Georg Weerth Fragment eines Romans Seitwärts vom Rhein , in einem reizenden Tale , liegt das Jagdschloß des Baron d' Eyncourt . Ein altes , wunderliches Gebäude mit kleinen Fenstern und ungeheuerm Giebel , halb bedeckt von Efeu und Weinranken , die bis oben aufs Dach gewachsen sind , von wo sie in dichten , buschigen Matten wieder nach den Seiten zu hinunterhängen . Uralte Walnußbäume bilden mit ihren riesigen Ästen und den großen tiefgrünen Blättern den Hintergrund des Gebäudes . Nach vorne dehnt sich bis zu dem schmalen Wege , der nach dem nächsten Dorfe führt , ein weiter , geräumiger Garten , dessen ganze Einrichtung auf den ersten Blick verrät , daß man wenig Sorgfalt mehr auf die Erhaltung früherer Anlagen verwendet und Stauden durcheinanderwachsen läßt , wie es ihnen gefällt ; nur unmittelbar unter den Fenstern des Schlosses scheint noch eine ordnende Hand der lustig sprossenden Rosen und Nelken zu warten ; von vier oder fünf Wasserbächen , die durch den Garten verteilt sind , sprudelt auch hier noch ein kristallener Strahl aus dem Marmorbehälter und wirft seine zitternden Perlen rechts und links auf die Kelche der Blumen . Sorglos , als wüßten sie , daß niemand ihren Gesang unterbrechen würde , durchjubeln die Spatzen diese reizende Wildnis und ziehen sich nur ärgerlich in das Gezweig der Holunderbüsche zurück , wenn oft vom nahen Walde herüber die Amseln kommen oder andere schönere Vögel , welche sich den Garten des Schlosses als allgemeines Rendezvous erwählt zu haben scheinen und dann ihre melodische Unterredung beginnen , mit soviel Takt , in so hübschen Kadenzen , daß jedem ehrlichen Mann das Herz im Leibe lacht , daß aber jeder ehrliche Spatz vor Neid und Ärger vergehen möchte . Das einzige , was die heiteren Meetings der gefiederten Gesellen bisweilen unterbricht und den ganzen Konvent im Nu auseinanderjagt , ist die große rotbraune Angorakatze , die langjährige Bewohnerin des Schlosses , die alle Ecken und Winkel des Gebäudes und des Gartens kennt und sich gewissermaßen als Statthalterin des Besitztums betrachtet , wenn die Herrschaft verreist , in der Stadt weilt . Schlummernd kauert sie auf der Schwelle der Gartentüre , in Traum und Gedanken versunken . Alles ist still . – Da beginnt das Vogelkonzert : die Amsel ruft , es zwitschert der Stieglitz , der Buchfinke schreit , und es lärmen die Spatzen . Sie erwacht , sie rümpft die Nase , die langen Spürhaare bewegen sich dreimal und viermal , ein unbehagliches Knurren und Murren dringt durch die halbgeöffnete zierliche Schnauze , und unheimlich blinzeln die grünen Augen durch die schützenden Wimpern . Es ist hart , so im besten Träumen gestört zu werden – in Träumen , wer weiß worin , in Träumen , wer weiß worüber- , wo man sich vielleicht für eine verwunschene Prinzessin hielt , für eine reiche Äbtissin , für eine himmlische Unschuld – und ach ! und wo man dann doch zuletzt nur eine alte Katze ist . Aber wer weiß , wovon die Katzen träumen ? Genug , unsre Angorakatze erwacht . Sacht und behutsam gleiten die zwei schneeweißen reinlichen Vorderpfoten aus dem warmen Pelze , erst kaum bemerkbar , allmählich deutlicher , schimmernd in ihrer ganzen krallengeschmückten Schönheit , und stemmen sich endlich fest und sicher auf den Boden . Die Hinterpfoten , weniger glänzend und mehr braungestreift und gesprenkelt , folgen sofort dem Beispiel der beiden vordern , schieben die blanken Tatzen vorsichtig unter die Rundung des glatten Leibes , jetzt das Holz der Schwelle kräftiger packend und den ganzen Körper emporhebend , mit dem buckligen Rückgrat , mit dem wedelnden Schweif und dem drohenden Haupte , das sich stolz in den Nacken wirft , die Augen wild funkeln läßt und noch einmal weit aufgähnend seine rosenrote Höhle zeigt und die Reihen blitzender , scharfgeschliffener Zähne . Ein Satz , und sie verschwindet im Gebüsch . Lebhaft unterhalten sich indes in den Zweigen des großen Oleanders die Vögel von ihren wichtigsten Angelegenheiten . Ein Zeisig schreit , als wäre er außer sich ; wahrscheinlich jammert er über ein Mitglied seiner Familie , das sich aus Versehen in den Schlingen fing , die eigentlich für viel bessere , große Vögel gelegt waren , für Amseln und Tauben etwa . Eine sonst sehr sanfte Lachtaube kichert daher laut auf und freut sich nicht wenig , daß sie durch die Intervention des Zeisigs gerettet worden ist . Über diese Schadenfreude entzürnen sich aber die andern , so daß bald vor allem Klagen , Lachen und Schelten niemand den andern mehr verstehen kann und ein alter Spatz , halb vor Wut erstickt , den heiligen Schwur tut , nimmer in so unmoralischer Gesellschaft die Rednerbühne wieder zu besteigen . Da hat sich die Katze an den Fuß des Baumes geschlichen . Zum Sprunge sich rüstend , setzt sie sich auf die Hinterbeine , peitscht mit dem Schwanz den Boden , und , den Blick nur nach oben gerichtet , zerstört sie , die Fürchterliche , in einem Nu die künstlichen Bauten eines redlichen , arbeitsamen Ameisenvolks , indem sie die eben noch so glücklichen Bürger rechts und links aus den Wohnungen geißelt . Da ist sie fertig . Zischend und sprudelnd fliegt sie am Stamm des Baumes hinan und – husch ! verschwinden die Vögel . Alles wieder still . So geht es im Garten her . Hat die Katze ihren Streifzug beendet , da kehrt sie ruhig zurück in den Hof des Schlosses , innerlich lachend über die dummen Vögel , welche sich noch immer vor ihr fürchten , sie , die so leicht sind und so lustig beschwingt , daß sie sicher die Lüfte durchjubeln können , wenn eine arme Katze an den lieben , trockenen Boden gefesselt ist mit den lieben vier zierlichen Beinen . Die Katze muß wirklich jedesmal lachen und schleicht dann zu dem kleinen , grünbemalten Hause am Fuße eines Walnußbaums , wo sie einen alten Freund wohnen hat , einen alten Praktikus , mit dem sie schon lange in stillem , zärtlichem Einverständnis steht , nach treuer Übereinkunft geschlossen vor Jahren und selten verletzt . Die Angorakatze besucht nämlich Nero , den alten Hofhund . Früher haßten sie einander schrecklich , als das Blut noch ungestüm in den Adern floß , und manche Fehde entbrannte , die nur der Stiefelknecht des Kutschers oder die Feuerzange der Köchin zu schlichten vermochte . Als aber die Zeit und die Erfahrung den Mut in der Brust gedämpft hatten , als sie beide einsahen , daß alles übel ist auf dieser Welt , da schlossen sie Frieden und versprachen lieber , einander beizustehen mit Rat und Tat in den Bedrängnissen eines schlimmen Jahrhunderts . Und also groß ist ihre Freundschaft geworden , daß die Katze , wenn sie den guten Nero im Schlafe findet , nicht das geringste Geräusch macht , um ihn zu erwecken , sondern sich zu ihm setzt , ihm die Fliegen fortscheucht und die Narben ihm leckt , die entsetzlichen Narben verschollener Schlachten . Erwacht dann Nero , so schauen sie sich diplomatisch innig an und gedenken der Tage der Jugend . Die schöne Katze , der treffliche Nero ! Friedlich verbringen sie ihre Tage . Sie ruhen auf ihren Lorbeeren ; und wie die Katze mehr zum Spaß als zum Ernst oft noch nach Amseln schnappt und pfiffigen Spatzen , so fühlt Nero sich auch nur im Traum oft noch auf der Jagd und fährt dann empor mit der alten Wildheit , das Stroh seines Lagers durchwühlend , heulend und hinauf stierend in die düstern Wipfel des Walnußbaumes . Die Stunde , zu der wir die halbverwilderte Besitzung des Baron d' Eyncourt betreten , ist die siebente des Abends ; die Sonne neigt sich den Bergen zu – noch eine kleine Weile , da wird jenseits der Rhein in ihren letzten Strahlen zu leuchten beginnen , schon färben die Wipfel der Bäume sich purpurrot , golden wogen die Felder , und stiller und feierlicher wird es rings um das alte efeubehangene Schloß . Wir lauschen noch , ob denn niemand sich regt , nicht ein einziger menschlicher Bewohner des finstern Gebäudes , da öffnet sich eine kleine Seitentür und , das Haupt mit schneeweißem Haare geschmückt , wandelt ein sehr bejahrter Mann langsam die moosige Steintreppe hinab in den schon halb düstern Hofraum . Es ist der alte Bediente des Barons , Jean Baptiste , grau und weiß geworden im Dienste seines Herrn , des einzigen Herrn , den er jemals hatte . Er legt die Hände auf den Rücken und spaziert auf und ab unter den riesigen Bäumen , jedesmal einen Augenblick innehaltend , wenn er an die Ecken des Hauses kommt , um über den Garten hinweg das Tal hinunterzuschauen , als ob er jemand erwarte , der dem Schlosse zueilen werde . Niemand könnte besser zu der ganzen Umgebung passen als der alte Jean Baptiste – er ist auch so ein zahmer , treuer Hofhund , grade wie der Nero , und beide lieben sich auch , als wenn sie wüßten , daß sie Ähnlichkeit miteinander hätten . Sinnend bleibt der alte Diener vor dem kleinen Hause des Hundes stehn , der auch bald seinen Freund bemerkt und herausschaut , als wollte er sagen : » Jean Baptiste , guten Abend , Jean Baptiste « , und : » Guten Abend , Nero « , murmelt unwillkürlich der alte Diener , und wie Mann und Hund sich freundlich begrüßen , sieh , da kommt von der andern Seite auch schon die große Angorakatze schnurrend und spinnend und reibt den Kopf an den ledernen Gamaschen des Hausfreunds , so daß Jean Baptiste sich bald hierhin , bald dorthin wenden muß , um die Karessen seiner beiden Bekannten in gehöriger Weise zu erwidern . .– . Da klang in der Ferne das Rasseln eines Wagens . Jean Baptiste eilte rasch hinaus . Er hatte sich nicht geirrt . Es war der Baron , der mit seiner Tochter aus der Stadt zurückkehrte . Das große Gittertor war schon geöffnet , die Hufe der Pferde klirrten bald auf dem Steinpflaster des Hofes , und der Wagen hielt vor der breiten Treppe des Gartensaales . Freundlich grüßend stieg der Baron aus . Eine schlanke , schöne Gestalt von militärischer Haltung , fast zu jugendlich für das Alter , das den Glanz der braunen Haare und des kräftigen Schnurrbarts bereits in Silbergrau verwandelt hatte . Die prächtige Stirn , das feine Profil und die lebendig funkelnden Augen des alten Adligen gewannen auf der Stelle , und wenn man hiernach gestehen mußte , daß man einen Mann vor sich habe , welcher von trefflicher , nobler Rasse abzustammen schien , so bewiesen zu gleicher Zeit die stets graziösen Bewegungen seines elegant geformten Körpers , daß dieser auch einst eine gute Schule durchgemacht hatte . Rasch übergab der Baron dem dienstfertigen Jean Baptiste eine Rolle Karten und Papiere und wandte sich dann nach dem Wagen zurück , aus dem ihm die lächelnde Tochter schon leicht beflügelt nacheilte . » Da sind wir wieder in unsrer schönen Wildnis , liebes Kind , in unserm grauen Besitz « , und Vater und Tochter wandelten hinauf in das alte Gemach , durch dessen schwere rotseidene Vorhänge die letzten Strahlen des Abendlichtes zitternd niederfielen . Jean Baptiste hatte indes die Lichter des Kronleuchters angezündet , der von dem Getäfel der Decke niederhing und einen Tisch beleuchtete , auf dem Bilder und Bücher in buntem Gemisch durcheinanderlagen . Allmählich erhellten sich auch die entfernteren Teile des Zimmers , die bei den kleinen , niedrigen Fenstern des alten Gebäudes längst in tiefe Dämmerung gehüllt waren . Die gewirkten Tapeten , die von den Wänden niederhingen , zeigten jetzt ihre seltsamen Gestalten , Bärenhetzen und Hirschjagden mit Jägern und Hunden , wie sie die Hand des Künstlers gezeichnet und das Geschick eines fleißigen Webers in Stoffen nachgebildet . Dann einige Ölgemälde in kolossalen , vergoldeten Rahmen , die Porträts längst verschollener Vorfahren , einige noch im Harnisch , mit bunter Schärpe darüber , andre in grünem Jagdkleid , die Falkenfeder am Hut , die letzten in modernem Gewand , und an dem Fuß eines jeden Bildes das Wappen des Hauses . Ferner der breite Kamin mit dem Marmorgesims , über ihm der phantastisch gerahmte Spiegel , mit halbverdorrten Kränzen und Girlanden darauf , Trophäen und Erinnerungen vergangener fröhlicher Zeiten , die mit Gold und Elfenbein zierlich ausgelegten Mahagonischränke in den zwei hinteren Ecken des Gemaches , die gewaltigen Sessel mit hoher Lehne , geschnitzt in gotischem Stile , oder endlich der vom Alter gebräunte Boden , in der Mitte bedeckt mit dem Brüsseler Teppich – alles , was vergangene Tage für schön und komfortabel gehalten , hier war es beieinander , düster und unfreundlich zwar für das Auge , das an die lichte Pracht moderner Gemächer gewöhnt ist , aber traulich und erheiternd für die Sprossen eines alten Geschlechts , die durch diese ganze Umgebung sich gern an die Freuden und Launen ihrer Ahnen erinnern ließen . Der Baron hatte sich in einen Sessel niedergelassen und die Papierrolle geöffnet , welche er von der Stadt herüberbrachte . Sie mußte wichtige Sachen enthalten , denn er fuhr emsig im Lesen fort , was sonst gar nicht seine Gewohnheit war . Dem alten Edelmanne war nichts verhaßter , als sich mit Briefen , Berichten , Dokumenten oder gar mit Rechnungen zu befassen , was er stets seinem Schreiber oder Notar überwies . Dem letzteren hatte er heute einen Besuch abgestattet und schien grade keine sehr erfreulichen Nachrichten davongetragen zu haben , denn trotz der scheinbaren Heiterkeit , die er stets in Gegenwart anderer beizubehalten wußte , lag doch heute eine gewisse Besorgnis auf der sonst so freien Stirn . Bertha wagte lange nicht , ihren Vater im Lesen zu stören ; schon zehnmal hatte sie etwas Verschiedenes angefangen , um die Zeit zu kürzen , und warf endlich ärgerlich Bücher und Handarbeiten beiseite , indem sie das zierliche Kinn auf den Rücken der Hand stützte und manchmal ihre klugen Augen seitwärts zum schweigenden Vater hinüberschweifen ließ . Es wurde ihr so unheimlich heute abend zumute , sie wußte selbst nicht warum , und als wieder eine halbe Stunde verflossen war , in welcher der Vater nicht ein Wörtchen gesprochen , nicht einmal vom Papier aufgesehen hatte , da konnte sie es nicht länger aushallen , sie sprang vom Sitze empor , bog sich über die Lehne des Sessels , und des Vaters Stirne küssend , bat sie ihn in wehmütigem Tone , doch nur ein einziges Mal aufzusehen , doch nur ein Wörtchen mit seinem Kinde zu sprechen . » Gewiß , der dumme Notar in der Stadt ist an allem schuld , ich weiß es , ich kann es mir denken , wirf die häßlichen Papiere fort ! « Und sich dicht vor den Sessel drängend , legte sie dann ihre Hände auf die Schultern des Vaters und sah ihn nochmals bittend an . Der Baron , noch halb betäubt von alledem , was er gelesen , und verwundert über das Ungestüm seines Kindes , blickte einen Augenblick auf , ohne etwas zu erwidern . » Und du sagst nichts , lieber Vater ? « » Komm in meine Arme , Bertha ! Du hast recht , es ist unverzeihlich , daß wir uns den ganzen Abend noch nichts erzählt haben , aber du siehst , ich bin sehr beschäftigt , ich habe viel zu tun , der Notar – « » Ja , der Notar – ich wußte es wohl ! « » Der Notar hat mir manches zu lesen gegeben , und das will erledigt sein ! « Ich will es dir vorlesen . « Und da griff Bertha unwillkürlich nach den Papieren , die der Vater eben auf den Tisch gelegt hatte . » Halt , mein Kind ! Laß sie ruhig liegen , du kannst sie nicht lesen , und es sind auch wenig erfreuliche Sachen , die weder dir noch mir viel Vergnügen machen würden . « » Habe ich es doch gedacht ! – Du bist noch niemals froh gewesen , wenn du vom Notar zurückkamst , aber heute , mit der Papierrolle , das merkte ich gleich , daß uns das den Abend verderben würde ; und sieh , wenn du es mir nicht übelnehmen willst , so will ich dir gestehen , daß ich dich eben während dem Lesen etwas beobachtet habe , und ganz finster hast du oft mit deinen Augbrauen gezuckt – komm , lieber Vater , wirf die häßlichen Papiere fort ! « Und Bertha zögerte auch keinen Augenblick , das Paket zu ergreifen und es weit fort in die Ecke eines Sofas zu schleudern , so daß einige Blätter sich lösten und wild durch den Saal flatterten . » Ja , wirf sie nur fort , liebes Kind ! « – und mit einem etwas gezwungenen Lächeln schob der Baron , ans Fenster tretend , die rauschenden Vorhänge zurück und blickte lange schweigend in das mondhelle Tal hinaus . » Das ist eine herrliche Nacht ! « flüsterte Bertha , die ihrem Vater leis nachgeschlichen war und sich dicht hinter ihn gestellt hatte . » Sieh nur , man kann die fernsten Gegenstände erkennen , wie ein silberweißer Faden läuft der Weg hinter dem Garten her nach dem Dorf zu , rechts und links die Marienbilder , halb in den Kornfeldern stehend , und weiter nach den Seiten der Berge zu die Gärten , so hell vom Monde beschienen , daß man jeden Weinstock von hier aus zählen könnte , und den Kirchturm im Dorfe sieht man ganz genau aus dem Duft des Rheintales emporragen . Im hellen Sonnenscheine sehen wir alles das freilich den ganzen Tag vor uns , aber bei Nacht bekommt jeder Gegenstand eine so ungewohnte und geheimnisvolle Färbung , daß man sich aufs neue daran ergötzt . Ach , die Welt ist doch so schön ! Nicht wahr , lieber Vater ? « Der Baron schwieg . Bertha erschrak darüber unwillkürlich und sah den Vater aufmerksamer an . Unverwandt war sein Blick in die Weite gerichtet ; regungslos ruhte seine Hand auf dem Griffe des Fensters . » Was ist dir , lieber Vater ? « fragte ihn die Tochter mit so lieblicher Stimme , daß es bis in das Innerste seines Herzens drang . » Was fehlt dir ? Du bist so ernst heute abend . « » Laß mich , mein Kind ! « erwiderte der Baron und wandte sich in das Zimmer zurück . » Nein , ich lasse dich nicht ! Ach , sage deiner Bertha , warum du traurig bist , sag mir , woran du denkst ! « » Liebes Kind , mußt du denn alles wissen ? « » Gewiß , ich muß ! « » Nun wohl , ich dachte daran , was du wohl sagen würdest , wenn ich und du und Jean Baptiste und Max mit seinen beiden Rossen und unser treuer Nero – kurz , wenn wir allesamt an einem frühen Morgen für lange Zeit , vielleicht für immer dies schöne Tal und unser altes Kastell verließen . « » Wie , das Kastell verlassen – für lange Zeit – vielleicht für immer ? Lieber Vater – « » Ja , ja ! Und weit fort von hier zögen , in eine fremde Stadt , in ein fremdes Land , wo uns niemand kennt , wo wir niemanden kennen , dort zu leben und zu wohnen und zu – sterben – vielleicht – sprich , liebe Bertha , was würdest du dazu sagen ? « » Es ist nicht möglich ! Ist es denn nicht herrlich genug hier ? Gibt es einen Strom in der Welt , der stolzer dahinrollte , dessen blitzende Fläche reizendere Ufer widerspiegelte , dessen Hügel vollere Trauben trügen , dessen Sagen und Märchen lieblicher in unser Ohr klängen als die unsres gewaltigen Rheines ? Sage mir , rauscht ein zweiter Rhein auf der Erde ? « » Gewiß nicht , mein Kind . « » Und gibt es ein zweites Tal , rechts oder links , so weit dieser Rhein die Felsen durchfurcht , das freundlicher wäre als das unsere , wo das Korn höher steht , wo die Rosen üppiger wachsen , wo die Lerche jubelnder aufsteigt und die Nachtigall wehmütiger singt , wenn der Abendstern still zu uns herüberschaut ? « » Gewiß , meine Bertha , ich weiß kein schöneres ! « » Und findest du Menschen , die dich lieber haben könnten als die , welche uns hier umgeben , die du alle bei Namen kennst von Jugend auf , in deren Hütten du gesessen , die du unterstützt in der Not , denen du jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehst und die dich alle verehren wie ihren Herrn und Vater ? « » Du hast recht , mein Kind , wir haben viele arme Freunde ! « » Oder gefällt dir unsre alte Wohnung nicht mehr ? Die grauen Giebel , mit Efeu , Reben und Nußlaub geschmückt , die Treppen , überwuchert von Blumen , und die kleinen Fenster , strahlend in lustigen Farben ? Oder liebst du diese grauen Gemächer nicht mehr , mit demselben Gerät , das alle unsere Ahnen besaßen , diese Bilder , diese Vasen , diese Sessel , jedes eine Erinnerung , jedes ein Andenken an ein Geschlecht , das dreihundert Jahre lang gern und froh hier geweilt hat ? « Bertha schwieg und sah ihren Vater unverwandt an . Der Baron war in den Hintergrund des Zimmers getreten , den Kopf tief gesenkt , die Arme über der Brust übereinanderschlagend ; jetzt kehrte er zurück , und vor den Sessel tretend , auf welchem Bertha saß , hob er plötzlich stolz sein graues Haupt empor , in entschiedenem Tone fragend : » Und wenn wir trotz aller unsrer Liebe den Rhein und dies Tal und dies Haus verlassen müssen ? « » Müssen ? « erwiderte Bertha mehr verwundert als erschrocken . » Jawohl , verlassen müssen ! « rief der Baron aufs neue . » Wenn es uns die – Ehre geböte , was würde dann meine Tochter sagen ? « » Wo unsre Ahnen mit Ehren jahrhundertelang gewohnt haben , da wird die Ehre den Aufenthalt nimmer verbieten . « Berthas Augen blitzten . Ein höheres Rot flog über ihre zarten Wangen . » Ha , wer wollte uns von hier vertreiben ? Ich weiß , lieber Vater , daß du manche Kränkungen in der letzten Zeit erduldet hast , man hat dich belogen und betrogen und verleumdet – aber ist das ein Grund , um dich zurückzuziehen ? Die Ehre gebietet dir gerade , auf dem Fleck zu bleiben ! Jene schlechten Gesellen , welche unsre armen Nachbarn stets drücken und plagen , denen du stets kräftig entgegengetreten bist wie ein Mensch und Edelmann , sie werden sich noch vor dir beugen müssen , über kurz oder lang , und dein Name und unser Name , er wird gefeiert bleiben , solange der Rhein an den Hütten der Armen vorüberrauscht . « » Liebes , braves Kind ! Oh , es kann mich wütend machen , wenn ich nur halb daran denke , daß jene schlechten Buben dich je veranlassen könnten , auch nur einen Zollbreit nachzugeben ; und es ist doch unmöglich , du wirst es nicht tun – ach , ich bin ein lächerliches Mädchen . – Du weißt , vor einiger Zeit wollten die Fischersleute unten im Dorf ihre zwei prächtigen Knaben , der eine kaum zwölf , der andre erst vierzehn Jahre alt , nach der Stadt in den Dienst schicken , weil man den Kindern einen guten Lohn versprochen hatte . Du rietest den Eltern davon ab , weil man dort die armen Jungen gewöhnlich schon nach ein paar Jahren mit aller Arbeit zugrunde richtet , und die beiden Knaben wurden dann auch auf dem Lande gelassen . Das soll aber den Herrn in der Stadt entsetzlich verdrossen haben , so daß er auf der Stelle den Schwur tat , er werde dich dafür packen , koste es , was es wolle , und die Gelegenheit solle sich schon finden . Auch andere ähnliche Sachen haben mir die Leute im Dorfe schon erzählt , und , lache mich nicht aus , lieber Vater , ich setzte es mir in den Kopf , jene schlechten Menschen könnten vielleicht ihre Drohungen einmal in Erfüllung gehen lassen – unser alter Nero ist mit der Zeit sehr zahm geworden , Jean Baptiste ist auch kein großer Held mehr , Max hat einen entsetzlich guten Schlaf – wer sollte dich beschützen ? Ich habe daher eins der Gewehre oben vom Boden geholt , und ich hab es geputzt und mit Pulver und Schrot geladen , und sieh , lieber Vater , der erste Mensch , der uns überfällt , ich fürchte mich nicht , und ich schieße ihn über den Haufen , so wahr ich Bertha heiße ! « So niedergeschlagen der alte Baron auch einen Augenblick vorhin noch gewesen war , so heiter stimmte ihn plötzlich dieser kriegerische Vorsatz seiner lustigen Tochter . » Nun , ich sehe , daß du Mut hast ! « rief er lachend . » Da wird schon alles gut gehen und niemand uns vertreiben können . « » Nein , sicher und gewiß nicht ! Und kämen ein Dutzend Männer – wir bieten ihnen die Spitze ! Den ersten Angriff schlagen wir allein zurück ; durch unser Schießen wach geworden , springt Jean Baptiste erschrocken aus dem Bette , Max wird hinten auch lebendig , kleidet sich schnell an , eilt aus seinem Häuschen zu uns herüber , indem er unterwegs noch den Nero auffängt und mitbringt ; keine fünf Minuten vergehen , da sind wir alle beieinander . Im Nu werden die Türen verrammelt , die Fensterläden geschlossen , Jean Baptiste und Nero bleiben unten im Hause zurück , um sich davon zu überzeugen , daß keiner unsrer Feinde die Befestigungswerke durchbricht . Wir andern steigen hinauf auf den Söller , du stellst dich an den hinteren Giebel , ich an den vorderen . Max bleibt in der Mitte zwischen uns , um die Gewehre zu laden . Wenn alles so arrangiert ist und ich noch des Urgroßvaters alten Helm auf den Kopf gesetzt und in der Eile seinen Panzer umgebunden habe , da strecke ich meinen Oberkörper durch die Wein- und Efeuranken aus dem Erker hinaus und spreche im tiefsten , schrecklichsten Baß , den ich erfinden kann : › Meine Herren Schufte und Banditen , bleiben Sie uns gütigst drei Schritte vom Leibe , oder Sie sind des Todes ! ‹ Wir warten einen Augenblick auf Antwort , und wenn diese nicht erfolgt oder unbefriedigend ausfällt , so ergreifen wir unsre Karabiner , die Hähne werden gespannt und die Mündungen der Läufe nach Hof und Garten hinabgerichtet . Ist dies geschehen , so rufe ich , um nichts unversucht zu lassen , abermals mit einer Löwenstimme , daß man sich entfernen soll , und wird dann nicht im Nu das Feld geräumt , so beginnen wir die Kanonade , rechts und links , bis wir Kugeln und Schrot und Kiesel und das Blei der Fenster verschossen und natürlicherweise komplett gesiegt haben . Was unsern Kugeln nicht erliegt , fällt natürlich in die Krallen Neros und der Angorakatze , denen wir die Verfolgung der etwaigen Flüchtlinge überlassen . Am andern Tag werfen wir die Toten in die Fontäne , und es kräht kein Hahn und kein Huhn mehr danach . « Bertha schwieg – es wurde angeklopft , und der alte Jean Baptiste trat herein , dem Baron einen Brief überreichend . » So spät am Abend noch ? Und wartet man auf Antwort ? « » Der Mann , der den Brief brachte , hat sich gleich wieder entfernt , Herr Baron « , erwiderte Jean Baptiste und trat in den Hintergrund des Zimmers zurück , ohne sich indes gleich zu entfernen , denn nichts war dem alten Manne lieber , als wenn er sich einige Augenblicke in dem Gemache der Herrschaft aufhalten konnte . Der Baron hatte den Brief schon erbrochen und wollte ihn eben auseinanderfalten , als er ihn nochmals gleichgültig auf den Tisch warf und , sich zu seiner Tochter wendend , mit fröhlichem Tone fortfuhr : » Also du meinst , daß wir bleiben sollen ! « » Gewiß , lieber Vater ! « Und lustig sprang Bertha dann von ihrem Sitze auf , wünschte dem Baron von Herzen gute Nacht , und dem alten Jean Baptiste eine Wachskerze aus der Hand nehmend , hüpfte sie rasch durch die niedrige Seitentür in das Innere des stillen Kastelles . Laß sehn , wer uns noch so spät in der Nacht schreibt « , rief der Baron , als er mit Jean Baptiste allein war . » Wie ? Der Notar – mit dem ich den ganzen Tag lang gesprochen ? « So war es . » Ich kann Ew. Hochwohlgeboren den Inhalt unsrer heutigen Unterredung nur bestätigen « , schrieb der Notar . » Sie wissen , wie Ihre Angelegenheiten stehen ; seit Sie mich verließen , ging mir Ihre Sache fortwährend durch den Kopf , ich finde keinen Ausweg – und nun in diesem Momente kommt es mir plötzlich in den Sinn , daß es nur noch einen Mann gibt , der Sie retten kann , und dieser Mann ist der Herr Friedrich Preiss , der Fabrikant ; an den Mann wenden Sie sich . Das rät Ihnen von Herzen Ew. Hochwohlgeboren ergebenster usw . « Der Baron faltete den Brief ruhig zusammen , hielt ihn ins nächste Licht und warf das brennende Papier dann in den dunklen Kamin . Nachdem der Baron seinem Diener noch befohlen hatte , die auf dem Sofa und auf dem Boden zerstreut umherliegenden Tabellen und Dokumente zusammenzusuchen und in das Privatgemach zu bringen , ließ er sich über den hallenden Korridor leuchten . » Morgen früh , Punkt 9 Uhr , fahren wir wieder in die Stadt ! « Der Baron warf die Tür seines Schlafgemaches hinter sich zu . Traurig schritt Jean Baptiste durch das finstere Schloß und schüttelte bedenklich mit dem Kopfe . Dem deutschen Adel geht es wie allen andern Teilen ( Klassen ) der deutschen Gesellschaft , er hat so wenig Entschiedenes und Ausgeprägtes , daß er nie mehr dazu kommt , eine Partei zu bilden , und auch deshalb schon längst aufgehört hat , politisch bedeutend zu sein . Dies Aufhören einer politischen Bedeutung des deutschen Adels , wenn diese Bedeutung überhaupt jemals im Großen existierte , ist auch schon so lange her , daß die heute lebenden einzelnen Individuen dieser Klasse sich ganz bei ihrer Nichtigkeit beruhigt haben . Jenen großen Schmerz , den eine gewaltige Partei bei ihrem Sturz empfindet , den der französische Edelmann bei der Revolution empfand und den heute der englische Aristokrat zu erkennen gibt , wenn ihm die Bourgeoisie täglich neue Wunden schlägt , hat seit undenklicher Zeit den Seelenfrieden unsrer deutschen Gentilhommes nicht mehr gefährdet . Sie haben sich daran gewöhnt , politisch Null zu sein , und während ihre soziale Bedeutung zur einen Hälfte darin besteht , besser schießen , reiten , tanzen und Schulden machen zu können als mancher Plebejer , hat sich der andre Teil mit redlichem Eifer auf den Staatsdienst geworfen oder bestellt seine Felder als guter Ökonom oder wirft sich der Industrie in die Arme wie jeder andere vernünftige Mensch . Es kann uns daher auch nicht einfallen , in diesem Roman einen alten Adligen im englischen oder französischen Sinne des Wortes allseitig als Gegensatz zu einer bürgerlichen Gesellschaft schildern zu wollen , nein , unser Baron d' Eyncourt ist in dieser Klasse jener bürokratisch , ökonomisch oder industriell tätigen Edelleute nur eines jener still regalierenden deutschen Individuen , die hin und wieder noch auf dem Sitz ihrer Väter fortwuchern , halb schon zur Mumie geworden , halb der Gegenwart angehörend , ohne große Trauer um das Vergangene und ohne viel Interesse an der Zukunft . Unser Baron ist ein Mann , der gern lebt und gern leben läßt , der sich leicht freut und selten erzürnt , der sich selbst mit einem guten Humor über alles hinwegsetzt , was seiner materiellen Glückseligkeit schadet und schaden kann , und nur dann stolz und indigniert sein graues Haupt erhebt , wenn jemand einen Makel auf seine eigne übrigens redliche und biedere Sinnesart werfen oder andere in seiner unmittelbaren Nähe lebende Personen grausam unterdrücken wollte . Mit einem Wort , unser Baron ist ein patriarchalisch aufrichtiger Philanthrop ; dies ist das einzige , was bei ihm entschieden im Vordergrunde steht , und daher auch das einzige , was ihn entschieden mit der Gesellschaft in Konflikt bringt . Daß dieser Konflikt immer größer wird , je mehr das harmlose Treiben unsres stationären Barons mit der übrigen sich entwickelnden Welt in Widerspruch gerät , versteht sich von selbst , und daß er zuletzt eine grelle Form annehmen muß , wird unsern Lesern klar werden , wenn wir die Verhältnisse des Barons von der Zeit seiner Heirat an , als des bedeutendsten Moments seines Lebens , kurz schildern . Der Baron liebte seine Gemahlin mit seltener Treue , mit wahrer Aufopferung und bot damals alles auf , um sie mit jenem Glanz , mit jener Pracht zu umgeben , die seine Frau durch das Leben der Residenz gewohnt war . Natürlich hielt dies auf einem Landsitz , den das junge Paar wenigstens den Sommer und Herbst durch bewohnte , durch die ziemlich weite Entfernung von jedem größern , mit allen Lebensbedürfnissen versehenen Orte ziemlich schwer , und wenn dadurch eine Reihe glänzender Feste , welche mit der Ankunft der adligen Familien in dem alten Jagdschlosse begannen und erst mit ihrem Fortziehen endeten , schon für den reichsten Edelmann fühlbar gewesen sein würden , so war dies für Baron d' Eyncourt , da die Mitgift seiner übrigens altadlig-reizenden Gemahlin keineswegs die schon seit einiger Zeit im Sinken begriffenen Vermögenszustände des Barons gebessert hatten , um so fühlbarer . Zu den Jagdpartien , Bällen und glänzenden Banketts , welche mehr als zwanzigmal in der Hälfte des Jahres die ganze Umgebung des Landsitzes in Bewegung brachten , kamen noch die Reisen nach Nord und Süd , welche der Baron jährlich einmal unternahm , ferner der kostspielige Winteraufenthalt in der Residenz und endlich die unbegrenzte Freigebigkeit des Barons , welcher nichts weniger als den Wert des Geldes kannte und sich nur freute , wenn er andern Freude und Glückseligkeit damit bereiten konnte . Wenn daher die Leute am Rhein den Edelmut des Baron d' Eyncourt laut priesen , zu gleicher Zeit aber mitleidig mit den Köpfen schüttelten , so hatten sie nur zu recht , denn kaum hatte Bertha in diesem Taumel von Vergnügen , welchen die Baronin sich als etwas ganz Gewöhnliches gefallen ließ , ihr zwölftes Jahr erreicht , als der Baron plötzlich mit Schrecken einsah , daß er das Leben seiner Familie aus eignem Antrieb auf einen andren Fuß bringen müsse , wenn dies nicht im kurzen durch andre gezwungen geschehen sollte . Der Schmerz , eine solche Notwendigkeit seiner Gemahlin gestehen zu müssen , hielt den Baron fortwährend zurück ; Jagden und Bankette folgten vor wie nach in bunter Reihe , die Verlegenheiten des Barons stiegen täglich , Felder und Waldparzellen wurden gegen bare Vorschüsse unterderhand fortgegeben , schon murmelte man in der ganzen Gegend von dem nahen totalen Ruin der Eyncourts – die Geschichte konnte nicht länger so weitergehen , und der Baron faßte endlich den Entschluß , keinen Augenblick länger zu zögern und die ganze Angelegenheit offen und frei mit seiner Gemahlin zu besprechen , hoffend , daß ihr gesunder Sinn keinem seiner Pläne widerstreben werde . Da erkrankte die Baronin , nach zehn Tagen war sie tot . Jede Einschränkung des Barons , welche bisher sehr penibel gewesen wäre , war jetzt leicht und natürlich . Die Reisen unterblieben , die Residenz wurde nur noch sehr selten besucht , und auf das alte Jagdschloß im Seitentale des Rheines sank wieder die märchenhafte Stille hinab , welche es in frühern Jahren umgab . Bertha fanden wir bereits in dem ehrwürdigen Gemache des Schlosses , was allmählich manche Neuerungen der letzten Jahre verloren hatte und wieder mit den uralten Möbeln besetzt wurde , die es schon vor langen Zeiten schmückten ; wir fanden sie im Garten der schönen Besitzung , die grade wie das Innere des Schlosses nach und nach wieder dieselbe Gestalt annahm , welche sie vor der Heirat des Barons und den dann folgenden Festen hatte . Wie der Efeu frischer und ungehinderter um die Fenster rankte und sich die ganze Umgebung des Kastells aufs neue zur schönsten Wildnis gestaltete , so hatte sich auch das Benehmen Berthas nach und nach verändert , und bei ihr war wieder in seiner ganzen Reinheit jener Grundzug ihres Charakters , jene Naivität und ungezügelte Lustigkeit zum Vorschein gekommen , welche in der Mitte einer geschraubten , blasierten Gesellschaft zwar nicht verlorengegangen , aber immer mehr verwischt worden war . Wir wollen es daher nicht bedauern , daß statt geputzter Herren und Damen jetzt in den Laubengängen des Gartens oft nur die Angorakatze ihr Spiel trieb , daß der Raum des Hofes weniger vom Gewieher der Hengste als von dem Bellen Neros widertönte , daß im Souterrain des Kastells statt eines faulen Lakaienschwarmes nur der alte Jean Baptiste bibellesend im Sorgenstuhle saß . Jene geräuschvolle Zeit ihrer Jugend war indes keineswegs ohne entschiedenen Nutzen für Bertha gewesen ; sie hatte durch frühen Umgang mit den verschiedensten Personen zu einer angeborenen Liebenswürdigkeit schnell jene Sicherheit und Dreistigkeit erlangt , welche zwar bei weiblichen Wesen nicht immer für schön gilt , die aber unsrer Meinung nach zu den entschiedensten Vorzügen gehört , sobald sie . – . und graziös ist . Und graziös war Bertha jederzeit , mochte sie mit ihrem Vater abends plaudernd im Zimmer sitzen , mochte sie das Köpfchen auf die Hand stützen , den kleinen Fuß in das Sammetkissen stemmen , sich über ein Buch beugen und dasitzen wie ein nachlässiger Student – einerlei , der nachlässige Student war graziös . In aller Frühe war der Baron zur Stadt gefahren . Bertha blieb allein in dem teppichbehangenen , wunderlichen Gemache des Schlosses . Sie hatte einen Sessel in die Nische des Fensters geschoben , aus dem die von der Seite ihres Hauses niederhängenden Wein-und Efeuranken nur zur Hälfte die Aussicht nach dem Tale freiließen . Das war ein richtig romantisches Plätzchen . Die Strahlen der Morgensonne brachen so stark durch das zarte Grün der Blätter , als wollten sie mit aller Gewalt den schönen Mädchenkopf erreichen , der sich im Schmuck seiner dunklen Locken und gestützt von der lilienweißen Hand halb auf die glatten Seiten , eines großen , bildergezierten Buches hinabbog . Oft , wenn ein leiser Hauch das Tal durchfuhr und den smaragdenen Vorhang bewegte , da schien ihr lustiges Spiel auch zu gelingen , sie huschten rasch durch die plötzlich entstandenen Lücken und zitterten vor Lust , den Kuß auf die reizendsten aller Stirnen zu drücken ; so schnell und behend sie hereinsprangen , so barsch und entschieden wurden sie auch jedesmal wieder zurückgeworfen , denn immer war noch eine tiefblau oder rosarot gemalte und geschliffene Scheibe zwischen ihnen und dem Ziel ihrer Wünsche , die im Nu alle Strahlen brach und nur einen mattleuchtenden Schein zu dem lieblichen Kinde hinübergleiten ließ . Bertha war bald ganz vertieft im Lesen , unwillkürlich hatte sich der Ellbogen des rechten Armes auf die Fensterbank gelegt , so daß die Hand sich schützend über den Augen wölbte , die Linke war nicht stark genug , um das große Buch fortwährend emporzuhalten , es ruhte daher auf dem Schoße der eifrigen Leserin , die mit dem kleinen Fuß noch tief in das rote Sammetkissen eines gegenüberstehenden Sessels trat , um dem Folianten eine etwas höhere und festere Lage zu geben . Das Buch , in welchem Bertha las , war eine große , schöne Ausgabe George Sands , und Bertha ergötzte sich eben an jenem gewaltigen Romane » Mauprat « , an den wir selbst nur mit Schauer und Entzücken denken können und bei dessen Erinnerung es uns immer ist , als hörten wir noch zur Stunde die düstre Waldung der Varenne rauschen . Aus dem Gebüsch schaut der wilde Bursche , der junge Bernard Mauprat ; er ergreift einen Stein und schleudert ihn nach der Eule des alten Patience , die auch zugleich tot zu den Füßen ihres Herrn niederstürzt . Zitternd vor Wut ergreift der bärtige Alte den jungen Gentilhomme , bindet ihn an den nächsten Baum , die tote Eule darüber , daß dem Bernard das Blut des armen Vogels ins Gesicht träufelt , und dann faßt der erzürnte Philosoph einige Reiser und geißelt den Rücken des stolzen Knaben – und Bertha konnte nicht weiterlesen , sie ließ das Buch zur Erde fallen und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen , indem sie tief , tief aufseufzte . Der seltsame Stoff dieser Erzählung , die wahrhaft dichterische Glut und grandiose künstlerische Gewalt , mit der jene große Französin alles zu behandeln weiß , was unter ihre Hände kommt , hatten das Herz der lebendigen , leicht erregbaren Bertha in die fieberhafteste Aufregung gebracht . Sie sprang vom Sessel auf , verließ das Zimmer und wandelte den Garten hinunter , bald eine Blume küssend , bald einen Stein zornig in das Marmorbecken der Fontäne schleudernd , bald hinüberschauend nach dem Walde , aus dem sie jeden Augenblick den zürnenden Patience hervortreten zu sehen glaubte . Niemand störte sie in dieser Schwärmerei . In dem ganzen Tale regte sich keine Seele . Nur die Ähren wogten im lauen Westwinde , die Bienen summten , bisweilen rief eine Drossel aus der Ferne herüber , und im Garten selbst , unter dem Fenster des Schlosses , sprudelte nur der Springbrunnen und ließ seine Perlen glitzern und funkeln in dem Glanz der Sonne , die stets höher und heißer an dem reinen , wolkenlosen Himmel emporstieg . Berthas Gemüt , das von Natur schon etwas zum Schwärmen und zu Abenteuern aufgelegt war , sehnte sich in diesem Augenblick und mehr wie je nach irgendeinem Ereignis , was die märchenhafte Stille rings um sie her unterbrochen und die ganze Umgebung mehr mit den wildflatternden Gedanken des kleinen Kopfes in Einklang gebracht hätte . Aber daran war ja gar nicht zu denken . In der ganzen Umgebung bis hinunter an den Rhein wohnten nur stille , friedliche Bauern , die , wenn sie überhaupt jetzt in der Nähe gewesen wären , höchstens den Hut vom Kopfe gezogen , freundlich gegrüßt und sich wieder entfernt haben würden . An die Rückkehr des Vaters war vor dem Abend nicht zu denken , und im Schlosse blieb nur der alte Jean Baptiste zurück und saß wie gewöhnlich in dem großen Sorgenstuhle , die Brille vorn auf der Nase , die Bibel in den Händen , halb schlafend und halb wachend , aber jedenfalls so unromantisch wie möglich . Sinnend schlich Bertha aus dem sonnigen Garten in den Hofraum , wo die gewaltigen Nußbäume mit den breiten , saftigen Blättern die Hitze zurückscheuchten . Sie hatte die Lust am Lesen verloren , eine andere Beschäftigung fand sich auch nicht , und wie es sich immer mehr zeigte , daß ein ungewohntes Ereignis die Stille des alten Kastells schwerlich so bald stören würde , da konnte es auch nicht fehlen , daß allmählich die Langeweile mit ihrem bösen Stachel die abenteuerliche Lust des jungen , leidenschaftlichen Mädchens verdrängte und endlich das Köpfchen traurig und schwermütig niedersank . Einen langen , leidigen Tag würde unsere einsame Bertha verlebt haben , wenn nicht zufällig der Saum ihres rauschenden Seidenkleides in demselben Augenblick , wo sie schon dem Schlosse wieder zuschritt , das kleine grüne Haus berührt hätte , in welchem der alte Nero den Rest seiner Tage verträumte . Nero befand sich gerade in jenem Seelenzustand , wo man mit Gott und aller Welt sehr zufrieden ist ; das einzige , was ihn beunruhigte , war , daß seine Freundin Prinzessin , die Angorakatze , heute noch nicht ihre Aufwartung gemacht hatte . Dies war auffallend , die Prinzessin erschien gewöhnlich schon bei Anbruch des Tages , wenn auch nur auf einige Augenblicke ; sie legte dann mit unendlicher Grazie die eine schneeweiße Vorderpfote auf die kleine Schwelle des Häuschens , steckte das liebenswürdige Antlitz in den Kasten hinein , und Max , der Kutscher , hatte schon mehr als einmal behauptet , daß Nero und die Prinzessin einander küssen könnten wie alle andern natürlichen Menschen . Ist sie krank ? Ist sie verreist ? Nero hatte sich dies schon mehrere Male gefragt und dann jedesmal bedeutsam mit dem Haupte gewackelt . Aber wer weiß , was eine alte Katze auch nicht alles zu tun hat ! Und mit beruhigtem Gewissen steckte Nero jedesmal wieder die Nase unter seine kräftigen Tatzen . Da rauschte Berthas Kleid in die Öffnung des kleinen Häuschens . Nero erwacht . Er meint nicht anders , als daß es die Prinzessin sei , welche ihm den langersehnten Besuch mache , und einesteils ärgerlich darüber , daß sie ihn wiederum im Schlafe antrifft , dann aber auch freudiger als je erschrocken , daß endlich sein Wunsch in Erfüllung geht , fährt er mit ungewöhnlicher Hast plötzlich vom Lager auf und springt freudig bellend der Türe zu , um seine Dame so artig zu begrüßen , wie es einem alten Hunde möglich ist . Der biedere Nero ! Man stelle sich sein Entsetzen vor , als er mit einem Mal statt der Prinzessin nur ein adliges Fräulein erblickt , das vor seinem Gebell zurückspringt .– . Nero stand wie vom Donner gerührt , da er aber eine zu gute Erziehung genossen und auch durch die vielfältigen Ereignisse eines bewegten Lebens die Erfahrung gewonnen hatte , daß man aus allem , was einem passiert , stets das Beste machen muß , so dauerte seine Bestürzung nur einen Augenblick , und mit jener echten Galanterie , die einem alten Lebemanne eigen ist , verneigte er sich sofort und : » Mademoiselle , je suis très charmé de vous voir « , flüsterte er freundlich blinzelnd und sagte es mit soviel Anstand und mit einem so wahrhaft fashionablen Akzent , daß jeder , der es verstanden hätte , auf der Stelle davon überzeugt gewesen sein würde , daß dies trotz alledem ein sehr wohlerzogener , wohlmeinender Hund sei . Bertha ließ sich wenigstens rasch durch die freundlichen Reverenzen Neros besänftigen und mußte sogar bald laut auflachen , als das Tier nach einigen verbindlichen Worten gar nicht mehr mit den tollsten Sprüngen und zierlichsten Verbeugungen enden wollte . » Du bist ein alter Narr , lieber Nero ! « rief Bertha und setzte den zierlichen Fuß auf das glänzend schwarze Fell des Hundes . » Erst erschreckst du mich durch dein unhöfliches Gebell , und gleich darauf bist du wieder so kriechend demütig , daß ich um deine aufrichtigen Gesinnungen den gerechtesten Zweifel haben muß . Um dir indes zu beweisen , daß ich noch einiges Vertrauen in dich habe , will ich deine Kette lösen und dir für heute einmal die Freiheit geben ; wir wollen sehen , ob du dich derselben würdig machst ! « Nero schien die Worte seiner schönen Herrin genau zu verstehen und war auch so sehr mit dem Vorhaben Berthas einverstanden , daß er sich ruhig niederlegte , um ihr das Lösen der Kette desto leichter zu machen . Unfreundlich ist es indes doch , dachte er , daß sie dir gleich mit ihrem Fuße auf den Rücken tritt . Wenn das die Prinzessin sähe , sie würde mich morgen am Tage auch gleich unter dem Pantoffel haben wollen ! Da war die Kette gelöst , und wie ein losgelassener Dämon tummelte sich Nero mit freudigem Gebrüll im Hofe umher , bald in wilden Sprüngen sich überpurzelnd , bald den Kopf an den Boden legend , um zu jammern wie ein kleines Kind , und dann wieder auf Bertha losschießend , sich auf die Hinterbeine stellend , als wolle er seine Freundin mit den Vorderpfoten zum Dank an die Brust drücken . › Was fängst du nun mit dem fürchterlichen Tiere an ‹ , dachte Bertha und retirierte sich von Baum zu Baum , um so vieler Zärtlichkeit zu entgehen . Aber das war fast nicht möglich , es blieb nichts andres übrig , als schleunig in das Schloß zurückzuflüchten . Schon hatte Bertha die Treppe erreicht , da bemerkte Nero ihre Absichten und hielt es für seine Pflicht , schnell die Türe zu öffnen , um seine Dame hereinspazieren zu lassen . In einem Satz sprang er hinan , und mit Kopf und Pfoten zu gleicher Zeit vor die große Haustür stoßend , brachte er sofort das Gewicht in Bewegung und drang in das Vorhaus , indem er seine Dame hinter der rasch wieder zusinkenden Tür zurückließ . Nero hatte seit langer Zeit das Schloß nicht betreten dürfen und war daher nicht wenig erfreut , als er sich plötzlich in dem Korridore befand , der in frühern Jahren so oft von seinem Gebell widergehallt hatte . Er vergaß darüber ganz seine schöne Gefährtin , die inzwischen leise nachgeschlichen war und , mit einer kleinen Rute bewaffnet , das weitere Benehmen des Hundes beobachten wollte . An jeder Tür , in jedem Winkel schien das Tier alte Erinnerungen aufzuspüren . Den großen Kopf tief gesenkt , hatte es den ganzen Raum im Nu durchstöbert und wandte dann plötzlich die glänzenden Augen empor , als könne auch noch an der Decke etwas verborgen sein , was der Betrachtung wert sei . Das gute Tier hatte sich auch nicht geirrt , denn am andern Ende des Korridors , der in ein kleines Zimmer auslief , war über dem Gesimse der Tür das vielzackige Geweih eines Hirsches angebracht , darunter ein Kopf von Holz mit zwei großen Augen , so deutlich nachgemacht , daß es nicht anders aussah , als schaue ein lebendiger Sechzehnender herüber . Kaum hatte dies Nero bemerkt , als ein wildes Zittern plötzlich seinen ganzen Körper durchfuhr ; die Hinterfüße tief hinunterbiegend , stemmte er die Vordertatzen steif auf den Boden , den Kopf in den Nacken legend , wie überwältigt von Schreck und Erstaunen . Es war ein wehmütiger Anblick , das alte Tier zu sehen , vielleicht schon zu alt , um einem Hirsche wirklich schaden zu können , selbst wenn er in derselben Entfernung mit einem Male lebendig aufgesprungen wäre , und nun gar nur ein Geweih und ein hölzerner Kopf , festgenagelt ach so hoch über der Erde , eine bloße Spielerei , ein simples Blendwerk – das Schicksal wollte eine grausame Verspottung des alten Jagdhundes . Nero schien auch wie in einem Augenblick bei der unerwarteten Erscheinung den Rest seines Verstandes zu verlieren . Seine ganze Natur löste sich in Wut und Entrüstung auf , .– . , das Haar sträubte sich , .– . , und jetzt seine Sprünge hinauf an den glatten Wänden , sein Gebell , sein Geheul : vergebens war das Rufen Berthas und des treuen Jean Baptiste , der erschrocken herbeieilte – das arme Tier hörte nicht eher zu rasen auf , als bis es erschöpft zusammensank . Winselnd kroch er dann zu Berthas Füßen , bald hinauf nach ihren Augen schauend , bald zurück nach denen des Hirsches , als wollte er sich darüber beklagen , daß man noch in so alten Tagen seinen Mut auf eine so unnütze Probe stelle . Jean Baptiste schien den Schmerz des Hundes zuerst zu verstehen . » Na , gib dich zufrieden , alter Kerl « , murmelte er ihm ins Ohr , » wir können ja nichts dafür , daß die Zeiten so schlecht geworden sind , daß wir dir nur das alte Geweih statt eines wirklichen Hirsches geben können . « .– . Unsre Leser werden sich erinnern , daß der Baron d' Eyncourt , als wir ihn zuerst auf seinem Schlosse kennenlernten , noch spät in der Nacht einen Brief des Notars erhielt , in welchem ihm mitgeteilt wurde , daß der Herr Preiss , der Fabrikant , der einzige Mann sei , welcher ihn aus allen Verlegenheiten erretten könne , und daß Sr. Hochwohlgeboren nicht übel tun würde , sich an diesen Mann zu wenden . An demselben Abend , fast zur selben Stunde , wurde auch der Herr Preiss durch ein Schreiben desselben Notars erfreut . Der Notar schrieb wörtlich wie folgt : » Werter Freund ! Entschuldigen Sie , daß man Sie noch so spät am Abend in Ihrer Ruhe stört ; ich muß Ihnen aber einige Mitteilungen machen , die große Eile haben und die Ihnen auch nicht ganz unangenehm sein werden . Der Baron d' Eyncourt ist nämlich in großer Geldverlegenheit . Sie wissen , daß der Mann sein ganzes Vermögen durchgebracht hat , Sie selbst haben ja fast seine sämtlichen Wälder und Ländereien angekauft , es bleibt dem Baron nur noch das Kastell nebst Hof und Garten . Sie haben oft den Wunsch geäußert , diese Kleinigkeiten ebenfalls zu akkaparieren . Meiner Meinung nach ist der Augenblick dazu gekommen . Ich kann Ihnen nicht mehr sagen , ich würde das Vertrauen , was mir Sr. Hochwohlgeboren schenkt , mißbrauchen . Soviel ist aber gewiß , daß der Baron bis über die Ohren im Unglück sitzt , daß ihn alle früheren Freunde verlassen haben , daß er nirgendwo Gelder zu erhalten weiß , daß er dieser aber noch in den letzten Tagen dringend bedarf und daß es Ihnen leicht sein wird , unter diesen Umständen zu dem gewünschten Ziele zu kommen . Ich habe dem Baron soeben geschrieben , daß er Sie besuchen soll . Erwarten Sie ihn also . Mit alter Freundschaft Ihr ergebener ... « » Der Notar ist eine gute , liebe Haut ! « rief der alte Fabrikant , als er diesen Brief gelesen hatte . » Ein Mann , auf den man sich verlassen kann , den man achten muß , der Notar ist mein Freund ! « Da verfügte sich der Herr Preiss in sein Schlafgemach und träumte die ganze Nacht von dem Kastell des Baron d' Eyncourt . Am folgenden Morgen stand er wieder in aller Frühe auf dem Comptoir . » Wir bekommen heute Besuch ! « redete er den Buchhalter Weber an . » Der Baron d' Eyncourt will uns seine Aufwartung machen , der Baron d' Eyncourt , ein ganz charmanter Mann . « » Aber mein Gott , das ist ja ein ganz abgebrannter Mann ! « erwiderte der erstaunte Buchhalter . » Eben deshalb , weil er abgebrannt ist , wird er uns besuchen . « » Ach , lieber Gott , Herr Preiss , nehmen Sie sich in acht , ein Baron und abgebrannt , das ist ein gefährlicher Mensch – an solchen Leuten haben wir noch nie mals Freude erlebt , nehmen Sie sich in acht , seien Sie vorsichtig ! « » Geld will er haben – das liegt auf der Hand ! « » Geld ? Ach Gott , Geld , bares Geld , seien Sie vorsichtig , Herr Preiss , es hilft doch nichts , solchen Menschen Geld zu geben , es ist immer nur ein Schlag ins Wasser , und man verliert es jedesmal ! « » Nun , wir haben aber an dem Baron schon viel verdient . Wenn da auch einmal etwas verlorenginge , das machte nichts , das täte nichts ! « » Herr Preiss ! Um Gottes willen ! Was wir verdient haben , ist mit Ehren verdient , und wir wollen es festhalten . Nehmen Sie sich vor den Adligen in acht – wenn sie das Geld in der Tasche haben , da lachen sie uns doch nur aus , lachen über die bürgerliche Kanaille , o Gott , ein Adliger ist nur in der Welt , auf daß er von uns geschnitten werde . « » Aber der Baron d' Eyncourt ist einer der Besten von allen Adligen , die ich kenne , er gefiel mir stets am meisten – das ist wirklich noch ein Mann , der Ehre im Leibe hat , er ist ein echter , alter Gentilhomme , er ist mildherzig und freundlich und in allen Geldsachen so dumm wie ein Stock – wahrhaftig , der alte Kerl ist ein komplettes Kind , und es tut mir daher jedesmal etwas leid , wenn ich ihn übers Ohr hauen soll . « » Dumm wie ein Stock , Herr Preiss , dumm wie ein Stock ? Aber ist das nicht seine Schuld , wenn es so ist ? Er hätte sich entwickeln sollen , wie wir uns auch entwickelt haben , er hätte rechnen lernen sollen , addieren und multiplizieren , darin konzentriert sich alles – nein , ich bin ganz gegen das System , den Adligen gefällig zu sein . Und nun gar dieser Baron d' Eyncourt , der uns mehr als zehnmal mit seiner Philanthropie allen Spaß verdorben hat , der stets den Landleuten auseinandersetzt , daß ihre Kinder in den Fabriken verdorben werden und uns auf diese Weise manchmal die besten Arbeiter abwendig macht – nein , Herr Preiss , mit einem solchen Manne kann ich kein Mitleid haben . « » Und ich schätze ihn deswegen nur desto mehr . Sehen Sie , das zeigt eben , daß der Baron besser ist als die meisten Leute seines Schlages . Der Baron d' Eyncourt weiß , daß ich mich jeden Augenblick schrecklich an ihm rächen kann , er weiß , daß er mich nötig hat und daß ich der einzige Mann bin , der ihn aus den größten Verlegenheiten retten kann , und dennoch wagt er stets gegen mich aufzutreten – weil er es für seine Pflicht hält , weil es ihm seine Ehre befiehlt , weil er ein Gentilhomme ist , sehen Sie , und das ist nobel , und das ist edel , und wenn ich auch darunter leide , ich muß dies Benehmen dennoch geistig anerkennen . « Der Herr Preiss hielt einen Augenblick inne . Seine ursprünglich gute Natur , die von Zeit zu Zeit immer wieder in dem kaufmännischen Herzen aufblitzte , war für einen Moment hervorgetreten . Aber nur für einen Moment . Denn sobald die Empfindungen des alten Fabrikanten eine solche Höhe erreicht hatten , daß sie etwas » geistig anerkannten « , da purzelten sie auch schon wieder in das Materielle zurück . An den Flügeln seiner Empfindung hing eben stets noch der eigene Geldsack , der schnell das irdische Gleichgewicht seiner Seele wiederherstellte . » Ich muß das Benehmen des Barons geistig anerkennen « , rief er aus – eine Pause folgte – , » aber praktisch muß ich es natürlich verwerfen , in der Praxis ist jeder sich selbst der Nächste , natürlich ! « – und damit war der Herr Preiss , der empfindsame , wieder er selbst , der Herr Friedrich Preiss , der kommerzielle . » Ich bin nämlich ganz mit Ihnen darüber einverstanden « , fuhr er dann zu dem Buchhalter fort , » daß es wohl etwas gefährlich ist , sich mit der Noblesse sehr weit einzulassen « – der Buchhalter Weber erkannte wieder seinen Herrn – , » aber mit dem Baron d' Eyncourt steht die Sache ja auch ganz anders . Der Baron besitzt nämlich noch das alte Kastell nebst Hof und Garten , und darauf spekuliere ich eben . « Der Buchhalter verzog sein Gesicht zu einem grinsenden Lächeln . Verstehen Sie mich , Herr Weber ? « » Ich verstehe Sie ganz , Herr Preiss ! « » Aus dem Kastell will ich eine Branntweinbrennerei machen – « » Aus dem Garten eine Bleiche – « » Und da der Baron Geld nötig hat – « » Und nirgends als bei uns zu erhalten weiß – « » So bekommt er nur von uns diese Summe – « » Wenn er Hof , Kastell und Garten abtritt – « » Geraten ! « » Und kein Darlehn ! « » Und keine Vorschüsse ! « » Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden , Herr Preiss . « Da schritt der Baron d' Eyncourt über den Hof des Comptoirs . Der Buchhalter verfügte sich an seine Arbeit . Der Fabrikant setzte sich an sein Pult und tat , als wenn er sehr beschäftigt wäre . Mit freundlichem Gruße trat der Baron in das Zimmer . Niemand schien ihn zu bemerken ; Buchhalter , Korrespondent und Lehrling – alles war wie in der Arbeit versunken . Tiefe Stille herrschte in dem ganzen Raume , das Gekritzel der Feder war der einzige vernehmbare Laut . Erst als der Baron leis an das Pult des Fabrikanten vorgedrungen war , schaute dieser langsam empor , jede Miene des Gesichts der strengste Geschäftsernst . » Guten Morgen , Herr Preiss ! « wiederholte der Nähertretende . » Oh , willkommen , Herr Baron ! « jauchzte der Fabrikant und sprang plötzlich so rasch von seinem Stuhle empor , als wenn ihm Quecksilber in allen Gliedern säße . Er riß die Mütze vom Haupte , verbeugte sich dreimal und viermal – » Willkommen , willkommen ! Wer hätte das gedacht ! Sie haben mich ganz überrascht ! Treten Sie näher , Herr Baron ! « Und im Nu hatte der Fabrikant die Tür des geheimen Geschäftskabinetts aufgerissen und drückte den Baron in die weiche Ecke des Sofas . Der Herr Preiss war der beste Komödiant der Welt , er wußte diese Überraschungsszenen so natürlich zu spielen , daß selbst der Buchhalter Weber daran zweifelte , ob sein Prinzipal den Baron wirklich erwartet habe . » Stets findet man Sie in voller Arbeit « , begann der Baron , als er mit dem Fabrikanten allein war ; » ich habe Sie noch nie besucht , ohne Sie in der größten Tätigkeit anzutreffen . « » Ach Gott , Herr Baron « , erwiderte der Fabrikant , » man muß sich plagen auf dieser Welt – plagen vom Morgen bis zum Abend , und mehr plagen als je , weil fast nichts mehr bei aller Arbeit herauskommt , weil man fast nichts mehr verdient . « » Nun , ich meine , darüber hätten Sie doch gewiß nicht zu klagen , täglich vergrößern Sie Ihre Etablissements , tüchtig erweitern sich Ihre Besitzungen – in der ganzen Gegend spricht man von Ihnen nur als von einem Manne , der glücklich ist , der prosperiert . « » Schein , Herr Baron , nichts als Schein ! Lassen Sie sich keine Märchen erzählen ! Ich kann Ihnen versichern , daß ich als Industrieller längst zugrunde gegangen wäre , nur durch kleine Seitenspekulationen halte ich mich noch aufrecht . « » Nun , dann muß aber die Industrie doch eine unselige Beschäftigung sein . Sie als Fabrikherr klagen darüber , daß Sie nicht bestehen können , und spricht man mit Fabrikarbeitern , so klagen diese noch viel mehr . « Ach , Herr Baron , Schein , alles Schein ! Die Arbeiter sind im Grunde viel besser daran wie die Herren – seien Sie versichert , daß ich meine Fabrik nur noch fortführe , um die Arbeiter nicht außer Brot kommen zu lassen . Was würde aus den armen Geschöpfen werden , wenn ich plötzlich meine Fabrik stillsetzte ? Für mich wäre es viel besser , wenn ich noch heute mein ganzes Geschäft an den Nagel hängte – aber ich habe Mitleid mit meinen Arbeitern , ich opfere mich für meine Arbeiter auf ! « » Sonderbar ! Die Arbeiter versichern mir stets , daß sie sich für ihren Herrn aufopfern – ich verstehe das nicht . « » Werter Herr Baron , die Arbeiter sind Tölpel . Übrigens kann eigentlich von einem Aufopfern zwischen Fabrikant und Arbeiter gar keine Rede sein . Die Wahrheit ist , daß die Industriellen , Fabrikherren und Fabrikarbeiter zusammengenommen sich der ganzen Gesellschaft aufopfern – wir Industriellen sind die Märtyrer der ganzen übrigen Gesellschaft , wir sind die Märtyrer unsres Jahrhunderts . « » Das wundert mich sehr , Herr Preiss . Niemand hat so etwas verlangt ; die Gesellschaft verlangt es weder von Ihnen noch von Ihren Arbeitern . « » Verzeihen Sie , Herr Baron , sie verlangt es wohl ! Die Gesellschaft will Hemden haben und Hosen und Röcke und Mützen , sie verleitete mich zu der Torheit , ein Fabrikant solcher Sachen zu werden , und sie verleitete andere unglückliche Menschen , bei mir als Arbeiter einzutreten . So geschah es hier , und so geschah es an hundert andern Orten , und die industrielle Klasse der Bevölkerung war da . Alles wäre gut gegangen , wenn uns jetzt die Gesellschaft gehörig für unsre Fabrikate bezahlt hätte – wir Fabrikanten hätten dann prosperiert und unsre Arbeiter desgleichen . Die Gesellschaft wollte aber nicht überhaupt bloß Hemden und Hosen und Röcke und Mützen geliefert haben , sondern sie wünschte auch alles stets zu dem niedrigsten Preis zu erhalten und verlockte bald durch Aussicht auf größeren Absatz einen aus unsrer Mitte , wohlfeiler zu verkaufen als wir andern . Sobald dies geschehen , hatte der eine natürlich alles zu tun und wir übrigen nichts , und wollten wir nicht sämtlich zugrunde gehen , so mußten wir dem Beispiel unsres unvorsichtigen Kollegen folgen , ebenso billig oder gar noch wohlfeiler verkaufen , und so ging dies fort . Die Gesellschaft , nur auf ihr eignes Wohlergehen bedacht , köderte bald den einen von uns und bald den andern , und so wie der erste in die Schlinge gegangen , mußte auch der zweite folgen , und einer unterbot bald den andern , bis wir zuletzt da ankamen , wo wir sind , nämlich wo der Fabrikherr nichts mehr verdient und der Arbeiter nichts verdient , wo wir nur noch pro patria et gloria arbeiten , wo wir Märtyrer der Gesellschaft geworden sind . « » Sie meinen also , daß die Konkurrenz an allem Übel schuld ist . « » Gewiß , Herr Baron , diese Konkurrenz untereinander – Sie treffen den Nagel auf den Kopf – die Konkurrenz , das ist der Teufel , die Konkurrenz , zu der uns die Gesellschaft verleitet , ja zu der sie uns zwingt ! « » Aber läßt sich diese Konkurrenz denn durch nichts beseitigen ? « » Ei freilich , Herr Baron , durch das Monopol ! Aber die heutige Gesellschaft schwärmt gar nicht mehr für das Monopol – sie steht sich gar zu gut bei der freien Konkurrenz – das Monopol beherrscht die Gesellschaft , die frei untereinander Konkurrierenden gehorchen ihr . Der Monopolist kann tun , was er will , seine Ware mag teuer und schlecht sein , wenn die Gesellschaft ihren Bedarf sonst nicht erlangen kann , so muß sie dennoch davon kaufen . Die frei Konkurrierenden müssen dagegen um die Gunst der Gesellschaft buhlen , und die Gesellschaft kauft nur von dem , der das Teuere verwohlfeilt , der das Schlechte verbessert hat . Mit einem Wort : bei dem Monopol hat die Gesellschaft die Qual , bei der freien Konkurrenz die Wahl . Nein , Herr Baron , mit dem Monopol ist es vorbei , das eigentliche Monopol liegt schon zu lange in der Rumpelkammer , als daß man es noch einmal hervorsuchte . « » Aber läßt sich nicht ein Mittelding erfinden , was dem Industriellen emporhilft , ohne die Gesellschaft zu sehr zu inkommodieren , was zwischen dem unbedingten Monopol und der unbedingt freien Konkurrenz steht ? Ich möchte sagen , daß dies möglich wäre , wenn beide Zustände etwas gemildert würden . « » Herr Baron , Sie sind ein weiser Mann . Mit diesen Gedanken gehen wir deutschen Industriellen schon lange um . Wir sprechen nämlich als echte Patrioten : wir wollen kein unbedingtes Monopol , aber auch keine unbedingt freie Konkurrenz , wir lassen Konkurrenzen zu innerhalb der Nation , aber wir verlangen entschiedenen Schutz gegen die Konkurrenz des Auslandes . Eine ungünstige Lage und viele unentwickelte Zustände unsres Vaterlandes machen es dem Auslande möglich , uns stets zu unterbieten und zu ruinieren . Deshalb Schutz gegen das Ausland ! Das ist unsre Rettung , das ist unser Heil . Sie sehen , Herr Baron , ich bin Verteidiger des Schutzzollsystems . Ich hoffe , Sie sind ganz meiner Meinung . « » Nicht so ganz ! Mit der Beseitigung der ausländischen Konkurrenz scheint mir die Sache nur für kurze Zeit gebessert . Mit dem Aufhören fremder Konkurrenz enden die üblen Folgen der Konkurrenz überhaupt keineswegs . Derselbe Kampf , den unsre vaterländischen Industriellen jetzt mit dem Auslande führen , würde bald unter ihnen selbst entstehen . Wie sich jetzt Ausland und Inland , so wird sich später das Inland allein unterbieten . Der Kampf wird künftig nicht mehr so großartig , seiner Natur nach aber stets derselbe sein . Nachdem Sie kurze Zeit unter diesem Schutze prosperiert haben , werden Sie endlich doch wieder zu jenem Punkte hinabsinken , auf den Sie in diesem Augenblicke angekommen zu sein versichern . Schließlich finde ich wiederum kein Heil bei der Industrie – Unglück für viele , Glück nur für wenige , die den letzten Stürmen zu trotzen wissen . « Der Baron schwieg . Die Unterredung wurde ihm etwas zu lang , er dachte an den Zweck seines Besuches . Der Fabrikant begnügte sich damit , die letzten Worte seines Gegners still zu belächeln . Er wußte sehr wohl , daß zu dem Unterbieten innerhalb der deutschen Grenzen noch manche neue Fabriken nötig wären , und daß der , welcher jetzt eine Fabrik besitzt , Zeit genug hat , seine Beutel noch gehörig zu füllen . » Nun , jeder beurteilt die Sache nach seiner Weise « , fuhr der Fabrikant endlich fort . » Sie wohnen still und glücklich auf Ihrem Schlosse , Herr Baron , unter Blumen und schönen Bäumen , ungestört von der ganzen Welt , welche mich armen Mann vom Morgen bis zum Abend in Bewegung setzt . « » Ich weiß nicht , ob es immer so ungestört hergeht « , erwiderte der Baron , indem er die Bemerkung des Fabrikanten schnell benutzte , um seinem Ziele etwas näher zu kommen . » Es fallen manche Sachen vor , die einen belästigen , verdrießlich machen und in Verlegenheit bringen . « Jetzt schießt er los , dachte der Herr Preiss und blinzelte freundlich mit seinen kleinen Augen . » Vor allen Dingen inkommodieren mich alle Geldaffären – ich scheue sie so sehr , daß ich gar nicht daran denken mag und gern solche Sachen laufen lasse , wie sie wollen . « » Das sollten Sie lieber nicht tun , Herr Baron , mit Geld muß man sehr aufmerksam zu Werke gehn . « » Sie haben recht , meine Nachlässigkeit in diesem Punkte ist unverzeihlich ; so habe ich wieder in den letzten Tagen vergessen , daß ich einige Summen regulieren muß , die mir nun plötzlich auf den Hals kommen , ohne daß ich gleich weiß , wie ich damit fertig werden soll . « » Aber Herr Baron , da kann ich Ihnen vielleicht gefällig sein ? « » Sie sind wirklich sehr gütig , Herr Preiss ; durch Vorschuß einiger tausend Taler würden Sie mich sehr verbinden . « » Alles , was ich tun kann , soll geschehen , Herr Baron – aber warten Sie , da fällt mir gerade etwas ein : vielleicht können wir uns arrangieren , daß Sie weder jetzt noch in der nächsten Zeit irgendeinen Vorschuß nötig haben , und das muß Ihnen jedenfalls lieber sein . « » Das versteht sich von selbst . « » Ich habe nämlich schon oft daran gedacht , was Sie eigentlich mit Ihrem alten Kastell und den umherliegenden Gärten tun mögen . Sie sind oft verreist , und wenn Sie das alte Haus bewohnen , da geben Sie sich gar keine Mühe , darin irgend etwas zu bebauen oder im Stande zu halten . Ich glaube fast , daß Ihnen die ganze Besitzung zur Last ist . Ich kann zwar keinen großen Gebrauch davon machen , wenn Sie aber wollen , so bin ich dazu bereit , Ihnen die ganze Geschichte abzunehmen , und bezahle Ihnen das alles gleich in barem Gelde . « Der Baron fühlte , daß er sich in seinen Ahnungen nicht betrogen hatte . » Ich danke Ihnen aufrichtig , Herr Preiss . Sie irren sich indes ; an meinem alten Kastell hänge ich mit zu vieler Liebe , als daß ich mich davon trennen könnte . Es ist das Haus , wo alle meine Ahnen wohnten , wo jeder Ort , wo jeder Stein , jedes Fleckchen seine Erinnerungen für mich hat , Erinnerungen , welche die Freude meines Alters sind . Ich könnte mich unmöglich davon trennen . « » So , das tut mir leid ; man muß recht warm sitzen , wenn man sich so in alten Erinnerungen einwickeln kann – verzeihen Sie – ich meine , Ihr Kastell muß ein wohnliches Haus sein – es hat dicke Mauern , und dann der Efeu ringsherum – ach , jawohl ! Und wieviel Geld glauben Sie nötig zu haben ? « » Sechs- bis achttausend Taler etwa ! « » Also mehr nicht ? « » Nicht mehr , Herr Preiss . « » Und auf den Verkauf des Kastells würden Sie sich gar nicht einlassen ? « » Ich bedauere recht sehr – – « » Ach , dann entschuldigen Sie , Herr Baron – sechs- bis achttausend Taler – entschuldigen Sie einen Augenblick , ich werde einmal zusehen , wie es gerade mit meiner Kasse steht , ob diese Summe disponibel ist – ich verleihe sonst nie Gelder – in diesen schlechten Zeiten hat man seine Fonds gewöhnlich selbst nötig – mit dem Kastell könnten wir indes ein Geschäftchen machen – besinnen Sie sich noch einmal – entschuldigen Sie – – « Der Fabrikant verließ das Kabinett und schritt ins Comptoir . » Es ist richtig ! « murmelte er dem Buchhalter Weber ins Ohr . » Verkauft er das Kastell ? « » Gott bewahre – der alte Narr will sich nicht davon trennen , er fängt von alten Erinnerungen an zu sprechen und seinen Ahnen und Gott weiß wovon – es wird einem ganz antik zumute , ganz muffig – ich werde sentimental , wenn ich das noch länger anhören soll – lassen Sie ihn noch fünf Minuten sitzen und dann gehen Sie hinein und sagen , ich sei eben ins Archiv gestiegen , hätte beim Herunterkommen den Arm gebrochen oder den Hals oder irgend etwas und könne daher nicht wieder erscheinen – genug , machen Sie nur , daß Sie den Kerl aus dem Hause bekommen , und versprechen Sie ihm das Nähere schriftlich – verstehen Sie ? « » Verstanden , Herr Preiss ! « Da eilte der Fabrikant so schnell wie möglich aus dem Zimmer und suchte das Weite . Einige Augenblicke nachher fuhr der Baron traurigen Sinnes nach seinem Kastell zurück . Das Schreiben , was am folgenden Tage an den alten Adligen abging , war sehr kurz und bündig . Der Herr Preiss schrieb : » Da Ew. Hochwohlgeboren nicht auf meine Proposition eingehen können , so bedauere ich recht sehr , augenblicklich keinen Fonds zur Verfügung zu haben . Zu dem Ankauf des Kastells gegen bar würde ich indes stets bereit sein , wenn Sie Ihre Ansicht doch ändern sollten . Inzwischen verbleibe ich mit hoher Achtung usw . « An demselben Abend saß der Herr Preiss im eifrigsten Gespräch neben dem Notar . Beide lachten und drückten sich freundlich die Hände . Wir verlassen die prächtige Wohnung des Fabrikanten , um in die niedrige Hütte seiner Arbeiter zu treten . Unser Weg führt hinunter nach dem Rhein , bis an die Stadtmauer . Zwischen ihr und der letzten Häuserreihe schreiten wir vorwärts . Anfangs ist die Straße noch leidlich , allmählich hört das Pflaster auf , wir gehen auf einem lehmigen , schmutzigen Wege ; der Regen sammelt sich rechts und links in den Vertiefungen – nicht selten steht ein förmlicher Morast vor den Türen der Wohnungen , die immer kleiner und unansehnlicher werden , deren alte , vornüberhängenden Giebel , deren verwitterte Wände und mit Lappen und Stroh verstopfte Fenster uns mit jedem Augenblicke mehr verraten , daß wir in dem ärmlichsten Stadtteil angelangt sind . Mühsam waten wir fort durch Schmutz und Gestank , alle zwei , drei Schritt treten wir in eine Pfütze , denn es gibt hier keine Laternen , deren flackerndes Licht unsern Weg erhellen könnte . Die Gasse wird immer enger – wir verirren uns gewiß nicht – mit der Linken können wir die Wände der Häuser greifen , mit der Rechten beinah die Seite der Stadtmauer . Da stehen wir vor der Wohnung des Arbeiters . Durch die niedrigen Fenster sehen wir bequem in das Innere des Zimmers . Eine trübe Lampe wirft ihren Schein auf die nächsten Gegenstände ; wir bemerken im Hintergrunde des Raumes eine große Bettstelle , umgeben von kattunenen Vorhängen , rechts an der Wand einige Schränke , links steht der Feuerherd und mitten der große Tisch mit den Resten eines kleinen Mahles . Schlecht und dürftig ist diese Einrichtung , alles ist aber rein und sauber ; eine gewisse Ordnung herrscht in dem Arrangement der wenigen unansehnlichen Möbel , und der blühende Goldlack und die üppigen Rosenbüsche , welche die Ecken der Fenster zieren , beweisen , daß man sogar darauf bedacht ist , dem ärmlichen Zimmer noch einen Schein des Luxus hinzuzufügen . So schmutzig da draußen die enge Gasse ist , so rein ist der Fußboden der Wohnung ; rote Ziegel umgeben den Fuß des Herdes , in der Mitte des Zimmers beginnen die eichenen Dielen , blankgescheuert und nach der Türe zu bestreut mit gelbem , grobkörnigem Sande . Durch die Haustür tritt man gleich in das Innere des Zimmers ; die eine Stube nimmt den ganzen untern Raum des Hauses ein , und unter dem niedrigen Dach kann nur noch Platz für einige Vorräte sein , die man vielleicht in glücklichen Zeiten aus dem Herbst in den Winter hinübernimmt . In dieser Behausung , die sich von den meisten Arbeiterwohnungen wohl nur durch ihre Sauberkeit unterschied , saß nach vollbrachtem Abendessen die Witwe Martin mit ihren beiden Töchtern Marie und Gretchen . Die gute Frau mochte in den Vierzigern sein . Nach dem Tode ihres Mannes war sie schnell gealtert . Ihre Wangen waren bleich geworden und eingefallen , das Haar ergraut , und die dürre Hand strengte sich vergebens an , noch so rasch zu arbeiten wie in früheren Jahren . Regungslos weilte sie an der Seite des Herdes und blickte unverwandt auf ihr jüngstes Töchterchen , das kleine Gretchen , hinab , das auf einem niedrigen Stuhle sitzend den Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt hatte und eingeschlafen war . Gretchen hatte hellbraunes Haar und ein feines , liebliches Gesicht . Gegenüber arbeitete beim Scheine der kleinen Lampe die ältere Tochter Marie , ein Mädchen von achtzehn Jahren . Mariens Gesicht war zu ernst und zu bleich , um schön zu sein – das schwarze , unruhige Auge gab ihrem Kopf aber Leben und Ausdruck und paßte gut zu dem dunklen , glänzenden Haar , was in reicher Fülle die Schläfen umgab . Marie war sehr schlank gewachsen , ihr Fuß war klein , ihre Hände zierlich und sehr rein . Alter , Jugend und Kindheit saßen hier beieinander . Die ergraute Mutter , halb zerstört durch Not und Arbeit , die nur noch das Leben liebte , weil sie ihre Kinder liebte , deren Leib schon erschlaffte , deren Seele still und traurig geworden ; dann die schwarzäugige Marie , in der Blüte ihres Lebens , ohne doch selbst zu blühen , deren Wangen so licht wie ihre Augen dunkel waren , die stolz und entschieden einem Dasein trotzte , das ihren schönen Körper mit ewiger Arbeit verdammte , die aus dem Staub der Fabriken und aus dem Schmutz der Gassen noch jenen Zauber und jene Anmut gerettet hatte , die , ach , bei den meisten ihrer Gespielinnen schon längst wie Blumen vor dem Sturm zerstoben waren . Und endlich das kleine zehnjährige Gretchen , so zart gebaut , so dünn , so schwank , mit einem so feinen Gesichtchen – was soll ich weiter von dem Kinde sagen ? Wir wollen warten , bis es aus dem Schlummer erwacht und uns mit seinen großen Augen still und erstaunt entgegenschaut . » Es ist schon sehr spät , liebe Marie « , flüsterte die Mutter und blickte strafend nach der älteren Tochter hinüber . » Ist es nicht Zeit , daß wir uns bald zur Ruhe begeben ? « » Noch ein paar Stiche muß ich machen , liebe Mutter , geh du schon mit Gretchen zu Bett , ich komme gleich nach , ich muß dies Hemd heute noch fertig machen ; ich glaube gewiß , daß Eduard bald zurückkommt , und dann muß ich ihm gleich etwas schenken . « Der Name Eduard brachte die alte Frau sichtbar in Bewegung , sie faltete die Hände über Gretchens Kopf , und ein schmerzliches Lächeln zuckte um ihre bleichen Lippen . » Glaubst du nicht auch « , fuhr Marie fort , » daß er bald wieder hier ist ? Mir ist es ganz so , als wenn er nicht lange mehr ausbliebe . Wie lange ist er doch jetzt fort ? « » Schon über zwei Jahre « , erwiderte die Mutter , » und Gott weiß , was aus ihm geworden ist . « » Gewiß etwas Gutes ! Eduard ist wild und rauh , aber er ist geschickt und arbeitet gern . Er liebt dich und liebt mich , und er ist immer ein guter Junge gewesen . « » Aber weshalb schreibt er nicht ? Solange er fort ist , bekamen wir nur einen Brief . Ich mag gar nicht daran denken , das Herz will mir vor Kummer zerspringen ! « » Tröste dich , liebe Mutter , ich bin fest davon überzeugt , daß es ihm wohl geht und daß du noch Freude an ihm erlebst . Aus Leichtsinn und Vergeßlichkeit hat er nicht geschrieben ... « » Aber das ist undankbar und häßlich genug ! Wenn man auch noch soviel zu arbeiten hat , so bleibt doch immer Zeit genug übrig , um einmal nach Hause zu schreiben . « » Der Weg ist so weit von England bis hierher , Eduard fürchtet , daß die Briefe zuviel Porto kosten möchten ; vielleicht hat er einmal auch durch Gelegenheit geschrieben , nur der Brief wurde nicht besorgt – das Schiff , mit dem der Brief abgeschickt wurde , kann untergegangen sein – , sieh , liebe Mutter , da hast du Gründe genug , weswegen wir nichts von ihm hören . « » Wenn Eduard selbst nur nicht untergegangen ist . « » Ach , liebe Mutter , ein Brief kann nicht schwimmen und muß daher ertrinken , wenn dem Schiffe etwas Schlimmes begegnet ; aber Eduard schwimmt ja ganz vortrefflich , er würde sich schon gerettet haben . Eduard schwimmt hin und zurück über den Rhein . « » Aber der Rhein ist lange nicht so breit wie das Meer . « » Das ist wahr , das Meer ist an manchen Stellen breiter , aber zwischen hier und England ist es nur ganz klein – gewiß , liebe Mutter , ich fürchte gar nichts , du sollst sehen , daß der Junge bald wieder hier ist . « Mehr als hundertmal hatten Mutter und Tochter schon eine solche Unterredung geführt . Die alte Frau hatte sich aber einmal in den Kopf gesetzt , daß es ihrem Sohne schlecht gehen müsse , daß sie ihn viel leicht gar nicht wiedersehen würde , und vergebens strengte sich Marie an , um die alte Frau zu beruhigen . Manchmal wurde es Marien freilich auch unheimlich zumute . Eduard hatte seit gar zu langer Zeit nichts von sich hören lassen . Vor zwei Jahren war er nach England gegangen , um sich als Mechanikus weiter auszubilden , ein Empfehlungsschreiben an einen Fabrikanten in Manchester hatte ihm gleich Arbeit verschafft , und kurz nachdem er seine neue Stellung angetreten , schrieb er und versicherte damals , daß es ihm sehr wohl gehe – aber das war jetzt sehr lange Zeit her , Marie war innerlich doch voller Sorge um ihren Bruder und tat nur alles mögliche , um dies der Mutter zu verbergen , die ohnehin schon genug geängstigt war . Heute kam es ihr indes wieder vor , als könne der Bruder gar nicht mehr weit sein ; mit wirklicher Überzeugung hatte sie eben der Mutter versichert , daß sie fest an die baldige Rückkehr des lange Erwarteten glaube , und unwillkürlich blieb sie auf ihrem Stuhle sitzen , als wenn noch in demselben Augenblick alle Wünsche in Erfüllung gehen könnten , als müßte sie den Bruder noch heute Abend in ihre Arme schließen . Sie hatte sich in ihren Erwartungen nicht getäuscht . Kaum war die kleine Unterredung zwischen Mutter und Tochter beendigt , da klangen einige rasche Tritte von der Gasse ins Zimmer hinüber . Es hielt jemand vor dem Hause – Mutter und Tochter horchten auf . Mit kräftiger Faust schlug der Kommende vor die Tür der Wohnung . Die alte Mutter fuhr erschrocken zusammen , die Nadel sank aus Mariens zitternder Hand – » Es ist Eduard ! « seufzte sie und wurde noch bleicher als bisher , aber hell blitzten ihre schwarzen Augen . » Wo ist er ? « rief die kleine Schwester , die soeben aus dem Schlummer erwachte – da donnerte der zweite Faustschlag vor die schwache Tür der Hütte . Schloß und Riegel flogen aus ihren Fugen mitten ins Zimmer hinein , die Tür fuhr auf , und mit einem jubelnden » How do you do ? « stürzte der stattliche , breitschultrige Eduard in die Arme seiner halbtoten Mutter . Eduard war ein wilder , muskulöser Geselle ; Hals , Brust , Fäuste und Schenkel – alles war bei ihm im schönsten Ebenmaße und prächtig entwickelt . Um die breite Stirn hing das braune Haar in der besten Unordnung , und üppig sproßte der Bart um Wangen und Kinn . Die gerade Nase , der breite Mund mit trotzig aufgeworfenen Lippen , vor allem aber die dichten , bogenförmigen Brauen mit zwei verwegenen Augen darunter – alles gab seinem Kopf den Ausdruck der Kraft und Entschiedenheit . Der junge , einundzwanzigjährige Riese brüllte vor Freude , daß er sein elterliches Haus wiedersah . Er küßte die Freudentränen von dem bleichen Angesicht seiner Mutter , er preßte die errötende Marie fest an seine Brust und warf das kleine Gretchen hoch in die Luft , indem er es mit beiden Armen jubelnd wieder auffing . Nachdem Eduard seine Bagage von der Straße hereingeschleift und das Schloß der Türe mit einigen Faustschlägen und Fußtritten wieder befestigt hatte , warf er seinen Hut in die Ecke des Zimmers , riß die braune Velvetjacke von den Schultern und setzte sich mit offener Brust in weißen , flatternden Hemdsärmeln in die Mitte des Zimmers , indem er sein kleines Schwesterchen auf den Schoß setzte und den Kopf des zierlichen Kindes sanft an sein Herz drückte . Die gewaltige Rechte , die seit vierzehn Jahren den Hammer auf den Amboß gewettert hatte , überließ er der glückseligen Mutter , welche sich an ihrem Sohne nicht satt sehen konnte und mit sichtbarem Stolz ihren Erstling von oben bis unten musterte . Marie hatte indes das Feuer im Herd angeblasen , um ihrem Bruder noch ein kleines Abendessen zu bereiten . » Nonsens ! « rief Eduard . » Wenn du mir einen Gefallen tun willst , so hole mir aus der nächsten Schenke etwas Brandy und Brot und Käse – wir wollen heute abend noch herrlich leben ! Ihr seht , ich bin ein kompletter Engländer geworden , und mitgebracht habe ich euch auch etwas – hier , liebe Mutter ! « Da warf der lustige Bursche der Mutter ein Dutzend Sovereigns in den Schoß und wollte sich totlachen , als die alte Frau vor lauter Erstaunen über so großen Reichtum fast den Verstand verlor . » Ich kann euch versichern , daß ich in England tüchtig gearbeitet habe , und ich lernte viel dabei . Die zwei letzten Jahre sind mir herumgegangen wie ein Tag – ich wäre gern noch dort geblieben , aber ich sehnte mich nach euch zurück , und da machte ich mich eines Morgens aus dem Staube , setzte mich auf einen Dampfer , fuhr hinüber , und nun bin ich hier , Goddam ! Und nun soll ein anderes Leben losgehen , das versichere ich dir , liebe Mutter . Du sollst die Hände jetzt in den Schoß legen , und Marie soll nicht mehr in der Fabrik arbeiten , und Gretchen soll mir in die Schule gehn , und ich will für euch alle tätig sein , und ich will schon genug verdienen ! « » Es ging uns manchmal recht schlecht « , fuhr die Mutter fort , als der gesprächige Sohn sich nach manchem erkundigte , was in seiner Abwesenheit vorgefallen war . » Im vorigen Sommer war ich krank und habe seitdem nie recht mehr arbeiten können , in der Fabrik konnte ich nicht mehr bleiben , da jetzt andere Leute da sind , die alles besser als ich machen , ich suchte daher hin und wieder ein paar Groschen zu erwerben und tue das auch noch heute . Marie hat eine gute Beschäftigung , sie arbeitet noch immer in der Fabrik und muß die fertigen Zeugstücke nachsehen und andre leichte Sachen tun , die nicht zu sehr anstrengen . Gretchen ist seit zwei Jahren in der Baumwollspinnerei , ich habe mich lange dagegen gesträubt , aber – – « » Armes Kind « , unterbrach Eduard seine Mutter und drückte das Schwesterchen fester an seine Brust , » so mußt du auch schon arbeiten ? Ach , man sieht es dir an ; wie klein und zart bist du geblieben , deine Ärmchen sind so dünn , und du bist so blaß und so spitz in dem kleinen Gesichtchen , und die Augen tun dir gewiß recht oft sehr weh , nicht wahr , von dem verdammten Staub , der dir immer entgegenfliegt – armes Schätzchen , aber jetzt soll das auch aufhören . Du sollst die Spinnerei nie wieder betreten . Bei tausend armen Kindern kann ich es nicht ändern , daß sie von den Fabrikanten ruiniert werden , aber mein kleines Gretchen will ich davor bewahren ; liebes Engelchen , gib mir einen Kuß , wir wollen uns recht liebhaben ! « Das arme Kind wußte kaum , wovon die Rede war , die Tränen kamen ihm in die Augen , es erschrak , weil der große Bruder plötzlich so ganz anders sprach , mit einer Stimme , die gradezu in das kleine Herz drang . » Und ich wette « , rief Eduard dann , indem er sich wieder zu seiner Mutter wandte , » daß es in eurer Fabrik noch grade so lumpig aussieht wie früher . Das ganze Haus ist von jeher ein ungesundes Loch gewesen , wo namentlich die Kinder in ein paar Jahren total ruiniert werden . Ich habe das immer gesagt , und viele andere Arbeiter ebenfalls , aber es wird nichts geändert , man läßt alles beim alten – der alte Herr Preiss ist ein wahrer Teufel , Gott verdamm ihn ! « » Pfui Eduard ! « erwiderte Marie , die hinausgegangen war und für ihren Bruder das gewünschte Getränk geholt hatte . » Schäme dich , so etwas zu sagen . Der Herr Preiss tut für seine Arbeiter , was er kann . « » Das ist das erste , was ich höre , liebe Marie ! Da muß sich der alte Schuft sehr geändert haben . Vor zwei Jahren sah es noch so schlecht mit seiner ganzen Wirtschaft aus , daß ich bis auf den heutigen Tag nicht begreife , wie ich es früher so lange darin aushalten konnte . Ich kenne jetzt die englischen Fabriken und weiß genau , wie es darin aussieht ; wenn man diese mit der Bettelei des Herrn Preiss vergleicht , da steht einem wirklich der Verstand still . Nun , ich will aber sehen , ob ihr euch hier gebessert habt . Sag mir zum Beispiel , ob das Zimmer verändert ist , in dem den Kindern die Trommeln drei Hand hoch über dem Kopfe schweben , wo an gar kein Ventilieren zu denken ist , wo stets eine solche Hitze und ein solcher Staub herrscht , daß man ohnmächtig zu werden meint , wenn man von außen in dieses Loch hineintritt ? « Eduard wartete auf Antwort , und Marie erklärte nach einigem Zaudern , daß das Zimmer grade noch wie früher aussähe . » Well « , rief Eduard , » so fahre der Herr Preiss zur Hölle ! Und wie sieht es mit dem andern Saale aus , wo der Maschinensatz so nahe an der Wand steht , daß die Kinder , wenn sie passieren wollen , jedesmal in Gefahr sind , von den Rädern ergriffen und unter die Decke geworfen zu werden ? « Marie mußte nochmals gestehen , daß auch hierin nichts geändert sei . » Well , so hol ihn der Teufel ! Aber Marie , wie kannst du den alten Preiss auch nur einen Augenblick lang verteidigen wollen ? Diesen alten Schurken , der durch den Schweiß von Tausenden groß und reich geworden ist , durch den Schweiß und das Blut zahlloser Unglücklicher , denen er das Mark aus den Knochen sog und die er dann barsch vor die Tür warf , unbekümmert darum , ob sich andre Leute ihrer annehmen würden oder nicht . « Eduard schlug mit geballter Faust auf den Tisch und sah seine Schwester mit zornigen Augen an . Marie wagte nicht aufzuschauen . » Ich weiß recht gut « , fuhr der junge Mann fort , » daß unter den Fabrikanten der eine nicht viel besser als der andre ist . Es gibt manche unter ihnen , die für ihre Arbeiter sorgen wie für ein gutes Pferd , für einen guten Hund – das sind die besten . Dann kommt eine Sorte , welche aus Furcht vor den Gesetzen nie zu einer offenbaren Schinderei der Arbeiter übergeht – zu dieser Klasse gehören die meisten . Die dritte Gattung wird würdig durch den Herrn Preiss vertreten , der alles tut , was er will , der mit Bürgermeistern und Polizeidienern stets auf dem besten Fuße lebt und in seinen vier Wänden wirtschaften kann , wie es ihm beliebt . Wenn der alte Preiss sich nicht sehr geändert hat , so ist er einer der größten Schurken unter der Sonne , ein Mensch , dem es einerlei ist , ob alles um ihn her zugrunde geht , sofern er nur Geld dabei verdient . « » Wahrscheinlich bist du doch zu hart gegen den Herrn Preiss « , erwiderte Marie . » In seiner Fabrik mögen einige Räume sein , die nicht gesund und weit genug sind , das ist wahr – aber das ganze Gebäude ist schon alt , und es läßt sich nicht gleich alles so verändern , wie du wohl meinst . Mit den Maschinen ist es ebenso , die wurden schon vor vielen Jahren angeschafft und mögen vielleicht nicht so gut und passend sein als alles das , was du jetzt in England gesehen hast . Aber müssen wir uns nicht trotzdem freuen , daß der Herr Preiss fortwährend mit seiner Fabrik im Gange bleibt , daß er uns Arbeit gibt , daß wir dadurch unser Brot verdienen ? Was würde aus uns werden , wenn er seine Fabrik mit einem Male stillsetzte ? « » Es würde uns noch einmal so gut gehen ! « » Du willst also , daß er zu arbeiten aufhört ? « » Ja , bei Gott , das will ich , und wenn er es nicht aus freien Stücken tut , so wollen wir ihn dazu zwingen . Dieser Alte soll noch einmal nach unsrer Pfeife tanzen statt wir nach der seinen . Es ist besser , daß wir seinen ganzen Kram zusammenschlagen , als daß wir uns in ein paar Jahren ruinieren lassen , um , Gott verdamm mich , jede Woche ein paar lausige Groschen zu verdienen . Stehen wir einmal alle miteinander ohne Arbeit , mit hungrigen Magen auf der offenen Straße , da wird sich schon etwas für uns finden , das hat gute Wege . Mit den Fabriken muß es aber anders in der Welt werden . « » Ich bitte dich , lieber Eduard , trinke nicht so viel ! « flüsterte Marie und zog dem Bruder das Glas vom Mund weg . Denn mit Schrecken hatte sie bemerkt , wie der hitzige Bursche eine Portion nach der andern hinunterschluckte und immer heftiger und aufgeregter wurde . » Laß mich , Marie ! Du verstehst das nicht besser – diese Fabrikanten sind nicht wert , daß sie gehängt werden , und der alte Preiss ist mir am allerverhaßtesten . Übrigens will ich jetzt auch wieder Arbeit bei ihm suchen , er kann mich gut gebrauchen , er wird gern auf meinen Vorschlag eingehen – es ist mir recht eigentlich darum zu tun , jetzt in seiner Nähe zu sein . Ich habe da nicht allein Gelegenheit , meine mechanischen Kenntnisse anzuwenden , sondern ich will auch einen andern Geist unter die übrigen Arbeiter bringen . Der alte Preiss soll einmal erfahren , was es heißt , wenn seine Sklaven über ihre Lage klar werden . Ich habe mir fest vorgenommen , alle Arbeiter weit und breit gegen den alten Schurken aufzuwiegeln – es ist einerlei , wenn ich dadurch auch selbst leide , ich habe meinen Entschluß gefaßt – ich werde mich noch morgen bei ihm melden . « » Ich verstehe dich nicht ganz , Eduard – aber es wird mich von Herzen freuen , wenn wir künftig wieder an demselben Orte arbeiten . Ich glaube auch , daß du gleich bei dem Herrn Preiss eintreten kannst . Wenn du meinst , daß es was helfen kann , so will ich mit den jungen Herren , mit dem Herrn August oder Julius , vorher noch einmal sprechen – der Herr August ist immer so gut gegen mich . « » Alle Wetter , liebes Kind , mach mich nicht ärgerlich , erinnere mich nicht an diese vornehmen Jungen , an diese Fabrikantenbrut , es juckt mir jedesmal in den Fingern , wenn ich an diese beiden Laffen denke . Das fehlte noch , diesen faulen Gesellen Komplimente machen , diesen Hasenfüßen , die auf der Jagd liegen oder auf den Bällen umherspringen , während ihnen zehnjährige Kinder wie unser kleines Gretchen in der Spinnerei das Lumpengeld verdienen müssen . « » Ich bitte dich , Eduard , sei nicht so hart ; was können die vornehmen Leute dafür , daß wir für sie arbeiten müssen ? Einer muß doch die Arbeit tun , dazu sind wir nun bestimmt , und die beiden Söhne des Herrn Preiss haben ein glücklicheres Los getroffen . « » Sprich nicht so albernes Zeug ! « » Es tut mir leid , daß wir uns nicht verständigen können . Ich würde dir indes doch noch recht geben , wenn jene beiden jungen Leute ihr Glück mißbrauchten , wenn sie der Gewalt , die sie über uns haben , noch Spott und Hohn hinzufügten , wenn sie sich lustig über unser Unglück machten oder uns die Arbeit , welche wir nun einmal des lieben Brotes wegen tun müssen , absichtlich erschwerten . Aber davon habe ich nie etwas erfahren , ebenso streng und barsch , wie bisweilen der Vater ist , ebenso gutmütig und gefällig sind die beiden Söhne . Julius hat sich oft nach dir erkundigt , wie es dir ginge und ob du noch nicht bald wiederkämst und dergleichen , und der Herr August ist erst gar ein lieber Mensch , der noch niemandem etwas zuleide tat , der gern allen hilft , allen beisteht , der seinen eigenen Rock vom Leibe reißen würde , wenn er sähe , daß er jemand damit glücklich machen könnte . « » Dummheiten , nichts als Dummheiten « , murrte der zornige Bruder und stürzte ein anderes Glas Grog hinunter . » Für einmal , liebe Marie , wenn du meine Schwester sein willst , so sollst du diese Menschen hassen – mehr habe ich dir nicht zu sagen , und nun schweig mir still von diesem Quark . Es ist aber zum Rasendwerden mit dir . Bist du nicht eines Arbeiters Kind , den eben dieser alte Preiss , der Vater dieser zwei prächtigen Söhne , ruiniert hat ? Bist du nicht einer Mutter Kind , die hier neben dir sitzt , alt und grau vor der Zeit , die durch diesen alten Preiss vernichtet wurde ? Bist du nicht die Schwester eines Bruders , der diesem alten Teufel ewigen Zorn gelobt , bist du nicht in dieser Hütte geboren , wo der Stolz der einzige Schmuck ist , bist du nicht schlank und groß , hast du nicht schwarze Haare und kohlschwarze Augen , und fließt denn kein Blut in deinen Adern – sprich , kannst du nicht einmal hassen ? « Eduard schleuderte sein leeres Glas fluchend an die Wand und maß seine Schwester mit zornigen Blicken . Vergebens suchte die Mutter ihren heftigen Sohn zu beruhigen . Die Aufregung der Reise , die immer lebendiger werdende Unterredung und das viele Trinken hatten Eduard in eine fieberhafte Stimmung versetzt . » Laß dich doch nicht betören « , fuhr er zu Marien fort . » Du hast diesen Jungen Burschen wahrhaftig nicht dafür zu danken , wenn sie dir von Zeit zu Zeit einmal einen freundlichen Brocken zuwerfen . Damit soll gewöhnlich alles wiedergutgemacht werden , ich weiß es wohl . Ein paar Groschen die Woche und alle halbe Jahre ein Kompliment , dafür soll man Leib und Seele verkaufen . Die hohen Herren machen einen billigen Handel . Aber wir wollen endlich aufhören , uns durch solche Torheiten fangen zu lassen . Unsere Fäuste müssen wir ihnen noch leihen , da sie das Geld haben und wir arm sind . Aber kein Teufel soll uns dazu zwingen , daß wir sie außerdem als uns Überragende anerkennen – nein , unter uns sollen sie stehen an Stolz und Ehre und unerschrockenem Sinn , und es wird eine Zeit kommen , wo diese Reichen Respekt vor uns bekommen werden , wo sie sich darüber freuen werden , wenn wir ihnen nicht etwas anderes als einen Fluch ins Gesicht schleudern ! « » Sei ruhig , lieber Eduard « , fuhr die Mutter fort und strich mit der dürren Hand das Haar von der brennenden Stirne ihres Sohnes . » Es wird gewiß auch einmal anders in der Welt werden , die reichen Leute haben manche Sünde vor Gott zu verantworten , in manchen Sachen gebe ich dir ganz recht , und Gott wird auch mit uns Armen sein . « » Laß den Herrgott aus dem Spiele , liebe Mutter , wir haben es hier mit Menschen gegen Menschen zu tun , und damit ist die Sache viel klarer und einfacher . Doch vergib mir , Marie , daß ich dich so erschreckt habe « , fuhr Eduard dann zu seiner Schwester fort , die durch das plötzliche wilde Aufbrausen ihres Bruders sichtbar in Angst geraten war , » komm und vergib mir , versprich mir aber auch , daß du künftig so denken willst wie ich , daß du nicht allein unverdrossen deine Arbeit tun wirst , die bis jetzt nun einmal nicht zu ändern ist , sondern daß du auch wieder stolz und keck sein willst , wenn der Tag vorüber ist und wenn wir unter uns sind . Ich kann es nicht leiden , wenn man an unseren Herren auch nur einen Funken Gutes läßt , denn im Grunde sind sie doch nur aus Habsucht und Heuchelei zusammengesetzt , sobald sie mit uns Armen in Berührung kommen . Früher habe ich auch nicht so gedacht , aber das kalte England brachte mich zum Verstande – und was ich dort lernte , will ich hier nicht vergessen . Wart nur , ich werde dir noch von den englischen Weibern erzählen – die würden dich auslachen , wenn du für die Söhne eines Fabrikanten schwärmen wolltest . Nimm dich in acht , liebe Marie , vor dem Herrn Julius oder dem August ! « Scharf blickte Eduard seine Schwester an ; sie errötete und schlug die Augen nieder . » Ich werde nie etwas tun , was ich nicht vor meinem Bruder verantworten könnte « , erwiderte sie endlich , wandelte langsam durch das Zimmer und bog sich dann über Eduards Schulter , indem sie mit ihren Lippen leicht seine Stirn berührte . » Sieh , Gretchen ist schon bald wieder eingeschlafen « , rief Eduard und erhob sich leis von seinem Sitze , indem er das Kind vorsichtig in seine Arme nahm . » Wir wollen es zu Bett bringen , das kleine Geschöpf . Wie schön es ist , welch ein zierliches Gesichtchen , ich gebe dir einen Kuß , Herzchen – ach , wie bist du mir lieb ! Was meinst du , Marie , was würde der Herr Preiss sagen , wenn ich mit diesem kleinen Mädchen auf dem Arme zu ihm käme und sagte : › Verehrter Herr Preiss , dies Kind hat nun heute von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends für Sie unermüdlich gearbeitet , es ist hin und her gesprungen , rechts und links , es hat hier Fäden angeknüpft , dort die Wolle aus den Maschinen gezupft , bald dies und bald jenes getan und nie gerastet und nie geruht , bis es endlich todmüde hier zusammensank , und das alles ist nur geschehen , damit sich das Kind selbst vielleicht ein Kleidchen und ein wenig Essen und Trinken dadurch erwerbe , damit Sie aber in einer großen Karosse spazierenfahren , damit Ihre Söhne Champagner trinken und auf den Bällen herumtanzen möchten – Herr Preiss , seien Sie aufrichtig , ist das Recht , ist das in der Ordnung – ist das nicht eine wahre Schande ? ‹ Was meinst du , Marie , was würde wohl der Herr Preiss sagen ? « Da legte Eduard sein Gretchen in das große Bett , was den Hintergrund des Zimmers einnahm . Die Mutter hatte in einem Winkel des Zimmers ein Lager für ihren Sohn bereitet . Marie löschte das Licht aus , und die Arbeiterfamilie war bald darauf in tiefem Schlummer . Es ist Zeit , daß wir unsere Leser mit einem andern Sohne des Herrn Preiss bekannt machen . Der Fabrikant hatte drei Söhne . Den jüngsten , Julius , kennen wir schon durch seine Abenteuer auf der Besitzung des Baron d' Eyncourt , den ältesten , Daniel , den Philosophen , wie er gewöhnlich in der Familie genannt wurde , verwahren wir uns für spätere Zeiten auf , der dritte , von dem wir jetzt erzählen wollen , heißt August . August mochte fünfundzwanzig Jahre alt sein . Sein Äußeres war weder schön noch häßlich . Das blonde Haar , das regelmäßige , aber ausdruckslose Gesicht , die graublauen Augen , in denen selten eine große Lebendigkeit aufblitzte , seine einfachen Manieren und die schlichte , in Schnitt und Farbe stets gleichbleibende Kleidung : alles machte ihn zu einem Menschen , der bei niemandem einen unangenehmen Eindruck zurückließ , der aber auch die Aufmerksamkeit keines einzigen fesseln konnte , den man ebenso schnell vergaß , als man ihn gleichgültig betrachtet hatte . Fast ohne Freunde in einer Stadt , wo seine Familie zu den angesehensten gehörte , wo ihn jeder kannte , führte er ein sehr stilles , zurückgezogenes Leben . Selten mischte er sich in Gesellschaft , und wenn dies doch von Zeit zu Zeit einmal geschah , so hielt er sich so fern von dem größern Haufen , von der allgemeinern Konversation , daß man ihn kaum bemerkte , daß es für andere gerade so gut war , als wäre er gar nicht dagewesen . Da er an nichts , was um ihn vorging , Anteil zu nehmen schien , da er weder in Worten noch in Mienen seine Freude oder seinen Verdruß zu erkennen gab und in seinem Benehmen stets so derselbe blieb , daß man ihn mehr aus Stein und Wasser als aus Fleisch und Blut zusammengesetzt halten mußte , so bekümmerte sich bald auch niemand mehr um ihn , und wenn doch bisweilen unter den Freunden seines Vaters oder seiner Brüder einmal die Rede auf ihn kam , so meinte man bald von der einen Seite , daß er ein wenig borniert und blöde sei , bald von der andern , daß ihn der Eifer für das Geschäft des Vaters so sehr absorbiere , daß er auf einem andern Felde eben nichts mehr wert sei . Beide Teile mochten in etwa recht haben ; borniert war August in der Weise , daß es ihm unmöglich war , vor andern irgendeine Meinung , eine Ansicht verständlich und entschieden auszusprechen . Daher denn auch seine Blödigkeit , seine Scheu davor , je einmal einen Versuch in dieser Beziehung zu machen . Was seine Tätigkeit in dem Geschäft des Vaters anging , so beurteilte man ihn hierin ziemlich richtig , denn August arbeitete so fleißig und gewissenhaft , daß ihm nicht viel Zeit übrigblieb , sich gesellschaftlich auszubilden . Wie Julius von seinem Vater den Auftrag hatte , sich mit den Arbeiten des Comptoirs zu beschäftigen , so war August dazu bestimmt , die Aufsicht über die Fabrik zu führen , die Spinn- , Webe-und Färbemuster zu kontrollieren , Arbeiter zu engagieren und zu verabschieden und den Buchhalter und Kassierer im Auszahlen der Löhne zu unterstützen ; und ebensosehr , wie Julius seinen Posten vernachlässigte und einen unwiderstehlichen Hang in sich fühlte , den Gentleman zu spielen , ebenso ausschließlich und unermüdlich beschäftigte sich August mit dem , was ihm der Vater übertragen hatte . Schon viel früher , als sich die Arbeiter am Morgen einfanden , wandelte er durch den Garten um die Fabrik , gerade als hätte er sich erst jedesmal wieder ganz mit seinem Terrain bekanntmachen müssen , ehe er die Hand zu neuer Arbeit erhob ; hatte endlich die Uhr der Fabrik geschlagen und begann im Hintergrund dieses Gebäudes das dumpfe Spektakeln der Maschinen , das Brausen der Kessel , das Dampfen und Glühen der Essen , da war er auch an Ort und Stelle , schreibend , rechnend , kontrollierend , Befehle erteilend , und alles geschah so ruhig , mit so viel Gelassenheit und Präzision , daß er gewöhnlich in derselben Zeit mehr ausrichtete als drei andere . Sowie die Mittagsstunde geläutet hatte , ließ er zugleich mit allen Arbeitern die Hände sinken und eilte hinüber in die Wohnung seines Vaters , wo er gewöhnlich etwas früher aß als alle anderen , denn August hatte einen vortrefflichen Appetit , aber er trank nie Wein dabei , nur Wasser . Gleich nach dem Essen stand er wieder in Reihe und Glied und hörte erst mit seiner Arbeit auf , wenn der Abend dem ganzen Geschäft ein Ende gemacht hatte . Seine Aufmerksamkeit ging sogar so weit , daß er noch einmal das ganze Etablissement durchwanderte , wenn schon alles zur Ruhe war – eine Gewohnheit , die er sich bei den guten Nachtwächtern der Fabrik wohl hätte ersparen können . Man mußte gestehen , August war das Muster eines jungen Fabrikanten , schlicht , einfach , geschickt in seiner Weise , tätig , ernst , umsichtig und überlegend ; man hätte sagen sollen , der alte Preiss müßte seinen Sohn als einen wahren Schatz verehren , die Arbeiter , denen er zwar sehr entschieden , aber nie barsch entgegentrat , müßten ihn achten und lieben , und die ganze übrige Gesellschaft würde ihn als einen Mann anerkannt haben , der seiner Klasse Ehre mache . Wie wir aber bereits gemerkt haben , begnügte man sich damit , ihn blöde , borniert und ungenießbar zu nennen , denn der Ort , wo August lebte , war keineswegs ein rein industrieller , wo die Herren Fabrikanten schon ein solches Übergewicht allein hatten , daß ihr Benehmen den Ton in der Gesellschaft angab . Ein deutscher Industrieller hat zwischen seinen gelehrten Landsleuten noch keineswegs die Stellung erobert , welche sich z.B. der Bolton- , Birmingham- oder Manchester-Mann in seinem Hause zu sichern wußte . Die Damenwelt der Gesellschaft war nicht günstiger für ihn gestimmt wie die Kreise der Gelehrten und Beamten . Außer daß er von mancher lächelnden Schönheit borniert gescholten wurde , ärgerte man sich noch darüber , daß er nie in seinem Leben eine Spur von Galanterie gezeigt hatte – es ist , als wenn dem jungen Manne ein Stock im Rücken säße , als wenn ihm Blei auf der Zunge läge , als wäre Eis in seinem Herz , hatte manche heiratslustige Jungfrau bemerkt , und die Frau Mutter konnte nicht umhin zu bemerken , daß es doppelt traurig sei , da der junge Herr Preiss doch seinerzeit ein vermögender Mann werde . Die Arbeiter der Fabrik waren in anderer Weise in ihrem Urteil über August ebenso einig wie die höhere Klasse der Gesellschaft . Sie achteten ihn und hatten großen Respekt vor ihrem jungen Herrn , denn er zeigte überall , daß er sein Fach verstehe , daß er mit Leib und Seele bei der Arbeit war , daß ihm alles ernst war , was er tat . August hatte sich auch nie etwas gegen sie vergeben , er hatte sich nie lächerlich gemacht , niemand war imstande , ihm etwas vorzuwerfen , was seinen Charakter als tüchtigen Geschäftsmann getadelt hätte . Aber die Arbeiter liebten ihn nicht , teils wohl , weil er ihnen stets auf den Fersen saß und keine Nachlässigkeit ungerügt hingehen ließ , mehr aber noch , weil er seine Befehle stets mit einer solchen Schärfe erteilte , daß dem Gehorchenden unwillkürlich Furcht dadurch eingejagt wurde . Sie hatten gewisser maßen unrecht , sie irrten sich , wenn sie den Bruder Julius , der nur gar zu oft mit wohlfeilen Späßen um sich warf , für geneigter und freundlicher hielten als den ernsten August . Wie dem leichtsinnigen Julius überhaupt nichts daran lag , ob das Geschäft seines Vaters florierte oder nicht , so kam es ihm auch gar nicht darauf an , die Arbeiter hin und wieder von der Beschäftigung abzuziehen und sie durch kleine Geschenke oder lustige Redensarten zu seinen Freunden zu machen . Im Grunde lag ihm natürlich an dem Wohl oder Weh des armen Gesindels ebensowenig wie an der Glückseligkeit aller andern armen Teufel . Aus Laune war er oft gutmütig und generös . Hinter Augusts anscheinender Kälte saß dagegen ein warmes Interesse an dem Wohlergehen seiner Untergebenen , eine Teilnahme , die ebenso fest und aufrichtig war wie alles , was diesen sonst so linkischen Menschen bewegte . Seines Gefühles wohl bewußt , zufrieden mit sich selbst , gab er sich daher auch niemals Mühe , einen größern Effekt zu machen als den , welchen sein Benehmen unwillkürlich mit sich brachte ; er verlangte von seinen Untergebenen entschiedenen Gehorsam nur dann , wenn er nach den Gesetzen der Gegenwart ein Recht dazu hatte , er half und unterstützte , wenn er einen Erfolg dabei zu hoffen hatte , er ließ sich sogar zur unbegrenzten Freigebigkeit verleiten , wenn eine angeborene Gutmütigkeit jenen strengen Geschäftsernst überwand , den er sich seit Jahren zur Richtschnur gesetzt hatte . Alles das ging natürlich den meisten Arbeitern verloren – sie sahen in ihm eben nur den gestrengen , energischen und verständigen Herrn , dem sie zwar alle Achtung zollten , den sie aber auch hinterrücks gern verleumdeten und herunterzogen , als hätten sie sich dadurch für ihren Gehorsam entschädigen wollen , den sie , Aug in Auge mit ihm , leisten mußten . Da geschah nichts , was den Arbeitern unangenehm war , Herr August mußte die Hand dabei im Spiele haben ; wenn der alte Preiss tobte und fluchte , so sollte August dazu die Veranlassung gegeben haben , wenn er jemanden zur Fabrik hinausjagte , da stand es bei den Arbeitern fest , daß August an der ganzen Sache Schuld sei . Dieses Unglück , immer halb verkannt zu werden , hatte August nicht weniger in dem Verhältnis zu seinem Vater . Der alte Preiss wußte sehr gut , daß er an seinem Sohne die beste Stütze im Geschäft habe , daß August imstande war , jeden Tag das ganze Etablissement zu übernehmen und mit Erfolg zu dirigieren , er wunderte sich sogar über seinen Sohn , dem es trotz aller Mittel , die ihm zu Gebote standen , niemals einfiel , sich das Leben in etwa angenehm zu machen ; er konnte es fast nicht begreifen , wie ein junger Mensch noch tätiger als er selbst sein könne . Mit einem Wort , der alte Fabrikant hielt große Stücke auf seinen Sohn , er lobte ihn sogar bisweilen als seinen einzigen geratenen Jungen und strich ihn bei dem leichtsinnigen Julius als ein Muster aller Tugenden und bei dem phantastisch-philosophischen Daniel stets als einen Menschen heraus , der das Nonplusultra aller Liebenswürdigkeit und Pünktlichkeit sei . Im Grunde genommen war der alte Herr mit seinem August aber weit unzufriedener als mit den beiden anderen Söhnen zusammen . Alles , was der leichtsinnige Julius an elegantem , chevalereskem Auftreten und der sonderbare Daniel an Witz und Verstand in den Augen des Alten zuviel hatten , alles das hatte der ernste August zu wenig . So sehr der alte Preiss sich darüber ärgerte , daß sein Julius oft in einem Tage mehr Geld zum Fenster hinauswarf , als alle Arbeiter in einer Woche verdienten , ebensosehr freute er sich jedoch wieder darüber , wenn dadurch irgendein neuer Glanz auf den Namen Preiss geworfen war , wenn es die Leute weit und breit von dem mächtigen Vater dieses flotten Jungen reden machte . Und Daniel – gerade so fest , wie der Alte davon überzeugt war , daß dieser sein ältester , studierter Sohn ein Verrückter , ein kompletter Narr sei , gerade so entzückt war er doch darüber , wenn ihm irgendein Regierungsrat versicherte , daß sein Daniel ein Lumen mundi sei , gerade so sehr freute er sich darüber , wenn er Daniels Namen in der Zeitung , in den Bücherannoncen oder in dergleichen erwähnt fand . Alle diese glänzenden Eigenschaften , welche bei dem ältesten und jüngsten Sohne im Übermaße entwickelt waren , eben die fehlten aber dem stillen August durchaus , und das war dem alten Herrn noch viel unleidlicher . August war in seinen Augen nichts weiter als ein einfacher Fabrikant ; das wollte aber der alte Herr gar nicht . Er hatte Geld genug verdient – es war gar nicht nötig , daß August sich so unendliche Mühe gab ; das Geschäft sollte zwar fortgesetzt werden , aber die Söhne sollten es in genialer , grandioser Weise tun , noch war er selbst , der alte Preiss , ja da , der gern den gewöhnlichen Kram besorgte , weil es ihm einmal so zur Gewohnheit geworden war . Die Söhne sollten indes , ohne gerade die Kaufmannschaft an den Nagel zu hängen , nach einer höhern Stellung als nach der eines simplen Fabrikanten streben , sie sollten sich auch auf andere Weise herausbeißen , sie sollten auch noch nach einem andern Ruhm als nach dem eines tüchtigen Industriellen ringen . Der alte Preiss vereinigte nämlich mit seinen vielen Leidenschaften auch noch einen davon sehr verschiedenen politischen Ehrgeiz – er gehörte der Bourgeoisie an , einer Klasse , die bisher ohne allen Einfluß im Staate war , die aber anfing , sich zu fühlen , die an den Mittelklassen Englands und Frankreichs in der letzten Zeit ein zu anspornendes Beispiel hatte , als daß ihr nicht die Lust gekommen wäre , sich ebenfalls zu entwickeln und ein Wörtchen mitzusprechen . Lange hatten diese Gelüste bei dem alten Fabrikanten geschlummert , er sah ein , daß die Zeit noch nicht gekommen war , um mit solchen Ideen hervorzutreten . Er beschränkte sich daher lange Zeit darauf , seinem künftigen Wirkungskreise erst eine solide Basis zu schaffen , indem er alle seine Geisteskräfte auf den Gelderwerb konzentrierte . Er war erfolgreich hierin gewesen . Sein Vermögen hatte sich mit jedem Jahre vergrößert , es wurde fast zu groß für den Betrieb seines Geschäftes , enorme Kapitalien lagen unbenutzt gegen schlechte Zinsen bei allen benachbarten Bankiers . › Sollst du es wagen und jetzt als der Repräsentant der rheinischen Bourgeoisie auftreten ? ‹ hatte er sich oft gefragt und mit Siegesgewißheit auf sein Portefeuille geklopft . › Sollst du dein ganzes Geschäft versilbern , sollst du agitieren und die Presse mit deinem Gelde in Unruhe bringen ? Sollst du ein paar Dutzend Schreihälse in deinen Sold nehmen und deine Kollegen überall aus dem Schlummer wecken ? ‹ Der mutige Fabrikant war oft auf dem Punkt gewesen , solche Ideen praktisch auszuführen . Aber unwillkürlich fiel ihm dann wieder ein , daß er nur ein einzelner sei , daß noch keineswegs eine hinreichende Masse da sei , welche eine Partei bilden könne , daß außer ihm noch andere reiche Leute tätig seien , welche sich der Bewegung hingäben , und unverdrossen fuhr er dann wieder im Kommerz fort . Nie aber seine Pläne aus den Augen verlierend , hatte er bald darauf auf der einen Seite seine überflüssigen Kapitalien zu Güterankäufen verwendet , um sowohl als Fabrik- wie als Grundbesitzer eine Rolle zu spielen , anderseits aber die Schutzzollagitation eingeleitet , in der er das einzige Mittel zur Emanzipation der übrigen deutschen Industriellen erblickte . Der Herr Preiss räsonierte : › Wenn wir durch hohe Zölle gegen die Konkurrenz des Auslandes geschützt sind , da werden im Nu in allen Teilen Deutschlands Fabriken heranwachsen ; mir selbst als Fabrikanten wird dies wenig schaden , denn die später natürlicherweise entstehende inländische Konkurrenz kann mir nicht gefährlicher werden , als es jetzt schon die ausländische ist . Als politisch Ehrgeizigem nützt mir die Sache aber entschieden , denn jeder der neuen deutschen Industriellen wird bei einem Schutze florieren , er wird reich werden , und da sein Interesse ganz das meine ist , so wird er sich zu meiner Fahne schlagen , und die Partei ist fertig , eine Partei mit Geld , Intelligenz und Habsucht ausgerüstet , der eine morsche Bürokratie schwerlich widerstehen wird ; einige Jahre nach Durchsetzung der Schutzzölle werden wir schon unsere Kapitalien in die Waagschale werfen können , und es ist kein Zweifel , daß sie immer mehr zur Konstitution und daher zu unserm Vorteil hinüber schwenkt . ‹ Mit der Schutzzollagitation war Herr Preiss im besten Zuge , wie wir aus einem frühern Kapitel wissen . Gar zu gern hätte er bei dieser Arbeit einen seiner Söhne benutzt . Er versuchte mehr wie hundertmal , ihren Ehrgeiz aufzustacheln , indem er ihnen ihre kommerziell-politische Zukunft mit den brennendsten Farben ausmalte , aber alles war vergebens . Der Philosoph Daniel , der jedenfalls die Feder am besten zu führen wußte , war zu sehr über allen irdischen Dingen erhaben , als daß er sich dazu verstanden hätte , eine Abhandlung über Garn- und Eisenzölle zu schreiben . Wenn der lebendige Alte davon anfing und mit aller Ruhe seine Gründe nett auseinandersetzte , da machte der todernste Gelehrte schon in der ersten halben Stunde der Konversation so tolle Sprünge , daß der eifrige Alte bald nicht mehr wußte , ob er sich krank lachen oder krank ärgern sollte . Gewöhnlich sprang er dann vom Stuhle auf , die Stirn voller Angstschweiß , die Fäuste fest ineinandergekniffen , und erklärte der Haushälterin vor der Türe , der Daniel sei ein Esel und ein Schafskopf hinten und vorn , ein wahres Kind , ein Geck , ein Hanswurst , der nicht wert sei , daß man ihn mit der Splitte Holz vor den Kopf schlage . Daniel zündete in solchen Augenblicken ruhig eine Zigarre an . Mit dem liebenswürdigen Julius ging es dem Vater nicht besser wie mit dem unverständlichen Philosophen . Julius hatte sich den Adam Smith in der Buchhandlung holen müssen , MacCulloch , Sismondi , Ricardo , List und das Zollvereinsblatt vor allen anderen Dingen , der Vater hatte ihm mit Stockprügeln gedroht , wenn er nicht alles durchstudiere und merke und nicht in Zeit von einem Monat den gründlichsten Beweis führen könne , daß er mit der ganzen Ökonomie so vertraut sei wie mit Clauren und Schiller und Uhland und mit den Aventures des Chevalier Faublas . War der festgesetzte Termin aber verstrichen und examinierte der Alte seinen Sohn , ob er den Adam Smith endlich widerlegen könne und ob es ihm möglich sei , für das Schutzzollsystem aufzutreten und ein Rundschreiben an die Herren Kollegen oder eine Petition an das Gouvernement zu entwerfen , ach Gott , da fand sich jedesmal , daß der teuere Julius wohl begriffen hatte , daß zweimal zwei vier sei , daß es ihm aber im höchsten Grade dunkel war , wie man bei einem gehörigen Zoll auch wohl aus vier acht und sechzehn machen könne . Gottergeben faltete der Alte dann seine Hände und versicherte seinem Jüngstgeborenen , daß er ein Stockfisch sei . Zuletzt sollte dann auch August herhalten , bei dem der Alte in allen verzweifelten Fällen wider Willen seinen Trost suchen mußte . August hatte wenigstens einen Begriff vom Handel und Wandel , er war nicht verrückt wie der Philosoph und nicht zerstreut wie Julius – mit August mußte alles gelingen . Verständlich und deutlich setzte der Alte seine Pläne auseinander , und wenn er fertig war , da versicherte August jedesmal , daß er alles trefflich verstanden habe und gern die ganze Sache auf der Stelle zu Papier bringen wolle . In wenigen Stunden war dies getan , der Alte ergriff das Manuskript und gab sich ans Lesen . Die Arbeit war rein und klar und so deutlich geschrieben , so ordentlich , so kaufmännisch , es war kein Zweifel daran , daß der Alte zufrieden sein mußte . Beim Durchlesen der angeführten Fakta war dies auch der Fall ; sobald der Vater aber in das Räsonnement geriet , sieh , da verfinsterte sich plötzlich seine Stirn , er trampelte mit den Füßen , rückte auf dem Stuhl hin und her , wirbelte und fluchte , und war er zu Ende , da riß er auch Jedesmal die Arbeit seines Sohnes in tausend Fetzen . » Du bist ein kurioser Kerl , lieber August , du schreibst recht hübsch und verständlich , darin ist gar nichts auszusetzen ; aber das sind ja gar nicht meine Ideen , was du da zum Besten gibst , du schreibst wie ein Pastor , wie ein Philanthrop , du sprichst ja gerade für unsre erbittertsten Feinde , du bleibst ja gar nicht bei der Sache , bei unsren Interessen ; ich glaube , du schwärmst , du bist mondsüchtig , du hast den Sparren – heiliger Gott , beschütze mich vor diesem Sohne ! « August war zu sehr an die Redensarten seines Vaters gewöhnt , als daß er sich dadurch hätte verwirren lassen . » Was ich geschrieben habe , ist meine Überzeugung « , erwiderte er , » ich kann nichts anderes schreiben als das . Die Industrie ist eine herrliche Sache ; aber die Industrie , wie sie heutzutage getrieben wird , ist verkehrt und grausam , und ich werde mich nicht dazu hergeben , Sachen zu verteidigen , die ich für schief und falsch halte . Es ist schon genug , daß ich noch praktisch in deinem Geschäft tätig bin – ich habe meine Gründe dafür , daß ich es noch bin , aber ich werde nicht dazu auffordern , daß man noch weitere Etablissements nach dem jetzigen Stil ins Leben ruft . « Mit dieser Erklärung hatte August das Zimmer verlassen . Der Vater sah ihm verwundert nach . » Ist es nicht eine Schande , solche Burschen zu seinen Söhnen zu haben ? « fragte er den Buchhalter Weber . » Ich verstehe eigentlich gar nicht , was dieser Narr meint ; soviel ist aber gewiß , daß sein ganzer Witz keinen Schuß Pulver wert ist . Dieser Mensch schwärmt für die Menschheit – haben Sie je so etwas gehört , Herr Weber ? Er kann nicht einmal lügen ! Gott sei bei mir , es ist zum Närrischwerden ! Statt für Schutzzölle zu räsonieren , nimmt er sich des Fabrikkindes in diesem Aufsatze an . Bei Gott , ich seh 's mit Schrecken , der Mensch hat ein zu gutes Herz – hol ihn der Teufel ! « Herr Preiss hatte sich seitdem daran gewöhnt , alle Schreibereien der Schutzzollagitation mit der Hilfe eines Comptoiristen zu besorgen . Eigenhändig brachte er natürlich nie etwas zu Papier – er hatte von jeher einen kleinen Horror vor allem und jedem Schreiben , selbst das Zeichnen seiner Unterschrift langweilte ihn so erschrecklich , daß ihn der Buchhalter Weber oft flehentlich bitten mußte , ehe er einen Wechsel unterzeichnete , dessen Absendung nicht länger mehr verschoben werden konnte . Ob diese Schreibscheu aus wirklicher Furcht vor etwas » Schriftlichem « entstand ? Es war leicht möglich – der schlaue Fabrikant wußte sehr gut , daß man in manchen Augenblicken des Lebens nicht mit Feder , Tinte und Papier spaßen soll . Bei bestem Willen wäre es ihm indes jetzt nicht mehr möglich gewesen , einen Brief zustande zu bringen , und wenn es dennoch einmal gelang , so hatte er gewiß an zehn Stellen das Papier mit der Feder zerrissen oder so reichliche Kleckse zwischen die verschiedenen Perioden gesetzt , daß das Blatt doch wieder von einem Gehilfen kopiert werden mußte . Bei Regulierung wichtiger Familienangelegenheiten machte er bisweilen noch den Versuch , selbst eine Epistel abzufassen ; er erschrak dann aber jedesmal so sehr über seine Ungeschicklichkeit , daß er selten bis an das Ende der Seite fortfuhr . Das Zerreißen und Beklecksen des Papiers war nämlich nicht das einzige , was ihn dabei störte ; denn ebenso gewandt , wie er darin war , seine Gesinnungen in der Konversation vorteilhaft zu bemänteln , ebenso unglücklich war er , wenn dies schriftlich geschehen sollte . Es war ihm nicht anders möglich , als in kurzen , abgebrochenen Sätzen zu schreiben , die so deutlich ausdrückten , was er dachte , daß in den meisten Fällen alle seine Unternehmungen dadurch gleich verraten und vereitelt worden wären . In der Rhetorik war er ein Meister , in der Stilistik ein Stümper ; seine trügerische Zunge hatte er daran gewöhnt , lieblich zu lispeln , während sich seine Hand in der Tasche zornig zu einer ehrlichen Faust ballte – die arme Faust , sie konnte nun nicht anders als ehrlich sein und brachte in ihrer Naivität alles gerade so treu und ehrlich auf das Papier , wie es des Schreibers Seele dachte . Diese Unbeholfenheit des Schreibens ging so weit , daß es dem werten Herrn , wenn er sich hinsetzte , um jemandem recht höflich zu schreiben , den er doch von ganzem Herzen haßte , mehr als einmal passierte , daß er schon bei der dritten Zeile aus dem Texte fiel und plötzlich in den derbesten Zügen seine wahre Stimmung zu erkennen gab , daß er einen Bankier geradezu einen Gauner nannte und einen Beamten noch viel übler titulierte . Der Herr Preiss hat daher ein für allemal der Schriftstellerei entsagt und sich sowohl bei der Handelskorrespondenz als bei allen übrigen Depeschen an das Diktieren gewöhnt . Im Diktieren von Schutzzollpetitionen hatte er namentlich eine große Force erlangt , da aber hier die eine nach der andern vom Stapel lief , so wurde es bald nötig , daß immer neue Formen und Wendungen erfunden werden mußten , um die Sache vor dem Langweiligwerden zu retten . Sehnlich hatte er gewünscht , daß ihm seine Söhne durch das Studium der Ökonomie hierbei behilflich wären und stets neue Data zuführten , die in seinen Kram paßten . Leider geschah dies nun nicht – Daniel , der Philosoph , war zu großartig , um benutzt werden zu können , Julius zu flüchtig , und August wollte nicht bei der Geschichte helfen . Der Herr Preiss sah sich daher genötigt , alle seine Argumente aus der eignen unsterblichen Seele zu schöpfen – dicke Bände , weitläufige Werke konnte er nicht mehr durchlesen , dazu war er zu alt – seine Erfahrung und seine Keckheit mußten überall durchhelfen , das war das einzige , womit er in die Schranken trat , um seine Gegner niederzuschmettern . Übrigens verstand es sich von selbst , daß der tätige Fabrikant seine Kollegen stets aufmunterte , seinem Beispiel zu folgen , und auch immer wieder eine Kassenanweisung daran wagte , um einen willigen Literaten für die Agitation zu gewinnen . Verdrießlich war ihm indes immer , von seinen Söhnen ganz im Stich gelassen zu werden ; er hatte sich davon überzeugt , daß Daniel und Julius durchaus für seine Pläne untüchtig waren . Von August wußte er aber , daß ihm die Sache geläufig genug war , um mitwirken zu können , es konnte daher nicht ausbleiben , daß sich der Vater mit diesem seinen Sohne mehr wie mit den beiden andern überwarf , daß er ihm vorzugsweise zürnte . Auch durch viele andere Vorfälle war die Stellung Augusts zu seinem Vater immer unangenehmer geworden . Diese Vorfälle gehörten mehr dem eigentlichen Geschäfte an . Der alte Preiss hatte nämlich seit einiger Zeit durchaus darauf renonciert , irgend etwas Gutes und Preiswürdiges mit seiner Fabrik zu produzieren . Billig , nur billig , schrien die Käufer auf allen Märkten , und billig , nur billig produziert , das war es , was er ohne Unterlaß in seine Fabrik hineinrief . Der unermüdliche Fabrikant hatte keine Ambitionen mehr , für einen tüchtigen Industriellen zu gelten , es lag ihm nur daran , sein Geschäft noch im Schwunge zu halten und auf irgendeine Weise Geld damit zu machen . Statt mit dem Wenigen und Guten hielt er es mit dem Schlechten und den Massen . Die meisten Käufer wußten dies sehr wohl und hüteten sich oft genug , dem ehrenwerten Herrn Preiss in die Hände zu fallen . Wenn er aber mit seinen schlechten Massen nun wirklich heranrückte und aus dem einfachen Grunde , weil er eben nur schlechtes Zeug zu Markte führte , viel billigere Preise als jeder andere stellte , da ließen sich dennoch manche zu einem Kaufe verleiten , und selten war es , daß dem würdigen Fabrikanten eine derartige Spekulation verunglückte . Wie für alles , so wußte der Herr Preiss auch für solche Unternehmungen die plausibelsten Gründe anzugeben . » Die ganze Welt ist in mancher Weise offenbar am Schlechterwerden , am Zurückgehen « , sagte er oft , » man muß daher mit der Zeit fortschreiten und ebenfalls schlechter werden und zurückgehen ; durch das Rückwärtsgehen machen wir hier offenbar einen Fortschritt und stehen dann wieder auf der Höhe der Gegenwart . « Das lautete sehr gerade – der Herr Preiss machte aber seinen Schnitt dabei . Ein solches Verfahren war indes für August ein Greuel . August , geradezu gesagt , haßte die Industrie , wie sie heutzutage betrieben wird . Er ehrte aber ihre guten Elemente , weil er das Welterlösende in ihnen erkannte und davon überzeugt war , daß die Industrie einst die Menschen glücklicher machen würde . Wenn er sich daher jetzt überhaupt mit ihr befaßte , so geschah dies keineswegs um des Gelderwerbs wegen , wie es der Vater tat , nein , er hielt die Industrie für eine große Aufgabe unsres Jahrhunderts , zu deren Lösung und Vervollkommnung ein jeder , der sich dazu berufen fühlte , etwas beitragen müßte . Und August fuhr um so unverdrossener in seiner Arbeit fort , weil er mit der endlichen Vervollkommnung der Industrie auch die Beseitigung ihrer üblen Seiten erwartete . Aus diesem Grunde war er schon ein für allemal mit der Produktionsweise seines Vaters unzufrieden , der sich ja eben ganz das Gegenteil zum Ziele gesteckt hatte , der nur in der Lumperei sein Heil suchte , dem an der Industrie , an der Sache selbst nicht im mindesten etwas gelegen war , der als alter Spekulant und Aventurier nur an seinen Beutel dachte und das übrige gehen und liegen ließ , wie es lag und ging . Die feste Meinung , daß mit der Vervollkommnung der Industrie ihre schlimmen Seiten schwinden würden , zwang August auch dazu , ein jedes Schutzzollsystem von vornherein zu verdammen . Er fürchtete zu sehr , daß mit dem Aufhören der Konkurrenz verschiedener Nationen eben solche Leute wie sein Vater sich auf das Faulbett legen würden , daß mit dem Eintreten der Schutzzölle aller Erfindungsgeist gelähmt und unangespornt bleiben würde und der ganze Jammer der heutigen Industrie bis in alle Ewigkeit fortginge . Bei freiem Handel , bei freier Konkurrenz nach allen Seiten hin erwartete er ein fortwährendes Verbessern und Vereinfachen aller Maschinen , was zwar in seinen Übergängen dem Fabrikproletariat unendliche Wunden schlage , aber zuletzt einen solchen Zustand herbeiführen mußte , daß eine Kapitulation zwischen Reichen und Armen , wenn sie nicht schon auf andere Weise herbeigeführt wäre , dann das unvermeidliche Ereignis sein würde . Die politischen Gründe , welche der alte Preiss bei der Schutzzollagitation hatte , waren für August durchaus null und nichtig , denn einesteils lag ihm überhaupt nichts an politischen Umwälzungen , und dann mußte er ja auch fürchten , daß durch ein entschiedenes Aufkommen der deutschen Bourgeoisie das System der Schutzzölle nur gar zu lange en vogue bleiben werde , daß man das Fabrikproletariat noch jahrelang auf die Folter spannen und eine Umgestaltung unserer sozialen Zustände noch viel länger hinausschieben werde , als er sie durch die Entwicklung der freien Konkurrenz herbeizuführen hoffte . August war daher in allen Hauptpunkten mit seinem Vater nicht einverstanden . In der Schutzzollangelegenheit hatte er nicht allein nichts getan , er hatte sich gewissermaßen noch über seinen Vater deswegen lustig gemacht , indem er mehrere Male allem Anschein nach dafür auftrat und dann doch die Interessen der Fabrikarbeiter immer mehr verteidigte als die der Fabrikherren . In der Art des Fabrizierens harmonierten Vater und Sohn ebenfalls nicht , und wenn es zwischen beiden bisher noch nicht zu einem förmlichen Bruche gekommen war , so lag dies nur daran , daß der alte Preiss seinen Sohn zu sehr brauchte und August noch immer nicht wagte , mit seinen Meinungen offen und entschieden hervorzutreten . Innerlich war er indes seiner Sache gewiß . Einer Gesellschaft fliehend , in der er sich unbehaglich fühlte und in der ihn niemand liebte , da er sich nicht darin zu bewegen wußte ; von seinen Arbeitern verkannt und verspottet , da es ihnen nicht einfiel , hinter seinem ernsten und strengen Äußern jene Teilnahme zu suchen , die er so aufrichtig und warm für sie fühlte ; mit den Brüdern und dem Vater in ewigem Streit und Zank , da ihrer aller Neigungen sich beinahe schnurstracks entgegenliefen – einfach und unglücklich wie er war , hatte August sich längst in sich selbst zurückgezogen , voll Abscheu vor einer Gegenwart , die mit all ihren Kontrasten und Verkehrtheiten vor seinen Augen lag . Lange Zeit hatte er die traurigsten Abende verlebt , nach einem Tage voller Mühe und Arbeit fand er zu Hause weder Trost noch Ruhe ; er gab sich ans Lesen , er las das Schönste , was unsere Literatur aufzuweisen hat , ohne davon erquickt zu werden . Wochen und Monate vergingen ; da fielen ihm zufällig einige Broschüren in die Hand , in denen die Umrisse der Systeme Owens , Fouriers , Weitlings gegeben wurden – er fand plötzlich hier alles klar und deutlich ausgesprochen , was ihn quälte seit langer Zeit . Eifrig studierte er weiter , machte sich mit den Lehren Saint-Simons und mit manchem unserer neuesten deutschen Schriftsteller bekannt , und wie Schuppen fiel es ihm von den Augen . Was er dunkel geahnt hatte , hier war es nach tausend Seiten hin entwickelt , nach wenigen Wochen war er klar über unsere Zeit , er war froh , er war glücklich , seine ganze Umgebung , von der er bisher nicht wußte , ob er sie mehr verachten als bemitleiden sollte , sie war ihm verständlich jetzt in all ihren Teilen , und , ein jubelnder Heroe , stand er über ihr , seine Stirn brannte , sein Herz pochte , und mit einem Fluch auf die krämerhafte Verworfenheit unsrer Tage wandte er sich jenen großen Geistern zu , welche nicht daran verzweifeln , daß man eine bessere und schönere Zeit heraufbeschwören könne . August war Sozialist geworden . August hatte nie geliebt . Eine angeborene Schüchternheit hielt ihn von jeher fern von aller Gesellschaft , und eine sehr ernste und prosaische Beschäftigung , welche seine ganze Jugendzeit fortnahm , hatte ihn nur zu sehr daran gewöhnt , seiner Seele keinen höheren Flug zu gestatten als den , der zur Vollbringung seiner Arbeit nötig war . Durch den Anblick der vielen unglücklichen Mädchen , die im zartesten Alter ihre Laufbahn als Fabrikarbeiterinnen unter seinen Augen begannen und gewöhnlich schon nach mehreren Jahren die Frische ihrer Jugend , die Lebendigkeit ihres Alters einbüßten , hatte er das weibliche Geschlecht mehr bemitleiden als lieben gelernt . Bei seiner kalten , nüchternen Sinnesart geriet er auch nie in Gefahr , sich in eine jener traurigen Verbindungen einzulassen , welche so manchen jungen Mann seines Alters und seiner Stellung an sich und andern zum Verbrecher machen . Weder Liebe noch Leidenschaft hatten ihn bisher aus seinem Geleise bringen können , ebenso tüchtig , wie er arbeitete , ebenso tüchtig aß er und schlief er , und Wochen konnten vergehen , ohne daß er an einem Tage mehr dachte und tat als an einem andern – er war die Gelassenheit , die Gewöhnlichkeit selbst . Da entwickelte sich bei ihm nach und nach jene Unzufriedenheit mit seiner ganzen Umgebung , jener Überdruß , jener Abscheu vor dem unwürdigen industriellen Treiben , zu dem er vom Schicksal verdammt zu sein schien , und der Frieden seiner Seele war entschieden gestört . Je mehr er über sein bisheriges Leben nachdachte , desto erbärmlicher kam es ihm vor ; vom Morgen bis zum Abend an eine Beschäftigung geschmiedet , welche einzig und allein darauf gerichtet war , den Schweiß seiner Arbeiter in bares Geld zu verwandeln – es war ihm schrecklich , er hätte davonlaufen mögen , und er war auch wirklich mehrere Male im Begriff , seinem Vater » aufzukündigen « , als er plötzlich in jene soziale Richtung geriet und den Entschluß faßte , an Ort und Stelle zu bleiben , der Gegenwart zu trotzen , sie herauszufordern , den Kampf mit ihr zu beginnen , statt durch ein feiges Davonlaufen sich vor ihr zu retten – sie im Gegenteil fest ins Auge zu fassen und das Seinige dazu beizutragen , sie zu ändern , umzugestalten und zu bessern . Er fühlte , daß ihm dies auf einem größeren Felde im allgemeinen Sinne des Wortes unmöglich sei , er hoffte aber , in seiner nächsten Umgebung schon genug Gelegenheit dazu zu finden . Diese Idee hatte sein ganzes Wesen verändert ; äußerlich noch immer rauh und ernst , kochte es doch in seinem Innern und tobte und brauste , daß es ihm bald schwer wurde , seine Bewegungen zu verbergen . Er sehnte sich daher nach einem Wesen , dem er frei und offen entgegentreten konnte , dem er an die Brust sinken , dem er mitteilen konnte , was in seinem Innern vorging , was er dachte , was er hoffte , was er wollte . Aber wem sollte er dies erschließen ? Er kannte niemand , dem er sich hätte anvertrauen mögen . Sein Vater würde ihn mit Grobheiten abgespeist haben , seine Brüder würden ihn auslachen , andere Freunde verstanden ihn vielleicht gar nicht . Traurig verschloß er seine Pläne wieder in der Tiefe seines Herzens . In einer solchen Stimmung saß er einst an einem Samstagabend auf seinem kleinen Comptoir – ein Zimmer , in dem er allein arbeitete ; er hatte den Befehl gegeben , daß man die Maschine stillsetzte und daß die Arbeiter zu ihm hereinträten , um ihren Wochenlohn in Empfang zu nehmen . Auf zwei großen Tischen , welche die vordere Seite des Raumes einnahmen , lag das Geld bereits abgezählt . Der Buchhalter Weber , ein Comptoirist und ein Contremaître der Fabrik kamen nacheinander herein , um ihn im Berichtigen der einzelnen Zahlungen zu unterstützen . Das Auszahlen der Löhne ist in den Fabriken stets ein feierlicher Moment . Hinter den Zahltischen stehen die Fabrikherren und die Fabrikaufseher . Finster und gravitätisch , ihrer Würde bewußt , mit einer gewissen Verachtung auf die bleichen , zerlumpten Gestalten hinunterschauend , die nach und nach vor den Tisch treten , um sich für die Arbeit der Woche durch eine Bagatelle belohnen zu lassen , und die noch wohl gar dafür danken , daß man sie so schlecht wie möglich bezahlt . Nur in England , wo wir dem Akt des Lohnauszahlens oft beiwohnten , hat die ganze Geschichte einen für den Arbeiter günstigern Anstrich : das englische Proletariat ist über seine Stellung der Bourgeoisie gegenüber schon viel klarer wie das aller andern Länder . Sie wissen , daß die Herren nicht ohne die Arbeiter fertig werden können und daß nächstens eine Stunde schlägt , wo es zwischen diesen beiden Klassen einmal zu einer genaueren Abrechnung kommt . Die meisten englischen Arbeiter treten daher barsch und stolz vor ihren Herrn , ohne zu grüßen , ohne eine Miene zu verziehen , steif und ernst . Sie lassen sich das Geld Stück für Stück vorzählen , sehen es nach , schieben es langsam und bedächtig in die Hand , drehen sich um , ohne zu danken , ohne zu grüßen , und verlassen das Zimmer geradeso steif , so ernst , so stolz , wie sie eben hereintraten . In Deutsahland ist die Sache natürlich bei weitem anders , die ganze Szene trägt noch ihren mittelalterlichen Charakter ; der Arbeiter lebt bei uns noch in der Furcht des Herrn – selten ist es , daß ein armer Teufel vergißt , für seine wohlverdienten paar Dreier herzlichst zu danken . In der Fabrik des Herrn Preiss kannte man nun namentlich gar keine ungeschliffenen Gesellen , dort standen die Arbeiter zu ihrem Herrn noch im schönsten leibeigenschaftlichsten Verhältnis . Im Vordergrunde stand August , um den Arbeitern das Geld zu überreichen , neben ihm der Comptoirist , um darauf zu achten , daß sein Herr nicht aus Versehen oder aus übel angebrachtem Großmut eine Münze zuviel in die Hände der Leute steckte . Rechts der Contremaître , um jedem Arbeiter , der im Laufe der Woche einer Sünde teilhaftig geworden , einen derben Rüffel zu erteilen oder das bei Heller und Pfennig am Lohne abzuziehen , was der Unglückliche vielleicht an der Ware geschädigt hatte . Links an dem Schreibtische seines Herrn lehnte der Buchhalter Weber , prisend und grinsend , die grüne , geputzte Brille auf der kupferroten Kartoffelnase , die Hände in den Hosentaschen , im grauen Comptoirrock , aus dessen durchlöcherten Ärmeln die spitzen Ellenbogen nach allen Seiten im Schmuck des gelblichweißen Baumwollhemdes ins Weite starrten . Der Buchhalter Weber war eigentlich bei dem ganzen Akt sehr überflüssig , er hielt es aber für seine Pflicht , die Feier der Szene durch seine werte Persönlichkeit noch zu vergrößern , und außerdem war es ihm nicht unwillkommen , das ganze Fabrikpersonal gelegentlich Revue passieren zu lassen , um stille Betrachtungen über die Physiognomien der einzelnen Individuen anzustellen und sich zu merken , was irgend an weiblich Erfreulichem vorhanden war . Ein etwas aufmerksamer Beobachter würde die geheimen Gedanken dieses verworfenen Sujets leicht an jenen verdächtigen Bewegungen erraten haben , zu welchen sich die Hand des christlichen Mannes beim Hereintreten irgendeiner halb verblichenen Schönheit bisweilen verleiten ließ . Die hündisch widrige Erscheinung dieses Menschen , die Strenge des Contremaîtres , die Dienstbeflissenheit des jungen Kommis und die halb verbissene Scham des jungen Fabrikherrn , der der ganzen Jämmerlichkeit seiner Umgebung und seiner eignen unglücklichen Stellung bewußt war – das machte ein sonderbares Tableau . Die Arbeiter der Färberei traten zuerst herein , ein kräftiger Menschenschlag , mit Leuten , die sich fast den ganzen Tag in der freien Luft bewegen und die daher das gesunde Aussehen behalten , was sie mit vom Lande bringen . In ihrer Jugend gewöhnlich mit andrer Arbeit beschäftigt , treten sie erst als Fabrikarbeiter ein , wenn ihr Körper sich schon hinlänglich entwickelt hat und dem meisten schädlichen Einfluß in ihrer Arbeit trotzen kann . Die Färber erhalten auch bessern Lohn als die meisten andern Arbeiter der Kattun-Manufakturen und sind daher in jeder Weise günstiger gestellt als ihre Kollegen . Den Färbern folgten die Drucker , an derem etwas weniger frischem Äußeren gleich zu bemerken war , daß sie in geschlossenen Räumen beschäftigt sind . Da ihre Arbeit indes noch zu der feineren gehört , so sind die Lokale , in denen sie sich aufhalten , gewöhnlich ausnahmsweise gut , wodurch ihre Gesundheit besser aufrechterhalten wird . Abwechselndes Stehen , Gehen und Sitzen ermüdet sie natürlich nicht so sehr wie diejenigen Arbeiter , welche durch den Gang ihrer Maschine stets zu derselben Stellung und Bewegung gezwungen sind . Die Drucker erfreuen sich mit den Färbern noch eines leidlichen Saläres . Auf die Drucker kommen die Weber , jene unglücklichen Menschen , deren traurige Beschäftigung sich nur zu sehr in ihrer ganzen Erscheinung widerspiegelt . Bleich , gebückt , hustend und langsam daherschleichend , ein frühes Grab vor den trüben , stieren Augen , Trümmer von Menschen , mit denen die Schwindsucht immer rascher dem Ende entgegengaloppiert . Färber , Drucker und Weber hatten sich entfernt , nicht ohne daß der Contremaître mit eiserner Strenge seinen Tadel über diesen und jenen ausgesprochen , daß er Abzüge an den Löhnen gemacht und gedroht hatte , bei dem nächsten Versehen den armen Sünder fortjagen zu wollen . Da nahte mit den Meistern an der Spitze die Bevölkerung der Spinnerei . Frauen , im neunten Monate der Schwangerschaft , im dreißigsten Jahre mit grauen , ja mit weißen Haaren , wenn die Hand des armen Weibes den Staub der Baumwolle nicht vorher aus einem Rest von Eitelkeit vom Kopfe hinuntergestrichen hatte . Mütter , denen die Brüste zu springen drohten , weil daheim ein kleines Kind in den Windeln lag , was seit der Mittagszeit vergebens die Händchen der sehnlich Erwarteten entgegenstreckte . Alte Megären , die der Zauberstab der Industrie schon vor dem Tode in Skelette verwandelte . Mädchen , bleich und verkommen , die gelben Schultern kaum bedeckt von zerrissenen Kleidern , die gelösten Haare in schmutzigen Zöpfen im Rücken , die gelenken Finger verborgen unter der zerrissenen Schürze , die Augen stier und gläsern , die Wimpern voll Staub , einen Gassenhauer auf den Lippen , die Venerie in den Knochen . Und nun die Kinder : Knaben mit verrenkten Beinen , mit Buckeln und skrofulös zum Entsetzen , kleine Mädchen , zur Arbeit abgerichtet wie Wiesel und Pudel , an die schnurrende Spindel , an die rasselnde Maschine geschmiedet , ehe noch die Knospe ihrer Jugend sich erschlossen , ehe noch das erste Rot in dämmernder Pracht ihre Wangen überflogen , ehe sie noch wußten , daß sie Kinder , daß sie Menschen waren , ehe sie den ersten Fluch vergessen und das erste Gebet gelernt , ehe sie sich dreimal gefreut , ehe sie dreimal geküßt , ehe sie einmal ihr Leben genossen hatten . Entnervt schon und zerfoltert von der Arbeit , ohne Fleisch auf den Lippen , ohne Blut in den Adern , ohne Gehirn im Kopfe – wie Gespenster , eben dem Grabe entstiegen , oder wie welke Blumen , die morgen sterben müssen . Sieh , alter Preiss , das ist deine Welt . Was hast du getan ! Die Leidensmienen dieser Unglücklichen , der stumme Schmerz ihrer Züge , der lauter um Rache schrie als der tobende Haufen einer Revolte , die Freude des einen , der mit unverkürztem Lohn nach Hause eilte , das Schluchzen des andern , der sich plötzlich um die Hälfte seines Erwebes betrogen sah , die schnarrende Stimme des Contremaîtres , der mit dem Stocke drohte , wenn ein Widersetziger wie ein getretener Wurm sich empört in die Höhe richtete , das Fluchen des Kommis , der um Ruhe und Stille bat , damit er sich nicht um einen Groschen verzähle , das Grinsen des Buchhalters , der voll Bestialität und Geilheit sich an der ganzen Szene höchlichst gaudierte , und endlich das Klappern des Geldes , des schmierigen Metalls , um das sich ja dieser ganze Spektakel drehte – – fürwahr , das Zahlcomptoir der Fabrik bot heute wie an jedem Samstagabend einen Anblick dar , den man in Hurenhäusern , in Diebswinkeln , in Spielhöllen nicht krasser , nicht gemeiner , nicht scheußlicher finden konnte . Und was sagte August dazu , August , der Sozialist , der Mann , der doch hier die Hauptperson war , der Mann , der die Welt verbessern wollte , der für die Menschheit schwärmte , der ein zu gutes Herz hatte , wie sein Vater sich ausdrückte ? Ging dieser Auftritt ohne Wirkung an ihm vorüber ? Hatte ihn die Gewohnheit schon so sehr abgehärtet , daß ihn dies Elend nicht mehr rühren konnte ? Gehörte er zu jenen Menschen , die sich über den Jammer in London und über die Not in Paris wie rasend anstellen , die für Dickens schwärmen und für Eugène Sue und sehr gut wissen , wie es in der ganzen Welt aussieht , und nur das nicht wissen , was gerade unter ihrer Nase passiert , die nur das nicht lesen wollen , was in dem Gesichte eines jeden Unglücklichen zu lesen ist , der am hellen Tage vor ihren Türen zusammenstürzt , die nur das nicht hören , was ihnen in Seufzern und Flüchen Nacht für Nacht aus den Gassen der Unterstadt entgegentönt ? Oder war er ein Heuchler , der zwar anerkannte , daß seine Umgebung wert war , in Fetzen geschlagen zu werden , der aber doch scheute , die Hand dazu anzulegen , sobald sein eigenes Interesse dadurch gefährdet wurde ; oder war er endlich nur ein Gourmand , der seine Seele mit philanthropischen Gelüsten kitzelte , einer anderen Gemütsbewegung wegen , zur Abwechslung , aus Laune , zum Vergnügen ? Zur Ehre unseres jungen Helden sei es gesagt : beim Anblick dieser scheußlichen Szene war er nahe daran , den Verstand zu verlieren . Er hatte Hunderte von solchen Auftritten erlebt , er hatte oft die Augen geschlossen , um nur nicht zu sehen , was um ihn vorging , er hatte aber auch nie den Versuch gemacht , mit aller Gewalt dagegen aufzutreten , denn die Gleichgültigkeit anderer und das ewige Versichern , daß solche Zustände die notwendigen Übel der Industrie seien , und , ach ja , auch die Gewohnheit hatten ihn zuletzt kalt und unempfindlich gemacht . Jetzt aber , wo sein Ekel vor der ganzen Wirtschaft seines Vaters mit jedem Tage wuchs , wo er wußte , daß die halbe Welt solcher Zustände wegen in Aufruhr war , wo die edelsten Geister der Menschheit von ihren Thronen niederstiegen , um die düstern Gassen , die feuchten Winkel , die stinkenden Keller unserer Dörfer und Städte zu durchwandern , um das Leid und die Schmach unseres Jahrhunderts heraufzuzerren vor das Auge entsetzter Nationen , da gesellte sich zu seinem Abscheu , den er im geheimen doch stets vor der Niederträchtigkeit seiner Umgebung gehabt hatte und der jetzt aufs neue entschieden bei ihm hervorbrach , noch jene Wut einer indignierten Seele , jene Entschlossenheit und jener feste Vorsatz , einer solchen Schändlichkeit ein Ende zu machen , koste es , was es wolle . Sein Herz blutete , seine Stimme zitterte , krampfhaft ballte sich seine Faust , und als der letzte Groschen auf die Tafel des Zahltisches klirrte , als der letzte Arbeiter sich entfernt hatte und nur das Trio des Contremaîtres , des Kommis und des Buchhalters als das widerlichste Personal des ganzen Schauspiels zurückblieb und , als hätten sie nach vollbrachter Arbeit ein Recht dazu , ihren schlaffen Geistern in ekelhaftem Geschwätz , in widerlichen Anspielungen und Zoten anfingen , Luft zu machen , da konnte es August nicht mehr länger aushalten , er warf die Tische rechts und links zur Seite und stürzte hinaus , sein Gesicht mit den Händen bedeckend , mit klopfendem Herzen – bitterlich weinend . Es war Abend geworden . Der Rauch der Fabrik war verweht , die Blumen des Gartens verbreiteten rings ihren würzigen Duft . August jagte wie ein gehetztes Wild durch den Schatten der Obstbaumalleen . › Sollst du vor deinen Vater treten und ihm den Zustand seiner Arbeiter in seiner ganzen Wahrheit schildern , sollst du ihn fragen , ob es nicht besser wäre , lieber dies ganze Geschäft an den Nagel zu hängen , als es mit solchen Menschenopfern fortzusetzen ? Sollst du ihm drohen , die kleinsten Details seines industriellen Treibens veröffentlichen zu wollen und ihn der Verachtung der Welt preiszugeben , sofern solche Scheußlichkeiten nicht ein Ende nehmen ? Ja sollst du ihm nicht das Pistol auf die Brust setzen als das letzte Argument oder eine Fackel in die Magazine werfen , um die ganze Wirtschaft zu verbrennen mit Stumpf und Stiel ? ‹ August konnte wohl auf solche Gedanken kommen – er wußte , wie schwer es fiel , seinen Vater in irgendeiner Sache , die das bestehende System seiner Fabrik betraf , zu einer Änderung zu veranlassen ; hatte er nicht schon seit Jahren , weniger aus Rücksicht für die Arbeiter , sondern nur , um überhaupt ein besser eingerichtetes Etablissement zu haben , alles mögliche aufgeboten , um ihn zum Ausbau verschiedener Räume , zur Entfernung alter und Anschaffung neuer Maschinen zu bestimmen ? Er hatte dies oft genug zur Sprache gebracht , aber vergebens . Der Alte wollte sich nun einmal nicht darauf einlassen . Eine schönere Fabrik zu besitzen als seine Kollegen , daran lag ihm nichts ; das Schicksal der Arbeiter , die eben durch sein schlecht eingerichtetes Etablissement so erschrecklich litten , das war ihm sehr gleichgültig ; die schlechte Ware , die er auf den Markt brachte , konnte gut genug nach dem alten Schlendrian produziert werden , und das war ja alles , was der ergraute Fabrikant wünschte . Zudem hatte er bei der allenfallsigen Einführung des Schutzzollsystems nicht im geringsten an große Änderungen zu denken . Wenn sich diese Aussichten verwirklichten , da konnte er auch mit den schlechtesten Maschinen noch Geld genug verdienen ; weshalb also voreilig sein , weshalb nicht lieber den Erfolg der Agitation abwarten , ehe man kostspielige Anstrengungen machte ? Der Herr Preiss war so sehr von der Richtigkeit dieser seiner Ansichten durchdrungen , daß er laut lachte , wenn ihm jemand von Änderungen , Verbesserungen oder dergleichen sprach . August verzweifelte daher auch an allen gewöhnlichen Mitteln , um seinen Vater zum Verstande zu bringen ; wild flatterten ihm tausend Pläne und Entwürfe durch den Kopf , an die er noch vor wenigen Tagen nicht im Traume gedacht , vor denen er entsetzt zurückgefahren wäre , wenn sie ein anderer ausgesprochen hätte . In fieberhafter Aufregung durcheilte er den Garten , wie ein Alp lag die Not anderer auf seiner Brust , wie ein Gespenst , wie eine Furie verfolgte ihn die Erinnerung an das , was er eben gesehen und gehört hatte ; er sah noch die stieren Augen , die fahlen Wangen , die entfleischten Glieder jener Unglücklichen , die vor ihm um Barmherzigkeit winselten , und mit Schaudern dachte er an die wüste Freude jener andern , die nach einer Woche voll Mühe und Qual den geringen Lohn in toller Bestialität zu vertilgen eilen . › Dazu haben wir die Menschen gebracht ! So weit haben wir sie entwürdigt . Aus frohen , schlanken Knaben machten wir Krüppel und Bestien , aus blühenden Mädchen machten wir Diebinnen und Dirnen , junge , liebreiche Mütter verwandelten wir in fluchende Metzen und stattliche Männer in untüchtige Greise . ‹ Das Eis , was lange Zeit um Augusts Herz lag , es war geschmolzen , die Blindheit , mit der er jahrelang geschlagen , sie war gewichen , sein Blut , das dick und trüb im Schmutze der Gewohnheit floß , es rauschte jugendlich durch alle Adern – er erhob sein Haupt , seine Stirne ward licht , und die Begeisterung zog ein in eine freie Seele . Mochte sie ihn plagen und peinigen , die Erinnerung an das Vergangene , mochte es ihn zu Tränen rühren , wenn er an der Gegenwart sah , welche Früchte ihm geblieben , mochte der Gedanke seine Brust zusammenpressen , daß vielleicht noch nach vielen Jahren die Spuren eines Elends nicht verwischt sein würden , das mit ihm aufgewachsen war in derselben Wohnung , an demselben Orte – gewiß , es war entsetzlich , es mußte ihn niederschmettern für einen Augenblick , aber es konnte ihn nicht hindern , sich auch gleich wieder zu erheben und vorwärts zu stürmen auf der neu betretenen Bahn , denn er hatte ja mit der Vergangenheit gebrochen ; mit zornigem Fußtritt schleuderte er alle früheren Verhältnisse hinter sich . Er war entschlossen , das Äußerste zu wagen , unbekümmert um sich , seinen Vater , seine Brüder , seine Freunde , er war entschlossen , alles zu opfern , seinen Namen , seinen Stand , seinen Rang , sein Vermögen , um wenigstens gutzumachen , was noch zu ändern war , um sich auszusöhnen mit sich selbst und einer richtenden Zukunft , um wenigstens etwas zu einer Richtung beizutragen , welche er für die höchste hielt , von der er erwartete , daß sie zur Glückseligkeit der Menschen führe . Mit diesem Vorsatze , in dieser Stimmung erwachte August aus jener Raserei , die noch eben seinen Sinn gefangen hielt . Er machte sich auf , um den Garten zu verlassen und noch einen Spaziergang ins Freie zu machen . Es war in der Fabrik des Herrn Preiss Regel , daß am Samstagabend verschiedene Säle der Spinnerei gereinigt wurden – die Türen der Fabrik blieben daher heute etwas länger geöffnet als an anderen Tagen , und August fand , als er aus dem Garten trat und quer über den Hof nach der Straße zuschritt , daß die jungen Mädchen , denen das Reinigen der Säle übertragen war , erst eben damit fertig geworden waren und sich anschickten , als die Letztbeschäftigten das Etablissement zu verlassen . Der Portier harrte ungeduldig an der Tür , rasselte mit seinen Schlüsseln und trieb die Gehenden an , rasch zu machen , wozu diese auch schon von selbst gern bereit waren . » Da hat auch noch jemand nach Ihnen gefragt , Herr August ! « rief der Portier , als er den jungen Fabrikanten herankommen sah . » Eins von den Mädchen hat die ganze Zeit auf Sie gewartet ; ich glaube aber , daß es ihr zu lange geworden ist und daß sie sich auch schon gedrückt hat . « » Nein , das habe ich eben nicht ! « antwortete jemand , und eine schlanke Mädchengestalt schritt wieder von der Straße in den Hof hinein . Es war Marie , die Tochter jener alten Witwe , die wir in ihrer Wohnung kennenlernten . Sie hatte sich fest vorgenommen , heute noch mit dem jungen Herrn zu sprechen , sie war daher auch nicht mit den andern Mädchen in das Zahlcomptoir geschritten , sondern hatte gewartet , bis alle übrigen fort waren , um als die Letztkommende am besten Gelegenheit zu einer Unterredung zu finden . Das plötzliche Davoneilen Augusts und sein langes Verweilen im Garten hatte dem jungen Mädchen indes schon alle Hoffnung genommen , heute noch zu ihrem Zweck zu gelangen – sie trat daher mit einer freudigen Hast wieder in das Innere des Hofes , als sie das Nahen Augusts vernahm . Der Portier ärgerte sich nicht wenig über dieses Zusammentreffen , was ihn noch länger an seinem Posten festzuhalten drohte , und da der geplagte Mann eine gewisse Ungeduld selbst vor seinem Herrn nicht verbergen konnte , so nahm ihm August das Bund Schlüssel mit der Versicherung aus der Hand , daß er das Tor schon verschließen werde und daß er sich nach seinem Zimmer begeben könne , worauf der Portier auch sofort einging , indem er bedeutsam lächelnd noch einmal nach dem jungen Paare zurückschaute , das allein im Hofe zurückblieb . Marie war schon seit vielen Jahren in der Fabrik des alten Preiss beschäftigt , und August wußte , daß sie eine der besten Arbeiterinnen war . Er hatte sie nie mehr beobachtet als jedes andere dienstbare Wesen und vielleicht noch viel seltener , weil er eben davon überzeugt war , daß Marie ihre Schuldigkeit tat und keiner Aufsicht bedürfe . Aus diesem Grunde , und weil der junge Fabrikant überhaupt , sobald er die Schwelle der Fabrik überschritten hatte , weniger die beschäftigten Personen als das , was sie dem Geschäft an Arbeit lieferten , im Auge hatte , konnte es ihm unmöglich aufgefallen sein , daß Marie sich neben einer gewissen Aufmerksamkeit und Tätigkeit auch noch in mancher anderen Beziehung vor ihren Mitarbeiterinnen auszeichnete . Die entschiedene Umwandlung , die mit August in den letzten Wochen vorgefallen war , die Engherzigkeit , aus der er herausgetreten , und das weite unendliche Feld , was sich plötzlich seiner Geistestätigkeit eröffnet hatte , alles dies machte , daß er indes mit einem Male manche Dinge in ganz anderm Lichte als früher erblickte , daß er plötzlich auf die bei der Industrie Beschäftigten mehr achtgab als auf die Industrie selbst , daß er die Fabrizierenden mehr ins Auge faßte als das Fabrikat , daß ihm die Menschen teurer wurden als die Maschinen . Zu jeder andern Zeit würde diese neue Richtung seiner Seele schon deutlich genug hervorgetreten sein . Die große Aufregung , in der er eben gewesen , jene gewaltige Bewegung , die noch wild seine Nerven durchzitterte und für jedes Ereignis empfänglicher machte , dazu der Umstand , daß eines jener Individuen , denen gerade eben all sein Enthusiasmus galt , daß ein weibliches Wesen , welches gerade am allermeisten zu berücksichtigen war , daß ein Mädchen , ein schönes Mädchen , daß eine seiner schönsten Sklavinnen ihm allein gegenüberstand und ihn allein zu sprechen wünschte – es konnte nicht ausbleiben , daß ihn ein solcher Moment gerade jetzt mehr fesseln mußte als tausend Ereignisse seines frühern Lebens . Als Marie daher aus dem Schatten des Torwegs zu ihm in den erleuchteten Hofraum getreten war , als er diese schlanke Gestalt vor sich sah , dieses bleiche , arme Antlitz , so schön umgeben von dem vollen , dunklen Haare , als ihm jene Augen entgegenstrahlten , deren wildes lohendes Feuer so reizend durch einen stillen , kaum bemerkbaren Zug der Wehmut , der Traurigkeit gemildert wurde , als es ihm unwillkürlich auffiel , wie das arme Mädchen ihren ganzen kleinen Putz , ihr weißestes Linnen , ihre saubersten Kleider aufgeboten hatte , um für diese Unterredung so hübsch geschmückt zu erscheinen , wie es sich nur für sie paßte , ach ja , als sie in ihrer ganzen Reinheit und Natürlichkeit anmutig schüchtern vor ihm stand und ihm dann mit leiser , melodischer Stimme das » Guten Abend , Herr August ! « entgegenflüsterte – da stand der junge Mann betroffen , erstaunt da , er konnte nichts erwidern , sein Atem stockte , sein Herz klopfte . Marie bat um Entschuldigung , daß sie den jungen Herrn noch so spät am Abend aufhalte . Sie erzählte ihm , daß der Bruder Eduard aus England zurückgekommen sei und daß er viel gesehen und viel gelernt habe , daß er jetzt gern in der Nähe seiner alten Mutter bleiben wolle und daß er sehnlichst wünsche , in der Fabrik als Mechanikus Beschäftigung zu finden . » Eduard sollte eigentlich selbst deswegen herkommen « , bemerkte Marie , » und er ist auch gar nicht so blöde , daß er nicht wohl ein Wort sprechen könnte , aber Eduard ist ein sonderbarer Junge , er mag nicht gern bitten , und wenn er es einmal tut und man schlägt ihm sein Verlangen ab , dann ärgert er sich so schrecklich , daß man für eine Woche lang nicht mit ihm umgehen kann . « » Nicht wahr , und da hast du seine Rolle übernommen ? « bemerkte August . Er nannte alle Fabrikarbeiterinnen du . Es fehlte indes nicht viel daran , und er hätte Marie heute Sie genannt . » Gewiß ! « erwiderte das Mädchen . » Und ich habe es gern getan , denn ich weiß , daß mein Bruder ein tüchtiger und geschickter Arbeiter ist ; er ist zwar immer noch etwas rauh und barsch , aber er meint es gut . Er will die Mutter ganz unterhalten , und unser kleines Gretchen soll künftig in die Schule gehen . « » Sag deinem Bruder , daß dies recht schön von ihm ist und daß er sich gar nicht zu scheuen hat , einmal zu mir zu kommen oder mit meinem Vater zu sprechen . « » Nein , da will ich ihm lieber sagen , daß er die Sache mit Ihnen abmacht , Herr August ! « Marie erwiderte das so rasch und betonte die letzten Worte so sehr , daß August unwillkürlich lächeln mußte . Dem jungen Mädchen konnte dies nicht entgehen , sie glaubte etwas Unhöfliches oder Unpassendes gesagt zu haben , indem sie Augusts Vater zu sehr aus dem Spiele ließ , sie mußte August ja für einen sehr guten , folgsamen Sohn halten . Etwas verschämt setzte sie daher noch hinzu : » Oder Eduard kann auch zu Ihrem Vater gehen , wenn Sie das wollen . « Die Art und Weise , wie Marie diesen Nachsatz hervorbrachte , war so komisch , zeigte aber zugleich so deutlich , wie sie und wahrscheinlich auch ihre Kolleginnen über den Vater Preiss dachten , daß August sich gern dazu verleiten ließ , etwas länger auf diesem Punkte zu verweilen . Außerdem sehnte er sich danach , Marien ein wenig außer Fassung zu bringen , um hinter ihrer Verlegenheit die seinige zu verbergen . » Mit meinem Vater möchte Eduard also nicht so gern reden wie mit mir ? « erwiderte er und sah das junge Mädchen etwas schärfer an . » Das habe ich nicht gesagt ; aber Sie wissen wohl , Herr August , wenn jemand jung ist , dann spricht er lieber mit jungen als mit alten Leuten . Wenn es Eduard aber mehr helfen könnte , daß er sich an meinen Vater wendete ? « » Ach , Herr August , das ist aber ja gar nicht möglich – der Sohn ist ja geradesogut wie der Vater . « August hätte sich beinahe für dieses Kompliment bedankt . » Nun , ich sehe schon , was gemeint ist « , versetzte er , um das schüchterne Mädchen nicht aufs neue in Verlegenheit zu bringen , » dein Bruder muß mich in den nächsten Tagen einmal besuchen , da wollen wir schon eins miteinander werden . Also , Gretchen soll künftig in die Schule gehen ? « » Jawohl , Herr August , und lesen lernen und stricken und nähen . « » Und deine Mutter bleibt dann zu Haus ? « » Ach ja , Herr August , die Mutter ist so krank und schwach . « » Du , Marie , willst aber noch bei uns bleiben ? « Ein kaum hörbares » Ja « und ein Seufzer waren Mariens Antwort . Es ging dem jungen Mann wie ein Stich durchs Herz – er sah , wie Marie ihre schwarzen Augen niederschlug , er hörte , wie dieser Seufzer sich aus gepreßtem Busen losrang , wie dieses » Ja « sich mit Gewalt Bahn aus ihren Lippen brach ; er fühlte , daß er eins jener unglücklichen Wesen vor sich hatte , das , von der Not gezwungen , still und resigniert den Nacken biegt . Jagte ihn der Teufel mit allen seinen Schrecken , verfolgte ihn das Schicksal mit allen seinen Furien ? Wohin er sah , wohin er lauschte , überall nur das Knirschen empörter Sklaven , das Röcheln verwundeter Seelen , der Angstschrei entwürdigter Menschen . Die Wunden unserer Zeit , die Schmach unserer Gesellschaft , die Laster des Jahrhunderts grinsten ihn an aus jeder Ecke , aus jedem Winkel , aus jeder Miene seiner Umgebung . War es nicht derselbe Jammer , der ihm aus den bleichen Mienen jener zerpeitschten Kinder , aus den fahlen Wangen jener unglücklichen Mütter anschaute , der ihm aus den Flüchen ruinierter Männer , aus den Gassenliedern ihrer verwahrlosten Knaben entgegentönte und der hier wieder das Herz eines Mädchens zu Seufzern zwang , die fast wie Gift und Feuer in die Brust seiner Feinde drangen ? › Du hast sie gut fragen , ob sie ferner deines Vaters Leibeigene sein will ‹ , dachte August . › Elender ! der du noch mit dem Gram deiner Sklaven spotten kannst ! Fragen , ob sie ihre arme Seele , ihren schönen Körper noch länger hergeben will , wenn du doch weißt , daß sie von der Not dazu gezwungen wird . ‹ Scham und Wut röteten Augusts Stirn , wild schoß das Blut durch seine Brust , seine Augen blitzten , die Stimme versagte ihm den Dienst , und als er aufs neue in das wehmütig-ernste Antlitz Mariens schaute , als er daran dachte , daß trotz des großen Raumes , der zwischen seiner und ihrer Stellung lag , sein Schicksal doch am Ende nur dasselbe sei , daß er nicht weniger wie sie der Sklave seiner Zeit , seiner Gesellschaft , seiner nächsten Umgebung , seines eigenen Vaters sei , daß der einzige Unterschied zwischen ihnen vielleicht nur der wäre , daß sie noch viel unglücklicher als er selbst sei , da war sein letzter Stolz besiegt , da sank sein letzter Dünkel . » Vergib mir , armes Mädchen « , rief er und drückte Mariens Hand warm in der seinen . Sie sah ihn verwundert an , sie stutzte , sie schrak zurück und eilte mit flüchtigem Gruße hinaus auf die Gasse . Als August nachts einsam auf seinem Zimmer saß , fragte er sich , ob es wohl möglich sei , daß man noch glücklich werde . Noch wußte er sich keine Antwort zu geben . Jeden Morgen , Punkt 6 Uhr , tönt von dem kleinen Turm , der die Spinnerei des Herrn Preiss schmückt , das Läuten jener Glocke , welche den Arbeitern weit und breit das Signal gibt , daß sie ihr Tagewerk zu beginnen haben . Das große Tor , welches nach der Straße führt , wird dann geöffnet , und Weiber , Kinder und Männer , die sich schon einige Augenblicke vorher gesammelt haben , verfügen sich an ihren Posten . Die meisten tragen in irdenen Töpfen ihr kleines Frühstück mit sich , zu dessen Genuß ihnen um 9 Uhr einige Minuten freigegeben sind . Um 12 Uhr macht man Mittag . Die Arbeiter aus der Stadt können dann für eine Stunde nach Hause gehen , um sich zu Tisch zu setzen ; die , welche vom Lande kommen und abends erst auf die Dörfer zurückkehren , setzen sich gewöhnlich in den Hof , um ihr Mahl zu verspeisen . Um 1 Uhr beginnt die Arbeit aufs neue und dauert fort bis 8 . In gewöhnlichen Zeiten arbeitet man also dreizehn Stunden , ist indes viel zu fabrizieren , so müssen sich die Arbeiter auch dazu bequemen , noch länger auszuhalten . Wir treten zur Mittagszeit in das Innere des Hofraumes . Auf kleinen Bänken , die an den Seiten der Fabrik angebracht sind , bemerken wir eine Arbeitergruppe neben der andern . Manche haben sich gegenüber auf einige Leitern und Holzstöße gesetzt , einige sogar auf die bloße Erde . Alle Arbeiter , die wir hier sehen , sind am Morgen vom Lande herübergekommen ; in Tüchern und Töpfen führten sie ihr Mittagsmahl bei sich , zu dessen Erwärmung ihnen die Seiten des siedenden Dampfkessels die beste Gelegenheit gaben . Jeder hat sich dazu seine Stelle ausgewählt – wenige Augenblicke sind hinreichend , um diesen genügsamen Menschen ein spärliches Mahl schmackhaft und erquicklich zu machen , denn sie bringen ja ihren besten Appetit dazu mit . Wir sehen , wie einer nach dem andern sein Töpfchen von dem Rande des Kessels herunterlangt , wie er es in den Schoß oder zwischen die Knie stellt und mit dem Löffel in seine Suppe fährt , indem er zuerst das Dünne oben abschöpft , um zu guter Letzt auf den substantiellen Teil seines Mahles zu kommen . Hin und wieder haben sich auch zwei Brüder oder Bruder und Schwester oder die Personen einer ganzen Familie bei einem Gefäße niedergelassen und geraten nicht selten in einen kleinen liebenswürdigen Zank , wenn der eine dem andern eine Kartoffel oder eine halbzerkochte Rübe in aller Eile fortstibitzen will . » Du hast schon wieder eine Kartoffel zuviel genommen « , sagt Mariechen zu ihrem Bruder . » Das ist nicht wahr ! « erwidert Jan . » Ich habe es aber gesehen ! « » Du hast dich aber geirrt . « » Du bist ganz schrecklich gefräßig ! « » Ich esse fast gar nichts . « » Es wundert mich , daß du den Löffel nicht mit hinunterschluckst . « » Kein Mensch in der Welt ißt weniger wie ich . « » Du wirst den ganzen Topf noch mitessen . « » Laß mich zufrieden , Mariechen , oder ich haue dich auf den Kopf ! « Jan macht ein zorniges Gesicht – Mariechen wird noch viel böser – beide erheben die Löffel , um aufeinander loszuschlagen – da müssen sie laut auflachen und fahren einträchtig in ihrer Mahlzeit fort . » Das ist heute wieder ein schlechter Fraß ! « sagt ein langer Bursche zu seiner Mutter . » Danke Gott , wenn du immer etwas so Gutes hast ! « erwidert sie ihm . » Immer Kappes und Rüben ! « » Freu dich , daß uns die noch gewachsen sind ! « » Nicht ein einziges Mal einen Fetzen Fleisch ! « » Schäm dich , du hast am Sonntag noch Fleisch bekommen ! « » Der Teufel mag deine Suppen essen ! « » Gotteslästerer « , ruft die Mutter und zieht ihrem Sohn den Topf vor der Nase fort , » hat dich das der Pastor gelehrt ? « – » Der Pastor hat gut lehren ! « » Nun , dann iß ! « erwidert die Mutter . » Der Pastor ißt freilich etwas Besseres . « » Viel besser ! « bemerkt der Sohn und beruhigt sich sofort , indem er aufs neue mit dem Löffel niederfährt . » Das Brot wird dies Jahr sehr teuer « , murmelt ein alter Arbeiter . » Ich kann es nicht begreifen « , antwortet ihm seine Tochter . » Die Zeiten sind so schlecht . « » Es ist aber doch bei uns genug Korn gewachsen ! « » Hin und wieder , das ist wahr ! Aber das kaufen die Spekulanten auf . « » Was ist das , ein Spekulant ? « » Das ist ein reicher Mann . « » Also die reichen Leute kaufen uns das Brot fort ? Jawohl , mein Kind . « » Die reichen Leute essen ja aber fast gar kein Brot . « » Aber sie legen das Korn in ihre Speicher . « » Wozu ? « » Um uns zu zwingen , daß wir es höher bezahlen . « » Ist das aber recht ? « » Nein , mein Kind , es ist aber erlaubt ! « » Ach so ! « – Und beide setzen ihre Kinnladen wie der in Bewegung . » Was meinst du , was heute der Herr Preiss ißt ? « fragt ein Junge den andern . » Verdamm mich , wenn ich es weiß . « » Junge Hahnen ißt er , mit Erbsen . « » Wer hat dir das gesagt ? « » Ich habe es in der Küche gesehen , und Schinken und Petersilie . « » Mir einerlei ! « » Und Tauben mit Apfelmus . « » Schweig still . « » Und Rehbraten mit brauner Soße . « » Halt dein Maul ! « » Und Apfelsinen und Korinthen . « » Hol ihn der Henker ! « » Und Wein trinkt er dazu , daß es rappelt . « » Gott verdamm ihn ! « Am Tore , etwas entfernt von den übrigen , liegen noch zwei Knaben – sie sind mit ihrer Suppe fertig . » Ich weiß etwas von dir ! « sagt der eine . » Und ich etwas von dir ! « erwidert ihm der andere . » Du hast dem Herrn Preiss Kirschen gestohlen . Und du seinen Pferden den Hafer . « » Du hast das Stärkemehl aus der Färberei gefressen ! « » Und du hast das Blei von den Fenstern verkauft ! « » Du hast zwei Pfund altes Eisen beiseite geschafft . « » Und du bist ein Lump ! Du willst mich anzeigen . « » Und du bist ein Dieb ! Du willst mich verraten ! « » Ach Gott , sag kein Wort – ich war so hungrig . « » Sei still – mir ging es gerade so . « » Nichts angezeigt ! « » Nichts verraten ! « » Alles still ! « » Ganz still ! « – Und beide erheben sich , um den Rest der Feierstunde zu verspielen . So unterhalten sich die Arbeiter während ihrer Mahlzeit . Die meisten unter ihnen sehen noch ziemlich wohl aus ; man sollte fast glauben , daß sich die Arbeiter des Herrn Preiss vor allen andern durch ihre Gesundheit unterscheiden . Die armen Leute , welche hier im Hofe speisen , sind aber alle vom Lande . Manche werden nur einen Teil des Jahres in der Fabrik beschäftigt und können sich durch abwechselndes Arbeiten im Felde immer wieder von den Strapazen innerhalb der Fabrikmauern erholen . Alle bewegen sich auch mehr in der freien Luft als die Arbeiter der Stadt . Morgens und abends haben sie eine volle halbe Stunde zu gehen , ihr Weg führt durch Wiesen und Gärten den Rhein entlang , wo sie die frischeste , herrlichste Luft einatmen . An den Arbeitern der Stadt haben wir den besten Kontrast . Nach und nach treten sie in den Hof – die Mittagsfeierzeit ist bald verstrichen – , schon wirbelt der Dampf aus dem riesigen Schlot , gleich wird die Maschine ihr altes Spiel beginnen . Alles muß zur rechten Zeit wieder an Ort und Stelle sein . Töpfe und Schüsseln sind schnell beiseite geschafft , die Arbeiter der Stadt mischen sich mit denen vom Lande , und wir erschrecken über den Unterschied , der zwischen beiden ist . Unter den letztern finden sich noch einige frische Gesichter , man sieht , ihr Körper widersteht noch tausend schädlichen Einflüssen , denen die andern längst unterlagen . Je mehr von den Stadtbewohnern hereintreten , desto unheimlicher und stiller wird der ganze Haufen . Bald sehen wir nichts mehr als jene bleichen , elendigen Gestalten , deren Anblick uns schon entsetzte ; alle Ecken und Winkel der Stadt , alle schlechten Gassen haben ihre Unglücklichen wiedergegeben , das eigentliche Fabrikproletariat ist wieder beieinander . Im Vordergrunde des Raumes haben sich verschiedene Arbeiter um einen alten Mann gesammelt . » Wißt ihr was Neues ? « ruft er . » Und was denn ? « fragt man ihn von allen Seiten . » Der Eduard ist wieder da . « » Welcher Eduard ? « » Nun , der Frau Martin ihr Junge . « Ein Ruf der Freude und Verwunderung dringt aus jeder Kehle . » Der Eduard ist ein prächtiger Junge « , bemerkt der eine , und :