von Streitberg zu schweigen und das , was er ihr einst gewesen war , und dabei doch die Furcht , Alles , was ihr Stolz jahrelang verschwiegen , verrathen zu sehen ; die Anstrengung , um das demüthigende und schmerzende Geheimniß zu bewahren , alle verfänglichen Fragen zurückzuweisen , auch der Kummer und die Sorge um die doch nur um ihretwillen im Gefecht Verwundeten oder Erschlagenen – obwohl damals ein nach dem Recht des Stärkeren gemordetes Menschenleben selbst auf ein zartes weibliches Gewissen nicht mit so zermalmender Qual fiel , wie in späteren menschlicheren , zu höheren Anschauungen und reinerer Sittlichkeit geläuterten Jahrhunderten : so war dies Alles vereint doch genug , mit Elisabeth's Seele auch ihren Körper zu ergreifen und sie auf das Krankenbett zu werfen . Herr Scheurl hatte sich beeilt , alle gelehrten Aerzte und Wunderdoctoren Nürnbergs um ihr Lager zu versammeln , so daß sie der eine mit seinen Mixturen und Salben immer mehr quälte als der andere , der eine ihr am Fuß , der andere am Arm zur Ader ließ , so daß sie – Dank ihrer guten Natur , aber wahrscheinlich trotz der Kunst der Aerzte – zwar mit dem Leben davon kam , aber doch erst , als es draußen wieder Lenz ward , sich nach Monden voll Fieber und Qualen wieder zu erholen begann . So war ihre Krankheit auch die natürliche Ursache , daß sie , in der ersten Zeit völlig bewußtlos und dann nur mit ihren Angehörigen und der Dienerschaft in Berührung kommend , weder irgend eine Aufklärung über das gegen sie geschmiedete Complot erhielt , noch einem ähnlichen zum Gegenstand dienen konnte – und später wollte sie selbst lieber Alles vergessen wissen , als noch durch Fragen daran erinnern . Noch ehe sie selbst erlag , hatte sie den berühmtesten Bader zu den verwundeten Baubrüdern gesandt , und er hatte ihr die Nachricht gebracht , daß der eine leichter verwundet sei , der andere aber , Ulrich von Straßburg , sehr gefährliche Wunden habe , ohne Bewußtsein sei und wahrscheinlich sterben werde . Die Mutter des blonden Hieronymus , bei dem er wohne , pflege ihn , wenn der Baubruder in der Hütte arbeite . » Für mich gestorben ! « hauchte Elisabeth – und von da an verlor sie die Besinnung . Anfangs , in ihren Fieberphantasien war sie immer mit Ulrich beschäftigt , sah ihn verwundet vor sich liegen , betete bald für ihn als ihren Retter , und schalt ihn bald , daß er sich überall in ihren Weg dränge , nur um sie zu demüthigen , sie wieder an die Schmach zu erinnern , die er ihr bereitet , als er die Rose aus ihrer Hand auf das Judenmädchen warf . Allmälig jedoch , wie das Fieber nachließ , schienen diese Bilder und Erinnerungen zu schwinden , ja sie es sorgfältig zu vermeiden , durch irgend etwas wieder an die Ereignisse jener Nacht gemahnt zu werden . Es schien ihr am Angemessensten , ihre Umgebung glauben zu machen , als habe sie dieselben wirklich ganz und gar vergessen . Jetzt , im Januar 1491 ist jede Spur der langen Krankheit von ihr verschwunden . Hat ihr edles Antlitz noch nicht ganz die frühere Frische und ihre majestätische Gestalt die frühere Fülle wieder erlangt , so erscheint ihre Schönheit dadurch nicht beeinträchtigt , daß der Eindruck , welchen sie jetzt macht , mehr ein geistig erhebender als ein sinnlich verlockender ist . Vielmehr als sie selbst schien ihre Freundin Ursula Muffel in dieser Zeit gelitten zu haben , welche jetzt zu ihr in das Zimmer trat . Ihre sanften Züge drückten Leid und Sehnsucht aus , und ihren Augen sah man es an , daß sie manche kummervolle Nacht durchwacht und manche Thräne vergossen . Die neue Glocke auf dem Thurm der Sebaldskirche hatte nicht lange zwölf Uhr geschlagen , als Ursula zu Elisabeth kam . Die übliche Zeit des Mittagessens war bei den Vornehmen wie bei den Handwerkern gleicherweise elf Uhr , und da man sich für gewöhnlich auch in den reichsten Häusern auf wenige Gänge beschränkte , dafür nur wenn Gäste zugegen waren oder bei außerordentlichen festlichen Gelegenheiten die Gänge in's Unzählige steigerte und oft gleich von Abend bis zu Mittag bei Tische saß , so war eine gewöhnliche bürgerliche Mahlzeit in einer Stunde beendet . Um Ein Uhr pflegten sich an den bestimmten Tage die Stickerinnen bei Elisabeth zu versammeln . Ursula sagte Elisabeth begrüßend : » Ich komme früher als die Andern , weil ich von Dir hören wollte , ob es wahr ist , daß für den nächsten Monat ein Reichstag hierher ausgeschrieben ist und ob König Max auch mitkommen wird ? « Elisabeth's Augen leuchteten bei dieser Nachricht . » Ich habe noch Nichts davon gehört , « antwortete sie ; » aber mein Gemahl ist unwohl und heute nicht zu Rath gegangen . Hat Dein Vater diese Nachricht von dem Rathhaus mitgebracht ? « » Ja , « versetzte Ursula ; » er kam entrüstet heim , und da ich ihn nach der Ursache seines Aergers fragte , sagte er , daß der Kaiser einen Tag nach Nürnberg ausgeschrieben , aber nur die Fürsten und nicht die Städte dazu geladen . Näheres erfuhr ich nicht und setzte meine Hoffnung wie immer auf Dich . « Elisabeth seufzte und legte liebend ihren Arm um die ihr vertraute Freundin , der sie schon lange keinen freudigen Trost mehr zu geben vermochte und auch jetzt deren Hoffnung nicht rechtfertigen konnte . Seit Stephan Tucher den Fahnen des Königs Max gefolgt war , hatte er Anfangs an Ursula so oft geschrieben , als es im Felde und in der damaligen Zeit , wo die Briefe immer nur einer zufälligen und unsichern Gelegenheit anvertraut werden konnten , eben möglich war . – Nachdem König Mathias von Ungarn Anfang April 1490 plötzlich in Wien gestorben war , hatte König Max den Krieg um seine östreichischen Erbländer begonnen . Am neunzehnten August hatte er seinen feierlichen Einzug unter dem Jubel des Volks in Wien gehalten , unter Lobgesängen in der St. Stephanskirche dem Herrn der Heerschaaren gedankt und auf offenem Markt die Huldigungen des Raths und der Gemeinde empfangen . Diesen glorreichen Tag hatte Stephan an Ursula geschildert – aber seitdem hatte sie keine Nachricht wieder von ihm erhalten . War er in der Schlacht gefallen ? war er ihr untreu ? hatte er sie vergessen ? Das Erstere war wohl möglich , denn König Max war mit bairischen Hülfsvölkern in Ungarn selbst eingebrochen , um auch dieses zu erobern , und hatte am ersten November selbst Stuhlweißenburg , die Krönungs- und Begräbnißstadt der ungarischen Könige genommen – da konnte wohl Stephan mit bei dem Sturme gefallen sein . Aber von zurückkehrenden Nürnbergern , die auch mit unter den bairischen Hülfsvölkern gewesen , hörte sie , daß er noch am Leben sei . Aber Keiner brachte ihr einen Gruß von ihm . Freilich waren diese Rückkehrenden eigentlich Ausreißer aus dem bairischen Heere ; denn in diesem war zwischen Reiterei und Fußvolk Streit über die Theilung der gemachten Beute entstanden , so daß das Fußvolk , als es weder von dieser den gewünschten größern Antheil , noch den rückständigen Sold ausgezahlt erhielt , rottenweise davon zog , wodurch der König sich genöthigt sah , sein Vordringen nach Ofen aufzugeben und sich nach Oestreich zurückzuziehen . Schwerlich würde der ritterliche , dem König ergebene Stephan mit denen , die den König verließen , gemeinschaftliche Sache gemacht haben . Allein jetzt war dieser nach Wien und dann nach Linz zurückgekehrt zum alten Kaiser Friedrich , der im October die Reichsacht über Regensburg ausgesprochen , das sich an den Herzog Albrecht von Baiern angeschlossen , der gegen des Kaisers Willen sich mit dessen Tochter Kunigunde vermählt , die der Vater deshalb verstoßen . Indeß sich Max jetzt bemühte hier ein Friedenswerk zwischen dem Vater und dem Schwager zu stiften , während Friedrich die Hülfe des Schwäbischen Bundes und des Löwlerbundes für sich wünschte , hörte Ursula , und zwar von Stephan's eigener Schwägerin Eleonore Tucher , die bei einer festlichen Gelegenheit mit ihr zusammenkam , daß es Stephan in dem lustigen Wien sehr wohl gefiele , daß er ihrem Gatten geschrieben , wie es nirgend schönere Frauen und freiere Sitten gebe , wie dort , und daß es sich da gar angenehm von den Strapazen eines gefahrvollen Feldzuges ausruhen lasse . Anfangs suchte Ursula für diese Nachricht Trost in der Hoffnung , daß dieselbe gefälscht sei , und bat Elisabeth um ihren Beistand , ihr den Brief oder doch Gewißheit über seinen Inhalt zu verschaffen . Wirklich erhielt ihn Elisabeth durch ihren Gemahl von Anton Tucher . Eleonore hatte Nichts hinzugesetzt oder erlogen : im Gegentheil , der aus Wien datirte Brief enthielt , was sie gesagt , noch begleitet von den rohen Ausdrücken und schmutzigen Späßen , welche damals , besonders unter der Männerwelt üblich waren . Das war der Brief eines lebenslustigen Mannes , der an jeden Genuß sich hingiebt , welchen der Augenblick bietet , unbekümmert , ob derselbe mit den Grundsätzen der Sittlichkeit sich vereinen lasse , unbekümmert , ob daheim eine treue sehnsüchtige Geliebte seinen Schwüren vertraut und kummervoll die Stunden zählt , bis sie einen Gruß von ihm empfängt . Elisabeth wollte Ursula gern die bitterste Kränkung ersparen , und sagte ihr nicht , daß sie selbst diesen Brief gelesen , aber doch daß ihr Gemahl das von Eleonore Gesagte bestätigt . Indeß fügte sie hinzu , es könne ja sein , daß Stephan seinem Bruder nur darum in einem solchen Ton geschrieben , um ihn und seinen Vater glauben zu machen , daß er Ursula aufgegeben und vergessen habe , da sie sich ja immer diesem Verhältniß widersetzt . Wie gern auch Ursula diesem Trostgrund Eingang in ihr banges Herz vergönnte : es blieb doch immer die Frage , warum er ihr nicht geschrieben , da doch sonst seine Briefe sie immer erreicht und sich noch stets gefällige Liebesboten gefunden hatten . Nur einmal war ein Brief von ihm verloren gegangen , aber das immer erwartend , hatte er wiedergeschrieben ; so war dies auch ein Trost wohl für einige Wochen , auch Monate – aber nicht für ein halbes Jahr , wo er nicht mehr im Kampfe , sondern näher war und andere Briefe von ihm nach Nürnberg gelangten . Und Elisabeth war auch eine Trösterin , welche selbst nicht glaubte , obwohl sie den Grundsatz hatte , jeden schönen Traum in anderen Herzen so lange als möglich fortzunähren , da die Enttäuschung und das Leid immer zu früh genug komme ; sie wußte , daß für ein liebendes weibliches Gemüth der peinlichste Zustand des Schwankens zwischen Furcht und Hoffen immer noch besser sei , als die entscheidende Gewißheit von der Unwürdigkeit und Untreue des geliebten Gegenstandes – sie konnte so aus Erfahrung empfinden ! aber ihr eigenes Herz war ja selbst zu sehr verletzt worden in seinen heiligsten Empfindungen durch den Verrath eines Mannes , als daß sie nicht auch für andere Mädchen und von andern Männern die gleichen Erfahrungen erwarten sollte . Einem schönen , eitlen und heißblütigen Manne wie Stephan traute sie nur so lange Ausdauer in seiner Neigung zu , als das Weib , das seine Leidenschaft erregte , ihm nahe war und nicht andere verführerischere Frauen ihn lockten . Aber nimmer hätte sie Ursula's Herz in ähnlichen Besorgnissen bestärken mögen , sie trachtete darnach ihr so lange als möglich das Schreckliche zu ersparen , woran gerade stille und tiefe , reine Frauengemüther zu Grunde gehen . Bei solchen Betrachtungen mußte sich Elisabeth selbst gestehen , daß sie trotz ihrer geistigen Kraft und ihrer erheuchelten stolzen Ruhe auch zu den Zugrundegegangenen gehörte , weil sie nicht mehr an das Ideal zu glauben vermochte , weil sie in zweifelhaften Fällen eher das Schlechte und Schlimme voraussetzte , als das Gute und Angenehme . Kam nun wirklich König Max zu einem Reichstag in nächster Zeit nach Nürnberg , so war weit eher zu erwarten , daß bei dieser Gelegenheit Ursula's Geschick entschieden werde , als das von Krieg oder Frieden im deutschen Reich , oder was immer der Kaiser von den zähen Reichsfürsten und dem schleppenden Gang der Verhandlungen fordern mochte . War Stephan treu , so würde er nicht verfehlen , im Gefolge des Königs sich wieder in sein Vaterland zu begeben , sei es auch nur für die Dauer des Reichstages . Blieb er aber ohne genügenden Grund aus , den man wohl von irgend einem seiner Gefährten erfahren konnte , so bestätigte dies seine Treulosigkeit ; denn für so schlecht hielt ihn keine der Frauen , daß er kommen werde , um noch durch seine Gegenwart sein unschuldiges Opfer zu verhöhnen . Wie natürlich , daß diese erste Nachricht von der baldigen Anherkunft des Königs einen ganzen Sturm von Empfindungen in Ursula erregte . Hatte sie doch auf die Huld dieses gütigen und ritterlichen Königs ihre ganze Hoffnung von da an gesetzt gehabt , wo er im Tanze sie ausgezeichnet und ihr sein Wort gegeben , nicht anders denn zu ihrer Hochzeit mit Stephan Tucher wieder zu kommen , infern sie einander nur Treue bewahrten , und wenn sie sich auch immer sagte , daß ein so viel bewegter Monarch mehr zu denken und zu thun habe , als um das Geschick eines Liebespaares sich zu bekümmern , so hoffte sie doch sonst , daß , wenn Stephan in des Königs Geleit zurück nach Nürnberg käme und dieser , wie er versprochen , in Scheurl's Hause wohne , so werde Elisabeth wohl Gelegenheit finden , ihre Schützlinge seiner Gnade zu empfehlen . Wie würde sich Stephan beeilen ihr seine Rückkehr , seine Hoffnungen zu melden ! – hatte Ursula vorher gedacht – und jetzt schwieg er , wie er seit einem halben Jahre geschwiegen ! – Außer den Regungen theilnehmender Freundschaft waren es noch Gefühle ganz anderer Art , welche bei dieser Nachricht Elisabeth ergriffen . Wenn König Max wiederkam – würde er auch derselbe sein wie vor ziemlich zwei Jahren ? Damals kam er eben aus den Niederlanden , ein sieggekrönter Fürst , der einen ehrenvollen Frieden geschlossen . Er kam nur nach Nürnberg , die alte freie Reichsstadt zum ersten Male zu begrüßen , er lebte unter ihren Bürgern harmlose festliche Tage , gefeiert und geehrt von Allen , und sie wieder ehrend durch sein leutseliges Wesen und die frohe Art , wie er sich unter sie mischte , mit ihnen gemeinschaftlich freute . Wie anders jetzt , wenn er Reichstag hielt ! Da würden alle Fürsten und Herren , alle Großen des Reichs ihn umgeben und von den Nürnberger Bürgern trennen – schien doch der Senat ihn schon zu grollen , weil er nur die Fürsten und nicht die Abgesandten der Städte geladen : – es war eine Zurücksetzung , die gerade den Bürgerstolz am tiefsten verwundete . Auch in Elisabeth lebte der gleiche Stolz , der sich dagegen empörte . Wie oft sie auch die angenehmen Tage zurückgewünscht hatte , an denen König Max in Nürnberg weilte und ihr die ritterlichsten Aufmerksamkeiten widmete – tausendmal lieber wollte sie ihn nie wiedersehen , als wiedersehen und von ihm übersehen werden . Sie war immer stärker ein Unglück zu ertragen als eine Demüthigung , welche sie dem spöttischen Lächeln ihrer Feindinnen und Neiderinnen preisgab . Die Sorgen des Reichstages mußten jetzt auf dem König lasten und noch schlimmere . Zwar hatte er seine Erblande wieder , aber er hatte doch den weiteren Eroberungszug nach Ungarn aufgeben müssen . Schlimmere Sorgen aber waren in seinen eigenen Familienangelegenheiten erwachsen . Nicht nur der Zwist zwischen dem Vater und dem Schwager – Härteres hatte Max persönlich betroffen . Er hatte sich inzwischen um die Hand der Herzogin Anna von Bretagne beworben , und während er in Ungarn beschäftigt war , hatte er sich mit ihr durch Procuration – der Prinz von Oranien war sein Stellvertreter – zu Rennes trauen lassen . Aber am französischen Hofe ließ man sich durch diesen Schein der Ehevollziehung nicht abhalten , an Verhinderung des Unglücks zu denken , das durch Gründung eines fremden Fürstenhauses im Herzen der Monarchie herbeigeführt werden mußte , und faßte deshalb den Plan , Anna mit König Karl von Frankreich selbst zu verheirathen , obwohl dieser schon seit seiner Kindheit mit Maximilian's Tochter , Margaretha von Burgund , verlobt war . Karl wußte Anna endlich zu vermögen , um ihr Land und ihr kleines deutsches Hülfsheer zu retten , sich ihm zu ergeben und am 6. November 1491 den Heirathsvertrag mit ihm zu unterzeichnen . Im December erfolgte die päpstliche Lösung ihrer Verbindung mit Max . So erscholl eben jetzt durch ganz Europa das Volksgeschrei , der König von Frankreich habe dem römischen Könige seine Gemahlin entführt und seine Tochter verstoßen . Maximilian's Aufbrausen bei der Nachricht von der ihm zugefügten Beschimpfung kannte keine Grenzen , und da seitdem erst nur kurze Zeit verflossen war , so konnte man wohl denken , wie er nicht empfänglich sein würde für harmlose heitere Festlichkeit wie in früherer Zeit , und vielleicht noch weniger für Gründung des Liebesglückes Anderer , da es ihm eben selbst auf so schmähliche Weise versagt war . Und wenn er wiederkam – würde er sein Wort halten und in Scheurl's Hause Wohnung machen ? Geschah es nicht , so fand Elisabeth schon darin eine Zurücksetzung – und geschah es , so erwachten jetzt schon die Sorgen der Hausfrau in ihr , den hohen Gast auch würdig und glänzend genug zu empfangen . Die beiden Freundinnen wurden im Gespräch über diese Angelegenheiten unterbrochen , als ihre stickenden Genossinnen erschienen : Elisabeth's Schwester Margaretha , Beatrix Imhof , Crescentia Rieter , Charitas und Clara Pirkheimer und andere Jungfrauen aus den rathsfähigen Geschlechtern , denn nur solche hatte Elisabeth zu der Arbeit berufen . Alle eilten die unterbrochene Arbeit neu zu beginnen . Mit den Schwestern Pirkheimer pflegte Elisabeth den Umgang am liebsten , Ursula ausgenommen . Sie waren beide von dem regsten Eifer für wissenschaftliche Studien sowohl als frommes Wirken beseelt , so daß man sie bald die gelehrten , bald die frommen Schwestern nannte . Zu jeder Arbeit waren sie bereit und tüchtig und für jedes Streben begeistert , das sich über die gewöhnlichen Lebenssphären erhob . Ihre Bildung war eine außerordentliche und besonders durch das früher gemeinschaftliche Lernen mit ihrem Bruder Willibald geförderte . Jetzt , wo er fern war und inzwischen auch ihre Mutter gestorben , hatte ihr Sinn sich dadurch immer mehr von den lauten Freuden der Welt abgewendet , ihren stillen Studien und einem beschaulichen Leben zu . Jetzt waren sie auch die Eifrigsten bei der Stickerei der Gobelins , ja sie hatten es sich nicht nehmen lassen , beide allein die Figur des Auferstandenen zu sticken , darin eine besondere Befriedigung findend . War nun auch die schöne Elisabeth weltlicheren Sinnes als die beiden , von der Natur gerade nicht mit körperlichen Vorzügen ausgestatteten Schwestern , so erkannte sie doch ganz deren innern Werth und ehrte ihre frommen Lebensanschauungen , wenn sie auch selbst sich zu freieren emporgeschwungen . Es war immer ein klarer Friede um diese Beiden , der ihr wohl that und den sie ihnen um so mehr beneiden konnte , als ihre unruhig bewegte Seele nur den Schein desselben zu behaupten suchte . Sie fragte jetzt die Schwestern nach ihrem Bruder Willibald , von dem sie wußte , daß er Ritterdienste bei dem Bischof von Eichstädt , eines der Häupter des schwäbischen Bundes , genommen . » Zu unserer Freude , « sagte Charitas , » wird er bald das Schwert mit der Feder vertauschen , um in Italien die unterbrochenen Studien fortzusetzen . Im rohen Kriegerhandwerk können es wohl Andere ihm gleich thun , aber mit seinem freien Geiste und seiner umfassenden Bildung paßt er besser in die stille Werkstatt der Gelehrten und wird seiner Vaterstadt und dem Reiche bessere Dienste leisten können , als mit dem Schwert . Kommt der Bischof von Eichstädt zum Reichstage her , so wird er ihn begleiten und kurz bei uns verweilen , ehe er auf lange Zeit nach Italien geht . « » Ihr wißt es also auch schon von dem Reichstag ? « fragte Ursula gespannt . » Mein Vater sagte es diesen Mittag , « antwortete Clara . Auch Crescentia Rieter mit Margaretha Behaim , die jüngste in diesem Verein , stimmte dieser Nachricht bescheiden bei . Draußen ließen sich eben Männerschritte vernehmen – Elisabeth hoffte , es werde ihr Gemahl sein , der nun auch die aufregende Kunde empfangen , und komme sie mitzutheilen – aber sie hatte sich getäuscht ; statt seiner trat der Maler Hans Beuerlein ein , um zu sehen , welche Fortschritte der Gobelin mache , zu dem er das Gemälde geliefert . Er war ein mittelgroßer Mann in den Fünfzigen , seine Gestalt hatte er in einem großen Zipfelpelz von dunkler Farbe gehüllt und auf dem Kopfe trug er eine Art Mütze von rother Farbe , ein Schläplein , wie diese wunderliche Kopfbedeckung hieß . Freundlich gab er sein Lob über die vorgeschrittene Frauenarbeit zu erkennen , aber als er sich über Ursula's Schulter bog , ihr Werk zu betrachten , sagte er : » Aber was ist denn das : Ihr stickt der armen Maria Magdalena graue Haare statt der blonden – würde es Euch doch selbst sehr kränken , wenn man Euch plötzlich mit grauen Haaren sehe ! Erröthend erkannte Ursula das Unheil , das sie angerichtet , indeß ihre Gedanken ganz anders beschäftigt gewesen als mit ihrer Arbeit . Durch langes Sehnen und Harren , Fürchten und Hoffen schon zum Aeußersten erschöpft , brach sie in Thränen aus und rief : » Ach , das ist gewiß eine schreckliche Vorbedeutung ! « Der Maler lächelte : » Trennt es herzhaft wieder her aus und macht den Fehler gut , den ihr begangen , so macht Ihr auch die Vorbedeutung zu Schanden . So ist's Männerart ; aber die Frauenzimmer sehen immer Alles gleich mit weinerlichen Augen an , bis sie gar nichts mehr erkennen können . « » Ei freilich ! « entgegnete Elisabeth , » das ist bequeme Männerweisheit , die sich immer ihr Schicksal leicht macht : Wenn Ihr dies Haar mit einer falschen Farbe gemalt hättet , so bedürfte es nur einiger Pinselstriche von Eurer Hand aus einem andern Farbentopf , um dies Grau wieder in das schönste Blond zu verwandeln ; das Frauenloos ist aber : hundert Stiche mühevoll aufzutrennen und wieder hineinzunähen – ein Geschäft , das vieler Geduld und Zeit bedarf ; nimmer unterzieht sich jetzt ein Mann einem solchen , um seine Fehler gut zu machen . « » Ei , was höre ich , Frau Elisabeth ? « rief der Maler : » aber so geht es immer , wenn sich einmal ein Mann allein unter die Frauenzimmer wagt , da muß er immer sich Allerlei gefallen lassen – statt Hahn im Korbe zu sein , ist man der Hirsch , den die Windspiele umzingeln und ankläffen . « Zweites Capitel Propst und Mönch Auf dem Steig bei den zwölf Brüdern standen mehrere niedere Gebäude durch einen großen Hof verbunden . Vor dem Eingang am großen Hofthor , über dem sich ein zierlicher Spitzbogen mit durchbrochener Arbeit erhob , befand sich ein steinerner Lindwurm , der aus seinem weiten Rachen Wasser spie , das auch jetzt im Winter lustig daraus hervorquoll , nur daß es da und dort am Rande des Wasserbeckens , wenn es über dasselbe plätscherte , zu seiner kunstreichen Steinmetzenarbeit noch spitze Zapfen von Eis ansetzte und auch den Rachen des Ungeheuers mit einem Bart von silberhellglänzenden Eisfasern umgab , daß es dadurch eine noch einmal so drohende Miene erhielt . Drinnen im Hof , ein langes Gebäude rechts war die Werkstatt des Meisters Adam Kraft . Hier arbeitete er umgeben von seinen Gesellen und Knechten . Eine große , glatte Steintafel lehnte vor ihm , an der er fleißig feilte , um Figuren in Lebensgröße als Hochbilder daran herauszumeißeln . Neben ihm standen Herr Martin Ketzel und der Propst Anton Kreß . Ersterer , der bei ihm die sieben Fälle Christi in ebenso vielen einzelnen Steintafeln und zwei Kapellein bestellt hatte – eine so große Arbeit , daß sie leicht mehrere Jahre bis zu ihrer Vollendung erfordern konnte , war gekommen , um einmal nachzusehen , wie weit sie vorgeschritten , und hatte auch den als Kunstförderer bekannten Propst dazu mitgebracht . Adam Kraft hatte ihnen die beiden fertigen Hochbilder gezeigt , lächelnd ihr Lob vernommen , ohne selbst viel dazu zu sagen , und jetzt fuhr er in seiner Arbeit fort , um den Besuch seiner Gönner sich weiter nicht kümmernd . Neben ihm stand sein neuester Handlanger , ein Bauernknecht aus dem nächsten Dorfe , den man nicht anders als den Riesen-Jacob nannte , so groß und stark war sein Gliederbau . Meister Kraft hatte ihn kürzlich bei seiner Werkstatt vorübergehen sehen und ihn gefragt , ob er sich von ihm wolle zum Handlanger dingen lassen ? Da es im Winter für den Knecht keine Arbeit und schlechte Zeit gab , so nahm er das Anerbieten für diese Zeit an . Er hatte gemeint , er sei gewählt worden , weil er wohl fünf für andere starke Männer Körperkraft besaß und mit Leichtigkeit große Steinblöcke da und dorthin tragen konnte , die Andere nur mühsam fortzuwälzen vermochten ; indeß erstaunte er nicht wenig , als der Meister nur selten solche Leistungen von ihm verlangte , dafür ihn aber oft an seine Seite nahm , und indeß er selbst die kunstreichsten Formen in den Stein trieb , dem Riesen-Jacob mit der größten Genauigkeit zeigte und erklärte , wie man selbst das mache und wie er versuchen müsse , ihm das nachzuthun . Der rohe Bauernbursche , der nur mit Ochsen und Pferden umzugehen verstand , Bäume zu fällen , und in Zeiten , wo die Ritter ihren Unterthanen und Hörigen die Ochsen geschlachtet und die Pferde entführt hatten , um sie bei ihren Raubzügen oder im Kriegsdienst zu verwenden , wohl auch selbst am Pfluge ziehen mußte – der verstand kein Wort von dem , was ihm der Meister sagte , lachte nur und wagte kaum einen rohen Versuch , den Meißel in den Stein zu treiben . Die ihm nahe stehenden Steinmetzgesellen aber lächelten einander zu und merkten hoch auf , denn sie wußten : so war einmal ihres Meisters Art. Nie war er dahin zu bringen , Einem von ihnen , der bei ihm lernte , etwas ordentlich zu zeigen und mit seinen Gesellen über seine Arbeit zu sprechen ; aber von Zeit zu Zeit miethete er sich einen unwissenden Bauernknecht als Handlanger , und dem zeigte er alle Dinge , als ob er den kunstbegierigsten Steinmetzen vor sich hätte – so ward es auch jetzt . Meister Kraft hatte eben zur Abwechslung und um seine rechte Hand ruhen zu lassen , den Meißel einmal in die linke Hand genommen , mit der er in gleicher Weise geschickt zum Arbeiten war , als sich die Thür öffnete und die Frau Meisterin , mit vielen Knixen vor dem Propst , und Herrn Ketzel , einen Benediktiner-Mönch in die Werkstatt geleitete . » Der fromme Vater da , « sagte sie zu dem Propst , » hat Euer Hochwürden schon überall gesucht , bis man ihn hierher gewiesen , indem man ihm gesagt : er würde Euch bei dem Drachen finden ! « » Ei , ei , « sagte der Propst , der immer zu einem Späßchen aufgelegt war und die Worte dabei nicht wog , oder auch seinen Witz dann für den gelungensten hielt , wenn er damit andere Personen in Verlegenheit bringen konnte , man hat dem frommen Bruder gesagt , daß er mich bei einem Drachen fände , und da ist er gleich auf den Einfall gekommen , mich bei der Frau Meisterin zu suchen ? – Was meint Ihr dazu , Meister Kraft ? wie ist es mit dem Hausdrachen ? « Der Riesen-Jacob lachte unmäßig , und auch die Gesellen hatten Mühe sich das Lachen zu verbeißen , die Lehrlinge konnten ein leises Kichern nicht unterdrücken ; alle wußten wohl , daß der Meister seit zwei Jahren erst mit dieser seiner zweiten Frau verheirathet in der glücklichsten Ehe lebte , aber auch daß , seitdem sie in das Haus gekommen , ein schärferes Regiment darin eingeführt worden . Die Lehrlinge mußten manche Hausarbeit verrichten helfen , kehren , schwemmen und räumen , denn im ganzen Gehöfe wie im Haus und überall duldete sie keine Unsauberkeit und verbannte sie auch aus den verborgensten Winkeln ; den Gesellen rechnete sie auch die Freistunden pünktlich nach , und hielt es ihnen vor , wenn einmal einer über den Durst getrunken oder sonst einen Unfug verübt . Ihr Mann grollte meist nur still oder schickte fort , mit wem er unzufrieden war ; sie aber suchte den Leuten in's Gewissen zu reden , sie durch moralische Vorstellungen und Kernsprüche zu bessern . So war ihr von den Leuten , die zwar Respekt vor ihr hatten , aber denen das frühere lose Regiment doch besser behagte , als dies strengere durch sie geführte , bald der Beiname des Hausdrachen gekommen , und sie hatten keine geringe Freude , als jetzt selbst der geistliche Herr sie damit neckte . Meister Kraft aber , obwohl er das ernste Gesicht auch zu einem Lächeln verzog , fühlte doch , daß er seiner Hausfrau sich annehmen müsse , und sagte kurz und gut : » Wir leben ja als Adam und Eva im Paradies und da kann wohl Einer leichtlich denken , Drache oder Schlange müsse sich einschleichen , und wie es immer gewesen , zur Frau zuerst ; draußen aber sitzt er im Stein gezaubert vor dem Thor und weiset wohl den Weg zu uns , aber nicht uns hinaus . « » Das ist brav , « sagte Herr Martin Ketzel , » daß Ihr Eure Hausehre in Schutz nehmet . « Der Meister schien schon nicht mehr auf das zu hören , was weiter um ihn vorging , sondern trieb den spitzen Stahl immer tiefer in den sich gestaltenden Stein , daß es lustig klang und Funken und Sand um ihn sprühten und stäubten . Ketzel wendete sich darum zu Frau Kraft und sagte : » Es ist wirklich wundersam , daß Meister Adam auch eine Eva gefunden . « Diese erröthete und fuhr sich mit der Schürze über's Gesicht , der Meister lächelte schlau und der Propst sagte : Das Wunder ist nun eben nicht so groß ; wißt Ihr denn nicht , daß die Frau Kraft eigentlich Magdalena heißt , so steht sie im Kirchenbuch , und nur dem Meister da zu Gunst hat sie sich selber umgetauft , weil er sich 's einmal in den Kopf gesetzt , keine Andere als eine Eva zu freien . « » Ei was ! « rief die Meisterin sich entschuldigend , » der Kraft ist auch nicht Adam getauft , sondern Ulrich , und hat sich selbst den Namen gegeben ; warum soll eine Frau nicht das gleiche Recht haben ? « » Wenigstens wenn es ihr Mann ihr giebt ! « sagte Meister Kraft , der doch seine Frau nicht wollte übermüthig werden lassen und sich die Oberherrschaft sichern . Während dieses Gespräches war der Mönch an einem Seitenfenster stehen geblieben , das dem geöffneten Hofthor schräg gegenüber war , so zwar , daß man durch dasselbe auf die Straße und die bei dem Lindwurm Vorübergehenden sehen konnte . Anfangs blickte der Mönch nur mürrisch da hinaus , ungeduldig , daß der Propst , den er schon allenthalben gesucht , nun statt sich mit ihm zu entfernen , kurzweilige Späße trieb , die seiner Würde sehr wenig gemäß waren . Jetzt aber blickte der Mönch schärfer hin , wie gefesselt durch eine außerordentliche Erscheinung ; ein sonderbares Zucken flog über sein erdfahles Gesicht und seine dunklen Augen blitzten unter den grauen Augenbrauen . Jetzt wendete sich der Propst zu dem schweigenden Mönch und sagte : » Aber Ihr werdet Eile haben , ich bin bereit Euch zu begleiten . Gehabt Euch wohl , Meister Kraft . Gottes Segen mit Euch Beiden : Adam und Eva ! Herr Ketzel , guten Fortgang zu Euer frommen Stiftung in so wackeren Meisters Händen . Besucht mich bald einmal in der Propstei zu einem Becher edlen Rheinweins , wie er in meinem Keller lagert . « Er lächelte und schmunzelte dabei schlau , denn sein immer voller Weinkeller , obwohl täglich aus ihm geschöpft ward , machte ihm mehr Freude , als eine volle Kirche . Martin Ketzel verstand den Wink , daß der Propst jetzt seine Begleitung nicht wünsche , er blieb daher zurück , als sich dieser mit dem Mönch entfernte , und sagte zur Meisterin : » Ich muß schon noch ein Weilchen bei Euch verziehen , denn die geistlichen Herren da scheinen unter vier Augen zu verhandeln zu haben , wobei sie weltliche Ohren nicht gebrauchen können . « Frau Eva war auf den Propst noch ärgerlich wegen des Drachen und sagte : » Es ist auch besser , man hört es nicht ; der Herr Propst hat immer andere Dinge im Kopfe , als man bei einem Kirchenhaupt erwarten möchte , und der Mönch sah auch nicht aus wie Einer , der Frieden im Kloster gefunden und sich wohl fühle in seinem Berufe . « Meister Adam runzelte die Stirn und winkte seiner Frau schelmischstrafend zu , als wolle er sagen , daß sie wohl Recht habe , daß man aber vor den Leuten in der Werkstatt nicht so reden dürfe . Gleichzeitig aber sagte der Riesen-Jacob : » O den Mönch da , den Bruder Amadeus , den kenne ich . Ich habe vorletzten Sommer als Handlanger einmal im Kloster mitgearbeitet – da hab' ich ihn in seiner Zelle heulen und toben hören , und weil ich darnach fragte , hat mir der Pförtner gesagt , da sei der Bruder Amadeus seit einem Jahre zum ersten Male mit einem Auftrag in Nürnberg gewesen und ganz verstört wiedergekommen ; er wäre seitdem nicht mehr zu bändigen – von Buße und Besserung wollt' er gleich gar nichts hören . « » Laßt doch das unnütze Reden ! « sagte der Meister ; » wir loben den Herrgott in unserer Kunst und in den Werken , die wir ihm zur Ehre mit allem Fleiß bereiten – mögen sie in den Klöstern thun und treiben , was sie wollen ! « – Herr Martin Ketzel verabschiedete sich und die Meisterin gab ihm das Geleite bis zu dem Brunnen vor dem Hausthor . Es begann zu schneien , und der Lindwurm , dem große Flocken um den geöffneten Rachen spielten und an seinen Eiszapfen zu weichem Flaumenbart sich ansetzten , sah grimmiger aus als je vorher . Bei diesem Anblick schien die Erbitterung Frau Eva 's auf den Propst auf's Neue erregt zu werden , und indem sie , nachdem Herr Ketzel sich entfernt , das Hofthor donnernd zuwarf , murmelte sie leise zwischen den weißen Zähnen : » Der Propst soll auch noch einmal an mich denken ! will er mich einmal einen Drachen schimpfen , so mag er auch noch erfahren , daß ich's ihm gegenüber sein kann ! « – Indessen ging der Propst Kreß mit dem Benediktinermönch durch das Schneegestöber seiner Wohnung zu . Das Wetter war eben nicht darnach , Leute auf die Straße zu locken , welche nicht gerade die Nothwendigkeit heraustrieb . Auch die unverdrossenen Nürnberger suchten bei solchem Wetter lieber in ihren Häusern ihre Geschäfte abzumachen , als wie sonst auf Gassen und Märkten sich umherzutreiben . Darum begegneten die Beiden nur Wenige und der Propst sagte zu seinem Begleiter : » Ich bin neugierig zu wissen , wie es kommt , daß Ihr Urlaub erhalten und was Ihr für einen Auftrag habt ? « Der Mönch sagte mit einem fast verächtlichen bittern Lächeln : » Durch strenge Buße erhielt ich den Urlaub – und mein Auftrag ist allerdings so einfach , daß ich ihn Euch auf offener Straße sagen kann , auch wenn ganz Nürnberg uns zuhörte : am Sakramentshäuslein in unserer Kirche ist über Nacht der Aufsatz eingefallen und zertrümmert worden ; wir brauchen kunstfertige Hände , das nicht nur zu repariren , sondern ganz neu wieder herzustellen – aber es soll bald geschehen , damit das Werk zur nächsten Feier wieder würdig vollendet ist . Das ist mein Auftrag an Euch , Herr Propst . « » Hättet Ihr ihn doch gleich in der Werkstatt des Meister Adam Kraft gesagt , « antwortete der Propst , » das ist der kunsterfahrenste Mann in solchen Sachen – « » Nicht doch ! « fiel ihm der Mönch ein , » wir wollen in unserer Kirche kein Werk von profanen Händen , wenn es auch jetzt Sitte wird , zuweilen solche Steinmetzen in die Klöster zu berufen ; der Auftrag ging an Euch und den Hüttenmeister der St. Lorenzkirche , uns zwei der geschicktesten Baubrüder zu senden – den , dessen Zeichen ein Kreis ist mit einem Winkelmaß durchschnitten – « Es war , als hemme eine plötzlich fallende Schneelavine die eilenden Schritte des Propstes – so blieb er einen Augenblick erschrocken und regungslos stehen ! aber es fiel nicht ein Flöckchen mehr vom weißgewölbten Himmel herab , als vorher gefallen , und Nichts ließ sich sehen und hören , sein erschrockenes Stillstehen zu veranlassen . Aber er griff jetzt den Mönch heftig unter den Arm , entweder um sich zu stützen oder ihn eilend mit sich weiter zu reißen , und sagte : » Amadeus ! kein Wort weiter davon hier auf der Straße – das besprechen wir drinnen in der Propstei . « » Ich gehorche , « sagte Amadeus ; » aber jetzt seht Ihr es : nicht ich bin der Erregte , sondern Ihr seid es . « So gingen sie schweigend und eilend noch die kurze Strecke nebeneinander , bis sie in die Propstei zu St. Lorenz kamen . Der Propst schlug mit dem eisernen Klöppel , der eine kolossale Eichel an einem Zweig von Eichenblättern darstellte , auf ein aus der Thür vorspringendes Eichenblatt gleichfalls von eiserner Arbeit , dreimal rasch nacheinander , und gleich darauf ward die Thür von unsichtbaren Händen geöffnet und sprang eben so schnell hinter den Eingetretenen wieder zu . In einem hochgewölbten Zimmer des Erdgeschosses loderte ein mächtiges Feuer , hohe Polsterlehnstühle , mit verschossenem braunen Sammet bezogen , standen am Kamin . Herr Anton Kreß deutete darauf und sagte : » Ihr werdet müde sein und habt noch einen weiten Weg zu machen , wenn Ihr vor Nacht zurück müßt . « » Die zwei Stunden bis zum Kloster , « sagte Amadeus , » werden mich nicht erschöpfen , wenn ich den Weg hierher nicht vergeblich gemacht habe . « Eine Frau in mittleren Jahren , die Wirthschafterin des Propstes , trat ein , nahm dem Propst seinen Pelzmantel ab und brachte ihm einen Hausrock , blies mit dem Blasebalg in den Kamin , legte neue Scheite auf , warf dabei neugierige Blicke auf den Mönch und schien Lust zu haben , sich allerlei im Zimmer zu thun zu machen , um gegenwärtig bleiben zu können . Der Propst aber sagte zu ihr : » Bringt uns schnell einen Krug Wein , etwas Brod und Schinken , und dann sehet auf den Boden ; mich dünkt , die Fenster standen offen und der Schnee wird sich drinnen häufen . « Ehe nicht die Wirthschafterin wiedergekommen war , das Verlangte gebracht und auf einen kleinen Eichentisch am Kamin zwischen den Lehnstühlen zurechtgestellt , auf denen die Beiden Platz genommen , sprachen sie kein Wort zusammen . Erst da sie sich entfernt , sagte der Propst : » Nun , Amadeus , Euren Auftrag ? « » Ich habe ihn schon gesagt , « versetzte dieser ; » der hochwürdige Abt läßt Euch sagen , uns zwei der geschicktesten Baubrüder aus der Lorenzer Bauhütte zu senden , noch besser , sie mir gleich mitzugeben . Da im Winter ja doch nur in der Hütte und nicht außen an der Kirche gearbeitet werden kann , so meinen wir , Ihr könnet sie jetzt entbehren . « » Gleich heute geht das nicht , « antwortete Kreß unruhig ; » ich muß es erst mit dem Hüttenmeister besprechen – – aber jetzt sind wir allein , hier hört uns Niemand , darum jetzt keine unnützen Redensarten mehr : wie hab't Ihr es angefangen , daß man gerade Euch und gerade mit diesem Auftrag zu mir gesendet ? « » Ich rede die Wahrheit , « antwortete Amadeus ; » ich bin still und fromm geworden , habe Buße gethan und verstanden mich selbst zu zähmen , so ist mir der Abt wieder geneigt worden wie vordem . Heute um Mitternacht hatte mich die Pflicht der Buße allein in die Kirche geführt – da sah ich das Sakramentshäuslein zertrümmert , und meldete es dem Abt noch zur selben Stunde zuerst und schlug ihm auch vor , daß wir es eilend wollten durch Nürnberger Baubrüder wieder herstellen lassen , und da er weiß , daß Ihr mir gewogen , und da ich der Erste war , der das Unglück gesehen , so gab er mir Urlaub und sandte mich hierher . Und soll ich weiter die Wahrheit reden : der Abt kümmert sich nicht um die Monogramme Euerer Steinmetzgesellen , ich aber kenne das des Einen und bitte Euch : sendet uns den mit dem Zeichen des Kreises , den das Winkelmaß durchschneidet . « » Amadeus ! was soll daraus werden ? « sagte Kreß unruhevoll , lehnte sich bekümmert in seinen Stuhl zurück und drehte hastig einen Daumen um den andern an seinen über den wohlgenährten Leib gefaltenen Händen . » Da Ihr mir keine Gewißheit geb't , will ich sie mir selbst suchen ! « antwortete Amadeus . » Und wenn Ihr sie hab't , so wird sie Euch in's Verderben stürzen ! « warnte der Propst . Der Mönch lächelte : » Dem bin ich so oder so verfallen , daran liegt nicht das Geringste . « » Da habt Ihr recht , « antwortete der Propst , » aber mit oder ohne Gewißheit ; schon durch Euer Forschen , eine einzige Unvorsichtigkeit , ein verdächtigendes Wort werdet Ihr den edlen Jüngling in's Verderben stürzen , sei er , wer er sei – das bedenkt ! « » Ich werde ihn nicht verrathen , « antwortete Amadeus , » und schon am wenigsten dann , wenn er mein – « » Halt ! « fiel ihm der Propst in's Wort ; » Ihr hab't es gezeigt , wie wenig Ihr Eurer mächtig seid ! Ich hab' ihm meine Gunst erwiesen , aber nur als wackerem Künstler , und sonst bin ich ihm immer fern geblieben ; aber ich habe im Verborgenen über ihn gewacht und ihn geschützt , wo es Noth that . Schon wollte sich der böse Leumund an ihn wagen , schon munkelte man über sein Herkommen und wollte seine Mutter verunglimpfen – noch haben ihn die Zeugnisse geschützt , die er mitgebracht , noch glaubt er denselben fest . Er ist stolz und edel und sein Lebenswandel frei von jedem Makel ; er ist hochbegeistert für seine Kunst und kennt kein anderes Streben und kein anderes Glück , als ihr zu dienen : nun drängt Euch an ihn , forscht und spähet und macht ihn selber irre an sich selbst und seinem Herkommen , nehm't ihm die Ruhe des Gemüthes , den freudigen Stolz auf niedere , aber brave Eltern , auf die Zeugnisse der Benediktiner – und Ihr vernichtet in ihm die frohe Kraft des Schaffens , die Zuversicht , die ihn jetzt beseelt ; aber noch mehr : findet und bringt Beweise , lähmt seine Hand , seinen Muth , macht ihn zum Lügner und Heuchler – noch mehr : nehmt ihm die ehelichen Eltern , verrathet Alles , was ihr jetzt denkt , im halben Wahnsinn vielleicht hofft – kaum Tage werden vergehen , und er wird ein Ausgestoßener sein aus der Zunft der freien Steinmetzen ; Schimpf und Schande wird über ihn kommen , die seine stolze Seele nicht erträgt ; mit Fingern wird man auf ihn zeigen , und es wird ihm nirgends eine Freistatt werden für sich und seine Kunst und sein ganzes verfehltes und verunehrtes Leben ! « Anton Kreß hatte lange nicht so viel und im Eifer gesprochen ; kalter Schweiß stand auf seiner Stirn , und wer ihn jetzt gesehen , der konnte ihm manches vergeben und denken , daß in diesem Manne doch ein guter Kern war , an den man nur einmal zu pochen brauchte , so klang er hell und rein , trotz der dichten Hülle alltäglicher Erscheinung , die ihn umgab . In seinen Augen standen Thränen , und während der Ausdruck seines Gesichtes sich drohend auf den Mönch richten sollte , ward er vielmehr angstvoll und flehend . Dieser starrte vor sich nieder und sagte dann : » Wenn man fünfzehn Jahre im Benediktinerkloster ist , so lernt man sich selbst beherrschen . « Das ist nicht wahr , Bruder Amadeus , das ist von Euch nicht war ! « antwortete rasch der Propst ; » denkt , in welchen Zustand Ihr vor anderthalb Jahren kamet , da Ihr zuerst ihn wiedergesehen , nur seinen Namen und sein Alter erfahren hattet – und als Ihr darauf hörtet : er sei todt ! « » Eben weil ich das nicht vergessen kann ! « sagte Amadeus ; » es kam zu plötzlich – und ich erlag . Seitdem hab' ich gebüßt und mich geprüft , und bin vorbereitet . Aber wie könnt Ihr denken , daß ich etwas thun oder sagen würde , das Ulrich's Dasein vergiften könnte ? Ihr habt Ulrika vor mir verborgen , daß ich weder weiß , ob sie noch unter den Lebenden wandelt oder nicht – und wenn ein Wunder selbst mir Ulrich zugeführt , so habt Ihr kein Recht , Euch dem entgegen zu stemmen . « Der Propst sah zwar noch kummervoll aus , aber um seinen Mund spielte ein schlaues Lächeln , mit dem er sagte : » Glaubt Ihr wirklich an die Wunder der Heiligen ? Die haben wohl auch um Euretwillen das Weihbrodgehäuse umgeworfen ? Was bildet Ihr Euch ein , daß sie noch weiter thun werden ? – Antwortet mir lieber kurz und bündig : Was gedenkt Ihr zu thun , wenn ich nun wirklich Ulrich von Straßburg und seinen treuen Gefährten , den blonden Hieronymus auf Arbeit in das Kloster sende ? « » Ihr kennt die strengen Regeln des Ordens , « sagte der Mönch : » ich werde ihn nur beim Gebete sehen , und wenn ich mit ihm zu sprechen komme , so wird das nicht allein sein . « » Ich kenne die gelockerten Ordensregeln , « versetzte der Propst , » und daß es jetzt in den Klöstern nicht so streng hergeht wie ehedem und wie die Welt noch glauben soll , aber doch nicht glaubt : Ihr werdet es schon schlau anfangen , daß ihr mit Ulrich allein zu sprechen kommt – Ihr werdet darum doch keine Ruhe finden und die seine werdet Ihr ihm rauben . « » Nun denn , « antwortete der Mönch aufstehend , » was hinderte mich denn gleich selbst in die Bauhütte zu gehen , ehe ich zu Euch ging , und dort meinen Auftrag zu sagen ? « » Ihr habt das Paßwort nicht und hättet keinen Einlaß gefunden , « entgegnete der Propst . » Aber der Hüttenmeister wäre herausgekommen , « versetzte Amadeus , » und ich hätte mein Gesuch vorgebracht ; ich hätte auch draußen warten können , bis Ulrich herauskam , und ihn begleiten ; noch mehr : als Ihr vorhin beim Meister Kraft mit seiner Ehefrau scherztet , da sah ich Ulrich draußen beim Lindwurm vorübergehen – ich hätte auf ihn zueilen können , mit ihm reden , was ich gewollt , ohne daß ich erst meine Bitten bei Euch erschöpfe . Urtheilt , ob ich mich bezwingen kann und gehorsam sein , daß ich das nicht that ? Ich weiß auch , daß er beim Rädleinmacher Sebald beim Sonnenbad wohnt , und könnte jetzt zu ihm gehen , statt mit Euch nutzlose Worte zu wechseln – wenn ich nicht ein Gelübde und noch mehr : wenn ich nicht seine Ruhe berücksichtigen wollte . Was also habt Ihr noch zu fürchten ? Kann ich aufrichtiger gegen Euch sein , als ich es gewesen bin ? Verdiente ich nicht dafür , daß Ihr es auch wäret ? Geb't mir Gewißheit , und Ihr ersparet mir weiter zu forschen ! « » Ich habe selbst keine Gewißheit ! « sagte der Propst nach langem Sinnen und mit sich selbst Ringen ; » wie oft soll ich es Euch sagen ! Er ist nicht der einzige Oblate , der in jenem Kloster erzogen worden , und ich mag keine Nachforschungen anstellen , die ihm schaden könnten . Ich liebe und achte diesen wackern Gesellen und erweise ihm meine Gunst , mag er mir nahe stehen oder nicht ; es bringt durchaus keinen Nutzen , Geheimnissen nachzuspüren , bei denen wir Gott danken müssen , daß sie es vor der Welt sind – mögen sie es auch vor uns sein und bleiben . « » Wohlan ! « sagte Amadeus , » so laßt mich Eurem Beispiel folgen – ich will nur thun wie Ihr und Nichts verrathen , was dies alte Herz dabei empfindet . « Er reichte dem Propst seine Hand ; dieser nahm sie , stand auch auf und sagte : » Euch selber träfe der größte Fluch , wenn Ihr Fluch und Schande auf Ulrich brächtet . « » Ich will Nichts als meine alte Hand segnend auf seinen Scheitel legen – vielleicht find' ich dann die Ruhe , die mir bis jetzt noch niemals geworden . « » Ich will Euch vertrauen , « sagte Kreß ; » vertraut mir auch . Wie Ihr alles Auffallende vermeiden wollt und müßt , will und muß ich es auch . Morgen in der Hütte werd' ich mit dem Hüttenmeister sprechen , ihm sagen , daß Ihr die geschicktesten Steinmetzen verlangt , und daß es eine Ehre für die sein wird , welche wir senden . Ulrich und Hieronymus sind die besten ; wählt der Werkmeister sie selbst und schlägt sie vor , so werde ich freudig beistimmen – einen Vorschlag selbst kann und mag ich nicht machen ; ich habe Ulrich schon mehr als einmal gegen seine Neider und Feinde geschützt – ich werde Nichts thun , was sie vermehren könnte . – Und nun eilt Euch , damit Ihr zur rechten Zeit heim kommt , ehe sie zur Hora läuten . Dem Abt vermeldet meinen Gruß und daß übermorgen die Steinmetzen kommen würden ; die Bedingungen wird ihnen der Werkmeister schriftlich mitgeben . – Da , leert noch einen Becher , ehe Ihr in die Winterkälte hinauswandert . « » Auf Ulrich's Wohl – und Euch zum Dank ! « sagte Amadeus , mit seinem frischgefüllten Humpen an den des Propstes stoßend . Dann zog er die Kaputze über sein Haupt , nahm seinen Wanderstecken und verließ das Haus . Der Propst sah ihn bekümmert nach und überließ sich eine Weile bangen und traurigen Gedanken . Aber es war seine Gewohnheit , denselben nie zu lange nachzuhängen ; er schellte der Wirthschafterin und sagte ihr , daß er noch einmal ausgehen werde – er hatte das Bedürfniß sich in heiterer Gesellschaft zu zerstreuen , und die Collegen und Rathsherren , in deren Mitte er sich bald gesprächig und frohgelaunt wie immer bewegte , merkten ihm nicht an , daß er eben eine so ernste und ihn quälende Unterredung gehabt . Drittes Capitel Die beiden Baubrüder An demselben Abend , an welchem die Baubrüder Ulrich von Straßburg und der blonde Hieronymus Gegenstand des Gespräches zwischen dem Propst und dem Mönch gewesen waren , saßen die ersten Beiden wie gewöhnlich allabendlich zusammen in ihrer schlichten Wohnung . Die Mutter des Hieronymus hatte ihnen einen großen Topf Suppe im Zimmer gekocht und nickte fröhlich lächelnd mit dem wankenden Kopfe , selbst die größte Freude darin findend , daß sie es ihren Söhnen so behaglich gemacht , denn auch Ulrich war ihr im Laufe der Zeit wie ein zweiter Sohn geworden – nannte doch ihr Hieronymus ihn auch Bruder . Ist es doch auch immer von jeher Frauen- und Mutterart gewesen , an das Wesen sich am innigsten zu schließen , das die meisten Sorgen , Mühen und Aengsten verursacht , und hatte nun doch auch Mutter Martha dies Alles um Ulrich empfunden , seit man ihn länger als einem Jahr in einer Septembernacht für todt in das Haus getragen , aus mehr als einer Wunde blutend . Wochenlang hatte er damals bewußt- und regungslos zwischen Tod und Leben gerungen , und wenn auch der berühmteste Bader Nürnbergs im Auftrag Herrn Christoph Scheurl's alltäglich mehrmals kam , seine Wunden neu zu verbinden , und Hieronymus alle Nächte an seinem Lager wachte , am Tage mußte er doch zur Arbeit in die Bauhütte , und da war es immer seine Mutter , die den Kranken mit sorgsamer Hand pflegte und jede Liebeswohlthat ihm erwies . Zum Glück war wenigstens dabei kein Mangel , wie wenig Ulrich auch selbst besaß ; denn wenn ein Baubruder krank war und nicht zur Arbeit kommen konnte , so erhielt er dennoch aus der Hütte den vollen Wochenlohn ausbezahlt , damit er davon verpflegt würde . Nun nahm auch der Bader durchaus keine Bezahlung und brachte alle Medicamente unentgeltlich mit . Auch der Propst Kreß sprach öfter vor und sandte immer von seinen Vorräthen aus Küche und Keller , besonders wie der Kranke einmal so weit war , daß er sich deren bedienen konnte . Ein paarmal kam in der Dämmerung auch ein fremder Knabe , der Größe nach etwa fünfzehn Jahre alt , brachte Wäsche , Geld und Erfrischungen für den Verwundeten , fragte immer sehr angelegentlich und ängstlich nach ihm , und suchte sich wenigstens zwischen die Thür zu drängen , um einen Blick auf den bewußtlosen Ulrich zu werfen . Wenn die alte Frau ihn fragte : woher das komme ? antwortete der Knabe stets : er habe schwören müssen , es nicht zu sagen und sie solle auch mit Niemanden davon reden . Anfangs nahm es die Frau und auch Hieronymus hatte Nichts dagegen ; als aber nach etwa sechs Wochen Ulrich's Fieber nachließ , er wieder zur Besinnung kam und man ihn allmälig Alles erzählte , was indeß für ihn geschehen , widersetzte sich sein Stolz solchen Gaben , und er verpflichtete seine treuen Pfleger , dergleichen nicht mehr anzunehmen , nur von seinem Vorgesetzten und Gönner , dem Herrn Propst , meinte er sich nicht weigern zu dürfen . Aber von fremden Leuten erklärte er Nichts zu nehmen , und auch dem Bader sagte er , daß er seine Wunden im Dienste christlicher Pflicht , aber nicht in dem des Herrn oder der Frau Scheurl sich geholt , daß weder sie ihm verpflichtet wären , noch er sich ihnen verpflichten wolle . Der Bader erzählte ihm , daß Frau Scheurl seit derselben Zeit am hitzigen Fieber darniederliege und daß sie schwerlich mit dem Leben davonkommen werde . Uebrigens aber bemühte er sich , so wie bei Elisabeth , auch bei Ulrich und Hieronymus vergeblich , nähere Aufklärungen über einen Vorfall zu erhalten , über den die widersprechendsten Gerüchte umliefen . Als der fremde Knabe mit seinen Gaben wieder kam , ließ ihn Ulrich selbst an sein Lager kommen , um zu erforschen , wer ihn sende . Der Knabe ward glühendroth vor Verlegenheit , brachte fast kein Wort hervor , und da Ulrich jede Annahme aus fremder Hand verweigerte , auch Hieronymus und seine Mutter hinzukamen , mit Fragen und sogar Drohungen in den Knaben drangen , die Wahrheit zu gestehen , sprang er weinend auf , eilte fort und kam niemals wieder . Ulrich aber sagte zu Hieronymus : » Mir klang die Stimme bekannt , und solche braune flehende Augen hab' ich auch schon gesehen ; meinst Du nicht , es könne der Bruder des Judenmädchens gewesen sein , das uns warnte und zu Elisabeth's Schutz sandte , oder dieses selbst ? « Hieronymus hatte nicht daran gedacht , er hatte den Knaben jetzt zum ersten Male gesehen ; die Vergleiche , die er nun anstellte , schienen allerdings Ulrich's Vermuthen zu bestätigen , aber er wollte nicht daran glauben , auch dem Kameraden es ausreden , was ihm als Schmach erschien : wenn dies Judenpack , wie er sich ausdrückte , solchen Antheil an einem freien Maurer nehme , in seine Wohnung sich schleiche und sie doppelt verunehre durch Gaben , die nun Anfangs doch angenommen und verbraucht worden – das dünkte ihm ein unauslöschlicher Schimpf ! Und um nicht wirklich die Gewißheit zu erlangen , vermied er danach zu forschen – und seitdem sahen die Baubrüder wirklich weder von dem Judenmädchen noch dem fremden Knaben etwas wieder . Während Ulrich noch in Gefahr schwebte und bewußtlos war , diente es Hieronymus zu einiger Beruhigung , daß noch eine größere Anzahl der Baubrüder bei jenem nächtlichen Vorfall betheiligt gewesen . Wenn auch der Rath , da Herr Scheurl selbst keine Untersuchung wünschte , die Sache dahin gestellt sein ließ , so waren doch die Gesetze der Baubrüder strenger als die des Rathes und ließen sich nicht beugen und umgehen wie jene . In Gegenwart aller freien Steinmetzen , des Propstes , Hüttenmeisters , Werkmeisters und Pallirers wurden sämmtliche Baubrüder über den Vorfall abgehört , denn es war ihnen streng verboten , Händel und Raufereien anzufangen und ihre Schwerter , die sie an der Seite trugen , anders zu brauchen als im Fall der äußersten Nothwehr oder zum Schutze Hülfsbedürftiger , unschuldig Bedrängter , zur Ehre Gottes . Da nun aus allen Aussagen nichts anderes hervorging , als daß sie auf den Hülferuf einer von einem vermummten Ritter und seinen Genossen wehrlos überfallenen Dame herbeigeeilt waren , und man erfuhr , daß dies die Gattin des hochangesehenen Herrn Christoph Scheurl gewesen und dieser sich den Baubrüdern nicht nur dadurch dankbar erwies , daß er den Verwundeten seinen Bader sandte , sondern auch daß er eine große Summe Geldes an die Lorenzbauhütte selbst sandte , aus Dankbarkeit gegen die Baubrüder , die ihm beigestanden , damit sie davon eine Zeche feierten und gleicherweise auch Fürbitte in ihrer Kirche thäten für die Genesung seiner Gemahlin – so ward das Betragen der Baubrüder als unschuldig und rechtlich befunden , und jeder Verdacht beseitigt , der von einigen war auf Ulrich geworfen worden : weil er schon zum zweiten Male Händel mit einem Ritter um einer Dame Willen gehabt . Denn gleich den Tempelherren mußten sich die Baubrüder von allen zärtlichen Regungen und Beziehungen frei erhalten , und wenn sie auch noch in stärkere Strafen verfielen , wenn sie mit bösen oder berüchtigten Frauen umgingen , als mit ehrbaren , so durften sie sich doch auch nur diesen nähern , wenn es die Nothwendigkeit gebot . Weil Ulrich hierbei unschuldig befunden , und was man wider ihn vorgebracht , sich als böser Leumund erwies , so fußten sowohl Hieronymus als sein Gönner , der Propst darauf , wenn es galt , andere böse Gerüchte niederzuwerfen , die über ihn umliefen . So wollte Einer wissen , daß er ein paar Abende vor seiner Verwundung im Abenddunkel ein Judenmädchen mit zu sich in das Haus genommen ; ein Anderer , daß er nicht nur nicht wisse , was aus seinen Eltern geworden , sondern auch nicht , wer sie gewesen , ja daß seiner Mutter als Zauberin der Proceß gemacht worden . Aber die Zeugnisse des Maurerhofes zu Straßburg und der Benediktiner wurden dem doch entgegen gehalten , der Propst und der Hüttenmeister bedrohten Diejenigen mit Strafen , die solchen entgegen einfältigen Gerüchten Glauben schenken wollten – und so waren diese zum Schweigen gebracht , lange bevor Ulrich wieder in der Bauhütte erschienen , und da auch Hieronymus ihn nicht damit aufregen wollte , so erfuhr er gar nichts von der Gefahr , die über ihm geschwebt zugleich , als der Todesengel seine Fittiche um ihn schwang . Erst als das Frühjahr kam , vermochte er wieder sein Schmerzenslager zu verlassen , aber dann dauerte es noch lange , ehe er wieder in der Hütte arbeiten und den Meißel kräftig schwingen konnte wie vordem . Die Wunde , die er an der Brust empfangen , schmerzte ihn dann immer auf's Neue , und er mußte sich erst allmälig wieder an die Arbeit gewöhnen . Inzwischen war doch die Zeit für ihn daheim nicht ganz verloren gewesen . Der Propst hatte ihm alle neuen Bücher geschickt , die aus Anton Koberger's Druckerei hervorgegangen und auch sonst noch erschienen waren , darunter die Schedel'sche Chronik von Nürnberg , Conrad Celtes' Beschreibung derselben Stadt , Regiomontan's Kalender , Tucher's Reise in das gelobte Land und die ganze heilige Schrift . Ulrich studirte eifrig alle diese Bücher und so nebenbei übte er sich , sobald es ging , im Zeichnen , machte Risse zu großen Münstern nach dem System des Sechs- und Achtortes , wie zu kleinen Weihbrodgehäusen , zu Säulen , Portalen und Ornamenten – wagte sich an die größten Aufgaben der Kunst und zeichnete dabei das Kleinste mit demselben Fleiße . Etwa ein paar Wochen mochte er wieder regelmäßig gleich den andern Steinmetzgesellen in die Bauhütte zur Arbeit gehen , als er an einem schönen Herbsttage mit andern Baubrüdern außen am Kirchthurm auf schwindelnder Höhe selbst zu arbeiten hatte . Da rief ihn ein Handlanger im Auftrag des Werkmeisters von der Arbeit fort , hinunter in's Schiff der Kirche zu kommen , wo man ihn bedürfe . Unten fand er den Werkmeister und Pallirer mit einigen Steinmetzen in der Nähe des Hochaltars , und bei ihnen stand der Propst , der Maler Hans Beuerlein , Frau Elisabeth Scheurl mit Ursula Muffel und Charitas Pirkheimer . Zeichnungen , Gemälde und Teppichstoffe lagen vor dem Hochaltar ausgebreitet . Es war zum ersten Male , daß die Genesenen sich wiedersahen nach jener verhängnißvollen Nacht . – Ulrich war inzwischen bei Herrn Scheurl gewesen und hatte ihm für seine Güte gedankt – seiner Gemahlin hatte er nichts zu sagen . War es nicht an ihr , ein dankendes oder doch erkenntliches , theilnehmendes Wort an ihn zu richten ? – Sie that es nicht – aber sie erröthete und zitterte unwillkürlich bei seinem Anblick und stützte sich auf Ursula . Der Propst erklärte ihm , daß diese edlen Frauen die Kirche mit einem Teppich beschenken wollten , daß Meister Beuerlein das Gemälde als Muster zu dem Mittelstück gefertigt , daß sie aber über die Ornamentik in den Kanten noch nicht einig wären , da sie mit der der umstehenden Säulen harmoniren sollten – und daß er ja wohl allerlei Zeichnungen , die dem entsprächen , von Laub und Schnörkeln in seiner Krankheit angefertigt , die er eilends aus seiner Wohnung holen möge . Ulrich bejahte , aber der blonde Hieronymus , der auch mit zur Berathung gezogen war , ließ es sich nicht nehmen , statt seiner die Zeichenrollen aus der gemeinschaftlichen Wohnung zu holen , da Ulrich noch nicht zum schnellen Laufen tauge und indeß auch lieber hier seinen Rath mit ertheilen möge . Darüber fand zwar erst ein edler Wettstreit Statt , aber der Propst und Charitas Pirkheimer billigten Hieronymus Vorschlag und ließen ihn gehen und Ulrich bleiben . Anfangs schien es , als fühle sich Elisabeth durch Ulrich's Nähe – die sie zugleich wünschte und floh – peinlich berührt und von einer Verlegenheit ergriffen , die ihrem sonstigen selbstbewußten und stolzen Hervortreten gänzlich fremd war ; nachdem er aber auch , ohne weiter seine Worte an sie zu richten , mit dem Propst und dem Maler sich über den vorliegenden Gegenstand in ein kunstverständiges Gespräch vertieft , aus dem man deutlich erkennen mochte , daß jene eigentlich die Schüler waren und der einfache Steinmetzgeselle der Meister : da war es , als ob auch Elisabeth plötzlich sich zusammenraffe – mit kühner Sicherheit mischte sie sich in die Unterhaltung , ließ das Licht ihres Geistes glänzen und die Strahlen ihrer Kunstbegeisterung in blühender Bilderpracht sich entfalten . Als Hieronymus mit Ulrich's Zeichnungen zurückkam , und als er selbst mit einem Fuß auf den Altarstufen knieend sie vor den Beschauenden entrollte , sprach Elisabeth zu ihm , als Beuerlein mit Andern in einiger Entfernung Anderes betrachtete : » Warum seid Ihr nicht Maler geworden ? Ihr wäret ein großer Künstler ! « Da schüttelte er stolz das lange Haar aus dem edlen , von der Krankheit noch bleichem Gesicht , und stolz und groß in Elisabeth's flammende Augen blickend , sagte er : » Die Kunst ist doch nur eine , ob wir ihr dienen mit Meißel und Richtscheit oder mit Malerstab und Pinsel – sie hat nur einen Zweck : Gott zu dienen und damit zugleich Andere zu demselben Gottesdienst zu entflammen . Mir gilt es mehr in unserer freien Brüderschaft , namenlos , nicht als ein eitler Einzelner , sondern als das Glied eines Ganzen , eines Leibes , wie es der Herr Jesus Christus gesagt hat , zu streben , zu schaffen , nicht für profanen Ruhm , sondern für die Ewigkeit des Kunstwerkes . « Elisabeth antwortete darauf nur : » Stolzer Maurer ! « aber Charitas Pirkheimer , die seine Worte auch vernommen , rief in einer Art von Verzückung : » Ja ! so ist der rechte christliche Sinn : selbst Nichts sein wollen und ganz aufgehen im gemeinschaftlichen Streben , dem Höchsten zu dienen . « Ulrich's Zeichnungen waren zur Einfassung des Bildes auf dem Teppich gewählt worden . Seitdem arbeiteten die Nürnbergerinnen bei Elisabeth daran und die Baubrüder verrichteten die gewohnte Arbeit in ihrer Hütte , so daß sie nichts wieder von einander sahen und hörten . So war der Winter zur Hälfte vergangen . Als Ulrich und Hieronymus jetzt zusammen saßen , sagte der Erstere : » Als ich vorhin zur Vesperstunde bei Meister Kraft's Wohnung vorüberging , betrachtete ich mir die schön gefrorenen Wasserstrahlen an dem Lindwurm vor seinem Hofthor , und wie so mein Blick hinüber nach dem Fenster der Werkstatt streifte , war es mir , als sähe ich dort denselben Benediktinermönch am Fenster stehen , der mir gleich an dem ersten Tage meines Hierseins begegnete , wo mein Schwert seinen Rosenkranz zerriß . Du weißt , diese zünftigen profanen Nürnberger Steinmetzen lieben es nicht , wenn Einer von uns in ihre Werkstatt tritt , sonst wär' ich hineingegangen , mir Gewißheit zu holen und ihm zu seinem Eigenthum zu verhelfen , das ich freilich nicht bei mir hatte und das ich auch inzwischen schier vergessen . Mir schien , der Propst stand bei ihm – sobald ich ihn sehe , werde ich nach dem Mönche fragen . « Er suchte das Kreuz , das wohl verwahrt in einer kleinen Lade lag , und Hieronymus sagte : » Hättest Du Dir wirklich von diesem einmaligen Sehen die Züge des Mönches , der uns schnell entschwand , so genau gemerkt , daß Du über Jahr und Tag ihn wieder erkanntest ? « » Er hatte etwas Eigenthümliches in seinem Gesicht , das man nicht vergißt , « sagte Ulrich , » und merkwürdig : entweder in meinen Fieberphantasien oder in meinen Träumen ist mir dieselbe Gestalt mehrmals wieder erschienen , nur in der letzten Zeit hatte ich sie vergessen . « Jetzt unterbrach das Mütterchen die Beiden und sagte : » Wißt Ihr es denn , daß übernächste Woche die Potentaten und großen Herren zum Reichstag kommen , und daß zwar der alte Kaiser Friedrich auf der Veste mit dem Burggrafen , König Maximilian aber beim Herrn Scheurl wohnen wird ? Da wird seine Hausfrau nicht wissen , wo sie hin soll vor Hoffahrt und Hochmuth . « Ulrich sagte ? » Gönnt ihr doch den unschuldigen Stolz , wenn er sie nun einmal glücklich macht ! « » Unschuldig ? « sagte die Mutter ; » nun , ich will dem König Max , für den einmal Alle eingenommen sind , da er noch etwas Neues ist , nichts Böses nachsagen – aber man weiß , wie die großen Herren sind , und von dem heißblütigen König laufen genug Geschichten um von verliebten Abenteuern – das heißt dann nichts , als ein ritterlicher Scherz ! ja , die Art , die zu wählerisch ist , um mit gemeinen Frauenspersonen sich einzulassen , die für jeden zu haben sind , die macht die meisten Frauen unglücklich und ist allen eitlen und hoffärtigen Frauen gefährlich , die sich selbst auf ein gnädiges Lächeln was zu Gute thun . Ich bin alt geworden in Nürnberg , ich weiß , wie weit her es ist mit den guten Sitten bei diesen bevorzugten Geschlechtern und mit der Unschuld ihrer Frauen . « » Ihr mögt Recht haben , « sagte Ulrich ; » aber der Stolz der Frau Scheurl ist doch anderer Art ; die will herrschen mit ihrem Geist und einem Streben über das Gewöhnliche hinaus . « Mir macht Ihr nichts weiß , « eiferte die alte Frau ; » stolzirt sie doch wie eine Königin einher , und scheint doch keine andern Gedanken zu haben , als ihren Putz und ihre Schönheit zu zeigen ; auch die lange Krankheit hat sie nicht gebeugt und bekehrt . « » Ihr seid nun einmal wider sie , « sagte Ulrich . Hieronymus trat jetzt auf die Seite seiner Mutter . » Verdrossen hat mich 's auch , « sagte er , » daß sie ihr eigenes Bild als Maria Magdalena auf den Teppich sticken läßt , und Du selbst hieltest es ihr ja damals vor : daß man im Dienste der Kunst und des Heiligsten sich selbst vergessen und aufgeben müsse – seine Person und seinen Namen ; ich sah es wohl , wie sie blaß ward bei Deinen Worten . « » Mochte sie eine Lehre daraus ziehen , wenn sie wollte , « sagte Ulrich ; » doch sollte es kein Vorwurf sein . Für das Gemälde ist sie auch nicht verantwortlich , das ist so Meister Beuerlein's Art ; er kann fast gar nicht anders malen , als conterfeien ; die Personen zu den anderen Figuren kennen wir nur nicht , und daß er die schönste Nürnbergerin in den Vordergrund gestellt , wird ihm Niemand verargen . « Mutter Martha schüttelte mit dem Kopf . » Wenn Ihr einmal streiten wollt , so ist mit Euch nicht durchzukommen ! « Ulrich reichte ihr versöhnlich die Hand und sagte : » Ihr solltet froh sein , wenn wir die Frauen in Ehren halten – und doch selbst ihnen fern bleiben . « Die alte Frau ward jedesmal gerührt , wenn sie daran dachte , welches schwere Gelübde die jungen Männer hatten leisten müssen . Zwar war es ihr ganz recht , wenn sie dachte , daß ihr Hieronymus so immer bei ihr bleibe und daß sie sein Herz nie mit einem andern Weibe zu theilen brauche , auf das sie doch eifersüchtig geworden , selbst wenn sie mit aller Uneigennützigkeit einer Mutter ihrem Sohne sein Glück gegönnt hätte . Ihre Sucht , das weibliche Geschlecht vor ihnen zu verdächtigen und herabzuwürdigen , entsprang mit aus ihrem Bedauern und der gutmüthigen Absicht , den jungen Männern dadurch ihr Fernhalten von allen Frauen und allen Regungen des Herzens zu erleichtern ; indeß war sie aber auf Elisabeth gerade darum erbittert , weil sie doch die Ursache war von Ulrich's schweren Wunden , wenn die Mutter auch nicht wußte , daß es nicht bloßer Zufall war , daß die Baubrüder sie beschützt und vertheidigt hatten . Wie unschuldig auch Elisabeth selbst daran sein mochte : der alten Frau ward sie dadurch immer ein hassenswerther Gegenstand , daß ihre Söhne um ihretwillen gelitten – und zwar doppelt , als sie aus späteren Gesprächen derselben entnommen , daß die Gerettete auch beim Wiedersehen mit Ulrich kein Wort des Wiedererkennens und Dankes für ihn gehabt . Jetzt scholl plötzlich von der Straße , auf der es vorhin ganz winterlich still gewesen , ein wüster Lärm empor , und Frau Martha öffnete gleich neugierig das Fenster , um zu sehen , was es gebe , oder vielleicht zu hören , denn es war dunkler Abend draußen , nur von den Dächern leuchtete der Schnee , indeß der auf der Straße nur hie und da noch seinen weißen Glanz behalten hatte . Man hörte rohe , lallende und höhnende Männerstimmen , dazwischen jammerten unverständliche Reden eines alten Mannes und eine helle weibliche Stimme rief laut und immer lauter nach Hülfe . Von oben konnte man nur unterscheiden , daß von einem Trupp Männer zwei Personen umringt waren und bedroht , gemißhandelt zu werden . Ulrich und Hieronymus nahmen ihre Schwerter und eilten auf den Ruf hinab , obwohl Mutter Martha warnte und bat , sich doch nicht in Gefahr zu begeben und in Händel zu mischen , wo man ja nicht einmal wissen könne , wem das Unrecht geschehe ; solchen Straßenunfug zu verhindern , sei das Amt der Büttel und Stadtknechte , aber nicht der freien Steinmetzen . Aber Ulrich entgegnete : » So müssen wir wenigstens aushelfen , bis die Stadtknechte kommen und ihre Schuldigkeit thun . Wo Zwei von Zehnen umzingelt nach Hülfe schreien , da kann man doch nicht ausbleiben . « » Um so weniger , « sagte Hieronymus , » wenn die Zwei , wie es scheint , ein wehrloser Greis und ein zitterndes Weib sind . « – Gleichzeitig mit den Baubrüdern trat auch der Rädleinmacher Sebald aus seinem Hause , und mehr als eine Hausthür öffnete sich ; Männer , in ihrer Abendruhe gestört , traten heraus und aus den Fenstern der obern Geschosse blickten da und dort weibliche Köpfe ; die Lampen , die hinter ihnen brannten , warfen einzelne hellere Lichtstrahlen auf die Straße . Ulrich und Hieronymus fragten gleich andern Herzueilenden , was es gäbe ? » Ein Judenhund bellt und heult und seine Kleine winselt ! hört Ihr es nicht ? « antwortete eine rauhe Stimme . » Mit Juden braucht sich Niemand einzulassen ! rief Hieronymus . » Ihr solltet Euch schämen , wenn Ihr es gethan ? « » Die Dirne ist trotzdem nicht so übel ! « rief eine andere Stimme ; » Schade , daß sie eine Jüdin ist – im Sonnenbad könnte sie sonst gute Geschäfte machen – meint Ihr nicht so , Herr Badmeister ? « Der Angerufene war vor die Thür des Gebäudes getreten , welches das » Sonnenbad « hieß und ein öffentliches Badehaus war . Es war aber allgemein bekannt , daß in diesem wie in den meisten Badehäusern schöne Mädchen gehalten wurden , die Männerwelt anzulocken . Der Bademeister rief zornig : » Solcher Schimpf sollte meinem Hause nimmer widerfahren , daß ich eine Judendirne darin duldete ! « » Hau't den alten Kerl vollends zusammen , damit der Spektakel ein Ende hat ! « rief ein Anderer aus dem Trupp . Solche und ähnliche beschimpfende und drohende Reden wurden von einer Anzahl Handwerksgesellen gesprochen , die von einem Zechgelage meist betrunken zurückkamen und zugleich ihren Witz wie ihren Zorn an einem Judenpaare auszulassen suchten , die so unglücklich gewesen waren , ihnen in den Weg zu kommen . Andere Leute , welche der Lärm herbeigelockt , hörten nur neugierig zu , manche sogar sich dabei belustigend , und die meisten zogen sich theilnahmlos zurück , als sie hörten , daß es Juden waren , welche hier gemißhandelt wurden . Ulrich aber drängte sich mitten durch die Gesellen , welche ihre Knittel über dem Rücken des seine Unschuld betheuernden und um Erbarmen flehenden alten Juden schwangen , hieb zwei dieser aufgehobenen Stöcke mit seinem Schwert zurück und herrschte den Gesellen zu : » Hat der Mann da ein Unrecht gethan , so ruft die Stadtknechte , daß sie ihn in Gewahrsam nehmen , oder wir wollen ihn selbst auf die Büttelei führen ; aber ihn hier zu beschimpfen und zu zerbläuen habt Ihr kein Recht , und wenn Ihr es thut , so verdient Ihr zehnmal größere Strafe als er selbst ! « Wie er so sprach , durch seine gebietende Haltung und Rede , die Allen ganz unerwartet kam , die Aufgeregten im ersten Augenblick verblüffte , warf sich Rachel zu seinen Füßen , die neben ihrem Vater stehend , von Angst und Scham über die Reden der Gesellen , ihre Berührungen und allen angethanen Schimpf fast vernichtet , regungslos und gebückt die Hände vor ihr Gesicht haltend , und rief : Wir haben nichts gethan , als daß wir uns verspätet und nun noch auf der Gasse sind ! Ihr seid ein Christ und ein Mensch , aber diese da sind keine Men schen . « » Ich glaube , das Mädchen hat Recht , « sagte Ulrich , der sie wiedererkannte . » Sage , was geschehen ; ich glaube Dir mehr als diesen , denn sie sind betrunken und haben sich unter das Vieh erniedrigt ! « Rachel stieß einen hellen Ton wie ein freudiges Triumphgeschrei aus und sagte : » Wir hatten uns im Schneefall verspätet , diese da kamen dort um die Ecke aus der Trinkstube und wollten Kurzweil mit mir treiben ; der Vater stieß sie zur Seite , und weil ich mich ihrer nicht anders erwehren konnte , sagte ich , daß ich ein Judenmädchen sei , damit sie mich ziehen ließen ; da rissen sie mir und dem Vater da die Bündel ab – seh't , es waren Sachen darin , sie haben sie an sich genommen oder im Schnee verstreut ! « Ulrich vernahm diese Rede , obwohl die Gesellen sie zuweilen mit höhnischem Ruf überschrieen , auf Ulrich losschlagen wollten , und doch wieder vor seinem und Hieronymus geschwungenem Schwerte zurückwichen , auch weil jetzt die früheren müssigen Zuschauer hinzutraten und den Gesellen selbst den Rath gaben , das Judenpack laufen zu lassen . Gleichzeitig jammerte der Jude Ezechiel : » Sie haben uns überfallen , aus unsern Bündeln gerissen die schönen Sachen , die ich erst gekauft für mein theures Geld ! Seh't Ihr nicht die Reiherfedern und den Sammetmantel da « – er deutete auf einzelne Gesellen , die solche Gegenstände noch in den Händen oder auf den Schultern trugen . » Nun ! « rief Ulrich , » gegen Spitzbuben und nächtliche Straßenräuber wird es doch Schutz in Nürnberg geben und Strafe für sie . « Jetzt rückten , von dem Lärm herbeigelockt , einige Mann der Stadtwache an , indeß es bereits einige ernüchterte Gesellen für gut fanden leise zu entweichen ; ein paar warfen die den Juden abgenommenen Gegenstände weg , ein paar andere aber nahmen sie mit sich . Bei dem Anrücken der Wache und noch anderer herzueilender Personen bekam die Scene ein anderes Ansehen : nur drei Gesellen waren noch auf dem Platz ; Andere waren müssige Zuschauer , und es war nun Streit darum , wer hier Streit angefangen oder im größeren Rechte sei – die Gesellen oder die Baubrüder , und Ulrich konnte Rachel zuflüstern : » Flieh ' doch , damit Du nicht wenigstens mit auf die Büttelei mußt « – und sie war wie im Nu in demselben Augenblick entschwunden , indeß ihr Vater , mehr als auf Leben und Freiheit und auf sein Kind , auf die Waaren , die er bei sich getragen , bedacht , davon zu erhaschen suchte , was von den Gesellen im Schnee verstreut war . Da die herzugekommene Stadtwache nur aus fünf Mann bestand , wußte ihr Führer nicht recht , wie er hier von seiner gesetzlichen Autorität Gebrauch ma chen sollte . Die Baubrüder stellten sich selbst auf seine Seite , erklärten sich ihm in allen Stücken gehorsam zu zeigen und betheuerten friedlich , daß sie nur bis zu ihrem Kommen einen mit seiner Tochter mißhandelten Mann vor einem Trupp betrunkener Gesellen beschützt hätten , was die Zuschauer bezeugten , indeß die Gesellen riefen : es war Judenpack ! und dem stimmten auch die Anwesenden bei . Das änderte die Sache sehr . Die Juden durften nur bis zur Dämmerung durch die Stadt gehen . Wurden sie im Dunkeln dabei betroffen , so waren sie strafbar und mußten dafür entweder sitzen oder Geldbuße zahlen . So waren auch diese hier auf unrechten Wegen gegangen , und überhaupt war es eine sehr herkömmliche Sache , wenn Juden verspottet und gemißhandelt wurden – freilich sie zu berauben und todtzuschlagen , in welcher Gefahr diese beiden gewesen , das gehörte sich nicht . Die Stadtwache ergriff den alten Juden , der noch nach seinen Sachen suchte , und nahm ihn mit , damit er diese Nacht in Haft und morgen zur Bestrafung für die Uebertretung des gesetzlichen Verbotes , im Dunkeln die Stadt nicht zu betreten , an die Schöppen abgeliefert werden könne . Vergeblich jammerte er um seine Tochter , vergeblich suchte man nach ihr : sie war verschwunden . Den Andern ward nur gesagt ruhig nach Hause zu gehen , um nicht auch als Ruhestörer verhaftet zu werden . Alles verlief so zuletzt ziemlich ruhig ; denn solche Vorfälle gehörten eben nicht zu den Seltenheiten , und ein Tumult endete oft so schnell , wie er begonnen . Ulrich und Hieronymus waren die ersten , die wieder in ihr Haus zurückgingen . Von oben kam ihnen Mutter Martha bis an die Treppe mit einem brennenden Kienspan entgegen . In schrecklicher Angst hatte sie oben vom Fenster herab zugesehen , und jetzt konnte sie den Augenblick nicht erwarten , zu sehen , ob nicht wieder einer ihrer Lieblinge eine Wunde davon getragen . Wie das plötzliche Licht kam , fuhr von der untersten Stufe der kleinen Windeltreppe eine Gestalt erschrocken empor und sagte : » Verzeiht ! – Ihr hießet mich fliehen , und ich konnte mich nicht anders sichern . O , Ihr waret mein Beschützer und werdet mich auch jetzt nicht verrathen . Ach , wenn ich Euch danken könnte ! « Ulrich stand etwas bestürzt vor Rachel , denn er war allerdings nicht darauf vorbereitet sie hier zu finden ; Hieronymus aber herrschte ihr zu : » Hier kannst Du nicht bleiben ; wir haben Dich vor Mißhandlung geschützt , aber wir mögen keine Gemeinschaft mit Dir ! « Von oben rief Martha , die nur Rachel's Stimme hörte und ihr Gesicht sah , auf das gerade der Schein ihrer Holzflamme fiel : » Ach , da ist ja der Knabe , der immer kam , wie Ihr krank waret , und die geheimnißvollen Gaben brachte . « Rachel wandte ihr Gesicht der Dunkelheit zu , um seine glühende Röthe zu verbergen , und schlich nach der Hausthür ; aber da sie dieselbe öffnen wollte , sprang Ulrich ihr nach , hielt sie zurück und sagte ! » Jetzt darfst Du nicht hinaus – es sind noch zu viel Leute draußen . « Sie sah mit seligem Dankesblick zu ihm auf . Hieronymus zog die Stirn in Falten und sagte rauh : » Ja , das fehlte noch , daß sie Jemand aus dem Hause kommen sähe , das wir bewohnen – es wäre denn , wir würfen sie hinaus , um uns selbst vor Schande und übler Nachrede zu sichern ! « » Um Jesus Christus Willen ! « rief Mutter Martha , » es ist ein Mädchen und wohl ein verrufenes Frauenzimmer – oder gar eine Jüdin ? « denn vom Fenster aus hatte die Spähende natürlich gehört , daß es sich unten mit um eine solche gehandelt . Ulrich aber sagte : » Komm ' mit hinauf , hier unten möchte Dich Meister Sebald finden , oder noch andere Leute . « Sie folgte ihm ohne ein Wort zu erwiedern , oben öffnete er die Kammer der Mutter Martha , schob Rachel dahinein und sagte : » Hier warte und ruhe aus – wenn es draußen still geworden und Niemand mehr in den Nebenhäusern wacht oder auf der Straße geht , werde ich Dich hinauslassen . « Er wollte schnell durch die Thür zurück und sie allein lassen . – » Sagt mir nur noch , « rief sie angstvoll , » nach welcher Seite mein Vater entkam , oder was aus ihm geworden ? « Ulrich zögerte mit der Antwort , endlich sagte er doch : » Die Stadtwache hat ihn mitgenommen , aber es wird ihm nichts geschehen , als daß er Strafe zahlt für sein nächtliches Umherschweifen . « Rachel brach in Thränen aus – Ulrich ging und verschloß die Thür hinter sich . Als er zu Martha und Hieronymus zurückkehrte , rief Jene : » In meine Kammer sperrt Ihr die Jüdin ? « » Das hättest Du der Mutter ersparen können ! « sagte Hieronymus vorwurfsvoll , » sie hat es nicht um Dich verdient . « Ulrich sah betrübt auf die Beiden . » Ich konnte sie doch nicht zu uns nehmen , « sagte er , » und mögen wir auch sonst keine Gemeinschaft mit den Juden – wer des Schutzes bedarf , den schütze ich – er mag gehören , zu wem er will , und sein , wer er will – ja ich schütze ihn , es sei auch gegen wen es wolle ! « Seine Augen flammten dabei bedeutsam , fast drohend . Er ging an's Fenster und schaute auf die Straße . Die alte Frau saß händeringend in einer Ecke und jammerte bald über die Entdeckung , daß ein Judenkind , gleichviel ob Knabe oder Mädchen , in Ulrich's Krankheit ihn mit seinen Gaben bedacht , daß sie selbst sie angenommen – bald darüber , daß eine Jüdin in ihrer christlichen Kammer sei – daß ihre Söhne sie versteckt . Nein – nicht Söhne ! ihr eigener Sohn zürnte ja selbst darüber und hätte das nimmer gethan ; jetzt zeigte es sich recht deutlich , das Ulrich ein fremder Mensch war , der sie gar nichts anginge . Die Baubrüder ließen sie reden und sagten beide nichts dazu – Hieronymus nicht , weil er im Grunde der Mutter beistimmte , und Ulrich nicht , weil er sich verletzt fühlte und weil er nicht wollte , daß es im Zimmer noch lauter werde und Rachel in der Kammer nicht höre , was es ihn koste , auch jetzt sie zu sichern . – So war es etwa elf Uhr geworden – in allen Fenstern waren die Lichter verlöscht und es war ganz still auf den Straßen . Ulrich sagte : » Ich werde jetzt Rachel hinauslassen , « und ging zu ihr . » Du kannst jetzt gehen , « sagte er ; » Ich will Dir den Riegel an der Hausthür öffnen , es ist ganz still draußen – aber sprich kein Wort ! « » Könnt Ihr mir vergeben ? « sagte sie ; » könnt ich's vergelten – « » Es ist nichts zu vergeben ! « antwortete er . » Doch , doch ! « rief sie , » es ist eine alte Rechnung ! « » Still ! « sagte er , » ich bat Dich nicht zu sprechen . « Sie gehorchte mit einem Seufzer und folgte ihm schweigend die Treppe hinab – ebenso öffnete er die Thür , und ohne Lebewohl und Gutenacht schieden sie von einander . Als Ulrich wieder in sein Zimmer kam , legte er sich auch schweigend nieder . Mutter Martha aber öffnete in ihrer Kammer Thür und Fenster und räucherte unter dem von Holz geschnitzten Christus , der darin hing , um ihn wieder zu versöhnen für den Frevel , daß ein Judenkind in seiner Nähe geweilt . Viertes Capitel Geheimnißvolles Am Morgen nach dem nächtlichen Abenteuer , welches Ulrich und Hieronymus zum ersten Male in ihrem Leben in eine Art von Zwiespalt gebracht hatte , waren sie stumm aufgestanden und hatten auch so ihr Morgenbrod genossen . Es war noch dunkel , als sie die Stiege hinabgingen , da hörte Ulrich von seinem Tritt berührt die Stufen etwas wie eine kleine Kugel hinabrollen . Er tappte unten danach , wo der Laut verhallt war , und fühlte einen Ring mit einem großen Stein in seinen Händen . Draußen vor der Hausthür besah er seinen Fund und zeigte ihn auch Hieronymus . Es waren die ersten Worte , welche sie zusammen redeten . » Es scheint ein werthvolles Kleinod zu sein , « sagte Ulrich ; » ein goldener Ring , einen großen Stein in der Mitte , der noch mit einem Kranz von gleichen Steinen eingefaßt ist – wer kann ihn verloren haben ? « Wer anders als das Judenkind ? « sagte Hieronymus , » es ist ja Niemand in das Haus gekommen . « Ulrich schüttelte den Kopf . » Wie käme die zu solchem Kleinod ? « » O dies Judenpack sammelt immer Schätze , um die es die Christen betrügt , « rief Hieronymus , » und wer weiß , auf welche unlautere Weise noch die Dirne dazu gekommen , die sich seit Jahr und Tag so unerträglich an uns hängt , und wenn man einmal sie lange losgeworden zu sein scheint und sie fast vergessen hat , so ist sie wieder da in einer andern Gestalt uns zu belästigen gleich einem bösen Kobolt , mit dem jede Bewegung unheilvolle Folgen hat . « » Hieronymus ! « mahnte Ulrich , » wir haben es mehr als einmal gesagt , daß wir ohne Grund andern Menschen nicht eher das Schlechte zutrauen wollten als das Gute , nach dem Grundsatz der heiligen Schrift : Was du nicht willst , daß dir die Leute thun sollen , das thu' du ihnen auch nicht ! Warum ihn einmal verleugnen ? Warum dies Judenmädchen , das mir ein unschuldiges , aber gepeinigtes Kind zu sein scheint , zu einer Verbrecherin stempeln ? « » Die Juden sind einmal die Ausgestoßenen , auf denen der Fluch des Herrn ruht , den sie sich selbst täglich neu verdienen ! « rief Hieronymus . » Hast Du Dein Glaubensbekenntniß geändert , so brauchst Du doch nicht mir dasselbe zuzumuthen – und außerdem hätte ich wenigstens erwartet , daß Du meine Mutter schonen und ihr nicht so ihre Liebe vergelten würdest ! « » Hieronymus ! « sagte Ulrich ernst , » Du sahest selbst , daß ich nicht anders handeln konnte . Du eiltest selbst mit mir den Unglücklichen zu Hülfe , Du gewährtest sie ihnen , wie ich auch , nachdem wir erfuhren , daß sie zu den Ausgestoßenen gehörten – « » Ja , « fiel ihm der unzufriedene Kamerad in's Wort , » ich gewährte sie ihnen , wie ich sie auch einem Hunde würde gewährt haben , der von einer tollen Meute angefallen . Die Hülferufenden vor Mißhandlung zu schützen und dann der Wache zu übergeben , war unser würdig ; aber das Mädchen bei uns zu verstecken – dieser Schimpf macht meine Mutter unglücklich und wird uns Beide in Schimpf und Schande bringen , wenn , was sehr wahrscheinlich ist , der Vorfall in der Hütte zur Sprache kommt . « » Dann , « sagte Ulrich , » werde ich den Schimpf und die Strafe auf mich allein nehmen und sagen , daß ich das nicht nur gethan , weil ich gar nicht anders konnte , sondern auch gegen Deinen Willen ; und damit man dies glaubt , will ich mir noch heute eine andere Wohnung suchen und Deiner Mutter nicht mehr zur Last fallen . « Während er so sprach , drehte er den Ring noch in der Hand . Hieronymus sah darauf und sagte : » Wirf den Ring in den Schnee , mag ihn finden , wer will . « » Dadurch , daß ich ihn fand , ist er mir anvertraut worden , « antwortete Ulrich ; » ich hoffe den rechtmäßigen Eigenthümer dazu noch finden zu können . « » Wohl , er wird eine neue Berührung mit Rachel herbeiführen ! « sagte Hieronymus mit spöttischem Lächeln . Ulrich zuckte die Achsel als Antwort . Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander und betraten so aufgeregt und verstimmt die Hütte . Es war die höchste Zeit , daß sie kamen , denn schon begann das Morgengebet – wer später erschien , mußte Strafe geben und seinen halben Tagelohn » in die Büchse legen . « Schweigend gingen dann Beide an ihre Arbeit . Nach ein paar Stunden kam der Propst Kreß und redete leise und eifrig in einer entfernten Ecke heimlich mit dem Werkmeister , wobei er seine Augen immer auf Ulrich und Hieronymus richtete . Dieser bemerkte es zuerst und flüsterte Jenem zu : » Jetzt kommt es schon zur Sprache . « Ulrich antwortete stolz : » Du brauchst Dich nicht zu fürchten , ich werde Alles auf mich allein nehmen « – und er meißelte ruhig an der kleinen Statue eines Johannes weiter , die unter seinen Händen aus dem Stein hervorzuspringen schien . Nach einer Weile wurden die Beiden von dem Hüttenmeister aufgerufen . Ulrich näherte sich mit gewohntem stolzen Gange , Hieronymus finsterblickend mit niedergeschlagenem Auge . Der Werkmeister theilte ihnen mit , daß sie sich Beide morgen in das ein paar Stunden entfernte Benediktinerkloster zum heiligen Kreuz begeben sollten , um ein halb zertrümmertes Weihbrodgehäuse wieder herzustellen . Er nannte ihnen den Lohn , den sie bekommen sollten , und fügte hinzu , daß sie diese Gunst theils ihrem Fleiß und ihrer Geschicklichkeit , theils der Empfehlung des Herrn Propstes dankten . Mit Erstaunen empfingen die Baubrüder diesen ehrenvollen Auftrag , da sie eben eine ganz andere Rede erwartet hatten , und besonders Hieronymus richtete sich noch einmal so groß auf und blickte , die vorige Angst von sich werfend , mit leuchtenden Augen um sich , indeß Ulrich seine dankenden Blicke auf den Propst richtete . Aber zu seiner Verwunderung begegnete er in dessen sonst immer freundlichen Gesicht einen Ausdruck von Besorgniß und Kummer , der demselben sonst ganz fremd war . Wie segnend legte der Propst seine Hände auf die Häupter der beiden Gesellen und sagte : » Ziehet mit Gott ! und möge er Euch gnädig sein bei dem neuen Werke zu seiner Ehre . « Dann flüsterte er Ulrich zu : » Kommt heute nach dem Feierabend noch zu mir , ich will Euch noch ein Schreiben mitgeben an den Herrn Abt . « Dann verließ er eilends die Hütte . Als die Baubrüder zum Mittagessen nach Hause gingen , sagte Ulrich : » Nicht wahr ? das war eine vergebliche Angst ? « » Wer kann es wissen ? « antwortete Hieronymus ; » möglich , daß dies Zusammentreffen bloßer Zufall ; möglich auch , daß der Propst , der Dich einmal in seinen besonderen Schutz genommen , diese Entfernung für Dich wohlthätig findet und selbst veranstaltet ; möglich auch , daß , was eine Gunst erscheint , eine Verbannung ist , und indeß unsere Feinde Zeit haben uns bis zu unserer Rückkehr Schimpf und Schande zu bereiten ! « » Dummes Zeug ! « antwortete Ulrich , und konnte doch die trüben , mitleidigen Blicke des Propstes nicht los werden , der sonst bei ähnlichen Gelegenheiten nur freundliche und heitere für ihn gehabt hatte . Aber beide theilten die Kunde doch fröhlich als Glück und Ehre der Mutter Martha mit . Sonst wäre sie in lauter stolze Glückwünsche ausgebrochen – heute , wo sie auf Ulrich zürnte und um ihren Sohn sich ängstete , sagte sie in kummervollem Tone : » Nun werde ich allein sein , wenn der Büttel kommt Euch vor den Schultheißen zu citiren , oder wenn das Judenmädchen sich untersteht mir wieder über den Hals zu kommen . « » Das ist bald fortgejagt , « tröstete Hieronymus , » und was der Büttel bei uns zu suchen hätte , wüßt' ich wahrhaftig nicht . « » Und meinetwegen habt Ihr in Eurer Wohnung auch nichts mehr zu fürchten , « sagte Ulrich ; » ich werde mir eine andere suchen , sobald wir wieder aus dem Kloster zurück sind , so könnt Ihr morgen schon sagen , daß ich nicht mehr bei Euch wohne . « Mutter Martha entfärbte sich und hätte bald vor Schreck die Suppenschüssel hingeworfen – daß Ulrich sich von ihr und ihrem Sohne trennen könne , das schien ihr gar nicht mehr möglich ; doch saß ihr Groll zu tief , als daß sie schon heute ein versöhnliches Wort zu ihm hätte reden können . – Als Ulrich am Abend zu dem Propst kam , führte ihn die öffnende Wirthschafterin nicht in dessen gewöhnliches Wohnzimmer , sondern in ein kleines Seitengemach , das einen besondern Eingang hatte , und bedeutete ihn zu warten . Durch die hohe eichene Flügelthür schallte das Gelächter überlauter Zecher . Da der Propst so viel auf seine geistliche Würde hielt , um nicht öffentliche Trinkstuben zu besuchen , so suchte er sich dafür in den Häusern guter Freunde oder noch öfter in seinem eigenen Hause zu entschädigen . Es war bekannt , daß der Keller des Propstes am besten in der ganzen Stadt gefüllt war , daß er die feinsten wie die schwersten Weine enthielt und daß er mit keinem derselben geizte – ja , er trank seinen Gästen immer eifrig zu , und rechnete es sich als ein Verdienst und das Zeichen eines guten Wirthes an , wenn seine Gäste betrunken wurden , im besten Falle taumelnd heimgingen , oder auch noch in seinem Zimmer bewußtlos zu Boden sanken und halbe Stunden brauchten ihren Rausch auszuschlafen . Solche Niedergetrunkene wurden dann in das Cabinet gewälzt , in dem jetzt Ulrich wartete und dem man deshalb den Namen der Todtenkammer gegeben . Zum Glück hatte sie jetzt noch keinen Insassen . Heute würde sich der Propst keine Gäste geladen haben , da er sich vorgenommen , ernsthaft mit Ulrich zu sprechen ; allein auswärtige Amtsbrüder und Genossen waren unerwartet und gehörig ausgefroren angekommen , sie saßen nun jetzt schon ein paar Stunden mit ihm beim Mahl und vertilgten immer mehr von der edlen Gottesgabe , die sie mißbrauchten , bis sie dadurch sich selbst und gewaltsam unter das Thier erniedrigten . Für einen Helden galt , wer am meisten saufen konnte – so nannten sie auch selbst ihr unmäßiges Trinken , das auch auf keinen andern Namen mehr Anspruch zu machen hatte und wenn bei Einigen in allerlei kaum glaublichen und nicht zu schildernden Rohheiten die viehische Lust ausbrach , oder Andere wie Todte da lagen , so galt dies meist als das fröhlichste Ende eines fröhlichen Gelages – bei Fürsten und Geistlichen ebenso gut , ohne daß diese darum in der öffentlichen Meinung verloren , wie bei Bürgern und Gesellen . Mit rothglühendem Gesicht trat der Propst vor Ulrich – er hatte ganz vergessen , daß er ihn herbestellt ; jetzt fiel es ihm ein und auch welche Warnungen er ihm hatte mitgeben wollen ; aber er war seiner Sinne zu wenig mächtig , um selbst zu wissen , was er sprach . Er gehörte zu den gutmüthigen und gemüthlichen Naturen , die in der Trunkenheit sich durch Geschwätzigkeit und Zärtlichkeit offenbaren , gleich sehr zum Lachen wie zum Weinen geneigt , je nachdem die Veranlassung dazu reizt . » Ach , Du bist es , mein guter Junge ! « sagte er zu Ulrich ; » Du kommst , ehe Du in das Kloster gehst – nun , möge der Gang Dir nicht zum Unglück werden – Du weißt , ich meine es gut mit Dir – ich wußte mir nicht zu helfen , ich mußte nachgeben , Dich hinschicken , da der Werkmeister gleich darauf einging . « » Ein Unglück ? « sagte Ulrich und dachte an Hieronymus ' Argwohn : » ich meinte , man habe uns eine Gunst erwiesen , und kam , sowohl Euch dafür zu danken als Euren Auftrag zu empfangen . « » Ach ja ! « sagte der Propst und rieb sich die erhitzte Stirn , » es ist gewiß eine Gunst . Ich wollte nur sagen , daß Ihr im Kloster vorsichtig sein sollt – nicht mit den Mönchen reden – es darf bei Strafe nicht sein – auch nie ein Wort laut werden lassen von dem , was Ihr drinnen sehet und höret – es geht die Laien nichts an – und Euch könnte es nur schaden . « Ich werde mich gewiß der erwiesenen Gunst nicht unwerth erweisen , « versetzte Ulrich ; » indeß erlaubt mir eine Frage : Ich sah Euch ehegestern beim Meister Kraft mit einem Benediktinermönch am Fenster stehen , der mir derselbe zu sein schien , welcher mir vor – « Entsetzt sprang der Propst auf Ulrich zu und drückte seine Hand auf dessen Mund , ihm die Rede abzuschneiden : » Um aller Heiligen Willen , vollendet nicht ! Wißt Ihr – ahnt Ihr es denn wirklich schon ? – Nein ! denkt lieber gar nicht daran – denkt lieber , es sei nicht – es wäre ja schrecklich , wenn es wäre , und noch schrecklicher , wenn es an den Tag käme ! « Jetzt war die Reihe zu erschrecken an Ulrich . Er sah wohl , daß der Wein in diesen unzusammenhängenden Reden schäumte , aber irgend einen Hintergrund mußten sie doch in des Propstes Seele haben . » Ich verstehe Euch nicht , « sagte er ; » was ich fragen wollte , ist etwas Ungefährliches und Geringes . Ich hatte bald nach meiner Ankunft in Nürnberg das Unglück , im Gedränge mit meinem Schwert den Rosenkranz eines Benediktinermönchs zu zerreißen ; das kostbare Kreuz , das daran hing , ist mir zurückgeblieben , und ich möchte es gern seinem Eigenthümer zurückgeben : nun schien es mir , als hätte ich denselben Klosterbruder neben Euch gesehen ; wenn er vielleicht es war , der die Sendung des Abtes vom heiligen Kreuz Euch überbrachte , so wollte ich nur fragen , ob ich das Verlorene dem Abt oder dem Mönch übergeben sollte ? Was ist dabei das Unglück ? « Der Propst hatte mit äußerster Anspannung seiner Sinne und Kräfte zugehört , er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte : » Weiter weißt Du gewiß nichts von dem Mönch ? « » Nichts ! « » Nun , dann danke Gott , daß Du es nicht weißt ! « » Aber ich irrte mich nicht , es war derselbe ? « » Derselbe ! ach , es ist schrecklich , daß es immer derselbe ! « » Soll ich ihm das Kreuz geben ? « » Thue es , aber höre nicht auf seine Reden – er ist halb wahnsinnig – sprecht nicht mit ihm , wenn es Jemand sieht und hört – aber dem Abt gebt das Kreuz auch nicht – da gebt es lieber noch dem Bruder Amadeus selbst – aber hört nicht auf ihn ; er hat wunderliche Einfälle und fixe Ideen . « » Amadeus heißt er ? « » Amadeus ; aber laß Dich nicht irre von ihm machen , ich beschwöre Dich . Er ist schon lange im Kloster , aber er war früher ein vornehmer Ritter und büßt um seine Sünden , die er damals begangen ; er hat viel Unglück angerichtet , er könnte Dich auch unglücklich machen – wie er Deine Mutter unglücklich gemacht hat – « » Meine Mutter ? sagt Ihr ? « rief Ulrich aufhorchend in äußerster Bestürzung . » Mutter sagt' ich ? « rief der Propst ; » nein , das sagt' ich nicht ; ich meinte meine Schwester , wenn ich 's sagte – bedenke , daß er wahnsinnig – und mit mir – was meinst Du , mit mir ist es wohl auch nicht richtig ? Hörst Du , wie drinnen die Pokale klingen ! – Warte , Du sollst auch nicht dursten , der Wein erfreut des Menschen Herz ! « Mit diesen Worten ging er zu seinen Gästen zurück und sandte ihm durch die Dienerin einen großen gefüllten Humpen heraus , ließ ihm sagen , er möge nur austrinken , dann käme er wieder . Ulrich trank mit Maß , er war in der peinlichsten Stimmung . Bisher hatte er den Propst nie anders gesehen als in der Bauhütte oder Kirche , oder wenn er ihn in der Krankheit besuchte , da war er immer nüchtern gewesen – jetzt sah er wohl , daß er betrunken war und nicht wußte , was er sprach ; aber es schien ihm doch , daß er spreche , was er denke und fühle , und gerade nicht sprechen wollte . Welch' ein Zusammenhang konnte zwischen diesem Amadeus und seiner Mutter und ihm selbst sein ? Es fiel ihm ein , daß in seiner Kindheit , als flüchtige Söldnerschaaren im Elsaß sein Heimathsdorf verwüstet , indeß er selbst Obdach im Kloster gefunden , Einige gesagt hatten , daß seine Mutter ein Lanzenknecht auf seinem Pferde fortgeschleppt ! Konnte dies nicht auf den Befehl eines Anführers geschehen sein , oder doch ein solcher – vielleicht dieser Amadeus sie als seine Beute an sich gerissen haben ? Aber was wußte der Propst davon ? was wußte denn er von seiner Mutter , da er doch nach dem Schicksal seiner Eltern wie seinem ganzen Herkommen gleich bei seinem Eintritt in die Bauhütte gefragt hatte . Aber gerade seitdem hatte er ihm auch jene ungewöhnliche Theilnahme bewiesen , die Ulrich anfangs befremdet und fast bedrückt hatte , an die er aber im Laufe der Zeit sich selbst gewöhnt , so daß es ihm endlich zu Etwas geworden , das gar nicht anders sein könne , und das er nur etwaigen besondern Empfehlungen seiner Kunstleistungen an den Kunstfreund zuschrieb . Außer jenem ersten Gespräch in der Bauhütte hatte der Propst nie wieder mit ihm von seinen Eltern gesprochen . Wenn er etwas von seiner Mutter wußte , warum hatte er es ihm nicht gesagt ? – Und wenn es nur Unglückliches und Unwürdiges war ? Wenn nun jener elsässische Benediktinermönch , Bruder Anselm , der es ihm auf die Seele gebunden , nie nach seiner Mutter zu forschen , weil man ihr üble Dinge nachgesagt , damit Recht hatte ? Und wenn es dieser Amadeus war , der sie in üblen Ruf gebracht ? – Ulrich fühlte ein Gefühl von Haß , das er bisher kaum gekannt , gegen den Mann in sich aufsteigen , der seine Mutter unglücklich gemacht ; er fühlte , daß er strenge Rechenschaft von ihm fordern müsse , Rache und Sühne verlangen für seine Mutter . Aber er sollte ja nicht nach ihr forschen und fragen ! Und mitten durch alle diese Gefühle und Gedanken klang auch als Echo die Warnung des Judenmädchens : » Sie wollten aussprengen , Eure Mutter sei eine Hexe gewesen ! « und daß ihm Hieronymus später einmal gesagt , man habe während seiner Krankheit wirklich einmal ein derartiges Gerücht in die Hütte gebracht , aber durch seine Zeugnisse von Straßburg und die Bürgschaft des Propstes sei es vernichtet worden . Seitdem war auch nichts wieder davon verlautet . Ulrich leerte den Becher fast ohne es zu wissen unter diesen von allen Seiten auf ihn eindringenden Gedanken . Des Weines gänzlich ungewohnt , fühlte er ihn bald glühend durch seine Adern rollen , indeß ein Anderer vielleicht vieler dieser Pokale hätte leeren können , ohne in gleicher Weise erregt zu werden . Umgekehrt hatte indeß der Propst versucht , sich durch ein niederschlagendes Pulver zu ernüchtern , oder wenigstens in eine ruhigere Umfassung zu bringen . Er kam jetzt zurück mit dem Brief an den Abt in der Hand . Ulrich schob denselben in seine Ledertasche und fragte : » Ist's ein Uriasbrief ? « Der Abt sah den Steinmetzgesellen verwundert an , legte seine Hand auf seine Schulter und sagte : » Ich dächte , Ihr hättet von mir Beweise genug , daß Ihr mir vertrauen könntet und wissen , ich fördere Euer Wohl in allen Stücken ! « » Ja gewiß , « sagte Ulrich und drückte dankbar des Propstes Hand ; » darum darf ich Euch auch ganz vertrauen und um eine neue Gunst Euch bitten : sag't mir , was Ihr von meiner Mutter wißt ? « Der Propst stand bestürzt . Auf eine solche directe Frage war er nicht vorbereitet ; er war sich so weit klar , zu wissen , daß ihm vorhin wohl unvorsichtige Aeußerungen entschlüpft waren , aber er konnte sich nicht besinnen , was und wie viel er verrathen . Um jeden Preis mußte er das wieder zurücknehmen , aus Ulrich's Seele zu verdrängen suchen . Nach einer Pause antwortete er : » Hab't Ihr nicht selbst erzählt , daß ein feindlicher Kriegshaufe Eure Mutter fortgeschleppt und daß Ihr seitdem nichts von Ihr gehört ? Meine Schwester hatte ein ähnliches Schicksal – sie ward auch eine Kriegsbeute im Elsaß , und erzählte von einer Genossin ihrer Leiden , die vielleicht Eure Mutter gewesen sein konnte , denn sie hieß Ulrike und stammte aus Eurem Dorfe . « » Und was ist aus Ihr geworden ? « rief Ulrich . » Darauf kann ich Euch keine Antwort geben , « versetzte der Propst . » Aber Eure Schwester kann es , weiß wenigstens ihr damaliges Schicksal – o sag't mir , wo sie weilt , damit ich mir von ihr die langersehnte Kunde hole . « » Das ist unmöglich , « antwortete der Propst . » Meine Schwester ist Nonne im Kloster der heiligen Klara hier in Nürnberg , Du wirst sie niemals sehen und sprechen . Ich selbst darf sie nur einmal im Jahr besuchen . – Gebt es auf , nach Dingen zu forschen , die unerforschlich sind und deren Enthüllung Euch keinen Gewinn bringen würde . Laßt das Vergangene und die Todten ruhen , es thut nicht gut , in die Gräber zu blicken und die Särge wieder zu öffnen – es könnte ein Pesthauch von ihnen in's Leben strömen und es vergiften . Leb't Eurer Kunst und geh't in Gottes Namen dahin , wo Ihr immer ihr dienen könnt . Forschet nichts Unnützes , am wenigsten bei dem Bruder Amadeus – er hat nur zuweilen klare Augenblicke , auf seine irren Reden könnt Ihr nimmer etwas geben . Meidet ihn lieber ganz . Wenn Ihr aber zurückkommt und mir beichtet , was er mit Euch gesprochen , so will ich Euch seine unglückliche Lebensgeschichte erzählen , durch die er in diesen wüsten Zustand gekommen – jetzt ist dazu keine Zeit . Und nun gehab't Euch wohl , meine Gäste harren auf mich . Die Ordensregel verlangt , daß Ihr nicht mit den Mönchen sprecht ; wenn Ihr Euch dawider vergeht , wird man Euch im Kloster bestrafen und es in Eure Zeugnisse schreiben , daß sich die Strafe in der Hütte wiederhole . Aber nicht mit einer Drohung will ich scheiden : der Herr segne Euch und gebe Euch Frieden ! « Damit war Ulrich entlassen . Als er in die kalte Winternacht hinaustrat , war es ihm , als ob sich das ganze Firmament mit ihm drehe . Sie flimmerten und glitzerten auch gar so hell diese Millionen von Sternen , und es war , als suchten sie einander an Schimmer und Glanz zu überbieten . Ulrich blickte hinauf und wünschte in den Sternen zu lesen . Gleich den Meisten seiner Zeitgenossen war er erfüllt von dem Gedanken , daß sie eine Sprache redeten , welche die Wissenschaft erlernen könne und daraus das Geschick des Menschen deuten . Indem er so fragende Blicke zu dem funkelnden Firmament emporrichtete , mahnten ihn die sechszackigen Sternlein an das doppeltgenommene Dreieck und das heilige Sechsort seiner Kunst – da ward plötzlich seine aufgeregte Seele groß und stille und er fühlte wieder begeistert , daß es für ihn keine höhere Aufgabe geben könne , als dieser Kunst zu leben , die auch berufen war , erhabene Werke zu schaffen auf der Erde , welche würdige Abbilder waren jener Wunderwerke des Himmels und gleich ihnen die Augen der Menschen tröstend und freudig zu ihm emporführten . Fünftes Capitel Reichstag Anfang Februar war der Reichstag zu Nürnberg anberaumt worden , der erste , auf dem König Max daselbst erschien , obwohl noch von seinem greisen Vater begleitet . Kaiser Friedrich nahm wie gewöhnlich seine Wohnung auf der Veste , und der Burggraf Friedrich von Zollern war schon einige Tage vor ihm erschienen , um ihm das Quartier würdig zu bereiten . König Max hielt Wort und sandte seine Boten an Herrn Christoph Scheurl , ihm zu melden , daß er in seinem Hause um ein › Stübchen ‹ bitte . Herr Hans von Tucher , der diese Ehre gern für sich in Anspruch genommen , wählte nun den edlen Kurfürsten Friedrich von Sachsen , der sich bereits von seinen Zeitgenossen den wohlverdienten Beinamen des Weisen erworben , zu seinem Gaste . Die geistlichen Herren von Mainz , Worms und Trier sollten in der Propstei bei Anton Kreß wohnen , der Bischof von Eichstädt bei dem Rath Pirkheimer einkehren , dem er den Sohn Willibald mitbrachte – und so hatte der Rath von Nürnberg lange Sitzungen zu halten , bis er glücklich für alle Kurfürsten , Pfalzgrafen , Bischöfe , Fürsten und Herren , ihre Gesandten wie ihre Begleiter die passenden Wohnungen aufgesucht und bestimmt hatte . Es war dies keine Kleinigkeit , sondern eine Verhandlung , die zu vielen Reibungen der Patrizier wie der Geschlechter führte . Den allgemein geachteten Kurfürsten von Sachsen wollte Jeder gern bei sich haben , ebenso den Herzog Georg von Baiern mit dem Beinamen : der Reiche ; denn die Nürnberger achteten nach Kaufmannsweise den gar hoch , der Schätze zu erwerben oder die schon überkommenen zu wahren verstand . Auch den Grafen Eberhard von Würtenberg , der von sich sagen konnte , daß er , wenn er ganz allein durch sein Land gehe und ermüdet sei , getrost sein Haupt in den Schooß jedes Würtenbergers könne schlafen legen ; so wie den Kurfürsten Johann von Brandenburg , den man auch als bürgerfreundlich und für das Wohl seines Landes im Innern sorgend kannte , wünschte man als Gast – aber der meisten andern Fürsten und Herren , die theils als Wüstlinge , theils als rohe Tyrannen oder nur auf Kriegsruhm und Ländervergrößerung , oder als Schützer des Adels und seiner Rauf- und Raublust dem fleißigen Bürgerstand gegenüber bedacht waren , hätte sich Jeder gern in seiner Wohnung verwehrt . Da es darüber in der Rathsstube selbst zu keiner Einigung kommen wollte , sondern die sonst so ruhigen Herren in diesem Streite sich immer mehr erhitzten bis er endlich sogar in das Gebiet der Schimpfworte , Grobheiten und Thätlichkeiten gerieth : so kam Hans von Tucher , um die Würde der Versammlung zu retten , auf den Einfall , das Loos entscheiden zu lassen , da auf eine andere Weise keine Einigung zu erzielen war . Als Belohnung für seinen Rath und weil er und Herr Holzschuher als oberste Loosunger sich doch als Häupter der Stadt betrachteten , behielt er sich aber vor , daß der Kurfürst von Sachsen bei ihm und bei jenem Herzog Georg der Reiche wohnen solle , ihre Namen also nicht mit auf die Zettel kamen , die in der Loosurne gemischt wurden . Wie verständig dieser Rath auch war und von Allen , wenn auch von Einigen mit Murren angenommen ward , so bereute Hans Tucher doch gar bald , ihn gegeben zu haben , als der ihm verhaßte Gabriel Muffel gerade den Grafen Eberhard im Bart wie ein großes Loos ziehen mußte ! Ihm würde er nur den allerwiderwärtigsten und verhaßtesten Potentaten oder nur den geringsten Abgesandten gegönnt haben – und nun mußte er gerade den allerbeliebtesten erhalten . Tucher ging in seinem Aerger so weit einzuwenden , daß Muffel's Haus wohl nicht geräumig und würdig genug geziert sei , einen solchen Fürsten zu empfangen ; aber Muffel entgegnete seines unerwarteten Glückes sich freuend : » Groß genug ist mein Haus , und ist es nicht mit orientalischer Pracht gleißend von Gold und Marmor gleich dem Euren geschmückt und überladen , so ist es dafür echt deutsch einfach und fest , und eignet sich gerade für einen so biedern deutschen Herrn , der schon manchmal mit der Hütte eines Landmanns vorlieb genommen . Gebt Acht , er wird sich wohler fühlen in dem Haus von deutscher Art erbaut und von deutscher Sitte bewohnt , und nicht lüstern sein nach der türkischen Herrlichkeit , die Ihr ihm zu bieten hättet . « In welchen neuen Zorn auch der alte Tucher über diese Worte ausbrach , es blieb ihm doch unmöglich eine Aenderung des einmal durch seinen eigenen Vorschlag Entschiedenen herbeizuführen , und er hoffte sich nun nur dafür an Gabriel Muffel zu rächen , daß er seinen Sohn Stephan im Geleit des Kaisers wiederkehren sehen werde , vollkommen geheilt von seiner Leidenschaft für Ursula Muffel durch schönere Frauen Wiens , Italiens und Ungarns , und daß er die einst blühende Mädchenrose , die jetzt der Gram gebleicht hatte , daß sie indeß um ein Jahrzehent gealtert erschien , gewiß nicht mehr begehren werde . Einzeln hielten die Fürsten und Herren ihren Einzug . Aber keiner kam ohne einen ganzen Schweif von Rittern und Reisigen mitzubringen , ja im Gefolge mancher waren mehr denn hundert Pferde . Kaum begreiflich schien es , wie eine so ungeheuere Menge von Menschen und Thieren noch Platz finden solle in Nürnberg , das zwar mit zu den großen , aber auch zu den bevölkertsten Städten gehörte , denn es zählte damals über hunderttausend Einwohner . Denn nicht allein die kamen , die zum Reichstag berufen waren , und das waren eben diesmal weniger als sonst , da in der Eile , mit welcher Max den Reichstag ausgeschrieben , er die Abgesandten der Städte nicht auffordern lassen und auch sonst , sowohl der kurzen Zeit wegen als überhaupt aus Lauheit gegen die Angelegenheiten des immer mehr in sich zerfallenden deutschen Reiches , viele Fürsten es nicht der Mühe werth hielten sich einzustellen . Aber dafür strömten zahllose Volksmassen herbei , welche die Neugier lockte oder der Erwerb . Aus Nah' und Fern kamen Ritter und Bürger sammt ihren Frauen , die hohen Herrschaften zu sehen und den Festlichkeiten beizuwohnen , die immer an die Reichstage sich knüpften ; kamen Gelehrte , Dichter und Künstler , um hier ihre hohen Gönner zu begrüßen oder neue zu finden , oder doch sich gegenseitig zu treffen , wohl auch Bestellungen zu erhalten , oder sich selbst doch Stoff und Anregung zu neuen Werken zu suchen . Aber es kam auch niederes Gesindel ohne Zahl : Gaukler und Possenreißer , Bettler und Diebe , Wucherer und Betrüger , Wahrsagerinnen und fahrende Frauen – Tausende strömten herzu trotz der Winterszeit , vielleicht daß sie sich bei der langen Dunkelheit um so besseren Gewinn für alle diese Gewerbe versprachen , welche das Licht zu scheuen hatten . Die Nürnberger aber sangen ihre Verslein auf die einen wie die Andern . Von dem niedern Volke hieß es : » Da kommen die Gaukler und fahrenden Frauen , Die haben zum Reichstag ein gutes Vertrauen ; Und ob auch gleich sonst es Niemand hätt' – Die mästen gewiß dabei sich fett . « Und beim Einzuge der Reichstagmitglieder klang es gerade nicht feiner : » Hier kommen hochgeborene Fürsten und Herren , Die sehen , essen und trinken gern ; Sie geben Dirnen und Buben genug , Das ist aller Freiheiten Fug . « So urtheilte damals das deutsche Volk über seine Vertreter , und zwar ungescheut wie ungestraft ; aber zu mehr brachte es auch der mittelalterliche Volkswitz nicht , als wie dazu , sich über das deutsche Reich und seine Gesunkenheit lustig zu machen und sich damit doch selbst in's Gesicht zu schlagen . Endlich kam auch der deutsche Kaiser und der römische König . Ein unabsehbarer Zug von Hofleuten , Rittern und Reisigen war in ihrem Gefolge . Der alte Friedrich , obwohl schon an den Siebzigen , saß dennoch noch immer stattlich zu Roß und schaute mit dem Gleichmuth , den er sich durch sein ganzes Leben zu bewahren wußte , vor sich aus . » Unwiederbringlicher Dinge Vergessenheit ist die größte Glückseligkeit auf Erden « , war sein Wahlspruch , den er sogar damals , als er von Wien nach Neustadt , aus seinen Erblanden vertrieben , unaufhaltsam flüchten mußte , in jedem Gasthofe , in dem er eingekehrt , bis er an den Rhein kam , auf den Tisch schrieb oder in die Fensterscheiben grub – vielleicht weniger zur Mahnung für Andere als zum Beweis , das Kaiser Friedrich sich über Alles zu trösten wisse und dem Stern des Hauses Habsburg vertrauend fast unthätig zuwartete , bis die Dinge sich wieder zu seinem Gunsten gestalteten . Uebrigens wendete er diesen Wahlspruch doch auch nicht auf Alles an : denn eben jetzt konnte er es noch immer nicht vergessen , daß Herzog Albrecht von Baiern ihm die eigene Tochter Kunigunde sammt Regensburg schon vor langer Zeit geraubt , und hatte dem eigenen Sohne Max gezürnt , der eine Vermittelung ersuchte . Ja Friedrich kam hauptsächlich mit hierher , um , wenn nicht die Hülfe des Reichs , doch die der einzelnen Fürsten und Städte wie des Adels zu gewinnen , die zu dem schwäbischen Bund und dem Löwlerbund gehörten , welche beide gestiftet waren , die willkürlichen Fehden im Reiche niederzuhalten und sich untereinander gegen übermüthige Lehensherren oder ungehorsame eigenmüthige Reichsvasallen beizustehen , gleicherweise wie die Städte und ihre Bürger gegen die Bedrückungen und Raubanfälle des Adels zu schützen . Jetzt war es Friedrich , der nicht nachgeben mochte und auch Vergangenes nicht vergessen konnte und gegen Regensburg drohte , das Albrecht befestigte : » Ob man die Stadt auch ganz zumauere , will ich doch hinein , und sollt ich durch ein Spältlein schlüpfen . « – Neben ihm ritt der goldlockige König Max . Noch ebenso heldenhaft und schön war seine Erscheinung , wie vor zwei Jahren , wenn auch vielleicht die Sorgen , die ihn jetzt bedrückten , vornehmlich die Sorgen um die immer noch nicht beendeten Flandrischen Händel , die der heldenhafte Herzog Albrecht von Sachsen , seit Jahr und Tag fast ohne alle Reichshülfe gelassen , mit einem kleinen Heer in den immer wieder aufständigen Provinzen allein zu schlichten suchen mußte , und dann um die neue Ungebühr , die ihm der König von Frankreich erwiesen – wenn auch diese Sorgen vielleicht ein paar Furchen auf seiner Stirn gezogen , welche die Krone mehr drückte als der Helm des Ritters , den er mit größerem und froherem Stolze trug , als jene . Er grüßte noch ebenso leutselig wie bei seinem ersten Einzug , und gewann sich noch ebenso alle Herzen , wie damals , die durch eine edle ritterliche und huldvoll um sich blickende Erscheinung zu gewinnen waren . Unter seinem Gefolge erblickte man auch einige Nürnberger , die mit ihm gezogen waren , ihm ihr Schwert zu weihen und im Kampfe für ihn sich ihre Sporen zu verdienen . Darunter befand sich Stephan Tucher in strahlender Rüstung , deren stählerne Schilder durch goldene Einfassungen miteinander verbunden waren ; ein weißer Federbusch wehte von dem glänzenden Helm . Sein Schwert hing an einer rosenfarbenen Schärpe mit silbernen Fransen – war es blinder Zufall oder bewährte Treue , daß er doch so Ursula's Farben trug ? Sein Antlitz glänzte von Heiterkeit und Gesundheit – etwas wettergebräunter war es geworden – aber sonst lächelte es gerade so stolz und selbstgefällig wie vordem . Gleich hinter dem König ritt sein treuer Bruder und lustiger Rath Kunz von der Rosen , der ihn , seit ihn einmal Kerkermauern von seinem Herrn getrennt , nie wieder verlassen hatte . Er war es auch , der , da der Zug sich dem Stadtthor näherte , plötzlich voraussprengte und durch ein Seitengäßlein reitend sagte : sein Pferd sehne sich nach dem Stall und er nach der Herberge , so wollten sie sich beides ohne Ceremonienmeister suchen . So durch enge Gäßchen trabend , die eigentlich den Reitern verboten waren , gelangte er vor Scheurl's Haus unter der Veste , als der Herr desselben mit andern Rathsherren und Edlen nach der andern Seite hin dem König entgegen zog , um ihn feierlich in sein Haus zu führen . Kunz konnte recht wohl berechnen , daß er auf diese Weise , indem er sich nicht nur einen Umweg , sondern auch alle aufhaltenden Empfangsfeierlichkeiten ersparte , um eine halbe Stunde früher als der König selbst in die für ihn bereitete Wohnung kam . Er wollte sich den Spaß machen , vor ihm einzutreffen , die Hausfrau vielleicht durch verfrühtes Kommen noch in den letzten Vorbereitungen zu stören , oder sich dann gleich selbst als Hauswirth zu geberden und Herrn Scheurl in seiner eigenen Wohnung gleich einem fremden Herrn zu empfangen . Dergleichen Späße waren nun einmal seine Weise und gehörten in der damaligen Zeit mit zu den Hauptbelustigungen . Der Thorweg , welcher , an einer andern Seite als die Hausthür befindlich , in den Hof des Scheurl'schen Hauses führte , stand weit geöffnet , eben so die Thüren der Ställe , und Alles war bereitet , darin mindestens ein paar Dutzend Pferde aufzunehmen . Aber kein Stallknecht ließ sich sehen , alle Leute waren davon gelaufen dem kaiserlichen Zuge entgegen . Kunz sprang vom Pferde , führte es am Zügel an eine gefüllte Krippe , streichelte es . und sagte zu ihm , indem er es anband : » Nun sieh , für Dich ist der Tisch gleich gedeckt ; Du wirst eher und besser bedient als Kaiser und König , und auch als sein lustiger Rath ; ich muß sehen , ob ich auch ein so gutes Quartier finde wie Du . « Er ging über den Hof in die weite Hausflur , schüttelte den Schnee von seinen Füßen und dachte , indem er mit seinen nassen gewaltigen Reiterstiefeln auf die schönen weichen Teppiche von venetianischer Weberei trat , die sich die marmornen Treppen herunterschlängelten und an den Stufenfugen mit blitzenden Metallhaltern befestigt waren : » Nun , das laß ich mir gefallen ! Am Ende hat Aeneas Sylvius doch recht , wenn er behauptet , daß kein Potentat so schön wohne wie die Bürger von Nürnberg und Augsburg , und wenn mein Herr an seine Worte denkt , die er einmal als Jüngling sprach , da ihm der geizige Vater einige Münzen geschenkt und darüber schalt , daß Max keine bessere Anwendung davon mache , als sie an andere Knaben zu vertheilen : » Ich will kein König des Geldes werden , sondern eines Volkes und derer , die Geld haben – so erfüllt es sich wenigstens einmal bei den Nürnbergern : die haben Geld , was sonst ein rarer Artikel im lieben deutschen Reich , besonders am kaiserlichen und königlichen Hofe und auch anderwärts – den reichen Jörge ausgenommen , der in der Schatzkammer zu Burghausen mehr Gold und Silber birgt , denn jemals eine Kaiserkrone eingebracht . « Auch auf der Treppe und im Corridore begegnete ihm Niemand , doch wehte hier schon eine behagliche Wärme , aus unzähligen Kaminen hörte man Feuer knistern und lodern . Jetzt steckte er leise seinen Kopf durch die eine Flügelthür , da es ihm war , als ob er hinter derselben sprechen höre , und der Narr machte eines seiner eigenthümlichsten halb schlauen und halb verblüfften Gesichter bei dem Gewahren einer Gruppe , die er gerade jetzt nicht erwartet hatte . Auf dem gelbplüschenen , mit Gold gestickten Divan saß Elisabeth – Kunz erkannte sie noch sehr wohl , auch wenn er sie nicht hier als die Herrin des Hauses erwartet hätte . Er hatte sich auch die Schönheit von Nürnberg recht gut gemerkt , die seinen königlichen Herrn wie mit Zauberschlingen an sich gezogen und doch verstanden hatte ihn in Schranken zu halten , daß es bei einer ehrbaren Huldigung verblieben war , und jetzt , da der Schalk sie wiedersah , fand er sie nicht minder reizend und meinte , daß man lange suchen könne unter den deutschen Fürstinnen , bis man eine fände , die sie an angeborener Majestät übertreffe . Freilich , fügte er hinzu , scheut sie sich auch nicht sich gleich einer Königin zu schmücken . Sie trug ein Kleid von kornblumenblauem Brokat mit einem breiten Besatz von weißem Pelz um seinen Saum , die eng anliegenden Aermel waren gleichfalls mit Pelz besetzt , so daß die kleine weiße Hand sich fast darin zu verlieren schien . Ein gleicher Pelzbesatz lief um den Ausschnitt des Kleides , in der Mitte der Brust von der funkelnden Demantrose des Königs gehalten . Eine dicke goldene Schnur mit großen Quasten schlang sich um die Taille des Schneppenleibchens . Ein Kopfputz von blauem Sammet und weißen Federn schmückte ihr Haupt , dessen glänzend kastanienbraunes Haar in üppigen Locken zum spielenden Schleier des blendend weißen Nackens ward . Vor ihr kniete ein Mann von mittlerer Größe , in ein Wamms von kirschbrauner Farbe gekleidet , aus dessen Aermelschlitzen weiße Puffen hervorsahen , ebenso waren die Beinkleider , die Stiefel von gelbem Leder mit kleinen Sporen . Ein Degen hing an seinem Gürtel und ein kleiner schwarzer Sammetmantel um seine Schultern . Ein hohes Baret von schwarzem Sammet lag neben ihm auf dem hohen Lehnstuhl . Kunz vermochte sein Gesicht nicht zu sehen , das küssend auf Elisabeth's Hand ruhte , indeß ihre andere auf seinem kurzgeschnittenen dunklen Haupthaar lag . Sie hatte sich vorwärts über ihn gebeugt , ihr Gesicht glühte und verrieth gleich dem unruhig wallenden Busen die innere Bewegung . Sie hatten beide geschwiegen , ehe Kunz geöffnet hatte , und bemerkten ihn dennoch nicht , Eines im Andern verloren , so daß er Elisabeth sagen hörte : » Celtes ! steh't auf ! Wohl ist es oft mein stilles Verlangen gewesen Euch wiederzusehen , wie es mein größtes Glück war , wenn ich von Euch las und Euren Namen preisen hörte ; aber ich durfte es nur dann wünschen , wenn diese Begegnung geschehen konnte , ohne die alten Schmerzen und Kämpfe aufzuwühlen ! – Seh't , ich trage ein Joch , das mir Pflichten auferlegt , und da es denn einmal mein Loos , so ringe ich Tag und Nacht danach , daß ich es mit Würde trage und mir selbst nicht noch mehr Unheil bereite , als das Schicksal schon über mich verhängt . Ihr seid ein Mann ! seid frei von kleinlichen Rücksichten und Pflichten , seid immerdar der Herr Eurer eigenen Handlungen und Niemanden davon Rechenschaft schuldig denn Euch selbst . Ein leichteres Loos ist Euch zu Theil geworden und ein erhabenes dazu . Die edle Poesie hab't Ihr zur göttlichen Lebensgefährtin empfangen , und Euer herrlicher Beruf ist's , die deutsche Jugend zu vaterländischem Sinn zu entflammen und vom Zwange inhaltloser Formen zu den lebensvollen Ideen des Humanismus zu führen – geb't Euch an dies Streben mit ganzer freier Kraft dahin , und nach Jahrhunderten noch wird man Euer Andenken feiern . Wer berufen ist zu leben für Jahrhunderte und für die Menschheit , der muß darauf verzichten können , dem Glück des Augenblicks und seinem eigenen Herzen zu leben ! « Konrad Celtes , der erst vor wenigen Augenblicken bei Elisabeth eingetreten , und auch nur erst an diesem Morgen mit seinem Gönner , dem Bischof von Worms , angekommen war , hatte zwar gemeint , er könne ihr nun ruhig und als Freund begegnen . Aber vor ihrer lebenswarmen Gegenwart waren alle früheren Empfindungen wieder in ihm aufgewacht und er hatte sie in seine Arme schließen wollen . Elisabeth , mit dem feinen Ahnungsvermögen eines liebenden Frauengemüthes , oder wenn man will , mit dem klugen Abwägen aller kleinen Möglichkeiten , das Künftige aus dem Gegenwärtigen berechnend , hatte zuweilen daran gedacht , daß Celtes wohl einmal in sein liebes Nürnberg zurückkehren werde , ja sie hatte es jetzt gewünscht – aber viel weniger aus persönlichem Interesse , sondern weil sie es für Celtes als ein Glück betrachtete , wenn König Max mit ihm zusammenkam und ihm seine Aufmerksamkeit schenkte , und wie hätte das besser geschehen können , als jetzt , wo der König in ihrem Hause wohnte und der Kaiser , der ihm zum Dichter krönen ließ , selbst in Nürnberg weilte . Ja , sie hatte lange mit sich gekämpft , ob sie nicht Celtes um dieses Glückes Willen eine Botschaft senden solle , herzukommen ; aber sie hatte doch eine Mißdeutung derselben gefürchtet , ja sich selbst nicht recht getraut , ob nicht persönliche und unrechte Empfindungen dabei im Spiele wären , und darum Alles dem Schicksal überlassen . Immerhin aber hatte sie sich auf diese Möglichkeit vorbereitet und sich mit der ganzen weiblichen Würde ihres Wesens gewaffnet , um sich für ein Wiedersehen mit Celtes gerüstet finden zu lassen , damit es ihr gelinge , nicht nur sich selbst zu bezwingen , sondern auch , wenn es nöthig sein sollte , jeden Ausbruch seiner früheren Empfindungen verhüten , oder doch vor leidenschaftlichem Unheil sichern zu können . Vielleicht hätte auch sie sonst nicht die Kraft gefunden , sich seinen Armen zu entziehen und die obigen Worte zu ihm zu sprechen . Da sie ihn zurückwies , war er vor ihr auf die Knie gesunken und lauschte ihren Worten wie einem Liede , das nicht minder schön erscheint , wenn es auch auf das schmerzlichste ergreift . » O es ist ein Fluch , der auf allen Poeten ruht ! « rief er ; » wir müssen unglücklich , elend und verlassen sein , damit wir in das Reich der Poesie uns flüchten und unter tausend Schmerzen eine erträumte Welt der wirklichen entgegenstellen – den frischen Kranz des Lebens müssen wir opfern , damit ein dürrer Lorbeerkranz auf unsern Grabhügeln anschelle . Elisabeth ! Ihr seid so kalt und grausam wie die Welt – ich hoffte Euch anders zu finden ! « Sie erhob sich zürnend : » Dann wehe mir und Euch , wenn Ihr das hofftet , wenn Ihr während dieser Trennung den Glauben an mich und an Frauentugend verloret ! « Bestürzt faßte er den Saum ihres Gewandes und rief : Elisabeth ! thut , was Ihr wollt , aber vergebt mir und zürnt nur nicht ! « » So seid ein Mann ! « antwortete sie ; » versündigt Euch nicht an Frauenwerth – versündigt Euch nicht an der Gottesgabe der Poesie , die Euch geworden ! – Ihr wißt nicht , wie es ist : alle diese Schmerzen empfinden und keine Sprache dafür haben – das Entsagen ist schwer : aber das Schwerere ist , ein einmal auferlegtes Joch noch edel zu ertragen ! – Steht auf – mich dünkt , ich höre Jemand – wenn es schon der König wäre ! « Celtes erhob sich und Elisabeth blickte nach der Thür , mit welcher Kunz von der Rosen vor einem Weilchen unwillkürlich geknarret hatte , da ihn diese Scene , deren Zuschauer er geworden , selbst bewegte . Erst hatte er gemeint , hier einen begünstigten Liebhaber bei einer ungetreuen Gattin zu finden , und eine solche Gelegenheit ließ er selten , wie oft und bei welchen hohen Personen sie ihm auch ward , vorübergehen , ohne die Betheiligten durch seinen Spott und seinen oft sehr derben Spaß zu züchtigen . Aber durch Elisabeth's würdevolles Betragen wendete sich schnell seine Meinung zu ihren Gunsten – ja er zerdrückte eine Thräne im Auge , weil er gar wohl begriff , daß eine Frau von solchen Herzens- und Geistesgaben , wie Elisabeth , neben einem so hohlen Menschen wie Scheurl nur unglücklich sein könne . Und zugleich nahm er sich vor , seinem königlichen Bruder zu warnen oder zu beaufsichtigen , daß er die Tugend und Treue dieser edlen Frau nicht etwa auch versuche auf die Probe zu stellen . Als er jetzt bemerkte , daß sich das Paar nicht mehr allein fühlte , warf er seine Narrenkappe zur Thür herein , gerade vor Elisabeth's Füße und sagte : » Es ist nicht Sitte , edle Frau , daß der Narr seine Kappe abnimmt weder vor König und Kaiser , denn er hat eben nicht nöthig Jemanden Respect zu erweisen – vor Euch aber hab' ich ihn – und wenn ich hundert Hüte aufhätte , ich zöge sie alle vor Euch und würfe sie Euch demüthig wie die Kappe zu Füßen . « Elisabeth erschrak sowohl vor der plötzlichen Erscheinung wie vor diesen Worten , welche sie ungewiß ließen , ob der Narr etwas von diesem Gespräch gehört oder nicht ; aber immer ihrer selbst Meisterin hob sie die Mütze auf , ob auch Rosen sich mit einem lustigen Katzenpuckel danach beugte , überreichte sie ihm und sagte : » Willkommen in Nürnberg – wenn Ihr Euch auch auf sonderbaren Wegen müßt eingeschlichen haben , daß Niemand von der Dienerschaft Euch zuvorkam . Wo ist Euer königlicher Herr ? « » Bruder ! wolltet Ihr sagen , « fiel er ihr in die Rede . » Was den betrifft , so wird er bald kommen , als ihn die guten Nürnberger , die sich überall herzudrängen , dazu kommen lassen – und was mich betrifft , so wißt Ihr , daß unsereins die Wege sich immer nach Belieben sucht und gelegentlich durch ein Spältlein schlüpft , wenn 's ihm auf dem breitgetretenen Wege zu eng wird . « » Ich freue mich , « sagte Elisabeth , » daß ich gleich jetzt Gelegenheit habe , Euch Herrn Doctor Konrad Celtes vorzustellen , von dem Ihr sicher so viel Gutes und Großes gehört hab't , als er von Euch , Herr Kunz von der Rosen . « Die Männer schüttelten zwar einander die Hand , aber es geschah nicht mit der rechten Herzlichkeit . In Celtes kochte es ingrimmig , wenn er sich dachte , daß Kunz ihn jetzt belauscht , und es sogar durch seine Worte an Elisabeth zu verstehen gab , ohne es zu gestehen – und Kunz hatte ein Vorurtheil gegen den Gelehrten , nach der Scene , welcher er beigewohnt . Er sagte zu sich : den Frauen gegenüber taugen doch diese Herren von der Feder so wenig wie die vom Schwerte – und fügte hinzu : ich möchte eigentlich wissen , welche Zunft da etwas taugte . Indeß war Kunz doch harmlos und Celtes redegewandt genug , eine Unterhaltung zu Stande zu bringen , deren Anknüpfungspunkt natürlich die hohen Ankommenden waren . Elisabeth entfernte sich einen Augen blick , um nachzusehen , daß die Dienerschaft besser auf dem Platze sei , als sie bei Rosen's Ankunft gewesen . Wie sie zurückkam , wollte sich Celtes beurlauben , aber Elisabeth selbst duldete es nicht und sagte : » Ihr werdet mich nicht um die Gelegenheit betrügen , Euch selbst seiner Majestät vorzustellen , die ich immer gewünscht , gleich Euch selbst . « Mit feinem Takte fühlte sie , daß gerade so Celtes ' Besuch bei ihr alles Anstößige vor Anderen verlor , wenn sie sagen konnte , daß er gekommen sei , um mit unter den Ersten zu sein , welche die Ehre hätten dem König vorgestellt zu werden . Jetzt klang es unten von Rosseshufen und Freudengeschrei ; Elisabeth ging dem König Max bis an die Treppe entgegen , Kunz stand an ihrer Seite und lachte die Ankommenden aus , daß er schon eine halbe Stunde vor ihnen im warmen Nest geruht . Herr Scheurl wollte dem König seine Hausfrau vorstellen , er aber sagte : » Ei so wenig ich meines Wortes vergessen , so wenig vergaß ich der schönen Frau Elisabeth , « und küßte ihr die Hand , indem er seine feurigen Blicke mit Entzücken über ihre herrliche Erscheinung streifen ließ . Denn in der That konnte er sie vielleicht in keinem günstigeren Augenblicke sehen , als da sie noch Mitten in der Erregung war , die ihr das Wiedersehen mit Celtes und sein Ungestüm , darauf das Erschrecken durch den Narren bereiteten – und nun kam noch dieser stolze Triumph dazu , den ritterlichen König bei sich zu empfangen , von ihm unvergessen zu sein und dieselben Schmeichelworte aus seinem Munde zu vernehmen , auf die verzichten zu müssen sie zuweilen gefürchtet hatte . Nun war ja der ersehnte Augenblick da , wo sie den Dichter und den König einander zuführen konnte – sie that es mit der ganzen ruhigen Würde ihres eigensten Wesens . Sechstes Capitel Im Kloster Seit Ulrich von Straßburg erkannt hatte , daß sein Freund Hieronymus in seinem Vorurtheil gegen die Juden verrottet und unverbesserlich sei , hielt er ihn auch in andern Stücken einer gleichen Engherzigkeit für fähig und während er ihm sonst fast seine geheimsten Gedanken mitgetheilt hatte , fühlte er sich jetzt veranlaßt , gegen ihn über sein Gespräch mit dem Propst zu schweigen , welches so viele bange Zweifel und unheimliche Fragen in ihm aufgeregt hatte . Die Baubrüderschaften im Allgemeinen waren nicht nur in ihren speciellen Kunstleistungen , sondern auch in der Freiheit ihrer Lebensanschauungen und ihrer religiösen Ansichten ihrer Zeit voraus . Aber wie , besonders in großen Uebergangsperioden , wie der Ausgang des Mittelalters in seinem Schooße trug , sich immer Altes und Ausgelebtes mit Neuem und Weitausgreifendem oft in einem Individuum und noch öfter in gesellschaftlichen Gliederungen beieinander findet , so war es auch bei den Baubrüderschaften selbst und ebenso bei ihren einzelnen Mitgliedern . Der Geist des Albertus Magnus und seiner Geheimlehre der christlichgothischen Baukunst wirkte noch mächtig fort , und wie die Säulen der erhabenen Dome in immer kühneren Schwingungen aufstiegen , wie der ganze Bau und in ihm wieder jeder einzelne Stein zu leben schien und dabei aus der Begeisterung , damit Gott und dem Christenthum zu dienen , eine Begeisterung für die Kunst an sich und ihren eigensten Cultus neben , oder auch über dem christlichen geworden war : so lebte wohl auch in den Brubrüderschaften ein höher und weiterstrebender Geist , als er sonst in ihrer Umgebung sich kund that – aber ebenso war auch etwas Versteinertes und unwandelbar Feststehendes in ihren Gesetzen und Statuten , das keine Reform derselben zuließ und Jahrhunderte lang dieselben äußern Formen und Bestimmungen bewahrte , als wären gerade sie das Wesentlichste der Sache . Dieselben Steinmetzen , welche sich ungestraft erlauben durften Tiara und Inful zu verspotten und in ihren auf ewige Dauer berechnenden Steingebilden zur Hölle fahrende Mönche und Nonnen , Könige und Bischöfe , ja Kaiser und Päpste dem Hohne der Zeitgenossen wie der Nachkommen preiszugeben – dieselben Steinmetzen mußten gewissenhaft zur Beichte gehen , und verfielen den schwersten Strafen der eigenen Hüttengesetze , wenn sie irgend eine kirchliche Handlung verabsäumten . Dieselben Freidenker , welche sich über das gesunkene Kirchenthum erhaben fühlten , waren doch die Feinde derer , welche sich nicht dazu bekannten – die allgemeine Verachtung , welche damals die Juden traf , wie der Haß gegen die Türken als den Erbfeind der Christenheit , war auch im Bekenntniß der Baubrüder eine Hauptstelle , und auch die Aufgeklärtesten unter ihnen waren ganz und gar von diesem Vorurtheil erfüllt . Wir haben gesehen , wie Hieronymus auf das Mächtigste von ihm beherrscht ward – ebenso wenig war Ulrich ganz frei davon , aber er hatte doch an die Worte des Meisters denken lernen : » Unter allerlei Volk , wer Gott fürchtet und recht thut , der ist ihm angenehm « – und hielt es nicht für unmöglich , daß Rachel zu diesen Rechtthuenden gehören könne – wenn schon sie so unglücklich war eine Jüdin zu sein ! Aber Hieronymus wollte nichts von einer solchen Anschauung wissen und fürchtete zumal auch , daß Ulrich sich und ihn in Schimpf und Schande in der Hütte bringen werde , wenn ein Zufall oder vielleicht Rachel selbst verriethe , daß er mit ihr gesprochen und sie in seiner Wohnung verborgen gehabt hatte , in die sie früher schon mehr als einmal sich gedrängt . Wie den Baubrüdern jeder Verkehr , auch mit ehrbaren Frauen , als Vergehen angerechnet ward , galt der mit einer Jüdin als doppeltes Verbrechen , denn man achtete eine solche gleich der verworfensten Dirne , mochte sie auch unschuldig sein wie ein Kind . Zu den andern Vorurtheilen sowohl der Zeit als der Baubrüderschaften , die darauf ihre Gesetze gründeten , gehörte die Nothwendigkeit ehelicher Geburt zu sein . Alle unehelichen Kinder galten als rechtlos , und der Makel , den sie so mit auf die Welt brachten , heftete sich an ihr ganzes Leben . Bei ihnen erwiesen sich allein die Klöster als eine rettende Zufluchtsstätte , in der sie vor dem Fluch gesichert waren , der sich draußen an ihr ganzes Leben knüpfte . Fast von allen Handwerken und Aemtern waren sie ausgeschlossen , und die Fürsten verfügten über sie ganz wie über Leibeigene . Das » Wildfangsrecht « z.B. , ein Recht deutscher Fürsten , alle Unehelichgeborenen ohne Weiteres in ihre Kriegsdienste zu zwingen , erhielt sich viele Jahrhunderte . Dieser Fluch der bürgerlichen Unehrlichkeit mußte diese Unglücklichen , die ihm verfallen waren , von Haus aus gleich selbst in die Bahn unehrlicher und verbrecherischer Gewerbe treiben und prägte sich tief als das Bewußtsein einer unschuldigen Schuld in alle empfindungsfähigen Gemüther . Darum waren auch Eltern noch außer der Angst vor der persönlichen Schande und Strafe , die ihnen selbst widerfuhr , eifrig bedacht ihren Kindern ehrliche Namen zu verschaffen , sei es auch auf die betrügerischste Weise . Oft genug entdeckte sich später der Betrug , und dann verfielen die unschuldigen Kinder doppelter Schande . Daher war es auch eine sehr gebräuchliche Drohung oder ein Mittel der Rache , an dern Personen nachzusagen , daß sie nicht von ehelichem Herkommen seien ; denn oft ließ sich eines so wenig als das andere erweisen , und schon der Zweifel ward doch in manchen Augen zum Makel . Am strengsten aber unter allen Genossenschaften hielten die Bauhütten darauf , keinen Lehrling aufzunehmen , der nicht genügende Zeugnisse über sein Herkommen hatte . Die ganze Brüderschaft ward als profanirt betrachtet , wenn sie einen solchen unter sich geduldet hätte , Ulrich selbst hatte sich schon bei Rachel's erster Warnung vor der Möglichkeit entsetzt , daß man nur versuchen könne , seinen Eltern Unwürdiges nachzusagen , und jetzt entsetzte er sich doppelt vor den Bedenklichkeiten , welche durch die Worte des Propstes in ihm aufstiegen . Es gab für ihn kein größeres Unheil , als wenn wirklich ein Flecken auf sein Herkommen kam . Während er sich sonst darüber niemals Gedanken gemacht , waren sie nun plötzlich gewaltsam in ihm aufgeregt – und da er selbst kaum wußte , was er selbst glauben , fürchten oder hoffen sollte , so hütete er sich jetzt wohl Hieronymus ferner in diesem Stück zu seinem Vertrauten zu machen , ja er war zugleich fest entschlossen , seine Wohnung nicht mehr mit ihm zu theilen , damit , wenn ja der fürchterlichste Schlag über Ulrich hereinbräche , der Kamerad nicht durch ihn noch mehr sich mit beschimpft fühlen könne , als alle die andern freien Steinmetzen . Obwohl er sich im Aeußern mit Hieronymus ausgesöhnt , so vermied er doch mit ihm ferner über den Gegenstand ihres Zwistes zu sprechen , sowohl wie über das tiefverworrene Bangen , mit dem er dem Kloster und dem Bruder Amadeus entgegenging . Da er aber doch mit Hieronymus früher von diesem Mönch gesprochen , als er den Verlust des Kreuzes wieder erwähnt , so sagte er ihm nur , auf Befragen nach demselben darauf aufmerksam gemacht , daß dieser Mönch , welcher Amadeus heißt , an zeitweiligen Geistesstörungen litte . So hatten sie an einem hellen Wintertag ziemlich die Hälfte des Weges nach dem Kloster zurückgelegt , als sie es in der Ferne von Rüstungen und Schwertern im Sonnenschein funkeln sahen und Rosseshufe den frischgefallenen Schnee emporwirbeln . Als der reisige Zug näher kam , gewahrten sie an seiner Spitze einen geistlichen Herrn zu Pferde , und erkannten an seiner Tracht , an seinen Insignien und Farben den Bischof von Eichstädt , umgeben von vielen Rittern und einem ganzen Troß von Knappen und Dienern . Hinter ihm ritt ein nach Studentenart gekleideter Jüngling , der einige Worte an den Bischof richtend , dann seitab zu den Baubrüdern sprengte , die ehrfurchtsvoll grüßend am Wege standen . » Mit Vergunst , « sagte er zu den Beiden , die durch ihre Kleidung Allen als Baubrüder kenntlich waren ; » wackere Brüder der freien Steinmetzzunft , mich dünkt , wir sind uns schon vor Jahr und Tag im lieben Nürnberg begegnet , und da ich nach langer Entfernung mich der theuren Vaterstadt wieder nähere , und Ihr die ersten Nürnberger Gesichter seid , die mir in den Weg kommen , so möcht ich Euch fragen , ob Ihr mir vielleicht eine Kunde geben könnt , wie es in meinem Elternhause ergeht – es ist das der Pirkheimer ? « » Ihr seid es , Junker Willibald ! « antwortete Ulrich ; » bald hätte ich Euch nicht erkannt , denn Ihr seid größer und stärker geworden im bischöflichen Kriegsdienst , als bei den heimischen Studien . Ich denke , Ihr werdet die Euren im erwünschten Wohlsein treffen . Eurem Herrn Vater bin ich erst gestern begegnet , und Eure edlen Jungfrauen Schwestern flicken fleißig mit an einem Teppich für dieselbe Lorenzkirche , an der wir bauen . « » Ei , das ist eine gute Kunde , « antwortete Willibald , » sogar von meinen Schwestern wißt Ihr ! Ja , sie sind gern bei einem frommen Werke – daran erkenne ich , daß sie noch unverändert sind ! Der kunstliebende Propst , Herr Anton Kreß , hat das wohl angeordnet . « » O nein , « versetzte Hieronymus ; » nicht nur die Ehre der Ausführung , auch die des ganzen Plans gebührt den Frauen . « Und Ulrich fügte hinzu : » Die edle Frau Scheurl war kaum von ihrer langwierigen Krankheit genesen , da sie es beginnen ließ . « Er sprach diesen Namen absichtlich laut und faßte dabei einen Ritter in dunkler Tracht und von bleichem Ansehen scharf in's Auge , der eben jetzt sein Visir niederschlug , das er vorhin offen getragen . » Gott sei Dank , « sagte Willibald Pirkheimer , » der die edle Frau erhalten – « » Und sie auch ferner beschützen wird , « rief Ulrich ungewöhnlich laut ; » König Max hat seine Wohnung in Scheurl's Haus genommen – das wird ihr auch wohl Schutz gewähren . « Jener Ritter war den Andern , die während dem schon einen ziemlichen Vorsprung erreicht , nur langsam und zögernd nachgeritten , und nachdem Ulrich Willibald noch auf seine Frage Antwort gegeben , wohin und in welcher Absicht sie auf dem Wege seien , sagte der erstere auf jenen Ritter deutend : » Kennt Ihr diesen da ? « » Das eben nicht ; ich weiß nur , daß er Eberhard von Streitberg heißt und dort mit dem Ritter von Weyspriach erst unterwegs mit seiner Begleitung zu uns gestoßen . « Ulrich sann eine Weile nach . Dann sagte er leise : » Ich kenne jenen Herrn als einen gefährlichen Wegelagerer , der auf den Landstraßen den harmlosen Kaufleuten auflauert und ehrbare Frauen überall verfolgt ; warnt die Nürnbergerinnen vor ihm , wenn Ihr den Nürnberger Rath nicht warnen wollt ! « Das ist eine starke Anklage ! « sagte Willibald . » Ich kann sie aufrecht erhalten , wenn es sein muß ! « sagte Ulrich ; » aber Ihr wißt , wir freien Steinmetzen mengen uns nicht gern in profane Händel , und jetzt gebietet mir mein Beruf wohl eine Woche fern zu sein von Nürnberg . Kommt Ihr aber mit Frau Elisabeth Scheurl zu reden , so nennt Ihr nur im leichten Erzählerton die Namen der Ritter , die mit Euch kamen – dies thut als Gegendienst für die guten Nachrichten , die Ihr von mir empfinget . Und nun Glück auf den Weg und zur Heimkehr ! Ich denke , wir sehen uns in Nürnberg wieder ! « Als auch Willibald sich verabschiedet hatte und der ganze Zug verschwunden war , sagte Hieronymus : » Ich erkannte den Ritter auch , mit dem Du auf Tod und Leben gerungen , aber ich hatte wenig Lust mich noch einmal in einen solchen Händel zu mengen und verdenke Dir , daß Du es gethan . Frau Elisabeth mag sich von ihrem königlichen Anbeter vor einem zudringlichen Entführer beschützen lassen – das wird ihr lieber sein , als von den armen Baubrüdern , denen sie es doch keinen Dank weiß . Du aber hast einen kecken und hinterlistigen Feind , dem kein Mittel zu schlecht ist , zu seinem Ziele zu kommen , auf's Neue herausgefordert – denn er erkannte uns so gut , wie wir ihn erkannten . « Ulrich versetzte : » Hoffentlich erkannte er nur mich , und Du hast nichts für Dich zu befürchten . « » Das bliebe sich gleich , « antwortete Hieronymus ; » man kennt uns als unzertrennliche Gefährten . « » Wir müssen aufhören es zu sein , « antwortete Ulrich , » wenn Dir meine Handlungen Sorgen oder Verdrießlichkeiten bereiten . « » Zu diesem Vorschlag ist es zu spät ! « antwortete Hieronymus doppelsinnig . Beide gingen eine Weile schweigend nebeneinander . Da hob sich auf einem Hügel am Waldessaum das einsamstehende Kloster der Benediktiner vor ihnen empor . Das goldene Kreuz darauf flimmerte hell im Sonnenlicht , das auf den beschneiten Dächern spielte und mit seiner erwärmenden Kraft ihm einzelne Tropfen erpreßte , die sich zu funkelnden Eiszapfen gestalteten . Sie hatten nicht gar weit mehr zu gehen , da standen sie vor den Oeconomiegebäuden des Klosters , welche sich auch den Laien erschlossen – ja , als sie durch den Hof schreitend in ein hallenartiges Zimmer des Erdgeschosses kamen , saßen mehrere Wanderer darin , die hier nur eingekehrt waren , um auszuruhen und sich durch einen Trunk Meth oder Wein zu stärken . Es gehörte damals mit zu den Mißbräuchen , die am häufigsten eingerissen waren , daß , wenn auch nicht in den Klöstern selbst , doch in den ihnen zugehörigen Oeconomien Wein geschenkt ward – aus dem , was früher eine freie Gabe mildthätiger Gastfreundschaft , war eine gute Einnahmsquelle für die Klosterkasse geworden . Hier waren die Baubrüder nur eingetreten , als ein junger Novize , als solcher an seiner braunen Kleidung und dem kurz geschnittenen , aber doch nicht geschorenen Haar kenntlich , auf sie zukam und beiden nach einander die Hand drückte ; an der Art , wie es geschah , erkannten sie in ihm einen Bruder , einen freien Steinmetzen . » Gott grüße Euch und Gott leite Euch ! « rief er ; » Ich hoffte , daß Ihr diesen Morgen kommen würdet , und begab mich darum hierher Euch zu erwarten . Nun darf ich auch Euer Führer sein . Kommt mit hinüber in's Kloster und stärkt Euch dort erst mit Speise und Trank von der Wanderschaft – unter diesen Profanen und Laien hier ist nicht gut sein . « Eben so herzlich erwiederten die Ankömmlinge den Gruß und Ulrich sagte : » Das hätten wir nicht gedacht , hier plötzlich einen Bruder zu finden ; aber wie ist denn Dein Name ? « Und Hieronymus fragte : » Und was hat Dich vermocht , Dich aus der thätigen Mitte freier Steinmetzen hierher zurückzuziehen ? Willst Du wirklich unser lebensvolles Wirken mit der todten Ruhe hier vertauschen ? « » Mein Name ist Konrad , « antwortete der Novize , » Eure andern Fragen beantworte ich einmal später in einer ruhigen Stunde . Es ist eine traurige Geschichte – und mir blieb keine Wahl ! Einstweilen denkt daran , daß ich nicht Verachtung , sondern nur Mitleid verdiene . « Ulrich seufzte leise und betrachtete voll innigster Theilnahme den jungen Mann . Er sah blaß und abgehärmt aus . Seine dunklen Augen waren mit bläulichen Ringen umgeben , die ihren Glanz noch erhöhten . Seine ganze Haltung und sein fahles Ansehen , so wie seine heisere Stimme weckten die Befürchtung , daß er an einer verzehrenden Krankheit litt . Ulrich fühlte sich voll innigsten Mitgefühls zu ihm gezogen , indeß Hieronymus den Bruder mit einigem Mißtrauen betrachtete , der , sei es freiwillig oder gezwungen aus der Brüderschaft geschieden war , um aus einem fleißigen freien Steinmetzen ein fauler , eingesperrter Mönch zu werden – wie es Hieronymus nannte . Denn obwohl diese ganzen Brüderschaften einst aus den Klöstern und zumal aus denen der Benediktiner hervorgegangen waren , so sahen sie jetzt doch mit derselben Geringschätzung auf sie herab , wie auf weltliche Profane . Drinnen im innern Kloster , als der Pförtner sie eingelassen und Konrad sie durch einen schön gewölbten düstern Kreuzgang geführt , empfing sie ein anderer Mönch in einem kleinen wohl durchheizten Seitengemach und bewirthete sie auf's Beste . Ein anderer Bruder ging , den Abt von ihrer Ankunft zu benachrichtigen . Nach einer Ruhestunde wurden sie zu diesem beschieden , dem Ulrich das Schreiben des Propstes Kreß überreichte . Der Abt empfing sie mit Wohlwollen , und besonders nachdem er das Ueberbrachte gelesen , drückte er ihnen warm die Hand , und nachdem er sich mit ihnen von dem Propst , von dem zu erwartenden Reichstag und andern weltlichen Dingen unterhalten , forderte er sie auf , ihn in die Kirche zu begleiten , um daselbst das Werk , das ihrer harrte , in Augenschein zu nehmen . Der Novize Konrad und noch ein paar andere Mönche und Novizen schlossen sich ihnen an . So traten sie in die alte , im romantischen Styl erbaute Klosterkirche , die später noch manchen An- und Ausbau erfahren hatte , da die Baukunst schon dem gothischen Styl sich zugewendet und , nebenbei mit italienischer Pracht geschmückt , jenen ruhigen und erhabenen Eindruck vermissen ließ , welchen nur die tadellose Reinheit eines bestimmten Styls hervorzubringen vermag . Es war ein Mißklang zwischen dieser weiten romantisch gewölbten Eingangspforte , den leichten Spitzbogen , welche die bunt gemalten Fenster umschlossen , und den schlanken Säulen kühner Gothik , aus denen der hohe Chor sich bildete . Es war Ulrich gleich bei seinem Eintritt , als ob ein Geist der Unruhe und Zerfahrenheit ihn in dieser Kirche packe , die an den Seitenaltären besonders mit Reliquienschreinen , in denen die heiligen Gebeine in Gold und Juwelen gefaßt von Reichthum strotzten und von frommen Spenden und Prachtgeräthen hierin Ueberladung zeigte , indeß das reine Künstlerauge vergeblich nach schön gemeißelten Ornamenten und nach dem Ausdruck genialer Schöpfungen suchte , wie sein eigener Kunsteifer sie versuchte : das Geistige zur Erscheinung zu bringen im Stein , das Ewige darzustellen im Endlichen . Ein einziges reines Kunstwerk dieser Art hatte die Kirche besessen , und das war eben jetzt zerstört . Es war das Weihbrodgehäuse neben dem Hochaltar , darin das Allerheiligste aufbewahrt war . Es war dies ein kleines gothisches Kunstwerk von kundiger Hand nach dem Albertinischen System des Achtortes säulenartig aufgeführt . An der einen Seite stand eine Statue der Madonna , an der andern Seite die des Johannes . Gothische , mit zierlichem Laubwerk umrankte Spitzbogen stiegen darüber empor , auf dessen höchster Spitze ein Engel schwebte . Dieses durchbrochene Thürmlein , das sich über dem Hostienschrein selbst befunden hatte , war herabgefallen und lag sammt dem Engel halbzerschmettert daneben . Es sollte die Aufgabe der herzugerufenen Baubrüder sein , diese Stücke wieder zusammenzufügen , wo es thunlich , oder durch neue zu ergänzen . Der feine Sandstein , dessen man dazu bedurfte , lag bereit . Als sie in die Kirche eingetreten waren , lagen einzelne Mönche vor den verschiedenen Altären betend auf den Knieen . Sie ließen sich durch die Kommenden nicht in ihren frommen Uebungen stören und sahen sich nicht nach ihnen um . Ulrich warf auf jeden von ihnen einen Blick , so gut es im Vorüberbergehen und von Weitem gehen wollte , ob er vielleicht Amadeus unter ihnen gewahre . Doch sah er ihn nicht . Nur über Einen blieb er im Zweifel , der in einer Seitennische nicht weit vom Hochaltar in einer dunklen Ecke knieete und den Kopf so tief geneigt hatte und in die gefaltenen Hände gedrückt , daß keine Spur von seinem Gesicht zu sehen war . Die große Gestalt und der Kranz von grauschwarzem Haar um sein Haupt gemahnte an ihn – aber unter den mehr als hundert Mönchen , welche das Kloster einschloß , konnten viele dergleichen haben . Hieronymus und Ulrich bewunderten und prüften das Kunstwerk , seine Zerstörung bedauernd , und letzterer sagte nach genauer Untersuchung desselben sowohl als der Wölbung der Kirche und allen , das Tabernakel nah ' und fern umgebenden Gegenständen zornig aufflammend und mit großer Bestimmtheit : » Herr Abt ! hier ist ein unerhörter Frevel geschehen . Dies Thürmlein ist nicht von selbst herabgefallen , das hat die vandalische Hand eines Niederträchtigen herabgeworfen . Hier ist noch schlimmeres und Schändlicheres geschehen denn Kirchenraub – hier ist bloßer Muthwillen geübt worden am Allerheiligsten – am Allerheiligsten , das die Kirche bewahrt und besitzt , am Allerheiligsten auch der Kunst . Das ist das Werk einer gewaltsamen , absichtlichen Zerstörung von menschlicher Hand . Habt Ihr keine Untersuchung angestellt , den Schuldigen zu finden ? Ich denke , ich darf mich rühmen , beseelt zu sein vom Geiste christlicher Milde und Vergebung – aber gegen solch' ungeheuren Frevel , den nur ein Mensch verübt haben kann , der allen Sinnes für das Heilige baar zu einer Bestie herabgesunken , die aus Bosheit sich an einem Tabernakel vergreifen kann , dem jeder fromme Christ nur mit einer Kniebeugung sich nähert , und die so ihre Rohheit und Scheußlichkeit an einem erhabenen Meisterwerk der Kunst auslassen kann , das ein Heiligthum an sich ist , auch wenn es an einer andern Stelle stünde und eine profane Bestimmung hätte – für eine solche Bestie kenne ich kein Erbarmen ! « Er hatte laut und vom heiligen Feuer entflammt gesprochen ; der tiefgebückte Mönch war noch tiefer zusammengesunken und hatte einen jammernden Ton von sich gegeben ; der Abt und die Mönche sahen einander erstaunt an und Konrad sagte : » Ich habe dasselbe gleich gesagt , aber Niemand hat mir glauben wollen – so mußte ich schweigen . « » Das ist wahr , « sagte der Abt ; » aber es ist doch auch ganz unmöglich , daß hier ein solcher schauderhafter Frevel geschehen konnte . « Aber immerhin möglicher , als daß dies wohlgefügte Werk von allein herabstürzen konnte ! « sagte Hieronymus kaltblütig , der nun auch seinerseits dasselbe untersucht ; » ohnehin hat der Frevler seine Sache nicht einmal täuschend und geschickt gemacht , sondern nur mit einiger Scheu vor dem Allerheiligsten , die doch noch in seiner verworfenen Seele gewesen sein muß ; er hat dies selbst verschont , und diese Statuen , die nothwendig mit hätten zertrümmert werden müssen , wenn etwa dies Werk , morsch und schwankend geworden , wie es aber durchaus nicht gewesen sein kann , bei einer geringen Veranlassung zusammengestürzt wäre . Der Frevler hat sich mit dieser gothischen Spitzsäule begnügt , oder er ist verscheucht worden und hat sein Zerstörungswerk in einem Zustand zurücklassen müssen , der jedem scharfblickenden Auge die willkürliche Menschenhand verrathen mußte . « » Aber es kann ja Niemand in diese Mauern , « rief der Abt , » denn wer herein gehört ; Fenster und Thüren zeigten keine Verletzung , durch die ein Bösewicht hätte eindringen können . « Hieronymus zuckte die Achseln und sagte : » Wenn er nicht von außen kam , ist er von innen gekommen . « Das ist eine Beschimpfung unser Aller ! « rief ein Mönch und blickte zornig um sich . Ulrich sagte gelassener : » Und wie meinet Ihr denn , daß die Sache zugegangen ? Von einem Erdbeben hat man nichts gehört , und Gewitter giebt es im Winter ebenso wenig , oder sie sind doch so selten , daß Ihr es Euch gemerkt haben würdet – war ein solches und meintet Ihr , ein Blitz oder Donnerschlag habe das Werk getroffen ? « Alle verneinten . » Wann geschah es denn ? und war Niemand in der Kirche ? Ich denke , sie wird auch Nachts nicht leer ? « sagte Hieronymus . » Es scheint , Ihr geberdet Euch , als wäret Ihr als Inquisitoren in unser Kloster gekommen ! « sagte der Abt übel gelaunt , daß man es für möglich halte , in seinem Kloster , das sich immer eines guten Rufs erfreut , an solche Rohheiten zu glauben , wie sie kaum außerhalb desselben vorfielen ; denn selbst der gemeine sittenlose Haufe hatte Achtung vor der Kunst , besonders an den heiligen Stätten und auch vor diesen selbst ; das Verbrechen des Kirchenraubes gehörte mit zu den seltensten und darum auch mit der Kirchenschändung zu denen , welche am härtesten und fast immer mit dem Tode bestraft wurden . » Ihr seid es , der Ehre des Klosters und unser aller Ehre schuldig , daß die Sache auf's Strengste untersucht werde , und dann auch zur Kenntniß dieser Steinmetzen gebracht , die außerdem in ihre Hütte ein schlechtes Vorurtheil gegen uns mit hinausnehmen möchten ! « sagte einer der Mönche . » Es wird geschehen ! « antwortete der Abt . » Amadeus soll uns im Conclave noch einmal darüber berichten . « Zu Konrad gewendet sagte er : » Führe die Steinmetzen in die Seitenhalle , in der sie das Material zu ihrer Arbeit finden werden , und versammle die andern Bauleute um sie , damit sie nach ihrer Vorschrift arbeiten . « Es geschah , wie er gesagt hatte . Ungefähr acht Mönche und Novizen , die nicht ganz unkundig der Kunst waren das Winkelmaß zu führen und mit dem Meißel zu arbeiten , waren zur Verfügung der Baubrüder und halfen diesen vorerst das Material ordnen u. s.w . Nach den Vorschriften der freien Maurer sowohl als der Klosterbrüder durfte bei der Arbeit weiter nichts gesprochen werden , als was unmittelbar zu ihr gehörte , und daran banden sich denn auch Alle . Nicht lange Zeit war vergangen , als Ulrich noch einmal in die nebenan liegende Kirche ging , um ein Maßbrett an die darin befindlichen Trümmer des Tabernakels zu halten . Ein Mönch knieete dabei – es war derselbe , der vorhin an dem dunklen Seitenaltar geknieet . Jetzt fuhr er empor . Ulrich erkannte in ihm den Bruder Amadeus . Der Augenblick war günstig ; es war Niemand weiter in der Kirche , als am Eingang ein Novize , welcher denselben kehrte . » Wir sind uns schon einmal begegnet , « sagte Ulrich leise , da der Mönch zusammenfuhr ; » mein Ungeschick riß das Kreuz von Eurem Rosenkranz – hier habe ich es Euch mitgebracht . « » Ihr erkennt mich wieder ? « sagte Amadeus . » Ja – und ich weiß auch Euren Namen : Amadeus . « » Nun wohl , « sagte dieser mit sonderbaren Blicken auf Ulrich schauend , » so behaltet das Kreuz als Andenken – an einen Mönch , der schon lange zu sterben wünschte und nun Euch sein Todesurtheil dankt . « Ulrich dachte : der Propst hat Recht – Amadeus scheint wahnsinnig zu sein . Amadeus mochte diesen Gedanken des Schweigenden errathen und fuhr fort : » Ich rede Wahrheit , wie Ihr sie geredet , Ulrich ! Du warst der Einzige , der kein Recht hatte mein Urtheil zu sprechen . Aus Liebe zu Dir beging ich den Frevel – ich wollte meine Hand segnend auf Deinen Scheitel legen – es ist meine Sühne , daß ich durch meinen Sohn sterbe ! Gott vergebe Dir , wenn es ein Vatermord ist , den Du auf Deine Seele ludest ! « Ein Mönch an einer Seitenpforte näherte sich und rief : » Bruder Amadeus ! « » Sie holen mich in's Gericht ! « flüsterte er noch Ulrich zu ; » lebe wohl und schweige . Lebt Deine Mutter noch und siehst Du sie wieder , so sage Ihr , daß Du sie an mir gerächt hast – und daß ich mit dem Namen Ulrike auf den Lippen sterben werde ! « Heftig eilte er davon . Ulrich sah ihm nach und fühlte sich von eigenthümlichem Grauen erfaßt . Was war das ? was hatte er gehört ? waren das die Worte eines Wahnsinnigen ? Fast schien es so . Und doch ! wenn sie mehr waren als Wahnsinn ? oder dieser Wahnsinn doch nur der Nachhall einer Wahrheit ? Wenn ein Zusammenhang war zwischen ihnen und denen , welche die Trunkenheit des Propstes schwatzte ? Ulrich hielt den zertrümmerten Engel in der Hand , der von dem Tabernakel herabgefallen – er hatte keine Flügel mehr . So erschien er sich selbst in diesem Augenblicke – so herabgestürzt und aller Schwingen der Kunstbegeisterung beraubt – er mußte sich gewaltsam zusammenraffen , um wieder zur Arbeit zurück zu seinen Genossen zu kehren . Siebentes Capitel Das Schönbartlaufen Ursula Muffel befand sich in einem Zustande des peinlichsten Harrens , schon seit sie gehört , daß der Reichstag in Nürnberg gehalten werde und daß Hans Tucher auch seinen Sohn Stephan in der Begleitung des Kaisers mit zurückerwarte . Aber dies Harren ward zur schrecklichsten Aufregung , als sie erfuhr , daß Stephan wirklich in den Schooß seiner Familie zurückgekehrt sei , daß er wie einst unter den Söhnen der Patrizier und Kaufleute Nürnbergs für den blühendsten und durch Ansehen und Haltung hervorstechendsten geltend , jetzt auch unter den königlichen Begleitern zu den stattlichsten und zu denjenigen zählte , die sich durch Pracht und Schmuck ihrer Kleidung von Andern auszeichneten und ebenso sorgfältig ihre Körpergaben pflegten . Ursula hörte , daß Stephan's Angesicht von Frohsinn , Gesundheit und Schönheit glänze – und ein Blick in ihren Spiegel warf ihr dafür nur ein angstvoll betrübtes Gesicht zurück . Er war da und kam nicht – das paßte nicht zu seiner sonst so feurigen Natur , der gegenüber sie ihre ganze Sittsamkeit hatte zusammennehmen müssen , um nicht dem Ungestüm der männlichen Leidenschaft zu erliegen . Und nun konnte er nach einer so langen Trennung zurückkehren , ohne Alles daran zu setzen , sie wiederzusehen ? – War er ihr untreu geworden ? hatten andere , verführerischere Frauen ihn verlockt – oder hatte er eine würdigere Gefährtin gefunden ? – Oder hatte er ihr entsagt aus Gehorsam gegen seinen Vater – oder vielleicht selbst aus Bürgerstolz , der es doch verschmähet , sich mit der Enkelin des Gerichteten zu verbinden ? – Oder hielt eine feindliche Macht sie getrennt ? hatte man ihm falsche Nachrichten von ihr gebracht – etwa daß sie ihm untreu sei ? oder entsagen wolle und müsse , oder wie sonst sich seiner unwürdig gemacht ? Alle diese Fragen erneuerten sich in Ursula mit fieberhaftem Ungestüm – und den größten Kampf kostete ihr gerade die letzte . Gewann diese die Wahrscheinlichkeit der Bejahung , dann war es ja an ihr zu dem Geliebten zu eilen , ihn von ihrer Treue , ihren unveränderten Empfindungen zu überzeugen . Aber sie hatte doch keine Bürgschaft für diese Ursache seines Zurückbleibens von ihr , und so hielt sie sich gewaltsam von einem solchen entscheidenden Schritt zurück , der ihren jungfräulichen Stolz und ihre keusche Mädchenzartheit dem Spotte und der Verachtung preisgeben konnte , wenn ihre Voraussetzung und mit ihr Stephan sie getäuscht . Die Anwesenheit des Grafen von Würtemberg und seines Gefolges in ihrem sonst so stillen Hauswesen , dessen Aufsicht sie führte , gab ihr wohl nebenher zu thun und zu denken in Menge , um so mehr , als Herr Gabriel Muffel mit seiner Bewirthung des hohen Gastes alle Ehre einlegen wollte , damit nicht die andern Genannten Ursache fänden , sich über ihn lustig zu machen , und das Hans von Tucher seinen Hochmuth nicht an ihm üben könne . Ursula mußte es sich auch darum um so angelegener sein lassen , sich selbst die Zufriedenheit ihres Vaters zu erwerben , als sie diese in andern Dingen verscherzt hatte : erst überhaupt durch ihr Liebesverhältniß mit Stephan und dann auch , als durch dessen Entfernung dieses dem Vater gelöst erschien , durch ihre Weigerung jedem andern Bewerber ihre Hand zu reichen . Zwar war der Vater auch tief bekümmert , daß er die einzige Tochter von Tag zu Tag trauriger und leidender werden sah – doch da er eben meinte , daß ihr Eigensinn dies selbst verschuldete , so ward er dadurch nicht milder gegen sie gestimmt . Jetzt , wo er hörte , daß Stephan mit dem König zurückgekommen und in seinem Gefolge den Ritter spielte , wo die Tucher und Holzschuher dafür sorgten , zu Muffel's Ohren gelangen zu lassen : wie viele schöne Edelfräulein ihr Herz an Stephan verloren , und wie er mit einem derselben bald Hochzeit halten werde – jetzt forderte er doppelt von der Tochter , daß sie vor den Leuten in gleich stolzer Haltung erscheine , und zürnte ihr doppelt , daß er sie ihnen nicht auch als Braut vorstellen konnte . Während er sonst an ihr mehr auf bürgerliche Einfachheit gehalten , verlangte er jetzt , daß sie auch in ihrer Kleidung mit den stolzesten Nürnbergerinnen wetteifere und bei keiner öffentlichen Lustbarkeit fehle . So , da die Fastnacht kam , sollte in wenig Tagen das » Schönbartlaufen « stattfinden , und zwar in der glänzendsten Weise , da der Reichstag versammelt war . Ursula wollte sich weder bei der Schlittenfahrt noch bei dem Ball , der ihr folgen sollte , betheiligen , aber ihr Vater bestand darauf , und da beides in Maskenanzügen vorgeschrieben war , ließ er ihr selbst dazu die schönsten bestellen . Es waren noch einige Tage bis dahin , und Ursula dachte darüber nach , wie sie dem entgehen könne ; denn wenn Stephan sie verlassen hatte , für den allein sie gelebt , so war sie fremd im Leben und es dünkte ihr nicht mehr hinein zu gehören : wenn er sie verstoßen und verachten konnte , so meinte sie die Verachtung der ganzen Welt auf sich geladen zu sehen , und ihren Hohn nicht nur zu finden , sondern auch zu verdienen . So saß sie an einem früh hereingebrochenen Winterabend allein in ihrem Gemach . Der Burggraf von Zollern hatte an diesem Tag eine Jagd im nahen Forst veranstaltet , welcher die meisten Fürsten und Herren beiwohnten . Auch der Graf von Würtemberg war mit den meisten seines Gefolges dabei , ebenso ein Theil der Nürnberger Rathsherren , darunter auch Herr Muffel . Unter ein paar Stunden war wohl noch Niemand zurück zu erwarten . Ursula konnte sich einmal ihrem Schmerze überlassen . Von innerem Frost geschüttelt saß sie am Kamin , dessen nicht mehr hell lodernde Gluth einen milden Schimmer auf ihr bleiches Antlitz warf . Wehmüthig blickte sie auf das helle Grün ihres Kleides , dessen Farbe der Hoffnung sie zu höhnen schien . Ihre kleinen Hände , zart und durchsichtig wie Milchglas , ruhten gefaltet in ihrem Schooß . Es war immer dasselbe Gebet , das sie betete zur Mutter Gottes und zu allen Heiligen : ihr Stephan wiederzugeben oder sie abzurufen von der verödeten Erde ! Und wie sie schon hundertmal gethan , zog sie die goldene Kapsel hervor , die Stephan's von Meister Wohlgemuth in Miniatur gemaltes Conterfei verschloß , das er ihr beim Abschied geschenkt . Sie küßte das Bild und flehte , ihn nur noch einmal wiedersehen , noch einmal so küssen zu können – und dabei lächelte sie unter Thränen – – Da klangen draußen hastige Männertritte – sie näherten sich ihrem Gemach – vielleicht Einer von des Grafen Leuten , der im Dunkeln fehl gegangen , denn diesem abgelegenen Zimmer kam Niemand nahe , der nicht ausdrücklich zu ihr gesandt war – schon ruckte die Thürklinke – oder war es ihr Vater , der früher zurückkam ? – vor ihm hatte sie Stephan's Bild , das Tag und Nacht tief verborgen an ihrer Brust ruhte , immer sorgsam verhehlt – sie wollte es schnell verstecken , aber das Kettlein verwickelte sich in die steifen Zacken des Spitzenkragens , der ihren Busen umgab – die Thür sprang auf und ein Mann in einem schwarzen Mantel gehüllt stand vor ihr . Sie fuhr empor und rief : » Was dringt Ihr hier ein – Niemanden geziemt hier der Zutritt ! « Aber ungestüm faßte er sie in seine Arme und rief : » Auch mir nicht ? « Der Mantel sank von seinem Haupt wie von seiner Schulter und zeigte Stephan's ritterliche Gestalt . » Stephan ! « rief Ursula mit dem Jubellaute des Entzückens mitten im Schrecken ; aber jener war noch mächtiger bei der durch Gemüthskämpfe körperlich leidend gewordenen zarten Jungfrau – ohnmächtig lag sie in seinen Armen . Er trug sie auf das Sopha und lehnte sie an sich . Er sah sein Bild offen vor sich , das Zeichen ihrer Treue – einen Augenblick sah er voll Mitleid und aufsteigender Selbstvorwürfe auf die bleiche Geliebte , die der Gram um ihn vielleicht bald ganz zu Grunde gerichtet ; aber schnell schützte er sich vor jedem Gewissensskrupel mit der eitlen Meinung , daß er wieder gut machen könne , was er verbrach , und mit dem würdigen Vorsatz , es wirklich zu thun . Er rief Ursula mit den zärtlichsten Namen und bedeckte sie mit seinen Küssen . Da schlug sie die Augen auf und rief : Stephan – Du bist es wirklich – Du bist noch wie einst ! « Er antwortete ihr mit Liebkosungen und rief : » O wohl mir , wenn Du auch bist wie einst ! – Ich konnte es nicht länger ertragen , ich mußte Dich sehen , geschah es auch , indem ich ein gegebenes Wort gebrochen . « » Du hast Dein Wort gegeben , mich nicht zu sehen ? « rief sie und machte sich von ihm los . » Du hast mir nicht geschrieben – Du bist schon einige Tage hier – Andere sagten es mir – ich sah Dich nicht – ich hoffte umsonst auf ein Zeichen ach ! ich weiß es wohl , die Väter nähren noch den alten Groll – aber Du selbst , Du hast mich gelehrt , daß Liebe stärker sein soll als väterliche Gewalt – « » Und darum bin ich hier ! « rief er ; » nur einen kurzen Augenblick . Ich benutzte die Dunkelheit und die Abwesenheit Deines Vaters wie der Andern , um zu Dir zu dringen . Niemand darf es wissen – nur Elisabeth Scheurl . « » Ach , ich habe auch vergeblich auf sie gezählt ! « rief Ursula ; » seit der König hier ist , habe ich auch kein Wort von ihr gehört , und sie hatte mir doch gleich Nachricht geben wollen – über Dich . « Erst gestern habe ich mit ihr vertraulich sprechen können , « sagte Stephan , » und sie ist wohl auch viel mit sich selbst beschäftigt – Alles erklärt sich später . Nur wenige Minuten kann ich bei Dir weilen , ich konnte es nur nicht länger ertragen Dich nicht zu sehen – ich mußte die Gewißheit Deiner Liebe von Deinen Lippen holen ! « » Hast Du je an mir zweifeln können ? « fragte sie unter seinen Küssen . » Man sagte mir , daß Du eine Braut des Himmels geworden , « antwortete Stephan ; » Du hattest mir mit diesem Entschluß schon früher gedroht , ich mußte daran glauben , da ich kein Lebenszeichen von Dir empfing . « » Aber wie war es möglich , daß Du – « Er ließ Ursula nicht ausreden . » Wir haben jetzt keine Zeit zu Fragen und Erklärungen ; lesen wir nicht Eines in den Augen des Andern , fühlen wir nicht am Schlagen unserer Herzen , daß wir einander angehören wie einst ? In drei Tagen sehen wir uns beim Schönbartlausen , und dann wird sich Alles erklären und entscheiden . Du wärest doch dazu gekommen ? « » Nur wenn mich mein Vater gezwungen , « antwortete sie : » ich habe mich bis jetzt geweigert ! « Nun , so laß Dich zwingen ! « antwortete er heiter , » und zu dem Maskenfest am Abend erlaube mir , daß ich Dir selbst den Maskenanzug schicke , damit ich Dich aus Tausenden sogleich erkenne . Ich erscheine in der prächtigen Tracht eines Sarazenen und werde mich Dir schon bemerklich machen . Bis dahin glaube und liebe und hoffe ! Ein neues Leben wird uns seine goldenen Thore öffnen ! « » O ich fühle es schon in mir , seit Du bei mir bist ! « rief sie mit seligem Lächeln . » Aber verrathe mich nicht ! « bat er wiederholt ; » indem ich zu Dir mich schlich , that ich , was ich nicht lassen konnte ; aber Niemand darf es erfahren – am wenigsten der König . « » König Max ? « fragte Ursula ; » was geht es ihn an ? « » Frage mich nicht – ich muß scheiden ! « und obwohl er so sprach und schon beide aufgestanden waren , verrann doch Minute nach Minute , ehe der letzte Kuß gegeben und das letzte zärtliche Lebewohl gesprochen war . – Da er fort war , sank Ursula auf ihre Kniee und weinte wie ein Kind . Jetzt erst , mitten in diesem plötzlichen Glück , kamen alle verhaltenen Thränen ihres Unglücks zum Ausbruch . Jetzt erst , wo alles , was sie indeß bei dem Gedanken gelitten , daß ihr Stephan könne genommen sein , genommen durch das Schrecklichste , was einem liebenden Wesen begegnen kann : durch Untreue , wie eine Last , unter der sie Tag und Nacht nur seufzend zu athmen vermochte , von ihr abgesunken – jetzt erst wagte sie einen vollen Blick auf die Größe derselben und in den Abgrund von Leid und Lebensöde , der neben ihr immer offen gegähnt hatte . Jetzt , wo die Gefahr überstanden war , wo nach einer furchtbaren Nacht eine leuchtende Sonne ihr aufgegangen , schaute sie noch einmal bebend zurück in die Nacht – und dankte inbrünstig dann dem Herrn , der sie nun in demselben Augenblick verscheucht , in dem Ursula noch unter den bängsten Zweifeln und Schmerzen gerungen hatte . Zwar wußte sie weder , was indeß geschehen war , noch was geschehen sollte – was sie indeß zu fürchten gehabt , noch was sie zu hoffen hatte – indeß , sie fragte nicht darnach . Sie hatte Stephan wiedergesehen , er war zu ihr mit der alten Liebe und Zärtlichkeit zurückgekehrt – noch fühlte sie seine heißen Küsse im Nachhall der Empfindung , das genügte ja , ihr Herz mit Jubel zu erfüllen und ihre Seele mit Freudigkeit neuer Hoffnung und dem Muth gegen alle Hemmnisse ihres Liebesglückes zu kämpfen . Vielleicht war es gut , daß ihr bald heimkehrender Vater etwas berauscht war und sich darum sofort niederlegte , sonst wäre ihm vielleicht die Veränderung aufgefallen , die indeß mit seiner Tochter vorgegangen ; denn das erneute Liebesglück hatte ihre erst gebleichten Wangen geröthet , und der Wiederschein einer Seligkeit , die sie plötzlich überkommen , strahlte aus ihren Augen und von ihrer Stirn . Am andern Tage , wo sich die hochgehenden Wogen des Entzückens ein wenig gelagert hatten , zeigte sie dem Vater ein ruhig heiteres Wesen , und er war seit langer Zeit einmal zufrieden mit ihr , als sie sich als gehorsame Tochter bereit zeigte , dem Schönbartlaufen beizuwohnen und nur sagte , er müsse ihr auch den Scherz gestatten , am Abend in einer Maske zu erscheinen , die er selbst zuvor nicht sehen dürfe – sie möge gern wissen , ob der eigene Vater sie wiedererkennen werde . Gabriel Muffel war wohl damit zufrieden , und machte ihr nur zur Bedingung , daß die Maske recht schön und reich sein müsse , damit sie nicht einfacher , sondern wo möglich prächtiger erscheine als andere Rathsherrentöchter . Das in Nürnberg als Fastnachtsfest eingeführte » Schönbartlaufen « stammte vom Jahre 1349 . Damals hatte die Fleischerzunft von Nürnberg bei einem Aufstand der andern Zechen dem Rathe ihre Treue erwiesen und dafür von Kaiser Karl IV. einen Freibrief auf einen öffentlichen Aufzug in Larven erhalten , welcher das » Schönbartlaufen « genannt ward . Als der dazu gehörige Aufwand anfing der Fleischerzunft beschwerlich zu werden , trat aus den höheren Ständen eine Gesellschaft zusammen , welche ihr zur Aufrechterhaltung und Vervollkommnung dieses Festzuges behülflich war , und am Ende denselben unter dem Namen der Fleischer ganz an sich brachte . Es waren meist junge Patrizier , und der Rath ordnete ihnen förmliche Hauptleute bei , welche zugleich die Züge anführen und auf Ordnung sehen mußten . Wie an jenem Sommertage , an welchem König Max einzog , so war auch an dem sonnigen , aber kalten Wintertage , an welchem das Schönbartlaufen stattfand , Ursula Muffel bei Elisabeth Scheurl , um aus deren Chörlein den Zug mit anzusehen . Die Reichstagsmitglieder waren auf dem Rathhaus versammelt , vor welchem jener begann und wieder endete . Die Betheiligung der Frauen dabei war keine andere , als daß sie an den offenen Fenstern standen , die Vorüberziehenden mit Backwerk warfen und dafür von ihnen mit Tannenzweiglein statt Blumen beworfen oder mit Rosenwasser bespritzt wurden . Elisabeth und Ursula erschienen in kostbare Pelze gehüllt und die Gesichter nur so weit verschleiert , daß sie selbst bequem um sich sehen konnten , an dem geöffneten Fenster des Chörlein . Sie hatten seit der Reichstag begonnen einander heute zum ersten Male wiedergesehen , und Ursula hätte von Elisabeth gern mehr über Stephan erfahren ; aber Elisabeth wich ihren Fragen aus , beschwor sie nicht zu verrathen , daß sie ihn gesehen , und nur bis zum Festabend in fröhlicher Hoffnung zu warten , an dem sich ihr ja Alles erklären werde .