Erstes Kapitel » Das nenn' ich in der That ein eigenthümliches Spiel des Zufalls , Cornelia , daß ich Sie hier wiedertreffen muß ! « – rief ein junger Mann in elegantem Reisekostüm auf der Promenade des deutschen Bades Pr---t einer nicht minder elegant , aber weniger geschmackvoll gekleideten Dame zu , deren ganze Erscheinung den Eindruck machte , als wollte sie den natürlichen Reiz der Jugend , welcher den Zügen ihres Gesichts bereits entflohen war , durch künstliche Mittel mit Gewalt an sich fesseln . » Des Zufalls , lieber Baron ? des Glücks , wollen Sie sagen . – Wahrhaftig des Glücks , für mich wenigstens « – setzte sie mit halb aufrichtiger , halb ironischer Stimme hinzu , während ein eigenthümliches Lächeln um ihren farblosen , dünnen Mund spielte . Bekanntlich hat der Mensch vor den Thieren – den Affen etwa ausgenommen – unter vielen anderen Vorzügen hauptsächlich zwei , die ihn ganz besonders charakterisiren : das Lachen und das Weinen . Von diesen ist aber wiederum das Lachen eine Fähigkeit , die die meisten und mannichfaltigsten Modificationen besitzt , vom Grinsen des Kretins und des Affen bis zum feinen , viel deutigen und nichts sagenden Lächeln des Diplomaten , vom einfältig ehrlichen Ausbruch der derben Fröhlichkeit des Bauernsohns bis zum huldreichen Beifallslächeln eines erhabenen Mäcen . In allen diesen verschiedenen Arten und den unzähligen dazwischen liegenden helleren oder dunkleren , zarteren oder gröberen Schattirungen zeigt sich mehr als in irgend einer andern geistigen Funktion und Seelenäußerung des Menschen das treueste und markirteste Abbild seines individuellen Gepräges , nicht blos in intellektueller , als auch in sittlicher Beziehung . Corneliens Lachen hatte besonders das Eigenthümliche , daß die übrigen Züge außer dem Munde meistens ganz unberührt davon blieben . So zeigte sich auch jetzt auf ihrem Gesichte nicht die geringste Veränderung weder in Ausdruck noch in der Farbe . Der Baron von Landsfeld – so hieß der junge Mann – bot ihr lachend den Arm . » Seid wie lange sind Sie aus Venedig zurück , Cornelia ? Ich erinnere mich , daß Sie bei unserem letzten Zusammentreffen dort die Absicht aussprachen , nach Palermo zu gehen . « Er warf einen schnellen , aber stechenden Blick auf sie . Wirklich schien es , als ob durch die unangenehme Empfindung , welche in Cornelien durch die Worte ihres Begleiters erregt wurde , die harten steinernen Züge ihres Gesichts einen noch schärferen Ausdruck annahmen . Sie mochte dies fühlen , denn sie bemühte sich augenscheinlich , den starren Ernst ihrer Mienen , unter dem sie die Bewegung ihres Innern zu verstecken pflegte , in ihr gewöhnliches Lächeln umzuschmelzen , welches aber diesmal sich zu einer unheimlichen Grimasse verzerrte . » Lassen wir das , Baron « – sagte sie freundlich . » Ueberhaupt möchte ich Ihnen einen Kontrakt vorschlagen für die Dauer unseres hiesigen Beisammenseins , im Falle Sie nämlich gesonnen sind , längere Zeit hier zu verweilen . Ich gebe Ihnen in voraus die Versicherung , daß für das kleine Opfer , welches Sie mir bringen müssen , Ihnen reichliche Entschädigung werden soll . Es giebt hier unglaublich viel Namen , resp. Menschen mit Eitelkeit und Pedanterie im Kopfe oder Wärme im Herzen , an denen Sie Ihr Müthchen kühlen können . Doch davon später . Was mich betrifft , so gestehe ich Ihnen offen , daß mir an Ihrer Gesellschaft viel , sehr viel gelegen ist , daß ich trotzdem aber entschlossen bin , sie zu entbehren , wenn Sie mir nicht das Versprechen geben – mich zu schonen . « – Die letzten Worte sprach Cornelia mit einem gewissen Zögern , indem sie zugleich die Stimme etwas sinken ließ . Der Baron ließ ihren Arm los und sah ihr mit unverkennbarem Erstaunen , aber auch mit unverhehlter Freude in's Gesicht . » Ist's möglich , Cornelia ? Sie fangen an , Empfindung zu bekommen ? Sie gestehen ein , daß auch Sie der Schonung bedürftig sind , daß Sie folglich verletzt werden können ? Nun wahrhaftig , wenn das kein wunderbares Naturspiel ist , dann weiß ich nicht , ob es noch etwas Anderes sein kann , als ein eben so wunderbares Meisterstück – der Kunst . « » Sie irren sich in Beidem . Ich bin weder aufgelegt , sentimental zu werden , noch die Sentimentale zu spielen . Die einfache Thatsache ist die , daß ich einmal Vergnügen daran finde , aufrichtig zu sein – natürlich nur gegen Sie . « » Sehr verbunden , « sagte der Baron , indem er ihren Arm wieder in den seinigen legte . » Und womit habe ich diese unschätzbare Gunst verdient , wenn die Frage gestattet ist ? « » Es ist weder eine Gunst , lieber Baron , noch wüßte ich , womit Sie sie verdient hätten , wäre es eine . Nein , nein . Sie sind in dieser Rücksicht , glaub' ich , nicht eitel genug , als daß ich Sie mit Erfolg täuschen könnte , vorausgesetzt , daß ich Zwecke durch Sie zu erreichen wünschte , deren Wichtigkeit mich für die Mühe eines solchen Täuschungsversuches entschädigte . Alles dies findet nicht statt ; Sie haben also die Gewähr für meine Aufrichtigkeit . Sind Sie mit dieser Erklärung zufrieden ? « » Allerdings , in so fern ich wohl mit Recht vermuthen darf , daß Sie mich in die weiteren und positiven Zwecke Ihrer Aufrichtigkeit zu mir nicht einweihen werden . « » Ich bewundere eben so wohl Ihren Scharfsinn , Baron , als Ihr Zartgefühl , und danke Ihnen , daß Sie mir eine abschlägige Antwort erspart haben . « » Gut « – erwiederte Landsfeld nach einer kurzen Pause , in der er über Etwas nachzusinnen schien – » ich nehme die Bedingung an ; schon deshalb , weil auch ich Ihren nähern Umgang schmerzlich vermissen würde . Aber die Entschädigung – sprachen Sie nicht davon ? « Cornelia lachte . » Wie plump gebehrdet Ihr Männer Euch doch , so bald Ihr zu heucheln versucht . So haben Sie an meinem Umgange also doch nicht genug ? Sie sind so wenig galant , dafür noch eine besondere Belohnung zu verlangen , daß ich Ihnen Gelegenheit gebe , Ihre malitieuse Natur etwas zu humanisiren , indem ich Sie zu einem rücksichtsvollen Benehmen gegen mich zwinge ? – Sie zucken die Achseln ? Gut denn , aber ich wasche meine Hände in Unschuld . – Hm ! was würden Sie zum Beispiel zu der Nachricht sagen – « fuhr Cornelia , den Zeigefinger auf die Kinnspitze legend und mit lauerndem Blicke von unten herauf den Baron fixirend , eine Mischung von feierlicher Langsamkeit und banaler Gleichgültigkeit im Ton fort – » was würden Sie dazu sagen , daß Alice von Rosen hier ist ? « Cornelia fühlte es an dem leisen Zittern seines Arms , daß der abgeschossene Pfeil sein Ziel nicht verfehlte . In der That wäre selbst dem unbefangenen Zuschauer seine Bewegung nicht entgangen . Sein Gesicht überflog eine schnelle , fieberhafte Röthe . Doch im nächsten Augenblicke antwortete er mit großer Ruhe : » Ich würde sagen , daß es eine abscheuliche Lüge ist . « » Auch wenn ich Sie versichere – « » Eben deshalb « – erwiederte er mit einer Lebhaftigkeit , die ihm von neuem das Blut in's Gesicht trieb . » Fangen auch Sie an , Empfindung zu bekommen , Sie armer Freund « – sprach Cornelia in mitleidig ironischem Ton , während ihre Züge theils den Ausdruck tiefen Hasses , theils dämonischer Schadenfreude annahmen . Ich habe meine Empfindung « – entgegnete der Baron in immer größerer Aufregung , obwohl er äußerlich gefaßt in die blaue Luft hineinstarrte – » noch nie hinter einer erbärmlichen Maske von Trockenheit und Kälte zu verstecken nöthig erachtet , gnädiges Fräulein , auch nicht nöthig gehabt , da sie nicht so rein aristokratisch ist , wie die Ihrige . – Doch wozu ärgern wir einander , Cornelia ? Haben Sie den Kontrakt nur vorgeschlagen , um das wohlfeile Vergnügen zu haben , ihn zuerst brechen zu können ? Sagten Sie nicht , ich sollte Sie schonen ? Ha , ha ! Thor , der ich war , in diese Falle zu gehen . « Er fing wieder an zu lachen . » Wir sind nun quitt , Baron , und bedürfen meines Erachtens jetzt keines Kontrakts mehr . Indeß täuschen Sie sich diesmal über meine Absicht , wie Sie sich nachher überzeugen werden . Jetzt aber will ich Ihnen erzählen , warum ich nicht nach Palermo gegangen ; vielleicht wird das Ihr Blut so weit abkühlen , daß Sie im Stande sind , anderweitige und für Sie interessantere Mittheilungen anzuhören , ohne mir den Dank in Sottisen abzutragen . Seien Sie ruhig , ich schweige schon « – fügte sie beschwichtigend hinzu , als sie seine Stirn sich in drohende Falten legen sah – » und nun hören Sie : Sie wissen , daß ich kein Hehl aus dem eigentlichen Zweck meiner italienischen Reise machte . Zwei Jahre hatte ich bereits in Berlin geweilt , wo Schattenfrei bei der französischen Gesandtschaft angestellt war , und noch immer war es mir nicht gelungen , mit ihm zusammen zu kommen , geschweige ihn an mich von Neuem zu fesseln . Seine Frau , die übrigens , wie man so sagt , ein liebenswürdiges , gutmüthiges und harmloses Ding sein soll , war mir sehr im Wege . Ich zerbrach mir Tag und Nacht den Kopf über die Auffindung eines geeigneten Mittels , das ihn veranlassen könnte , mich zu besuchen – « » Man will wissen , daß Sie sich einmal doch im Theater trafen , ich glaube der › Liebestrank ‹ wurde gegeben « – sagte der Baron mit hervorgehobenem Accent . Cornelia warf einen stechenden Blick auf ihren Begleiter » Schweigen Sie , bis ich zu Ende bin . – « Der Baron lachte . » Das sind die Folgen davon , wenn man einen Kontrakt vorschlägt , und ihn zuerst bricht . Jetzt fahren Sie fort , ich werde Sie nicht mehr unterbrechen . « Cornelia unterdrückte eine Antwort , die ihr auf der Zunge lag und erzählte weiter : » Nach vielen vergeblichen Versuchen hatte ich mein Vorhaben fast aufgegeben , als ich zufällig in einer Gesellschaft davon reden hörte , Schattenfrei werde zur Wiederherstellung seiner Gesundheit eine Reise nach Palermo machen . Ich forschte genauer nach . Richtig , in vierzehn Tagen wollte er abreisen und zwar allein , ohne seine Frau . Mein Plan war kurz gefaßt . Ich wollte ihm zuvorkommen , ihn in Venedig , das er doch ohne Zweifel passiren würde , erwarten und empfangen . In vier Tagen war ich reisefertig , – in einer Woche war ich in Venedig . Das Abenteuer , das ich mit dem jungen schwärmerischen Menschen dort hatte , kennen Sie , es half mir wenigstens die Zeit verkürzen . Endlich war meiner Berechnung nach der Zeitpunkt gekommen , an dem Schattenfrei eintreffen mußte . Alle Vorbereitungen waren getroffen . So bald er das Thor passiren würde , sollte ich davon benachrichtigt werden . Aber vergeblich harrte ich auf die frohe Botschaft . Zwei Tage waren schon über den Termin hinaus vergangen , da kamen Sie mit Frau von Rosen nach Venedig . Auch Sie wußten mir Nichts über den Erwarteten mitzutheilen . Meine Unruhe nahm von Stunde zu Stunde zu . Sie hielten mich und Alice damals für die innigsten Freundinnen . « – » Und Sie waren es nicht ? « – fragte der Baron erstaunt . » Im gewissen Sinne allerdings , in so fern wir uns redlich in Rücksicht auf unsere besondern Pläne in die Hände arbeiteten . Außerdem aber haßten wir uns eben so redlich , verleumdeten uns nach Frauenweise und heuchelten einander die innigste Seelengemeinschaft vor . « – » Und warum das ? « » Theils aus rein künstlerischem Vergnügen , theils auch , um uns in Uebung zu erhalten , damit wir uns vor Andern , besonders vor Ihnen , nicht durch ein unvorsichtiges Wort oder eine impertinente Miene kompromittirten . « » Vor mir ? « » Freilich . Hören Sie nur weiter . Alicen lag viel daran , Sie auf eine kürzere oder längere Zeit aus Venedig zu entfernen . « » Wahrhaftig ? « – fragte der Baron ironisch – » und wozu , wenn ich bitten darf ? « » Einen Augenblick Geduld . Wie war das zu machen , ohne Ihren Verdacht zu erregen und ohne an Ihrer Weigerung zu scheitern . Alice zeigte sich also sehr bekümmert über meine Unruhe , die auf den höchsten Grad gestiegen war , als ich die Nachricht erhielt , Schattenfrei habe die Tour über Genua eingeschlagen , um von dort zur See nach Palermo zu gehen . Zugleich aber war die Nachricht zu wenig verbürgt , als daß ich auf's Gerathewohl Venedig verlassen konnte . In dieser Noth wandte sich die über meine verzweifelte Lage sehr betrübte Alice an Sie mit der Bitte , auf etwa acht Tage nach Genua zu gehen und mich , im Fall › Schattenfrei ‹ dort eintreffen sollte , sogleich davon zu benachrichtigen . Durch welche Gründe Alice Sie von der Nothwendigkeit ihres Zurückbleibens in Venedig überzeugte , weiß ich nicht . « » Sie fühlte die sittliche Verpflichtung , in diesem Falle die Liebe auf kurze Zeit der Freundschaft zu opfern – und wollte Sie in dieser angstvollen Stimmung nicht allein lassen . « Cornelia lachte höhnisch . – » Wie waren Sie damals blind , armer Baron . Im Grunde ihrer Seele war Alice über Nichts erfreuter , als über meine Angst , und sie hätte nicht einen Finger gerührt , mich davon zu befreien , hätte es nicht in ihrem Plan gelegen . – Sie reis' ten ab und kurz nach Ihnen machte Alice mit dem Herrn Berger , der ihr , unbemerkt von Ihnen , aber nicht von ihr , bis nach Venedig gefolgt war , einen Ausflug ins Tyroler Gebirge . Beim Abschiede bat sie mich , alle Briefe an Sie von Venedig aus zu befördern . So war jeder möglichen Entdeckung ihrer Entfernung vorgebeugt . Es vergingen abermals acht Tage . Schattenfrei kam immer noch nicht , Ihnen wurde in Genua die Zeit lang , Alicen wurde sie in Tyrol kurz : der Augenblick nahte , den wir zur Wiedervereinigung bestimmt hatten . Aber ich wartete vergeblich . Weder Sie , noch Alice kehrten zurück . Ueberdies erhielt ich einen Brief aus Deutschland , worin mir mitgetheilt wurde , daß Alice › Schattenfrei ‹ mit meiner Absicht , ihn in Venedig zu erwarten , bekannt gemacht und ihm den Rath gegeben , weder über Venedig noch über Genua nach Süd-Italien zu gehen , wenn er überhaupt es nicht vorzöge , anders wohin seine Schritte zu lenken , im Fall er ein Zusammentreffen mit mir vermeiden wolle . So war ich nun völlig im Unklaren . War er doch nach Palermo gegangen oder nicht ? Sollte ich auf die Ungewißheit hin die weite und gefahrvolle Reise unternehmen , abgesehen davon , daß meine Kasse nicht zum Besten bestellt war ? Ich faßte einen schnellen Entschluß und ging nach Deutschland zurück , mit der Absicht , ihm bei seiner Zurückkunft in den Weg zu treten . Daraus , daß Alice mir diesen hinterlistigen Streich aus Italien , oder wo es sonst sein mag , gespielt hatte , ersah ich jedoch mit einer Art von Genugthuung , daß Sie mein Leidensgefährte sein mußten , weil sie sonst in Betreff meiner mit mehr Vorsicht gehandelt hätte . « – Bei diesen Worten warf Cornelia einen forschenden Blick auf den Baron und fuhr dann fort : – » Es konnte ihr also nichts mehr daran gelegen sein , ob ich Ihnen die wahre Sachlage mittheilte ; folglich mußte sie den Gedanken an eine Wiedervereinigung mit Ihnen schon aufgegeben haben , als sie an Schattenfrei schrieb . – Ich begab mich bald darauf nach Genua auf den Weg , um Sie aufzusuchen , fand Sie aber nicht mehr anwesend , da Sie zwei Tage vorher nach Venedig abgereiset waren . Wahrscheinlich hatten wir uns begegnet und ohne es zu wissen verfehlt . « Die Ironie , mit der die letzten Worte gesprochen wurden , ließen zweifeln , was der eigentliche Sinn derselben sein sollte . Mit dem Baron war während dieser Erzählung eine große Veränderung vorgegangen . Zwar schien in diesem Augenblicke keine bestimmte Leidenschaft seine Seele erfüllt zu haben , weder Haß noch Liebe , weder Verachtung noch Hohn zeigte sich in seinen Mienen , aber eine Todtenblässe hatte seinem Gesicht einen Ausdruck gegeben , der auf ein tiefes inneres Leiden schließen ließ . Eine Art geistiger Lähmung schien sich seiner bemächtigt zu haben , als er mit tonloser Stimme sprach : » Ich kam nach Venedig an demselben Tage , wie Schattenfrei . Ich suchte ihn auf , um ihn sogleich zu Ihnen zu führen ; aber vergebens forschte ich nach Ihrer neuen Wohnung , denn ich konnte nicht auf den Gedanken gerathen , daß Sie Venedig verlassen hätten . Schattenfrei war erfreut , Sie in Venedig zu wissen , und bedauerte es ernstlich , daß er Sie nicht finden konnte . « Wie Schade « – unterbrach ihn Cornelia in der früheren ironischen Weise . » Uebrigens beruhigen Sie sich wegen des hinterlistigen Streiches Seitens Alicens . Die Sache verhält sich anders . Sie hat mir selber geschrieben , daß sie einen Ihrer beiderseitigen Bekannten in Berlin zu dieser unschuldigen Mystifikation bereden wolle , um Ihnen dann durch das wirkliche Erscheinen Schattenfrei's eine desto größere Ueberraschung zu bereiten . « » Und Sie haben es natürlich für Wahrheit gehalten . « » Warum nicht ? – Sie sollten glauben gemacht werden , Alice hätte jenen Brief geschrieben , was aber nicht der Fall war . « » Wäre es gewesen , wie Sie sagen , so können Sie sich darauf verlassen , daß es aus der Absicht geschehen ist , entweder mich in April zu schicken – oder aber zu einer Rückkehr nach Deutschland zu veranlassen , die ich nachher zu bereuen hätte , wenn ich die Wahrheit hörte . « » Sie scheinen in der That den Charakter Alicens gut zu kennen « sagte der Baron mit einer tiefen Bitterkeit – » und weiter haben Sie Nichts von ihr und – ihm gehört ? « » Ich habe Ihnen schon einmal erklärt , daß sie hier ist . « Es ist wahr ! « – rief er mit zitternder Stimme , indem seine Lippen bebten . » Wahr ! « » Und er ? « » Auch ! « Mit leuchtenden Blicken sah er umher , als suche er den Gegenstand seiner Rache . Cornelia faßte ihn beim Arm . » Kommen Sie ! « – sagte sie leise und bedeutungsvoll . Sie führte ihn bei diesen Worten in einen schmalen Seitenweg ein , der tiefer in die Mitte des Parks hineinführte . Schweigend und schnellen Schrittes gingen sie neben einander daher , ohne auf die sie umgebenden reizenden Anlagen auch nur einen flüchtigen Blick zu werfen . Ein klarer Bach , dessen Quelle nur einige Stunden weiter im Gebirge hinauf lag , durchströmte in mannichfachen Windungen den Park , auf beiden Ufern mit den herrlichsten Erlen- und Trauerweiden-Grup pen eingefaßt . Zuweilen schimmerten auch anmuthig geschwungene Brückenbogen mit durchbrochenem weißen Geländer durch das grüne Laubwerk , oder es klang das eintönige Rauschen einer kleinen bald natürlichen , bald künstlichen Cascade in das Ohr des einsamen Spaziergängers . Der größte Reiz aber bestand in der völligen Zwanglosigkeit und scheinbaren Unabsichtlichkeit , welche durch sämmtliche Anlagen herrschte . Unbefangenen Gemüthern , – das heißt solchen , die von der methodischen Entseelung , der wir durch die Civilisation unterworfen werden , mehr oder minder unberührt geblieben sind und die daher das Goldkorn ihrer innersten Menschenwürde noch nicht aus dem Schacht ihres Herzens heraufgeholt und nach Außen getrieben haben , damit es sich als werthloser Goldschaum um ihre Oberfläche legt , um von denen da draußen bewundert , betastet und – abgegriffen zu werden , – allen solchen unbefangenen Gemüthern muß der Anblick von Kunstanlagen , bei denen die Kunst gewöhnlich eben solchen entseelenden Einfluß ausübt , wie die Civilisation auf die Menschen , nothwendig ein peinliches , drückendes Gefühl erregen . Die abgezirkelten , mit gelbem Kies bestreuten Wege , die beschnittenen Hecken , die gespreizten Spaliere , Alles benimmt der freien Brust den Athem ; denn der Geist fühlt sich gerade in der Freiheit , in der Unendlichkeit und Mannichfaltigkeit verwandt mit der Natur . Jede Beschränkung , jedes kleinliche , nach der engherzigen Anschauungsweise Zugeschnittene in ihr bedrückt auch den Menschengeist und macht den Schmerz der Natur zu seinem eigenen . Ganz anderer Art mochten die Gedanken der beiden schweigenden Wanderer sein , deren Blicke auf einen Punkt starrten , der stets zwei Schritte von den Spitzen ihrer Füße entfernt auf dem festgetretenen Boden ihnen voraus zu eilen schien . Der Baron von Landsfeld konnte im Sinne gewisser Frauen für einen schönen Mann gelten . Hoch und schlank gewachsen , prägte sich in seine ganze Gestalt das Bewußtsein von Mannhaftigkeit aus . Sein schöner Kopf , obwohl in diesem Augenblicke etwas gesenkt , als wenn die Gedanken drinnen durch ihre Last ihn gebeugt hätten , zeigte selbst in dieser Biegung des Nackens die Gewohnheit , ihn stolz und aufrecht zu tragen . Wenn sein Haar nicht mehr die Elasticität und Fülle der ersten Jugend besaß , so war es doch glänzend und von schöner dunkelbrauner Farbe . Dasselbe Gepräge von Energie lag auch auf der breiten hochgewölbten Stirn und auf der edel , fast zu scharf hervorspringenden Nase . Der zartgeformte und kleine Mund wurde fast ganz bedeckt von dem kräftigen und sorgfältig gepflegten Barte , unter dessen dunklen Wellen das Kinn völlig verschwand . Sein Auge war von eigenthümlichem Glanze und tiefer durchdringender Schärfe . Die Farbe war schwer zu bestimmen , da sie mit der größeren oder geringeren Stärke der augenblicklichen Empfindung zu wechseln schien . Im ruhigen Gespräch hätte man es für ein mattes aber glänzendes Grau gehalten . In solchen Augenblicken zeigte sein Gesicht einen fast gewöhnlichen Ausdruck . – Wenn dagegen in seiner Seele irgend eine Leidenschaft ihren Sitz aufgeschlagen hatte – und das war meistens der Fall – so erhielten seine Züge eine so charakteristische Umgestaltung , daß man in Zweifel über die Identität der Person gerathen konnte . Die kurz aber fest zusammengezogenen Augenbrauen drückten dann eine strenge Bestimmtheit aus und der halbgeöffnete Mund mit der aufgeworfenen Oberlippe , die scheinbar noch schärfer hervorspringenden Linien der Nase und vor Allem die unter den tiefer herabgezogenen Brauen groß und dunkel hervorstrahlenden Augen gaben dem bleichen Gesichte einen Ausdruck von leidenschaftlicher Kälte und energischer Entschlossenheit , deren bloßer Anblick einem Geiste von geringerer Intensität Furcht einflößen mußte . Der Baron trug gegenwärtig einen enganschließenden Reitüberrock von dunkelgrünem Tuch , der die muskulösen aber biegsamen Formen seines graziös gebaueten Körpers vortheilhaft hervortreten ließ . Seine weißen weiten Beinkleider fielen in natürlichen Falten bis auf den eleganten Stiefel herab , der eben so wie die eben bezeichneten Kleidungsstücke eine Abneigung gegen die Herrschaft der Mode bekundete , ohne indeß den Geschmack des Trägers irgend wie zu kompromittiren . Im Gegentheil zeigte sich auch bis in diese scheinbar unwesentliche Kleinigkeit hinein die in seinem ganzen Charakter begründete tiefe Opposition gegen jedwede Autorität , die in so fern aber ihre eigene Rechtfertigung in sich trug , als sie den Kampf gegen die Autorität nur auf Kosten des einfachen , künstlerischen Geschmacks zu führen schien . Dieser Zug seines Charakters , gegen die Willkühr der Menschensatzung , wie immer sie sich zeigte , zu opponiren und das Schöne und Natürliche dagegen geltend zu machen , stammte bei ihm jedoch nicht sowohl aus einem Enthusiasmus für die Idee überhaupt und für deren Rechte , als aus der selbstgefälligen Freude , daß seine eigene Erkenntniß und Anschauungsweise über die Begriffe der gewöhnlichen verkünstelten und kleinigkeitskrämerischen Welt dadurch erhaben sei , daß sie jedes Vorurtheil abgestreift . Aus dieser selbstsüchtigen Richtung seiner idealen Erkenntniß – weil es ihm weniger um die Schönheit und Wahrheit dessen , was sie in sich schloß , als um den eigenen Besitz desselben zu thun war , erklärte sich einerseits die ironische Verachtung , welche er gegen die Menschen im Allgemeinen hegte , anderseits der Skepticismus , mit dem er jede in der Welt ideale Erscheinung von vorn herein als Heuchelei oder Dummheit betrachtete . Vielleicht könnte hieraus geschlossen werden , daß er den Respekt , welchen er allen Uebrigen versagte , auf sich selbst beschränkte , weil er allein seiner Ueberzeugung nach die richtige Erkenntniß von der Unwirklichkeit der Idealität besaß . Allein in der That schöpfte er aus der Verachtung der Uebrigen noch keinen Grund zur Achtung seiner selbst . Er fühlte wohl , daß nur in dem Streben , die Idealität in sich selbst zu verwirklichen , etwas Achtungswerthes liegen könnte . Um dies aber zu versuchen , fehlte ihm die sittliche Kraft , und daher der Glaube an die Möglichkeit dieser Verwirklichung . Er war also nur in dem egoistischen Irrthum befangen , daß er von der Ueberzeugung ausging , diese Verwirklichung sei nicht ihm allein , sondern überhaupt unmöglich . So isolirt er durch diese Richtung seines Innern der Welt überhaupt gegenüber stand , so gab es doch einen Menschen , der mit ihm in diesem sittlichen Skepticismus sympathisirte und gerade gegen diesen fühlte er sonderbarer Weise noch größere , noch tiefere Verachtung , als gegen die gewöhnlichen Menschen . Aber diese Verachtung hatte ihren Grund nicht darin , daß er das , was er an sich selbst für unwürdig hielt , an Andern noch abscheulicher fand – sondern weil jener Andere ein Weib war ; denn beim Weibe schließt die Verachtung der Idealität noch größere Würdelosigkeit in sich , als beim Mann . Außerdem fehlte ihr jede Spur von Enthusiasmus , der wenigstens beim Baron die Quelle seines Skepticismus gewesen war . Bei ihr war es reine Freude am Bösen – hämische Zerstörungssucht , die ihm verächtlicher noch war , als Gemeinheit , Trivialität und Selbsttäuschung . Dieses Weib war Cornelia . Cornelia von Hohenhausen hatte eine kleine , zartgebaute Gestalt . Ihre Bewegungen waren trotz der Magerkeit ihrer Arme , ihres Nackens und Halses doch weder eckig steif , noch kokett und manirirt , sondern so durchaus gefällig und graziös , daß man darüber bei längerm Umgange die natürlichen Unvollkommenheiten leicht vergessen konnte . Der Ausdruck in ihren Zügen war für gewöhnlich nicht besonders auffallend und charakteristisch . Es giebt jedoch eine Art von Gesichtern , deren charakteristische Merkmale weniger in den Hauptzügen , als in scheinbar unwichtigen Nebenlinien liegen , die , weil sie weniger in die Augen fallen , sich auch unbewachter und gleichsam unabhängiger vom Bewußtsein des Menschen selbst entwickeln und gestalten . Hauptsächlich ist dies bei geistig begabten aber unedlen Naturen der Fall ; denn edle Naturen sind zu stolz für eine solche Ueberwachung der Mienen Seitens des Bewußtseins , und einfältige Menschen haben nicht die geistige Kraft und Stärke der Reflexion dazu . So sprach sich auch die dämonische Natur Corneliens nicht in dem allgemeinen Schnitt des Gesichts und in den einzelnen Hauptzügen aus , die vielmehr einen Charakter von Bonhommie und gutmüthiger Freundlichkeit an sich trugen , sondern in den fein zusammengekniffenen Augenwinkeln , in dem unsichern , mattglänzenden grauen Auge und in einer schmalen , langen Furche , die sich von beiden Seiten der Nase mit einer unanmuthigen Wendung um die Mundwinkel herum schlang , aber nur sichtbar wurde und dann dem Gesicht einen sonderlich unheimlichen Ausdruck verlieh , wenn sich der untere Theil des Gesichts zu einem Lächeln verzog . Ihr Mund war eher klein als groß zu nennen , aber sehr dünn , farblos und ohne schönen Schnitt , während die Nase so wie die Stirn keine unedle Bildung zeigte . Der unangenehme Eindruck , den die wirklich auffallende Magerkeit ihres Gesichts , Halses und Nackens in Jedem hervorbrachte , der an schönere Formen gewöhnt war , wurde noch durch die dunkle Schattirung ihres Teints erhöht , welche vielleicht mit der Farbe des Pergaments hätte verglichen werden können , wenn das Gelb des letzteren mehr Grau und weniger Glanz enthielte . Ihre Kleidung schien zwar im Gegensatz zu der des Barons jede auffallende Abweichung vom herrschenden Geschmack der Mode absichtlich zu vermeiden , ohne indeß sowohl in Rücksicht auf die Wahl der Stoffe , als auf deren Zusammenstellung , den reinen Geschmack und den feinen Sinn für elegante Einfachheit und ungezwungene Harmonie zu bekunden , worin jener eine eben so große Zartheit als Sicherheit besaß . Cornelia trug an diesem Tage ein Kleid von schwerer hellgrüner Seide , dessen weiter Ausschnitt dem Auge vollkommene Freiheit ließ , nach den Reminiscenzen früherer Fülle und Schönheit des Halses zu suchen . Ein italienischer Strohhut , mit einer Straußfeder geschmückt , – Cornelia trug nur diesen Putz – ein chinesischer Sonnenschirm und eine weiße Atlas-Mantille bildeten das übrige Kostüm . » Treten Sie leiser auf « – sagte Cornelia zum Baron , als sie eben in eine Kreisallee eintraten , die , wie man schon aus den hier und dort zwischen den Gipfeln der Bäume durchbrechenden breiteren Lichtstellen schließen konnte , einen freien Platz umgab . Nur auf einem schmalen Steige , der die eine Seite der dichten , aus jungen Buchen bestehenden Allee durchbrach , gelangte man in das Rondel selbst und überzeugte sich dann , daß das , was man für einen freien Platz gehalten hatte , ein kleiner Teich war , der von einem in seiner Mitte sich erhebenden Springbrunnen gespeißt wurde . Rings um das Bassin , dessen Ufer nur mit einer niedrigen Rosenhecke eingefaßt war , lief ein schmaler Fußweg . An der äußeren Wand der Buchenhecke standen quarreeartig geordnet vier gußeiserne , grün angestrichene Ruhebänke , von denen die einander gegenübergelegenen von dem breiten pyramidalartig gebaueten Springbrunnen maskirt wurden , so daß die auf der einen Bank sitzenden Personen von denen auf dem jenseitigen Ufer befindlichen nicht gesehen werden konnten . Cornelia bog vorsichtig ein paar Zweige auseinander und warf einen forschenden Blick in das Rondel . Sie schien mit dem Resultate ihrer Beobachtungen unzufrieden , denn sie wandte sich an den Baron mit den Worten : » Bleiben Sie hier einen Augenblick stehen und geben Sie mir das Versprechen , kein Lebenszeichen von sich zu geben , was Sie auch sehen mögen . « Der Baron nickte mit dem Kopfe . Er hatte jetzt , wo der entscheidende Moment gekommen war , seine ganze Besonnenheit wieder erlangt . Mit übereinander geschlagenen Armen stand er an einen Baum gelehnt und wartete , bis Cornelia , die sich auf die andere Seite begeben hatte , zurück kehrte . Mit triumphirender Miene winkte sie ihm . » Allzugroße Vorsicht ist nicht nöthig « – sagte sie . » Das Geplätscher des Springbrunnens dämpft jedes Geräusch bis zur Unhörbarkeit . Doch vorher eine Frage : Was gedenken Sie zu thun ? « » Sie werden es sehen , wenn ich gesehen habe Haben Sie indeß keine Furcht « – setzte der Baron mit leiser Stimme hinzu . – » Sie werden doch nicht glauben , daß mein Ehrgeiz dahin geht , vor Ihnen ein romantisches Spektakelstück aufzuführen ? Verlieren wir keine Zeit mit unnützen Redensarten . « – Sie waren unterdeß ein Paar Schritte fortgegangen . » Hier « – sagte Cornelia , indem sie auf eine kleine Oeffnung zwischen den Blättern wies . Der Baron beugte sich vor . Auf der schräg gegenüber liegenden Bank saß , halb noch vom Wasserstaub des Springbrunnens verdeckt , ein junger Mann von sehr einnehmendem blühenden Aeußern , das echte Bild der jugendlichen Frische und Anmuth . Er starrte jetzt vor sich auf den Boden nieder , in dem sein Spazierstock allerlei Arabesken und Namenszüge eingrub . Neben ihm saß eine sehr bleiche , nicht mehr ganz jugendliche Dame , deren schöngeformter Kopf von einer Menge kurzer anmuthig geordneter Locken umgeben war , welche die einzelnen Züge um so weniger klar erkennen ließen , als sie sich auf ein Buch niederbeugte , aus dem sie dem jungen Manne etwas vorzulesen schien . Obgleich ihr Oberkörper in halb sitzender halb liegender Stellung bis an die Rücklehne der Bank zurückgebeugt war , konnte man doch die graziösen Formen ihrer Gestalt bemerken . Sie ließ jetzt das Buch sinken und sah den jungen Mann , der diese Bewegung nicht zu bemerken schien , eine Weile schweigend an . Was phantasiren Sie da , Arthur ? « – sagte sie mit sehr sanftem und wohllautenden Accent , indem sie auf seine Zeichnungen wies . Erschreckt wie aus einem Traume fuhr er empor , dann strich er sich über die Augen . » Ach , Alice « – entgegnete er mit einer Art von Wehmuth im Ton , » ich dachte eben darüber nach , wie so klein ich Dir erscheinen muß ; wie es möglich sei , daß ich Dir , dem hochherzigen , die ganze Menschenwelt mit Liebe umfassenden Weibe mit meiner engherzigen Empfindung genügen kann . Ich fühle wohl , daß gerade in meiner Verehrung für Dich , in dem Kultus meines Herzens für Deine Größe mein größter Stolz , und in dem Bewußtsein , in Deinem schönen Körper Deine ganze schöne Seele zu umfassen , mein höchstes Glück liegen muß – und doch liegt zugleich mein größter Schmerz darin . « » Schmerz ? « fragte Alice mit demselben sanften , halb melancholischen Ton , der ihr eigen zu sein schien . » Ja , Schmerz , rasender Schmerz « – rief der junge Mann aufspringend . » Begreifst Du nicht den Schmerz , welcher in dem Gedanken , ganz Liebe und Hingebung zu sein , in dem Gedanken , daß Du mein Gott , meine Welt , mein All bist , und Du – « » Nun ? und ich ? « – sagte Alice , ebenfalls sich erhebend . Du bist wie ein Fürst in seinem Park , wo nur das Ganze , die Harmonie aller Einzelnen sein Wohlgefallen erregt , während er eine einzelne Blume ohne Kummer zertreten mag . Ich bin wie der Arme , der nur diese Blume hat , und sein Liebstes verliert , wenn sie ihm verloren geht . Glaube mir , Alice : dieser Gedanke verläßt mich nicht mehr . Wie eine Ahnung Deines Verlustes schwebt es gleich dem kleinen Sturmwölkchen am fernen Horizont meines Liebehimmels und selbst , wenn Du mich so innig an Dein liebeglühendes Herz drücktest , blieb jener Gedanke als bittere Hefe am Rande hängen und verbitterte mir so das schönste Glück , das Glück , Dich ganz zu besitzen . « Sie waren indeß Beide an das Bassin getreten . Arthurs Gesicht glühte , während er sprach ; und Alice fütterte die Goldfische , welche schaarenweise auf die hingeworfenen Brocken zuschwammen . » Du bist ungenügsam , Freund « – sagte sie sanft – » und wenn ich so sagen dürfte , undankbar . Soll ich , um Dich von der Wahrheit meiner Liebe zu überzeugen , Dich an die Opfer erinnern , die ich Dir gebracht , an – – . « » Verzeih mir , Verzeihung Alice « – rief Arthur mit Thränen in den Augen , indem er Alicens Hand heftig an die Lippen preßte und dann an die Brust drückte . » Du hast Recht . Ich bin nicht werth , von Dir geliebt zu werden . Aber nimm hier mein Versprechen ! Was Du mir giebst , will ich dankbar hinnehmen , als spendete es mir eine seegenbringende Göttin . Ich will nicht klagen , selbst dann nicht , wenn Du mich – nicht mehr liebst « – setzte er mit bewegter Stimme hinzu . » O mein Geliebter « – rief plötzlich Alice , indem sie beide Arme um seinen Hals schlang und seinen Kopf an ihren Busen preßte . » Ruhig , mein Arthur , ruhig « setzte sie nach einer Pause hinzu , indem sie den Glühenden sanft von sich abwehrte – » wir könnten belauscht werden – gieb mir den Arm . Wir wollen in den Kursaal gehen . « Indem sie ihren Arm in den seinigen legte , traten sie in die Allee ein . » Geben Sie mir den Arm , Cornelia , « sagte der Baron ruhig . Sie schlugen die entgegengesetzte Richtung ein , so daß sie nothwendig auf der andern Seite der Kreisallee , an dem Punkte , wo der schmale Ausgang war , zusammentreffen mußten . » Was Teufel , Alice , Du hier ? und so gut versehen . – Ich wünsche guten Appetit , mein Herr ! « Nach diesen , mit launigem Ton und unbefangenem Lachen begleiteten Worten , welche der Baron dem andern Paare schon auf sechs Schritt zurief , zog er mit ironischer Courtoisie den Hut und ging mit Cornelia gemächlich , und ohne weitere Notiz von jenen zu nehmen , voraus . » Sie sind ein grausamer und , was mehr ist , ein gefährlicher Mensch , Baron ; die arme Alice ! Wie blaß wurde sie bei Ihrem Anblick . Und der junge Seladon mit seinem Liebesschmerz – – haben Sie sein Gesicht gesehen ? – hatte es nicht die frappanteste Aehnlichkeit mit einem Schulknaben , der bei ungerechter Strafe zwischen seinem Ehrgefühl und der angeborenen Pietät schwankt ? – – Ich bin neugierig , ob er die Sache so ruhig nehmen wird . – – – Was gedenken Sie zu thun , Baron ? – Aber mein Gott , so sprechen Sie doch ! Warum antworten Sie denn nicht . Sind Sie etwa gerührt ? Fühlen Sie Gewissensbisse ob Ihrer Barbarei ? « – » Schweigen Sie , Cornelia , ich bitte Sie dringend . Was sollen jetzt diese Kindereien ? Denken Sie daran , daß wir gehört und gesehen werden können , und daß wir schon in der nächsten Minute einer höflichen Anrede von Herrn Arthur entgegen sehen dürfen . « » Sie haben Recht . Lassen Sie uns von gleichgültigen Dingen sprechen . Blicken Sie einmal nach dieser Richtung hin . Sehen Sie dort in der Seitenallee die junge Dame , die eine ältere am Arme führt ? « » Nun ? « Das ist die Braut Arthurs , der beiläufig gesagt ein sehr beliebter Lieder-Componist , Namens Berger , ist . Merken Sie sich das , verehrtester Freund , für vorkommende Fälle , und nun sehen Sie einmal dies junge Mädchen genauer an . Nicht war , eine leibhaftige Hebe ? « Der Baron konnte als Kenner in dieser Beziehung gelten , und doch mußte er es sich selbst gestehen , eine so durchaus anmuthige Erscheinung war ihm noch niemals zu Gesicht gekommen . Die zarteste Weiblichkeit und gefühlstiefste und dennoch völlig ahnungslose Unschuld lag über den lieblichen Zügen dieses reizenden , halb kindlichen , halb jungfräulichen Gesichts ausgebreitet . Sie blickte , als der Baron mit Cornelia nahe gekommen war , unbefangen auf , schlug aber wie innerlich zusammenschaudernd vor dem bleichen , leidenschaftlichen Ausdruck des Ersteren schnell die Augen zu Boden , während eine tiefe Röthe ihr halbabgewandtes Gesicht und ihren Hals bedeckte . » Sie liebt ihn , glauben Sie ? « fragte der Baron . » Wie es allgemein heißt und scheint , ja . « – erwiederte Cornelia . » Desto besser . – Wie heißt sie ? – Ich will nur den Vornamen wissen . « » Lydia . – Warum wollen Sie nicht ihre Familie kennen lernen ? « Weil es überflüssig ist . « » Ueberflüssig ? Ich sollte meinen , daß sie eine so anziehende Persönlichkeit hat , die schon der Annäherung werth ist ? « » Eben darum . « » Ich verstehe Sie nicht ? « » Ich brauche ihren Familiennamen nicht zu wissen , weil sie ihn nach einem Vierteljahre doch verlieren wird . « » Sie sprechen in Räthseln . « » Nun , zum Teufel ! Sie wird dann meine Frau sein . Ich werde sie heirathen ; rede ich jetzt deutlich genug ? « Cornelia sperrte diesmal vor wirklichem Erstaunen die Augen weiter auf , als gewöhnlich . Indessen blieb ihr keine Zeit , ihrem Herzen Luft zu machen , da in demselben Augenblicke die Stimme des jungen Mannes , dessen Gespräch mit Alicen sie belauscht hatte , neben ihr sich vernehmen ließ . » Mein Herr , ich wünschte zu wissen , ob Sie die Absicht gehabt haben , die Dame , welche in meiner Begleitung war , oder mich selbst persönlich zu beleidigen . « » Haben Sie darin eine Beleidigung gefunden , so kann ich das weder Ihnen , noch jener Dame wehren . Uebrigens pflege ich meine Absichten für mich zu behalten . « Sehr wohl , mein Herr . « – » Auf Wiedersehen , mein Herr , « sagte der Baron , sich artig verbeugend , und verließ mit Cornelia den Park . Zweites Kapitel Das Bad Pr – – – t , welches eine weniger zahlreiche , aber mehr ausgewählte Gesellschaft , als die meisten deutschen Bäder in seinem lieblichen Thale zu vereinigen pflegte , hatte eine überaus reizende Lage am obern Abhange des Gebirges , an dessen Fuß es sich gleich einer Perlenschnur hinschlang . Dieser Vergleich war um so passender , als die meisten der kleinen , durch Gärten getrennten Häuser weiß angestrichen waren , was dem aus der Ferne kommenden Reisenden einen gar erquicklich heitern Anblick gewährte . Es besaß nur eine Straße , die , der Böschung des Gebirges folgend , in mancherlei Windungen zwischen Gärten und Häusern hinlief , und etwas aufsteigend zu dem höher gelegenen eigentlichen Bade hinführte , welches aus zwei Brunnenhäusern und den dazu gehörenden Nebengebäuden bestand und durch den großen Park , welchen wir schon im vorigen Kapitel kennen gelernt , von dem noch höher hinauf bis zum Kamm des Gebirges sich erstreckenden Gebirgswalde getrennt wurde . Landsfeld hatte sich bald nach der oben erzählten Scene von Cornelien getrennt . Er ließ sie im Kursaal und begab sich in den Park zurück , um einen Ausgang nach der Seite der Gebirges zu suchen . Denn er liebte es , auf den unwegsamsten höchsten Abhängen der Berge umherzuklettern , nur von sich und seiner Gefahr begleitet , in dem Bewußtsein , ein Paar hundert oder tausend Fuß erhaben zu sein über dem Menschentroß da unten . Fand er aber gar durch Zufall eine Stelle , von der er auf das Ameisentreiben der Ebene , etwa einen hervorspringenden Felsblock , von dessen Spitze er in's Thal schauen konnte , oder eine tiefe Schlucht , die seinem Blick einen schmalen Durchgang gewährte , so konnte er Stunden lang dort sitzen und beobachten und sich freuen , wie sie doch wirklich so klein seien , diese Menschen , und nicht verdienten , daß man sich mit dem Einzelnen anders beschäftigte , als um ihn zu einem Mittel zu verwenden oder ein Experiment mit ihm anzustellen . Er vergaß dabei freilich , daß , wenn diese kleinen Menschen , die er mit einiger poetischer Steigerung mit Ameisen – zuweilen auch wohl , wenn er gerade übler Laune war , mit Mistkäfern verglich , ihn dort oben zufällig erblickten , er ohne Zweifel von ihnen für eine Krähe oder sonst ein kleines Gethier gehalten werden würde , worin sie sich immer noch gerechter und toleranter bewiesen als er . Langsam und gemächlich schlendernd nach Art anderer Spaziergänger – denn er wußte wohl , daß er in einem Bade durch Nichts so sehr die Aufmerksamkeit erregt hätte , als durch einen hastigen Gang – schlug Landsfeld die Richtung nach dem Rondel ein , was er , durch seinen vorzüglichen Ortssinn unterstützt , bald erreichte . Er schritt durch den kleinen Durchgang und blieb an der Bank stehen , auf dem das von ihm belauschte Paar gesessen hatte . Darauf setzte er sich selbst und versank in ein tiefes Nachsinnen . Der Kopf sank ihm auf die Brust , über der er die Arme verschlungen hielt ; sein Blick ruhte starr und theilnahmlos auf dem Bassin , aus dessen stets bewegter Oberfläche dann und wann ein Goldfisch seinen kleinen rothen Kopf neugierig oder um Luft zu schöpfen herausstreckte . Außer dem einförmigen Plätschern des Springbrunnens , dessen herabfallender Wasserstrahl durch eine schön gearbeitete marmorne Muschel aufgefangen wurde , von der das Wasser in eine zweite größere einfloß , um endlich von dem Bassin aufgenommen zu werden , hörte man keinen Laut . Die Sonne durchglänzte nur noch die höchsten Gipfel der Bäume , denn obwohl es noch nicht spät war , nahte der Abend diesem Thale doch früher als selbst den tiefer gelegenen Gegenden , weil das in Westen sich hineinziehende Gebirge die Strahlen der neigenden Sonne abschnitt . Eine Viertelstunde schon mochte Landsfeld in der bezeichneten Stellung gesessen haben , ohne daß irgend eine Bewegung verrieth , daß Leben in ihm sei , hätte nicht ein fast unmerkliches krampfhaftes Zucken der rechten Hand , die der linke Arm umfaßte , einen Beweis vom Gegentheil gegeben . » Auch dieß Weib « – murmelte er zwischen den Zähnen , indem er aufsprang . Er warf einen forschenden Blick umher , als fürchtete er beobachtet zu werden . Sein Gesicht war noch bleicher als sonst , aber in seinen Augen brannte eine dunkle verzehrende Glut . Wie um die ihn störenden Gedanken zu verscheuchen , strich er sich das über die Stirn herabgefallene Haar aus dem Gesicht und richtete sich frei und hoch auf . Als er sich noch einmal nach dem eben verlassenen Sitz umwandte , als wollte er noch einen letzten Abschiedsblick auf ihn werfen , fiel ihm ein weißes Blatt in die Augen , welches wahrscheinlich zwischen den Fugen der Bank durchgefallen und beim Fortgehen von einer der hier früher anwesenden Personen vergessen worden war . Rasch nahm er es auf . Es war ein Billet , wie es schien von einer Damenhand geschrieben . Die Adresse fehlte . Landsfeld sah nach der Unterschrift . » Lydia « – sagte der Baron . » Das ist ein Wink des Schicksals . Nun bei Gott , der soll mir nicht umsonst gegeben sein . « Er schickte sich zu lesen an , als er plötzlich inne hielt , und , das Billet zu sich steckend , an einer Stelle , die dem kleinen Durchgange gegenüber lag , zwischen den Bäumen durchbrechend verschwand . Einen Augenblick später erschien an dem Durchgange der junge Mann , welchen wir unter dem Namen Arthur Berger kennen gelernt haben . Er schien etwas zu suchen , denn er bückte sich unter die Bank , die so eben der Baron verlassen hatte , ging dann noch mit zur Erde gerichteten Blicken um den Teich herum und verließ endlich auf demselben Wege das Rondel . Landsfeld trat aus seinem Versteck hervor . Ein triumphirendes Lächeln lag auf seinen Zügen . » Ich werde Dich lehren , Freund , in meinem Gehege zu jagen « sagte er , ihm nachsehend . » Unbegreiflich bleibt es mir doch , daß Alice mich um diesen blonden Schäfer aufgeben konnte . Aber sie sollen es Beide büßen « – setzte er mit einem Ausdruck innerlicher Wuth hinzu , der seinen Zügen einen wahrhaft unschönen Charakter verlieh . Mit schnellen Schritten verließ er jetzt den Platz und schlug durch den immer dichter werdenden Park , ohne die gebahnten Fußwege , die in großen Krümmungen einander durchkreuzten , zu berücksichtigen , die Richtung nach dem Gebirge ein . Bald hatte er die Grenze des Parks , die durch eine dichte Hecke und einen hinter demselben strömenden Arm des Bergstroms gebildet wurde , erreicht . Mit kräftiger Hand bog er die Dornsträucher auseinander , um sich einen Durchgang zu verschaffen , und stand am Ufer des Flüßchens , das hier ziemlich reißend und durch mehrtägigen Regen höher als gewöhnlich angeschwollen war . Er war deshalb gezwungen , einige hundert Schritte stromaufwärts zu gehen , wo ein mächtiger Baumstamm , der theils vom Alter , theils vom Sturm gefällt zu sein schein , sich wie eine natürliche Brücke über das unter ihm dahin rauschende Wasser gelegt hatte . Indeß war der Uebergang nicht leicht . Denn durch die Feuchtigkeit von der Borke entblößt , bot die nach Oben gekehrte Seite des Stammes nur eine halbrunde , schlüpfrig glatte Fläche dar , welche zu betreten mit nicht geringer Gefahr verbunden war , da bei dem geringsten Fehltritt ein Sturz in das , wenn auch nicht tiefe , doch mit einer Menge scharfer Felstrümmer besäete Flußbett unvermeidlich war . Landsfeld wurde jedoch von keinem Gefühl weniger beherrscht als von der Furcht . Im Gegentheil suchte er gerade solche Schwierigkeiten mit einer Art von Liebhaberei auf , theils weil er in ihrer Ueberwindung die Aufregung fand , die er zum Gefühl seiner Lebenskraft brauchte , theils auch darum , weil sein Selbstgefühl durch den Gedanken erhoben wurde , daß tausend Andere an seiner Stelle davor zurück schrecken würden . Denn das Gefühl der Superiorität war dasjenige , welches bei ihm der größten und kräftigsten Nahrung bedurfte . Hätte er bei solchen Gelegenheiten Zuschauer gehabt , so würde er ohne Zweifel von dem Versuch abgestanden sein , denn Nichts erschien ihm erbärmlicher als ein leichtsinniges Renommiren . Auch achtete er die Menschen , die mit ihm nicht wetteifern konnten , viel zu wenig , um ihren Beifall nicht widerwärtig , ja selbst demüthigend zu finden . Anders wäre es vielleicht gewesen , hätte er sich von Jemandem belauscht und bewundert gewußt , der im Glauben stand , von ihm nicht bemerkt zu werden . In solchem Falle nahm er den Triumph wohl mit , da keine Demüthigung damit verbunden war . Auch hätte er dann nach der That nie zugestanden , von dem Lauscher gewußt zu haben , vielmehr versichert , daß er sie gewiß unterlassen hätte , wenn er sich nicht allein geglaubt . Mit sicherem Fuß und festen Blick betrat er den schlüpfrigen Pfad und ging ruhig , ohne Zögern und ohne Schrecken hinüber . Ohne einen Blick zurück zu werfen , stieg er nun bergan . Nach halbstündigem Steigen gelangte er auf einen schmalen , wohl nur von Hirten betretenen Fußsteig , der ihn in kurzer Zeit auf des Berges höchsten Punkt führte . Eine herrliche Aussicht bot sich hier seinen Blicken dar . Vor ihm lag in goldig blauen Duft gehüllt der Kamm des Gebirges , der von Norden nach Süden sich hinziehend in den Strahlen der eben von den höchsten Gipfeln verschwindenden Abendsonne erglühte . Mit gekreuzten Armen betrachtete Landsfeld das feierliche schöne Schauspiel des sinkenden Gestirns , das noch einen letzten Abschiedsblick und Kuß auf die allmählich zur Ruhe versinkende Erde zu werfen schien . Die Tage seiner Jugend dämmerten in seiner Erinnerung auf mit allen ihren reinen Freuden , mit allen schuldlosen Genüssen und harmlosen Spielen . Damals auch war er auf dem Gebirge seines Vaterlandes umhergeklettert , damals auch fühlte er dies innerliche Sehnen , auf den höchsten Spizzen zu stehen und herabzublicken auf die Thäler , wenn sich die Schatten auf sie lagerten , während die Gipfel und er selbst auf ihnen noch von der dunkelsten Glut der Sonne erleuchtet wurde . Damals auch kannte er keinen größeren Schmerz als den , daß er die höchsten , schneebedeckten Gipfel nicht erreichen konnte , die weit , weit hinter ihm noch lagen und ihm in ihren weißen Häuptern bald zu winken , bald zu höhnen schienen . Damals und heut ! – Welche Bilder hatten sich seitdem durch seine Seele gedrängt , welche Reihe von Gedanken seinen Geist bestürmt ! – Jene Bilder waren verblichen und verstümmelt , jene Gedanken hatten sich selbst verzehrt , oder waren von andern verzehrt worden , von scharfen , bittern , schmerzlichen Gedanken , die seine Brust ausgehöhlt und sein Herz verdorrt hatten . Aber die Erinnerung weckte die Leichen in seiner Brust und in seinem Herzen . Wie Schatten zogen sie vor seinem innern Gesicht her , die heitern Bilder , die ihn traurig und die düstern , die ihn bitter stimmten . Ein unendliches Gefühl des Alleinseins ergriff ihn ; eine Seele wollte er haben , in die er sich ergießen , aus der er Hoffnung und Trost schöpfen könnte . Hoffnung , worauf ? Trost , wofür ? Noch war in Landsfeld die Sehnsucht nach dem lebendigen Ideal nicht untergegangen . Ja , in dieser Erinnerung an seine Jugend selbst konnte er die Gewähr dafür schöpfen . Aber er sagte zu sich : » Wohl ist die Erinnerung das ewig mit sich selbst ringende , ewig an sich selbst zweifelnde Bewußtsein des Ideals , aber gepaart mit der Ueberzeugung , daß seine Erreichung unmöglich sei . Denn warum wäre sie sonst schmerzlich , auch bei sogenannten guten Menschen ? Sie ist nicht die Vorstellung eines wirklich gehabten Genusses , sondern das zwecklose Idealisiren desselben , das unwahre , selbsttrügerische Reinigen desselben von allem Materiellen , Unbequemen , Hinderlichen , Unangenehmen , – kurz Schlackenartigen , von dem jeder Genuß seinen Theil und jeder Schmerz den seinigen hat , denn kein Genuß ist ohne Sinnlichkeit und kein Schmerz ohne Egoismus . Darum stimmt uns eine Erinnerung nicht traurig , weil wir fühlen , daß es nichts Wirkliches ist , was wir verloren , auch nicht froh , weil wir fühlen , daß die Vergangenheit eine ewige ist , sondern wehmüthig : – Und was liegt mehr darin , als eine jämmerliche Inkonsequenz , die ohnedies sich durch ihre Sentimentalität lächerlich macht ? – Mit der Hoffnung bin ich fertig « – fuhr er nach einer Pause , in der er unverwandt nach dem immer tiefer sich färbenden Gebirgskamm gesehen , als erwartete er noch ein Zeichen von dorther , das seine Hoffnung noch einmal belebte , fort – » und der Trost , der mir werden soll ? « Er lächelte bitter – » den werde ich mir selber erringen . In der Trostlosigkeit der Andern werde ich meine Ruhe finden . – O Alice , du hast mich fürchterlich bestohlen . « Er wandte sich um . Eine Thräne , vielleicht von dem Strahl der jetzt völlig verschwundenen Abendsonne in sein Auge gelockt , zitterte in seiner Wimper . Mit Unmuth wischte er sie ab und sah hinab in das Thal . Das Bad lag vor ihm . Er schritt weiter auf dem Rücken des Berges , zur Rechten den Gebirgskamm , der nur noch wie eine graue Nebelmasse am Horizonte lag , zur Linken unter sich den Park und dahinter die weiße Häuserreihe des Bades , die sich bis zu dem Punkte hinzog , wo der Berg sich in's Thal hinabsenkte . Er stieg herab . Am letzten Hause , dessen Dach sich fast unter den hohen mächtigen Kastanienbäumen , die es umgaben , versteckte , blieb er einen Augenblick stehen . » Wir wollen sehen , Lydia , ob Du mir den Glauben an Weiblichkeit wirst wiedergeben können . Du wirst eine harte Probe zu bestehen haben , armes Kind . Aber ich kann sie Dir nicht ersparen Möge Dein guter Engel geben , daß Du fest bleibst , so will ich Dich verehren und zu Dir beten . « Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und nahte sich dem hellerleuchteten Fenster , das von außen mit einem Blumenbrett versehen war , worauf verschiedene Gewächse in zierlich weißen und rothen Töpfen standen . An dem hellen Scheine des Lichts schrieb er mit Bleifeder ein paar Worte auf das weiße Blatt , wickelte darin das Billet , welches er heute im Rondel gefunden hatte , hinein , und schob Beides zwischen zwei Blumentöpfe , überzeugt , daß die liebliche Bewohnerin des Hauses , wenn sie am andern Morgen ihre Lieblinge versorgen würde , es finden müßte . Noch einen Blick warf er in das Fenster und entfernte sich dann schnell , um sich nach seiner Wohnung zu begeben , die einige hundert Schritt tiefer in's Dorf hineinlag . » Es hat Jemand nach Ihnen gefragt , Herr Baron « – sagte sein Bedienter , indem er seinem Herrn den rothsammetnen Schlafrock reichte . » Ein Herr oder eine Dame ? « » Ein Herr . Er würde wieder kommen , meinte er . Hier ist die Karte . « » Arthur Berger « sagte der Baron für sich . » Gut . Das Spiel hat begonnen . Jetzt heißt es geschickt die Karten mischen . « Von dem weiten Spaziergange ermüdet und den mancherlei Aufregungen ermattet , warf Landsfeld sich in die Ecke des Sophas , um durch einige Augenblicke der Ruhe die Klarheit und Ruhe des Geistes wieder zu erlangen , welche er zum Empfange des erwarteten Besuchs nöthig zu haben glaubte . » Karl « – sagte er zu seinem Bedienten , der eben beschäftigt war , einen brennenden Fidibus an die Cigarre zu halten , deren aromatischen Duft sein Herr mit sybaritischem Behagen einzog , indem er die Füße auf dem untergeschobenen Tabouret ausstreckte . » Was befehlen der Herr Baron ? « » Du hast heute Abend und morgen früh Deine fünf Sinne zusammen zu nehmen . « Sehr wohl , Herr Baron . « » Weder auf ein gutes Trinkgeld noch auf eine hübsche , schnippische Kammerzofe Jagd zu machen . « » O , Herr Baron . « – » A propos , Karl . Ich glaube bemerkt zu haben , daß Du Dir schon ein Liebchen angeschafft hast . Wie stehts damit ? « » Seit gestern schon ? Der Herr Baron scherzen ? « Landsfeld fixirte ihn . » Also nicht ? hm , das thut mir leid « – sagte er vor sich hinmurmelnd . » Das heißt , gnädiger Herr – ich könnte wohl sagen – ich wünschte vielleicht – hm , hm !! « – » Hast Du den Schnupfen ? « » Nein . Ich wollte nur sagen , daß ich hier in der Nähe , da am Ende des Dorfes unten ein allerliebstes Kind – « » Allerliebstes Kind ? « – fragte Landsfeld , sich halb aufrichtend . – » Bist Du des Teufels , Karl ? Du unterstehst Dich ? – « » Der Herr Baron befahlen doch « – erwiederte kleinlaut der erschreckte Diener , einen Schritt zurücktretend . » Du hast Recht , « sagte Landsfeld sich besinnend und in seine frühere bequeme Stellung zurücksinkend . » Fahr nur fort , – fahr fort in's Teufels Namen ! befahl er , als Jener zögerte . » Du brauchst keine Furcht zu haben . Also das allerliebste Kind – « » Ja sehen Sie , – gnädiger Herr , als ich da so herunterschlenderte , um – um – « » Um die Gegend etwas anzusehen , « half gutmüthig der Baron nach . » Richtig , um mir die Gegend etwas anzusehen , da war ich schon bis an's Ende des Dorfs gekommen – und wollte eben wieder umkehren – « Der Baron lachte . » Denn außer dem Dorfe gab es natürlich für Dich keine Gegend mehr , nicht ? « » Nun gut . Also da kam aus dem letzten Häuschen , wissen Sie , links , wo die großen Kastanienbäume vor der Thüre stehen – « » Schon gut . « » kam eine junge Dame heraus , mit einer Gießkanne in der Hand . Aber sie mußte wohl kein Wasser drin haben , denn sie drehte sich wieder um und rief in's Haus hinein : Linchen , Linchen ! – Schön , dachte ich bei mir , jetzt wirst du was zu sehen kriegen . Und richtig . Ein allerliebstes Kind . « » Wie sah denn die Dame aus ? « » Ja , danach habe ich nicht gesehen . Aber Linchen – « » War noch eine andere Dame dabei ? « Ja , eine alte , wahrscheinlich die Mutter der jungen . « » Wahrscheinlich ? woraus schließt Du das ? « » Nun , sie nannte sie liebes Kind und Lydia . Es mag wohl ihr Vorname gewesen sein – ein kurioser Vorname – aber das – « » Ich glaube , es hat geschellt ; sieh ' einmal nach , Carl . – Ist es der Herr von vorhin , so wird er mir angenehm sein . – Noch Eins . Besorge zwei Flaschen Rothwein und drei Gläser . « » Sie wollen sagen : zwei Gläser . « » Thue , was ich Dir befohlen ; und schnell . « Ein Paar Sekunden später trat Berger ein . Landsfeld sprang vom Sopha auf und ging ihm einige Schritte entgegen . » Ich habe bedauert , « sagte er mit freundlicher Urbanität im Ton und Wesen , » daß Sie mich schon einmal vergeblich aufgesucht . Darf ich fragen , was mir die Ehre Ihres Besuchs verschafft ? « Hätte die geringste Andeutung von Spott oder Ironie im Tone des Barons gelegen , so würde dieß absichtliche Ignoriren des heutigen Vorfalls ein Grund mehr für Berger gewesen sein , auf den frühern Geliebten Alicens erbittert zu sein . Als er diesen daher mit ruhiger , unbefangener Höflichkeit sich entgegen treten sah , wußte er Anfangs nicht sogleich die rechten Worte zu finden und gerieth fast in Verlegenheit . – Der Baron konnte sich eines Lächelns nicht erwehren , welches durch die Leichtigkeit dieses neuen Triumphs seiner Geistessuperiorität unwillkührlich hervorgelockt wurde . Berger bemerkte es und erlangte dadurch seine verlorene Fassung wieder . Mit ernstem Ton wandte er sich an den Baron : » Mein Herr , Sie haben heute Morgen mich und noch mehr die Dame , deren Begleiter zu sein ich die Ehre hatte , beleidigt – « Landsfeld verbeugte sich schweigend . » Ich habe kein Recht , nach dem Grunde dieses Betragens zu fragen , obwohl ich gestehen muß , daß es mir um so auffallender war , als ich mich nicht erinnere , jemals das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft gehabt zu haben . « » Da bin ich glücklicher gewesen . Denn ich bin der festen Ueberzeugung , daß ich , obwohl unbewußt , schon lange der Ehre theilhaftig war , von Ihnen gekannt zu sein . « Berger erröthete . » Ich irre wohl nicht , wenn ich bei Ihnen die Absicht , zu beleidigen , voraussetze ? « Landsfeld verbeugte sich abermals , als ob ihm eben die größte Schmeichelei gesagt worden . Sie sind bereit , mir Genugthuung zu geben ? « Abermalige Verbeugung . » Bestimmen Sie gefälligst die Waffen . « » Erlauben Sie mir eine scheinbar indiskrete , aber , wie ich Sie auf mein Ehrenwort versichere , in der wohlmeinendsten Absicht gestellte Frage . – Sind Sie auf Säbel eingeschlagen ? « » Nein , – weshalb ? « » So wollen wir Pistolen wählen . « » Herr Baron , ich hoffe , daß Sie mit neuen Beleidigungen bis nach Tilgung der ersten warten werden Was soll diese Schonung und Großmuth bedeuten ? « » Mein lieber Herr « – sprach der Baron mit herzlichem Ton – » Sie irren sich in mir . Ich will Ihnen die Gründe sagen , weshalb ich Pistolen vorziehe . Der Säbel ist meine Lieblingswaffe . Wählte ich ihn , so würden Sie den Mangel an Kunst in der Führung durch die Methode zu ersetzen suchen , die man Naturalisiren zu nennen pflegt . Sie würden blind darauf los schlagen . Unter solchen Umständen ist Hundert gegen Eins zu wetten , daß Einer von uns lebensgefährlich verwundet wird . « » Glauben Sie denn , daß wir ein Possenspiel aufführen wollen ? « » Das nicht . Aber ich bekenne Ihnen aufrichtig , daß ich weder Lust habe , einen Stich in den Leib zu bekommen , noch Ihnen einen ähnlichen Liebesdienst zu erweisen . « Das Gespräch wurde durch das Eintreten des Dieners unterbrochen , der seinem Herrn einige Worte leise ins Ohr flüsterte . » Gut. « – sagte der Baron – » Ich lasse bitten , im Vorzimmer einige Augenblicke zu verziehen . – Sieh' zu , Carl , « fügte er leiser hinzu – » daß dieser Herr nichts bemerkt . Wenn er fort ist , werde ich rufen . « » Ich muß gestehen « – sagte Berger zum Baron – » daß Sie eine eigenthümliche Anschauung dieser Angelegenheit haben . Weshalb schlagen wir uns denn ? « » Das frage ich Sie . Ich sehe keinen Grund dazu . Aber da Sie behaupten , von mir beleidigt zu sein , so bin ich bereit , Ihnen das Vergnügen zu machen , vorausgesetzt , daß wir es Beide nicht mit zu großen Opfern bezahlen . « » Sie sind ein merkwürdiger Mensch « – bemerkte Berger , der nicht wußte , was er dazu sagen sollte , da er sich vergeblich Mühe gegeben hatte , der Sache ein feierliches Ansehen zu geben , und sein ganzes Vorhaben jetzt fast lächerlich fand . Am liebsten wäre er ganz davon abgestanden , wenn er die Sache nicht noch zu verschlimmern gefürchtet hätte . Außerdem gab es noch einen Gedanken in seiner Seele , der ihn davon zurückhielt . Alice . Nicht als wenn er durch dieses Duell , selbst wenn es glücklich für ihn enden sollte , einem Wunsche von ihr zu genügen geglaubt hätte . Im Gegentheil hatte Alice alle Mittel ihrer Ueberredungskunst aufgeboten , um ihn davon abzubringen , und hatte zuletzt nur geschwiegen , als er sie fragte , ob sie den Gedanken ertragen könnte , ihren Geliebten öffentlich und vor ihren Augen entehrt und beschimpft zu sehen . Hauptsächlich und der vielleicht ihm selbst nicht ganz klar im Hintergrunde seines Bewußtseins schlummernde Grund aber war der Ehrgeiz , vor den Augen seiner Geliebten auch mit andern Waffen , als denen der Liebe , seine Mannhaftigkeit zu beweisen . – Einen Augenblick schwebte ihm zwar das Bild der harmlosen Lydia vor , aber so fest und tief war er bereits in den Liebesbanden Alicens verstrickt , daß die Erinnerung an die Wonne , welche er in ihren Armen gefunden , jenes vorwurfsvolle Bild schnell in ihm verwischte . » Gut « – sagte er nach einer Pause , während deren er von Landsfeld , der dem Gange seiner Gedanken gleichsam mit den Augen zu folgen schien , scharf beobachtet wurde – » ich nehme Ihren Vorschlag an . Auch steht mir ja ohnehin keine Wahl zu . Bestimmen Sie das Weitere . « » Dreißig Schritt Distance und zehn Schritt Barrière , wenn's Ihnen so recht ist . Wir wechseln Jeder zwei Schüsse , ob zugleich , ob nach einander , will ich Ihnen überlassen . Im letzteren Falle bleibt derjenige , welcher den Schuß gethan , stehen , während der Gegner das Recht hat , bis an die Barrière vorzuschreiten . « » Und die Sekundanten ? « » Ich glaubte , da Sie Ihren eigenen Cartelträger abgaben , würden Sie auch in Verlegenheit um einen Sekundanten sein ? « » In der That , ich wüßte nicht – « » Nun wohl . Was bedürfen wir der Zuschauer . Auch ich habe keinen Bekannten hier , der mir diesen Dienst leisten könnte . Aber was meinen Sie dazu , daß wir unsere beiden Damen , die ohnehin schon Zuschauer der Scene gewesen sind , welche unseren Kampf hervorgerufen hat , bäten , diese Funktion zu übernehmen . Daß sie sich darauf verstehen und ihre Sache gut machen werden , dafür bürge ich Ihnen . « – Der letzte Zusatz berührte Berger unangenehm , da er eine Anspielung auf die frühere genaue Bekanntschaft des Barons mit Alicen enthielt . Indeß gab er freudig seine Zustimmung , weil er dann unter den Augen Alicens kämpfen würde . » Nun bleibt noch die Zeit und der Ort zu bestimmen übrig . « » Morgen in der Frühe um 6 Uhr , wenn's Ihnen gelegen ist . Wozu langer Aufschub ? « Berger eilte seiner Wohnung zu , um noch einen Brief an Lydia zu schreiben – und dann in die Arme Alicens . Einen Augenblick blieb Landsfeld , nachdem ihn Berger verlassen , regungslos auf derselben Stelle sitzen . Dann stürzte er schnell ein Glas Wein hinunter und sprang auf . Nach einigen raschen Gängen durch das Zimmer trat er vor den Spiegel und studirte einige Sekunden die Züge seines Gesichts . Das Resultat seiner Forschungen schien nicht allzugünstig zu sein . » Verdammte Bewegung « – murmelte er vor sich hin , » die ich noch immer nicht bemeistern kann . Was ist doch die menschliche Willenskraft für ein erbärmliches Ding , wenn sie trotz aller Uebung nicht einmal diesen Linien und Falten gebieten kann , daß sie eine beliebige Form und Wendung nehmen , gleichviel ob es im Innern stürmt oder Windstille ist . Und was bewegt mich so , was weckt in meiner Brust die schlummernde Windsbraut , daß sie die Blutwogen durch die Adern peitscht , als sollte die rothe Brandung alle Ufer durchbrechen ? – Ein Weib – nur ein Weib ! Richard , wie klein bist du . Fühlst du es nicht , daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist ? Hüte dich vor dem Cothurn , Alicen gegenüber ; sonst bist du verloren . – Und doch , zwanzig Kugeln will ich lieber mit dem blonden Schäfer über dem Schnupftuch wechseln , als einen Kampf der Verstellung mit Alicen wagen . Genug der Reflexionen . Es ist die höchste Zeit zum Handeln . – Carl ! « – rief er mit lauter und ruhiger Stimme . – Die Thüre öffnete sich . Landsfeld war überrascht , als er statt seiner frühern Geliebten eine männliche Gestalt über die Schwelle schreiten sah . Ein zweiter schärferer Blick überzeugte ihn jedoch , daß er sich in seiner Erwartung nicht getäuscht habe . Es war Alice . Sie war in Männerkleidern , über die sie einen weiten , faltigen Mantel geworfen . Schweigend wies Landsfeld auf das Sopha . Sie ließ den Mantel fallen und stand vor ihm da in jener geschmackvoll phantastischen Tracht , die Landsfeld für sie in Venedig nach eigener Erfindung hatte fertigen lassen und in der sie so oft mit ihm Ausflüge auf die Lagunen gemacht . Eine dunkelblaue , kurze , mit goldenen Schnüren besetzte Sammetkasawaika , die , durch einen schmalen goldenen Gürtel gehalten , den schlanken Leib umschloß , reichte bis zu dem vollen biegsamen Hals hinauf , der von einem einfach , aber sehr fein gestickten Brüsseler Kragen umschlossen war , und sich glatt , aber ungezwungen über das blaue Kleid legte . Weite und faltenreiche weiße seidene Beinkleider fielen bis auf den zartgebauten Fuß herab , welcher in einem kleinen schwarzen Sammetstiefel steckte . Als sie die Wachsmaske abnahm , die ihr Gesicht bedeckte , wäre ein Maler vielleicht überrascht worden durch die Bemerkung , daß die Schönheit ihrer Züge keinesweges der Anmuth und antiken Grazie ihrer Formen entsprach , denn sie zeichneten sich weder durch Regelmäßigkeit , noch durch eine besonders auffallende geistige Harmonie aus . Zwar war Alles in diesem Gesicht klein und zart , aber zugleich von so eigenthümlichem Schnitt , daß dadurch , und durch die Mischung von Sanftheit und Energie in ihren strahlenden Augen , alle ihre Züge einen etwas unbestimmten , proteuischen Charakter annahmen . Wenn auch die erste jugendliche Frische dieses Gesicht bereits verlassen hatte , so war es doch von großer Weiße und Feinheit der Zeichnung und gewann durch die an beiden Seiten es beschattenden kurzen braunen Locken einen höchst interessanten Ausdruck . Sie legte die Maske auf den Tisch und folgte der Einladung des Barons , welcher ihr mit große Ruhe eine Cigarre bot und ein Glas Wein präsentirte . » Du hast mich erwartet , Richard ? « – fragte sie mit dem ihr eigenthümlichen mollartigen Tone , indem sie die Cigarre in Brand setzte . Woraus schließest Du das ? « – sagte der Baron schnell , weil sein Selbstgefühl sich durch den scharfen Blick Alicens , welche seine Ruhe richtig zu beurtheilen verstand , verletzt sah . Sie wies auf die drei Gläser . Landsfeld biß sich auf die Lippen . » Ich habe Cornelien erwartet « – sagte er . » Ich wünsche guten Appetit , mein Herr « – lachte Alice , indem sie den Baron mit seinen eigenen Worten persiflirte . » Das war kein kluger Streich von Dir , Richard « – fuhr sie mit melancholischer Stimme fort – » den armen Berger so zu kränken ; und inhuman ohnehin . « Landsfeld zuckte die Achseln . » Du kennst ja mein aufbrausendes Wesen , Alice . Du hättest mich nicht so früh aus Deiner Schule entlassen sollen , denn wo hätte ich die Humanität besser und praktischer lernen können , als bei Dir ? « » Du bist bitter , Richard . Hast Du so wenig Erhabenheit der Seele , um dem guten Arthur sein kurzes Liebesglück nicht zu gönnen , und was mehr ist – so wenig Stolz , um in ihm einen wirklichen Nebenbuhler zu sehen ? Du bist eifersüchtig , mein Freund , und das ist schmachvoll . « » Du bist hinterlistig , meine theure Freundin , und das ist mehr als schmachvoll , es ist – « Sprich nicht aus , Richard , ich bitte Dich . Ich weiß ohnehin Alles , was Du mir sagen kannst , und erwiedere auf dies Alles nur Eins : Entweder warst Du ein blinder Thor , als Du mich liebtest , denn ich habe Dir meine Ansichten über die Autonomie der Liebe nie verhehlt , ja ich bin überzeugt , daß Du mich dieser Freiheit wegen selbst geliebt hast – oder Du bist ein eitler Egoist , der nur dann für allgemeine Ideen sich enthusiasmiren kann , so lange er sich als den Mittelpunkt dieses Universums weiß . « » Vielleicht bin ich Beides , Alice « – sagte der Baron mühsam lächelnd , da er sich getroffen fühlte . » Was gedenkst Du zu thun ? Berger hat Dich gefordert ? « sagte Alice nach einer Pause . » Wir werden uns morgen in der Frühe schlagen . Er wird Dich bitten , ihm zu sekundiren . « » Das wird nicht gehen . Denn ich habe Cornelien gefordert ; wir duelliren uns um dieselbe Zeit . « Landsfeld schlug ein schallendes Gelächter auf . – » Das ist ja eine wundervolle Idee . Und Cornelia hat die Forderung angenommen , natürlich . « » Ich habe noch keine Antwort , aber ich zweifle nicht daran . « » O , sie muß . Ich will sogleich an sie schreiben . « » Du kannst sie ja morgen abholen , wenn's Zeit ist . « Es ist wahr . Womit schlagt ihr euch ? « » Auf Hieber . Es war dies eben auch ein Grund , weswegen ich so spät noch zu Dir komme . Kannst Du mir ein Paar besorgen ? « » Leider besitze ich solche nicht , aber ein Paar kurze Stoßrappiere stehen zu Deiner Disposition . « » Gut , – doch – was gedenkst Du zu thun mit Berger ? « » Es thut mir leid , Deine Unruhe nicht beschwichtigen zu können . Du wirst es morgen selbst sehen . « » In der That bin ich in Unruhe um ihn . Denn er ist ein Mensch von seltener Reinheit und Tiefe des Gemüths . Du solltest ihn näher kennen lernen , Richard . Ich wette , Du würdest ihn liebgewinnen . « » Möglich « – sagte der Baron kalt . » Kennst Du noch diesen Anzug ? « – fragte Alice , indem ein plötzliches Feuer in ihren Augen aufloderte . » Wie oft hat Dich der blonde Schäfer darin bewundert ? « gegenfragte Landsfeld , indem er seine Lippen zu einem sybaritischen Lächeln zwang , das jedoch nicht völlig frei von Bitterkeit war . » Nie « – erwiederte Alice melancholisch – » aber ich werde mich morgen darin schlagen . « Es lag eine solche Wahrheit in der tragischen Ruhe , mit der Alice diese Worte aussprach , daß selbst Landsfeld einen kurzen Schauer fühlte . – Alice legte sich in die Ecke zurück und schloß die Augen . Sie bot einen verführerischen Anblick dar . Er warf einen langen , glühenden Blick auf sie . Sein Herz pochte . Er hatte dies Weib übermenschlich geliebt , er war ein Gott in ihren Armen gewesen . Jetzt war nur noch die Wahl , ob er den Göttersitz , von dem sie ihn selbst um eines Andern Willen verstoßen – ihn verstoßen , wieder einnehmen oder ihn zertrümmern müsse . Es war ein Augenblick des gewaltigsten Kampfes , indem alle Mächte seiner Seele gleich Titanen gegen den Olymp seiner Energie anstürmten . – Seine Lippe zitterte , sein Auge glühte und eine fahle Blässe bedeckte sein Gesicht . Er stand auf . Alice öffnete die Augen , halb träumerisch , halb verlangend war ihr feuchter Blick auf Landsfeld gerichtet . – Aber der Kampf war in ihm bereits ausgekämpft . Seine Lippe zitterte nicht mehr und seine Züge hatten ihren gewöhnlichen Ausdruck und ihre natürliche Farbe wieder erlangt . Nur in seinen Augen loderte noch die Glut des innern Ringens nach . » Es ist spät , Alice « – sagte er mit großer Besonnenheit . » Ich habe noch zu thun . Und auch Du – . « Er vollendete nicht die Bitterkeit , welche auf seinen Lippen lag , als er Alicen erblassen und in einen Strom von Thränen ausbrechen sah . So ist es wirklich aus ? « – sagte sie nach einer Weile , indem sie sich erhob . » O Richard . Jetzt , wo mein Stolz sich zwischen uns gelagert hat , kann ich Dir sagen , daß es nur eines Wortes von Dir bedurft hätte , um jedes andern Glückes außer des von Dir mir gewährten zu entsagen . – Vielleicht aber ist's besser so . « – Sie warf den Mantel um und legte die Maske vor das Gesicht . » Auf Wiedersehen morgen früh , oder vielmehr heute früh , denn Mitternacht ist wohl längst vorüber . Lebe wohl , Richard . « Sie reichte ihm die Hand . » Laß uns ohne Groll scheiden . – Du hast mir sehr , sehr wehe gethan , aber ich schwöre es Dir bei Gott – nein , das ist eine Redensart – bei der Seele meines Kindes – das Du so oft auf Deinem Schooße gewiegt , ich werde Dich nie , nie hassen können . Denn Du bist der einzige Mann , den ich als Mann kennen gelernt . Lebe wohl . « Ehe noch Landsfeld ihren Abschiedsgruß erwiedern konnte , hatte sie bereits das Zimmer verlassen . Er öffnete das Fenster . Eben trat sie auf die Straße . Ihr faltenreicher schwarzer Mantel , unter dem zuweilen die weißen Beinkleider hervorblickten , flatterte noch lange im Scheine des hellen Mondlichtes und verschwand endlich den Blicken des Nachsehenden . Landsfeld trat vom Fenster zurück . Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn , als wolle er einen quälenden Gedanken davon verscheuchen . Dann richtete er sich hoch auf . Ein Siegeslächeln schwebte auf seinen Lippen , aber ein reineres als jenes höhnische Lächeln triumphirender Schadenfreude , das seinen Mund verzerrte , als er das Billet Lydia's gefunden . » Ich will eine Entscheidung « – sagte er im lauten Selbstgespräch – » der letzte mögliche Beweis muß geprüft werden . Soll ich mich ewig mit der quälenden Ungewißheit foltern , ob es sich lohnt , an die Menschen zu glauben oder nicht ? Soll ich immer wieder aus der Seelenruhe gleichgültiger Verachtung aufgestört werden durch die heuchlerische Hoffnung , es sei doch wohl ein Irrthum von mir , mit jeder Wahrheit in der Menschenbrust abschließen zu wollen ? – Ich will Gewißheit haben , ich will ganz versöhnt sein mit den Menschen – und ich bin es , sobald ich Einen finde , von dessen Wahrheit ich so fest überzeugt bin , daß auch die Möglichkeit eines Zweifels undenkbar wird – oder ich will für immer das Recht haben , überall Schein zu sehen ! – Darum , Alice , mußten wir uns trennen , Du giebst mir nur halben Glauben , bei Dir wird meine Sehnsucht nach der lautern und ungeschminkten Reinheit des weiblichen Herzens nur brennender und qualvoller . Aber Du kannst diesen Durst nicht löschen ; und ich will nicht länger dürsten ; wie der Wanderer in der Wüste suche ich nach der grünenden Oase – ich will nicht länger suchen . Noch einen Schritt will ich thun , noch einer Spur will ich folgen . Führt auch diese mich nur in die Irre , so will ich sagen : Es giebt keine Quelle der Wahrheit in dem Weibesherzen . « Er setzte sich , um ein Billet an Cornelien zuschreiben , worin er ihr sagte , daß sie sich um 5 Uhr früh bereit halten sollte . Er siegelte es und rief seinen Diener . » Carl , Du gehst sogleich nach dem Gasthof zum weißen Strauß , weckst den Portier , wenn er schon schläft , und giebst ihm dieses Billet mit der Weisung , es entweder gleich oder noch vor Sonnenaufgang an seine Adresse zu geben . « Dann schrieb Landsfeld noch einen andern Brief , an Lydia , worin er sie bat , sich um das etwaige Ausbleiben ihres Verlobten nicht zu ängstigen . Er gab als Grund das Duell an , da sie doch möglicher Weise durch einen Dritten davon hören könne , und dann ihre Unruhe noch größer sein würde ; versicherte ihr aber auch zugleich auf sein Ehrenwort , daß er fest entschlossen sei , seinem Gegner kein Haar zu krümmen . Sie könne folglich ohne Sorge sein . Der Ton des Briefes ging in keiner Weise über die Forderungen conventioneller Höflichkeit hinaus . Ohne eine Andeutung über die Gründe des Duells zu geben , stellte Landsfeld das Motiv seiner Mittheilung auf kein persönliches Interesse für die Empfängerin , sondern stellte als solches einfach seine Pflicht als Mensch und Ehrenmann hin , und vermied es , über seine Betheiligung und seine Gesinnung in Rücksicht auf diesen vorliegenden Fall auch nur entfernt zu berühren . Als er mit dem Schreiben und der Schließung des Briefes fertig war , hatte sich auch bereits sein Diener des Auftrags an Cornelia entledigt . Er hatte die Letztere noch sprechen können , und das Billet selbst übergeben . » Sie würde zu jeder Stunde bereit sein , da sie sich gar nicht zur Ruhe begeben würde « – war ihre Antwort . » Jetzt kannst Du ein Paar Stunden schlafen . Um vier Uhr mußt Du bereit sein , mich auf einem Spaziergange zu begleiten . Gute Nacht . « Drittes Kapitel Schon lange bevor die Sonne am östlichen Horizont , der die in weißlich grauen Dunst eingehüllte Ebene begrenzte , ihre ersten Blitzstrahlen gegen die dichte Nebelmasse ausgesandt und ihr Nahen nur erst durch einen breiten , langen , aber schwachen Purpurstreifen , der zuweilen durch den , wie zum Widerstande sich scheinbar immer mehr verdichtenden Nebelflor verwischt wurde , glänzten die im Westen gelegenen Spitzen des Gebirges in dunkelrother Glut , die sich immer tiefer und tiefer senkte . Endlich erschien auch auf der entgegengesetzten Seite ein blutrother feuriger Streifen . Immer höher und höher sich erhebend , gestaltete er sich zuletzt zum leuchtenden Feuerball , welcher auf der scharf hervortretenden Linie des Horizonts tanzend zu schweben schien . Es war ein wundervoller Anblick , wie ihn nur der verstehen und nachempfinden kann , der ihn einmal in seiner ganzen Größe und Schönheit genossen hat . Jede Beschreibung ist matt und farblos gegen eine solche Wirklichkeit . Die zuckenden , sprühenden Strahlen der Sonne , welche wie feurige Pfeile des zürnenden Gottes durcheinander schießen , bis sie die kämpfenden Nebelmassen zerstreuen , die sich nun fliehend um die Gipfel der Bäume schaaren , als wollten sie im Schatten der Wälder ein schützendes Bollwerk gegen die Macht des Lichts suchen – die glühenden Bergspitzen und vor Allem der frische balsamische Duft , welcher wie ein phantastischer Traum der halb noch träumenden Erde auf Berg und Thal , auf Wald und Flur schwebt – : Wer vermag jemals alle die stillen Wonneschauer und die schweigende Begeisterung zu vergessen , die ihn bei der Feier dieses erhabenen Naturkultus durchbebte ? Als die Strahlen des sich höher aufschwingenden Sonnenballs auf die Dächer des noch größtentheils im tiefen Schlaf ruhenden Dorfes fielen , und nur erst einzelne Badegäste , denen der Arzt einen frühen Spaziergang als Kur verschrieben hatte , gähnend und fröstelnd sich zu diesem unbequemen Geschäfte bereit machten , öffneten sich auch die grünen Läden des letzten weißen Häuschens , über dessen Dach die , uns aus der Beschreibung Carls schon bekannten mächtigen Kastanienbäume ihre schützenden Zweige ausstreckten . Das Fenster war jedoch mit zwei übereinanderstehenden Reihen von Blumentöpfen so bestellt , daß man Anfangs nichts von dem menschlichen Wesen bemerken konnte , das so früh den schönen Morgen begrüßen zu wollen schien , als eine niedliche , feine Hand und einen runden Arm von überraschender Zartheit und Weiße . Die Läden waren nun wohl geöffnet , allein sie mußten noch von beiden Seiten des Fensters befestigt werden . Dies schien auch die Besitzerin der kleinen Hand und des reizenden Arms für nothwendig zu erachten , denn sie öffnete auch den andern Fensterflügel und nahm die oberste Reihe der Blumentöpfe behutsam ab und schien einen nach dem andern auf einen neben dem Fenster stehenden Tisch zu setzen . Nach Beendigung dieses Geschäfts beugte sie etwas den Kopf vor , indem sie einen schnellen Blick über den Gartenzaun auf die nächste Umgebung und seitwärts auf die Straße warf , ob sie auch nicht von einem unbefugten Zuschauer belauscht werde . Durch die tiefe Stille ringsumher beruhigt , richtete sie nun ihre Blicke in die Ferne . War es die Glut des östlichen Himmels , an dem eben die Sonne in ihrer vollsten Pracht sich erhoben hatte , welche auf ihrem lieblich schönen Gesicht wiederstrahlte , oder war es die stille Wonne ihres Innern , die halb wehmüthige Freude über die unfaßbare und doch die ganze Menschenbrust erweiternde Schönheit der Natur : ihre Wangen rötheten sich tiefer , ihre Augen wurden glänzend und feucht und ihre Hände legten sich unwillkührlich , wie in lautloser , heiliger Andacht über dem schneller wogenden jungfräulichen Busen zusammen . Eine tiefe ruhige Sehnsucht lag auf ihren Zügen und in dem blauen Auge , das wie in schmerzlich inniger Empfindung nur halb aufgeschlagen in die Ferne blickte . Es war ein überaus lieblicher Anblick , ein Anblick , der dem zweifelsüchtigen Landsfeld gewiß den vollen Glauben an reine Weiblichkeit wiedergegeben hätte . Sie seufzte tief , ohne wohl zu wissen , warum . Denn was konnte dieses Kindesherz schon getroffen haben , daß es von Schmerz erfüllt war ? Ein unbestimmtes Sehnen nur war es , was ihre Brust bewegte und zugleich erweiterte . Denn es war ihr , als müßte sie alles das Schöne , Herrliche und Große , was sich da draußen vor ihren Blicken entfaltete , hineinziehen in die Brust , oder als müßte sie selbst sich hinausstürzen und sich auflösen in die allgemeine Seligkeit der Natur . Ein innerlich tiefer , aber lautloser Jubel durchzog zugleich ihr ganzes Wesen – sie weinte , ob vor Schmerz oder vor Wonne , sie wußte es selbst nicht . Eine Thräne fiel auf ihren vollen , weißen Busen herab , der in ungestümen Wallungen sich unter dem lose befestigten Nachtkleide hervorgedrängt hatte , als wolle er sich in dem thaufeuchten Balsam der kühlen Morgenluft baden . Unwillkührlich erröthend , obschon sie sich allein und unbelauscht wußte , zog sie , zum schnellen Bewußtsein der Wirklichkeit erwachend , das Kleid über der Brust zusammen und bog sich , nachdem sie noch eine Thräne aus dem Auge getrocknet , über die Blumentöpfe hinaus , um die Laden zu befestigen . In diesem Augenblicke kam Landsfeld , in Begleitung Corneliens und des nachfolgenden Dieners , der die Waffen unter dem Mantel trug , um die Ecke . Lydia sprang schnell vom Fenster zurück , doch hatte bereits der scharfe Blick des Barons sie erreicht , was er indeß durch keine Bewegung verrieth . Vielmehr ging er ruhig und wie in ein eifriges Gespräch mit seiner Begleiterin versenkt , ohne einen zweiten Blick nach dem Fenster zu werfen , vor demselben vorüber . Lydia holte tief Athem , ihre Farbe , die einen Augenblick das Gesicht völlig verlassen hatte , kehrte allmählig wieder zurück . Ueber ihren eigenen Schreck lächelnd , trat sie wieder an das Fenster , indem sie jedoch vorher noch einen Blick in den Spiegel warf , um sich von der Ordnung ihrer Toilette zu überzeugen . In der That hatte sie zu einer so ängstlichen Flucht keine Veranlassung , denn das sehr reizende Morgenhäubchen , welche das kindlichreine Oval ihres Gesichts umschloß , war eben so untadelhaft , wie das lange faltige , blendend weiße Morgenkleid , das bis hoch über die Schulter hinaufreichte . – Nachdem sie noch die Vorsicht angewendet , das letztere unter dem Halse mit Hülfe einer Nadel zu einem festeren Anschluß zu zwingen , wobei sie abermals erröthend die Augen niederschlagen mußte , weil ihr einfiel , wie gering der Zeitraum war , welcher zwischen dem Erscheinen des vorhererwähnten Paares und dem Fall der Thräne , die sie aus ihrer Träumerei erweckt hatte , lag – trat sie abermals an das Fenster , um endlich einmal ihr Geschäft zu vollenden . Diesmal wurde sie von Niemandem beunruhigt . Nachdem die Laden befestigt waren , begann sie die in die Stube gestellten Töpfe wieder an ihren früheren Platz zu stellen , als sie zwischen den beiden mittelsten Töpfen der unteren Reihe ein zusammengewickeltes Blatt Papier bemerkte . Sie zog es neugierig hervor , und öffnete es . Da erblickte sie auf der Einlage ihre eigene Schrift . Als sie das Blatt entfaltete , erkannte sie ein Billet , das sie vor einigen Tagen an ihren Verlobten geschrieben . Um so neugieriger ergriff sie nun das andere Blättchen , in dem jenes eingeschlagen war , und las unter wachsendem Erstaunen folgende mit Bleifeder geschriebenen Worte : Unsere Freuden sind wie Stäub chen , die von den Rädern des Le benswagens fliegen , um sich einen Augenblick in der Sonne zu spiegeln . Eine ihr selbst unerklärliche Angst ergriff Lydia bei diesen Worten ; es war ihr , als sei ein großes Unglück geschehen , und doch hatte sie keine Vorstellung davon , was es eigentlich sei , das sie so in Furcht setzte . Es lag in den Worten des Zettels – das fühlte sie wohl – etwas Düsteres , Unheil Andeutendes , das sie zur Resignation und Fassung aufforderte . Zuweilen schien ihr eine Art melancholischen Trostes darin zu liegen , für einen großen unbekannten Verlust , der ihr drohte , oder der sie gar schon betroffen hatte . – Eine unnennbare Unruhe ergriff sie . Sollte sie die mit Bleistift geschriebenen Worte mit dem Inhalt des Billets in Verbindung setzen , das sie an ihren Verlobten geschrieben ? Oder hatte den Letzteren ein Unfall getroffen ? Der Gedanke trieb alles Blut nach ihrem Herzen . Wieder und wieder las sie die räthselhaften Worte , ohne den tieferen Sinn , den sie darin vermuthete , zu begreifen . Sie eilte in das Nebenzimmer , um zu sehen , ob ihre Mutter , zu der sie ein unbedingtes , schrankenloses Vertrauen hatte , schon wach geworden . Diese wollte sie um Rath fragen . » Liebes Kind « – sagte die würdige und liebenswürdige Frau , nachdem sie mit Aufmerksamkeit beide Zettel durchlesen – » Du beunruhigst Dich , wie es mir scheint , mit Unrecht . Was sollte Berger widerfahren sein ? Vielleicht haben die Worte , die Dir solche Angst machen , schon auf dem Zettel gestanden , ehe ihn der unbekannte Finder des Billets zum Umschlag für das Letztere gebraucht . Auch muß es wohl ein Bekannter sein , denn wer anders , als ein solcher , kennt Deinen Vornamen und Deine Wohnung ? – Vielleicht ist es auch ein Scherz von irgend Jemand . Alles dies scheint mir der Wahrheit näher zu liegen , als Deine gänzlich unbegründete Ahnung von irgend einem Unglück . Beruhige Dich deshalb . – Heute Nachmittag wirst Du ja ohnehin Berger sehen , denn er versprach uns ja zu einem Spaziergang abzuholen . Theile ihm dann offen die Thatsache , aber auch nur diese , mit . Er wird Dir gewiß genügende Erklärung darüber geben können . « Die Ruhe , mit der die Mutter sprach , wirkte auf Lydia wohlthätig ein . Sie wurde ebenfalls ruhiger und begriff zuletzt nicht , wie sie sich einer so kindischen Furcht habe hingeben können . Bald war von der ganzen Unruhe weiter kein Gefühl in ihr zurückgeblieben , als das der Erwartung und Neugierde , wie sich bei Bergers Erscheinen die Sache aufklären würde . Sie eilte leichten Schrittes in den Garten hinter dem Hause hinab , um die Blumen zu tränken , ehe die Sonne zu hoch gestiegen . Mit einem halb wehmüthigen , halb freudigen Blicke sah ihre Mutter ihr nach . Sie war keineswegs so ruhig und unbesorgt , als sie es Lydien gegenüber geschienen hatte . Denn seit einigen Tagen war sie durch verschiedene Aeußerungen einiger Badegäste , die das Verhältniß Lydiens zu Berger nicht kannten , oder nicht zu kennen sich den Anschein gaben , aufmerksam auf das Betragen des Letzteren geworden . Es hatte ihr geschienen , als würde sein Name nicht selten in Verbindung mit dem einer vor einigen Tagen angekommenen Dame genannt , die durch ihre eigenthümliche Stellung in der Welt , da sie nur in Begleitung einer jungen Dienerin zu reisen schien , so wie durch die Freiheit und Selbstständigkeit ihres Benehmens allgemeines Aufsehen erregte . Sie hatte bisher ihre Vermuthungen und Befürchtungen vor Lydia verborgen , weil sie zuvor klar sehen wollte , ehe sie das harmlose Kind beunruhigen wollte . Es war zwar möglich , daß Berger auf seiner Reise nach Italien , die er seiner künstlerischen Ausbildung wegen unternommen , Frau von Rosen irgendwo kennen gelernt und nur die Bekanntschaft , die vielleicht ganz oberflächlicher Natur war , wieder aufgenommen hatte . Aber diese Vermuthungen lösten die Bedenken , welche der Mutter Lydiens aufgestiegen waren , nicht ; vielmehr gewannen die letzteren durch den Umstand , daß Berger bisher noch mit keiner Sylbe seiner neuen Bekanntschaft erwähnt hatte , in ihr ein so großes Gewicht , daß sie zuletzt sogar auf den Verdacht fiel , das Zusammentreffen Bergers mit Frau von Rosen im hiesigen Bade sei nicht ganz einem glücklichen oder unglücklichen Zufalle zuzuschreiben . Unter diesen Umständen mußte auch der Vorfall , welcher ihrer Tochter einen so großen Schreck verursacht hatte , für sie eine ganz andere und wichtigere Bedeutung gewinnen , als sie Lydia gegenüber ihm beizulegen geschienen hatte . Schon mehrmals hatte sie den Vorsatz gefaßt , mit Berger offen über sein Betragen zu sprechen . Doch da sie bisher in dem Benehmen gegen Lydia im Grunde nichts auszusetzen gehabt hatte , vielmehr über seine achtungsvolle Zurückhaltung nur erfreut sein konnte , so war sie immer wieder von demselben zurückgekommen , da sie wohl wußte , wie nachtheilig ein solches Gespräch auf die Unbefangenheit und Klarheit des Verhältnisses wirken mußte , im Fall ihre Verdachtsgründe sich als nichtig ergeben sollten . Dieser letzte Vorfall aber gab eine genügende und sich durch sich selbst rechtfertigende Veranlassung , um an Berger eine Frage zur Erklärung desselben zu richten . So faßte sie denn in demselben Augenblicke , als sie nach Lesung der mit Bleifeder geschriebenen Worte Lydia zu beruhigen versuchte , den Entschluß , noch heute über alle ihre Bedenken und Zweifel in's Klare zu kommen ; ein Entschluß , der , je länger sie darüber nachdachte , um so größere Festigkeit erlangte , als sie in jenen räthselhaften Worten , die an Lydia gerichtet zu sein schienen , nur eine Art Bestätigung ihrer Befürchtungen erblicken zu müssen glaubte . Indessen hatte Lydia ihre Beschäftigung im Garten beendet , und war im Begriff , ihren Vogel , dessen Bauer sie bereits zwischen den Blumentöpfen des nach dem Garten hinaussehenden Fensters aufgestellt hatte , mit Nahrung zu versehen , als ihre Mutter sie rief . » Ich glaube , es wird jetzt Zeit sein , daß wir uns ankleiden , liebes Kind . Die Stunde , da ich zur Quelle muß , naht heran , und im Fall Du nicht vorziehest , zurückzubleiben – « » Ach nein , laß mich mit Dir gehen , liebe Mutter . Du wirst so leicht müde , wenn Du keinen Begleiter hast , auf den Du Dich stützen kannst . Ich mag auch heute nicht allein zu Hause bleiben , mir ist so bange , ich weiß selber nicht warum . « » Furchtsames Kind , Du « – lächelte die Mutter , der im Grunde nicht minder bange zu Muthe war . Nach einer halben Stunde war die Toilette der Damen beendet . Arm in Arm traten sie aus dem Hause und begaben sich langsam nach der ziemlich entfernten Quelle . Da diese an dem entgegengesetzten Ende des Dorfs höher hinauf am Abhange des Berges gelegen war , so hätten sie das Dorf seiner ganzen Länge nach durchmessen müssen . Indeß führte hinter der rechts gelegenen Häuserreihe , am Ufer des Bachs , der nach seinem Austritt aus dem Park an dem Dorfe sich hinschlängelte , ein schmaler , nur höchstens für zwei Personen betretbarer Fußsteig , den die beiden Damen sonst wegen seiner Feuchtigkeit des Morgens zu vermeiden pflegten . Heute jedoch schien die Sonne so warm und erquicklich , daß sie unwillkührlich , statt die Straße hinabzugehen , um die Ecke des Hauses bogen , um den erwähnten Fußsteig zu gewinnen , auf dem sie in weit kürzerer Zeit die Quelle erreichen konnten . Still wanderten sie neben einander her , jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt . Durch instinktartige Furcht davon abgehalten , vermieden sie es , über das heutige Ereigniß zu sprechen , obwohl sie Beide ahnen mochten , daß dies gerade der gemeinschaftliche Gegenstand ihres Nachdenkens und die Ursache ihres Schweigens war . Als sie über die Hälfte des Wegs zurückgelegt , hörten sie plötzlich in weiter Ferne einen Schuß fallen , der vom Gebirge herabzutönen schien . Ein schnelles , aber rasch unterdrücktes Zittern des Arms ihrer Mutter , der sich auf den ihrigen stützte , bewies Lydia , daß ihre Mutter durch den Schuß erschreckt worden war . Sie erblaßte . Mein Gott , liebe Mutter – « » Still , mein Kind . Es war eine bloße Schwäche . « Ein zweiter Schuß fiel , aus derselben Richtung herüberschallend . Die innere Aufregung Lydiens nahm zu . Ihre Mutter hatte die Fassung völlig wieder erlangt , aber nicht ohne eine gewaltsame innere Anstrengung , die dem milden Ernst , welcher gewöhnlich auf ihren regelmäßigen und feinen Zügen lag , einen Charakter von Erhabenheit und Seelengröße verlieh . Nach einer längern Pause fiel ein dritter und unmittelbar darauf ein vierter Schuß . – Die Schritte der bei den Damen wurden schneller , als wollten sie dem unheimlichen Eindruck , den das Schießen auf sie hervorbrachte , entfliehen . Erhitzt und fast athemlos , ob mehr vor innerer Bewegung oder von der körperlichen Aufregung war schwer zu entscheiden , langten sie im Brunnenhäuschen an , um das sich bereits eine große Zahl von Trinkenden versammelt hatte . Das Geräusch und die gleichgültigen , zuweilen vom munteren Gelächter unterbrochenen Gespräche wirkten beruhigend auf ihre aufgeregten Gemüther . Lydia wurde von einigen jungen Mädchen , die ihr in der Residenz , wo sie mit ihrer Mutter die letzten beiden Winter nach dem Tode ihres Vaters , des Forstraths von Dornthal , zugebracht hatte , bekannt waren , umringt und vergaß bald unter Scherzen und Lachen ihre eben gehabte Angst . An die Forsträthin von Dornthal schloß sich ebenfalls ein Bekannter an , ein Freund ihres verstorbenen Mannes , der Hofrath Rupf , dessen geschäftiges , prunksilberartiges Wesen , gepaart mit einer grenzenlosen Bonhommie und unerschöpflichen Laune , ihn zum allgemeinen Liebling der Badegäste und besonders des weiblichen Theils derselben gemacht hatte , weil er sich nichts mehr angelegen sein ließ , als für das allgemeine Vergnügen und gemüthliche Zusammenleben der Badegesellschaft zu sorgen . Wenn man den langen , aber beweglichen Mann durch die bunten Reihen der jungen Mädchen hüpfen sah , um sich nach dem Befinden der Einen zu erkundigen , oder den Rath der Andern in Betreff der Arrangirung einer Partie einzuholen , so mußte die warme Sympathie auffallen , die ein so ernster und ruhiger Charakter , wie ihn Frau von Dornthal besaß , gegen den maitre de plaisir an den Tag legte . Auf der andern Seite war aber auch das Benehmen Rupf's gegen die Mutter Lydiens ein ganz verschiedenes von dem , was er gegen jede Andere annahm . So übertrieben höflich , fast an's Geckenhafte streifend , seine Courtoisie gegen die jungen Mädchen war , die ihre muthwilligsten Launen an ihm ausließen , so zurückhaltend innig und freundlich warm zeigte er sich gegen die Forsträthin . Diese wußte sein treues , biederes Herz , seine rührende Anhänglichkeit an ihren verstorbenen Gemahl , und Aufopferung seiner Interessen für sie selbst und ihre Angelegenheiten wohl zu schätzen . Sie verehrte ihn als ihren besten , wahrhaft ergebenen Freund und hatte ein unbeschränktes Vertrauen zu ihm . Mit Herzlichkeit erwiederte sie daher auch jetzt den Händedruck des Hofraths , der sich mit theilnehmender Besorgniß nach ihrem Befinden erkundigte . » Kommen Sie , lieber Freund « – sagte sie , ihren Arm in den seinigen legend . » Ich möchte Sie um Ihren Rath in einer Angelegenheit bitten , die mir große Sorge macht . « » Sprechen Sie , theuerste Räthin , sprechen Sie – mein Rath , meine Hülfe , das wissen Sie ja , kann Ihnen niemals entgehen , wenn ich sie zu geben im Stande bin . « Sie schlugen einen weniger betretenen Seitenweg ein . Die Forsträthin theilte ihm unverholen ihre ganze Besorgniß in Betreff Bergers mit , indem sie ihn zugleich bat , ihr Alles , was er aus glaubwürdiger Quelle , oder aus eigener Wahrnehmung über die Bekanntschaft zwischen Lydiens Verlobten mit Frau von Rosen wüßte , mitzutheilen . Eine halbe Stunde mochten sie im eifrigsten Gespräch begriffen gewesen sein , das nur durch einen öfter wiederholten Gang zum Brunnen unterbrochen wurde , als sie plötzlich durch ein lautes Geschrei aufmerksam gemacht wurden , das mitten aus dem Kreise der noch kurz zuvor heiter lachenden Mädchen hervorzuschallen schien . Voll trüber Ahnung und schon durch das Gespräch aufgeregt , eilte die Forsträthin nach der Stelle des Tumults . Die Mädchen waren um eine ihrer Gefährtinnen beschäftigt , die eben in Ohnmacht gefallen war . Es war Lydia . Ihr schöner Kopf ruhte bewegungslos in dem Schooße einer ihrer Freundinnen , die sich auf die Kniee niedergeworfen hatte . Ihr linker Arm war , wie vor innerm Schmerz , auf die Brust gepreßt und in der rechten Hand hielt sie krampfhaft ein zusammen geknittertes Stück Papier . Eine allgemeine Verwirrung herrschte in der Gesellschaft . Die Mutter Lydiens warf sich mit einem lauten Schrei auf ihre Tochter und wäre selbst bewußtlos hingesunken , wenn nicht die große Energie ihres Geistes sie aufrecht erhalten hätte . Der Hofrath eilte , ohne sich lange nach der Ursache dieses unglücklichen Zufalls zu erkundigen , sogleich fort , um einen Wagen zu holen , in dem Lydia nach Hause gebracht werden konnte . In den ersten Minuten war die Forsträthin nicht im Stande , weder eine Frage zu thun , noch ihrer Tochter eine wirksame Hülfe zu leisten . Glücklicherweise war der Badearzt in der Nähe . Seinen Bemühungen gelang es bald , Lydia zur Bewegung und zum Leben zurückzurufen . Aber sie verstand Nichts von dem , was um sie her vorging . Ihr Bewußtsein war mit einem dichten Schleier verdeckt , der wohl das Licht durchdringen , aber nicht die Form und das Wesen der Gegenstände erkennen läßt . Matt und willenlos ließ sie sich in den indeß herbeigekommenen Wagen heben , in den außer ihrer Mutter auch der Hofrath mit einstieg . Rasch fuhren sie in's Dorf hinab nach dem Häuschen unter den Kastanienbäumen . » Haben Sie Etwas über die Ursache von Lydiens Unwohlsein erfahren können ? « – fragte der Hofrath , der zu derartigen Erkundigungen keine Zeit gehabt . » Es wurde nur von einem kleinen Knaben gesprochen , der auf Lydia zugegangen sei , als kenne er sie schon lange , und ihr einen Brief überreicht habe . Sie habe ihn sogleich mit sichtlicher Bewegung erbrochen und , nachdem sie einen Blick hineingeworfen , sei sie sofort bewußtlos niedergesunken . « » Vielleicht ist dieß der unselige Brief « – äußerte der Hofrath , auf das zerknitterte Papier in der rechten Hand Lydiens deutend . Rasch griff die Forsträthin danach , nachdem der Hofrath mit Mühe die zusammengepreßte Hand geöffnet und den Zettel herausgenommen hatte . Gott sei Dank ! « – athmete die geängstigte Mutter tief auf . Ein Thränenstrom , der ihrer bisher zurückgehaltenen Angst Luft machte , stürzte aus ihren Augen . » Lesen Sie « – setzte sie hinzu , dem Hofrath das Papier hinreichend , indem sie sich ermattet in die Wagenecke zurücklehnte . Viertes Kapitel Als Alice von Rosen nach dem früher geschilderten Gespräch mit dem Baron in jener Nacht in ihre Wohnung zurückgekehrt war , warf sie hastig die Männerkleidung von sich und rief ihrem Mädchen . » War Jemand hier , Marie ? « – » Nein , gnädige Frau « – antwortete das junge Mädchen , indem sie ihrer Herrin das Nachtkleid überwarf . » Desto besser « – sagte Alice zu sich selbst . – » Bringe mir ein Glas recht kühles Wasser und eine Cigarre , dann kannst Du zu Bett gehen . « Als sie allein war , ging sie mit schnellen , aber ungleichen Schritten im Zimmer auf und nieder . Die düster brennende Lampe warf ein unsicheres Licht auf die Wand , an der der Schatten Alicens wie ein Nachtgespenst hin und niederfuhr . Sollte ich mich diesmal getäuscht haben « – sprach sie vor sich hin . – » Sollte dieser Mann mir wirklich widerstehen können ? Es darf nicht sein ! – O , verschmäht , verschmäht von ihm ! Jetzt fühl' ich , was es heißt , den Strom der Sehnsucht zur Umkehr nach der Quelle zu zwingen . – Er war kalt , kalt wie Eis . Er kann kein Herz haben , dieser Mann – Herz ? « – Sie lächelte bitter . » Hab' ich denn ein Herz ? – Aber Du täuschest Dich , Richard , wenn Du meinst , daß ich den Kampf schon aufgegeben . « – Sie richtete sich stolz auf bei diesen Worten . Ihre Augen blitzten und eine flammende Röthe bedeckte ihr Gesicht . – Nach einer Pause , in der sie einigemal durch das Zimmer geschritten war , blieb sie plötzlich stehen , als hätte ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregt . » Es ist Berger « – sagte sie langsam , indem eine Falte des Unmuths auf ihre Stirn sich lagerte . » Du wählst eine unpassende Zeit , lieber Freund . « Sie warf sich , wie in dumpfer Resignation , auf das Sopha und bedeckte die Stirn mit der Hand . Berger öffnete leise die Thür . Er sah blaß und niedergeschlagen aus . Erstaunt blieb er einen Augenblick auf der Schwelle stehen , als Alice ihm nicht entgegen kam . » Bist Du krank , theure Alice ? « – fragte er besorgt , indem er näher trat . » Dein Gesicht ist erhitzt , Dein Puls fliegt . Was fehlt Dir ? sprich . O , sprich doch ! « bat er ängstlich , indem er auf das zu ihren Füßen stehende Tabouret niederkniete und ihre Hand von der heißen Stirn halb mit Gewalt niederzog und sie mit Küssen bedeckte . » Es ist nichts , Arthur ; beruhige Dich . Ein wenig Kopfschmerz – die Aufregung vom Morgen . « Sie machte eine Anstrengung , um die verlorene Besonnenheit wieder zu erlangen . – » Weißt Du , was ich in Deiner Abwesenheit gethan ? « fragte sie plötzlich mit heiterem Ton . » Ich habe Cornelien gefordert . « Sie fing an zu lachen . » Du hast sie wirklich gefordert ? Und darüber lachst Du ? « » Warum soll ich nicht darüber lachen ? Ich freue mich schon im Voraus auf einen Gang mit ihr . Uebrigens führt sie eine gute Klinge und ist fürchterlich erbittert auf mich . Ach , wenn wir nur erst auf der Mensur ständen « – fügte Alice mit der gewöhnlichen melancholischen Weichheit im Ton hinzu , den ihre Stimme gerade dann am meisten annahm , wenn der Inhalt ihrer Worte ganz entgegengesetzter Natur war . » Du bist ein Heldenweib , Alice ! « – sagte Berger , mit einer Art von schwärmerischer Andacht zu ihr aufblickend . » So groß , so herrlich , wie nie ein Weib auf Erden war . Wie bin ich stolz auf Deine Liebe . Nicht wahr , Du liebst mich , Alice ? O , sage es mir , daß Du mich liebst , denn ohne Deine Liebe bin ich nichts mehr . An sie glaube ich , denn sie ist meine Seligkeit , meine Ewigkeit , meine Religion . – Alice , ich liebe Dich unaussprechlich ! « Er verbarg seinen Kopf in ihrem Schooße . Alice sah mit einer Mischung von Freude und Mitleid auf ihn herab , wie man auf ein gutes Kind herabsieht . Unmerklich schweiften ihre Gedanken zu Landsfeld ; sie verglich seine Kälte und Zurückhaltung mit der tiefen Wärme und Hingebung Bergers . Wunderbar . Ein Gefühl von Haß und Verachtung durchzuckte ihre Seele , aber dieser Haß traf nicht den , der sie gekränkt , sondern den hingebenden , in Liebe für sie aufgehenden Schwärmer , der zu ihren Füßen lag . Als Berger wieder aufsah , fuhr er erschreckt empor über den Ausdruck von unheimlicher Kälte in ihren Zügen . Er erblaßte . » Laß mich « – sagte sie halb abgewandt und sich aufrichtend . » Ich bin erschöpft . – In einigen Stunden gehen wir auf die Berge . Du wirst mich abholen , Arthur , nicht wahr ? « Sie zwang ihre Stimme zu einem freundlichen Accente . » Um fünf Uhr werde ich bereit sein . Und jetzt ist schon die zweite Stunde nach Mitternacht vorüber . Laß uns scheiden , Arthur , wir bedürfen Beide noch der Ruhe . « » Wir bedürfen Beide noch der Ruhe « – wiederholte er mit tonloser Stimme . » Du hast Recht , Alice . Ruhe ! O , wer zur Ruhe käme ! – Wohl « – sagte er dann mit stiller Resignation . » In drei Stunden werde ich bei Dir sein . Lebe wohl . « Er sprang auf und wollte forteilen . » Arthur ! « – rief Alice , die über seinen tiefen Schmerz bekümmert war . Sie breitete die Arme nach ihm aus . Weinend stürzte er hinein . Sie drückte einen heißen Kuß auf seinen Mund . Da brach seine ganze bisher verhaltene Ruhe in lichte Flammen aus . Mit starkem Arm umfaßte er sie . Sein Athem glühte , sein Blut stürmte durch die Adern . Immer fester umschlangen sie seine Arme , immer glühender brannten seine Küsse auf ihren Wangen , auf ihrem Halse , auf ihrem Busen . » Arthur ! « – zürnte sie , heftig gegen seine Leidenschaftlichkeit ankämpfend . » Bist Du so wenig Mann , so wenig Herr Deiner Gefühle , daß Du Dich nicht beherrschen kannst , wenn ich Dich um Schonung bitte . – Arthur , ich bitte Dich , laß ab – laß ab – zwinge mich nicht , Dich zu verachten . « Sie sprang auf und winkte ihm , wie zum Abschiede . – Er stürzte hinaus . Fünftes Kapitel Als der Baron nebst seiner Begleiterin die Spitze des Berges erreicht hatte , trafen sie das andere Paar , das , um nicht Lydiens Wohnung passiren zu müssen , von der entgegengesetzten Seite heraufgestiegen war , schon wartend . » Entschuldigen Sie unser längeres Verweilen « – sagte Landsfeld , nachdem er mit seinem Gegner eine stumme Begrüßung gewechselt . » Wir vermutheten nicht , daß Sie uns zuvorkommen würden . – Darf ich Sie bitten , mir zu folgen « – fuhr er fort . – » Wir müssen noch einige hundert Schritte weiter in den Wald hinein , wenn wir ungestört sein wollen . « Schweigend folgten ihm die Andern . Der Thau lag voll und glänzend auf dem buschigen Haidekraut , das sie durchwaten mußten , und drang durch die Schuhe und Strümpfe der beiden Damen . Landsfeld schien es nicht zu bemerken . Mit langen Schritten vorausgehend drang er immer tiefer in den Wald ein , bis sie endlich einen hellen , länglichschmalen Platz erreicht hatten , der den allgemeinen Beifall der Theilnehmer an diesem sonderbaren Spaziergange zu haben schien , da er völlig trocken und eben war . » Wir sind zur Stelle « – sagte Landsfeld . Er nahm dem nachfolgenden Diener die Waffen ab und legte sie vorsichtig auf einen umgestürzten Baumstamm , der den Platz der Länge nach durchschneidend , ihn in zwei fast gleich große Hälften theilte . » Du kannst jetzt gehen , Carl « – wandte er sich an diesen , indem er mit ihm einige Schritte bei Seite trat . » Hier ist ein Brief , den Du sogleich an seine Adresse abzugeben hast ; aber mit Vorsicht , daß es nicht zu sehr auffällt . « » Und soll ich nicht wieder herkommen , Herr Baron ? « – fragte der treue Mensch , seinen Herrn mit ängstlichen Blicken ansehend . » Wenn ich in einer halben Stunde nicht zu Hause bin , dann bittest Du den Brunnenarzt sich hierher zu bemühen und bestellst zugleich einen Wagen . Adieu , Carl , und daß Du nichts auf Deinen Kopf hinthust . « » Da ein doppelter Kampf stattfinden wird « – wandte sich Landsfeld an die Andern , » so bleibt uns noch zu bestimmen übrig , welche Partei den Anfang machen soll , die männliche oder die weibliche . « – Wir wollen loosen « – bemerkte Cornelia . Diesem Vorschlag wurde allgemein beigestimmt . Landsfeld nahm zwei Grashalme von verschiedener Länge als Symbol der verschiedenen Waffenart und bat Alice zu ziehen . Sie that es mit fester Hand . Sie hatte den längern Halm gezogen . Der Baron nahm die Rappiere , trocknete sie ab und überreichte sie den modernen Amazonen . Sie warfen ihre Mäntel ab ; Cornelia erschien in der feinsten Toilette , Alice , wie sie voraus gesagt , in der phantastischen Männerkleidung , in der sie die vergangne Nacht den Baron besucht hatte . Sie stellten sich einander gegenüber . Berger , der bisher stumm und scheinbar theilnahmlos dagestanden , trat seiner Geliebten zur Seite . » Ich werde das Zeichen geben « – sagte der Baron . » Wenn ich das Tuch schwinge , macht Fräulein von Hohenhausen den ersten Ausfall . – Auf die Mensur , meine Damen « – rief er kommandirend . Die beiden Gegnerinnen kreuzten die Rappiere . » Los « – rief der Baron das Schnupftuch schwingend . In demselben Augenblicke flog die Spitze von Alicens Rappier in die Höhe . Die Klinge ihrer Gegnerin streifte die linke Seite ihres goldenen Gürtels . Deine Absicht war solid und gut , theure Freundin « – rief Alice , die blitzschnell ihre Waffe wieder gesenkt hatte . Die Lust des Kampfes brannte jetzt in ihren Augen , auf ihren Wangen . Corneliens Gesicht zeigte seine gewöhnliche Kälte . Nur in den halbgeschlossenen Augen , aus denen zuweilen eine unheimliche Glut hervorblitzte , und in dem fest zugekniffenen Munde lag eine starre Entschlossenheit . Mit großer Geschicklichkeit schlug sie einen auf ihre Brust gerichteten Stoß Alicens ab , wobei die Spitze ihres Rappiers sich in den Falten des Aermels ihrer Gegnerin verwickelte . Ehe sie das unvorhergesehene Hinderniß überwinden konnte , sah sie Alicens Rappier abermals nach ihrer Brust gerichtet . Da riß sie , ihre ganze Kraft anwendend , ihre Waffe an sich , mit einer Wendung , wodurch die verhängnißvolle Spitze von ihrer Brust abgeschlagen werden sollte . Wie durch einen Zauberschlag fuhren die beiden Gegnerinnen jetzt auseinander . In der That mußte der jetzt sich darbietende Anblick von der eigenthümlichsten Art sein , da er auf die beiden Zuschauer in doppelter Rücksicht ganz entgegengesetzte Wirkungen hervorbrachte . Der besonnene und seiner selbst so mächtige Landsfeld erbleichte sichtlich , während Berger in ein Gelächter ausbrach , das in diesem Augenblick ganz ungerechtfertigt schien . Durch die gewaltsame Art , mit der Cornelia ihr Rappier aus dem Aermel ihrer Gegnerin herausgerissen , hatte sie denselben von der Schulter an bis zum Knöchel aufgeschlitzt ; zugleich aber bemerkte Landsfeld , daß der weiße Arm , welcher jetzt völlig entblößt war , einen langen blutigen Streifen zeigte . Berger , der , auf der andern Seite stehend , die Verwundung Alicens nicht bemerken konnte , hatte sein Auge auf Cornelien geheftet . In dem Augenblicke , als es ihr gelungen war , die Spitze ihres Rappiers frei zu machen , war die Waffe ihrer Gegnerin bereits einige Zoll tief in ihre rechte Brust gedrungen . Als sie daher durch die erwähnte Wendung die Klinge Alicens fortschlug , trennte ein langer Schnitt , der sich von rechts nach links über die ganze Brust der Unglücklichen erstreckte , ihr Kleid auf , aus dem nun zwar kein Strom warmen Blutes – – aber eine Menge Watte hervorquoll . Ein Schrei , als hätte sie Alicens Klinge im Herzen gefühlt , entfuhr ihrem Munde , indem sie zwei Schritte zurücksprang . Mit erneuter Wuth wollte sie jetzt von Neuem auf ihre Gegnerin sich werfen , als Landsfeld mit eigener Lebensgefahr zwischen die Kämpferinnen sprang . » Genug , « – rief er mit gebieterischer Stimme . » Jetzt kommt die Reihe an uns . Sie haben beiderseits Wunden empfangen und gegeben . Sie können befriedigt sein . « Halb mit Gewalt nahm er Cornelien das Rappier aus der Hand . » Fassen Sie sich , Cornelia , und verderben Sie mir solcher Lappalien wegen das Spiel nicht . Wer weiß , was noch in der Zukunft Schooße schlummert , « flüsterte Landsfeld seiner wüthenden Freundin zu , indem er einen besondern Nachdruck auf die letzten Worte legte . Er warf ihr den abgeworfenen Mantel um , und bat sie , sich ruhig auf den Baumstamm zu setzen . Berger hatte indeß , so gut es gehen wollte , die Wunde Alicens , welche durchaus unbedeutend war , da eigentlich nur die Haut geritzt war , mit einem leinenen Taschentuche verbunden . » Sehen Sie , meine Herrn « – sagte sie , als auch der Baron zu ihr trat , um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen – » sehen Sie dort die trauernde Maria auf den Trümmern Carthago's . Ist es nicht ein tragisches Schauspiel ? « Sie zeigte auf Cornelien . » Spotte nicht , Alice « – sagte Berger , während Landsfeld die Pistolen aus dem Kästchen nahm . Er untersuchte die beiden Doppelläufe jedes Gewehrs noch einmal sorgfältig und setzte auf den Piston jedes derselben ein Kupferhütchen . Darauf maß er in der Mitte des Platzes eine Strecke von dreißig Schritten ab , deren äußerste Enden er durch einen langen Querstrich bezeichnete . Sodann theilte er diesen Zwischenraum in drei gleiche Theile , welche er auf dieselbe Weise bezeichnete . Nachdem er dies Geschäft beendet , kehrte er zu dem eben verlassenen Paare zurück . » Wählen Sie ! « sagte er zu Berger , indem er ihm die Waffen verkehrt entgegen hielt . Statt einer Antwort begab sich Berger auf das eine Ende . Alice näherte sich dem Baron . Sie hielt den Arm in einer improvisirten Binde und sah sehr bleich und angegriffen aus . » Was gedenkst Du zu thun ? « – fragte sie leise den Baron . » Ich habe Dir schon erklärt , daß Du es sehen wirst . Doch da Dir die Aufregung schaden könnte , so richte Deinen Blick auf jenen Knorren . « Er zeigte auf einen Baum im Rücken Bergers . » Das ist mein Ziel . « Berger sah anscheinend theilnahmlos auf die Beiden herüber . Aber in seinem Innern erwachte jetzt plötzlich wieder ein Verdacht , der ihn schon heute Nacht , als er Alicen verließ , durch die Seele gezogen war , ohne jedoch länger , als einen Augenblick , darin gehaftet zu haben . Dieß gab ihm mit einem Male die Sicherheit und Bestimmtheit zurück , welche ihn seit dem Gespräch mit dem Baron fast ganz verlassen hatte . » Ist's gefällig , Herr Baron ? « – sagte er mit einer ruhigen Kälte , die Landsfeld auffiel . » Ich bin bereit , mein Herr « – antwortete dieser , auf seinen Platz eilend . Er stellte sich ihm so gegenüber , daß er den Knorren , auf welchen er Alicen aufmerksam gemacht hatte , über der linken Schulter Bergers , etwa fünf Zoll von seinem Ohr , erblicken konnte . Langsam , aber mit festen Schritten , näherte sich Berger dem zweiten Strich , während Landsfeld nur einen Schritt ihm entgegen trat . Fast in demselben Augenblicke richteten Beide ihre Waffen auf einander . Berger feuerte zuerst . Er war noch achtzehn Schritte von seinem Gegner entfernt . Der Baron stand unverrückt . Jetzt ging dieser bis zur äußersten Grenze vor . Nur zehn Schritte lagen zwischen ihnen . Berger kreuzte die Arme . Landsfeld drückte los . Alice blickte nach dem Knorren . Er war verschwunden .