Vorwort Das Leben ist fragmentarisch ; die Kunst soll ein Ganzes schaffen ! Diese Blätter gehören in Dichtung und Wahrheit dem Leben an , und machen nicht Anspruch auf künstlerischen Werth ! Darum sind sie fragmentarisch , wie diese ganze moderne Welt , aus deren gährenden Elementen sie hervorgegangen , ein Beitrag zur Charakteristik unseres Lebens ! Wer den reichen Zauber der Gestaltung besitzt , und die Idee zu bannen versteht in ewige Formen : der wird nach Maß und Regeln der Schönheit , auch dies zersplitterte , moderne Leben zu einem harmonischen Kunstwerk zusammenfassen , ihm dauernde Bedeutung geben und sich selbst mit ihm unsterblich machen ! Wir andern aber können nur einzelne Blätter , vielleicht Früchte von den Lebensbäumen dieser Zeit pflücken ! Wir schreiben flüchtige Zeilen ; aber wir schreiben sie mit unserem Herzblut ! Findet dies Fragment Anklang , hat der Kern dieses Lebens und sein Schicksal eine allgemeine Bedeutung : so schließt sich vielleicht ein zweites Fragment daran , das manche Entwicklungen weiter führt , und manche » confessions « vollendet . Hamburg , im März 1847 . Louise Aston . 1 Eine alterthümliche Pfarrerwohnung gilt von jeher für das heimathliche Reich der Idylle . Hier quartiert , seit Vossens Louise , die gemüthliche Phantasie der Dichter ihre behaglichen Gestalten ein , welche in dem Comfort eines stillen , in sich befriedigten Lebens das letzte Ziel und den ganzen Werth der Existenz zu erschöpfen wähnen . Etwas Lindenschatten und Abendroth , Mittagessen und Gebet , eine Promenade durch die Kornfelder , die Bereitung des Kaffees und wenn es hoch kommt , eines Hochzeitbettes – das genügt dieser friedlichen Poesie , welche die breite Prosa des Lebens in ihre langathmigen Verse übersetzt . Doch der idyllische Kuhreigen hat in unserer Litteratur ausgetönt , da die Beschränktheit solcher Existenzen auch nicht auf Natur und Wahrheit Anspruch machen kann ; sondern mit Recht als ein affectirtes Ignoriren des Lebens in der Welt und ihrer Geschichte angesehen wird , das Utopien einer spießbürgerlichen Phantasie . Diese Genrebilder ohne Perspective und Hintergrund finden kein Publikum mehr ; denn sie sind poetische Grillen , welche der Wirklichkeit fern liegen . Selbst in das abgeschlossenste Pfarrhaus hinein dringt das Leben mit seinen Beziehungen und Gegensätzen , mit seiner Noth und Bedeutsamkeit ; dringt der Zeitgeist mit seinen Kämpfen und seinen Zielen . In eine solche Pfarrwohnung , die nur äußerlich den idyllischen Frieden zur Schau trägt , während in ihrem Innern das moderne Leben seine socialen Schlachten schlägt , versetzen wir jetzt die Phantasie unserer Leser . Die ersten Strahlen der Maiensonne drangen verstohlen durch zwei kleine , runde Schiebfenster , über welche dichtbelaubte Kastanienbäume die ehrwürdigen Schatten warfen , in ein traulich enges Gemach , und beleuchteten hier eine eigenthümliche Scene . Auf einem altmodischen mit großblumigen Kattun überzogenen Sopha saß ein Greis mit finstern , unheimlichen Zügen . Die kleinen , grauen Augen , der stechende Blick kontrastirten unangenehm mit dem silberweißen Haar , und störten den Eindruck des ehrwürdigen Alters . Vor diesem Greise knieete ein liebliches Mädchen von siebenzehn Jahren . Lichtbraune Locken fielen noch ungeregelt auf den weißen Hals und Nacken nieder , und gaben dem zarten Oval des Angesichts eine süße , träumerische Färbung . Die großen blauen Augen sahen in tiefem Schmerz zu dem Greis empor , während ihre Hände krampfhaft gefaltet auf dem Busen ruhten , als wollten sie den heftigen Schlag des Herzens hemmen . Die ganze Erscheinung des Mädchens hatte etwas Rührendes ; denn ihre Züge waren von jener eigenthümlichen Schönheit , deren Reiz durch den Ausdruck des Schmerzes erhöht wird , denen der Menschenkenner schon im Voraus prophezeiht , daß sie einst den Stempel tiefen Leidens tragen werden . – Die Einrichtung des Gemachs entsprach dem Sinn der Bewohnerinn . Sie war einfach und klar , und entbehrte aller unnützen Zierrathen , mit denen sich sonst die Eitelkeit der Damen zu umgeben pflegt . Ein blankgebohnter Nußbaumtisch , drei geflochtene kleine Rohrsessel , ein Spiegel in Duodezform bildeten mit dem Sopha das ganze Meublement . In einer Ecke lehnte eine Harfe , mit einem halbverwelkten Immortellenkranz geschmückt , während auf dem niedrigen Fenstergesimse wie zum Hohn für das abgestorbene Bild der Unsterblichkeit üppig blühende Geranien und Rosen prangten . Die Wände des Zimmers waren blendend weiß , nur hin und wieder mit schwarzen Kreidezeichnungen dekorirt , denen Nußbaumholz zum rohen Rahmen diente , wahrscheinlich Reminiscenzen aus der frühesten Jugend des Mädchens . Mitten in dieser Einfachheit that es dem Auge fast weh , auf dem Roccoco-Tisch Gegenstände des feinsten Luxus zu finden . In chaotischer Unordnung lagen die kostbarsten Preciosen umher . Ein elegantes , rothes Saffian-Etui ließ einen prachtvollen Rubinschmuck hervorschimmern ; Blonden und Kanten blickten neugierig aus ihren halbgeöffneten Kartons zu einem Atlas-Kleid hinüber , das über der Sophalehne hing , gleich als ob sie sich sehnten , an dem schweren , weißen Gewand als blendender Schmuck zu prangen . » Es ist fest und unwiderruflich , Johanna , « sprach der Greis mit heiserer Stimme ; » heute wirst Du die Gattin des Herrn Oburn . Ich habe mein Wort gegeben ; ich halte mein Wort . Der Mann ist reich , sehr reich ; Du wirst ein glänzendes , vielfach beneidetes Leben führen , da vergißt sich rasch die sentimentale Jugendliebe , das Spiel einer müssigen Phantasie , das vor dem Ernst des Lebens verschwinden muß . Du wirst es mir später Dank wissen , daß ich Dein Geschick gewählt . « » Mir schaudert , Vater , « entgegnete das Mädchen , » wenn ich an den Mann nur denke , von dem man so viel Unheimliches sagt , dessen ganzes Wesen mir widerwärtig ist . Aus seinen Zügen spricht ein Geist , der mir ewig fremd bleiben wird , den ich nicht verstehe , nicht verstehen will , der mir wie eine feindliche Macht gegenübertritt und mein Gefühl empört . Nie , nie könnte ich diesem Manne angehören ! D'rum , laß mir mein Glück , meinen Frieden , Vater ! Sieh' , ich bin noch so jung ! Du hast mich so oft Deine holde Blume genannt ! O laß' mich hier fortblühen ungestört bei Dir , und wachsen und werden , was der innere Trieb gebietet . Dort muß ich verwelken , verdorren – ich fühl 's – dort ist meine Heimath nicht . Und dann , « fuhr sie fort mit lieblicher Schüchternheit , » Du weißt es ja mein Vater , ich liebe , heiß und innig , habe dem Geliebten das Wort gegeben , ihm allein auf immer anzugehören . Und Du willst mich zwingen , meineidig zu werden , Du , ein Diener des Herrn ? Du mußt es ja wissen , wie fluchwürdig eine Untreue vor Gott ist . « Der Greis hörte in höchster Aufregung die Worte der Tochter an ; doch er bekämpfte die Aufwallung seines Innern , die aus seinen feurigen Blicken und seinen Zügen sprach , und erwiederte ruhig : » Höre aufmerksam zu , Johanna ! Was ich Dir jetzt sage , wird Dir jede weitere Einrede ersparen . Ich tadle Dich nicht ; denn auch mir war die Liebe , als ich noch jung war , das Höchste , das einzig Begehrenswerthe , dem man jedes Opfer willig bringen muß . Ich war sehr arm , hatte früh die Eltern verloren , und stand unter der Aufsicht eines Vormundes , eines redlichen , aber strengen Mannes , der mich für den Handwerkerstand bestimmte , weil mir die Mittel zu einer höheren Ausbildung fehlten . Doch ich traute mir Kraft und Talente zu , eine andere Laufbahn zu wählen : und brachte es durch eifriges Studium dahin , daß ich die Universität zu H. beziehen konnte . Ohne Geld , ohne Connexionen , mit dem bittersten Mangel kämpfend , verlebte ich meine Studienjahre . Die Freuden der Jugend , das Glück eines frischen Lebens , die ungehemmte Freiheit der Existenz – mir war das alles unbekannt . Ich suchte diesen Verlust zu verschmerzen , in eifrigem Studium , in begeistertem wissenschaftlichen Streben Ersatz zu finden für ein sonst freudloses Dasein . Aber auch die Schätze der Wissenschaft sind der Armuth verschlossen ; und nur das Gold ist die Zaubersalbe des Abdallah , welche den Zutritt zu ihnen öffnet , und dem Auge erlaubt , in ihre Tiefen zu schauen . Mit großer Mühe mußte ich mich durchkämpfen zu den Quellen des Wissens , welche den begüterten Studenten mühlos und leicht zuflossen . Da schien mir dieses Metall eine Zaubermacht , gegen die anzukämpfen , nutzlos ist , mit der man sich verbünden muß , um das Leben zu besiegen . Seit jener Zeit ist mir der Reichthum ein hohes Gut , das ich gehaßt und doch mit Gier erstrebt ; dem ich nachjagte , während es mich floh , wie mein eigener Schatten . Du , mein Kind , kennst die Noth und den Hunger nicht ! Das waren die Gefährten meiner Jugend , die mich von Tag zu Tag hetzten durch ein Leben , das keinen andern Zweck kannte , als den , sich selbst zu behaupten , sich selbst fortzufristen . Wie oft schlich ich mich des Nachts auf die Aecker der begüterten Bürger , um mit den Früchten des Feldes , dem fremden Eigenthum , mich vor dem Hungertod zu erretten . – Doch auch diese qualvolle Zeit ging vorüber . Ein glänzendes Examen , das ich nach dreijähriger Studienzeit zurücklegte , verschafte mir die Gunst und Empfehlung eines Professors und durch dieselbe eine Hauslehrerstelle in einer gräflichen Familie . Ein achtjähriger Knabe wurde meiner Sorgfalt anvertraut , während ich der fünfzehnjährigen Tochter nur Musikunterricht ertheilen sollte . Hier in diesem Hause war ich täglich den empfindlichsten Demüthigungen ausgesetzt . Die ungebildete , hochmüthige Familie behandelte mich , den Erzieher ihres Kindes , gleich einem Domestiken . Wenn ich oft nahe daran war , das Haus zu verlassen – da tödtete der Gedanke an meine Armuth , an eine Zukunft ohne Mittel und Aussicht , den freien Entschluß . Allmählig fand ich in meinen Zöglingen Ersatz für die bittern Kränkungen , welche die Eltern mir zufügten . Elise , die Tochter des Hauses , machte mir das Leben zum erstenmale wünschenswerth . Unsere gegenseitige Neigung wurde bald zur Liebe ; die Liebe zur heftigsten Leidenschaft , die nicht nur über mich , sondern auch über die Schülerinn maßlosen Jammer brachte . Die Mutter , eine herzlose Kokette , eifersüchtig auf die Reize der Tochter , entdeckte bald mein Verhältniß zu Elisa . Ich wurde in einer entehrenden Weise , die meinen Namen an den Pranger stellte , aus dem Hause gejagt . Ohne eine andere Stellung zu finden , irrte ich lange Zeit in der Welt umher , im Herzen verzehrende Liebe , von Noth und Sorge treu begleitet . Die bewegtesten Schicksale waren an mir vorübergegangen ; – Jahre voll Arbeit und Mühe lagen hinter mir ; – ich hatte tüchtig mit dem Leben gerungen , bis ich diese Pfarrstelle erhielt , ein bescheidenes Loos , das meine Existenz sicherte ; ohne mein Streben nach höheren Lebensgenüssen jener Welt , die der Reichthum zu schaffen vermag , zu befriedigen . Meine Liebe war nicht erloschen – unter allen Kämpfen des Lebens dachte ich mit Sehnsucht an den kurzen Traum meines Glücks . Sechs Jahre lang hatte ich nichts von der Gräfinn gehört ; ich glaubte sie längst vermählt , und hätte ihr keinen Vorwurf daraus gemacht , wenn sie mir ihr gegebenes Wort gebrochen . Da hörte ich von einem Freund , daß , jedem Zwang , allen Mißhandlungen zum Trotz , mir die Geliebte treu geblieben und mein in unveränderter Liebe gedenke . Diese Nachricht machte mich unaussprechlich glücklich . So geliebt , um seines Selbst wegen so geliebt zu sein , ist für den Mann ein berauschendes Glück , das mir alle Ruhe und Ueberlegung raubte . Ich fand Mittel , mich der Gräfinn zu nahen . Sie wollte mein Weib werden , mir der Eltern Liebe , Rang und Reichthum zum Opfer bringen ; und ich war nicht edel genug , dies Opfer abzulehnen . Ohne den Segen der Eltern wurde Elise meine Gattinn – Deine Mutter . « – Erschöpft hielt hier der Greis einige Augenblicke inne ; dann fuhr er bewegter fort : » Aus großer , alles bezwingender Liebe war diese Ehe geschlossen worden ; dennoch war sie nicht glücklich . Glaube mir , Mädchen , Liebe beglückt nur auf kurze Zeit ! Deine Mutter ist edel und liebenswürdig ; – dennoch waren wir Beide elend ; deine Mutter , weil sie alle gewohnten Annehmlichkeiten des Lebens entbehren mußte ; ich , weil ich nicht im Stande war , sie ihr zu verschaffen . So sind uns freudlose Jahre vorübergegangen , welche mir die traurige Lehre gaben , daß unter bedrückten äußern Verhältnissen jede Hoffnung auf Glück getäuscht wird . Das Glück kehrt nur bei den Glücklichen ein ! Du bist mein einziges Kind – die Erfahrung meines Lebens soll Dir zum Heile werden ! Du sollst einer jugendlichen Täuschung nicht den wahren Genuß des Daseins opfern ! Ich muß Dich schützen vor all' dem Jammer , den Deine Mutter erlebt . « Mit sichtlicher Spannung hatte Johanna den Worten des Vaters gelauscht , und schien in einer kurzen Pause über ihren Inhalt nachzudenken . Aus ihren Zügen sah man , daß dies Denken ein Erleben war , das ihr Wesen in seinen innersten Tiefen faßte ; daß sich in diesem Augenblick die ganze Zukunft bedeutsam in ihr zusammen drängte . Plötzlich begann sie mit jener Entschiedenheit , welche , wie mit einem gewaltsamen Ruck , alle Zweifel abschüttelt : » Deine Geschichte , Vater , paßt nicht auf mich ! Ich bin keine Gräfinn , bin an Entbehrungen gewöhnt . Mir wird ein einfaches Leben genügen . Und dann – « fuhr sie fast feierlich fort , – » meine Mutter war Dir treu ; auch ich werde meiner Liebe treu sein , als ihre echte Tochter . Ich lasse mich nicht verhandeln gegen schnödes Gold ; ich kenne etwas Edleres , als dies Metall – meine Liebe ! Ich schwöre Dir 's – nie werd' ich Oburns Gattin ! « Alle Heftigkeit , die der Greis bisher bezwungen , kam nun bei ihm zum Ausbruch . » So wagst Du , mit mir zu sprechen , thörichtes Kind ? Bist Du nicht mein Geschöpf ? Ist nicht mein Wille Dir Gesetz ? Du mußt ihm gehorchen ; denn ich bin Herr über Dich ! Es bleibt dabei : heute Abend wirst Du dem Herrn Oburn ehlich angetraut ! Ich will es und befehle es ! « Bei diesen Worten blitzte es im Auge der Tochter dämonisch auf ; das blühende Antlitz wurde marmorbleich ; doch fest und ruhig erhob sie sich ; sah den Vater durchdringend scharf an , und sprach mit Bestimmtheit : » Aber ich – ich will es nicht ! So weit gehen die Rechte eines Vaters nicht , einer flüchtigen Laune die Jugend , ja das ganze Leben eines Kindes zu opfern . Hier hört der Gehorsam auf , und mir allein gebührt die Entscheidung . O sieh' mich nicht so zornig an , als zöge ich mit diesen Worten auf ewig eine Scheidewand zwischen unsere Herzen ! Ich bin jung – noch sehr jung – kenne die Welt und ihre Freuden nicht ; dennoch ahnt es mir , daß es ein Glück geben muß , ein Glück der Liebe und des Genusses , in das sich zu versenken höchste Befriedigung ist ! Und ich will glücklich sein , mein Herz hat die Kraft dazu , die Kraft , in der Seligkeit aufzugehn . Das fühl' ich jetzt , denn Du verurtheilst mich , des Lebens unschätzbarste Güter einem ungeliebten Manne hinzuopfern , dessen verlebte Züge nur das Todesurtheil aussprechen über meine Jugend . Mich reizt nicht all' diese Pracht der äußern Existenz , die seelenlos auch der Seele nichts zu bieten vermag , sie nur fesseln kann in blendender Sklaverei . Nie werde ich diese Fesseln ertragen ! « Bei diesen Worten nahm sie mit zitternder Hand eine schwere goldene Kette vom Tisch ; und ihre zarten Finger rüttelten und spielten gedankenlos mit den Ringen und Gliedern des prächtigen Geschmeides . Doch über den Greis kam der Sturm des Unwillens , und unterbrach gewaltig die kurze Pause sprachlosen Erstarrens , in das ihn die Rede der Tochter versetzt . Die unbeherrschte Leidenschaft triumphirte ! An dem braunlockigen Haar riß er die Tochter wild hin und her , und stieß sie dann mit den Füßen von sich , in maßlosem Zorn ausrufend : » Ungerathene ! Ich fluche Dir ! « Erschöpft , todesmatt , mit blauen Lippen und festgeschlossenen Augen sank der Greis , nach diesem Ausbruch der Wuth , ohnmächtig auf das Sopha zurück . Der gellende Schrei : » Mein Vater ist todt , « tönte in dem sonst so stillen Pfarrhaus wider . 2 Es war Mittag geworden . Schwüler drangen die Sonnenstrahlen durch die Fenster , die sie des Morgens nur angenehm erhellt hatten . Todtenstille herrscht in dem Gemach . Noch liegt der Kranke bewußtlos da . Eine Matrone steht vor ihm , reibt die erstarrten Hände , küßt die blauen Lippen , um sie zu erwärmen , und sieht , nach dem vergeblichen Versuch , trostlos zum Himmel empor . Der Arzt steht neben ihr , und prüft ruhig nach seiner goldenen Cylinderuhr den Pulsschlag des Kranken . Dann unterbricht er das Schweigen ; » Es war ein Nervenschlag , verehrte Frau , der ihren Gatten getroffen . Doch hoffen Sie – seine Erstarrung wird nachlassen ; er wird zum Leben zurückkehren ; nur fürchte ich , mit einer Lähmung mancher edeln Organe ! « Mit einem seligen Lächeln schaute die Frau den glückverheißenden Arzt an . So traurig auch das Ende seiner Rede war – sie hatte es überhört ; und nur die Worte : » er wird zum Leben zurückkehren « , freudig aufgefaßt und ihrem Gedächtniß eingeprägt . Sorgsam nahm sie ihre Hand aus der kalten Hand des Greises , schlich leise in eine Ecke des Zimmers , wo die Tochter lang ausgestreckt auf dem Estrichboden lag . Segnend legte sie die Hand auf des Mädchens Haupt , und sprach weich : » Johanna , mein Kind , wache auf ! Dein Vater wird nicht sterben – Gott ist uns gnädig ! Er läßt diesen Kelch an Dir vorübergehen . Doch bete , bete , Kind , daß auch die Lippen noch den Fluch zurücknehmen , den sie über Dich ausgesprochen ; denn Vaterfluch ist eine schmerzliche Mitgift für's Leben . « Mit irren Mienen richtete sich das junge Mädchen auf , strich sich die ungeordneten , thränenfeuchten Locken von der Stirn , und erwiederte klanglos : » Was soll ich thun , Mutter ? Soll ich beten – soll ich heute noch Oburns Weib werden ? Mein Muth , mein Herz ist gebrochen . Dieser unselige Morgen hat mich willenlos gemacht . Ich bin bereit – laß' die Hochzeitglocken läuten – flicht mir den Brautkranz ! « Zitternd an allen Gliedern sank sie zurück in ihren Stumpfsinn ; und kein äußeres Zeichen gab den innern Kampf der Seele kund . Wieder waren einige bange Stunden vorübergegangen , Stunden , die ein ganzes Leben voll Freude quitt machen . Da hob der Greis matt die Augenlieder auf ; die Lippen regten sich ; er versuchte zu sprechen ; – doch die Zunge war auf immer gelähmt ! 3 Ein fröhliches Posthorn schmetterte in der Ferne . Näher kam's und näher , zum einsamen Pfarrhaus hinan . Bald hielt ein eleganter englischer Reisewagen , den vier prächtige schwarze Rosse zogen , vor demselben still , Herr Oburn , der glückliche Bräutigam , sprang jugendlich keck aus dem Wagen , und stürzte auf das Zimmer seiner Braut zu , wie ein Raubvogel auf seine Beute . Am Abende dieses Tages standen die Thüren der altmodischen Dorfkirche weit offen . Der mit hölzernem Schnitzwerk verzierte Altar war reich mit Kränzen und mit frischem , grünen Laube geschmückt ; zwei Wachskerzen brannten auf kolossalen Messingleuchtern . Eine Bibel , in schwarzem Sammet eingebunden , lag auf dem Betpult , vor dem zwei rothe , dem Anschein nach neu angeschaffte Sammetsessel standen . An dem Weg von der Kirche bis zum Pfarrhaus , der mit weißem Sand und Blüthen bestreut war , bildeten die festlich geputzten Dorfbewohner ein Spalier , durch welches das Brautpaar nach alter Observanz , hindurch gehen mußte . Jetzt ertönte das Geläute der einzigen Glocke ; ein Zeichen , bei dem sich alle Blicke nach der Thüre der Pfarrwohnung richteten . Gravitätisch überschritt Herr Oburn die Schwelle , und überschaute das Volk mit triumphirendem Blick . Seine Persönlichkeit gab der Menge zu mancherlei Bemerkungen Veranlassung , in denen der idyllische Witz der Landleute sich mit vielem Behagen erging . Herr Oburn war ein Mann von 50 Jahren , klein und fett , mit einem würdevollen Hängebauch , einem vollen , aufgedunsenen , dunkelrothen Gesicht , mit einer unförmlichen , großen Nase , neben der sich eine zweite kleinere , wie eine Tochterloge , etablirt hatte . Beide waren mit den Farben von Burgunder und Rum malerisch schattirt . Die Stirne , gewiß von der Natur dazu bestimmt , in diesem Gesicht die beste Parthie zu sein , war durch veilchenblaue Adern , die dick hervorquollen und sich kreuzten , wie Heereszüge auf strategischen Karten , unangenehm entstellt . Um den gemeinen breiten Mund zog sich ein Lächeln grober Sinnlichkeit , das an ein thierisches Grinsen erinnerte . Um das Gesicht würdig einzurahmen , fiel spärliches rothes Haar , genial vernachlässigt , von dem ziemlich kahlen Scheitel auf die Schläfe herab . Dies Meisterwerk der Natur war durch eine modisch-elegante Kleidung verhüllt . Der schwarze , feine Anzug , die Weste und Kravatte von weißem Atlas , suchten nach Kräften mit dem Gesichtsteint zu harmoniren , dem das feste Zuschnüren der Halsbinde zu der traurigen Aehnlichkeit mit einem gekochten Krebse verhalf . Das ganze Bild erinnerte an den Mann im feurigen Ofen , obgleich jeder Anstrich alttestamentlicher Salbung fehlte . An der Seite dieses Feuerkönigs schwankte ein bleiches Engelsbild , ein Mädchen mit dem höchsten Liebreiz geschmückt , voll Harmonie und Ebenmaaß . Ein echter Madonnenkopf mit unaussprechlich schönen Augen , einer kleinen , feingeschnittenen Nase , und einem Munde , den die Grazien um sein Lächeln hätten beneiden können ; eine hohe , schlanke Figur , an der dennoch jede Form , rund und weich , eine selbstständige Vollendung erstrebte ; Hals , Hand und Fuß von seltener Schönheit – alles das schien diesem Wesen von der Natur mitgegeben , auf daß es beglückend in Liebe glücklich sei . Darum empörte der Anblick des Zerrbildes , das , wie ein wahrer Popanz , an der Seite dieses schönen Menschenbildes , einhertrottirte . Heute war das feine Roth , das sonst die jugendlichen Wangen zierte , verschwunden , der Mund festgeschlossen , und das Auge blickte starr und regungslos umher . Ein weißes Atlaskleid umgab in malerischen Falten die frischen , edeln Glieder ; ein Kranz von blühenden Myrthen schmückte die hohe Stirn – sonst war alles an ihr schmucklos und einfach . Während das ungleiche Brautpaar der Kirche zuschritt , sprach sich in den verschiedensten Aeußerungen , in Lauten der Bewunderung und des Spottes , die Stimme des Volkes aus . Ein pietistischer Prediger , den man rasch aus der Nachbarschaft herbeigeholt , hielt eine salbungsvolle Traurede , durchdrungen von überschwänglichem Christenthum ; und suchte besonders die große Güte des lieben Gottes nachzuweisen , die sich der Braut so sichtbar offenbarte , indem sie ihr einen mit Glücksgütern vielfach gesegneten Ehegemahl zu Theil werden ließ . Als endlich die Ceremonie zu Ende war , und der Prediger nach christlichem Gebrauch die Worte der Bibel vorlas : » und er soll dein Herr sein , « da zuckte es schmerzhaft um die Lippen der Braut ; und als sie das ewigbindende Ja ! aussprach , da richtete sie die Augen gegen den Himmel , ein Blick , aus dem das verzweiflungsvolle Bewußtsein sprach , daß sie mit diesem Wort ihr Leben zu einem ununterbrochenen Opferfeste mache . Die Ehe war geschlossen . Es war ein schöner , warmer Maiabend ; der Vollmond stand groß am Himmel , die Blumen dufteten stärker und zarter ; Nachtigallen sangen süße Lieder der Liebe ; die Natur war still und ruhig , und schwelgte in ihren ewiggleichen Harmonieen , als wäre sie bewußt des sichern Gesetzes , das ihren wandellosen Kreislauf beherrscht . Was kümmerte es sie , daß ein Herz gebrochen , ein junges Leben gemordet war ? Eine Stunde später hielt der Reisewagen des Herrn Oburn vor der Thüre . Koffer und Schachteln , mit Garderobe und Weißzeug , der einzigen Aussteuer der eben vermählten Madame Oburn , wurden in den bequemen Wagen gebracht . Herr Oburn sah den Vorkehrungen gemüthlich zu , rieb sich seelenvergnügt die weichlichen und doch unzarten Hände , spielte mit der übermäßig dicken Uhrkette , und sah mit widerlichem Lächeln von Zeit zu Zeit auf seine Uhr . » Gott sei Dank , « murmelte er vor sich hin , » der langweilige Tag neigt sich zu Ende , und näher kommt die Stunde , in der mein Weib ganz mein eigen wird . Wie will ich schwelgen in ihren jungfräulichen Reizen ! Wahrhaftig , sie ist schön , und werth , meine Frau zu sein ! « Und sich zum Diener wendend , fuhr er fort : » James , höre ! Du giebst dem Postillon dreifaches Trinkgeld , wenn er mich rasch , sehr rasch zur nächsten Station führt ; Du nimmst ein Pferd , reitest meinem Wagen voraus ; jage , so rasch Du kannst , wenn auch das Pferd drauf geht – darauf kommt es nicht an – nur schnell , schnell wie der Teufel ! Bestelle im Hotel Zimmer zur Nacht für mich und meine Frau ; hörst Du , James , so schön wie möglich ! Ich hab' ja Geld ; ich kann's bezahlen ! Nur schnell , schnell ! Ich komme gleich nach mit meiner Frau ! Während dieses Gesprächs verweilte die Heldinn unserer Erzählung allein in dem stillen , freundlichen Gemach , in welchem wir ihre erste Bekanntschaft gemacht haben . Ihr Auge haftet unverwandt auf der Stelle , wo am Morgen der alte Vater den Fluch über sie ausgesprochen . Sie wirft sich auf die Kniee , faltet die Hände und will beten ; doch ihr fehlen die Worte – sie kann es nicht ; ihr Elend ist zu groß selbst für die Gnade des Himmels . Thränenlos sieht sie sich um in den unbegränzten Räumen , die sie seit frühester Jugend bewohnt . Hier hatte sie ein kurzes , ideales Liebesglück genossen ; und durch die Reihe der Jahre hindurch verfolgte sie träumerisch alle Wünsche und Hoffnungen , die hier in traulicher Dämmerstunde ihre Brust geschwellt . Nun lag alles hinter ihr – abgeschlossen , ein Paradies , aus dem sie verbannt war . Sie blätterte in dem Buch dieser schönen Vergangenheit , in welches das Leben noch nicht seine ehernen Lettern geprägt ! Noch war es ein Stammbuch voll duftiger , zarter Blätter , Blumen der Freundschaft und Liebe ; auch manches unbeschriebene Blatt mit bedeutungsvollen Zeichen , über das die Ahnung hinaus in die unbestimmte Ferne zog ! Dies Buch war geschlossen auf immer ; das Evangelium ihrer Jugend durfte nur noch in der Erinnerung leben ! » O , könnte ich nur weinen ! « seufzt sie , und schlägt mechanisch einige Töne auf der Harfe an , als könnte sie dadurch eine mildere Stimmung heraufbeschwören , und bewußtlos geht sie dann in eine ihr unendlich theuere Melodie über . Diese Töne versetzen sie außer sich ; ihr ganzer Körper zittert krampfhaft ; jede Fiber bebt ; ihr Wesen ist im Innersten erschüttert – und doch bleibt das Auge trocken ; keine Thräne kühlt die innere , verzehrende Glut . Noch einmal faltet sie ihre Hände zum Gebet – dann springt sie unheimlich rasch auf , und ruft : » Beten kann ich nicht – wohlan so will ich fluchen . Es giebt keinen Gott der Liebe ; warum leide ich sonst : Wenn die Gnade des Himmels nicht allgemein ist , wie sein Regen und sein Sonnenschein ; wenn sie nicht auch zu mir und meinen Schmerzen segnend herniedersteigt : dann ist sie ja nichts , als ein Traum der Glücklichen , die ihr süßes Vorrecht in so schöne Bilder kleiden . Ich will nicht länger zu diesen Träumen schwören . Meine Träume hat die Wirklichkeit zertrümmert , die Wirklichkeit dieser Welt und ihre eherne Macht ! Wohlan , so will ich sie anerkennen , und mit ihr kämpfen um jeden Fuß breit Landes , den ich mir umschaffen will in ein Paradies . « » Für die Welt , die den Sieg davongetragen über mein Herz , « fuhr sie feuriger fort , » für die Welt nur will ich leben . Das Geld , mit dem der Seelenhandel getrieben wird , dem ich die Ideale meiner Jugend geopfert , ist ja der Schlüssel zu dem Reich dieser Welt , zu allen Quellen des Genusses und der Freude ! Geld war mein Verhängniß – es soll mein Verhängniß bleiben , dem ich willig folge ; gegen das ich länger nicht thöricht kämpfe ! Ich gelobe es mir fest in dieser qualvollen Stunde ; und breche mit den frommen Träumen und heiligen Gelübden meiner Jugend . « Das Aeußere der jungen Frau war wie umgewandelt durch den innern Kampf . Mit stolzer , fester Haltung erhob sich die früher so weiche , kindliche Gestalt , und überschritt mit einer Entschiedenheit , welche auffallend gegen den frühern , schwankenden und zögernden Gang abstach , die Schwelle , um von ihren Eltern den letzten Abschied zu nehmen . Der Vater lag , zwar lebend , doch für immer der Sprache beraubt , ermattet auf seinem Bette . Bei dem Eintritt der Tochter erhob er mit großer Anstrengung seine Hände und legte sie auf ihr Haupt , das noch immer mit dem bräutlichen Kranze geschmückt war ; doch die Lippen bewegten sich nicht und konnten den Fluch nicht zurücknehmen . Mutter und Tochter hielten sich darauf , einige Minuten lang , fest umschlungen ; das Haupt der Tochter ruh'te an dem eingefallenen Busen der Matrone , wie eine geknickte Blume an dem mütterlichen Erdreich ; und ihre Thränen vermischten sich . Ihr Schmerz war stumm – noch ein Kuß auf die heißen Lippen der Mutter , auf die eiskalten des Vaters – und rasch stürzte sie zum Pfarrhaus hinaus . Herr Oburn hob mit geckenhafter Galanterie seine Gattin in den Wagen . Die Thür wurde zugeschlagen ; der Postillon blies das alte Lied : » Welche Lust gewährt das Reisen ! « und schnell entschwand der Zug dem schmerzlich nachblickenden Mutterauge . 4 Die Saison des Jahres 18** war glänzender , als alle früheren des an Pracht gewöhnten Karlsbad . Drei gekrönte Häupter waren hier versammelt , nicht , um Genesung zu suchen für irgend ein Leiden , sondern um über das Wohl ganzer Nationen zu entscheiden . Von Karlsbad aus wurde schon einmal das Schicksal der Welt bestimmt , als die mürrische Diplomatie über die jugendlichen Freiheitsbestrebungen der Völker den Stab brach , und alle , der neuen Entwicklung günstigen Paragraphen , mit feinen Wendungen aus der Bundesakte hinaus interpretirte . Damals strömten in Karlsbad alle gewandten Vertheidiger und Anhänger des status quo zusammen , welche aus den nationalen Bewegungen der Jugend das revolutionaire Element herauswitterten , das den bestehenden Mächten und ihrem wohlgeordneten System Gefahr drohte . Die ganze Camarilla des Absolutismus , die Diplomaten mit der eleganten Beweisführung , die aus juristischen , historischen und theologischen Fetzen dem gottesgnädigen Königthum den Mantel zusammenschneiderte , die heilige Legitimität proklamirte , das unwandelbare Gesetz der politischen Welt ; die Aristokraten jeder Art , welche ihre alten Rechte zu wahren hatten , gegenüber den Anforderungen einer neuen Zeit – alle schienen hier ein Schutz- und Trutzbündniß zu schließen , eine heilige Ligue des neunzehnten Jahrhunderts . Doch auch in dem Jahre , in dem unser sociales Drama spielt , hatte die Zusammenkunft des Kaisers von Rußland , des Königs von Preußen und des Königs von Hannover alle treuen Vasallen dieser Potentaten in Karlsbad versammelt . Der ganze Ort wimmelte von Fürsten und Grafen . Wem daher nicht ein sehr großer Reichthum zu Gebote stand , der konnte in diesem Sommer nicht daran denken , in Karlsbad ein Unterkommen zu finden . – An einem drückendheißen Juli-Morgen , an dem die Natur in Glutgedanken zu träumen schien , war die höchste Aristokratie auf der weltbekannten Wiese versammelt . Unter den schönen , blühenden Lindenbäumen hatten sich Coterieen gebildet , die Chocolade schlürften , Blätter lasen , oder durch leichtes Plaudern die Stunden verkürzten , die sich vom Brunnentrinken bis zum Diner träg und langweilig dahinschleppten . Schönheiten aller Art , bleich und blühend , im ersten und letzten Stadium , junge , reiche Wittwen , interessante , geschiedene Frauen , Mütter mit mannbaren Töchtern – alles war wie noch heute , auf diesem Markt der Schönheit anzutreffen . – Auf der Promenade von der Wiese zum Freundschaftssaal lustwandelten zwei junge Männer von höherem Rang , in lautem Gespräch , das für sie ein besonderes Interesse zu haben schien . Plötzlich unterbrach der Eine seine Rede , mit dem Ausruf : » ach , da kommt sie ! « Diese begeisterten Worte galten keiner berühmten Persönlichkeit , keiner Prinzessin oder Schauspielerin , sondern einer jungen Frau in einfacher eleganter Kleidung , die rasch an den Herren vorüberging , als wollte sie ihre frechen Blicke fliehen . » Ich möchte nur wissen , wer sie eigentlich ist , « sprach Graf Reitzenstein zu seinem Gefährten , dem Baron Stein , » sie läßt sich Madame Oburn nennen : aber ich glaube nicht an das Mährchen . Dies Gesicht , diese Tournüre , diese Toilette , Baron – ma foi , das paßt nicht zu einer spießbürgerlichen Madame ! Und lebt sie nicht fürstlich ? Sie hat vor ihrem Wagen die schönsten Pferde , die ich je gesehen , Pferde , in die der Fürst Metternich gänzlich vernarrt ist , die er als diplomatische Flügelrosse gern vor seinen Triumphwagen spannen möchte . Er bot ihr tausend Dukaten ; doch Madame antwortete mit Stolz : › Durchlaucht , ich will so gut wie Sie , edle Pferde vor meinem Wagen haben . ‹ Ma foi , hier werden nicht alle Trümpfe ausgespielt ! Ich möchte wohl in die Karten sehen können ! Hier muß irgend ein Coeur-König Trumpf sein , Baron ! wer weiß , was hinter dem unscheinbaren Namen steckt ! « Stein erwiederte nichts auf diese Vermuthungen , sah nur der schönen Frau mit glühenden Blicken nach , bis er den Entschluß faßte , ihr mit dem Grafen zu folgen . Die junge Dame hatte von alle dem , was um sie vorging , nichts gemerkt ; theilnahmlos und der Außenwelt unzugänglich , schwebte sie auf kleinen Füßchen mit großer Schnelligkeit weiter . Nur in der Nähe des Freundschaftssaals sah sie sich ängstlich um , ob Niemand ihren Schritten folge , verließ dann plötzlich den gewöhnlichen , breiten Weg , und schlug einen Seitenweg ein , der durch eine Nebenpforte zu dem großen , parkähnlichen Garten führt , welcher zu diesem beliebten Etablissement gehört . Hier saß in einer blühenden Fliederlaube , die fast undurchdringlich von dem grünen Gezweig umschlungen war , ein schöner , ernster Mann von 30 Jahren , in dessen regelmäßigen , römischen Zügen sich deutlich die Ungeduld der Erwartung und ihre ängstliche Spannung malte . Als er die Pforte leise öffnen hörte , sprang er auf , stürzte mit ausgebreiteten Armen aus der Laube , umschloß mit unbeschreiblicher Leidenschaft das junge Weib , das eben eingetreten , und sagte mit dem Ton der glühendsten Liebe : » meine Johanna , Du kommst ! O ich danke Dir ! « Dann zog er sie zärtlich in die Laube , nahm ihr den feinen Strohhut ab , strich die vollen Locken , die sich zu üppig vorgedrängt , von der Stirn , kniete dann zu ihren Füßen nieder , preßte die kleinen Hände fest in die seinen , und drückte lange , brennende Küsse auf ihre Lippen . So saßen sie stumm eine geraume Zeit – alles war still und heimlich ; kein fallendes Blatt unterbrach die Ruhe rings um . Es war jene Mittagsstille in der Natur – das orientalische Brüten , die Ruhe , die sich selbst genießt , welche die Fühlhörner des Lebens zurückzieht und ihre großen Wünsche , die in fernen Blitzen aufzucken am Horizont , in schwülen Schlummer wiegt . Doch des Menschen Herz hat den rastlosen Pulsschlag des Lebens ; und mächtiger wird sein heißes Begehren , wenn alles ringsum wünschelos und regungslos schlummert . Die Blicke des jungen Weibes zogen den Zauberkreis immer enger um den Geliebten . Er flüsterte : » Sieh ' mich nicht so an , – das ertrag' ich nicht ! Du willst mir nicht gehören ; du willst nicht mein werden – o so laß' Deinen Blick sanft sein wie den Blick der Taube , ein stilles , argloses Glück spiegeln , die Idylle der Unschuld , den süßen Wahn der Kindheit ! Laß' ihn ohne Verlangen sein , wie die stille , abendliche Flut , die keinen Sturm und keine Brandung kennt ! Doch selber glühend , weckst Du meine Glut , die mich verzehrt , die mich ringen macht nach Deinem Besitz ! « Und Du siehst es nicht , daß ich Dich besitzen will , besitzen muß ! « – Er sprang auf , wie von bachantischer Wuth erfaßt , von dem Taumel des Gottes ergriffen , drückte krampfhaft die Frau an sich – küßte Busen und Schultern in flammender Leidenschaft . » Franz , vernichte mich nicht ! Du weißt es ja , wie ich Dich liebe ! Jede Fiber sehnt sich nach Dir , jeder Nerv zuckt nach Vereinigung . Ach , ich möchte Dir ja alles geben , was Dich glücklich macht ; und doch flehe ich zu Dir : schütze mich vor mir selbst , schütze uns Beide . Du bist der Stärkere ! Deinem Schutz muß ich vertrauen ! O warum bist Du so heftig ? Nun ist 's das letzte Mal , daß ich Dich hier gesehn ! Unterbrich mich nicht – laß' mich ganz ausreden ! Ich muß Dir jetzt Alles sagen , was mich schon lange gequält . Seit ich Dich gesehen , liebe ich Dich , mein Leben – bis dahin ohne Gehalt und Bedeutung , hat in Dir seine wahre Erfüllung gefunden . Ich habe mich diesem berauschenden Glück überlassen , ohne zu fragen : wie kann , wie soll das enden ? Jetzt aber sehe ich klar – wie unrecht ich daran gethan , wie gefährlich uns Beiden dieser Dämmerzustand des Herzens geworden . Als ich vor vier Jahren gezwungen wurde , meinen Gatten zu heirathen , wider meine Neigung – da glaubte ich zu lieben , ein süßer Irrthum , in dem jedes junge Mädchen befangen ist . Schon damals unterdrückte ich dies Gefühl ; nicht aus moralischen Grundsätzen ; nicht aus Pflichtbewußtsein ; sondern aus Stolz . Ich war die Frau eines Andern ; ich wollte , den Menschen gegenüber , vorwurfsfrei dastehen . Seit ich Dich kenne – weiß ich wohl , daß ich früher nie geliebt . Und die Seligkeit zu lieben , so mit aller Kraft lieben zu können , hat mir nie Zeit gelassen zur Reue . Und ich werde es nie bereuen , Dir die ganze Stärke meiner Leidenschaft offen gezeigt zu haben . Ich bin keine von den christlichen Hausfrauen , welche die heißen Wünsche ihres Herzens , aus Furcht vor moralischer Abkanzelung oder ewiger Strafe , unterdrücken , und in ihrem Tugendbewußtsein reichlichen Ersatz für alles geopferte Glück finden . Ich bin nichts weiter – als stolz – ich will keine Seligkeit , die ich mir stehlen , über die ich vor der Welt erröthen müßte . Darum und darum allein – gehöre ich Dir nicht ganz in Liebe an . Erschwere mir nun durch kein Wort , keine Bitte , mein Opfer ! Beklage mich auch nicht – ich bin durch die Liebe zu Dir so selig gewesen , als eine Sterbliche sein kann . Was sie auch für Schmerzen in ihrem Gefolge haben mag – ich scheue sie nicht ; ich werde Dir ewig für das höchste Glück meines Lebens dankbar sein . « Eine Pause folgte diesen Worten . Den Kopf fest in die Falten des Kleides gedrückt , saß der Mann unbeweglich da . Als er das Gesicht erhob , war es bleich zum Erschrecken , doch ruhig . Seine Hand zitterte sichtbar , als er die andere , ihm so theure Hand erfaßte . Doch fest stand er auf , und erwiederte : » Ich verstehe Dich , Johanna , wir müssen uns trennen ! Ich habe in Dir gefunden , was mir von Jugend an vorgeschwebt , als das Ideal des Weibes ! Und wenn der Traum eines ganzen Lebens zur Wirklichkeit geworden – so verrauscht er nicht mit den andern flüchtigen Wellen der Zeit ; sondern er prägt sich tief ein in das innerste Wesen mit ewig bleibender Bedeutsamkeit . So standest Du vor mir – so wirst Du immer vor mir stehen , in dem schalen Marionettenspiel aufgeputzter Puppen mit dem Hauch des Lebens und seiner Würde ! Doch daß auch die Weiblichkeit , die sich selbst behauptet , die nimmer herabsteigt zu unedlem Thun und Treiben , und dem Pariathum trotzt , zu dem das Gesetz dieser Gesellschaft die Frau verurtheilt – daß auch diese Weiblichkeit der rohen Gewalt verfällt , und schmachvoller Mißhandlung , daß ein roher Wüstling Macht hat über eine Seele , deren Heiligthum ihm verschlossen ist , deren unendlichen Reichthum er nicht ahnt – das empört mein Innerstes gegen dies unverständige Gesetz der Welt , das solche Frevel zu heiligen Rechten , und solche Tempelschänderei zu einem gottgefälligen Wandel stempelt ! O wie viel wirst Du noch leiden müssen unter den Menschen , die Deines Wesens Bedeutung nicht verstehn ! Und ich , der ich sie verstehe , der ich werth bin sie zu verstehn , der ich , beseligt von jeder neuen Offenbarung , auch aus dem kleinsten Zug seine ganze Tiefe herausfühle ; der ich Dich , wenn die verständnißlose Kälte der Welt Dich eisig anhaucht , mit meinem Odem erwärmen , mit meinen Pulsen beleben möchte – ich – kann nichts thun – als Dich fliehn ! « Der Schmerz des Mannes mußte groß sein : denn eine Flut schwerer Thränen entstürzte seinen Augen ; doch er schämte sich dieser Zeichen seiner Qual , drückte noch einen innigen Kuß auf die Augenlieder seiner Geliebten , und verschwand rasch . Sie selbst saß starr und unbeweglich , so lange sie noch die verhallenden Tritte hören konnte . Dann bedeckte sie noch einige Minuten mit beiden Händen die Augen – und erhob sich plötzlich mit entschiedener Willenskraft . Nur den verstörten Zügen war es anzusehn , daß sie erst nach schwerem Kampf diesen Sieg über ihr Gefühl errungen . Mit fester Haltung , das Haupt kühn und frei erhebend , ging sie dann nach ihrer Wohnung , dem lieblichen Wiesenthale . » Wieder einmal ein Schäferspiel gratis , ohne Entrèe , eine rührende Scene , « ließ sich die kreischende Stimme des Grafen Reitzenstein vernehmen ; » was sagen Sie dazu , Baron ? Irgend eine wohlmeinende Fee führt uns a tempo herbei , wenn von dem Gott der Liebe eine Episode in Scene gesetzt wird . Doch zum Teufel , wer war denn der Glückliche , der diesen Schäfer spielen und im Schatten dieses Paradieses flott d' rauflos lieben konnte ? Ein beneidenswerthes Loos ! Im Salon dürfen wir armen Weltkinder die Liebe nur mit Glacéhandschuhen anfassen ; hier in Gottes freier Natur wird die Aktion lebhafter ; es arrangirt sich alles ungenirter , wie weiland im seligen Olympos . Doch wer mag der Kavalier gewesen sein , der in diesem romantischen Irrgarten herumtaumelte , bis er seiner Dulcinea an's Herz sank ? Ich muß ihn schon irgendwo gesehen haben – es ist eins von jenen Kupferstich-Gesichtern , die an den Läden zu hängen pflegen – etwas Apartes , was den Weibern gefällt ; etwas in seinem Wesen , was sich nicht nach dem gewöhnlichen Versmaaß unserer Salons skandiren läßt ! Ach , nun fällt mir ein ! Es ist ja der Leibarzt des Prinzen C. , ein sehr liebenswürdiger Doktor , der schon manche recht glückliche Kuren , besonders bei den Frauen gemacht haben soll ! – Aber wahrhaftig , Stein , die Oburn ist süperb ! Wie trefflich sie die kleine Tugendhafte spielte ! Man hätte fast glauben können , es wäre ihr damit Ernst ! Doch ich möchte wohl sehen , wie weit ihr gerühmter Stolz ausreichen würde , wenn unser Prinz selbst einmal mit dem Leibarzt die Rollen vertauschte ! « – » Glauben Sie an die Tugend dieser Frau ? Heuchelei , nichts als Heuchelei ! Die Tugend einer Frau , das perpetuum mobile , die Unsterblichkeit der Seele – das sind so verschiedene Variationen zu dem unerschöpflichen Thema der Chimären ; lauter Erfindungen müßiger Köpfe , patentirter Unsinn ! Wie wär' es , lieber Stein , wenn wir selbst unser Glück versuchten ? Sollte es uns so schwer werden , ihr Trost zu spenden und ihrem Stolz ein wenig unter die Arme zu greifen ? « Kühn und siegsgewiß strich der Graf nach dieser Philippika seinen Schnurrbart , trällerte eine beliebte Opernmelodie und spielte mit der Reitgerte . Doch Stein entgegnete empfindlich : » Ich muß Sie bitten , ein für allemal über diese Dame in einem andern Ton mit mir zu sprechen . Nach dem Auftritt , dessen Zeugen wir eben waren , achte ich sie sehr hoch , wer sie auch sein mag ; und wenn Sie es wagen sollten , über diese Scene , die wir unritterlich genug waren , zu belauschen , frivole Klatschereien zu verbreiten , so werde ich die Ehre der Dame zu vertreten wissen . « » Aha , steht es so mein Freund ? Nun ich gratulire , und wünsche besseren Erfolg , als Daphins der Erste erlangt , « entgegnete hämisch Graf Reizenstein . 5 Am Abende dieses Tages gab der Großfürst Constantin von Rußland der haute-volée Karlsbads einen glänzenden Ball . Dieser Ball war ein Ereigniß für die Badewelt , die sich in mancherlei spöttischen und geistvollen Bemerkungen über die persönlichen Beziehungen des Fürsten , über sein Familien- und Herzensleben erging . Denn diese Verhältnisse waren keinem der Karlsbader Gäste ein Geheimniß . Sah man doch seine Gemahlin , die edle Fürstinn Helene , täglich bleicher und kränker am Brunnen erscheinen , während das Auge ihrer Hofdame , der üppig schönen Gräfinn Sidonie von Lichtenfels jeden Morgen freudiger strahlte , wenn es den flammenden Blick des Fürsten traf . Daraus schloß denn die natürliche Logik der Karlsbader Gesellschaft , daß dieser Ball von dem Fürsten , weniger zu Ehren der kranken Gemahlin , als zur Unterhaltung der Gräfinn Sidonie gegeben wurde , welche den Tanz leidenschaftlich liebte . Da Schönheit und Reichthum sich überall Geltung verschaffen , so war auch Madame Oburn mit zu diesem Feste geladen . Es war nicht Leichtsinn , daß sie erschien , nach so tiefen schmerzvollen Erlebnissen des Herzens : es war der Stolz , der weder andern , noch sich selbst einräumen wollte , daß sie unendlich litt . Als sie am Morgen ihre Wohnung wieder erreicht , schloß sie ihr Gemach , ließ die Vorhänge nieder , drückte das Gesicht tief in die Kissen des rothseidenen Divans , und preßte die Hände fest an das Herz . Das war die Feierstunde , in der sie alle Bilder der Seele heraufbeschwor , den Schmerz walten ließ mit aller Macht , bis die wilden , zerreißenden Akkorde allmählich übergingen in sanftere Melodien , bis sie schwelgen konnte in diesen phantastisch-süßen Uebergängen , und so den Schmerz besiegte , indem sie sich ganz ihm hingab . Als die Zeit der Toilette kam , erhob sie sich ruhig , klingelte ihrem Kammermädchen , und ließ sich zum Ball schmücken . Gleichgültig betrachtete sie in dem hohen Mahagoni- Spiegel ihr Bild . Und wenn sie auch ohne Eigenliebe sich zugestehen konnte , daß es reizend war – so konnte dieß Geständniß doch kein Lächeln der Befriedigung hervorrufen . Ein echtes Weib ist nur dann eitel , wenn sie den Geliebten durch ihre Reize beseligen will . Was lag ihr Heute an ihrer Schönheit , da ihr Geliebter sie nicht bewundern konnte ? Ihr Anzug war einfach , aber schön . Sie trug ein weißes Blondenkleid , mit Rosa-Atlas gefüttert , einen Kranz von natürlichen Rosen in den langen braunen Locken , und um den marmorweißen Hals eine Schnur echter Perlen . » O Madame , wie engelsschön sind Sie heute , « sprach die treue Lisette , die schon Jahrelang die Dienste einer Kammerjungfer versah ; dabei musterte sie die holde Erscheinung von allen Seiten . » Wie werden die alten , häßlichen , vornehmen Damen noch häßlicher werden vor Neid , und gelber , als sie schon jetzt sind ; und wie glücklich werden all' die schönen , feinen Fürsten und Grafen sein , wenn sie nur einen Blick von Ihnen erhaschen . « » Schweig doch , Lisette , mit diesen albernen Reden ; Du weißt es ja zu gut , wie traurig mein Herz unter diesem Atlas schlägt . Ich bin wohl kindisch , daß ich solche Angst habe ; doch ich fürchte mich fast , allein in diese Gesellschaft zu gehn . Der heutige Tag steht so bedeutsam vor meiner Seele , als müßte er ein Wendepunkt meines Geschickes sein , der mich unvermeidlich in ein neues Verhängniß hineinreißt . « Sinnend und ernst sah sie sich darauf noch einige Sekunden im Spiegel mit prüfendem Blick an – ließ sich dann die weiße Spitzen-Mantille um den edlen Nacken legen , sprang graziös in den Wagen , und rief mit jugendlich heller Stimme dem Kutscher zu : » Zum Palais des Großfürsten Constantin ! « Hier saß im Empfangzimmer die Fürstinn auf sammetnem Divan , neben ihr die ältesten und vornehmsten Damen , und hatte für jeden der ankommenden Gäste ein freundlich-gewinnendes Lächeln in Bereitschaft . Doch hinter diesem Lächeln , hinter all' dem Glanz , der sie umgab , lauerte der schadenfrohe Dämon , welcher den Großen dieser Welt auf der Ferse folgt . Noch am Abend waren die Augen der Fürstinn trübe und geschwollen durch anhaltendes Weinen ! Vergebens umstrahlte sie die Pracht der Diamanten ; vergebens borgten ihre eingefallenen Wangen von der Schminke einen lügnerischen Glanz . Ihr unseliges Schicksal sprach allzu beredtsam aus ihrem Blick . Der jüngere Theil der Damen ging indeß gruppenweise , auf die ersten Töne des Orchesters sehnsüchtig harrend , im Saale auf und nieder . Unter den jugendlichen Gestalten zeichnete sich die Gräfinn Lichtenfels auffallend aus . Es war eine Junonische Figur , mit tiefschwarzen Locken , brennenden großen , braunen Augen und strengregelmäßigen Zügen . Ihr Teint war blendendweiß , ätherisch gehoben durch ein feuerrothes Creppkleid , das den üppigen Busen , die Schultern und Arme frei ließ . Aehren von Diamanten waren überreich in die Locken genestelt und zeugten von dem feinen Geschmack und dem Reichthum der Dame . Mit herausforderndem , frechem Blick musterte sie durch die geöffneten Flügelthüren die Herren , die in dem nächsten Salon versammelt waren . Bei aller Schönheit war diesem Wesen doch der Stempel einer Sinnlichkeit aufgedrückt , die jedes geistige Element ausschloß , und sich , im vollen Bewußtsein ihrer alleinigen Berechtigung breit zu machen suchte . Unangenehm berührt wandte die reine Fürstinn ihr gekränktes Auge von ihr , so oft sie eine unfreiwillige Zeugin von der heißen Glut war , mit der ihr Gemahl an jeder Bewegung dieser Circe hing . – Ein Geräusch im Vorzimmer verkündete den Eintritt eines neuen Gastes . Die Herren hielten ihre Lorgnetten unverschämt vor die blöden Augen , und nahmen die widerlich süßesten Minen an . Auch Gräfinn Sidonie wandte ihr schönes Köpfchen dorthin , und ein unangenehmer , höhnischer Zug um den kirschrothen Mund ließ errathen , daß die neue Erscheinung gerade keinen erfreulichen Eindruck machte . Mit großer Verachtung , die sich besonders im Ton der Stimme aussprach , wandte sich die Gräfinn zu einer neben ihr stehenden Dame mit den Worten : » Nein , das ist empörend ; das ist zu arg ! Sehen Sie nur – da erscheint sogar die Madame Oburn in unserem Kreis . Ich begreife wirklich nicht , wie der Fürst die Rücksichten , die er der Gesellschaft und seinem Range schuldig ist , so sehr vergessen kann , daß er diese Bürgerliche hier einführt . Aber so sind die Männer ! Wo sie ein hübsches Lärvchen entdecken , da übersehen sie die fehlenden Ahnen , und ergehen sich noch in lächerlichen Phrasen , in denen die guten und bösen Geister eine Hauptrolle spielen , der gute Zeitgeist , der den bösen Kastengeist besiegt , und wie die schönen Redensarten alle heißen . Ich werde aber nie vergessen , was ich mir schuldig bin . Auf denn , meine Damen , wir wollen uns gegen diese Toleranz der Herren opponiren , und für den heutigen Abend auf die Freude des Tanzes verzichten , wenn wir sie mit Madame Oburn theilen sollen . Sie muß es fühlen , daß sie in diese Gesellschaft nicht gehört , und uns künftigen Skandal ersparen . « » Sehen Sie nur , sehen Sie nur , « zischelte es von vielen süßen Lippen , » wie unbeholfen und ängstlich sie scheint ; wie haltlos sie nach Rath und Hülfe sucht ! Und welche gewöhnliche Schönheit – ein frisches Landgesicht , wie man's bei der Heuernte dutzendweise sieht ; nichts weiter ! Und darüber machen die Kavaliere so viel Geschrei , daß man in allen Gesellschaften von dieser obskuren Person hören muß ! « Die junge Frau , welche den hochadligen Damen so großes Aergerniß verursachte , schien indeß nichts weniger als verlegen . Mit einer Sicherheit , als sei sie von Jugend auf an so prächtige Räume und an so geistlos vornehme , nichtssagende Physiognomien gewöhnt , schritt sie stolz durch das Vorzimmer in den Empfangssalon der Fürstinn Helene , sah die unglückliche Frau mit lieben , unschuldsvollen Augen so bittend , so verständnißinnig an , daß sie bei ihr augenblicklich das regste Mitgefühl erweckte . Die Fürstinn verließ ihren Platz , trat der Oburn einen Schritt entgegen , reichte ihr freundlich , wie zum Schutze die Hand , und zog sie neben sich auf ein leeres Tambourett nieder . Die Hofgesichter wußten nicht , wie sie bei diesem unerwarteten Anblick ihre Mienen zurecht legen sollten . Zum Glück für sie wurden jetzt die Thüren des Ballsaals geöffnet und ein rauschender Walzer des in jenem Sommer so beliebten Componisten Labitzki überhob sie aller Zweifel . Die beatlasten Füßchen der Damen trippelten vor Ungeduld , ob der Vornehmste der Gäste , Prinz C** , nicht das Signal zum Tanze geben werde ! Alle hatten den großartigen Entschluß , mit einer ahnenlosen Frau nicht in die Reihen zu treten , über der verführerischen Melodie vergessen . Gräfinn Sidonie stand graziös in stummer Erwartung ; denn es handelte sich um die Frage , mit welcher Dame wohl der Prinz den Reigen eröffnen werde . Obgleich sie die erklärte Geliebte des Großfürsten war , hatte sie doch alle ihre Koketterieen angewandt , während der Saison die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zu ziehen , dessen Empfänglichkeit für weibliche Schönheit keineswegs zu den Mysterien Carlsbads gehörte . Bis jetzt hatte er allen ihren Lockungen ein kalt höfliches Benehmen entgegengesetzt , und ihren Hochmuth dadurch bitter gekränkt . Gerade deßhalb war sie bereit , zu dieser Eroberung alle ihre Kräfte aufzubieten , und hoffte viel von dem heutigen Abend , weil sie die Königinn dieses Festes war , welcher der Prinz , nach allen Regeln der Etikette , sich nähern mußte . Schon eine geraume Zeit hindurch ertönte die Musik , und noch immer stand der Prinz , vornehm nachlässig , in der Salonthüre , den reich und bunt geschmückten Frauenkreis mit gleichgültigem Blick übersehend . Endlich ging er , dem Ceremoniell gemäß , langsam auf die Großfürstinn zu , um mit ihr , als der Dame vom Hause , die Polonaise aufzuführen . Als er ganz nahe vor ihr stand , blieb er plötzlich , wie verzaubert , stehen – ein unbeschreiblicher Ausdruck der Ueberraschung und des Entzückens überflog seine Züge . Starr blickte er einige Sekunden die Madame Oburn , die neben der Fürstin saß , an ; ging , wie bewußtlos , zu ihr , und bat sie fast schüchtern um das Glück mit ihr zu tanzen . Freundlich reichte sie ihm den Arm , und , von den Wellen der Musik getragen , schwebte das schöne Paar durch den Ballsaal . Das Geflüster der Medisance , aufgeregt durch so unerhörten Vorfall , zischelte rechts und links . Nur wenige Herren , namentlich der Großfürst , räumten ein , daß der Prinz ganz vernünftig handle , wenn er , unbekümmert um Rang und Etikette , mit der Dame tanze , die ihm am besten gefalle . Zu jener Zeit war der Prinz C** ein verführerischer Mann , mit einem schönen Kopf , geistreichen Augen , einer edeln griechischen Nase , einem überaus feinen Mund , der bei dem eigenthümlich-angenehmen Lächeln zwei Reihen auffallend kleiner , weißer Zähne blicken ließ , mit einer eleganten , großen und schlanken Figur . Auch lag in seinem Wesen eine Ritterlichkeit , deren Zauber durch echt modernen esprit erhöht wurde und dem Prinzen da , wo es ihm darauf ankam , all' die brillanten Pointen seiner Persönlichkeit zusammen zu fassen , unwiderstehlich machte . Zum ersten Male in seinem Leben war dieser feine Weltmann befangen , und um Worte verlegen . Dieser Frau gegenüber wollte ihm eine gewöhnliche Ball-Conversation nicht gelingen . Er fühlte wohl , daß er hier andere Saiten berühren müsse . Mit leidenschaftlichem Blicke versenkte er sich in das reizende Formenspiel dieser Frau , fester , als es die Sitte des Tanzes verlangt , umschlang er ihre zarte Taille ; für alles andere waren seine Sinne verschlossen . Er bemerkte weder die boshaften Blicke der Gräfinn Sidonie , noch die ängstlich-besorgten der Fürstinn Helene ; frei und ohne Zwang überließ er sich seinem Gefühl . Doch seine Tänzerinn verrieth deutlich die Angst , die sie über diese sichtbare Auszeichnung fühlte . Sie entzog sich ihm , wo es nur irgend möglich war , obgleich der Prinz sie fast keinen Augenblick verließ . In höchster Bedrängniß irrte ihr Auge umher , Schutz suchend bei irgend einem befreundeten Wesen . Doch alle Gesichter waren ihr fremd – alles sah sie an mit lauernd kaltem Blick ; Niemand tanzte mit ihr , aus Respekt vor dem Prinzen , dessen Gewalt sie ganz anheim gegeben schien , und so Reden ruhig anhören mußte , die ihr das Blut immer heißer in die Wangen trieben . Endlich , als der Prinz sich einen Augenblick entfernt , um ihr ein Glas Eis zu holen , trat ein ernster junger Mann , der Baron Stein zu ihr und bat sie um einen Tanz . Freudig , als sei sie erlöst von einer großen Qual , sah sie ihn an , und schloß sich , als der Prinz wieder eintrat , fester an seinen Arm . Der junge Mann verstand dies stumme Zeichen der Furcht und flüsterte ihr zu . » Vertrauen Sie mir ; ich schütze Sie , und müßte ich mein Blut für Sie opfern ! « Mit großer Heftigkeit drängte sich der Prinz an den Baron Stein heran – versuchte auf jede Art , ihn zu reizen – und gerieth fast außer sich , als er die Ruhe bemerkte , mit der Stein sich selbst bezwang . Den nächsten Tanz eröffnete er wieder mit der Oburn . Unter dem Vorwand , sie müsse sich in einem kühlen Zimmer durchaus etwas erholen , zog er sie in ein kleines Gemach , über das Orangenblüthen ihren Duft und eine dunkelrothe Kristall-Ampel ihr dämmerndes Licht ausgoß , führte sie zu einem Atlas-Divan , und nahm neben ihr Platz . Stumm saßen beide da ; ihr Busen flog heftig ; die Hände bebten ; sie hatte nicht den Muth , in seine flammenden Augen zu sehen . Stürmisch sprang er auf , kniete vor ihr nieder , und rief in höchster Extase : » Sie sind das göttlichste Weib , das ich je gesehen ! Ich liebe Sie , liebe Sie wahnsinnig , will Sie besitzen um jeden Preis ! Wohin Du auch gehst , süßes Weib , ich werde Dir folgen ; ich werde nicht eher ruhn , bis ich Deine Liebe errungen ! Das schwöre ich Dir bei meiner fürstlichen Ehre ! « Mit leiser , aber fester Stimme erwiederte die Frau , ohne ihre innere Bewegung zu verrathen : » Was hab' ich Ihnen gethan , mein Prinz , daß Sie es wagen , mich so tief zu kränken ; mir Worte zuzurufen , aus denen ich nur sehe , wie tief Sie mich verachten . Mögen Sie Ihre galanten Phrasen an Damen von Stande richten , die das zu würdigen verstehen ; mir ist eine Liebe , wie sie aus Ihren Worten spricht , gänzlich unverständlich . Sie kennen mich nicht ; was lieben Sie denn an mir ? O , Sie profaniren die heilige Liebe , denn das , weßhalb ich vielleicht werth wäre , geliebt zu werden – das ahnen Sie nicht . Sie lieben die flüchtigen , jungen Reize meines Körpers ; und darin liegt die Schmach und Entwürdigung für mich . « Nach diesen Worten wollte sie sich erheben ; doch er hielt sie gewaltsam zurück , und rief leidenschaftlich : » Weib , so darst Du nicht von mir gehen , um Gottes Willen , Weib , so nicht . Sieh , ich bin reich ; ich bin Fürst ; allen Glanz , alles Glück der Erde lege ich zu Deinen Füßen nieder . Du sollst Herrinn werden über alles , was ich besitze – nur liebe , liebe mich ! Und wenn Dein zögernder Muth Dir nicht hinweghilft über alle Schranken und Hemmnisse zu raschem Entschluß – o so laß mir wenigstens die Hoffnung , daß ich einst nach Wochen , Monaten – oder selbst nach Jahren Dich besitzen werde . « Mit einem prächtigen , stolzen Blick sah die junge Frau den Prinzen an , und erwiederte nur : » Ich verachte Ihren Glanz – und Sie selbst von Herzen ! « Außer sich vor Leidenschaft , umklammerte der Prinz Ihre Kniee und drückte heftige Küsse auf ihr Gewand . In diesem Augenblicke wurde die Thüre leise geöffnet und das schöne , doch maliciöse Gesicht der Gräfinn Lichtenfels schaute hinein . Ein spöttisches Lächeln verklärte gleichsam ihre Züge und bildete den besten Commentar zu ihren Worten : » Entschuldigen Ew. Königl. Hoheit , wenn ich störe ; ich wünschte nur , mich hier an diesem kühlen Ort etwas von der Hitze des Balles zu erholen . « – Gräfinn Sidonie sorgte , nach den Grundsätzen der christlichen Liebe und weiblichen Ritterlichkeit dafür , daß nach wenigen Minuten die ganze Ballgesellschaft über die Liebesscene im Klaren war . Ueberall flüsterte man von der zärtlichen Attitüde , in der Prinz C** mit Madame Oburn im einsamen Gemach betroffen worden , und fügte natürlich hinzu , daß die Frau den Bewerbungen des Prinzen ein williges Ohr geschenkt . Die Stimmung in der Gesellschaft war hierüber sehr verschieden . Die jungen Fräuleins , nebst den altadligen Müttern , konnten es einer Bürgerlichen nimmer vergeben , zu der Ehre einer fürstlichen Maitresse , nach der sie alle selbst strebten , erhoben zu werden . Darum sprach man das Anathem über sie aus ; aus Neid wurde sie geächtet . Bei den Männern hatte die Frau dadurch an Ansehen gewonnen ; und man war nur unschlüssig , wie man das Betragen gegen sie einrichten müsse , um die hohe Gnade des Prinzen nicht zu verscherzen . Doch auch nicht einem Einzigen in der Gesellschaft schien es möglich , daß eine bürgerliche Frau zu stolz sein könne , Maitresse zu werden . Nur Baron Stein entgegnete dem Grafen Reizenstein , der sich auf seine Prophezeihungen viel zu Gute that : » Nach dem , was ich heute Morgen gehört , werde und kann ich nimmer glauben , daß die Oburn , dem Prinzen gegenüber , sich nur das Geringste vergeben habe ; es ist ein Etwas in dieser Erscheinung , was mich durchaus an eine edle Natur glauben läßt . « Fürstinn Helene hatte sich , ihrer Kränklichkeit wegen , früh in ihre Privatzimmer zurückgezogen – Gräfinn Sidonie , geärgert und gelangweilt , war weniger liebenswürdig , als sie es sonst zu sein pflegte , und folgte bald dem Beispiel der Fürstinn . Dies war das Signal zum allgemeinen Aufbruch ; und zeitig trennte sich die Gesellschaft . Prinz C** führte die Oburn zu ihrem Wagen , hob sie scheinbar vertraut hinein , wurde aber von zwei nervigen Armen unsanft zurückgeschoben , als er sich selbst ohne Umstände mit hinein setzen wollte . Er wandte sich um ; und ihm entgegen blitzten die zornigen Augen des Baron Stein , der ihm die Worte : » Du Schurke « verständig ins Ohr flüsterte . – Im Innersten aufgeregt und erschüttert , betrat die Oburn ihr trauliches Gemach . » O das war ein böser , böser Tag für mich , « sprach sie zu ihrer vertrauten Lisette , froh , ein Wesen zu finden , dem sie alles mittheilen konnte , was auf ihrem Herzen lastete ; » ach wäre ich doch fort , weit fort von hier , fort von allen diesen Erinnerungen ! Wie reizend dachte ich mir als Kind das Leben der Welt ; wie verwebten sich stets in alle meine Träume Bilder des Glanzes und Glücks – und nun ? Wie fade erscheint mir alles ; wie hat doch so Nichts von all' dem Glück mich befriedigt ! Ich bin doch recht elend , « fuhr sie in einem Tone fort , der für die Wahrheit der Worte die beste Bürgschaft war ; » so jung und so freudlos hinsterben zu müssen ; mein Herz so heiß – und nirgends Erquickung ; die Eltern todt – und mein Mann – o mein Mann – das ist ja gerade mein Elend ! denn in meiner Ehe fühle ich mich am einsamsten , weil ich nie verstanden werde ; weil mein Herz , mit all' seinem glühenden Ringen nach einem edeln Leben , hier an Gemeinheit und Bosheit scheitert – o das ist wohl ein tiefes Unglück ! « Einzelne Thränen entströmten den schönen Augen ; dann fuhr sie leise , doch leidenschaftlich fort : » Vergieb mir , Franz ! Nein , ich bin nicht elend ; ich habe Dich ja gefunden , und die Liebe zu Dir ist Erlösung von all' der Noth , von all' dem Schmerz des Lebens ! Welche Seligkeit liegt darin , den Mann , den man liebt , in jeder Beziehung edel und groß zu wissen ! Ob ich ihn wohl lieben könnte , « sprach sie träumerisch weiter , » wenn diese Größe eine erlogene wäre , zu der ihn die Sophistik eines vielgewandten Geistes emporgeschwindelt oder die trunkene Phantasie meiner Liebe ? Ob ich ihn lieben könnte , wenn ich ihn verachten müßte ? « Ahnungsvoll hielt sie hier inne , bedeckte die Augen mit der Hand , als wolle sie ein Bild verhüllen , das unheimliche Angst in ihr erwecke ! Bei dem Auskleiden übergab ihr Lisette einen Brief ihres Mannes . Er lautete : » Meine liebe Johanna ! Es freut mich herzlich , daß Dir das Leben in Carlsbad auch ohne mich gefällt . Wie ich höre , sollst Du und unsere schönen Pferde allgemeines Aufsehen bei den Männern machen . Mir ist das recht ! Sehen doch die Leute daraus , daß ich einen guten Geschmack habe . Meine Frau muß bemerkt werden ; das verlange ich – denn ich bin ein reicher Mann . Daß Du mein Vertrauen nicht täuschest , das ich , in Betreff Deines Umgangs mit den Männern in Dich setze , weiß ich sehr gut ; denn ich kenne ja Deine platonische Liebe , von der ich nichts verstehe und nichts verstehen will , weil sie dummes Zeug ist . Adieu , liebe Frau ! Morgen reise ich von hier ab , um Dich zurückzuholen , und hoffe , Dich recht blühend und kräftig anzutreffen . Dein Dich liebender Mann . David Oburn . « Seufzend legte die Frau das zarte Billet wieder zusammen ; und suchte auf ihrem einsamen Lager Schlaf – und Vergessenheit ! 6 Das Wiesenthal bei Karlsbad ist eine überaus nette , kleine Meierei , und zugleich ein sehr beliebter Vergnügungsort der Kurgäste . Es liegt ungefähr 1/8 Meile von der Stadt entfernt , dicht unter dem Kreuzberge , in einer entzückenden Umgebung . Ein sehr , schöner , großer Garten mit den reichsten Blumenpartieen und dichtverwachsenen Laubgängen , durch den sich die Eger gleich einem Silberbande schlängelt , umgiebt das freundliche Wohngebäude . Alles war hier so friedlich und still , und bildete einen schneidenden Contrast mit all' den Leidenschaften der Menschen , die das bewegte Karlsbad umschloß . Madame Oburn mit ihrer Dienerschaft bewohnte in diesem Sommer die für Badegäste eingerichteten Zimmer der Meierei . Mit den Fremden , die Nachmittags dort herauskamen , um ihre Tasse Kaffee mit Schmellen und Hörnchen zu trinken , kam sie in keine weitere Berührung . Nur an Concerttagen öffnete sie wohl die Flügelthüren ihres Gartensaales oder setzte sich in die Geisblattlaube , die eigens zu ihrem Logis gehörte . Doch sah man sie gewöhnlich allein . Nur dann und wann ließ sie einen Musiker , bei dem sie ein bedeutendes Talent entdeckte , zu sich einladen . Weil sie Musik leidenschaftlich liebte , zeigte sie sich , solchen Künstlern gegenüber , stets artig und generös , und wurde in manchen Kreisen die Beschützerin der Kunst genannt . Auch kam sie in den Ruf eines beispiellosen Reichthums . Die Besitzerin der Meierei , eine gewisse Frau Meier , war ein originelles Weib , das eine nähere Charakteristik verdient . Von ihrem wahren Namen und ihrer Herkunft wußte man nichts . Der Sage nach war sie vor vielen Sommern mit einem polnischen Grafen , der sie seine Frau nannte , nach Carlsbad gekommen . Obgleich ziemlich roh , hatte sie doch während der Saison die Aufmerksamkeit vieler stattlichen Cavaliere auf sich gezogen , und da sie glänzend lebte , war sie sogar eine von den Damen geworden , welche den Ton in der Gesellschaft angaben . Eines Morgens war der Graf plötzlich verschwunden , und die trauernde Gattinn blieb allein zurück , ohne Geldmittel dem allgemeinen Hohn preisgegeben . Doch die Pseudo-Gräfinn faßte sich kurz , verkaufte ihre Juwelen und kostbaren Gewänder , und erstand für das daraus erlöste Geld die Meierei Wiesenthal , die gerade zum Verkauf ausgeboten wurde . Hier lebte sie nun schon seit 10 Jahren still und zurückgezogen von der übrigen Welt – eine echte Philosophinn , ruhig weiter , bis sie , durch die vielen Fremden , die dort eifrig die Gegend durchstreifen , vielfältig dazu aufgefordert , ihr kleines Eldorado zu einem öffentlichen Lustort umschuf . Zu den schwächsten Seiten dieser Frau gehörte eine große Schwatzhaftigkeit , die besonders mit vielem Behagen bei den Thaten ihrer Jugend , und all' den Eroberungen , die sie gemacht , verweilte . Die jungen Herren , die namentlich in diesem Sommer sehr häufig zu ihr herauskamen , hatten diese Schwäche bald bemerkt , hörten mit übergroßer Geduld Stundenlang den Erzählungen ihrer Erlebnisse zu , bis es ihnen gelang , ganz unvermerkt die Rede auf die jetzige Einwohnerin der Meierei , die Madame Oburn , zu bringen . So hatten sie glücklich entdeckt , daß die junge Frau sehr unglücklich sein müsse , daß sie viel , viel weine , und ihr Mann in einigen Tagen erwartet werde , um seine Gemahlinn zurück zu holen . Diese Notizen genügten den neugierigen Forschern , um selbstgefällige Hoffnungen und Folgerungen daran zu knüpfen , wie es junge Männer immer thun , wenn sie von einer unglücklichen Ehe hören . Es war schon spät am Morgen , als Madame Oburn nach jener Ballnacht erwachte . Ihr fieberhaft geröthetes Antlitz , ihr wogender Busen , zeugten von keiner süß durchträumten Nacht . Im Zimmer war es unerträglich schwül ; rasch zog sie die grün seidenen Vorhänge zurück , öffnete das Fenster , und sah , ungenirt , noch im weißen Nachtkleide und Schlafhäubchen , in den blühenden Garten hinaus . Der frische , von Blumenduft durchwehte Morgen that ihr unendlich wohl , die Brust athmete geregelter ; die unnatürliche Röthe wich ihrer gewöhnlichen , gesunden Farbe . Heiter , wie ein Kind , schlug sie die tiefinnigen Augen bald zum Himmelsgewölk auf ; bald ließ sie den Blick auf einer durch die Nacht erschlossenen Blume haften . Da plötzlich schrack sie sichtbar zusammen : sie erblickte den Prinzen C** , der höchst leutselig im eifrigen Gespräch mit Frau Meier , im Hauptgang des Gartens auf und ab promenirte . Wie ein gescheuchtes Reh sprang sie vom Fenster , und zog sich in die entfernteste Ecke des Zimmers zurück . Der gestrige , bewegte Abend , den sie noch vor wenigen Minuten , wie einen bangen Traum ansah , stand lebendig vor ihr ; verworrene Ahnungen eines nahen und großen Unheils ergriffen sie ; und als wollte sie dem eigenen , dunklen Verhängniß entfliehen , vertiefte sie sich in die Lektüre der » Indiana . « Während sie andächtig alle Empfindungen und Leidenschaften nachfühlte , die in diesem Buche so hinreißend geschildert sind ; während sie in dem Geschick der » Indiana « das Walten derselben Mächte erkannte , die ihre Gegenwart beherrschten und mehr noch ihrer Zukunft verhängnißvoll zu werden drohten : wurden in dem Nebenzimmer , mit geschäftiger Hast , die Waffen geschmiedet zu ihrem Verderben . Das dicke , morchelartige Gesicht der Frau Meier strahlte vor Wonne und Glück . Geschäftig lief sie hin und her , blieb dann vor ihrem Schenkmädchen , einer verschmitzten Wienerin , stehen , und sprach mit Mund und Händen : » Therese ! Schnell ! Spute Dich ! Prinz C** wollen höchsteigen heute Mittag hier speisen . Schlachte die Hühnel , pflücke Schoten , oder rühr' lieber erst die Mehlspeise ein ! Nur rasch , rasch , Mädchen ! Wir haben wenig Zeit , und der Prinz wird viele Gerichte essen wollen . Gott , « fuhr sie mit komischem Pathos fort , » ist das ein liebenswürdiger Prinz ! Therese , denke nur ! Se. Durchlaucht haben lange mit mir gesprochen , und finden alles so schön bei mir , daß Sie hier häufig diniren wollen ! Das ist noch ein Prinz , so familiair , so leutselig ; an dem sollten alle Kavaliere sich ein Muster nehmen ! Es ist recht schade , meinen der Prinz , daß mein Logis schon vermiethet ist , sonst würden Sie es gern bewohnen ; doch vertreiben wollen Sie die Oburn nicht , um keinen Preis ! Nun , das ist wahr , sie zahlt auch gute Miethe – doch , nicht wahr , Therese , schöner würde es klingen , Prinz C** nebst Gefolge logiren im Wiesenthal , als Madame Oburn nebst Dienerschaft . Doch es ist nun einmal so ; und weil es dem Prinzen hier gar so sehr gefällt , und er doch inkognito leben will , so habe ich ihm mein eigenes Wohnzimmer abgetreten . Therese ! Ich verbiete Dir , darüber zu sprechen , am wenigsten mit der zimperlichen Jungfer Lisette ; denn wenn die Oburn das erführe , wäre sie im Stande , gleich abzureisen . Bei Tage wollen Se . Durchlaucht auch gar nicht hier sein ; nur des Nachts , um hier ruhiger zu schlafen , als in der geräuschvollen Stadt . So kann es auch Niemand erfahren . Wenn Du klug bist und schweigst , haben Dir der Prinz 3 Friedrichsd'or Trinkgeld versprochen ; – danach richte Dich , Mädchen ! « Mit einer sehr bezeichnenden Pantomime gelobte die würdige Gehülfinn der Frau Meier Verschwiegenheit ; und beide fuhren eifrig in ihrem Gespräche fort . Ganz vertieft in dasselbe , hatten sie die leisen Fußtritte eines Mannes nicht gehört , und erschracken gewaltig , als der Baron Stein mit lauter Stimme um eine Tasse Chokolade bat . In lebhaftestem Selbstgespräch schritt er hierauf dem Garten zu : » Ist's Dir und allen Deines Gelichters nicht genug , euch zu nähren von dem Schweiß und Blut der geknechteten Völker ; müßt ihr auch noch tief hineingreifen in das Allerheiligste der Herzen , und Seelen vergiften , Seelen , deren innerstes Leben ein Gottesdienst ist aller großen und edeln Gedanken ? Und jetzt , da Rang , Schönheit und Geld machtlos sind , gegenüber dieser innern , stillschaffenden Gewalt der Seele , die an sich selber ein unwandelbares Gesetz hat – jetzt verbindest Du Dich , Nichtswürdiger , mit einer Kupplerinn , um das Weib , das Dich stolz verschmäht hat , durch List und Gewalt zu besiegen . Doch solchem frechen Beginnen will ich entgegentreten ; und beglücken soll es mich , wenn Du Schiffbruch leidest mit Deinen nackten Hoffnungen und Wünschen , und die Qual unbefriedigter Liebe Dich aufzehrt ! – Die Oburn soll nichts erfahren von dem Gewölk , das sich an ihrem Himmel zusammenzieht ! Sie schlafe in Frieden ; ich selbst will ihren Schlummer bewahren ! « Zum erstenmale besuchte Baron Stein heute das Wiesenthal ; und es gefiel ihm , in seinen Phantasieen diesen bedeutungsvollen Zufall einem dunkeln Beruf zuzuschreiben , der ihn zum Schutzgeist der Oburn bestimme . Der Zug der Sympathie führte ihn in die Geisblattlaube ; hier saß er träumerisch , und schrieb Hieroglyphen in den gelben Sand , der die Erde bedeckte . Nachdem Madame Oburn sicher war , daß ihr Schreckbild , der Prinz C** , den Garten verlassen , nahm sie Buch und Handschuhe und ging ihrer Laube zu . Verwundert und zögernd blieb sie einen Augenblick stehen , als sie den fremden , jungen Mann , dessen Anblick die Erinnerung an den letzten , verhängnißvollen Abend in ihr erweckte , darin sitzen sah . Dann trat sie jedoch rasch ein , und sprach , als sie bemerkte , daß er sich entfernen wolle , freundlich zu ihm : » O bleiben Sie doch , wenn Ihnen der Platz gefällt . Ich verdränge Niemanden von da , wo es ihm wohl ist ! « Dann setzte sie sich dem jungen Manne gegenüber , und las , ohne die geringste Notiz von seiner Gegenwart zu nehmen , ruhig in ihrem Buche weiter . Regungslos saß Stein da ; in seinen Zügen wechselten Farbe und Ausdruck ; er wollte gehen ; aber es hielt ihn mit unsichtbaren Händen zu rück . Was ihn so magisch hinzog zu dieser Frau : war es Liebe , war es Mitleid ? Er wünschte , sie möchte zu ihm sprechen ; denn die Lieblichkeit ihres Wesens gewann durch den geistigen Ausdruck , der bei'm Sprechen ihre Züge verklärte ; und ihre Worte klangen so einfach und innig , ein Evangelium des Herzens . Es war eine liebenswürdige Eigenthümlichkeit der Oburn , mit den fremdesten Menschen , sobald sie mit sicherem Blick einen geistig verwandten Zug in ihnen entdeckt , so vertraut umzugehen , als sei sie längst mit ihnen befreundet , ohne die Furcht , dies off'ne Entgegenkommen könne mißverstanden werden . So sah sie auch hier den ihr gegenübersitzenden Mann traulich an , und sprach , während sie das Buch fortlegte und einige Geisblattblüthen zerpflückte : » Ich las eben in der Indiana , und bin von der lebenswahren Schilderung der Leidenschaft und des Schmerzes so ergriffen , daß ich heute nicht weiter lesen kann . « » Im Glücke , gnädige Frau , « entgegnete Stein , » muß man ein solches Buch nicht lesen , so schön es auch sein mag . Sie begehen damit ein Unrecht an sich selbst ! Eine edle Natur muß ein reines , ungetrübtes Glück genießen ; und wie ein gerechtes Geschick den Schmerz und die Trauer von ihr fern halten würde , so muß sie selbst jede Berührung mit diesen unheimlichen Gewalten vermeiden , gleich als würde sie dadurch entweiht und herabgezogen . « » Das sind ideale Träume ! Und wissen Sie denn so sicher , ob ich glücklich bin ; ob nicht ich gerade ein Recht habe , alle Schmerzen der Indiana mitzufühlen ? « Stein sah ihr mit prüfendem Blick , den sie nicht vermied , in das thränenfeuchte Auge : » Wohl , ich will glauben , daß Sie leiden ; und bin gewiß , daß Sie werth sind , solche Schmerzen zu ertragen ! « » Nun , das klingt sonderbar , « entgegnete sie mit erzwungener Heiterkeit ; » Sie wünschen mir Kummer und Elend , so ernsthaft , so von Herzen , wie die gewöhnliche Welt Freude und Glück zu wünschen pflegt . « » Wenn ich einer Frau Schmerzen wünsche , wie sie Georges Sand die Indiana fühlen läßt , heilige Schmerzen über die Entwürdigung des Weibes und ihre modernste Knechtschaft – dann muß ich diese Frau sehr hoch stellen , und ihr große Kraft und eine alles bezwingende Liebe zutrauen . « Wiederum trat eine längere Pause ein , die beiden gleich peinlich war . Sie fühlte nur zu gut , daß die innerste Quelle ihrer Leiden entdeckt sei , und er erkannte , daß es nicht in seiner Macht stehe , diese Schmerzen zu heilen . Sie reichte ihm stumm und ohne Ziererei die Hand ; es war ein geistiges Verständniß , das diese edeln Naturen einander näher führte . » Es thut mir wirklich leid , « brach die Oburn das Schweigen , » daß uns das Schicksal erst jetzt , kurz vor meiner Abreise zusammengeführt ; wir hätten doch manche gemüthliche Stunde verplaudern können ! Wie habe ich mich während der ganzen Zeit meines hiesigen Aufenthalts nach einem echten , wahren Menschen gesehnt ! Diese Puppen und Zerrbilder , dies ganze Marionettenspiel einer innerlich hohlen Gesellschaft , diese platten , indifferenten Gesichter , denen eine Spur zurückzulassen der Gedanke und das Gefühl , der Schmerz und die Freude , wie aus gerechtem Stolz verschmähn : das alles mattet mich innerlichst ab , und läßt mich an der menschlichen Natur verzweifeln ! « Sie wollen Carlsbad wirklich so bald verlassen ? « fragte Stein gepreßt . » In einigen Tagen wird mich mein Gatte von hier abholen , « erwiederte sie leise . » Und gehen Sie gern von hier ? O verzeihen Sie diese unbescheidene Frage , gnädige Frau ! Nicht wahr , Sie sehnen sich nach der Heimath , nach dem Familienleben ! Wohl kann ich mir denken , wie Sie dort vermißt werden , welchen Segen Sie über Ihre Umgebungen verbreiten ! « » Ich habe keine Heimath ; ich kenne kein Familienleben , « entgegnete sie tonlos ; » überall stehe ich allein ! deßhalb ist es mir gleichgültig , wo ich lebe ! Vielleicht würde ich mich , wenn mir die Wahl frei stünde , gerade für Carlsbad entscheiden ; denn hier hatte meine Seele auf kurze Zeit eine Heimath gefunden . « Stein fühlte zu zart , um hierauf etwas zu erwiedern ; er bemühte sich nur , den Trübsinn der Frau durch eine leichte Unterhaltung zu verscheuchen . Als er bemerkte , daß sie sich entfernen wolle , bat er sie innig um die Erlaubniß , sie in diesen Tagen noch öfter sehen zu dürfen , er wolle eine theure Erinnerung mit fortnehmen : dies zu gewähren , sei ihr so wenig , ihm so unendlich viel ! » Gern gewähre ich das , « entgegnete sie lächelnd ; » und damit Sie sehen , wie ernst es mir damit ist , bitte ich Sie , mit mir heute Nachmittag nach meinem Lieblingsplatz Schlackenwerth zu reiten ! « Bei diesen Worten erhob sie sich , und ging auf ihren Salon zu . Hier wandte sie sich noch einmal um , und rief freundlich : » Bitte , Sie Unbekannter , Ihr Name ? « – » Eduard von Stein ! « – » Das klingt ja ritterlich genug ; und erinnert an die ganze , reichsunmittelbare Romantik ! Also auf Wiedersehen , mein lieber Ritter ! « Der junge Mann sah ihr in stillem , Entzücken nach . Diese Erscheinung übte eine Macht über ihn aus , der er sich nicht entziehen konnte . Gerade die liebenswürdige Kindlichkeit , vereinigt mit einem tiefsinnigen Zug , der Zauber einer seltenen Harmonie , der , alle Gegensätze versöhnend , über ihr ganzes Wesen ausgebreitet war , mußten einen Mann fesseln , den Denken und Leben in allen Widersprüchen herumgeworfen ; der gerade nach einer Harmonie suchte , in der die schreienden Mißklänge aufgelöst würden . Doch daß sie selbst nicht glücklich war , sie , die zum Glücke berufen schien , die den Mann ihrer Liebe zum Gott beseligen mußte : das war ein neuer , schmerzlicher Riß in der harmonisch vollendeten Schöpfung , die er im flüchtigen Traume dieser seligen Minuten sich zusammenphantasirt ! 7 Um vier Uhr hielten die gesattelten Reitpferde vor dem Wiesenthale . Madame Oburn sah reizend aus in ihrem stahlgrünen , enganschließenden Reitkleide , mit dem keck in die Locken gedrückten schwarzen Sammetbarett . Sie ritt sicher und kühn , mit Grazie in jeder Bewegung . Stolz auf seine Begleiterinn ritt Stein ihr zur Seite . Unter leichten , scherzhaften Gesprächen , den Eingebungen des Augenblickes , erreichten sie den Schloßgarten Schlackenwerths . Leicht sprang die Reiterinn vom Pferde , übergab es dem Diener und warf sich nachlässig auf eine geflochtene Weidenbank , die in der alten Kastanienallee , unter dem Schatten hoher Bäume , stand . » Hier ist mir wohl und heimlich , « rief sie aus ; » hier erinnert mich alles an meine Jugendzeit ! Drüben die alte Dorfkirche , das kleine trauliche Pfarrhaus . O welches friedliche Glück mag jene engen Räume bewohnen ! Wie thöricht , sich immer hinauszusehnen in's Weite , während allein in dem nächsten Kreis , in enger Umgränzung wahre Befriedigung möglich ist ! « » Sie sind auf dem Lande erzogen , gnädige Frau ? O schildern Sie mir Ihre Kindheit ! Meine aufrichtige Theilnahme macht mich ihres Vertrauens werth . « » Mein Vater war Prediger auf dem Lande ; ich sein einziges Kind ! Aus den engen Lebensverhältnissen sehnte ich mich hinaus und vor meiner Seele stand , als einzig erstrebenswerth , ein bewegtes Leben mit allen Freuden der Welt : Ich war bis zu meinem sechszehnten Jahre fast nie über die Gränzen unseres Dorfes hinaus gekommen ; nur meine Phantasie , deren angeborene Glut durch mannigfache Lektüre genährt war , schuf mir , jenseits des idyllischen Bereichs , ein Eldorado voll unbestimmten Glückes . Jedes Posthorn , das von ferne her durch die einsame Gegend schmetterte , entlockte mir Thränen der Sehnsucht . Ich wollte in die Welt ; ich wollte glücklich sein ! Jetzt « – fuhr sie bewegter fort ; – » jetzt habe ich die Welt , und was darin Glück heißt , kennen lernen ; Reichthum , ein glänzendes Leben hat mir das Schicksal geschenkt , und nun ich alles das erreicht , alles genossen – nun ist es mir werthlos – hat in Wahrheit nie für mich Werth gehabt . Das habe ich mir längst mit Schmerz bekannt , und fühle es stündlich drückender ! Und so sehne ich mich jetzt zurück nach der friedlichen Heimlichkeit engumschlossener Verhältnisse , die ich einst in jugendlicher Hast zu durchbrechen wünschte ! « » Sie sind ungerecht gegen sich , gegen andere , gnädige Frau ! Ein freundliches Schicksal hat sie in die Welt geführt – uns allen zum Heil ! Es liegt in Ihrem Wesen etwas Freies und Frisches , das Erlösung bringt von all' den verknöcherten morschen Verhältnissen , von all' der Heuchelei einer in sich zerfallenen Gesellschaft ! Und ist es nicht lohnender Beruf genug , auch nur einzelne Geister erquickend aufzurichten , welche in der allgemeinen Erschlaffung und Zerrüttung sonst rathlos untergehen würden ! Solche Erlösung haben Sie mir gebracht ; solche Erlösung werden Sie noch Vielen bringen ! « O Egoismus der Männer ! Auch die besten denken nur an sich selbst ! « entgegnete die Oburn scherzend . Der Abend war drückend schwül geworden ; ein schweres Gewitter war am Horizont heraufgezogen , einzelne Blitze zuckten durch grauschwarze Wolken , denen kein kühlendes Naß enttropfte . Es ging ein stummer , drückender Schmerz durch die Natur , und das Auge des Himmels schien fast krampfhaft seine Thränen zurückzuhalten . Die Blitze fuhren hin und her , angstvoll , wie prophetische Boten eines nahen Unheils , und unheimlich dumpfe Ahnungen bemächtigten sich der Gemüther der Menschen . Schweigend ritt Madame Oburn mit ihrem Begleiter wieder dem imposanten Carlsbad zu . Sie war sehr ernst geworden . Ihre Brust hob sich unter tiefen Seufzern , und ihr Auge folgte den kreuzenden Blitzen in stiller Melancholie . Stein sah nichts außer ihr . Fast verzückt , mit der Inbrunst des Sünders , der die verklärte Himmelsköniginn um Gnade fleht , hingen seine Blicke an ihrem Antlitz , an der jugendlich idealen Gestalt , und nahmen dies Bild in sich auf , unvergeßlich , unverlöschbar ! Er suchte ihre Gedanken zu enträthseln und erkannte wohl an dem schmerzlichen Ausdruck ihrer Züge , daß sie nicht von Liebe träumte ; denn die Liebe mußte diese Züge ja wunderbar lichten und erhellen , wie die Frühlingssonne die Erde nach starrem Winter ! Mit einer ihr nur eigenen , holden Biegung des Halses sah die Oburn jetzt zu ihrem Begleiter herüber : » Ich bin maßlos langweilig , lieber Stein , vergeben Sie mir ! Ich gab meinen Gedanken Audienz ! Wie wechselvoll ist doch das Innere des Menschen ! Früher erfaßte mich stets eine große Bangigkeit während des Gewitters ! Um den Blitz nicht zu sehen , verbarg ich als Kind mein Köpfchen in den Schooß der Mutter , als wäre ich hier gegen jede Gefahr gefeit . Heute weitet sich meine Brust bei dem Rollen des Donners , mein Auge labt sich an den feurigen Strahlen , die so keck , wie junge , lebensfrische Gesellen , den Wolkenvorhang zerreißen , als wollten sie der Natur in's Herz sehen . Ja , ich kann es mir schön denken , zu verglühen , von diesen Strahlen getroffen ! O , die Welt mit ihren Freuden ist mir oft zu verächtlich ! « Auf diese Worte aus dem Munde einer ein und zwanzigjährigen , schönen , gefeierten Frau wußte der junge Mann nichts zu erwiedern , und stumm langten Beide in dem Wiesenthale an . » Mögen die guten Geister der Liebe Sie in dieser Nacht umschweben ! « rief der Baron bedeutungsvoll zum Abschiedsgruß . Kaum war Madame Oburn unter ihr schützendes Dach getreten , als sich das Gewitter gewaltig entlud . Frau Meier , als gute Katholikinn , lag vor ihrem Crucifix , das auf einer Art Betpult im Schlafzimmer stand , auf den Knieen . Sie betete ihr Ave Maria , flehte die Mutter Gottes um Schutz an , zankte dann wieder mit ihrer Therese , und wechselte so mit himmlischen und irdischen Gedanken . Sobald die Heftigkeit des Donners etwas nachgelassen , öffnete sie die Hausthüre und sah sich rings mit spähenden Blicken um . Endlich gab ein heftiger , großtropfiger Regenguß dem krampfhaft zusammengezogenen Gewölk , das in schwüler Spannung am Himmel lagerte , und den durch Angst zusammengepreßten Menschenherzen die ersehnte Erleichterung . Frau Meier wünschte der Madame Oburn , wie sie es gewöhnlich zu thun pflegte , eine sanfte Nacht , versicherte » Dero Gnaden , « das Gewitter sei vorüber ; sie brauche sich nicht zu ängstigen , und solle es ja wiederkehren , so schlafe sie dicht neben Madame und sei zu jedem Dienst bereit . Hierauf öffnete sie noch einmal die Pforte , um den Himmel zu observiren , und ließ dabei leise eine hohe , dicht in den Mantel gehüllte Gestalt hereinschlüpfen . Dann verrichtete sie ihr übliches Nachtgebet und entschlief mit dem stolzen Bewußtsein , einen wichtigen Tag verlebt zu haben . Madame Oburn hingegen ging unruhig im Zimmer auf und ab . Endlich öffnete sie die Fenster wieder und sah in die schöne , nun stille Nacht hinaus . Die Luft war prächtig frisch und kühl geworden . Die Oburn konnte dem Verlangen nicht widerstehen , noch im Freien umherzuwandeln . Rasch warf sie über das leichte Nachtkleid eine Mantille , steckte die zarten Füßchen in feste Schuhe , und huschte gedankenleise zum Saal hinaus . Es war gerade die reichste , üppigste Blüthenzeit des Jahres ; tausend erschlossene Blüthen strömten süß betäubenden Duft aus , der wie ein magisches Netz die Sinne gefangen hielt . Von Rose zu Rose ging die junge Frau , trank mit durstigen Lippen aus jedem Kelch die frischen Regentropfen , und nachdem sie so erquickende Frische eingesogen , brach sie noch tyrannisch die beraubten Blüthen und warf sie zerpflückt den Wellen der Eger zu . Einzelne helle Sterne lauschten dem kindischen Spiel und blickten doch so heilig ernst dazu , als begriffen sie des Spieles tiefe Bedeutung . » Ich bin mild gegen euch , ihr schönen , schönen Blumen ; ich vernichte euch in eurer Schönheit ; ich erspare euch den Schmerz nach und nach verwelken zu müssen ! Ich bin gerechter als die Natur , die auch uns nur so kurze Zeit das Recht auf Glück und Liebe ertheilt , und uns dann , wenn die Tage der Jugend vorüber , zu den Qualen langer Entsagung verdammt ! « So wühlte die junge , schöne Frau gedankenvoll in den unheimlichen Tiefen des Lebens . Am Ufer des Flusses stehend , sah sie starr in das Wasser hinein , so lange , bis es ihr unheimlich wohl ward und die Fluth sie lockend herab zu ziehen drohte ! Da eilte sie rasch fort , als wollte sie der Gefahr entfliehen , und es war ihr , als ob sie hinter sich leise Fußtritte hörte . Geängstigt beflügelte sie ihren Schritt , dem Schlafgemach zu . 8 Mitternacht war vorüber . – Madame Oburns Gemach war ganz von frischem , würzigem Dufte durchdrungen , den es , aus tausend Blumenkelchen , nach dem Gewitterregen eingeschlürft hatte durch die offenen Fenster . Es wurde erhellt durch eine weiße Alabaster-Ampel , die zwischen den faltigen , durchsichtigen Vorhängen des Himmelbettes hing , das auf bronzenen Füßen ruh'te . Das trauliche Helldüster , die üppigen , bunten Fußteppiche , eine kleine Orangerie , die auf zierlichen Blumentischen am Fenster stand , und nur einzelne , große Silberflecken des anschwellenden Mondlichtes auf den Fußboden durchfallen ließ : alles das gab dem Zimmer einen so malerischen Anstrich , daß die hohe dunkle Gestalt , welche so eben die Thüre öffnete , und dann fest hinter sich verschloß , eine Zeitlang wie festgebannt dastand , und hochaufathmend die Blicke umherschweifen ließ . Es war der Prinz C** , in ein feines , etwas phantastisches Negligée gekleidet . Leichte mit Gold gestickte Stiefel von weißem Sammet machten sein Auftreten fast unhörbar . Weite , orientalische Beinkleider von rosenrother Seide , und ein faltiger kurzer Rock von dem selben Stoff bildeten die übrige Bekleidung . Ein weißer , schöner Männerhals , von dichtem schwarzem Bart beschattet , stieg aus dem zurückgeschlagenen Battist-Hemdkragen hervor , und machte der Weiße einer schöngeformten Hand , an der es von werthvollen Steinen blitzte , den Preis streitig . Eine fieberhafte Glut hatte sich auf seinen Schläfen gelagert , und mit jedem Schritte , den er vorwärts that , fing sein Herz lauter an zu schlagen . Von einem tiefen gesunden Schlaf leise geröthet , lag die junge Frau auf ihrem Bette , dessen leichte , roth seidene Decke sich gesträubt zu haben schien , die vollen , reizenden Formen ganz zu verhüllen . Sie lag dem Zimmer zugewandt , die Hände auf dem Busen gefaltet . Ein süßer Traum schien im Vorüberschweben sich in dem seligen Lächeln ihres Mundes gefangen zu haben . In dem ganzen , zauberhaft wirkenden Bilde lag nichts Ueppiges , nichts Kokettes . Keine herabwallenden Locken , keine entblößte Schulter . Aber das Nachthäubchen , welches die aufgewickelten Haare barg , umschloß mit seinem Rahmen von feinen , Brüsseler Kanten ein so liebliches Madonnenantlitz , zwei übereinandergeschlagene Füßchen sahen am Ende des Bettes so unschuldig aus den weißen Leinen hervor , daß dies ganze reizende Bild mehr zur Andacht einlud , als zu wilder Begierde . Dem Prinzen aber , dem jede höhere Regung fern lag , weil er nur eine Liebe kannte , die dem Schimmer des Goldes feil war oder der Eitelkeit zum Opfer fiel – zog es mit stets wachsender Gewalt zu dem Bette der schönen Frau . Zitternd vor Aufregung , gepreßt und heißathmend war er nur noch einen Schritt von der Schläferinn entfernt . Leise ließ er sich auf ein Knie nieder , hob , noch unschlüssig über seinen Angriff , die Decke in die Höhe , und küßte den rosigen Fuß der Madame Oburn . Das aufwallende Blut röthete seine Augen . Einen Augenblick verweilte er , halb betäubt von so vollendeter Schönheit ; dann plötzlich , mit den Zähnen knirschend , stürzte er mit den Worten : » Weib , Du mußt mir gehören ! « über sie , schloß ihren Mund fest durch den seinigen , so daß sie nur einen schwachen Laut von sich zu geben vermochte , zerriß mit gewaltiger Kraft ihr Nachtgewand , und schleuderte es mit der Decke weit in das Zimmer hinein . Madame Oburn hatte ihn erkannt ; doch trotz der gewaltigsten Anstrengungen war es ihr unmöglich , sich loszuwinden ; sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe , als der Prinz , der ihre allmählige Abspannung für ein Zeichen der Nachgiebigkeit hielt , das Haupt emporhob , um etwas zu sprechen . Diesen Augenblick benutzend , stieß die Oburn einen Schrei aus , der seine Wirkung nicht verfehlte . Man hörte eine Fensterscheibe klirren , sah eine kräftige Männerfaust durch die Oeffnung hindurch , nach dem Fensterriegel langen , während der Prinz , durch den Lärm aus seinem Taumel geweckt , aufsprang , und regungslos dastand ; die Oburn aber alles , was sie von Leinenzeug und Gardinen zusammenraffen konnte , um sich zog , damit zur Thüre hinstürzte , wo die Klingel für ihre Dienerschaft hing , heftig schellte , und dann ohnmächtig niedersank . In diesem Augenblick sprang Herr von Stein – denn er war es , der die ganze Nacht hindurch unter dem Fenster der von ihm so hochgeehrten Frau zugebracht – in das Zimmer , und stand , bleich vor Wuth , mit funkelnden Augen , vor dem Prinzen , der nicht mehr wußte , was um ihn vorging . Die Worte des Barons , voll heftigster Beleidigung , brachten ihn endlich wieder zur Besinnung . Er , der mit dem Bewußtsein eines ertappten Schulknaben , dem Baron gegenüberstand , schien plötzlich einen raschen Entschluß zu fassen , und sprach in spöttischem Ton : » Es thut mir leid , lieber Baron , Ihnen hier zuvorgekommen zu sein , « und ging auf die Thüre zu , vor welcher man schon die Tritte der nahenden Dienerschaft hörte . Seine Absicht war augenscheinlich , wenigstens den guten Ruf der Oburn zu vernichten . Die Dienerschaft kannte ihn nicht – und wäre auch seine Anwesenheit im Zimmer dieser Dame bekannt geworden , so hätte doch Niemand vorausgesetzt , daß der schöne geistreiche Mann hier Widerstand gefunden . Im schlimmsten Fall ließ sich die Geschichte mit einem geringen Aufwand von Escamotage drehen , indem man das Gerücht verbreitete , daß der Prinz die Madame Oburn vor den Zudringlichkeiten des Herrn von Stein gerettet . Natürlich wäre es hier wiederum allen einleuchtend gewesen , daß der Prinz nicht unbelohnt einen solchen Ritterdienst geleistet . Stein , ein Mann von vieler Geistesgegenwart und raschem Ueberblick , hatte in einem Moment alle diese Möglichkeiten erfaßt und überdacht . Schnell sprang er nach der Wand zu , wo ein Paar Pistolen des Herrn Oburn hingen ; ein Blick überzeugte ihn , daß sie geladen seien , und so bewaffnet trat er zwischen den Prinzen und die Thüre , an welcher schon die Kammerjungfer , von Zeit zu Zeit , um Hülfe rufend , mit aller Anstrengung rüttelte . Oben im Hause war alles lebendig geworden . » Noch einen Schritt weiter , « flüsterte Stein , » und bei Gott , ich schieße Ihnen diese Kugel vor den Kopf ! durch das Fenster ist unser Weg . « Der Prinz wollte vorwärts ; Stein legte an . Der starre , durchbohrende Blick , der festzusammengepreßte Mund dieses Mannes zeugten dafür , daß er es bei einer bloßen Drohung nicht lassen würde . Der Prinz , dem die nahe Mündung einer Pistole ein unerwarteter Anblick schien , ward kreideweiß , wandte sich rasch um , und schwang sich über das Fenstergesimse des hohen Parterres hinab in den Garten , wo er im Dunkel verschwand . Stein folgte ihm sogleich , nachdem er noch einen Blick unaussprechlicher Trauer auf die ohnmächtig daliegende Frau geworfen , und einen Rubinschmuck , der sich auf den Toilettentisch befand , zu sich gesteckt . Die fast gleichzeitig durch die aus ihren Angeln gehobene Thüre eindringenden Diener sahen ihn noch am Fenster verschwinden , und fanden auf dem Boden das leere Schmuck-Etui ! Der Ruf : » Diebe , Diebe ! « tönte durch das ganze Wiesenthal ; Laternen zeigten sich in der Ferne ; alles war in Aufruhr und Bewegung ; bis zum lichten Tage dauerten die Nachforschungen ; doch weder von den Dieben , noch von dem Schmucke war irgend eine Spur aufzufinden . 9 Aus einem kurzen und unruhigen Schlummer wurde Madame Oburn nach jener Nacht durch die Ankunft ihres Gatten geweckt . Lärmend und pfeifend , wie es seine gewöhnliche Art war , polterte er in's Zimmer und rief : » Gott verdamme mich ! Da finde ich Dich noch Mittags in den Federn ! Habe ich Dich nicht nach Carlsbad geschickt , damit Du mit den Hühnern aufstehn lernst , Brunnen trinkst und tüchtig spazieren läufst ? Na , Kleine , mach' nur nicht ein gar zu betrübtes , weinerliches Gesicht ! Es ist ja nicht böse gemeint ; aber mach' nur rasch , laß' Dich ankleiden und komme zum Frühstück in den Garten ; denn ich trinke gern ein Gläschen Wein mit Dir ! Donnerwetter , « unterbrach er sich plötzlich selbst ; » was ist denn das ? Da liegen ja meine Pistolen auf der Erde ; die Fensterscheiben sind eingeschlagen ; Du siehst bleich und angegriffen aus ; was ist hier geschehen ? Verschweige mir nichts ! Denn ich bin strenge und wüthend , wenn Du mich hintergehst ! « Am ganzen Körper zitternd und sichtbar mit sich selbst kämpfend , schlug die Frau das Auge scheu zu Boden . Sie war immer wahr gewesen . Ohne daß sie ihren Mann liebte , hielt sie die Ehe doch für so heilig , daß sie aus ihren Erlebnissen ihm nie ein Geheimniß machte . So wollte sie auch jetzt treu die Vorfälle der letzten Nacht schildern ; doch als sie erschreckt von dem zornigen Blick ihres Gatten , sich umwandte , sah sie das leere Schmuck-Etui . Wie ein Blitz durchzuckte sie der Gedanke , daß Stein , um ihre Ehre zu retten , mindestens allen Klatschereien , die das Abenteuer nach sich ziehen könnte , vorzubeugen , ihren Schmuck zu sich gesteckt . Sobald ihr diese Absicht klar geworden , stand auch ihr Entschluß fest . Die Farbe vom zartesten Weiß bis zur Purpurglut wechselnd , erwiederte sie erschöpft und zitternd : » In vergangener Nacht müssen hier Diebe eingebrochen sein und meinen Rubinschmuck entwandt haben . Als ich durch das Klirren der Fensterscheiben aus meinem festen Schlaf geweckt wurde , sah ich zwei männliche Gestalten durch das offne Fenster dringen . Trotz meines großen Schrecks hatte ich noch die Besonnenheit , rasch aufzuspringen und meine Leute durch das heftige Ziehen der Klingel zu wecken . Dann schwand mir das Bewußtsein , und ich sank ohnmächtig zu Boden . Was weiter geschehen , weiß ich nicht . Als ich nach langer Zeit wieder zu mir kam , fand ich mich im Bett , und neben mir die gute Lisette , die mir unter dem heftigsten Weinen meinen Verlust mittheilte . « Eine Flut von Thränen verhinderte sie , weiter zu reden . Herr Oburn , der diese Thränen dem verlornen Schmuck zuschrieb , dem überhaupt nichts in der Welt verhaßter war , als das Weinen , sprach liebkosend : » Nun , gräme Dich nicht zu sehr um das bischen Gold , mein Herzchen ! Ich kaufe Dir wieder einen andern Schmuck ; aber nun sei auch heiter ; zeige mir ein freundliches Gesicht ; das ist mir lieber , als alle Deine Preciosen . « Durch diese unerwartete Milde ihres Gatten weich gestimmt , lehnte sie ihr Haupt an seine breite Brust , und flüsterte : » Du hättest mich nicht so lange allein hier lassen sollen , lieber Oburn ! Ich sehnte mich fort von hier ; nun laß ' uns aber auch schnell abreisen – heute noch ; oder lieber gleich in dieser Stunde . « Herr Oburn , geschmeichelt , durch diese Sehnsucht seiner Frau , nach Hause zurückzukehren , strahlte vor Glückseligkeit , nahm sie jubelnd in seine Arme , tanzte mit ihr im Zimmer umher , und erdrückte sie fast vor lauter Zärtlichkeit . All' die vielen unangenehmen Vorbereitungen , die eine Abreise immer mit sich bringt , waren beseitigt , Rechnungen und Trinkgelder bezahlt , die Reisekoffer gepackt . Madame Oburn ging noch einmal in den Garten , nahm wehmüthig von jeder Lieblingsstelle Abschied , pflückte hier und da eine Blüthe und band sie zum Strauß , den sie vor den wallenden Busen befestigte . Als sie eben den Reisewagen besteigen wollte , kam ihr Brunnenarzt , um für das reichlich übersandte Honorar seinen pflichtschuldigen Dank abzustatten . Die unermüdliche Zunge dieses jungen Aeskulaps erging sich noch nebenbei in mancherlei Mittheilungen aus der Badewelt . Er schloß die Carlsbader Tageschronik mit einer interessanten , aber traurigen Neuigkeit . » Wissen Sie schon , daß heute Morgen im Schloßgarten zu Schlackenwerth ein Duell zwischen dem Prinzen C** und dem Baron Stein stattgefunden hat , und daß der Letztere dabei gefallen ist ? Man beklagt allgemein den liebenswürdigen , jungen Mann , und die Neugier müht sich ab , die verborgene Veranlassung zu diesem unglücklichen Duell zu entdecken . Prinz C** soll , wie mir eben sein Leibarzt erzählt , durch diesen Fall tief erschüttert sein , und ist , wie Sie , meine Gnädige , eben im Begriff , Carlsbad zu verlassen . « Madame Oburn preßte , ohne ein Wort zu entgegnen , krampfhaft ihre beiden Hände auf das Herz . Ihrem Gatten sowohl , wie dem Arzt , entging es , welch ' unheilbaren Riß diese Worte in ihr Leben gemacht . Fast gefühllos , ließ sie sich in den Wagen heben , und lehnte das Haupt in die weichen Kissen . Bei der ersten Barrière traf ihr Wagen mit dem Reisezug des Prinzen zusammen – dann fuhr sie gen Osten , er nach Westen ! 10 Das traurige Schicksal des Baron Stein hatte in Carlsbad überall die regste Theilnahme erweckt . Wenn auch die Bedeutung seines Wesens der Menge entging ; wenn ihn auch viele für einen Schwärmer , für einen Sonderling hielten , für einen Melancholiker , der mitten in dem Leben und Treiben der großen Welt für seine Gedanken sich ein eigenes Reich erschuf , so wurde er doch in allen Salons gern gesehen ; denn er galt für eine interessante Erscheinung , und hatte die feinen Manieren und den edeln Anstand eines Gentleman . Baron Stein war von seiner Familie für die diplomatische Carriere bestimmt worden ; doch sein Herz blieb der kalten Taktik dieses Feder-Despotismus fremd , und hing mit treuer Begeisterung an den burschenschaftlichen Idealen seiner Jugend . So war sein Inneres in einen unlösbaren Zwiespalt zwischen Neigung und Beruf , zwischen den Ansprüchen des Herzens und den Forderungen der Welt hineingerathen . Dieser innere Kampf , der ihn nach außen hin kalt und abgeschlossen machte und auch jedes versöhnende Element fernhielt , mit dem vielleicht ein edles , weibliches Herz in treuem , innigem Verständniß , sein Leben beglückt hätte , spricht sich , in seiner ganzen Bedeutung , in dem Tagebuch des Barons aus . Einzelne Blätter daraus wollen wir unsern Lesern nicht vorenthalten , da gewiß die kurze Episode aus dem Leben des Barons , die wir mitgetheilt , bei ihnen das Interesse für sein inneres Leben erweckt . Tagebuch-Blätter . Die Feuer der Wartburg sind ausgebrannt , und die officielle Geschichte trägt eine jugendliche Verirrung in ihre Bücher ein , während die Inquisition mit ihren Ketten und Torturen , wiederum durch die deutschen Lande rasselt . Eine jugendliche Verirrung ! Doch diese Jugend kam ja nicht von den Schulbänken her , träumte ja nicht von der Republik eines Cato und Brutus , mit der Inbrunst eines schwärmerischen Lateiners , der die todten Lettern seiner Klassiker zum Leben erwecken will in der Gegenwart . Diese Jugend hatte mitgestritten in den Schlachten von Leipzig und Belle-Alliance , nährte sich mit dem Marke großer Thaten , hörte die Würfel eines bedeutsamen Weltgeschicks auf den blutigen Schlachtfeldern fallen , sah dem Tod in das Auge , und lernte die Geschichte , indem sie dieselbe schaffen half ! Das eiserne Kreuz schmückte ihre Brust ! So hatten sie das Vaterland erlös't aus langer Knechtschaft , auf daß es , von innen heraus , nach eigenem Gesetz , sich emporringe zur Freiheit , und sie nicht empfange als die Gabe eines fremden Volkes , als die Nachlese einer fremden Revolution ! Wohlan , ihr diplomatischen Kläger , ihr habt Recht ! Ihr macht diese Begeisterung , die eure Schlachten schlug , die an die Freiheit glaubte , sie nach außen errang , sie nach innen erringen wollte – ihr macht sie zu einer jugendlichen Verirrung . Fast wird es mir schwer , zu glauben an den Fortschritt der Menschheit , an eine innere , heilige Nothwendigkeit , an des Geistes siegreiche Macht , der in immer neuen Formen zu immer höhern Entwickelungen reift ? Aber ich muß daran glauben – soll mir die Geschichte nicht zu einem großen Leichenfeld werden , auf dem eine maßlose Willkühr triumphirt ; auf dem des Lebens Gestalten zu gespenstischen Schatten werden . Und doch – Griechenland und wir , das Volk der göttlichen Schönheit und Jugend und Freiheit – und wir ! der Areopag – und der Bundestag ! Oder die Zeiten des vorigen Jahrhunderts , das römische Reich , mit seinen Reichstagen , seiner Reichsarmee , seinem Reichskammergericht , seinen lächerlichen Reichsmittelbarkeiten , mit den Fürsten , die das Mark und Herzblut vergeudeten , mit ihren Maitressen und Juristen und Pfaffen , mit ihren Kriegen um ein Titelchen des Rechts oder der Etikette , um einen Fetzen Landes ; mit ihren Ministern und Juden , die sich in die Beute theilten ! O , auch der Glaube an den Fortschritt der Menschheit muß stark sein in der innersten Seele , so stark , daß er Berge versetzen kann ! Denn die Geschichte selbst scheint an ihm zu verzweifeln ; ihre Blätter stehen voll kühner Skepsis ; und die Gegenwart bietet keinen Trost und keinen Halt . Ein blasirtes Geschlecht hält es für Thorheit , an Ideen zu glauben und nach ihrer Verwirklichung zu ringen . Die feine Welt verachtet die Ideologen , die Schwärmer , deren Compaß nicht von dem Wind der faden Mode umgetrieben wird ; die in dem flüchtigen Genuß des Augenblicks nicht aufzugehn vermögen ! Da schlürfen sie , die Diplomaten , die Aristokraten , die ganze Seligkeit eines komfortablen Lebens , spielen , wie Mückenschwärme in der Abendsonne , während es in den Völkern rollt und grollt , wie Donner ferner Revolutionen , und ihre Blitze aufzucken am Horizont der Geschichte ! Ein gewandter Styl , eine glückliche Wendung , ein Federstrich , eine Laune hat über das Schicksal ganzer Nationen entschieden , deren blutige Heldenthaten nichts waren , als Tagelöhnerdienst im Sold der Diplomatie , welche Siege und Niederlagen , das credit und debet der Geschichte , in ihre offiziellen Contobücher eintrug ! Doch die Zeit wird und muß anders werden ; es sind nicht blos Gespenster , die in meinem Kopf herumpoltern ; es ist ein Geist , der draußen in den Völkern groß wird , eine neue Geschichte nervig und markig , die nicht mehr in den Salons der bevorzugten Stände die diplomatischen Polonaisen aufführt , um deren Gunst man nicht freit mit Glacé-Handschuhen und eleganten Phrasen ; nein , eine ungezogene , demokratische Geschichte mit der wilden Musik der Ça ira's , dem stürmischen Aufjauchzen einer lang unterdrückten Volkskraft . Die Kirche und Pfaffen der Restauration haben das Volk lange genug mit ihren Hungersuppen gespeist ! Panis et circenses – Brodt will das Volk ; die blutigen Spiele giebt es aus eigenen Mitteln dazu ! Das nennen sie : leben ! Aus einem Boudoir in das andere , aus einem Salon in den andern , tanzend über das Parquet mit gefirnißten Stiefeln , oder den Estricht fegend mit den Schleppen ihrer Kleider ! Eine Minute jagt athemlos der andern nach ; und so hetzen sie sich selbst durch das Leben ! Und mit wilder Gier häufen sie Amüsement auf Amüsement , nur die Stunden auszufüllen , und dennoch fühlen sie immer wieder , trostlos und geängstigt , die ewige , fürchterliche Leere . Und was ist aus den Frauen geworden ? Wir Burschenschafter glaubten an das Ideal der Jungfräulichkeit . Es war eine Reminiscens aus Tacitus oder aus dem katholischen Glauben des Mittelalters . Doch die Zeit der alten , germanischen Frauen ist vorübergegangen , wie die Zeit der Madonnen . Jede Zeit hat ihr eigenes Recht . Nicht in der Entsagung , sondern in der liebenden Hingabe finden wir die edle Weiblichkeit . Eine reflektirende Zeit , die in den Gedanken , in das Bewußtsein die Göttlichkeit setzt , kann keinen Respekt mehr haben vor paradiesischer Unschuld und Bewußtlosigkeit , die nur einem naiven Zeitalter eigen ist . Darum wäre es thöricht , von den Frauen solche utopische Gedankenarmuth zu fordern , oder wohl gar das weibliche Ideal in diesen schuldlosen Zustand zu setzen , der bei unseren Verhältnissen nur gemacht sein kann , eine affectirte Prüderie . Eine andere Schranke aber muß die Weiblichkeit wahren ; und wenn sie die Scylla der Prüderie vermeidet , nicht in die Charybdis der Prostitution gerathen . Prostitution aber ist die Hingabe der Liebe , in oder außer der Ehe , ist das Wegwerfen der eigenen Persönlichkeit ! Diese hoch zu halten , diese nur gegen den Preis der Liebe hinzugeben , dies schöne Maß zu bewahren – das ist in unserer Zeit des Weibes einzige Unschuld und Sittlichkeit . Nichts geht doch über eine harmonische Erscheinung ; der Triumph , den die Natur in ihren Schöpfungen feiert ! Wenn der Körper zum lebendigen Ausdruck der Seele geworden , jede seiner Bewegungen ihre Grazie athmet , und das Ebenmaß seiner Formen ein Abbild ist ihrer innern , maßvollen Schönheit : dann ist schon der Anblick eines solchen Wesens Göttergenuß , ein trunkenes Schwelgen in den ewigen Rhythmen der Welt ! Ich habe ein solches Weib gesehn , und ich bin andächtig geworden ! O es giebt einen schönen Katholicismus des Herzens , der mich zum Proselyten machen könnte ! Eine solche gnadenreiche Madonna in ihrer Glorie , eine fleischgewordene Offenbarung der ewigen Schönheit kann Wunder thun an mir ! Und sie befreit den Geist und knechtet ihn nicht ; denn Schönheit ist Freiheit . Leidenschaftlich , rücksichtslos folgt er ihrem Schritt , hängt sich an ihre Fersen ! Denn die Herren der Welt machen ihre Rechte geltend , und fordern die Schönheit als ihr Regal ! Mit dem unwiderstehlichen Zauber ihrer Macht , der die fluchwürdig erniedrigte Sclavenwelt mit den Schauern der Unterthänigkeit schüttelt , sprengen sie alle Riegel , die man vorsichtig dem Gewissen des Volkes vorschiebt , und sanktioniren das Verbrechen , indem sie es selber begehn ! Es liegt etwas Großes in der ungebundenen Schrankenlosigkeit eines nur sich selbst gehorchenden Lebens ! Doch wenn diese Größe ein Recht der Menschheit ist , so darf sie nicht ein Vorrecht Einzelner sein . So kann sie nur zerrütten , zerstören ; und ich werde ankämpfen gegen dies Monopol des Verbrechens bis zum letzten Athemzug ! Ein schöner Nachmittag ! Dies Weib ist Poesie ; ihr ganzes Wesen ein Gedicht ! Mir war's , als umschwebten sie all' die herrlichen Geister der Vergangenheit , von den lieblichen Idyllen Griechenlands , über denen ein ewig heiterer Himmel ruht , wie das klare Auge eines Gottes , bis zu Petrarkas träumender Romantik , die an Vaucklüsens rauschendem Quell der Liebe unsterbliche Lieder singt ! Und dann wetterleuchtet's wieder auf in ihr von modernen Gedankenblitzen , aus dem Schoß einer zerrissenen , gährenden Zeit geboren , prophetisch die dunklen Tiefen der Zukunft erleuchtend ! Der Besitz eines solchen Weibes wäre der Schlüssel zu allen Mysterien des Lebens , zu allen Offenbarungen der Poesie . Ich habe nie geliebt ! Auch das ist nicht Liebe ! Liebe ist unruhig und voller Wünsche ; stets unzufrieden mit dem Nächsten , stets hinauslangend in die Ferne ! Von einer Stufe der Seligkeit strebt sie nach der höhern hinan ; und ihre Himmelsleiter ist unendlich ! Ich bin ruhig und zufrieden , glücklich , wenn ich vor roher Hand ein vollendetes Werk beschützen kann , das die Natur in ihrem Allerheiligsten aufgestellt . Das beseligt mich ; das genügt mir ! Ich bin ein treuer Wächter , und werde es nicht dulden , daß der Vandalismus der rohen Begierde dies harmonisch gestimmte Saitenspiel zertrümmert . Das Gewitter hat sich entladen ! So folge Schlag auf Schlag – und sei er auch tödtlich ! Er wagt sein prinzliches Blut gegen das meine – er nimmt es auf mit dem Tod , dem uralten Demokraten ! Ich seh' ihm dreist in das Auge ! Ich falle , wie der Soldat auf seinem Posten ! Oder ist meine Kugel dreist genug , ihm in's Herz zu dringen , und ihm unwiderleglich das Evangelium der Gleichheit zu predigen – so bezieh' ich wieder meine Wacht , stumm und treu , ohne Dank zu verlangen ! Doch ich werde fallen – ich weiß es ! Solcher Tod ist schön – und das Leben könnte noch schmerzlich werden ! Es könnte anders kommen ! Eine Leidenschaft , so tief sie verborgen , so schwer sie gefesselt , könnte aufsteigen , maßlos , alles verlangend , alles durchbrechend , und den treuen Hüter zum frevelnden Räuber machen ! Dagegen giebt es nur ein Radikalmittel – der Tod ! Die Pistolen sind geladen ! Glück auf ! 11 Im Comtoir des Fabrikherrn Oburn war wenige Monate nach seiner Rückkehr vom Bade unter den Commis eine große Unruhe und Unthätigkeit wahrzunehmen . Die Feder hinter das Ohr geklemmt , sahen sie entweder neugierig in die nahe Fabrik , die von den Fenstern des Comtoirs zu übersehen war , oder auf den Buchhalter Ehrig , und flüsterten sich dabei verstohlen einige Worte in 's Ohr . Das Gesicht des Herrn Ehrig gab ihnen indeß nicht den gewünschten Commentar – es war heute so undurchdringlich ernst , wie es immer zu sein pflegte . Nur die hohe , tiefgefurchte Stirn war noch etwas finsterer als gewöhnlich zusammengezogen , und die schwarzen intelligenten Augen verschlangen gleichsam die Zahlen des vor ihm aufgeschlagenen Hauptkassenbuchs . » Da muß es nicht richtig sein , « lispelte einer der pomade-duftigen Comtoristen seinem Nachbar zu , der ihm ähnlich sah , wie ein nichtssagender Abdruck ; » da fehlt 's , o , das habe ich schon lange bemerkt . « Der Buchhalter , der mit seinem Ohr diese Bemerkung gehört , wandte sich rasch auf seinem runden , hohen Schreibsessel um , sah die faden Gestalten drohend an , und schien im Begriff , ihnen eine Lektion geben zu wollen , als das plötzliche Oeffnen der Thür , die zur Fabrik führte , und der Anblick , der sich ihm hier darbot , ihn alles andere vergessen machte . Zwölf Männer aus der arbeitenden Klasse , dem Greisenalter nah , sichtbar abgemagert , mit eingefallenen , hohlen Augen , den Rücken krumm gezogen durch übermäßiges Arbeiten , die Hände voller Schwielen , um den elenden Leib einige Kleiderfetzen hängend , traten langsam , einer nach dem andern , ein . Es waren die verschiedenen Werkmeister der Oburnschen Fabrik . Kummervoll überschaute Ehrig jede einzelne Figur ; doch er suchte seine Rührung zu verbergen , und frug ziemlich barsch : » Nun , was soll das ? Warum verlaßt ihr die Fabrik während der Arbeitsstunden ? Ich muß euch für diese Versäumniß die übliche Taxe eures Wochenlohns abziehn . Geht schnell zurück ; was wollt ihr hier ? « Da ergriff der älteste unter ihnen , Webermeister Schmidt , das Wort : » Was wir wollen , Herr Buchhalter , das will ich Ihnen jetzt im Namen aller meiner Kameraden sagen . Wir sind hier um mit unserm Herrn zu reden , weil wir nicht Hungers sterben wollen mit Weib und Kind . Das ist wahrhaftig Grund genug ! Ihr Herren wißt nicht , wie weh der Hunger thut , wie es einem alten Vater fast das Herz bricht , wenn die Kinder , die ihm der Himmel geschenkt , vergeblich nach Brod rufen . Ja , Herr Ehrig , so kann es nicht länger mit uns bleiben ! Wir sind Menschen und wollen auch menschlich leben . Vor Jahren , als Herr Oburn diese Fabriken gründete , bekamen wir doch wenigstens Lohn genug , um , wenn wir des Tags rechtschaffen und fleißig gearbeitet , des Abends ein gesundes Nachtessen zu genießen , und in einem reinlichen Bett Kräfte für den kommenden Morgen zu sammeln . Sonntags ruhten wir uns aus , gingen mit unseren Kindern in die Kirche , und dankten dem lieben Gott für die Wohlthat der Ruhe . Dann gings in die Schenke ; und bei einem Kruge Bier , bei einer Pfeife Taback vergaßen wir alle Lasten des Lebens . Mehr brauchen wir nicht – dabei waren wir glückliche Leute , und trösteten uns dafür , daß wir auf Erden nicht alle gleich sein können , mit der Hoffnung auf ein besseres Jenseits . Denn wer hier Arbeit und Mühsal hat , dem verspricht ja die heilige Schrift im Himmel tausendfältigen Lohn . Mit uns ist 's aber von Jahr zu Jahr schlechter geworden . Unser Herr ward inzwischen ein reicher Mann . Unser saurer Schweiß hat die Fabriken gehoben , und das Gold in seiner Kasse gehäuft . Wir meinen denn , da wär 's recht und billig gewesen , uns eine kleine Zulage zu geben . Es hätte uns schon gefreut , weil wir des Herrn Freundlichkeit und Menschenliebe daraus ersehen . Und das thut wohl , und weckt auch bei uns Liebe und Vertrauen , und in die Arbeit kommt ein guter Geist . Doch statt einer verdienten Zulage , hat man uns nach und nach immer mehr Abzüge gemacht , so daß jetzt unser ganzer wöchentliche Verdienst sich auf anderthalb Thaler beläuft . Davon können wir mit unseren Familien nicht leben . Sehen Sie unsere morschen , ausgemergelten Knochen – woher soll uns die Kraft kommen , Tag für Tag sechszehn Stunden zu arbeiten ? Wir wollen daher alle einstimmig unsern Herrn bitten , uns wieder unseren früheren Lohn auszuzahlen . Sonst arbeiten wir alle nicht mehr ! Noth kennt kein Gebot ! Kommt keine Hülfe von oben , so müssen wir uns selbst helfen ! « Fast drohend hatte der alte Mann die letzten Worte gesprochen , und schwieg hier erschöpft still . Seine Kniee zitterten , und schienen ihn nicht länger tragen zu können . Der Buchhalter aber sprach freundlich und begütigend , » Setzt euch , Meister Schmidt ! Ihr seid müde geworden , und ich hab' auf euer Anliegen doch Manches zu erwiedern . Leider ist es wahr , daß euch in den letzten Jahren bedeutende Abzüge gemacht sind ; doch nicht dem bösen Willen des Herrn dürft ihr diese harte Maßregel zuschreiben , die er nur mit Widerstreben ergriff , von ungünstigen Conjunkturen gezwungen . Ihr wißt es nicht , welche großen Verluste der Herr in den letzten Messen erlitten hat durch Gründung neuer Fabriken , welche dieselben Stoffe billiger liefern . Doch vertraut mir eure Angelegenheit an ! Ich will sie vor eurem Herrn vertreten , als wäre es meine eigene , und alles aufbieten , daß eurer größten Noth abgeholfen werde ! « Diese Worte der Hoffnung übten einen mächtigen Zauber aus auf die Gemüther der Bittenden . Alle diese abgemagerten Gestalten , die nicht das Alter , sondern das Elend , der Hunger und die Sorge zu Greisen gemacht , drängten sich zu dem Buchhalter , reichten ihm , zum Dank für diese Aussicht , die harten Hände , und ließen sich , getröstet von diesem Hoffnungsschimmer , geduldig wieder einspannen in das alte Joch . Während dieser Scene saß der Fabrikherr in einem eleganten Negligée mit seiner jungen Gattinn an einem reichgedeckten Frühstückstische . Alles war komfortable eingerichtet in dem wöhnlichen Arbeitszimmer . Ein lustiges Kaminfeuer wetteiferte mit der mattgelben Oktobersonne , die mitunter neugierig einen Strahl durch das Fenster fallen ließ , und dem Gemach den Schein einer behaglichen Wärme lieh . Düfte von gebratenen Speisen und ausländischen Weinen stiegen so lieblich auf , als sollten hier den alten Göttern Opfer dargebracht werden . Gemüthlich schlürfte Oburn ein Glas Burgunder nach dem andern , verspeiste dazwischen mit seltener Virtuosität ein halbes Schock Austern , und tranchirte eben ein delikates Rebhuhn , als der Buchhalter in das Zimmer trat . » Verzeihen Sie , Herr Oburn , wenn ich jetzt störe ; aber die Angelegenheit ist so dringend , daß ich jede Verzögerung mir als ein Unrecht anrechnen müßte . « Erschreckt durch diese Anrede , ließ Oburn aus seiner Hand die schwere , silberne Gabel fallen , und fragte heftig : » Nun , was giebts ? Wieder ein neuer Verlust ? Sind die Ballen Baumwolle , welche wir von England steuerfrei erwarten , etwa in die Hände der Zollbeamten gerathen ? Sprechen Sie doch , Mann ! Machen Sie mir keine Angst ! « » Nein , Herr , das Geschäft ist gut beendet ! die Ballen sind in Sicherheit . Es erwächst Ihnen durch diesen billigen Einkauf ein großer Gewinn , und gerade dies giebt mir den Muth , jetzt als Abgesandter sämmtlicher Arbeiter zu Ihnen zu sprechen . Die Noth der Leute hat den höchsten Grad erreicht . Erbittert durch die letzten Abzüge , die ich auf Ihren Befehl machen mußte , haben sie fest beschlossen , unverzüglich die Fabrik zu verlassen und die Arbeit bei Ihnen gänzlich aufzugeben , wenn Sie den Lohn nicht wieder bis zu der früheren Taxe erhöhen . « » Was , « schrie Oburn wüthend , » das Volk will nicht mehr arbeiten ? Ist für solche Kreaturen nicht 1 Rthlr. 15 Sgr. wöchentlich ein reiches Einkommen ? Was brauchen sie denn mehr zum Leben ? Wollen sie übermüthig ein ganz besonderes Glück in Anspruch nehmen ? Ein für allemal , Herr Ehrig – reden Sie hierüber kein Wort mehr – es bleibt so ; und damit Punktum ! « Ehrig 's Blick überflog mit bedeutsamen Ausdruck den mit den feinsten Leckereien besetzten Tisch , den er mit der kärglichen Kartoffel-Mahlzeit der Arbeiter verglich . Seine Gedanken verweilten bei der maßlosen Kluft zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen , nach deren Ausfüllung das Jahrhundert in jugendlichem Streben ringt , bei jenem Bruch der Gesellschaft , den noch kein System der edelsten Denker zu heilen vermochte , bei jenem Abgrund , an dessen Rand die Revolutionen der Zukunft stehen . Voll Verachtung gegen die Herren der Welt , die ihren Besitz als den sichtbaren Ausdruck der göttlichen Gnade , als ein Monopol betrachten ; die nicht einmal die bescheidensten Procente einer maßlosen Einnahme auf dem Altar der leidenden Menschheit niederlegen , entgegnete Ehrig : » Nun denn , wenn Sie die herzzerreißende Lage Ihrer Leute nicht rührt ; – ich habe Ihrem Willen keine Macht entgegenzusetzen . Doch Sie erlauben mir , daß ich Ihr Geschäft verlasse ; denn der immerwährende Anblick von Sorge und Gram und Verzweiflung reibt mich auf . Ich hatte mein Wort gegeben , bei Ihnen Fürsprache zu thun . Da sie fruchtlos geblieben , so will auch ich nicht länger , auf Unkosten der Armuth , ein gutes Gehalt beziehn , und gebe hiermit freiwillig meine Stellung auf . Nach diesen Worten entfernte sich Ehrig schnell . Oburn sah ihm bestürzt nach ; der Appetit war ihm vergangen ; er stand hastig auf und ging im Zimmer auf und nieder . Madame Oburn war eine stillschweigende Zeuginn dieser Unterredung gewesen . Sie hatte sich während der ganzen Ehe nie um die Geschäfte ihres Gatten gekümmert . Sein Reichthum überhob sie sogar jeder kleinen Sorge für die Häuslichkeit , der auch Frauen aus den höchsten Ständen sich sonst oft unterziehn . Besonders seit ihrer Rückkunft von Karlsbad hatte sie , der Außenwelt fast unzugänglich , sich ganz einem innerlichen Leben zugewendet , und träumerisch vor ihrer Seele die Gestalten vorübergehn lassen , die so bedeutsamen Eindruck auf ihr tiefstes Wesen gemacht . Nur auf den Klängen der Musik wiegte sie oft die wechselnden Gefühle : Schmerz und Freude , all die Erinnerungen einer inhaltvollen Zeit . Denn die Töne sind die sanftesten Dollmetscher des Gefühles und der Schwärmerei , und lassen die leisesten Schwingungen der Seele ausklingen , wo das Wort in seiner scharfen und schneidenden Bestimmtheit das Gefühl verletzen würde . Oburn hielt diesen apathischen Zustand für Krankheit , und ängstigte sich ab , bis ihm der Arzt die Versicherung gab , daß seine Frau sich körperlich vollkommen wohl befinde . Getröstet begann er nun , sie eine Närrinn zu schelten , die ihm das Leben durch ihre Launen verbittere und immer ihren abgeschmackten Träumereien nachjage . Auch zog er sich ganz von ihr zurück , und nur eine zufällige Stimmung hatte die beiden Gatten zusammengeführt . Madame Oburn , tief erregt durch Ehrigs Worte , folgte scharf betrachtend , jeder Bewegung ihres Mannes ; erhob sich dann plötzlich , näherte sich ihm leise , legte freundlich ihren Arm auf den seinen , und sprach : » Du thust nicht wohl daran , den Arbeitern Abzüge zu machen ; es wird für Dich selbst schlimme Folgen haben ; glaube es dem redlichen Ehrig , und laß' es um keinen Preis dahinkommen , daß der treue Mann , der so eifrig für Dein Wohl sorgt , das Haus verlasse ! « Erstaunt sah Oburn seine Frau an ; denn es war das erstemal , daß sie über Angelegenheiten seines Geschäftes mitsprach . Erfreut über diese Theilnahme und überzeugt von der Nothwendigkeit , Ehrig zu behalten , sprach er in einem liebevollen Ton : » Du hast wohl recht , liebe Johanna ! doch nach den vielen Verlusten , die ich kürzlich erlitten , bin ich wirklich nicht im Stande , die Lage meiner Arbeiter zu verbessern ! Doch das findet sich vielleicht mit der Zeit wieder ! Und dann , mein Kind , Du kennst dies Volk nicht ! Wenn sie sehn , daß ich jetzt bei meinem Willen bleibe ; daß ich mich nicht schrecken lasse , so werden sie schon ruhig fortarbeiten . Wo wollen sie denn hin ? Die sind mir sicher ! Grade ihre Armuth fesselt sie an mich ! Ich kann ihnen noch weit größere Abzüge machen – sie müssen doch bleiben , und nach meiner Pfeife tanzen ! Aber den Ehrig kann ich nicht entbehren , ich will ihm das Doppelte seines Gehaltes bieten , wenn er bleibt . « Verwundert hörte die junge Frau ihrem Manne zu : » Du hast Verluste gehabt , lieber Oburn ? Du kannst deßhalb den Leuten nicht geben , worauf sie durch mühsame Arbeit ein Recht sich erworben ? Aber warum brauchen wir denn so viel ? Laß uns einfach leben ! Fort mit dem übermäßigen Aufwande ! Die Summen , welche wir dadurch nutzlos vergeuden , könnte die Lage aller Deiner Arbeiter sorgenfrei machen . Hätte ich nur früher von Deinen Verlusten gewußt : ich würde schon längst Einschränkungen im Hause gemacht haben . « Bei diesen Worten lachte Oburn hell auf : » Närrchen ! Wir wollen uns deßhalb nichts abgehen lassen ! Kümmere Dich nicht weiter darum , und sei zufrieden , wenn Deine kleinen Füßchen auf weichen Teppichen gehen , und die niedlichen , weißen Hände nicht durch Arbeit ihre Schönheit einbüßen . « Erröthend mit vorwurfsvollem Blick sah Madame Oburn den Gatten an , und entgegnete : » Oburn , hätte ich die Noth Deiner Leute in ihrer ganzen Größe gekannt , ich würde mich geschämt haben , ihnen , mit Gold und Sammet geschmückt , unter die Augen zu treten ! O daß ich mich nicht früher darum bekümmert ! Wie mancher Noth hätte ich abhelfen , wie manchen Fluch in Segen verwandeln können ! « Rasch als könnte jeder ungenützte Augenblick ihr verderblich werden , eilte sie in ihr Boudoir , öffnete eilig alle Fächer ihres Sekretairs , packte verschiedene , sehr werthvolle goldene Ketten , Ringe , Geschmeide , Arm- und Stirnspangen aus , wog mit sichtlicher Freude diese Preciosen in der Hand hin und her , schellte , und ließ den Buchhalter zu sich rufen . Als dieser bald darauf eintrat , rief sie ihm zu : » Herr Ehrig ! Ich war zugegen , als Sie meinem Gatten die Bitte der Arbeiter um Erhöhung ihres Lohnes vortrugen ! Da Oburn , selbst bedrängt , sie für den Augenblick nicht erfüllen kann , so bitte ich Sie dringend , meine Schmucksachen zu verkaufen , und den Erlös zum wöchentlichen Zuschuß für die Leute insgeheim zu verwenden . Lange wird diese Summe leider nicht ausreichen ; doch wenigstens für den kommenden Winter die größte Noth lindern ! Und , im Frühjahr , hoffe ich , wird mein Gatte im Stande sein , die pekuniäre Lage der Arbeiter für immer besser zu gestalten . « Ehrig sah sprachlos bald die glänzenden Preciosen , bald die liebliche junge Frau an , und frug darauf zweifelnd : » Gnädige Frau , Sie wollten wirklich zum Vortheile der Armuth sich von ihrem Schmucke trennen ? « » Das will ich in allem Ernste ! Jetzt , da ich mit den Zuständen der Armuth vertraut geworden , will ich solchen Schmuck nicht eher tragen , bis unsere Leute vor Noth geschützt sind ! Aber , Herr Ehrig , bitte ! Sagen Sie meinem Gatten nichts davon ! Ich kenne ihn ! Sonst würde auch diese kleine Hülfe den Armen entgehn ! « Stumm packte Ehrig die Sachen zusammen , und verließ eilig das Gemach , um die ihn übermannende Rührung zu verbergen . Sobald Madame Oburn sich allein sah , rief sie Köchinn , Stubenmädchen , Bediente und Kutscher zu sich herein , zahlte ihnen den rückständigen Gehalt aus , und verabschiedete sie sämmtlich . Nur die treue Lisette behielt sie um sich . Als Herr Oburn später diese eigenmächtige Maßregel erfuhr , polterte er arg im Hause umher , schalt seine Frau eine Romanheldinn , und beruhigte sich endlich durch die Hoffnung , daß diese Grille doch nur von kurzer Dauer sein und das ancien régime im Haushalt bald wieder herrschen würde . Doch Madame Oburn blieb fest in ihrem Vorsatz . Die bis dahin so verwöhnte , weichliche Frau übernahm jede häusliche Beschäftigung , mochte sie ihr noch so ungewohnt und fremd sein , ohne je den Wunsch nach Unterstützung zu äußern . Von früh bis spät sorgte sie bereitwillig für die Bedürfnisse und Bequemlichkeiten ihres Mannes , und fand immer noch Zeit genug , die Fabriken zu besuchen . Ihr natürliches , richtiges Gefühl sagte ihr , daß freundlicher Zuspruch und menschliche Behandlung diesen Leuten noch nöthiger sei , als die Erhöhung ihres Lohnes . Deßhalb sprach sie freundlich mit allen , erkundigte sich nach den Familien und half nach Kräften , wenn sie von einer Krankheit oder einem Unfall hörte . Die Arbeiter , die sie bisher als die Ursache ihres gesteigerten Druckes angesehen hatten , beteten sie jetzt an . Die bärtigen Gesichter glänzten vor Freude , wenn sie in die Arbeitssäle trat ; und von dem Wiederschein dieser Freude wurde selbst das sonst undurchdringlich ernste Gesicht des Buchhalters verklärt , der seine Herrinn auf diesen Gängen zu begleiten pflegte ! Bei all' ihrer Milde und Menschlichkeit , trotz des Segens , den sie überall verbreitete , konnte Madame Oburn doch bei den Werken der Wohlthätigkeit ein peinliches Gefühl nicht überwinden . Ihr richtiger Takt gab ihr das Bewußtsein , das die tiefsten Denker dieses Jahrhunderts erkannt , und in kühnen Problemen wissenschaftlich ausgearbeitet , das Bewußtsein , daß in der Wohlthätigkeit selbst , und mag sie mit noch so viel christlicher Liebe prunken , eine Erniedrigung liege für die Bedürftigen , deren ewige Menschenrechte zu einem Gegenstand frommer Herablassung herabgewürdigt würden , zu einem Gnadengeschenk , das eine aus dem Katechismus geschöpfte Sittlichkeit mit den andern zugleich sich selbst macht ! Abgesehen von dem Posaunenton des Pharisäerthums , der noch jetzt in allen Gassen , an allen Ecken ertönt , wenn er sich auch in den Heroldruf überschwänglicher Christlichkeit verwandelt ; abgesehen von der eigennützigen Wohlthätigkeit , welche ihre Gaben nur auf Abschlag himmlischer Belohnung spendet : wird nicht durch unsere socialen Verhältnisse selbst die milde Humanität gezwungen , die Miene der Herablassung anzunehmen , und einem entwürdigten Pariathum als Gnade und Segen gegenüber zu treten ? Doch allmählich beginnt auch in den Massen das Bewußtsein der ewigen Menschenrechte , wie sie die französische Revolution proklamirt , die keine Form der Freiheit geben ohne ihren Inhalt ; sondern den Anspruch auf eine Existenz , die in allem Reichthum der Schöpfung sich mit Freiheit auszubreiten berechtigt ist . In den neuesten Entwickelungen des französischen Geistes gähren diese Probleme mit dunkler Gewalt , eine Gährung , die noch keine feste Form gewinnen kann , die proteusartig ihre Gestaltungen wechselt , oft in leere Luftbilder verweht , in eiteln Dunst ausdampft ; aber stets Zeugniß ablegt von der innern , schaffenden Nothwendigkeit , welche fortzuleugnen eine Blasphemie ist gegen den neuen Geist der Menschheit . Die deutsche Philosophie hat die Aufgabe , diese Erscheinungen auf ihren wahren Gehalt zurückzuführen , ihre innerste Bedeutung aufzufassen , ihnen ihre Stelle anzuweisen in der Entwickelung des Geistes . In Rousseau's Urwälder zurück zu fliehen , die ganze Cultur als Flitterwerk und Unnatur , als aufgedrungene Last von sich zu werfen , und ein vierbeiniges Leben zu führen : das ist der neuen Menschheit nicht möglich : das hieße ihre innerste Entwicklung verläugnen ; das ist der Gedanke der kolossalsten Reaktion , den je ein Menschengeist gedacht ! Doch die tiefern Gegensätze , welche aus dieser Kultur hervorgegangen , müssen auf ihrem eigensten Terrain sich auskämpfen . Die Industrie , die Mutter des Proletariats , die zugleich den Reichthum und die Armuth bringt , den Reichthum für Einzelne , welche die Nation repräsentiren ; die Armuth für die Massen : sie ist das neueste Kind der Cultur , unter bedenklichen Auspicien geboren , einer bedenklichen Zukunft entgegensehend . Sie hat die Armuth , die bisher zufällig war und isolirt oder in der Knechtschaft Rettung vor dem Hunger fand , zuerst freigegeben und organisirt , so daß sie jetzt als eine imposante Macht in die Geschichte tritt . Die Associationen der Armuth , der englische Chartismus , ihre ersten Schlachten in Lyon und Paris , ihre verzweifelte Experimental-Revolution in den schlesischen Gebirgen : das sind Thaten , mit denen ein neues Blatt in der Geschichte beschrieben wird . Dazu der Zweifel an dem Eigenthum , dessen Heiligkeit von der kühnen Kritik eines Proud'hon aufgelöst wird ; der phantastisch organisirte Communismus eines Cabet und Weitling . Die socialen Theorien eines Dezamy und Louis Blanc : sie alle legen Zeugniß ab von den neuen Gedanken , welche der Gemüther der Menschen sich bemächtigen , und von dem tiefen Bruch in unseren Verhältnissen , der sie hervorruft . In all' diesen prophetischen Träumen , in diesen oft chimärischen Zukunftsbildern , wie in der kühnen , zersetzenden Dialektik der Denker , welche keine bestehende Einrichtung wegen ihres verjährten Brauches respectirt : webt und lebt ein neuer , Menschheiterlösender Genius , eine neue , erhabene und aufopferungsfähige Sittlichkeit , die in Frieden und Krieg , in Leben und Tod , mit der That des Hasses oder dem Werk der Liebe , mit Ueberredung oder Gewalt den Segen der allgemeinen Verbrüderung heraufführen will über eine innerlich verfallene Welt . Du armes Proletariat , Erbe des alten Fluches vom Paradiese , verdammt , im Schweiße des Angesichts dein Brod zu essen , und nimmer frei und unbefangen den Blick emporzurichten mit all' der Majestät der Menschenwürde ; verdammt , die Maschine zu sein , die gedankenlos von Tag zu Tag sich abarbeitet für fremden Genuß und nimmer die Früchte des eigenen Fleißes ärndtet : auch dir wird bald die Sonne eines bessern Lebens aufgehen , eines Lebens , daß deine Arbeit mit Bewußtsein und mit Genuß belohnt , und alle Entbehrung und Bedürftigkeit kümmerlicher Verhältnisse von dir fernhält . Die Arbeit der Denker wird und kann nicht vergebens sein ; die Macht des Gedankens wird und muß die Welt unterwerfen . Das geheiligte Recht , das eine sklavische Gelehrsamkeit nur zu glossiren und zu erläutern wagte , ist von der Wissenschaft nachgewiesen als ein Unrecht , das in seinen neuesten Entwickelungen schwer auf der Menschheit lastet und sich selbst auflösen muß . Eine Reform tief eingreifender Uebel , die den Schein des Guten , das bestehende menschliche und göttliche Gesetz für sich haben , muß eine Revolution verhindern . Die Besitzenden müssen nicht länger ihre Ohren verstopfen vor dem neuen Evangelium der Liebe , das ihnen gepredigt wird , ein verstocktes Pharaonenthum wird ihr eigenes Verderben sein . Die kleinen Geldtyrannen , welche auf ihr Erbe so stolz sind , wie die Herren von Gottes Gnaden auf das ihre , und einen Despotismus en miniature ausüben , werden , wenn sie nicht freiwillig abstehen von so quälendem régime , eine Revolution hervorrufen , welche den ganzen Bau der Gesellschaft zusammenschüttelt ; der gegenüber die französische Revolution nur ein politisches Kegelschieben war . Darum , ihr Besitzenden ! Erkennt die unveräußerlichen Menschenrechte an , in einer Association des Friedens und der Liebe , ehe sie euch proklamirt werden , von einer blutigen Association des Hasses und des Krieges .