1. Die grüne Fichtau Hanns von Scharnast hatte ein lächerliches Fideikommiß gestiftet . Seine Burg Rothenstein samt Zugehör an Untertanen , an Jagd- , Fisch- und Berggerechtigkeit solle sich in gerader Linie immer auf den ältesten Sohn forterben ; ist kein Sohn da , auf Töchter , und in Ermanglung dieser auf die älteste Seitenlinie und so fort , bis etwa einmal der Fall eintritt , daß weder ein Kognat , noch ein Agnat von benanntem Hause übrig ist , wo sodann die Burg samt Zugehör an den Fiskus fällt . Bis hieher wäre alles richtig ; aber eine Bedingung fügte er dem Fideikommisse bei , welche der ganzen Sache eine andere Wen dung gibt . Jeder nämlich , dem die Burg als Erbschaft zufiel , mußte , ehe sie ihm ausgeantwortet würde , zweierlei Dinge leisten : erstens mußte er schwören , daß er getreu und ohne geringsten Abbruch der Wahrheit seine Lebensgeschichte aufschreiben wolle , und zwar von der Zeit seiner ersten Erinnerung an bis zu jener , da er nur noch die Feder zu halten im Stande war . Diese Lebensbeschreibung solle er dann Heft für Heft , wie sie fertig wird , in dem feuerfesten Gemache hinterlegen , das zu diesem Zwecke in den roten Marmorfels gehauen war , der sich innerhalb der Burg erhebt ; – zweitens mußte er schwören , daß er sämtliche bereits in dem roten Steine befindlichen Lebensbeschreibungen lesen wolle , wobei es ihm aber nicht gestattet ist , irgendeine von dem Gemache ihrer Aufbewahrung wegzutragen . Wer eine von diesen Bedingungen nicht erfüllen könne oder wolle , der wird betrachtet , als sei er im Augenblicke des Anfalles des Fideikommisses gestorben , und dasselbe geht auf seinen fideikommissarischen Nachfolger über . Für jeden minderjährigen Fideikommissar müsse das Erbe so lange vormundschaftlich verwaltet werden , bis er großjährig geworden und sich erklären könne , ob er schwören wolle , ob nicht . Bei wessen Tode sich der Fall ereigne , daß man von ihm gar keine Lebensbeschreibung in dem roten Steine finden könne , der wird als gar nicht geboren betrachtet , also ist auch seine ganze Nachkommenschaft nicht geboren , und das Fideikommiß geht an ihnen vorüber den Weg Rechtens weiter . Der Grund , der Hannsen leitete , eine so seltsame Klausel an sein Fideikommiß zu hängen , war ein zweifacher . Erstens , obwohl er ein sehr frommer und tugendhafter Mann war , so hatte er doch in seinem Leben so viele Narrheiten und Übereilungen begangen , und es war ihm daraus so viel Beschämung und Verdruß zugewachsen , daß er beschloß , alles haarklein aufzuschreiben , ja auch seinen Nachfolgern die Pflicht aufzulegen , daß sie ihr Leben beschreiben , damit sich jeder , der nach ihnen käme , daran zu spiegeln und zu hüten vermöge . Der zweite Grund war : daß sich jeder , der nur die entfernteste Anwartschaft auf Rothenstein hätte , gar wohl von Laster und Unsitte fern halten würde , damit er nicht dereinst in die Lage käme , sie beschreiben zu müssen , oder sie doch halbswegs einzugestehen , wenn er den Eid von sich schiebe . Was nun den ersten Punkt anlangt , so hatte Hanns das Unglück , das schnurgerade Gegenteil von dem zu erreichen , was er erzielen wollte . Es mußte nämlich von ihrem Ahnherrn her so viel tolles Blut und so viel Ansatz zur Narrheit in den Scharnasts gelegen haben , daß sie , statt durch die Lebensbeschreibungen abgeschreckt zu werden , sich ordentlich daran ein Exempel nahmen und so viel verrücktes Zeugs taten , als nur immer in eine Lebensbeschreibung hineingeht – ja selbst die , welche bisher ein stilles und manierliches Leben geführt hatten , schlugen in dem Augenblicke um , als sie in den Besitz der verwetterten Burg kamen , und die Sache wurde immer ärger , je mehr Besitzer bereits gewesen waren , und mit je mehr Wust sich der neue den Kopf anfüllen mußte . Der Stifter würde sich im Grabe umgekehrt haben , wenn er durch die dicken Felsenwände in seine Gruft hineingehört hätte , was die Leute sagten ; nicht anders nämlich , als die › Narrenburg ‹ nannten sie den von ihm gerade in dieser Hinsicht so wohl verklausulierten Rothenstein . In Bezug des zweiten Punktes , der Tugend nämlich , war es nicht recht klar , in wie weit der Gründer seinen Zweck erreicht habe ; man sagte wohl den Scharnasts verschiedenes Böse nach , allein es kroch immer nur so im Dunkel herum : andrerseits stand aber auch die Tatsache fest , daß man sich nie einer Zeit erinnern konnte , wo einer von ihnen als ausnahmsweises Muster der Tugend wäre aufgestellt worden . Heutzutage liegt die Burg beinahe in Trümmern , und seit der letzte Scharnast in Afrika erschossen worden ist , konnte man auch gar keinen Anwärter mehr auf den Rothenstein auftreiben , und ein Schalk warf bereits die lächerliche Rechtsfrage auf , ob nun auch der Fiskus seine Lebensbeschreibung werde schreiben müssen . So standen aktengemäß die Sachen , als sich das zutrug , was wir in den folgenden Blättern erzählen wollen . Eines schönen Sommertages gegen Abend im Jahre 1836 schritt ein junger , leidlich schmucker Bursche das romantische Waldtal der Fichtau an dem Flusse Pernitz entlang . Dieser Mann war trotz des jungen freundlichen Gesichtes lächerlich anzusehen ; denn er war verworren angezogen und mit den seltsamsten Dingen bepackt . An einem um die Schulter gehenden Lederriemen hing eine große , flache Seitentasche , wie ein Ofenschirm , der ihn am Gehen hinderte ; längs der Kante dieser Tasche war ein Holzfuß geschnallt , der , auseinandergelegt , das Gerüste zu einem Feldsessel abgab . Auf dem Rücken trug der Mann ein Ränzlein , das ebenfalls wieder so breit war , daß es rechts und links an seiner Person hervorstand ; davon hing ein langstieliger Hammer und eine abenteuerliche Hacke herab ; oben war ein großer grauer Regen- und Sonnenschirm und eine lange Blechbüchse daran geschnallt , welche beide wagrecht so sehr über seine Schultern hinausragten , daß er von fern anzusehen war wie ein wandelndes Kreuz . Die Hand hielt einen Alpenstock mit mächtiger Eisenspitze – des Übrigen hatte er einen breiten Strohhut auf , eisenbeschlagene Stiefel an , und sein Rock schlug bei jedem Schritte so pendelmäßig gegen seine Füße , als trüge er beide Säcke voll Eisen oder Gestein . So hatte man ihn schon mehrere Wochen in den Bergen der Fichtauherumgehen und herumsitzen gesehen . Die Fichtau aber ist ein schönes Bergrevier , voll sanftblickendem , rotbrüchigem Marmor , frischem Waldesgrün und eiskalten , abschießenden Quellen . Die Pernitz läuft unten voll Lärmen und Gepränge durch , bis sie draußen ein zahmer Fluß wird , Wiesen wässert und Walkmühlen treibt . Die Fichtau ist ein paar Tagreisen östlich von dem freundlichen Pfarrdorfe Grünberg und dem schönen Markte Pirling , welche beide an demselben Flusse Pernitz liegen . In der ganzen Fichtau ist kein einziger Ort , aber dafür ist sie gleichsam besäet mit einzeln liegenden Häusern und Gehöften , und mancher Landmann , wenn er seiner Arbeit nachging , sah obbesagten Wanderer , wie er samt seiner Bepackung entweder an einer Felsenwand kletterte und Steine herabschlug , mit denen er sich dann belastete und sie seines Weges mit fortschleppte – oder man sah ihn auf seinem Feldsessel sitzen ; den eisenspitzigen Stock hatte er in die Erde gebohrt , den Stiel seines Sonnenschirmes darauf geschraubt und im Schatten desselben zeichnete er Wälder oder Blöcke ab , auf die sonst keiner geachtet hatte , ob sie auch schon sein Lebtage in dem Tale gelegen waren – oder man sah ihn gehen , wie er einen schweren Strauß von Blumen und Kräutern in der einen Hand vor sich her trug , während er in der andern nebst dem Alpenstocke noch einige Ruten und anders Zeugs hinter sich herschleifte . Des Abends nun an jenem schönen Tage , dessen wir oben erwähnten , ging er schleuniger als gewöhnlich neben der Pernitz hin , und machte mit Händen und Armen allerlei Bewegungen , wie einer , der ungeduldig und hastig ist , oder mit sich selbst redet . – Freilich war der Mann schon in seiner Jugend mit diesem Übel der lauten Selbstgespräche behaftet , und was noch ärger ist , er deutete auch immer mit den Händen dazu , besonders , wenn er von Eifer oder Ungeduld gestachelt war , in welche beide er übrigens sehr leicht geriet . Er hatte eine Gruppe Häuser vor sich , auf die er zusteuerte . An einer Stelle nämlich , wo sich das Tal am meisten erweiterte und der Fahrweg ordentlich in eine breite Straße auseinanderging , stand das Wirtshaus der Fichtau , zur grünen Fichtau geheißen , zwar nur aus Holz gezimmert , aber mit einer glänzenden Fensterreihe auf den Straßenplatz heraussehend , der so groß und eben war , daß hundert Wagen hätten darauf stehen können . – Mit Scheunen und Schoppen und einem großen Garten ging das Haus in den geräumigen Winkel eines Seitentales zurück , aus dem ein starker Bach hervorsprudelte . Jenseits des Baches steht eine Sägemühle , dann ist noch eine Schmiede , und weiter zurück hinter dem Wirtsgarten sind vier oder fünf Häuser mit blanken Fenstern und dem schönen flachen Gebirgsdache . Dieser Häusergruppe eilte unser Wanderer zu , als hätte er noch so Wichtiges auf dem Herzen , und immer schleuniger ging er , je näher er kam , so daß das Gehen fast in ein halbes Laufen ausartete , da er vor dem Wirtshause anlangte . » Gott grüß Euch , Vater Erasmus « , sagte er eilig zu dem Wirte , der mit seinem großen Hunde auf der Gasse stand und mit dem Schmiede und einem Fuhrmann plauderte , welcher Fuhrmann eine Art Wochenbote war und alle Sonnabende bei dem Wirte zur grünen Fichtau anzukommen pflegte , wo er alles abgab , was immer für die Fichtauer aus dem Flachlande eingelaufen sein mochte . Sein Schecke stand im Stalle , sein Wagen im Schoppen , und er saß in der Abendsonne auf der langen Gassenbank des Wirtshauses , seine Gebirgspfeife rauchend und Neuigkeiten aus dem Lande draußen auskramend . » Gott grüß Euch , Vater Erasmus « , sagte also der angekommene Wanderer ; » ich werde nur schleunig diese Sachen auf mein Zimmer hinauftragen , und sogleich wieder herabkommen und Euch eine Menge ausfragen . Ich habe heute die wundervollsten Ruinen entdeckt , und sie sogar gezeichnet . « Und somit ging er die Treppe hinan . » Nun das geht dem noch ab , daß er das verrückte Schloß gefunden hat « , sagte der Wirt zu den zwei andern , aber der hinauflaufende Mann hatte diese Worte mit seinem scharfen Gehöre vernommen , und wurde dadurch nur noch mehr gespannt . Nachdem er das Gepäcke abgelegt und einen gehörigen Hausrock angetan hatte , kam er in dem Augenblicke wieder herunter , ein Papier in der Hand tragend , auf dem ein weitläufiges auf Felsen herumgruppiertes Mauerwerk mit Bleistift sauber skizziert war . » Das ist doch ein höchst merkwürdiges Gebäude , « sagte er , » ich bin vollständige vier Stunden selbst mit Anlegung meiner Steigeisen rings um dasselbe herumgeklettert , und habe durchaus keinen Eingang entdecken können . « » Ei so « , sagte der Wirt , und sah die andern zwei pfiffig an . » Was denn , ei so ? die Sache ist haarscharf , wie ich sage , und ich begreife nicht , was da ein solches › ei so ‹ sagen will . « » Ich meine nur , « antwortete der Wirt , » daß das jeder Mensch in der Fichtau weiß , und daß es wunderbar ist , daß Ihr allein es nicht wisset . « » Ich sehe nicht ein , woher ich es wissen sollte ; ich sage Euch ja , ich habe heute das Schloß gerade erst so frisch gefunden , als hätte ich vor dritthalbhundert Jahren Amerika entdeckt . In Eurem Lande unterstützt man Forschungen so wenig , daß sie den schönsten Marmor unbeachtet liegen lassen , oder höchstens Schweintröge daraus machen . Ihr selbst habt Eure Mistjauche hinten mit Stücken des feinsten Kornes eingedämmt . « » Hab ich das ? ei , ei , Oheim , wenn Ihr weiter forschen werdet , so werdet Ihr auch Türstöcke und Wasserkufen davon finden , und wenn Ihr dort überhaupt forschen dürftet , so fändet Ihr in Annens Schlafkammer die feinsten Fenstersimse davon gemeißelt , und einen Waschtisch und Weihbrunnenkessel und ich weiß nicht , was noch , und in der Pernitz liegen noch unzählige Stocke und Blöcke , auf die niemand achtet als die Forellen , die darunter aus- und einschlüpfen . « » Hab alles außer dem Waschtisch und Weihbrunnenkessel schon gesehen und beobachtet « , entgegnete der Wanderer ; » aber da habt ihr wohl Türpfosten , das ist gut ; allein eines Eurer Herdecken ist auch von rotem Marmor , während das andere von Ziegeln ist ; – aber das ist Nebensache . – Ihr sagt da von Forellen – haben wir morgen einige ? Ihr habt sie uns auf Sonntag versprochen . « » Eine Million ist unten im Fischtroge , – eine Million . « Ich möchte wohl auch ein Dutzend « , sagte der Schmied . » Es kommt morgen mein Schwiegersohn , der Stadtschreiber . « » Sollst haben , schwarzer Ohm , « sagte der Wirt , » sende nur herüber – also der Stadtschreiber kommt , und also auch die schneeweiße Thrine mit – schau , schau , – « Und mit diesen Worten wiegte er den Kopf hin und her , gleichsam als dächte er nach , und sein unmäßig großer , graugetigerter Hund saß mit dem Rücken gegen die untergehende Sonne , daß seine Rückenhaare wie feurige Spieße glänzten , und schaute seinem Herrn altklug ins Gesicht . Aber auch der junge Wandersmann stand noch immer trotzig mit seiner Schloßzeichnung da , und schaute ihm auch ins Gesicht und sagte : » Das mit den Forellen ist nun gut , Vater Erasmus , – den Stadtschreiber und die schneeweiße Thrine werden wir morgen begrüßen . Ich will selber einen schönen Rock antun und mit in die Kirche hinausfahren ; aber nun gebt mir auch ein klein Gehör . – Der Abend ist so schön als einer . Wir haben uns alle bei Tage geplagt ; morgen ist Sonntag , und da dürfen wir heute schon noch ein wenig in der Dämmerung plaudern . Lasset mir den Wein auf den Gassentisch stellen , ich setze mich zu Boten-Simon auf die Bank , und wenn er Euch alle Getreidepreise von draußen gesagt und die Pferde- und Wein- und Kriminal-und Unglücksgeschichten erzählt hat : dann schaut aber auch auf mein Papier her , und sagt , was es mit diesem Schlosse ist , das da so , ohne daß jemand etwas davon weiß , mitten in der Fichtau steht , mit Abenteuerlichkeit geziert , und so gut als in gar keinem Stile gebaut ist . « » Das ist recht schön , Oheim , daß die Thrine herauskommt , « sagte der Wirt , » aber wenn sie nur nicht wieder eine Fracht Bücher bringt und bei Annen abladet – und da müssen wir ja doch noch vor Sonnenaufgang sehen , daß wir einige Salblinge fangen und nachmittags ein Scheibenschießen machen – oder so etwas – damit sich alles recht gut unterhalte , – es freut mich – – und was Euer Schloß anlangt , junger Ohm , so würdet Ihr Stile genug sehen , wenn Euch Ruprecht einmal hineinließe , Ihr würdet Schlösser genug drinnen sehen , eine Sammlung von Schlössern , eine halbe Stadt von Schlössern , ie sie da herum auf allerlei rote Steine angeklebt sind . « » Wer ist denn dieser Ruprecht , und wie macht man es denn , daß er einen hineinläßt ? « » Das wäre sehr leicht , « antwortete Vater Erasmus , » wenn nur selber einmal herauskäme . « » War gleichwohl gestern in Priglitz « , sagte der Schmied » und redete mit meinem Schwiegersohne , dem Stadtschreiber ; ich stand selber dabei , als ihm der sagte , daß noch immer niemand aufgetrieben sei . « » Ich habe ihn auch gesehen , « redete jetzt der Boten-Simon darein , » es ist wirklich so , und ein erstaunlicher all ist es , daß ein so herrisches , verbreitetes Geschlecht ganz und gar ausgestorben sein soll – keine Maus hat sich gemeldet . Das Schloß , lieber junger Herr , das Euch so anliegt , daß Ihr es gar auf Papier abgerissen habt , das Schloß ist jetzt zu haben , und Einkünfte genug dazu ; es kommt nur darauf an , daß Ihr von einer recht närrischen Familie abstammet . « » Ich gehöre selber unter den Rothenstein , « sagte der Wirt , » und das ganze rechte Pernitzer Viertel samt Zehent und Gebühren , dann das linke Viertel bis in die Hatzleser Gräben , und ich glaube auch noch die Waldhäuser bis zum Ottostift hinauf , und bis an den Asang . « » Der Asang gehört auch noch dazu « , sagte der Schmied ; » der ist nur seit dem alten Julian an die Priglitzer verpfändet ; mir hat es mein Schwiegersohn , der Stadtschreiber , erzählt . « » Das ist nicht wahr « , rief der Boten-Simon ; » ich bin von Asang , und ich und mein Vater und Großvater und wieder dessen Vater haben immer an die Priglitzer gesteuert , und keinen Hut vor dem Rothensteine gerückt . « » Das ist , « entgegnete der Schmied , » weil der alte Julian älter ist als ihr alle , dein Scheck dazu gerechnet , und weil ihr eher an Priglitz verpfändet waret , als ihr geboren wurdet . Mein Schwiegersohn , der Stadtschreiber , hat mir einmal die Urkunde auf dem Stadthause gezeigt , und gestern hat er gesagt , daß jetzt alles kaiserlich wird , und dann wird der Pfandschilling hindangezahlt und der Asang wieder an das alte Eisen angeschweißt . Der Julian war sonst ein entsetzlicher Herr ; er hat seinen leibeigenen Bruder erschlagen . « » Nicht erschlagen , « sagte der Wirt , » sondern nur um das , Erbe der Mutter hat er ihn gebracht , weil er nie genug hatte , obwohl ihm auch der Rothenstein zugefallen war . In unsrem eigenen Hause war es , wo sie die Zusammenkunft hatten – mein Großvater war damals noch ein Bube , und er hat es uns wohl hundertmal erzählt – es war das letzte Mal , daß sich die Brüder gesehen hatten . Sie hießen Julius und Julianus . Julianus war der ältere , und da ihr Vater starb , war Julius in weiten Ländern , und kam auch gar nicht auf den Rothenstein , sondern auf unsrer Gasse sahen sie sich zum ersten Male seit Jahren wieder , und da hatten sie sich zum Willkomm umarmt , daß die Schwerter an ihnen rasselten , und dann sind sie in die grüne Oberstube hinaufgegangen , und die Pferde blieben auf der Gasse stehen . Die Kinder , nämlich mein Großvater und seine Schwester , dann auch ihre Mutter saßen beängstigt herunten in der Schenkstube , weil ihnen gleich nichts Gutes ahnte . Anfangs hörten sie nichts über sich als den ruhigen Schritt der beiden Männer , wie sie oben taktgemäß auf und nieder gingen ; dann war es stille , als ständen sie und als ob einer spräche . – Mein Urgroßvater , der damalige Schenke , kam kreideweiß zu den Kindern in die Stube und sagte , als er oben nur zur Tür hineingeblickt , ob sie nichts brauchten , so hätten sie ihn gleich angefahren , und der Julius stehe an dem Tische und schütte entsetzlich viel Wein hinunter . Der Urgroßvater blieb nun auch bei den Kindern herunten , und man horchte lange , lange hinauf , aber es blieb oben alles stille – immer stille – doch einmal geschah ein Fußtritt , daß man meinte , alle Tragbalken müßten knacken , und im Augenblicke , aber nur einige Sekunden , rasselten wieder die Schwerter – dann wards todstille . – Sogleich aber rannte Julius die Treppe herunter , schwang sich mit glühenden Augen auf seinen schwarzen Hengst , warf ihn herum und jagte so schnell dort an der Steinwand hinab , daß mein Großvater meinte , er sehe ordentlich ohne Unterbrechung die Hintereisen blitzen , als wolle sie der Rappe rücklings in die Luft schleudern , und Stücke roter Straßensteine flogen in die Pernitz . – Alle aber liefen ungesäumt in die Oberstube , um dem gemordeten Julianus beizuspringen – dieser aber stand lebendig am Tische und strich sich furchtbar mit der Hand den großen , roten Schnurrbart , den er immer trug – dann aber goß er einen ganzen Krug Wein in sich hinein , warf ein Stück Geld auf den Tisch , ging hinab und ritt gelassen auf den Rothenstein zu . Er war von nun an Herr des Schlosses , wie es dem Erstgebornen auch gebührt ; allein er war und blieb auch Herr der Schätze und Einkünfte seitens der früher verstorbenen Mutter , was von Rechts wegen dem jüngeren Julius gehört hätte . Von diesem aber ist seit jener Zeit kein Faden seines Gewandes mehr in der Fichtau sichtbar geworden . « » Weil ihn doch der Julianus irgendwo erschlagen hat « , versetzte der Schmied . » Dann müßte er ihn tiefer begraben haben , als Regen und Tau dringen können , « versetzte der Wirt , » daß ihn nicht die Pernitz oder unsere Bergwässer zu Tage gewaschen hätten – geht , geht , Ohm , das steht nur so in den Ritterbüchern Eurer Thrine . « » Mein Schwiegersohn , der Stadtschreiber , « sagte der Schmied , » meint selber – seit der letzte Abkömmling des Julian tot ist , und nun bereits das Schloß mit Lieg- und Fahrnissen in die Jahre lang allwärts ausgeschrieben ist , sei es seltsam , daß sich keine Klaue und kein Hufnagel gefunden , der Anspruch machen könne – also ist der Julius damals erschlagen worden . « » Das ist nur so , Kinder , « sagte der Boten-Simon , indem er die Pfeife ausklopfte , und wieder anstopfte , und alles umständlich tat , und seine Rede beim Wiederanzünden durch kräftiges › Paff , Paff ‹ häufig unterbrach – » das ist nur so : im Lande draußen erzählte mir vor langen Jahren ein Krämer , daß der Julius in Kriegsdienste des französischen Königs gegangen sei – aber da widerredete es ein alter Stelzfuß und sagte : der Julius habe nicht gar so weit von der Fichtau gelebt , eine Bauerndirne geheiratet , und seine Tochter wieder an einen niedrigen Mann gegeben , und so sei nach und nach das Geschlecht im Volke verronnen , wie es ja auch einst daraus entstanden war . « » So mag es sein , « sagte der Wirt , » oder es mag auch anders sein , aber daß er ihn erschlagen , glaube ich nicht ; so schlecht waren sie nicht , sondern bloß alle närrisch . « Der Wandersmann hatte bisher mit steigendem Interesse zugehört ; nun stellte er seinen Krug zurück und sagte : » Ja , wie weiß man denn , daß sie närrisch waren ? « » Nun Gott sei Dank , « antwortete der Wirt , » närrisch genug , junger Oheim , habt Ihr denn das nicht schon an dem Schlosse erkennen mögen , da es weder Tor noch Eingang hat und in keinem Stile gebaut ist , wie Ihr selber sagt . Oder ist es etwa vernünftig , wie der letzte Zweig aus dem Stamme des Julian tat , oder wie sein Vater , der vorletzte , tat ? Mit unsrem letzten Herrn war es so : Da haben die Franzosen , um die Unbill gut zu machen , die sie vordem an unsern Ländern verübt , Kriegsvölker in das Mohrenland geschickt , um alles in Bausch und Bogen christlich zu machen , und da ließ Graf Christoph eines schönen Tages das Schloß zumauern , und ritt dann den Berg hinab gerade in das Mohrenland , um die Heiden gegen Christum zu unterstützen , und da aben sie ihn denn auch glücklich niedergeschossen ; man weiß nicht , die Christen oder die Heiden . Sein Vater , Graf Jodok , war noch ärger . Ich habe ihn noch recht gut gekannt ; er hat sich im Alter den Bart wachsen lassen , wie einer der heiligen drei Könige – und da sah ich ihn oft , nachdem er das Schloß angezündet hatte , vor seinem kleinen Häuschen unten am Berge sitzen . « » Das Schloß hat er angezündet ? « » Ja , er selber hatte es an einem Pfingstsonntage angezündet , und wehrte allen denjenigen , die da zu löschen kamen , weil er sagte , daß hundert Zentner Pulver in den Gewölben seien und losgehen würden , aber es ging nichts los , und das Gebäude brannte friedlich und fast lieblich nieder . Er hatte die vielen Jahre vorher ganz ruhig und ordentlich darinnen gewirtschaftet , nur daß über dem Tore die Aufschrift stand : › Hier wird keinem Bettler etwas gegeben ‹ . « » Ist denn nicht die Herrschaft ein Fideikommiß ? wie durfte er denn das Schloß zerstören ? « » Freilich ist sie eines , aber da hat er innerhalb der Schloßfriedigung abseits den andern Gebäuden einen seltsamen Tempel aufgeführt , mit vielen Säulen , wie man sie oft als Lusthaus in hochherrschaftlichen Gärten sieht , und in diesem Tempel hat er gewohnt , wie man sagt , in ungewöhnlicher Pracht und Üppigkeit , mit seiner Frau , einer wunderschönen Zigeunerin , die er einmal brachte und dieses Bauwerk hat er dann angezündet . Es war freilich sein Eigentum , aber man erzählt , er habe für diese Tat viel Geld in dem Lehenhofe niederlegen müssen . Unten am Berge hatte er sich schon vorher ein kleines , steinernes Haus mit zwei Zimmern gebaut , und daselbst verlebte er die ferneren Tage seines Alters , bis er starb . Sein Sohn Christoph war bei Lebzeiten des Vaters nie anwesend ; nach seinem Tode ist er gekommen , und hat sich wieder an einer andern Stelle innerhalb der Schloßmauer ein anderes Gebäude aufgeführt , den Christophbau , aber ein Teil davon ist bereits vor drei Jahren wieder eingestürzt . Und so hatten alle einen Sporn im Haupte . Mein Großvater hat uns erzählt , daß der Vater des Julius und Julianus , Graf Prokopus , oft ganze Nächte auf einem hohen Turme saß – der Turm steht noch – dort habe er lange Röhre auf die Sterne gerichtet , oder auf einem Instrumente musiziert , das lange , furchtbare Töne gab , die man nachts weit im Gebirge hörte , als stöhnten alle Wälder . « » Und Grafen waren die Besitzer des Rothensteines ? « fragte der Wandersmann . » Grafen Scharnast seit dem Hussitenkriege , früher waren sie bloß Barone und Ritter ; aber es war ein reiches Geschlecht , und wäre es noch , wenn der Julian nicht so viel verschleudert hätte . « » Da muß ich gleich einen Brief in dieser Geschichte schreiben , « sagte der Wandersmann , » und Ihr müßt ihn heute noch durch einen eigenen Boten nach Priglitz hinausschicken . « Alle , selbst der Boten-Simon , der neben ihm auf der Bank saß , schauten bei diesen Worten dem Wanderer ins Gesicht und hoben an zu lachen – der Wirt aber sagte : » Wenn Ihr das Schloß und die Grafen beschreiben wollt , so ist es freilich mehr der Mühe wert , als wenn Ihr unsre Feldsteine und die Pernitz oder gar das Heu beschreibt , wie bisher ; aber da kann Euch nur der uralte Ruprecht die beste Auskunft geben – – – . « Ich werde gar nichts davon beschreiben ; aber indessen geht doch und besorgt mir noch heute einen Boten nach Priglitz . « » Nichts leichter als das « , sagte der Wirt ; » es ist heute Samstag , und da müssen abends die Holzknechte aus den Bergen kommen ; ich erwarte sie jeden Augenblick , und um Geld und gute Worte geht wohl einer hinaus . « » Das ist wahr « entgegnete der Wanderer , » ich habe im Drange der heutigen Dinge auf die Holzknechte gar nicht gedacht ; es geht ja ohnedies mancher des Weges , nicht wahr ? oder nicht weit daneben ? « » Allerdings , allerdings « , sagte der Wirt schmunzelnd , und gleichsam , als könne er den aufkeimenden Gedanken nicht unterdrücken , hob er nach einer Weile lauernd an : » Wenn Ihr also die Burg nicht beschreiben wollt , so meint Ihr etwa gar ... ? « » Ich meine gar ? .... « » Ein Nachkomme des Julius zu sein « , endete der Wirt den Satz , und sah sehr verschmitzt aus . Ohne aber eine Miene zu verziehen , versetzte sein Gegenmann : » Das könnte weit eher der Fall sein , Vater Erasmus . « Der Wirt , an die ungeheuersten Aussprüche seines Mietmannes gewöhnt , war gleichwohl durch die trockene Art ein wenig beirrt ; allein um sich im Wortkampfe nicht übertreffen zu lassen , nahm er sich gleich die noch größere Freiheit und sagte : » Wenn das ist , dann ist es freilich nicht mehr wahr , was ich mir eben dachte . « » Nun und was dachtet Ihr Euch denn eben ? « » Ich dachte mir , wenn der Julius eine Bauerndirne geheiratet hat , so könnte uns , weil die Art gewechselt wurde , wie man es mit dem Samenkorn der Felder tut , daß es wieder frisch anschlägt – es könnte uns so , was man sagt ... ein gesetzterer Herr kommen . « Aber wie früher , ohne sich im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen , antwortete der Wandersmann , indem er seinen Blick auf den Wirt heftete : » Was werdet Ihr aber sagen , Erasmus , wenn ich mich hinsetze , und zu Eurem eignen Erstaunen eines lichten Tages gescheiter bin , als ihr alle und die ganze Fichtau zusammen – die ausgenommen « fügte er lustig hinzu , » die dort kommen ; denn das sind die herrlichsten Bursche der Welt . « Er hatte noch das Wort im Munde , als eben zwei jener malerischen Gestalten , wie wir sie so gerne als Staffage auf Gebirgslandschaften sehen , um die Ecke bogen , und fröhlich ihre Siebensachen , als da sind : Äxte , Sägen , Alpenstöcke , Steigeisen , Kochgeschirre usw. auf die Gasse oder auf die lange Bank niederwarfen , und sich anschickten , ebenfalls Platz zu neh men . Die abendliche Szene auf der Gasse vor der grünen Fichtau begann sich nun zu ändern und jener Lebhaftigkeit zuzuschreiten , die unser Wanderer an jedem Samstage zu erleben gewohnt war , und die er so liebte . Er achtete des Wirtes nicht mehr weiter , sondern saß bereits bei den zwei Knechten und war schon im lebhaften Gespräche mit ihnen begriffen . Sie hatten den grünen Hut mit Federn und Gemsbart abgelegt , den grauen Gebirgsrock zurückgeschlagen , und zwei verbrannte , lustige Gesichter sahen mit dem gesundesten Durste dem Wirte entgegen , der ihnen eben zwei Gläser voll jenes unerbittlichen Gebirgsweines brachte , den nur ihre harte Arbeit bezwinglich , ja sogar zum erquickenden Labsale macht . » Laßt Klöße durch Eure Weiber richten , « rief einer , » aber viele ; denn der Melchior und die andern kommen nach – und fett genug laßt sie machen , daß sie Euren Wein bändigen . – Auch die aus den Laubgräben kommen , und aus der Grahnswiese ; ich sah sie droben den Hochkegel niedersteigen , als wir gegen die Pernitz herausgingen , und hörte ihr Jauchzen . – Dem Gregor ist ein Lamm gestürzt , hinten beim schwarzen Stock ; er hat darum fast geweint , und trägt es jetzt auf seinen Schultern die Riese herab . « » Drum kommt er wieder so langsam hervor « , sagte der Wirt ; » ich höre das Herdeläuten schon eine halbe Stunde . « » Das wirft nur die Kaiserwand und der Grahns so herüber ; er ist noch weit hinten . Wir gingen im Fichtauergraben bei ihm vorbei , wie eben die Böcke das Gerölle niederstiegen und die Rinderglocken noch weit oben längs dem Gesteine läuteten « Wieder kam eine Gruppe , während er noch redete , jodelnd und singend die Straße an der Pernitz heraus , und sammelte sich an dem Gassentische der grünen Fichtau , um einen Labetrunk zu tun und fröhlichen Wochenschluß zu feiern , da ihnen der Holzmeister Geld gegeben und sie sechs Tage lang nur grüne Bäume und graue oder rote Steine gesehen hatten . » Gott zum Gruß ! – Gott zum Dank ! « scholl es hin und wider . » Habt viel Arbeit getan : die Kaiserwiese liegt wie überschwemmt von Scheitern . « » Geht an , geht an , über die Hochkogelwand warfen wir noch einige Klafter mehr herunter . « » Schöne Tage ! Wir waren auf dem Grat des Kogels , ich habe seit fünfzehn Jahren nicht so weit gesehen ; die Ebene lag wie ein Bild da , und in der Stadt hätte ich fast die Fenster zählen können ; Euren Rauch sahen wir aus den Laubgräben steigen . « » Ja wir waren in den Laubgräben , und sind es nun schon sechs Wochen . Der alte tote Prokopus geht auch wieder um ; ich weiß es gewiß ; er hat in der Nacht musiziert , ich hörte es selber , und auch heute nachmittags hörte ich es ; denn da so um vier Uhr herum ein schwacher Wind aufstand und durch die Föhren ging , da trug er deutlich den schweren Ton von dem zerfallenen Schlosse herüber . « » Hab auch schon davon reden gehört , aber glaub es nicht . « » Der Wein ist wie Enzian « , rief wieder einer . » Trink ihn nur , Gevatter Melchior , « sagte der Wirt , » du trinkst Gesundheit hinein , wie Stahl und Eisen . « So scherzten und lachten sie . Mehrere neue waren gekommen , darunter auch zwei Gebirgsjäger . Ihre Sachen lagen herum und füllten die Gasse : ganze Haufen und Bündel von Steigeisen , eine Garbe Alpenstöcke , lodene Überröcke , Gebirgshüte , eiserne Kochschüssel und anderes , und wieder anderes – Krüge und Gläser mußten herbei ; die Klöße kamen und wurden verzehrt , und da abgeräumt war , erschienen zwei Zithern auf dem Tische , die zusammen spielten , und die braunen Gesellen mit dem Blicke des Gebirges saßen herum und taten sich gütlich – und erzählten von ihren Fahrten und Tageserlebnissen . Und ein prachtvoll herrlicher Abend war mittlerweile über das Gebirge gekommen . Die Sonne war über die Waldwand hinunter und warf kühle Schatten auf die Pernitz ; im Rücken der Häuser glühten die Felsen , und wie flüssiges Gold schwamm die Luft über all den grünen Waldhäuptern weg . Alles schien sich zur Wochenruhe und zur Feier des Sonntags zu rüsten . Die Jäger waren aus dem Gebirge gekommen , die Bergarbeiter waren auf dem Heimwege , und mancher sprach in der grünen Fichtau ein wenig vor . – Weiber und Mägde und Töchter wuschen am Bache Fenster , Schemel und jede Gattung hölzerner Geschirre ; – das Rauschen der Sägemühle hatte aufgehört , und die Herde , deren Geläute man schon lange einzeln oder harmonisch aus dem Gebirge herab gehört hatte , war nun endlich auch angekommen ; – aus dem Seitentale ging sie manierlich hervor , eine Sammlung der unterschiedlichsten Haustiere , fast das gesamte Eigentum der Fichtau . Vorerst kam das leichtfüßige und leichtfertige Geschlecht der Ziegen und Böcke von allen Flecken und Farben , fast jede eine Glocke um den Hals , so daß nun ein mißtönig Geklingel war , was von ferne so wunderschön läutete dann kamen Schafe , schwarz und weiß , und mitten unter ihnen der so schöne glänzende , ernsthaft kluge Schlag der Gebirgsrinder . Mägde , Knechte , Buben , wie es eben kam , empfingen die Tiere , die hieher gehörten , und ihren Ställen zuschritten ; die andern [ Tiere ] gingen ihres Weges weiter , oder blieben gelegentlich stehen , oder traten gar zu der zechenden Gesellschaft , sahen traulich herum und ließen sich schmeicheln , daß die Halsglocke erklang . – Zuletzt erschien auf der Wirtsgasse auch der verwitterte , gebirgsgraue Hirtenbund und sein Herr , der Hirte Gregor , mit einem Bündel Steigeisen beladen und einem jungen , toten Lamme , das er auf den Armen trug , gefolgt von dem Mutterschafe , das wedelnd und blökend zu ihm aufsah . In seiner Person war der letzte Gast gekommen , der Samstags in der grünen Fichtau zu sein und sein bescheiden Glas Wein zu trinken pflegte – aber heute war er traurig ; denn das gestürzte Lamm war das seinige ; er hatte es auf die Bank gelegt , und sah unverwandt darauf , wie dessen Mutter davor stand , es beleckte und beroch . » Vertrinkt den Ärger , Gregor , « sagte der Wirt , » heute kostet Euer Wein nichts , und das Lamm kaufe ich Euch morgen um gutes Geld ab . « » Es ist nicht wegen dem , « antwortete Gregor , » aber es war ein gar so schönes , munteres Tier . « Und er setzte sich doch nieder und führte das Glas Wein langsam zum Munde . Und immer feierlicher floß die Abenddämmerung um die dunklen Häupter der Gebirge , immer abendlicher rauschten die Wasser der Pernitz , und immer reizender klangen die Zithern . Der Wanderer saß mitten unter diesen Gebirgssöhnen . Er hatte sein Abendmahl verzehrt , und sprach und scherzte bald mit diesem , bald mit jenem . Er freute sich immer auf die Samstagabende , und ob man gleich sein Tun und Treiben für nutzlos und lächerlich hielt , so hatten ihn doch alle lieb , weil er so sehr in ihr Wesen einging und zu Zeiten recht vernünftig sprach . Vater Erasmus war bald hier , bald da , sprach zu allen , und trank gemessen sein abgesondertes Glas guten , alten Gebirgswein . Seine Leute und Mägde hatten das Haus für den Sonntag gescheuert und geputzt , frische Fenstervorhänge eingehangen und die Feiertagskleider für morgen herausgelegt . So ging es lustig fort , ein gut Stück in die Nacht hinein . Aber nach und nach ward es wieder stiller , und die Gesellschaft lichtete sich . Die Arbeit dieser Bergsöhne macht sie heiter und mäßig , versüßet ihnen die Nahrung und dann die Ruhe . Der erste , der aufbrach , war der Boten-Simon ; er ging in den Stall zu seinem schnaufenden Schecken , und suchte sein Heulager – gleich darauf ging der Schmied über den Steg – und so bald der eine , bald der andere , sein Geräte aufraffend und den oft langen Weg antretend , den er noch zurückzulegen hatte , ehe er zu den Seinen gelangte – und ehe der Mond , dessen Silberschein schon lange an den gegenüberliegenden Felsen glitzerte , auch auf die Häuser hereinschien , war nur mehr einer da , der bloß auf den Brief wartete , den der Wanderer in der Oberstube schrieb , daß er noch heute in der Nacht nach Priglitz getragen würde . Aber auch der Brief erschien , sein Träger verschwand in den Schatten der Steinwand , an der der wütende Julius fortgeritten war , und die vorher so belebte Gasse der grünen Fichtau war leer und finster ; nur in der Schenkstube brannte noch ein trübselig Nachtlicht , bei dem der Wanderer dem Wirte seine Wochenrechnung auszahlte , die dem Vertrage nach nie auf den Sonntag stehen bleiben durfte . » Und nun gute Nacht , Vater Erasmus ! « Gute Nacht , Ohm , und rechnet ein andermal besser nach , daß Ihr mir nicht wieder zu viel gebt ; es ist frevelhaft , mit dem Gelde und dem Feuer nicht vorsichtig umzugehn – gute Nacht ! – Geht Ihr morgen in die Kirche hinaus ? « » Ja freilich , ich fahre sogar mit dem einen Eurer Füchse , um die Thrine abzuholen , falls Ihr nichts dagegen habt . « » Gar nichts , und somit schlaft wohl . « » Gute Nacht . « Und nach einer halben Stunde war es finster und still im ganzen Hause der grünen Fichtau , als wär es im Tode begraben . Gleichwohl entfaltete sich noch ein anderes Bild in dieser Nacht , das wir beschreiben müssen . Die Stunden der ersten süßen Nachtruhe begannen zu fließen . – Die Nacht rückte immer weiter auf ihrem Wege gen Westen , und ward immer stiller ; nur daß die Wässer , wo sie hinter die Felsen rannen , unaufhörlich plätscherten und rieselten – aber ihr eintönig Geräusche war zuletzt auch wie eine andere Stille , und so war jene Einfachheit und Pracht der Nacht gekommen , die unsrem Gemüte so feierlich und ruhend ist . Der Mond stand senkrecht über der Häusergruppe und legte einen fahlgrauen Schimmer über die Bretterdächer und blitzende Demanten auf den Staubbach . – In dem Garten stand jedes Gräschen und jedes Laubblatt stille und hielt eine Lichtperle , als horchten sie dem in der Nacht weithin vernehmlichen Rauschen der Pernitz : da ging den Gartenweg entlang eine weiße Mädchengestalt , und hinter ihr der riesig große Wirtshund , ruhig und fromm , wie ein Lamm , und an beiden floß das volle , stille , klare Mondlicht nieder . Das Mädchen schien unschlüssig und zaghaft ; sie ging zusehends langsamer , je weiter sie kam , und einmal blieb sie gar stehen und legte die weiche Hand auf das struppige Genick ihres Begleiters , als horche sie oder zage – – dicht neben ihr in der Laube hielt sich ein Atem an – aus Seligkeit oder Bangen ; – der Hund schoß mit einem Satze hinein und sprang freundlich wedelnd an dem Erwartenden empor . » Anna ! « flüsterte eine gedrückte Stimme . » Um Gottes willen , ich bin ein schlechtes , unfolgsames Kind ! « » Nein , du bist das süßeste , geliebteste Wesen auf der ganzen weiten Erde Gottes – Anna ! fürchte dich nicht vor mir . « » Ich fürchte mich auch nicht vor Euch . Das weiß ich ja , daß Ihr gut seid , aber schon , daß ich gekommen bin , ist schlecht , und macht mich fürchten . « » Es ist nicht schlecht , weil es so selig ist , es ist nur anders gut , als dein Vater und deine Mutter meinen . « » Gut ist es wohl nicht , allein ich kam , weil Ihr so sehr darum batet , und weil Ihr so seid , daß Ihr jemanden brauchet , der Euch gut ist . « » Und also darum bist du mir gut ? – – bist du , Anna ? « » Ich bin es freilich , obwohl es mir zu Zeiten recht Angst macht , daß es so heimlich ist- – und sagt nur , warum muß ich denn jetzt in später Nacht bei Euch in dem Garten sein ? « » Frage nicht , Anna ; siehe , daß du frägst , könnte mich fast schon kränken . Ich habe dir sehr Wichtiges zu sagen ; aber ich bin aufrichtig , und bekenne es – nicht was ich sagen werde , scheint mir die Seligkeit , sondern eben daß du da bist ; – es ist so lieb , daß ich dich bei der Hand fasse und fühle , wie du sie mir nicht gerne lässest , und sie mir doch gerne lassest , daß ich dein Kleid streife , daß du neben mir niedersitzest – – siehe , schon daß ich deinen Atem empfinde , dünkt mir lieblich – ist es dir denn nicht auch so ? – – ist es nicht so ? « Sie antwortete nicht , aber die Hand , die er ergriffen hatte , ließ sie ihm ; zu dem Sitze ließ sie sich niederziehen – und wie das Luftsilber des Mondes durch das Zweiggitter auf ihre beiden Angesichter hereinsank , so sagte ihm ihr Auge , das nachgebend und zärtlich gegen seines blickte , daß es so ist . Er zog sie gegen den Sitz nieder , und sie folgte widerstrebend , weil fast kein Raum war ; denn Anna hatte ihn einst so klein machen lassen , da sie noch nicht wußte , wie selig es zu zweien ist . Jetzt aber wußte sie es , und bebend , mehr schwankend als sitzend , stützte sie sich auf das zu kleine Bänkchen – auch der Mann war beklommen ; denn in beiden wallte und zitterte das Gefühl , wodurch der Schöpfer seine Menschheit hält – das seltsam unergründliche Gefühl , im Anfange so zaghaft , daß es sich in jede Falte der Seele verkriechen will , und dann so riesenhaft , daß es Vater und Mutter und alles besiegt und verläßt um dem Gatten anzuhangen – es ist ein Gefühl , das Gott nur an dem Menschen , an seinem vernünftigen Freunde , so schön gemacht hat , weil er seiner zermalmenden Urgewalt ein zartes Gegengewicht angehängt ein zartes , aber unzerreißbares – die Scham . Darum , was das Tier erst recht tierisch macht , das hebt den Menschen zum Engel des Himmels und der Sitte , und die rechten Liebenden sind heilig im menschenvollen Saale , und in der Laube , wo bloß die Nachtluft um sie zittert ja gerade da sind sie es noch mehr , und bei ihnen fällt kein Blättchen zu frühe oder unreif aus der großen Glücksblume , die der Schöpfer ihnen zugemessen hatte ; es fällt nicht , eben weil es nicht fallen kann . Und so saßen die zwei , und hatten noch nicht die Macht gewonnen , die Rede zu beginnen . Er sann auf einen Anfang , und konnte ihn nicht finden ; sie fühlte es ihm an , und dennoch konnte auch sie das Wort nicht vorbringen , das ihm das seine erleichtert hätte . Ihr dritter Gesellschafter blickte zu ihnen auf , als begriffe er alles , und es war fast lächerlich , wie er , obwohl er beide liebte , doch auf beide eifersüchtig war und sich stets bemühte , sein ungeschlachtes Haupt zwischen sie zu drängen . Anna in der Güte ihres Herzens sah freundlich auf ihn nieder , ja sie legte ihre Hand auf seine Stirne , weil er sie dauerte , daß sie ihm nun – ja nicht nur ihm , sondern auch dem Vater und der Mutter fast alle Liebe entzog und einem fremden Manne zuwende . Dieser fremde Mann aber sagte mit gedämpfter Stimme : » Damit du weißt , Anna , warum ich dir das Briefchen zustellte und dich gar so dringend bat , heute in die Laube zu kommen , so wisse , es hat sich etwas sehr Wichtiges zugetragen , was auf mein und auf dein Schicksal großen Einfluß haben kann ; aber vorher muß ich etwas anderes wissen , und ich frage sich darum , ob es denn wirklich , ob es denn möglich ist , daß du mich so sehr lieben kannst , wie ich dich ? – – Du schweigst ? – Anna , so sage doch – « » Wäre ich denn sonst gekommen ? « » Du liebe Blüte – wie bin ich in der Welt schon so viele Tage unnütz herumgegangen , und da kam ich in dieses Tal , um Steine und Pflanzen zu suchen , und fand dich , die liebliche , die seltene Blume der Erde . « » Redet nicht so , « antwortete Anna , » denn es ist nicht so jetzt sagt Euch bloß Eure Empfindung dieses vor , aber in der Tat ist es doch anders . Draußen in den Städten werden viele herrliche Jungfrauen sein , gegen die ich nur arm bin , wie ein Grashalm , den Ihr in unserm Tale pflücket , um Euch etwa einige Stunden daran zu erfreuen , wie an den andern , die Ihr sammelt . « » Du ahnest nicht , « entgegnete er eifrig – » du Alpenblume , – o wenn du nur wüßtest , wie hoch du über ihnen stehst , – aber wenn du es wüßtest , so ständest du ja schon nicht mehr so hoch – – aber lasse dieses , – nur das eine wisse : daß ich dich mehr liebe als alles in dieser Welt , und daß ich dich in alle Ewigkeit lieben werde ; – doch das alles ist natürlich und kein Wunder . Du wirst es selbst begreifen , wenn du die Welt einst wirst kennen lernen , aber eines ist ein Wunder , und erkläre es mir du , wie kam es denn , daß du mir gut wurdest , mir , den sie hier alle mißachten , und an dem auch wirklich nichts ist als ein unauslöschlich gutes Herz ? « » Wie ich Euch gut wurde ? – – – « » Höre , Anna , nenne mich auch du . « » Nein , laßt mir das , ich kann nicht du sagen , es ist mir , als schicke es sich nicht ; und ich könnte dann nicht so frei und freundlich reden . « » Nun so rede frei und freundlich . « » Wie ich Euch gut wurde ? – seht ! ich weiß nicht , wie es kam ; als ich es merkte , war es eben da . Ich will Euch etwas von meiner Kindheit erzählen , vielleicht , daß Ihr es dann herausfindet . Mein Vater sagte immer , ich sei ein sehr schönes Kind gewesen , und da ich sein einziges bin , so tat er mir immer viel Liebes und Gutes , und ich und Schmieds Katharina bekamen schönere Kleider als die Nachbarskinder und die der ganzen Fichtau ; deshalb wurden sie uns gram , und wir mußten immer allein gehen , und dies taten wir auch gerne , und da saßen wir oben auf der grünen Haide jenseits des Baches , über den der Vater den gedeckten Steg bauen ließ , daß wir nicht hineinfielen – da saßen wir und machten Grübchen in die Erde , oder pflückten Gras und Blumen , redeten mit den Käfern oder horchten den Erzählungen der alten Plumi .... « » Wer ist die Plumi ? « » Ei , Appolonia , die alte schwäbische Amme Thrinens , die sie bekommen hat , weil ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist , und die nach ihrer Heirat mit in die Stadt gezogen ist . Sie erzählte uns von Goldfischchen , die gefangen war , und Prinz Heuschreck , der klein und grasgrün war , und sieben Jahre durch fremde Länder hüpfen mußte , bis er beide erlöste , wo er dann ein schöner Prinz ward und die schöne Prinzessin Goldfischchen heiratete und von andern Prinzen in Samt und Seide , in Samt und rotem Gold , so schön wie Milch und Blut – dann von klingenden Wäldern , redenden Karfunkeln – von den sieben klugen Hähnen – von dem armen Huhn , das auf dem hohen Nußberge erdurstete – und von tausend und tausend andern Dingen , täglich etwas Neues und täglich das Alte . – – Denkt nur , als Ihr vor dreizehn Wochen zum ersten Male in unser Haus tratet , hielt ich Euch im ersten Schreck selber für einen solchen Prinzen – weil Ihr so jung und mit so närrischem Zeuge beladen waret – und wie wir größer wurden , bekam ich vom Vater schöne Fabelbücher , und oben eine eigene Kammer mit schneeweißen Vorhängen und Simsen , und Tischen von schönem rotem Steine . Er verbot mir , in die Schenkstube zu kommen , und von der Stadt erschien eine Frau , die uns die Fabelbücher lesen und selber schöne Dinge schreiben lehrte – nur leider ist diese Frau zu früh gestorben , und ließ uns nur einige Bücher zurück , die wir dann immer lasen , – ach , da standen Euch Dinge darinnen , daß mir oft das Herz zerspringen mochte vor lauter Schmerz und Sehnsucht – und die alte Plumi kroch auch wieder aus ihrer Hinterstube hervor , in die sie sich seit det Ankunft der fremden Frau versteckt hatte , und erzählte wieder , und ging mit uns ins Gebirge , die einsamen , heißen Steinriesen empor , Erdheeren oder Haselnüsse suchend , oder Blumen , deren oft eine bei diesem oder jenem Steine stand , so prachtvoll und wildfremd , daß Ihr erschrocken wäret – Ihr habt vielleicht gar keine solche in Euren großen Blumenbüchern – und wenn wir tief genug in der Grahnswiese zurückgingen , daß wir weder den Bach noch die Schmiede und Sägemühle hören konnten , und bei dem wilden Schlehenbusche kauerten , und sie nun erzählte und immer tiefer hineinkam und unter den grauen Haaren hervor die pechschwarzen Augen in unsre Gesichter bohrte : da fuhr ich Euch oft entsetzt zusammen , wenn sich von der Wand daneben ein Steinchen löste und zu dem andern Gerölle niederfiel – und es hätte mich gar nicht gewundert , wenn die Krüppelföhren zu reden begonnen hätten und der Fels sich zu neigen , namentlich wenn gar zuweilen der schwache weinende Ton durch die Luft herüberschnitt , da der alte , tote Graf Prokopus auf dem Sternenturme musizierte – – aber was wollte ich Euch denn eigentlich erzählen ? « » Wie es kam , daß du mir so gut geworden bist . « » Ach , die arme Thrine mußte den Stadtschreiber heiraten – sie tat es wohl gerne , und ging gerne mit , und die Plumi auch ; aber ich war dann so arm , daß ich es Euch gar nicht beschreiben kann – – – und da kamet Ihr und habt mich mit so guten Augen angeschaut , und mit so schönen , und seid dann wieder so traurig geworden , daß es ordentlich ein Schmerz und eine Seligkeit war – – höret , wenn Ihr falsch sein könntet , das wäre nun recht abscheulich .... « » Nein , Anna , du unschuldsvoller Engel , sei mir gut , so lange mir dieses Leben währt ; ich kann mir kein größeres Glück und keine größere Freude denken und wünschen als dich . Du bist viel besser als ich – und wenn du mein Weib bist , und wenn wir immer und immer beisammen sein werden , dann will ich ihnen in der Stadt zeigen – – nein , wir gehen gar nicht in eine Stadt , – unter Blumen und Bäumen will ich dich hüten , daß du bleibst , wie du bist , du holde , liebe Dichtung .... « » Laßt diese Dinge , und hört nur « – fiel sie ihm in die Rede . » Es war fast närrisch , wie sehr ich Euch gut ward die Hühner , und die Blumen , und die Tauben halfen doch alles nichts , ich konnte die Thrine nicht vergessen , und sie kam kaum jeden Sonntag heraus . – Der Vater ließ mich fast nichts arbeiten , und ich tat auch nichts im Hause als unnützes Zeug , höchstens die Küchlein füttern , weil sie meinten , ich sei ihre zweite Mutter , und die Blumen begießen , und diese Laube zimmern lassen . – – Und wenn ich dann in meiner Kammer das Abendgebet verrichtet hatte und der Wind in die Fenstervorhänge blies , da war ich recht traurig . – Die Bücher , welche mir Thrine immer schickte – – sagt , habt Ihr auch schon einmal bei einem Buche geweint ? « » Wohl , Anna , wohl . « » Seht , ich hab es gleich gedacht , daß Ihr das getan habt – – wie Ihr so die allerlei Steine in unser Haus truget und mit ihnen lateinisch redetet , und wie Ihr die Blumen , wie Augen so schön , in die großen Bücher legen konntet und sie oft recht lange ansahet , so dachte ich : sie können ihn doch nicht wieder lieben , weil sie trotz ihrer Schönheit nur unvernünftige Dinge sind – und wer weiß , wie weit seine Mutter entfernt ist – und Ihr sahet aus , als müßtet Ihr gar so unendlich gut sein , noch besser als Thrine selber – und wenn sie Euch schalten , daß Ihr so unnütze Dinge treibt , so dachte ich : ich weiß es schon , weshalb er dieses tut ; denn die Leute hier , wisset Ihr , kennen die Blumen und Steine nicht – und wenn mein Vater auf die Bücher Thrinens schmälte und sagte , es sei lauter Narrheit in ihnen , und wenn ich es auch schon selber zu glauben anhob , so war mir doch dazumal – – aber das ist zu lächerlich . – – « » Nun , Anna , nun ? « » Es war mir öfters , als seid Ihr in einem solchen Buche gestanden und daraus in unsern Garten getreten – und wenn Ihr hinten saßet und das Antlitz so wie nachdenkend in Eure beiden Hände drücktet , so dachte ich , dies sei meinetwegen . « » Es war auch deinetwegen – es war auch deinetwegen . « » Seht Ihr ? – und darum wars auch so da ich mir dachte , ich will ihm recht gut werden , war ich es schon , mehr war ich es , als es nur ein Mensch aussprechen kann , und ich dachte , Ihr müßtet mich ja auch unaussprechlich lieben , es könne ja gar nicht anders sein , es sei so gewiß , als wenn Ihr es schon selber gesagt hättet . « » Und wenn es nun nicht gewesen wäre ? « » Es mußte ja , weil sonst alles ein Unding gewesen wäre , las nicht sein kann – ich weiß nicht , warum der Bach in die Pernitz fließen muß , aber ich weiß , das er es muß . « » O , du ahnungsreiches Herz ! er muß es , und er ist selig , daß er es muß . Das Ziel und Ende seiner Wanderung findet er dort – was weiter sein wird , ist ungewiß ; nur ins ist sicher , das Beisammensein , und dieses eine ist alles , ob nun gezählte Jahre fließen , oder die ungezählte Ewigkeit , ob die Körper sich berühren , ob nicht , es bleibt so – – Die Leute nennens sonst auch Treue – – Aber siehe , der häßliche Fliederschatten deckt dir deine Stirne , und das süße Auge – neige das Haupt – so – noch ein wenig , mehr gegen mich – so – . Ich möchte den Mond dort an jenes blaue Fleckchen fest bannen , daß er immer herschiene und immer deine reine Stirne und das rührend schöne Auge beleuchtete – – . « Und er nahm ihre Hand , drückte sie gegen sein pochendes Herz , gegen seine Lippen , gegen seine Augen – ihren Mund zu küssen , wagte er nicht . – Ihr Auge aber voll scheuer , unbewußter , heißer Zärtlichkeit blickte auf ihn , und sie sagte mit vor Rührung zitternder Stimme : » Da ich Euch nun so schnell und so sehr liebgewonnen und es Euch gesagt habe , da ich gar in der Nacht herausgekommen bin , weil Ihr so sehr batet , so dürft Ihr nun nicht falsch sein , Ihr dürft es durchaus nicht . « » Gegen die Natur , geliebtes Herz , kann man nicht falsch sein , man ist es nur gegen Wiederfalsches – man verläßt nur den , der uns verließ , noch ehe er uns fand , weil er in uns nur seine Freude suchte . Du liebst , wie die Sonne scheint ; du siehst mich an , wie sich das grenzenlose Himmelblau der Luft ergießt ; du kommst , wie der Bach zum Flusse hüpft , und wandelst , wie der Falter flattert : und gegen den schönen Falter , gegen den Bach , die Luft und gegen das goldne Sonnenlicht bin Ich nie falsch gewesen , und gegen dich vermöcht ichs nicht zu sein um alle Reiche dieser Erde – siehe , Anna , es ist so ; – – aber , Anna , sage , liebst du mich denn auch wirklich so , so unaussprechlich , so über alles Maß , wie ich dich liebe ? – – so sag es doch , Anna – – nicht ?! « Aber sie sagte nichts , nicht eine Silbe ; das naturrohe Herz , das nie gelernt hatte , mit seinen Gefühlen zu spielen und sie zu lenken , war bereits von ihrer Allmacht iiberwältigt , und sie konnte nichts tun , als das unsäglich gute Antlitz gegen ihn emporheben und den Mund empfangen , der sich gegen ihren drückte – und so süß war dieser Kuß daß sie mit der einen Hand den sich ungestüm empordrängenden Hund wegstemmte , während sie hinübergebeugt emporgehobenen Hauptes die Seligkeit von den Lippen des teuren Mannes saugte . Er hielt sie mit beiden Armen fest umschlungen und fühlte ihren Busen an seinem klopfenden Herzen wallen . » Heinrich , « flüsterte sie , » ich möchte dich doch du nennen . « » So nenne , mein Herz , nenne . « » Und eine Bitte habe ich – – . « » So rede . « » Die Bitte , daß du nie , nie mehr auf dieser Erde ein anderes Mädchen so liebst , wie mich – – und daß ich- –.. « » Was , Engel , daß du .... ? « » Nicht wahr , Heinrich , du nimmst kein anderes Weib , ich müßte mich dann recht schämen . « » Und ich , bei dem lebendigen Gotte , mich noch mehr . Anna , höre mich : jetzt lieben wir uns bloß , das ist leicht und süß , aber es muß mehr werden . Ich werde dich von hier fortführen ; du mußt meine Gattin werden , ich dein Gatte – das ist schwer , aber unendlich süßer : immer an demselben Herzen , losgetrennt von Vater und Mutter und von der ganzen Welt . Du mußt lieben , was ich liebe , du mußt teilen , was ich teile , du mußt sein , wo ich bin , ja außer mir muß dir nichts sein : ich aber werde dich ehren bis ins höchste Alter , werde dich schützen , wie den Schlag meines Herzens , werde dein Geliebtes lieben , werde außer dir nichts haben – – und wenn eines stirbt , muß das andere Trauer hegen bis zum Grabe . Anna , willst du das ? « » Ja , sagt einmal , kann es denn anders sein ? « » Freilich , wo es recht ist , kann es ja nicht anders sein ; das andere ist eben keine Ehe . « » Und wohin werdet Ihr mich denn führen ? – – aber ach Gott ? wie wird es denn sein können ? Der Vater wird in Ewigkeit nicht einwilligen und die Mutter auch nicht . – Ihr seid so gut , ganz lieb und gut – aber Ihr tut ja nicht wie alle andern Männer , die ein Weib nehmen . Sie haben Haus und Hof , oder sind wie Thrinens Stadtschreiber ; aber Ihr geht in den Bergen herum , schlagt Steine herab , bringt Blumen ins Haus . – – – « » Siehe , das ist so : wie du in deinen Büchern liesest , so bin ich bestimmt , im Buche Gottes zu lesen , und die Steine und die Blumen und die Lüfte und die Sterne sind seine Buchstaben – wenn du einmal mein Weib bist , wirst du es begreifen , und ich werde es dich lehren . « » O , ich begreif es schon , und begriff es immer ; das muß wunderbar sein ! « » O , du unbewußtes Juwel ! freilich ist es wunderbar !! unausstaunlich wunderbar !! O , ich werde dir noch vieles , vieles davon erzählen , wann wir erst unveränderlich beisammen sind – da wirst du staunen über die Pracht und Schönheit der Dinge , die da auf der ganzen Erde sind . Jetzt aber , Anna , werde ich dir etwas anderes sagen , merke auf und behalte es in deinem klugen Haupte . Es ist das , weshalb ich dich in den Garten bat , und was deinen Vater und deine Mutter betrifft . Da ich vorgestern nachmittags wohl drei Meilen von hier im Schatten schöner Ahornen saß und nachdachte , wie nun alles werden solle : da fiel mir ein , daß ich nun hinausgehen und mir Stand und Amt erwerben müsse – ich habe Freunde , die mir helfen werden – dann werde ich kommen und deinem Vater das rechte Wort sagen , daß er es über sich vermöge , dich mit mir zu lassen . Es ist wohl , aber weit von hier , ein Gärtchen und ein Haus , und kleine Felder – das ist alles mein ; es nähret mich und die Meinen , die zu Hause sind , die liebe Mutter , und eine Schwester , die fast so gut ist wie du selber ; aber das alles würde in den Augen deines Vaters zu geringe sein – darum , Anna , bat ich dich , daß du in den Garten kommest , damit ich dir sage , daß ich nun fortgehe , aber wieder komme , dich zu holen , – daß du an mich glaubest und freundlich auf mich wartest – – und daß ich dich noch einmal vorher frage , ob du mich denn auch so sehr , wie ich dich , liebst und in alle Ewigkeit lieben willst – das alles wollte ich tun – – aber siehe , da geschah indessen etwas – nein es ist zu fabelhaft ; ich getraue mir es selber nicht zu glauben – – erschrecke nicht , es ist nichts Böses – ich kann es keinem Menschen anvertrauen , doch dir will ich es sagen – du , liebe Unschuld – aber du darfst es nicht verraten – . « » Nein , sagt es lieber nicht , ich verriete es vielleicht doch , und ich glaube ja ohnedies an Euch – und sagt es nur einst dem Vater , daß es gewiß wird , daß ich Euer Weib werde – es ist ohnedies schon hart genug , daß ich es verschweigen muß , daß ich Euch so gut bin . – – Denkt nur , neulich hab ich es sogar dem Philax ins Ohr gesagt : ich lieb ihn von Herzen , von Herzen , von Herzen – – aber der Thrine darf ich es doch morgen sagen ? « » Wann du mich liebst .... « » Nein , ich sage ihr auch nichts . – – Wenn Ihr nur nicht zu lange ausbleibt , werd ich es schon überdauern . « O , du schönes , naturgetreues Herz , wie werd ich dich verdienen können ? « sagte er nach einer Weile , in der er sich gesammelt hatte . Seine Stimme war gerührt , und wenn seine Augen nicht im Schatten gewesen wären , so hätte sie sehen können , wie zwei Tränen in dieselben getreten waren . Sie aber sah es nicht , und da sie wegen seines Schweigens meinte , es sei ein Schmerz in ihm , so nahm sie seine Hand in ihre beiden , und hielt sie fest und herzlich . Und wie sie so saßen und schwiegen , und wie um sie auch die ganze glänzende Nacht schwieg – und Minute nach Minute verging , ohne daß das Herz es wußte : da krähte hell und klar der Hahn , die Trompete des Morgens , der Herold , der da sagt , daß Mitternacht vorüber und ein neuer Tag anbricht . – – Anna sprang auf : » Um Gottes willen , seht , der Mond steht so tief , daß er in den Laubeneingang scheint , und die Luft wird heller – ich muß zurück ins Haus – haltet mich nicht auf – und lebt recht wohl . « Er stand auch auf : » Nur noch eine Minute , Anna , noch eine Sekunde – nur diesen Kuß – – so – – aber du sagst ja schon wieder : Ihr . « » Nun , du – so lebe wohl , lieber , teurer Mann , und komme doch recht bald und sage das Wort zum Vater . « » Und die Tage , die ich bleibe – kommst du noch einmal zur Laube , Anna ? « » Nein , Heinrich , es ist nicht recht ; ich will Euch unter Tags in dieser Zeit recht freundlich anblicken , wenn auch der Vater scheel sieht , aber kommen kann ich nicht mehr , es ist doch nicht recht . – – Sagt nur bald das Wort , dann bin ich ja immer bei Euch , Tag und Nacht . « Noch einmal , auf die Spitzen ihrer Zehen gestellt , empfing sie seinen Kuß . » Lebe wohl , « sagte er , » du innig süßes Herz – gute Nacht . « Gute Nacht « , sagte sie , und verschwand im Schatten des Laubes . Er war allein . Frischer , gleichsam dem Morgen zu , rauschten die Wasser der Pernitz , und die Blätter der Zweige begannen sich in einem kurzen Nachmitternachtlüftchen zu rühren . Der Wanderer ging aber tiefer in den Garten zurück , schwang sich über die Einfriedigung und schritt über den mondhellen Wiesenhügel dem Walde zu , als sei es ihm nicht möglich , in diesem Augenblicke seine Schlafstelle zu suchen . Die glänzende Nachtstille blieb von nun an ungestört , und nichts rührte sich , als unten die emsig rieselnden Wasser , und oben die Spitzen der flimmernden Sterne . 2. Das graue Schloß Es war ein Klingeln und Läuten und ein freudiges Brüllen und Meckern durcheinander , als am andern Tage die Morgensonne aufging , die Bergtäler rauchten und die Herde wieder zu den Triften hinanstieg . Aber der Hirt Gregor ging nicht mit , sondern er stand in steifem Sonntagsputze auf der Gasse und sonnte sich ; nur der graue Hund in seinem ewigen Werktagswamse und der Hirtensohn auch in dem seinigen begleiteten die Herde – der eine freudig sein Halsband schüttelnd , der andere rüstig den Bündel Steigeisen und das Griesbeil schulternd , die einzigen zwei Wesen , welche heute arbeiten mußten ; denn alles andere ging der Feier und Ruhe nach . Auch der alte Boten-Simon stand schon mit einem glänzenden Gesichte , von dem er den zollangen Wochenbart geschoren , und mit noch glänzenderer Jacke auf der Gasse da , und schaute herum , recht behaglich die Wonne des einzigen Ruhetages der Woche fühlend , an dem er sonst nirgends hin mußte als in die Kirche , was er sehr gerne und immer mit vieler Salbung tat . Die Pfeife dampfte bereits , und auf dem Hute hatte er ein ganzes Gebüsche von Gebirgsfedern stecken , nebst dem riesenhaften Fächer eines Gemsbartes . Die warme Sonntagssonne stand bereits am Himmel und warf eine freudenreiche Strahlenmenge in das Tal . An den Bergen blitzte der Tau , und die Pernitz rollte lauter Gold und Silber durch die Felsen . In allen Häusern rührte und rüstete es sich sonntäglich , und die Waldhöhen standen in einem wahren Lauffeuer von Singen und Schreien der Vögel . Oben im Stockwerke der grünen Fichtau öffnete sich ein Fenster , und das Antlitz des Wanderers blickte heraus , die Haare von der freundlichen Stirne zurückstreifend und die Augen nach Himmel und Wetter richtend . Beides ward genügend befunden , und er wollte eben wieder zurücktreten , als auch Vater Erasmus aus dem Hause schritt , zunächst an seinem Leibe schon die schimmernde Sonntagswäsche und die Sonntagskleider tragend , darüber aber noch die Werktagsjacke geworfen , und die Alltagskappe auf . » Guten Morgen , Simon , « rief er , » guten Morgen ! Ein schöner Tag das – das sind Tage zur Flachsblüte . « » Blüht bereits , wie ein blaues Meer , im Asang draußen « , sagte Simon . » Ich habe ihm den handigen Fuchs in die Gabel zu spannen befohlen « , redete hierauf der Wirt durch die Türe des Gassengärtchens hinein ; » denn er ist gelassener als der andere – aber ich sage dir , Anna , daß du dich nicht etwa verleiten lässest , wenn er dich einladet , mit ihm zu fahren ; der Fabelhans würfe dich samt sich in einen Graben . Fahre mit mir , wer weiß , wie bald ohnehin einer kommt , der dich auf immer und ewig davonführt . « Anna , die im Gärtchen Rosen und anderes zum Sonntagsputze schnitt , wurde in diesem Augenblicke unter der Gartentür sichtbar , und die braunen Augen gegen den Vater hebend , sagte sie : » Ei , er wird mich nicht einladen , und der andere wird auch nicht kommen , lieber Vater . « Sie war in ihrem Morgenkleide wieder gar so schön . Wenn sie auch öffentlich immer im Landesschnitte ging , so trug sie doch zu Hause Kleider nach eigener phantastischer Erfindung , und Vater Erasmus , einst ein Kenner weiblicher Schönheit , und nicht der letzte , der sie an seiner Tochter anerkannte , wurde nun vollends schalkhaft , indem er sagte : » Nun – nun , du Narre , er wird nicht ausbleiben , aber wenn er kommt – ein ganz auserlesener Bräutigam muß es sein , sonst lasse ich dich nicht von hinnen – ein ganz ungeheurer Prinz von einem Bräutigame muß es sein . « » Wenn ich aber nicht gerne , nicht recht gerne fortgehe , « erwiderte sie treuherzig , – » nicht wahr , Vater , so soll mich keiner aus der schönen Fichtau fortbringen ? « Und wie sie hiebei so die bewußtlos schönen Augen gegen den Vater richtete , so rieselte es ihm , der ohnedies närrisch über sie war , wie von lächerlichem Stolze und von lächerlicher Freude durch die Glieder , und er platzte los : » Das soll er auch nicht – ja ich sage dir , wenn du nicht ein Glück machst , daß du ordentlich darnach zitterst , so darfst du nicht aus dem Hause – ein Glück mußt du machen , daß die ganze Fichtau die Hände zusammenschlägt . « Über Annas Angesicht floß bei diesen Worten ein Purpur , so tief und schön , wie der der Rosen in ihrer Hand ; zwei reine zentnerschwere Augenlider lagen tief herab gesenkt , und sie ging augenblicklich in den Garten zurück . Dort trat sie vor einen Fliederstrauch , schnitt aber nichts ab , sondern stand davor , und blickte ihn bloß an oben im Gemache stand einer , und drückte sich die Hand an seine Stirne – – nur die zwei arglosen alten Männer standen auf der Gasse , und plauderten fort . Ihr habt da eine gottlose hoffärtige Rede getan , Erasmus « , sagte der Boten-Simon ; » wenn Ihr Eurer Tochter ein so vermessenes Glück erzwingen wolltet , daß es über Menschlichkeit hinausgeht , so seht zu , daß Euch Gott nicht mit ihrem Unglücke strafe . « » Nun es ist nicht so arg gemeint , « fiel ihm der Fichtauer Wirt in die Rede , » wenn es nur ein tüchtiger Mann ist , in so Haselant wie der Stadtschreiber , mit dem der Schmied prahlt , sondern ein franker Biedermann , der seine Geschäfte rasch weg tut , schön und jung und freundlich ist und die Anna ein wenig hätschelt , weil sie's gewohnt ist . Ein paar Pfennige muß er haben , und dann legt sie das Ihrige dazu ; denn mein einziges Kind geht nicht leer aus der grünen Fichtau – und verdient sie es denn nichts ? sagt , Simon , ist sie nicht ein Ding , daß es ordentlich eine Schande ist , daß ich ihr Vater bin ? – Nur meinen Kopf hat sie nicht ; sie geht zu viel auf Faselei und Zeugs – das hat sie von der Mutter . « » Ja , ja , « sagte Simon , » sie ist absonderlich geworden ; ich duze sie schon seit einem Jahre nicht mehr , aber ich glaube immer , Ihr habt sie vermessen über ihren Stand erzogen . « » Das soll sie auch , « erwiderte der Wirt , » sie soll über ihren Stand , darum tat sie noch keinen Schritt in die Schenkstube , und darf in der Wirtschaft nichts anrühren – und damit ists gut . Ich muß jetzt zu dem Wagen schauen . Lebt wohl . « » Der ist nunmehro auch ein Narr « , sagte der Boten-Simon , indem er dem Abtretenden nachsah , und seine Pfeife fortrauchte . Es hatten sich mittlerweile mehrere jener Gebirgswagen auf der Gasse der grünen Fichtau eingefunden , in denen die wohlhabendere Klasse an Sonn- und Feiertagen zur Kirche zu fahren pflegt . Auch von Fußgängern hatte sich einiges hinzugesellt . Da die Gebirgsbewohner zerstreut mit ihren Gehöften in den Bergen sitzen , da die Gebirgskirchwege oft meilenlang sind , so hatte sich die Sitte gebildet , ein wenig bei der grünen Fichtau anzuhalten , um sich zu sehen , zu besprechen und etwa ein kleines zweites Frühstück zu halten . So war es auch heute . Sowohl auf der Gasse als auch in der Stube waren Gespräche , und Boten-Simon war bald von mehreren Gruppen umstanden , wo er bald mit diesem , bald mit jenem ein weniges redete . Das Zimmer des Naturforschers im oberen Stockwerke erglänzte indes freundlich von den Strahlen des Morgens , und sein Schimmer fiel auf die allerlei Stufen und Steine , die umherlagen und traurig funkelten , oder auf Kräuterleichen , deren dürre und spröde Gerippe die wohltuende Helle und Wärme nicht mehr empfanden , die durch die Fenster herein wallte , und die ihnen einst auf ihren freien Bergen so herrlich war ; der Mann aber ging zwischen diesen Sachen auf und nieder , und sann nach . Da war er vor wenig Wochen in ein schönes Tal voll grüner Pflanzen und freundlichen Gesteins gekommen auch ein schmuckes Mädchen hatte er gefunden – – und wie war denn nun alles ? Die Tage waren so linde , so schmeichlerisch und so unschuldig über seinem Haupte weggegangen . Keiner brachte etwas Neues , in keinem ist etwas geworden – sie heischte nicht , sie forderte nicht , sie hoffte nicht – – und wenn er sie nun so stille , so sinnend , so brütend stehen sah : da war in ihm ein solches Übermaß von Neigung und Erbarmen , daß er sich nicht zu helfen wußte . Er hätte sich alle Adern öffnen lassen , wenn es nur ihr , nur ihr Linderung und Glück zu bringen vermocht hätte . Er wäre gerne an das Fenster getreten , um hinabzusehen , aber er getraute sich nicht ; denn er fürchtete sich , daß sie noch immer am Flieder stehen und sinnen möchte . Nachdenklich blieb er vor seinen Pflanzen und Steinen stille stehen und dachte : › O du süßes , unerforschtes Märchen der Natur , wie habe ich dich immer und so lange in Steinen und Blumen gesucht , und zuletzt in einem Menschenherzen gefunden ! O du schönes , dunkles , unbewußtes Herz , wie will ich dich lieben ! Und ihr Blüten dieses Herzens , ihr unschuldigen , beschämten , hülflosen Blicke , mit welcher Freude drück ich euch in meine Seele ! ‹ So dachte er oben ; unten aber rief die Stimme des wieder auf die Gasse gekommenen Vaters : » Ei , da hast du ja einen gewaltigen Pack von Blumen und Kraut aus dem Garten geplündert , und trägst dich damit , wie unser Pflanzenmann , wenn er das Gras von unsern Bergen schleppt . « Der Wanderer trat ans Fenster . » Es ist nur , Vater , « sagte Anna , » weil ich Thrinen einen recht vollen Strauß mit in die Stadt bringen will , weil sie in dem großen , widerwärtigen steinernen Hause keine Blumen haben . Und wie man sie in einen Strauß ordnet , daß es schön sei , habe ich von unserm Gaste gelernt , der mehr von Blumen versteht , als wir alle zusammen im ganzen Fichtauer Tale . Es ist auch ein wunderbares Leben in ihnen , hat er gesagt , und ich glaube es – und gewiß haben sie noch recht liebe , kleine Seelen dazu . Er weiß schon , warum er sich so mit ihnen abgibt . « » Ja , ja , ja , ja , Leben und Seelen und Katzen , « erwiderte der Wirt , » sieh nur zu , daß du einmal mit deinem Kirchenanzuge fertig wirst ; pünktlich nach einer halben Stunde wird abgefahren . « Anna ging ins Haus , und nur dem feinen Ohre Heinrichs war ihr leichter Tritt auf der Treppe vernehmlich , wie sie die Blumen auf ihr Zimmer trug . Nach einer halben Stunde waren wirklich , wie vorausgesagt , die schlanken glänzenden Füchse des Fichtauer Wirtes jeder an seinen Wagen gespannt , aber auch die Weiber , wie voraus zu sehen , nicht fertig . Erasmus ging in einem feinen , fast städtischen Sonntagsrocke unruhig hin und her . Boten-Simon hatte nach einem riesenlangen Stocke gegriffen , um seine Kirchenwanderung zu beginnen ; denn der Schecke mußte an Sonntagen die herkömmliche Ruhe haben . Auch andere Wagen warteten noch ein wenig , um sich dem Zuge anzuschließen . Der Schmied saß im lächerlichen Putze da , und hatte eine flammend rote Decke auf den Wagensitz gebreitet und auf das Geschirre des Pferdes gesteckt , um den Stadtschreiber würdig zu empfangen . Auch der Wandererstand schon in seinem schönen Gewande da , daß er ordentlich , wie der vernünftigste Mensch aussah – – siehe , da erschien endlich auch Anna und die Mutter auf der Gartentreppe herabschreitend . Die Mutter , eine sehr schöne Frau mittlerer Jahre , mit Gesichtszügen , deren Ausdruck weit über ihrem Stande zu sein schien , war in dem gewöhnlichen Sonntagsanzuge der wohlhabenden Gebirgsbewohner , obwohl alles an ihr von besserem Stoffe und feinerem Schnitte war ; denn Erasmus liebte es , die Früchte seiner guten Wirtschaft an den Seinigen zu zeigen . Anna war gekleidet wie die Mädchen des Tales , aber wie man sie so über die Gasse sittsam dem Wagen zuschreiten sah , so hätte man geschworen , sie sei aus einem ganz anderen Lande , und trage einen Anzug , den sie sich erfunden , weil sie in demselben am schönsten sei . Ohnedies sind die Fichtauer Trachten die malerischsten im ganzen Gebirge . Da sie an Heinrich vorüberkam , überzog ein feines tiefes Rot ihre Wangen , und ihres Versprechens eingedenk richtete sie ihre schönen Augen voll treuherziger Liebe auf ihn , so daß jeder , nur ihr Vater nicht , hatte erkennen müssen , was hier walte , wenn sie überhaupt Augen dafür gehabt hätten . Der Naturforscher nötigte aus Gutherzigkeit den Boten-Simon zu sich auf den Wagen , welcher aber nur sehr zögernd und mißtrauisch folgte und sichtbar mit dem Plane umging , sich der Zügel zu bemächtigen , sobald sich irgend etwas Verdächtiges ereigne – aber zum Erstaunen des Wirtes und der andern fuhr der Wanderer vor ihren Augen so geschickt von der Gasse weg , und so rasch der Steinwand entlang , daß dem Vater Erasmus das Herz im Leibe lachte , wie er seinen Fuchs so taktsicher dahin tanzen sah , und daß er ordentlich eine Hochachtung für seinen Gast zu fassen begann . Zunächst folgte er selber mit Annen und der Mutter , dann der Schmied und dann die andern . Als man den langen , schmalen , romantischen Gebirgsweg neben der Pernitz zurückgelegt hatte und eben um den letzten Hügelkamm der Fichtau herumbog , wo dem Reisenden plötzlich ein breites Tal und der schlanke spitze Turm von Priglitz entgegensteigt , fahr ein rascher Wagen an sie heran , in welchem der Stadtschreiber mit seiner jungen Gattin saß , um die Kirchfahrer zu bewillkommen . » Sei gegrüßt , Heinrich , « hatte er gesagt , » du teuerster aller Vagabunden , sei gegrüßt ! « » Gott grüße dich , Robert , « antwortete der andere , » das ist ein köstliches Tal , diese Fichtau ! « » Habe ich es dir nicht gesagt , « entgegnete Robert , » habe ich es dir nicht gesagt , als du immer nicht kommen wolltest ? « Sie hatten sich aus den Wagen hinüber die Hände gereicht . Indessen war aber Thrine von ihrem Sitze hinabgesprungen und Anna auch von dem ihrigen , und sie herzten sich auf offener Straße , als wollten sie sich tot drücken . Thrine war in der Tat eine › schneeweiße ‹ Thrine ; denn ihr Kleid trug ganz und gar untadelig diese Farbe , und das Frauenhäubchen um das junge schöne Angesicht war dem schneeigsten glänzendsten Mittagswölkchen des Hochsommers vergleichbar . Sie drückte Annen von sich , sah sie an , und konnte sich nicht satt an ihr sehen , daß sie denn in so kurzer Zeit gar so schön geworden sei freilich konnte sie nicht ahnen , aus welch süßem , knospendem Boden diese Schönheit so schnell aufgesproßt war . Anna langte den mächtigen Blumenknäuel , den sie im ersten Schreck weggeworfen hatte , aus dem Wagen und drang ihn Thrinen auf . » Du mußt ihn zu Hause auflösen « , sagte sie ; » denn die armen Stengel sind von den Fäden fast wund gedrückt , was ihnen sehr schadet ; dann mußt du alles geordnet in deine Blumenbecher stellen . « » Gott zum Gruße , Herr Schwiegervater « , hatte Robert dem Schmiede zugerufen ; » nach dem Gottesdienste fahren wir alle zusammen in die lustige Fichtau . « » Schön Dank , Herr Sohn , schön Dank « , entgegnete der Schmied , und indessen hatte sich wieder alles zur Weiterfahrt eingerichtet . Anna saß wieder bei Vater und Mutter , Thrine bei dem Gatten , und Heinrich fuhr bereits mit Boten-Simon so rasch den talführenden Weg gegen Priglitz ab , daß dessen Hutfedern flatterten und der Gemsbart sauste . Man kam vor Roberts Hause an , wo immer die Wagen des Schmiedes und Wirtes warten mußten ; man ordnete sich die Kleider , wechselte einige Worte und ging dann in die Kirche . Nach dem Gottesdienste war , wie gewöhnlich , bei Robert ein Glas Wein . Thrine und Anna liefen durch alle Zimmer und verweilten hauptsächlich in der hintern Stube bei Thrinens kleinem Kinde . » Wie es gar so lieb und schön und unvernünftig ist « , sagte Anna , indem sie die kleinen unbewußten Züge des Kindes streichelte . Der Schmied saß indessen vorne in der Prunkstube im Ehrenstuhle , Annas Mutter bekam süßes Gebäcke , Erasmus machte beim Priglitzer Wirte droben ein Geschäft ab , und die Freunde Heinrich und Robert beredeten sich angelegentlich einige Minuten in einer Fenstervertiefung , als ob sie einen Plan ins Reine brächten . Dann traten sie zu den andern . Vater Erasmus kam auch . Thrine hatte sich angekleidet , von dem Kinde Abschied genommen und nun fahr alles der grünen Fichtau zu . Wir aber müssen hier von derselben scheiden , so gerne unsre Feder noch bei dem klaren , freien , heiteren Fichtauer Leben verweilen möchte . Allein der Zweck der vorliegenden Blätter führt uns aus dieser harmlosen Gegenwart , die wir mit Vorliebe beschrieben haben , einer dunklen schwermütigen Vergangenheit entgegen , die uns hie und da von einer zerrissenen Sage oder einem stummen Mauerstücke erzählet wird , denen wir es wieder nur eben so dunkel und mangelhaft nacherzählen können . Zu Ende versprechen wir wieder in die Gegenwart einzulenken , und so ein dämmerndes , düsteres Bild in einen heitern freundlichen Rahmen gestellt zur Ansicht zu bringen . Heinrich hatte nämlich von Robert das Versprechen erhalten , daß er sich bemühen wolle , ihm den Eintritt in den verfallenden Rothenstein zu verschaffen , und daß er ihm den Erfolg seiner Bemühungen in einem Briefe mitteilen werde , der zugleich Ort und Zeit der Zusammenkunft feststelle . Ehe wir sie nun auf den alten Berg und in das alte Schloß geleiten , ist es uns noch vergönnt , den letzten Rückblick in das Fichtauer Tal zu tun , und zu sagen , daß die Forellen des Vater Erasmus ganz vortrefflich waren , daß Thrine , Anna , Robert und der Wanderer beim Schmiede im Garten speisten , daß nach Tisch ein ergötzliches Scheibenschießen war , daß sich manche heitere und lustige Gäste in der grünen Fichtau vorfanden , daß Anna im Laufe des Abends einmal der schneeweißen Thrine ohne allen Grund um den Hals fiel , und endlich , daß die Stadtleute erst nach Hause fuhren , da schon alle Sterne am Himmel standen . Gleich darauf , da schon auch alle Lichter der grünen Fichtau ausgelöscht waren , trat der Mond heimlich über den Berg herüber und schaute in den Garten , ob er wieder das süße , flüsternde , verstohlene Glück erblicke , wie gestern – allein es war nicht da ; Gebüsch und Garten standen leer , und die ganze Nacht erblickte er nichts anderes als die glänzenden Lichttropfen der Gräser und das silberne Rieseln der Wasser . Dem bewegten Sonntage folgte die arbeitsvolle Schleppe der Woche : Simon und der Schecke fuhren landaus , landein , die Sägemühle kreischte , die Schmiede tosete ; Erasmus handierte und wirtschaftete , Anna ging hier und dort , oder stand und dichtete . Freilich hielt sie treu ihr Wort in Hinsicht des freundlichen Anschauens , aber auch in Hinsicht der Weigerung , je wieder mit Heinrich allein beisammen zu sein . Er sah sie nur von ferne , er sah sie gehen und kommen , oder ihr liebes Kleid sanft schimmern zwischen den Büschen des Gartens . So verging die Zeit . Der Flachs blühte im Asang draußen immer blauer und blauer , die Tage wurden einer schöner als der andere , und so kam endlich auch wieder der Samstag , und mit ihm der Schecke , und Simon , und auch der Brief von Robert . Nachdem ihn der Wanderer gelesen , zahlte er an Vater Erasmus die Wochenrechnung , sagte , daß er heute nicht die Knechte aus den Gebirgen , die Jäger und andere Samstagsgäste der grünen Fichtau abwarten könne , sondern daß er noch heute nach Priglitz gehen und bei Robert übernachten wolle – etwa nach ein paar Tagen komme er wieder zurück ; seine Sachen sollen indes auf seinem Zimmer verschlossen bleiben . Und somit war dies unser letzter Blick in die Fichtau . Heinrich ging erst spät abends fort , und wie er der Steinwand entlang ging und um sie herumbog , so versank hinter ihm und auch hinter uns die ganze liebe grüne Fichtau mit allen ihren bereits angezündeten Lichtern , mit ihren fröhlichen Samstagsgästen und dem abendlichen Klingen der Zithern . Nur die rauschende Pernitz ging mit ihm und erzählte und plauderte ihm in der Finsternis vor , bis sie beide hinauskamen in das breitere Tal und an die Mauern von Priglitz . Des andern Tags war wieder ein Sonntag , der nächste seit jenem , wo wir die Gesellschaft auf ihrer Kirchenfahrt begleitet hatten ; aber heute finden wir die zwei Freunde , Robert und Heinrich , allein , wie sie , ehe noch die Strahlen des ganz heitern Tages heiß zu werden begannen , den verhängnisvollen Berg zu dem Schlosse Rothenstein hinanstiegen . Den ebenen Weg hatten sie mit einem Wagen zurückgelegt . Am Fuße des Berges nahm sie eine Allee uralter , dichtbehaarter Fichten auf und leitete sie empor . Die laue Vormittagsluft seufzte schwermütig in den Zweigen , und je höher sie kamen , wurde es immer einsamer , und das sonntägliche Schweigen der Fluren wurde immer noch tiefer und noch schweigender . Endlich gelangten sie zu einer grauen , von dichten Fichtenzweigen gestreichelten , eisenglatten Mauer von ungewöhnlicher Höhe . Dem Fahrwege der Allee gegenüber stand der weiße Fleck des zugemauerten Tores , und darüber starrten mißstimmige Trümmer eines Wappens . Robert duckte sich unter das zwischen den Fichtenstämmen wuchernde Haselgesträuch , ging etwas neben der Mauer fort , und dann drückte er gegen einen hervorstehenden eisernen Knopf , worauf im Innern eine grelle Glockenstimme antwortete . Allein nachdem die unaufhörlich wackelnden Töne des Metalles geendet hatten , war es wieder stille wie zuvor , nur daß sich in der beginnenden Tageswärme ein vielstimmiges Grillenzirpen auf dem Berge erhob . Vergeblich rief Robert : » He , holla ! ich bin es , der Syndikus , den du einzulassen versprochen . « Es erfolgte keine Antwort . Nur sah Heinrich , da er zufällig emporblickte , am Mauerrande ein Haupt : Gesicht und Haare so grau , wie daneben die uralte Steinmetzarbeit , und die Augen starr auf die beiden Männer geheftet . Nach einer Weile verschwand es , und kurz dar auf hörte man ein seltsames Ächzen und Knarren in der Mauer , und zum Erstaunen des Wanderers schob sich ein Stück derselben gleichsam in einander , und es wurde die dunkle Mündung eines Pförtchens sichtbar , darinnen wie in einem Rahmen eine große Gestalt stand , dieselben steingrauen Gesichtszüge tragend , die Heinrich auf der Mauer gesehen hatte , nur ein Lächeln war jetzt auf ihnen , so seltsam , wie wenn im Spätherbste ein einsamer Lichtstrahl über Felsen gleitet . – » Geht nur gleich in den grünen Saal « , sagte die Gestalt . » Sei gegrüßt , Ruprecht , « sagte Robert , » zeig uns den grünen Saal , und alles andere auch , wenn es dir genehm ist . « Ohne alle Antwort wich der Mann zurück . Sie traten ein , und in demselben Augenblicke ging ein fürchterlicher , ein zärtlich gewaltiger Ton über ihren Häuptern durch die Luft . » Es ist nur die Geige des Prokopus , « sagte der alte Mann , » schreitet herein , Erlaucht , in die Stadt des alten Geschlechtes . « Bei diesen Worten verbeugte er sich gegen Stellen , wo niemand stand – ; und dann richtete er den Mechanismus der Mauer . Es hob wie eine ablaufende Turmuhr zu schnarren an , schwenkte herum und schloß sich , so daß der Ort kaum zu erkennen war , durch den sie hereingekommen . Die Freunde standen aber nun innerhalb der Mauer nicht etwa auf einem Schloßplatze oder dergleichen , sondern wieder im Freien , und vor ihnen stieg der Berg sachte weiter hinan , nur war seiner Senkung ein breites , weites , rätselhaftes Vieleck abgewonnen , auf dem sie sich eben befanden ; es war mit Quadersteinen gepflastert , aber aus den Fugen trieb üppiges Gras hervor , und die heiße Sommersonne schien darauf nieder . Mitten auf dem Platze lagen zwei schwarze Sphinxe , mit den ungeheuren steinernen Augenkugeln glotzend und zwischen sich das ausgetrocknete Becken eines Springbrunnens hütend , aber aus dem aufwärtszeigenden Stifte sprang kein Wasser mehr ; der Wind hatte das Becken halb mit feinem Sande angefüllt ; aus den Randsimsen quollen Halme und dürre Blümchen ; und um die Busen der Sphinxe liefen glänzende Eidechsen . Weiter hinter dieser Gruppe stand ein Obelisk , jedoch seine Spitze lag ihm zu Füßen . » Der Graf Johannes ist schon vor dreihundert oder vierhundert Jahren gestorben « , sagte Ruprecht . Seitwärts diesem Platze sahen die Freunde ein kleines Häuschen stehen , wahrscheinlich die Wohnung des Pförtners ; von dem eigentlichen Schlosse aber war nichts zu erblicken als graues Dachwerk , über das Grün des Berges hineinschauend und von kreisenden Mauerschwalben umflogen . Sie stiegen sofort den verwahrlosten , ausgewaschenen Weg hinan . Hie und da war auf der Abdachung des Berges ein Geschlecht zerstreuten Mauerwerkes und grünen Wuchergebüsches , worunter ganze Wuchten des verwilderten Weinstockes , der seiner Zucht entronnen , sich längs des Bodens hinwarf und sein junges , frühlingsgrünes Blatt gegen das uralte Rot der Marmorblöcke legte , die hie und da hervorstanden . Mancher kreischende Vogel schwang sich aus dieser grünen Wirrnis empor , wie die Freunde weiter schritten , und verschwand im lächelnden Blau des Himmels . Auf dem ganzen Wege erblickten sie kein einziges menschliches Wesen . Die Seite des Berges , auf der sie stiegen , schien ein verkommender Park zu sein . Es hüpften Hasen empor und flohen seitwärts , alle Arten von Schmetterlingen und Insekten flogen und summten , und eine Lindengruppe , an der die Freunde vorüberkamen , hing voll wimmelnder Bienen . Aber nirgends war ein Mensch . Als sie auf der Hälfte des Weges waren , kam ihnen ein Hund nach , ein Bulle der größten Art , und ging ruhig hinter Ruprecht her . » Wir haben alle Dinge bewacht , « sagte der alte Mann , » und der Hund ist mir sehr beigestanden , weil sie ihn fürchten weit und breit . Im Sixtusbaue , wo die Nonnenzellen sind , fließt alles von Honig ; denn ich nahm ihnen nie einen , und der Wein muß in seiner eigenen Haut liegen . Ich habe dem Gerichte , da es alles anschauen wollte , den Weg nicht gezeigt , der von der Nonnenklausur hinabführt , darum wissen sie von dem Weine nichts . Gehet aber in den grünen Saal , Erlaucht , da werdet Ihr sehen , wie gut der Mann konterfeit hat . « Heinrich sah verwundert auf Robert , dieser aber sagte : » Du hast wieder einen deiner bösesten Tage , altes Rüstzeug . « Dabei heftete er die Augen auf den Mann . Dieser aber schwieg augenblicklich , sah den Syndikus betroffen an , und durch die versteinerten Züge ging ein feines Erröten , wie wenn er sich schämte . Fortan schwieg er . Man hatte endlich die Kante des Berges erreicht , und Heinrich sah nun , wie erst eigentlich gegen die andere Seite hinab in einem sanftgeschwungenen Tale die Sammlung der Bauwerke lag . Es war alles viel großartiger , weiter und auch verworrener , als er gedacht hatte . Ein ganzes Geschlecht mußte durch Jahrhunderte hindurch auf diesem Berge gehauset , gegraben und gebaut haben . Abgesonderte Bauwerke , gleichsam selber wieder Schlösser , standen auf verschiedenen Punkten , niedere Mauern liefen hin und her , Brüstungen bauschten sich , die Anmut griechischer Säulen blickte sanft herüber , ein spitzer Turm zeigte von einem roten Felsgiebel empor , eine Ruine stand in einem Eichenwalde , und weit draußen auf einer Landzunge , deren Ränder steil abfielen , schimmerte das Weiß neuester Gebäude . Und diese ganze weitläufige Mischung von Bauten , Gärten und Wäldern war umfangen durch dieselbe klafterdicke , hohe , graue Eisenmauer , durch welche sie hereingelassen worden waren , und an welcher Heinrich bei seiner Entdeckung des Schlosses , wovon er nur einen Teil gesehen , herumgekrochen war , um einen Eingang zu finden . Wie ein dunkles Stirnband umzirkelte sie den weiten Berg und schnitt seinen Gipfel von der übrigen Welt heraus . Da standen sie nun , und Robert suchte zu erklären , was er erklären konnte ; denn auch er war mit dem Schlosse und mit Ruprecht nur äußerst oberflächlich bekannt , in wiefern es nämlich seit dem Tode des letzten Besitzers seine amtlichen Verhältnisse mit sich gebracht hatten . Der griechische Bau war der des Grafen Jodok , dessen der Vater Erasmus erwähnt hatte . Er sah aus dem Schoße dichten Gebüsches herüber : ein edles Geschlecht weißer , schlanker Säulen . – Und um sie herum war es so grün , als zöge sich ein jonischer Garten sanft von ihnen gegen die andern barbarischen Werke hinan . Weit davon weg stand der Turm des Prokopus , ein seltsamer Gegensatz zu dem vorigen ; denn wie ein verdichteter , zusammengebundener Blitz sprang er zackig und gotisch von seinem Felsen empor ; der Felsen selbst ragte aus einem Fichtenwalde , der , durch den Borkenkäfer abgestorben , wie ein weißes Gegitter da stand . Hinten auf einer breiten glatten Wiese lag der sogenannte Sixtusbau : breit , bleifarben , massiv , ohne die geringste Verzierung , mit noch vollständig erhaltenem grünem Kupferdache . Die Fenster , ohne Simse und flach , standen so glatt in der Quadermauer wie Glimmertafeln , die im Granite kleben . Die neuesten Gebäude auf der auslaufenden Bergzunge waren die Wohnung Graf Christophs , des letzten Besitzers , gewesen . Lange Terrassen und Gartenbauten trennten sie von den oben genannten , und ein Gartenhaus , allerlei Ruhesitze und Lustbäuschen umgaben es , mit und ohne Geschmack erbaut und bereits wieder im Verfalle begriffen . Von hier aus sah man auch deutlich die Ruine um den Eichenbestand herüber blicken , einen Bau voll Balkonen , Giebel und Erker , aber gräßlich zerfallen – es war das Haus des alten Julian gewesen . Ein Gedränge uralter , riesenarmiger Eichen schritt von dem Neubau gegen die Ruine hinüber , und man sah zwischen den Stämmen Damhirsche wandeln und grasen . » Das ist ja ganz herrlich und närrisch , « rief Heinrich , » wer hätte gedacht , daß eine solche Menge von Gebäuden auf diesem Berge Platz haben sollte , und daß noch die schönste Landschaftsdichtung zwischen ihnen und um sie liege . Mir ist es , wie in einem uralten Märchen , alles so wunderlich , als läge die Fichtau gar nicht unten , in der ich doch gestern noch war . Komm , laß uns auf die äußerste Spitze dieser Zunge vorgehen , dort muß die schönste Umsicht sein , und ehe wir in all das Mauerwerk kriechen , wollen wir hinuntersehen auf das Land , ob es denn auch wirklich noch ist wie gestern . « Und sie gingen vorwärts auf der Zunge , deren Spitze zugleich der höchste Punkt des Berges war . Hier stürzt die Wand schwindelsteil ab , und man sieht über die Ringmauer wohl hundert Klafter senkrecht nieder . Auch auf dieser äußersten Spitze war ein Bauwerk , aber nur ein länglich rundes Dach von Säulen getragen , zwischen welche man im Winter Glasfenster schieben kann . Im Innern sind an den Säulen herumlaufende Sitze , von dem roten Landesmarmor gehauen . Wohl war das Land noch wie gestern : grün und weich und ruhig lag die ganze Fichtau in der Sommervormittagsluft unten , ein sanftes Hinausschwellen von Hügeln und Bergen , bis wo der blaue Hauch der Ferne weht , und mitten drinnen der glänzende Faden der Pernitz – alles bekannt und vertraut , eine holde Gegenwart , herumliegend um die unklare Vergangenheit , auf der sie standen . Von der Häusergruppe der grünen Fichtau war nichts ersichtlich , nur der Felsengipfel des Grahns blickte rötlich blau und schwach durch die dicke Luft herüber , und Heinrichs Auge haftete gerne und mit Rührung auf ihm , als einem Denkzeichen des lieben , sanften Herzens , das an seinem Fuße schlägt und vielleicht in dieser Minute an den fernen teuern Freund denkt . Die Männer sprachen nur wenige Worte , indem sie ihr Vergnügen ausdrückten und sich die verschiedenen Berggestalten zeigten und erklärten , während der Alte noch immer stumm und unbeweglich hinter ihnen stand – nur die auf dieser Höhe ziehende Mittagsluft regte die dünne , graue Locke seiner Schläfe ; denn er hatte sein Barett , von beiden unbemerkt , noch immer in den Händen . Sie hätten wohl zu andern Zeiten länger das heitere Bild zu ihren Füßen betrachtet , aber heute zog sie ihre nächste Umgebung unmittelbar an . Heinrich schlug vor , gleich die neuen Gebäude aufschließen zu lassen , da sie einmal in der Nähe seien , aber Robert zeigte ihm , daß dies unmöglich sei ; denn Graf Christoph hatte , da er in den afrikanischen Krieg geritten , vorher alle Tore versiegelt , mit dem Befehle , daß vor seiner Zurückkunft nichts berührt werden dürfe , im Falle seines Todes aber der neue Besitzer erst am Tage seines Antrittes die Gebäude öffnen möge . Da hingen nun hinter allen den großen Spiegelfenstern des Hauses ruhig und schwer die grünseidnen Vorhänge nieder und regten keine Falte hinter dem glatten , glänzenden Glase . An Türen und Toren waren die Siegel , ebenfalls grün , sehr groß und mit dem Scharnastschen Wappen versehen . Von dem Dache hatte der Wind den einen und andern Ziegel heraus genommen , worauf bald mehrere oder wenigere Nachbarn folgten , so daß an manchen Stellen die nackten Sparren und Latten ungastlich und lächerlich in die Luft hinausstarrten . Der alte Mann sah das alles mit ruhigen und heitern Blicken an , als wäre es in der schönsten Ordnung . Der Kiesplatz vor dem großen Tore war von altem Regen zerwaschen , keine Spur von Rädern oder Hufen , und überall zwischen den Quarzkörnern sproßte zartes Gras hervor . » Und wie lange ist dein letzter Herr schon weg ? « fragte Robert . » Nach der großen Krankheit – – – « begann langsam , schüchtern und mißtrauisch der alte Mann , indem er sich näherte – – aber Robert unterbrach ihn und sagte : » So setze doch dein Barett auf . « » Ja , die Sonne ist heiß , « erwiderte Ruprecht , » sie ist heiß , ich habe es vergessen – und eine Pelzhaube ist gegen sie so gut , wie gegen den Winter . « Und wirklich sahen die Freunde , daß sein Barett , das er bisher immer in den Händen gehalten hatte , trotz des heißen Sommertages eine Pelzhaube war . » Nun wie lange « , sagte Robert wieder , » ist dies Haus da herrenlos ? « » Nach der großen Krankheit , « fuhr der Greis fort , » die draußen im Lande war – – nein , es war ja vor der Krankheit , und Narcissa starb an ihr , weil sie sich so kränkte ; aber eigentlich hieß sie gar nicht Narcissa , sondern Tiburtia , aber weil sie so hoch gewachsen war , weil sie so zart und schön war , und weil sie den Kopf stets ein klein wenig gesenkt trug , so hat er sie immer Narcissa genannt – – Der Herr vergebe ihm , er war sehr stürmischen Gemütes , aber er war auch wieder so fromm wie ein Kind ; denn ich selber habe ihn einmal weinen gesehen , daß man meinte , das Herz werde ihm aus dem Leibe springen – und dann ließ er die grünen Vorhänge nieder , siegelte alle Tore zu und ritt davon ; denn seht , er war auch trotzig , wie Graf Julius , der ebenfalls fortging und nicht wieder gekommen ist . Er hatte die Tage vorher das Drehtor machen und das große daneben zumauern lassen – und alle Diener und Jäger , und die Hunde und die Pferde – alles flog desselben Tages davon , und er sagte : › Hüte das Werk , wie den Stern deiner Augen , und halte die Brut ferne , bis ich komme und sie als mein Weib erkenne . ‹ Dann habe ich das Werk gehütet , daß nur die Vögel des Himmels herein zu fliegen vermochten . Eine Stille war Euch , Graf Sixtus , eine Stille im Sonnen- und Mondenscheine – und immer fort still , nur daß die Totengeige des Prokopus , die er wieder hatte aufziehen lassen , zuweilen nachts oder tags tönte oder läutete . Dann waren fünf , sechs , acht Jahre , bis die vielen Herren mit dem Pergamente kamen , alles untersuchten und zusiegelten – dieser Syndikus , der mit Euch ist , war auch dabei und sie erzählten , daß man ihn in der heidnischen Stadt so schön begraben habe . Die Narcissa liegt in der Schloßkapelle ; der Dechant war selbst herübergekommen und hatte gesagt : › Ich will sie gesegnen . ‹ Sie konnte nicht mehr warten , weil ihr das Herz stehen geblieben war . « Er hatte diese Rede größtenteils an Heinrich gerichtet , Dieser hörte ihm schweigend und mit Schonung zu . Man war indessen durch den Eichenhag bis nahe an die Ruinen des Grafen Julian gekommen , und wie man auf den glänzenden Rasenplatz hinausgetreten war , auf dem die Trümmer liegen , so sprang der große Hund Ruprechts plötzlich gegen den Anger vor , und wedelte und scharrte , und bellte gegen die Luft empor – Ruprecht aber schrie : » Daß du stürzest , Pia , fürchterliches Kind , Pia ! Pia ! – – siehe , mein Herz , komme eilig herunter – ich habe dir ja gesagt , du sollest bei den Ringelblumen sitzen bleiben und sollest zählen , wie oft die Schwalbe zugeflogen kommt – – . « Und ein feines klingendes Silberstimmchen ertönte in der Luft : » Sie flog fünfmal und zwanzigmal , und immer und von den Ringelblumen ist die erste gelb , und die zweite gelb – und sie waren alle gelb . Ich falle nicht , siehe nur , ich falle nicht . « Die Freunde blickten empor , und auf dem höchsten der vielen Balkone des zerfallenden Schlosses , auf einem Balkone , der so in der Luft draußen hing , als klebe er nur an einem einzigen Steine , war ein Kind – ja sogar nicht einmal auf dem Balkone , sondern auf dem Steingeländer desselben war es , halb sitzend , halb reitend , es schien ein Mädchen ; denn eine Fülle der schönsten gelben Ringellocken wallte um den Nacken und das glühende Gesichtchen , sie mochte zehn bis elf Jahre alt sein , oder auch noch jünger – am äußersten Geländer saß sie und jauchzte , und so wie ihr Ruprecht zugerufen hatte , und wie ihr eignes Stimmchen erklungen , wurde sie noch fröhlicher , daß er sie gesehen ; sie stand auf , und schwebte nun stehend auf dem unsichtbar schmalen Stege des Geländers , und ging vorwärts und ging rückwärts , und neigte sich und beugte sich über , daß den Männern unten ein Schwindel und Grauen ankam , und daß ihnen die Augen vergingen . Und sie rief dem Hunde zu : » Hüon , Hüon : komm herauf . « Und da dieser sich wälzte und plump in die Luft sprang und ungeschickte Freudentöne gab , so wußte sie sich vor Lachen nicht zu helfen . » Ich werde mir die Haare ausraufen , wenn mir einmal der Hund ihre zerschmetterten Glieder nach Hause schleppen wird ; denn er hat sie lieb , und sie folgt ihm auch am meisten . « Diese Worte hatte der Greis heimlich zu sich gesagt , aber die zwei Männer hatten sie gehört . Indes warf oben das Kind die Arme empor und rief : » Ich sehe hierhin und dorthin , ich sehe alle Mauern , alle Bäume und die ganze Welt . « Es schien , als hänge ihr lichtes Kleid wie eine weiße Sommerwolke im Himmelsblau draußen – die Männer standen regungslos , um sie nicht zu erschrecken und zu stören – endlich verschwand sie plötzlich oben , man hatte kaum gesehen , wie sie von dem Geländer gestiegen und durch die Mauer hineingekommen war – und fast in dem nämlichen Augenblicke wurde sie unten auf dem Rasen sichtbar , wie sie durch eine kleine Bresche neben Himbeergesträuche heraustrat . Sie blieb stehen , als bemerke sie die Fremden erst jetzt , zögerte , sah sie eine Zeit lang mit wilden , schwarzen Augen an , dann aber ging sie zuerst langsam um die Mauerecke , scheu und wild , wie eine junge , schlanke Pantherkatze , dann fing sie an , den jenseitigen Rasenhang hinab zu laufen – der Hund hinter ihr , und die Freunde sahen noch , wie sie weiter unten das mächtige Tier mit beiden Armen umschlang und sich mit ihm durch Gras und Gebüsche hinabschleifte , bis sie beide nicht mehr sichtbar waren und nur die Büsche wogten . » Wir werden jenes Loch zumauern , Erlaucht , « sagte Ruprecht flüsternd , indem er hinzeigte und in seinen Gesichtsfalten Zorn und Todesblässe schlotterten , » im Parthenon liegen noch Ziegel , sie werden ohnedies nicht gebraucht . « Dann fuhr er fort , als hätte er seine Begleiter vergessen : » Die Raben des Grahns werden kommen , über meine Hütte fliegen und mir Botschaft bringen , wenn sie schon tagelang nicht nach Hause gekommen ist – weil sie auf einem roten Steine liegt ; die gierige Kohlmeise wird ihre Äuglein ausgehackt haben – oder die Wasser der Pernitz werden um ihre zarten Glieder waschen , und die Fische werden heimlich herumschießen , wie stumme Pfeile , hastig zupfen und sich um das Stückchen balgen , das einer erwischte – – ich werde indes suchen , und suchen , immer , immer – – und werde dann zum fürchterlichen Himmel heulen , daß die Sterne daran zittern ; denn sie ist das Allerschönste auf der Erde , das Schönste zwischen Sonnen und Sternen , wie Narcissa war . « Einen tiefen furchtsamen Blick warf er gegen Heinrich und sagte : » Ich werde öffnen ; denn ich halte immer gesperrt . « Und er drehte große Schlüssel in dem knarrenden Schlosse – aber es war lächerlich , zu schließen , wo nichts zu verschließen war ; denn alle Mauern klafften , eine breite , sanfte Treppe führte zu Schutt , durch die Fenster wehte die Luft , kein Getäfel und Holz war mehr zu schauen , der Marmor der Gänge und Säle war erblindet , steinerne Stiegen hingen in der Luft , Mörtel rollte und rieselte allseits , ein buntes Lichterspiel flimmerte , und hellgrüne Pflanzen taumelten , wo ein Lüftchen zog oder ein Strahl hinküßte . Über eine jener hängenden , schief gesunknen Stiegen mußte das Mädchen zu dem hohen Balkone gelangt sein . Nachdem sie über Kalkhügel und Steinhaufen gegangen , durch Breschen und Türlöcher gekrochen , ohne das mindeste Merkwürdige getroffen zu haben , verlangten sie hinaus , und der Greis führte sie durch ein anderes Tor , das er ebenfalls sorgsam hinter sich verschloß , in den Garten des Hauses . Es war ein langes Viereck , zu dessen beiden Seiten Mauerwerk lief , nicht hoch über dem Boden zwei lichte , freundliche Säulengänge führend . Von hinten war das Viereck durch einen mächtig großen Marmorfels geschlossen . Wenn ein Wald oder Garten auch eine Ruine sein könnte , so wäre es dieser gewesen . Eingesunkne Gartenbeete , blecherne Blumentäfelchen mitten im Grase , eine fröhliche Wildnis von Unkraut , ein verdorrter Obstbaum , ein anderer ein bloßer Pflock mit zwei grünen Wasserschößlingen , ein dritter mit herrlicher Frucht , eine zwecklose späte Gabe – die Pfirsichzweige an der Wand , einst die Liebe und der Stolz des Herrn , hingen seitwärts , unangebunden , unfruchtbar , wie schlechte Weidenruten eine Ulme war emporgeschossen und streckte ihre Zweige lustig in den Säulengang hinein . Tausend Bienen und Käfer summten und arbeiteten in den üppigen Blüten des Unkrautes . Mitten hindurch aber ging ein breiter , schöner Weg , als wäre täglich jemand darauf gewandelt , oder als wäre er gestern erst gemacht worden . Heinrich hatte auch bemerkt , daß in der Ruine von dem einen Tore bis zum andern über die Schutthügel ordentlich ein getretener Weg laufe . Sie gingen den Garten entlang . Wie sie immer näher kamen , so stieg ihnen der rote Fels stets größer entgegen , und Heinrich bemerkte endlich , daß in denselben eine hohe Pforte gehauen war , mit einem eisernen Tore verschlossen , daran eiserne Schlösser hingen , mit dem gräflichen und den Gerichtssiegeln versiegelt . Es war dieser Felsen der sogenannte rote Stein , in dem die Lebenserzählungen aufbewahrt waren , und dessen Bedeutung Heinrich von Robert aus den Gerichtspapieren erfahren hatte . Seitwärts dem roten Steine war der Kirchhof des Schlosses . Ein anderes Tor , nicht massiv , nicht versiegelt , sondern ein hohes , breites Eisengitter , führte hinein . Es war auch ein Garten , aber statt der Blümlein war nur ein dunkler hingehender Rasen , statt des Obeliskes ein weißes Kruzifix in Mitte von vier Linden , und statt des Gartenhauses eine Kapelle , von den Eichen überschattet , die draußen in dem Walde des Julian standen . » Die Bücher , so in dem Gewölbe dieses roten Steines sind , « sagte Ruprecht , » reden nur zu den Leuten , die aus dem Blute unsrer Grafen stammen , und jeder Tropfen ist aufgeschrieben , der seit siebenhundert Jahren aus einem ihrer Herzen rann , und keiner darf die Schrift lesen , der nicht ein Kind desselben Geschlechtes ist . Ihr seht , daß die Tore des Steines versiegelt sind , Ihr könnt nicht hinein , aber zu dem andern habe ich die Schlüssel . « Und er schloß das Gitter auf und führte sie durch eine heitere Allee von Linden auf den Kirchhof . Es war der stillste Ort , den Heinrich noch auf dem Berge gesehen hatte , fast zum Frieden und Schlummer ladend ; denn von drei Seiten war er durch den Eichenwald des Julian umgeben , so daß beinahe kein Lüftchen , ja kein Ton von außen zu dieser Insel dringen konnte : von der vierten Seite stand das alte Schloß und die Lindenallee , grau und grün gemischt – und von oben war die tiefe Bläue des Himmels und das niederfließende Gold der Sonne . Auch war jene wimmelnde Bevölkerung von Kreuzen und Zeichen nicht da , womit sonst so gerne die Erhabenheit eines Totengartens zerstört wird , und womit der Mensch seine armen Flitter auch in dieses ernste Reich hinüber trägt , sondern auf dem gleichen Rasen waren nur einige unbedeutende Merkmale , die Ruhestelle treuer Diener des Hauses bezeichnend , und in der Mitte stand ein hohes Kreuz von weißem Marmor , als Zeichen des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Gleichheit . Viele Mitglieder des Geschlechtes ruhten ohne Grabmerkmal , wie sie es verordnet , unter der allgemeinen einfachen Decke des Rasens ; andere aber lagen mit Wappen , Zeichen , Zierden und Prunk in der weitläufigen Gruft unter der Kapelle . Heinrich und Robert stiegen in diese Gruft hinunter ; Ruprecht , der sie ihnen aufgeschlossen hatte , blieb oben auf einem Marmorwürfel sitzen , der aussah wie ein unfertiger Grabstein . Die Gruft hatte nichts anderes , als eben Grüfte zu haben pflegen : Sarge , Wappen , Vergänglichkeit – alles bedeckt mit Pomp und Moder , nur ein einziger Sarg stand da , ganz einfach von Eichenholz gezimmert ohne das geringste Zeichen , ja sogar ohne Namen . Sie stiegen nach einiger Betrachtung wieder hinauf , und wie sie aus dem dunklen Tore der Kapelle ins Freie traten , hörten sie ein plötzliches Rauschen , und sahen noch das Wegflattern des Gewandes und den Sprung des Hundes . Das wilde , scheue Kind , Pia , war in ihrer Abwesenheit bei Ruprecht gewesen und hatte bei ihrer Ankunft die Flucht ergriffen ; sie sahen nur noch , wie sie hinter einen Holunderbusch , der an der Kirchhofmauer stand , verschwand , aber dort stehen blieb , und durch eine Öffnung ihr schönes Gesichtchen herausbog und halb dreist und halb geschreckt mit den übernatürlich glänzenden , schwarzen Augen die Fremden anstarrte er wie sich Robert nur regte , so zuckte sie weg , und wurde erst viel später wieder gesehen , wie sie mit Hüon auf einer roten Felskuppe stand . Von da an sah man sie bis gegen Abend nicht wieder . Heinrich konnte sich eines unheimlichen Gedankens nicht erwehren , wenn er sich diese zwei Wesen als die einzigen Bewohner des Berges dachte ; den märchenhaft alten , blödsinnigen Mann und das verwahrloste , zartgliedrige Wesen , das in seiner Gesellschaft zu einem Wüstenvogel aufwachsen muß , der entsetzt aufflattert , wenn ihm die schöne Bildung eines Menschenantlitzes sichtbar wird . » Sie ist stille und gut , « sagte Ruprecht , nachdem er die Kirchtüre gesperrt und den Schlüssel wieder zu den andern genestelt hatte , » sie saß die ganze Zeit , als Ihr in dem Gewölbe unten waret , hier auf dem weißen Steine und atmete ihr Laufen aus , und von dem Händchen quoll in Blutstropfen , weil Ihr sie an den alten Mauern so erschreckt habt , und sie fragte , wer Ihr seid , und warum ich Euch denn nicht erschlüge , wie den Wolf , der auch im Winter in die Fichtenallee gekommen ist und mit Hüon spielen wollte . – – Sie wußte nicht , auf welchem traurigen Steine sie saß und die Worte von den Menschen und Wölfen redete . – – Sehet , dieses Ding da sollte , als er ihren Tod erfuhr , nach dem Vorbilde gemeißelt werden , worunter Chelion liegt ; aber als Ihr das große Pergament brachtet , Herr Syndikus , und von seinem Begräbnisse erzähltet , da raffte der Werkmeister den Hammer und Meißel zusammen und ging fort , daß nun der eichene Sarg ohne Namen unten stehen muß , und der Grabstein ohne Bedeutung hier oben liegen . Auch der Konterfeier ging fort und ließ die schönen , grünen , seidnen Vorhänge hängen – und sie hängen noch dort ; denn das Grüne hat er sehr geliebt – – und Ihr müsset sie beide züchtigen , Erlaucht , die ungetreuen Knechte . Ach alles , alles ist nicht fertig geworden . « » Lasse uns um Gottes willen das andere schnell abtun , mir wird es unheimlich in der Gegenwart dieses alten Mannes « , flüsterte Heinrich seinem Begleiter zu . » Lasse ihn nur , « versetzte dieser , » er ist ja übrigens ganz harmlos . « » Ich werde Euch nun zum glatten Hause führen « , sagte Ruprecht , » und die Klausur der Frau Hermenegild aufschließen ; aber es sind jetzt die Bienen drin – sie tun nichts und sind nicht wild ; denn ich habe ihnen nie Honig genommen , sie tragen viel aus den Linden der Gräber herüber , und der ist süß und duftig – – ich werde Euch auch den Wein zeigen – folgt mir nur « Und er führte sie durch den Eichenwald dem sogenannten Sixtusbaue entgegen . Sie betraten ihn von der Hinterseite , und fanden wirklich hier den seltsamsten Haushalt : es lief ein langer , schmaler Glasgang mit erblindeten regenbogigen Scheiben längs des Gebäudes , und aus einigen zerbrochenen Scheiben desselben wogte es von Bienen aus und ein , und so viel man durch das trübe Glas erkennen machte , war der Gang , insbesondere die Nischen , abenteuerlich mit riesenhaften Waben bebaut , und die allergrößte Tätigkeit herrschte fort , daß es einem ordentlich im Kopfe wirrte und schwirrte , je länger man dem Treiben dieses Knäuels von Republiken zusah , an einem zu solchem Haushalte so unpassenden und ungewöhnlichen Orte . » Die Nonnen hatten sonst den Gang zum Lustwandeln gehabt « sagte Ruprecht , » aber das ist nun nicht mehr möglich , weil sie tot sind , und wir können auch nicht dort gehen , wegen der Bienen ; ich werde aber öffnen , wo wir durch die Zellen der heiligen Frauen kommen . – Im Winter gebe ich dem kleinen Geflügel immer Stroh ; Graf Christoph nahm ihnen noch Honig , denn er war ihr Herr ; aber ich lasse sie fortbauen , und es sind schon manche Schwärme in die Fichtau hinausgeflogen , weil sie meinten , es sei hier zu enge , oder weil sie taten , wie die Jugend überhaupt zu tun pflegt . Da die Frau Gräfin Hermenegild , als ihr Herr , Ubaldus , im heiligen Kriege gefallen war , die Zellen eingerichtet und die heiligen Frauen zur Anbetung Gottes berufen hat , dachte sie nicht , daß in den schönen Glasgang diese Bewohner kommen würden – – ja damals sind sie gewandelt und haben kunstreiche Arbeiten gemacht , die noch alle im roten Saale aufbewahrt sind ; aber weil die Zellen nicht von dem Heiligen Vater geweiht waren , so wurde es nach dem Tode der Frau Gräfin untersagt , daß sie weiter bestehen ; und die letzte der Nonnen starb , da mein Urgroßvater ein Kind war . Er ist auch Kastellan gewesen . « Und bei diesen Worten hatte er ein Tor am Ende des Glasganges geöffnet , und führte sie nun durch Zellen und Gemächer , durch Refektorium und Sprechsaal – und sie sahen all das dumpfe , bestaubte Geräte , die schwarzen Bilder , die blinden Fenster und die zerfetzten Tapeten der Nonnen . Gegen Ende dieser Dinge , wo wieder die andern Gemächer des Hauses beginnen , war einiges in Schutt , und allerlei Gänge öffneten ihre Höhlen . Hier sagte Ruprecht heimlich zu Heinrich , er sollte mit ihm gehen ; denn er müsse ihm allein etwas zeigen . Heinrich zauderte anfangs ein wenig , aber durch Robert ermutigt folgte er dem Alten . Dieser gab in Miene und Bewegung alle Zeichen der höchsten Freude zu erkennen , führte ihn Trepp auf , Trepp ab , sperrte Türen auf und zu , machte endlich am Ende eines verfallenen Ganges Licht , und stieg mit ihm eine Wendelstiege hinab . Dort öffnete er ein äußerst kleines Türlein und führte Heinrich hinein : und siehe , da lag weithin Faß an Faß , der Greis in höchster Freude und Befriedigung zeigte darauf und sagte : » Ich habe das alles bewahrt ; der große Eingang ist verschüttet , und diese Treppe wußten sie nicht , da sie kamen , alles zu beschauen . – Ich allein habe den Wein gepflegt , und pflege ihn noch ; ich trinke keinen Tropfen – gebt mir nur ein wenig , wenn ich alt und krank werde – ich zeige dem andern , der mit Euch ist , nichts , denn sie wollen unser Eigentum verzetteln , und ich hätte ihn auch gar nicht in das Schloß gelassen , wenn nicht Ihr mit ihm gewesen wäret « , und bei diesen Worten brach er in ein kindisches Schluchzen aus , und ehe es Heinrich hindern konnte , hatte er sich niedergebückt und dessen rechte Hand geküßt , indem er lallend und bittend sprach : » Seid nur nicht mehr zornig , nun ist ja Bertha längst gestorben und sehet , ich habe für alles und alles gesorgt und es gehütet wie mein eigenes Herz . O , ich habe unsäglich viel ausgestanden . « Heinrich konnte seine äußerste Erschütterung nicht bergen , und der Gedanke , der in seinem tiefsten Innern saß , die fast unglaubliche Ahnung , die ihn hieher geführt , die Ahnung , die er nicht einmal seinem Freunde zu offenbaren gewagt , schien sich hier an dem Wahnwitze eines alten Mannes zu verkörpern und zu offenbaren . › Wenns ist ‹ , dachte er , › wenns ist- – ! ‹ Er zitterte fast , nur um ein Haar breit in der verdunkelten Seele des andern weiter zu forschen , um sie nicht noch tiefer zu zerrütten . Die Verrückung jener Gesetze , auf deren Dasein im Haupte jedes andern man mit Zuversicht baut , als des einzigen , was er untrüglich mit uns gemein hat , trägt etwas so Grauenhaftes an sich , daß man sich nicht getraut , das fremdartige Uhrwerk zu berühren , daß es nicht noch grellere Töne gebe und uns an dem eigenen irre mache . Auch verlangte der Alte kein Zeichen , weil er sich selbst Rede und Antwort gab . Mit haushälterischer Geschäftigkeit führte er ihn von Faß zu Faß , zeigte die Neunziger , die Eilfer , den vom Rhein , die Ausländer , die Spanier , die Portugiesen – er zeigte ihm die Vorrichtungen , mit denen er nachfülle , die Fässer rein halte , die Luft wechsle – – in allem diesen zeigte sich die bewundernswerteste Zweckmäßigkeit . Er wurde immer vergnügter , und da er die wirklich erstaunliche Reihe von Fässern gezeigt hatte , näherte er sich vertraulich dem Ohre Heinrichs und sagte heimlich : » Das ist der neue Syndikus der schwarzen Stadt ; sagt ihm kein Wort von dem vielen mächtigen Weine ; denn sie versiegeln alles , bis Graf Christoph kommt ; aber der kommt nicht mehr , und ist tot und im Mohrenlande begraben auch Steuer und Abgaben gehen immer ein und werden im Rathause der schwarzen Stadt aufgehoben . Geht nur gleich , wie ich schon gesagt , in die grüne Stabe , wo sie schon alle warten . « » Wird aber nicht Pia Schaden nehmen , wenn wir so lange weg bleiben « , sagte Heinrich versuchsweise . » Wer !? « entgegnete der Alte mit allen Zeichen des höchsten Erstaunens , indem er seinem jungen Begleiter mit der Laterne ins Gesicht leuchtete . Sein Geist hatte in Jahren geschwebt , wo Pia nicht war , und der Geier , der an seinem Gehirne fraß , das Mißtrauen an sich selbst , stand auf und schlug ihm die düstern Flügel um das Haupt . Er ging hastig und verstummt den Gang zurück , löschte das Licht aus , verbarg mit größtem Scharfsinne die Laterne , führte Heinrich in tiefster Dunkelheit wieder Trepp auf , Trepp ab , Gang aus , Gang ein , und sie standen endlich plötzlich bei Robert , der an einem Fenster ihrer geharrt hatte . Ruprecht war jetzt wieder ohne ein einziges Wort . Er schritt über einen Vorsaal , schloß auf und öffnete , sich anstemmend , die eingerosteten Türflügel zu den Gemächern . Eine Reihe von Zimmern empfing sie mit schwerer , verblichener Pracht ; altertümliche , geschnitzte Geräte , wunderliche Tapeten , teils noch ganz , teils durch Moder und eigene Schwere zerrissen , Zeltbetten , Putztische , Sesselreihen , alles von altväterischem Prunke , kunstreich und doch fest gearbeitet , alles bedeckt mit Massen von Staub und Spinnenweben , und ein trübes Licht fiel durch die blinden Scheiben von dem einsamen , funkelnden Tage draußen herein . Mit den schwermütigen Gefühlen menschlicher Nichtigkeit und Vergänglichkeit wandelten die Freunde durch diese Stätten versunkenen Glückes und Elendes , und Heinrichs Herz war tief und ahnungsvoll erregt . Er mußte sich einige Male die Hand über seine Augen legen , um sich zu sagen , wo er sei , und um dem andern sein Inneres zu verbergen . So hatten sie mehrere Zimmerreihen durchwandelt , einst zu dem verschiedensten Gebrauche bestimmt , von der Öde des Prunksaales an bis zur Heimlichkeit des einstigen Schlafgemaches . Der Alte war ohne viele Teilnahme hinter ihnen gewandelt , aber da die Zimmer zu Ende waren und sie wieder in einen Vorsaal gelangten , bog er plötzlich um eine Ecke , riß mit sichtlicher Hast und Freude zwei riesengroße Flügel auf – und ein zauberischer Anblick schlug den Freunden entgegen : es war der grüne Saal ; mit dem feinsten , dunkelsten Serpentine waren die Wände bekleidet , riesengroße Fenster , von unten gegen oben zum Teile mit grauer Seide gedeckt , rissen sich gegen den glänzenden Himmel auf , und ihr Glas war glatt und spiegelhaft , als hätte man es in diesem Augenblicke gesetzt – der Grund aber war , weil es der Alte immer putzte . – – Und in der Lichtflut dieser Fenster stand , in die dunkle Ebene des Serpentins gerahmt , eine ganze Reihe der herrlichsten Bilder : es waren sämtliche Scharnast , Männer , Frauen und Kinder , von Haupt-und Seitenlinien – und wie der erste Blick zeigte , von den besten Meistern gemalt . Man sah selbst Rubens' und van Dycks Pinsel , die besten Deutschen und sogar den Spanier Murillo . Heinrich war erstaunt , ja er war betäubt über diese Herrlichkeit . – Da funkelte die Sonne in wundervollem Schmelze auf jener Rüstung , jenem Goldgehänge , jenen Vasen und Geschirren schwer und massenhaft , als müßte ihre Wucht von dem Bilde niederbrechen , – auf dem weichen Goldhaare der Frauen , auf jenem Antlitze , in dem lieblichen Auge , auf dem Munde , der eben nur gesprochen haben muß , auf der Hand , die auf dem Marmortische ruhte oder den schweren Samt emporhielt – auf den Gesichtern der Männer , über die , obwohl in tausend Gedanken und Leidenschaften zersplittert , doch dieselbe Familienähnlichkeit hinlief , alles glänzte und funkelte da , von der furchtbaren Körnigkeit jener Menschen in Stahl und Eisen angefangen bis zu der Pedanterie und Weichheit derer , die in Tressen und im schwarzen Fracke sind . Robert , der auch den Saal noch nicht gesehen hatte , war eben so bezaubert wie Heinrich ; – Ruprecht im Übermaße der Befriedigung und des Stolzes stand da und drückte sein Gefühl dadurch aus , daß er abenteuerlich und ungeschickt mit seinen Fingern in dem großen Bunde Schlüsseln , den er trug , suchte und arbeitete und nestelte . Er hatte sein Barett abgenommen , als wäre er in der Kirche . Nachdem der erste Eindruck dieser Einfachheit und Größe [ denn selbst die Bilder waren weitaus über Lebensgröße ] in etwas vorüber war , ging man zur Betrachtung der Einzelheiten über . Da hing gleich zu Anfang der alte Hans , ein frommer Herr und Ritter , daneben sein Eheweib Adelgund , ein echt deutsches Gesicht , wie sie uns so gerne aus den Bildern Albrecht Dürers ansehen . – Von ihm aus folgte die Reihe eiserner Männer und sittiger Frauen : Bruno und Brigitta – Benno und Irmengard dann Abaldus , dann Hermenegild , die Nonne – Johannes , der Kreuzfahrer – – und andere und wieder andere eine ganze Reihe . Vorzügliche Gemälde waren alle , obwohl sie augenscheinlich viel später gemalt wurden , als die Urbilder lebten , aber wahrscheinlich nach vorhandenen , wenn auch schlechten Originalen , denn dafür sprach der in allen Gesichtern der Männer fortgehende Familienzug . Die Namen standen in großen Goldbuchstaben unter jedem Bilde auf dem dunklen Serpentine . Was Heinrich ganz besonders wohl tat , war , daß die Bilder ziemlich tief herabgingen und von oben beleuchtet wurden , wie es denn überhaupt hervorging , daß der Gründer dieser Anstalt nicht die Bilder des Saales wegen aufgestellt , sondern daß dieser in seiner ungeheuren Größe und einfachen Pracht nur zur Verherrlichung jener dienen sollte . So war auch im ganzen wüsten Zimmer nicht ein einziges Gerätstück ; bloß an Fenstervorhängen waren die mannigfaltigsten , behutsamsten Vorrichtungen , um teils die verschiedensten Lichterspiele auf die Gemälde wirken lassen zu können , teils dieselben vor unmittelbarer Sonne zu schützen . Und wie sehr Ruprecht mit der Sache vertraut war und sie liebte , zeigte der Umstand , daß er oft durch unbedeutende , gelegentliche Züge an Schnüren oder Federn ganze entfernte Bilderreihen plötzlich in das zarteste Licht legte , da sie vorher in ungünstiger Dämmerung geschwebt hatten . Von den Frauen war keine einzige unschön , manche voll herrlicher Anmut , und einige Jungfrauen blendend und untadelig . – Von den Männern war keiner unbedeutend , viele schön , einige voll Schwärmerei oder Gewalt des Geistes ; alle mit einem sonderbaren Zuge von Überschwenglichkeit , wie mit einem Familienzeichen behaftet ; – da war Johannes , der Erbauer der Sphinxe und des Obeliskus – dann Sixtus , der Gründer dieses Baues und wahrscheinlich auch des grünen Saales , dann Ubaldus , der strenge Krieger – und andere . – – Weit unten von denen saß ein alter Mann mit einem Blicke , als glühte Dichtkunst oder Wahnsinn drinnen : es war Prokopus , der Sterndeuter . – Jungfrauen in sanfter Schönheit prangten neben ihm , seine Töchter , und hart daran ein seltsames Paar , zwei Männer : der eine in reichem Goldkleide , widrigen Antlitzes mit furchtbarem , rotem Barte , der andere im armen grünen Jagdkleide , ein sanftes Bild der größten Jugendschönheit ; es waren die Brüder Julianus und Julius , Söhne des Prokopus – – Heinrich erschrak ; denn wenn es wahr ist , was ihm ein gesendeter Zufall erst kürzlich geoffenbaret , wenn er ein später Sprosse all dieser Männer ist , so war es dieser Jüngling Julius , durch den der Strom in sein fernes , abgelegenes Heimattal geleitet wurde , daß er selbst nun heute , nach mehr als anderthalb Jahrhunderten , ein verschlagner , unbeachteter , letzter Tropfen desselben , vor der reichen Quelle stehe , aus der er kam . – Wie seltsam die Schicksale der Menschen und der Geschlechter sind ! Was mußte nicht geschehen , daß er heute hier stehe und auf die zarte Stirne und die großen , freundlich lodernden Augen eines Knaben schaue , der vielleicht sein Ur-Ur-Großvater ist , jener Mann , von dem er so viel reden gehört , der gekommen sei , man wußte nicht , woher , der gewaltet , gewirtschaftet und gelebt habe , so herrlich wie kein Mensch , und den er sich nie anders denn als schwachen , verkommenen Greis vorstellen konnte , weil der Großvater erzählt hatte , wie er so schön im weißen Barte und schwarzen Samtkleide auf dem Paradebette gelegen sei , als man gekommen , um ihn mit Gepränge zu begraben , weil er heimlich ein vornehmer Herr und Graf gewesen . Robert stand neben dem Freunde – und ahnte nicht , was in demselben vorgehen mochte . Auch der Greis Ruprecht schaute so gleichgültig und blöde auf alles , als verstände er nichts . Indessen blickte dasselbe Schwärmerauge des Prokopus aus dem Bilde , dieselben guten , sanften Blicke der Jungfrauen und dieselben ungleichen Mienen der feindlichen Brüder . Man ging endlich weiter . Julianus war der letzte im Harnisch gewesen , aber auch dieser , ein leichtes , vergoldetes Ding , war mehr Spielzeug als Waffe . Nach ihm begannen die kleinen Degen und die Bordenkleider und Reifröcke , und – merkwürdig – war es nun Zufall oder war es Zeichen jener Zeit , die , sittenloser als eine , auch ihren fahlen Fittig . Über diesen entlegenen Berg geschattet hatte – die bisherige Reihe bedeutungsvoller Köpfe brach hier ab , und es folgten einige von vollendeter Nichtigkeit , ein Gebäude von Borden und Locken und Angesichter voll Zeremonie und Leerheit . Erst gegen das Ende , bevor der ganze Bilderreigen Überhaupt abbrach , gleichsam wie der letzte Glanzblitz einer erlöschenden Flamme , saß noch eine Gruppe , welche Auge und Ahnungsvermögen jedes Beschauers an sich riß ; für unsere Freunde aber durch die aberwitzige Vermittelung des alten Mannes wahrhaft erschütternd wurde . Die Zeit der Borden und Zöpfe nämlich hörte plötzlich bei einem Manne auf , der in ganz fremder Kleidung da saß , die gar keinem Jahrhunderte der Geschichte angehörte ; einer Gattung weitfaltigen , rabenschwarzen Mantels mit roter Seide ausgeschlagen . Ein Kopf voll Schönheit und Bedeutung sah ernst und doch sanft schwärmend daraus nieder : › Jodokus ‹ stand unter dem Bilde . Die Männer sahen ihn neugierig an , den Menschen , von dem so abersinnige Gerüchte umgingen , und der doch so ruhig und gelassen-tatfähig aus dem Bilde sah , wie man es etwa von einem Epaminondas erwartet haben würde . Auf einmal , da sie so hinsahen , ertönte hinter ihnen schüchtern , da er seit langem wieder zum ersten Male das Wort nahm , die Stimme Ruprechts , welcher sagte : » Er hat selbst den himmelblauen Vorhang im Testamente so verordnet , wie er ist , und daß er nur gehoben werde , wenn dringender Grund ist , das Bild zu sehen . « Die Freunde blickten auf , und wirklich bemerkten sie , was sie im Augenblicke vorher nicht beachtet hatten , daß das Gemälde neben Jodokus mit blauer Seide verhängt war . » Nun , es ist dringender Grund , « sagte Robert lächelnd , » enthülle das Ding . « Aber der Alte achtete nicht auf die Rede dieses , sondern mit einem düstern , verzagten Seitenblicke Heinrich streifend , sagte er : » Ja , ja , es ist dringender Grund – ein dringenderer kann gar nicht sein ; aber ich warne Euch Ihr werdet Euch entsetzen . « Einen Augenblick zauderte er noch , dann aber tat er einen kurzen Zug an einer seidnen Schnur , der Vorhang rollte sich von selber empor , klappte in eine Feder , blieb stehen – und der alte Mann trat weit in den Saal zurück , als wäre er von tiefster Erschütterung ergriffen – aber , was sie sahen , war nicht zum Entsetzen , es war eher lieblich und schön : eine kleine weibliche Figur war auf dem Bilde gemalt , wie ein Kind in sanfter Trauer , und doch wie ein vermähltes glühendes Weib . Über dem schwarzen Seidenkleide hielt sie ein lichtes Antlitz , so seltsam und schön , wie eine Blume über dunklen Blättern . Die kleine , weiße Hand lag auf Marmor und spiegelte sich drinnen . Die Augen sahen fremd und erschreckt . Zu ihren Füßen , als friere er , schmiegte sich ein Goldfasan . Unten im Serpentine stand : › Chelion ‹ . Die zwei Männer hatten lange und mit größtem Wohlgefallen den Schmelz dieses Bildes betrachtet , aber wie sie sich endlich zum Gehen wegwandten , sahen sie zu ihrem Erstaunen den greisen Kastellan mit äußerster Verzückung nach dem Gemälde starren . Er hatte sich nicht im geringsten geregt , und war weit hinten im Saale gestanden . Die Freunde richteten bei dieser Erscheinung , gleichsam wie durch Verabredung , noch einmal ihren Blick auf das Bild , und als nach einer Weile Heinrich sagte : » Sie ist aber eigentlich auch wundervoll schön und seltsam « , hörte man den Alten schleichenden Trittes herzugehen , und wie er in die Nähe Heinrichs gekommen , streckte er tastend seine Hand gegen ihn , daß der dürre Arm weit aus dem Ärmel des alten Rockes vorstand , und rief mit leiser , heiserer Stimme : » Ja , das ist auch entsetzlich , das ist das Unglück , wie sie schön ist , wie sie über alle Beschreibung schön ist – – ich bitt Euch , wahrt Eure Seele , Graf Sixtus ! auf den Knieen bitt ich Euch , wahret Euch vor Versuchung ; denn die Hölle hängt nur an einem Haare – – alles ist gut abgegangen ; er hat sie lieb gehabt , fort und fort , wie der Adler sein Junges , aber da war sie weiß , ehe sie gestorben ist , so weiß war sie wie die Lilien , die unten im Sumpfe wachsen und die Häupter auf das schwarze Wasser legen – und mich hat er oft angeschaut mit den glänzenden Augen – und da er schon den langen , weißen Bart hatte , hat er mich angeschaut mit den schwarzen Augen , wie nachts die Eule blicket ; – aber ich habe die Zähne meines Mundes zusammengeschlossen wie Eisen und kein Wort durch sie herausgelassen , – und dann hat er mich auch wieder lieb gehabt , und da er unten am Häuschen saß und die Sonne schien , da hat er meine Hand genommen und sie gestreichelt und gesagt : › Lieber Ruprecht , lieber Ruprecht ! ‹ denn seht « – hiebei neigte sich der Greis gegen Heinrichs Ohr und flüsterte mit bedeutsamem Lächeln » er war seine letzten Tage blöde und wahnsinnig . « Die zwei Männer schauderte es ins tiefste Mark der Seele , und Heinrich trat einige Schritte weg , aber der wahnwitzige Kastellan folgte ihm sachte mit glänzenden Augen : » Er hätte Euch über den Stein hinabgestürzt – Ihr seid aber auch viel schöner , als er es je gewesen – ich habe ihn recht gut gesehen , wie er bei Prokopus' Turme and , es war Nacht , und sein schwarzer Mantel war so finster wie die Wolken , die draußen wehten und Blitze zogen – der Seidenmantel knisterte – und es war eine so heiße Nacht , wißt Ihr ? und sie dauerte so lange , als wie sonst drei , aber endlich wurde es Morgen und klar , Ihr waret fort – – es ist sehr gut , daß Ihr fort waret – – und es kamen so schwere , so schwere Zeiten – ich habe Euch gesagt , daß sie wie eine Lilie weiß war und noch kleiner als sonst immer , und alle sind gestorben , die arme Chelion starb , mein Weib Bertha starb , Ihr starbet , und wie er das Schloß angezündet hatte und unten im Häuschen auch tot lag , lange gestreckt , den weißen Bart wie ein zerfetztes Banner haltend , da kam ihr Sohn , der arme Christoph – seht Ihr ihn daneben – aber er ist auch tot und Narcissa – und alle sind sie tot – – ... « Unwillkürlich sahen die Freunde auf das Nebenbild der Chelion , und wirklich stand ein junger Mann dar auf , ihr vollendetes Abbild – wie sie so seltsam und schön , aber mit trüben , schwermutsvollen Blicken . Dieser war also der letzte Besitzer des Berges gewesen . Zu einer andern Zeit und in anderer Lage würden sie lange vor diesen merkwürdigen Bildern und Naturspielen gestanden sein , aber in diesem Augenblicke war es ihnen nicht möglich ; denn der alte Mann neben ihnen war von einer so furchtbaren Erregung gefaßt , daß er bei seinen letzten Worten in ein krampfhaftes Weinen ausbrach , die Hände vor das Gesicht schlug und die überreichlichen Tropfen zwischen den dürren , faltigen Fingern hervorquellen ließ , so daß sein ganzer Riesenbau vor Schmerz zitterte , wie der See schwankt , wenn ein ferner Sturm tobt . Das Herz der Freunde tat einen Blick in die Schlucht einer verworrenen , vielleicht grausenhaften Tat – sie konnten nicht forschen , und wollten es nicht ; denn bereits funkelte der Wahnsinn , wie ein düstres Nordlicht , an allen Punkten des unglücklichen Wesens vor ihnen , und sie mochten ihn nicht steigern , daß er nicht etwa überschlage und dem , wenn auch uralten , Körper Riesenkräfte gebe und zu Entsetzlichem treibe – auch hat das Menschenherz eine natürliche Scheu , den dunklen Spuren eines andern nachzugehen , auf denen es zu Schuld und Unglück wandelte . Deshalb schwiegen sie beide tief und ernst , selbst gegen einander , und blickten nur noch trübe auf die beiden Bilder : Mutter und Sohn . Chelion war schön wie ein reiner Engel , und Christoph war es wie ein gefallener . Neben ihm war kein Bild mehr , sondern die lange Reihe leerer Nischen für alle noch Ungebornen , als hätte der Gründer auf eine Ewigkeit seines Geschlechtes gerechnet . Die Freunde wandten sich nun zum Fortgehen . Ohnehin war ihnen die Luft dieses Saales drückend geworden . Sie wollten unbeachtet an Ruprecht vorübergehen , überzeugt , daß er ihnen , sich sänftigend , stille folgen würde . Aber wie er ihre Absicht erriet , ließ er plötzlich die Hände von seinem Gesichte fallen , und statt der vorigen Erregung sahen sie nun das äußerste Erstaunen darinnen , so , daß ihm sogar vor Schreck die Tränen stocken geblieben und wie gefrorne Tropfen in dem weißen Reife seines Bartes standen : » Aber wie seid Ihr denn ? « rief er mit heftiger Stimme , » wozu habe ich Euch denn hergeführt ? wozu seid Ihr denn zurückgekehrt ? Ich habe den ganzen Tag die Geduld mit Euch gehabt , ich habe ja die höchste Geduld gehabt , als Ihr immer und immer die andern Dinge des Berges anschautet und nicht ginget , wohin ich Euch führen wollte , ich habe die Geduld gehabt , um Euch endlich auch zu zeigen , was ich getan habe – warum wollt Ihr denn nun fortgehen ?! « So zeige uns nur , alter Mann , was du getan hast , « sagte Heinrich freundlich , » zeige es nur , wir freuen uns ja darauf . « » Sehet , « rief der Greis besänftigter , » alle sind sie da , alle , die je lebten und atmeten auf dem roten Steine – sie sind versammelt in dem grünen Saale ; nur einer war verworfen , – ich habe ihn immer sehr geliebt , und dachte , es soll nicht so sein – seht nun : ich war es , der es machte , daß Ihr schon im Saale standet , als er noch lebte , aber er wußte es nicht , er ging hinüber , und wußte es nicht . – – Wartet nur , ich will zuerst den blauen Vorhang herablassen , weil er nicht offen stehen bleiben darf « Diese letzten Worte hatte er beschwichtigend und vertraulich gesagt , und dann lief er gegen Chelions Bild : » Hüll dich ein , « sagte er murmelnd , » du schöne Sünde , hüll dich ein , du Apfel des Paradieses « – – und er zog wieder an der Schnur , und freiwillig , wie hinauf , rollte sich nun der Vorhang herunter , Stück um Stück den Schimmer des Bildes deckend , bis nichts mehr sichtbar war als die unschuldige Seide , straff gespannt und matt erglänzend . Dann zu heller , unheimlicher Freude über gehend , sprang der Greis zu der leeren Nische neben Christoph , drückte gegen eine Feder , und zum Erstaunen der Männer sprang der Serpentin los – und in das Krachen mischte sich das triumphierende Kichern und Lachen des Greises . Sie sahen nun , daß der Stein bloß auf eine Kupfertafel gemalt war , daß sich diese völlig umlege und noch ein Bild entblöße , das sie vorher ge deckt hatte . Es war ein Männerbild , und im Serpentine unten stand : › Sixtus II ‹ Allein das Bild war das Heinrichs Zug für Zug , nur in fremden Kleidern . Der Alte rieb frohlockend und herausfordernd die Hände , als wollte er sagen : › Nun ?! nun ?! ‹ Robert war zum äußersten betroffen . Er hatte bisher die zwei andern begleitet , wie einer , der bloß Merkwürdigkeiten anschaut , nun aber wußte er plötzlich nicht mehr , woran er sei – – zwar ein Gedanke , blitzschnell und abenteuerlich , schoß durch sein Gehirn , aber er war zu lächerlich , als daß er ihn nicht sogleich hätte verwerfen sollen – nur fragend blickte er gegen den Freund . Dieser aber , der ebenfalls die Sache zu fassen begann , war anfangs totenblaß , dann allmählich flammend rot geworden ; – der stummen Frage des andern aber konnte er eben so wenig eine Antwort geben . Bloß der wahnwitzige Greis war der einzige , der völlig klar war ; mit einer Freude und Geschäftigkeit , die man an ihm gar nicht zu ahnen vermocht hätte , ging er sofort an das Werk der Erklärung , und in dem listigen Lächeln seines Angesichtes schwamm die gänzliche Beruhigung , die er über seine Anstalten empfand . » Ich habe Euch bloß « , begann er , » nach dem kleinen , runden Bilde machen lassen , das im Deckel Eures feinen Reisekästchens war – wißt Ihr ? – ich habe es nach jener Nacht herausgestohlen und aufbewahret . Ein alter , alter Mann hat Euch konterfeit , Ihr müsset ihn erst belohnen ; denn er hat Euch sehr geliebt . Des ganzen lieben Tages Länge saß er oben im Julianusschlosse , über die sinkende Stiege hinauf , wo ich ihn versteckt hielt , und wohin ich ihm Essen und Trinken brachte . Dort malte er , und viele Tage und Wochen vergingen , ehe Ihr so herrlich wurdet , wie Ihr jetzt seid . Der arme Mann ! weil er so alt war , mußte ich ihn immer beinahe die Treppe hinauftragen , daß sie unter uns knitterte und einzustürzen drohte . › Gott lohne es Euch , Ruprecht ‹ , hatte er gesagt , › Gott lohne es Euch , wenn Ihr alt werdet . ‹ Er hat noch keinen Heller für das Bild , Ihr müßt ihm einen Lohn geben ; denn sein Alter ist darbend und verachtet . « » Ach , der ist wohl schon jenseits aller Heller und Millionen « , sagte Heinrich trübsinnig . Und nun , « fuhr der Kastellan begeistert fort , » nun muß das falsche Kupfer weg ; wir werden Euch neben Jodok und Chelion setzen , weil Ihr früher seid als Christoph , und dieser muß auf Euren Platz herunter . – Fürchtet Euch nicht , Graf Sixtus , der andere ist schon gestorben er ist alt , sehr alt gewesen , und hat einen langen , weißen Bart gehabt ; und › lieber Ruprecht ‹ hat er gesagt , wenn er auf der Bank des kleinen Häuschens saß – und Christoph ist auch tot . – Narcissa darf nicht in den grünen Saal , weil sie noch nicht angetraut war , ihr Bild ist auch nicht fertig , und es war ein barscher Mann , der sie konterfeite , und ging fort , als Christoph tot war – und Ihr aber , Erlaucht , kommt nun , und bringet Diener und Leute auf den Berg , daß es wieder lebe und wimmle , und eine Nachkommenschaft werde , den ganzen Saal zu bemalen und die ganze Zukunft zu erfüllen bis zum Jüngsten Tage . « » Lasse ihn in seiner Ahnung , « sagte Robert , » es dürfte eher sein Gehirn zersprengen , ehe wir ihm begreiflich machen , daß du nicht Sixtus seiest . « » Bin ich auch nicht Sixtus , « antwortete Heinrich , » so bin ich doch einer von diesen da – – ich bitte dich , frage jetzt nicht , mir ist alles sonnenklar , nur zittert jeder Nerv in mir . Ich werde dir alles – alles enthüllen , frage nur jetzt nicht . « Und in der ungeheuren Aufregung , in der er war , ging er gegen Ruprecht , und als glaube er es selber , sagte er zu ihm : » Sei gepriesen , alter Mann , für das , was du getan hast – ich danke dir dafür , ich danke dir , und ich werde redlich sorgen für alle deine künftigen Tage . « Dem Greise war in seiner Schwäche ein kindisches Weinen über diesen Dank angekommen , aber es äußerte sich nur darin , daß ein Zucken und allerlei Bewegungen und Regungen emsig durch die Falten des verfallenen Angesichtes liefen . Er beugte sich mehrmal , und beugte sich tief und vornehm , wie ein belohnter Diener – es wäre lächerlich gewesen , wäre es nicht schauerlich erschienen . » Ich tat nur meine Schuldigkeit , « sagte er , » ich tat nur meine Schuldigkeit ! « Dann ging er mit allen Zeichen der Befriedigung und mit einer gewissen Würde in seiner Gestalt gegen das Bild und sagte : » Zum letzten Male wollen wir es schließen , Erlaucht , daß es nach kurzem offen strahle vor den Augen aller Menschen , und auf ewige Zeiten . O , ich habe Euch gleich gekannt , « fügte er zufrieden lächelnd hinzu , » da Ihr heute Einlaß verlangtet ! « – Mit diesen letzten , fast heimlich gesagten Worten drehte er den Kupferdeckel wieder herum und fügte ihn ein , so daß keine Spur blieb , wo er sich früher geöffnet . » So , jetzt ist alles geschehen und gesehen « , sagte er und trat zurück . Wirklich waren nun alle folgenden Nischen in langer Reihe leer , und die Freunde wanderten noch den Rest entlang , dem Tore zu , das sie in die andern Gemächer des Baues führte . Daß sie dem , was nun folgte , wenig Aufmerksamkeit schenkten , begreift sich . Sie gingen noch durch mehrere Abteilungen des Sixtusbaues . An den grünen Saal stieß ein roter , gefüllt mit den tausenderlei Arbeiten der Frauen des Rothensteines , namentlich mit einer Unzahl Spielereien der Nonnen . Sonst möchte es nicht ohne Annehmlichkeit sein , diese Zeugen einer vergangenen Abgeschiedenheit zu betrachten , wie sie für den einen ein Glück , für den andern eine Trauer war , – aber die zwei Männer eilten vorüber , um nur so schnell als möglich Raum und Luft zu gewinnen und ihre Herzen gegenseitig ausschütten zu können . Nur ein Gemach , als sie all die Räume und Zimmer durchwandelt hatten , nahm noch ihre Aufmerksamkeit in Anspruch – es war das letzte , nahe an dem großen Tore gegen die Vorderseite des Baues gelegen , aus dem sie nun hinaustreten sollten . Das Gemach war der im Sechseck gebaute Malersaal , in welchem die Bilder zum grünen Saale verfertigt zu werden pflegten . Und auf eine schaurige Weise legte er jetzt den späten Besuchern diese seine einstige Bestimmung vor Augen ; denn alles lag und stand noch so , als wäre der Künstler vor einem Augenblicke hinweggegangen ; aber ausgedorrte Farben , Staub und Spinneweben zeigten , daß hier jahrelang keine menschliche Hand tätig gewesen sei . Dennoch waren noch alle Fenstervorhänge niedergelassen , bis auf einen , um das Licht auf die Leinwand zu sammeln . Eine lebensgroße Gliederpuppe saß da , und schwere , schön geordnete , grünseidne Draperie hing an ihr nieder , um auf das Bild gemalt zu werden ; aber die scharfen Seidenfalten derselben lagen voll dichten , alten Staubes , und der Glanz des Stoffes war erblindet . Der rote Samtsessel , auf dem die saßen , die abgebildet werden sollten , stand leer ; aber daneben auf der Staffelei war auch das unvollendete Bild von der , die zuletzt auf dem Stuhle gesessen . Um das Bild war schon im voraus ein breiter Rahmen von künstlichem Serpentine gemalt , um die Wirkung auf den künftigen Platz berechnen zu können ; aber es kam nie auf diesen künftigen Platz . – Das Haupt war zwar vollendet , die Figur und der Grund aber bloß umrissen und untermalt , und die Hände waren weiße , verwischte Flecken . Heinrich jagte mit seinem Tuche den größten Teil des Staubes von dem Bilde , und getrübt durch den noch gebliebenen , sah ein schönes , schlankes Weib , wie eine Narzisse , demütig und selig aus der Fülle der schönsten , blonden Locken heraus . » Geht vorüber , geht nur eilends vorüber , « sagte angstvoll dringend der Greis , » ich bitt Euch inständig , geht vorüber – es ist nur mein armes Kind – was soll ich denn hier stehen bleiben ? – ich habe ja ohnedies schon um sie geweint . – – Sie sollte in den grünen Saal kommen , aber er wurde in dem Lande der Heiden erschlagen – der Maler ging fort – sie starb . – – Seht , der Konterfeier ist hinterlistig wieder erschienen und wollte das Bild und die Sachen fortnehmen , aber ich sagte zu ihm , daß ich ihn erstechen werde , wenn er es täte – da ging er , und kam nimmermehr wieder . Ich bitte Euch , laßt stehen und gehen – – alles ist nicht zu Ende ; alles ist falsch , ihre Ehre und ihre Erhebung ist falsch , wie der Stein , den sie um ihr Bildnis gemalt haben . – – O , vieles , vieles ist fürchterlich geworden , seit Ihr fort waret : Graf Jodok hat seinen Sohn Christoph verflucht , und dieser ist nicht gekommen , bis der Vater tot war , und dann kam er , und war wie eine scheue Amsel auf dem Berge und gesellte sich zur schlanken Ammer , die immer erschrocken das Köpfchen warf . – – Aber sie beide waren so schön , wie gar nichts auf Erden , und lauter Friede und Heimlichkeit war auf dem Berge . – – Laßt sie ruhen – laßt sie ruhen ! – Hier ist das Tor ; Ihr könnt ja gleich in den indischen Garten des bösen Jodok kommen . Seht , der Garten ist so schön – geht nur hinaus , geht hinaus , ich bitt Euch . « Und hastig hatte er bei diesen Worten das Tor der ganzen Breite nach aufgerissen . Feines , liebes Grün sah einladend herein . Er zeigte hinaus ; er war sichtlich erleichtert , als die Freunde das Gemach verlassen hatten . Dann mit Kraft und Schnelle jagte er die Flügel zu , drehte dreimal den Schlüssel im großen Schlosse um und schlug noch mit der Faust auf das eiserne Tor , recht freudig , daß es einmal zu sei . – Aber auch die Männer waren erleichtert , als der düstre , schwarze Bau gleichsam hinter ihrem Rücken zurückwich , und die helle , grüne Landschaft glänzend in der Nachmittagssonne vor ihnen lag und sich die Flut des lieben , vertrauten Sonnenlichtes wieder um sie ergoß . Es war ein reicher Garten , durch den sie gingen , voll der sanftesten Sträuche und Bäume nebst Resten verkommener ausländischer Gewächse . Mitten in dem Garten stand ein großer , weißer Würfel aus dem feinsten Marmor gehauen , mit der Inschrift : › Jodokus und Chelion . ‹ Sie gingen vorüber , dann gelangten sie in den griechischen Säulenbau des Jodok , das sogenannte Parthenon . Die Säulen standen hoch und prächtig in die Lüfte , und Gemächer und Korridore liefen ; aber alle die Keuschheit des Marmors war häßlich von Rauch und Flamme geschwärzt und verödet – eine Schicht unreiner Ziegel lag zwischen den beschmutzten Säulen und schändete die edle Leiche des Gebäudes . Sie weilten auch hier nicht lange – und es war auch nichts zu sehen als die leere , hohle Hülse einstiger Wohnlichkeit , in der nun die Trauer brütete . – Sie gingen hinter dem Gebäude durch einen weitläufigen Obstgarten nach und nach um die Bergkuppe herum und stiegen dann durch den erstorbenen Fichtenhain zu dem Turme des Sterndeuters Prokopus hinan . Der Turm selber war leer , nur daß noch Trümmer von astronomischen Geräten , Mappen und Büchern herumlagen . Aber an der Außenseite desselben war gegen Süden eine riesenhafte Äolsharfe gespannt . Ihre Saiten gingen von dem gepflasterten Steinboden , der rings um den Turm lief , bis auf die Spitze desselben empor , und sie wogten leise , tief und zart im Hauche der leichten Luft , als die Freunde eben davor standen , gleichsam als rede sie jetzt freundlich zu ihnen , während sie öfter unter Tags einen lauten , langen Ruf über die Berge getan . Mit dem Turme des Prokopus war die andere Seite des Schloßberges gewonnen , und sie begannen nun den Rückweg . Der alte Pfad , der von dem Turme abwärts lief , wand sich wieder sachte um die Wölbung des Berges dem Tore zu , durch das sie hereingekommen waren , weil es das einzige in der ganzen Ringmauer war . Ehe sie zu dem Platze der Sphinxe und des Obeliskus gelangten , trafen sie auf die Wohnung des Kastellans – es war ein niederes , breites Haus , an einer heißen Sandlehne gelegen – und hier sahen sie noch einmal das Kind Pia , wie es mitten unter Ringelblumen in verwahrloster Gartenwildnis schlief . Ein steinaltes Mütterchen , wahrscheinlich die Magd Ruprechts , saß bei ihr und wehrte ihr die Fliegen . Auch der Hund saß nebenan und betrachtete klug die Gruppe . Ruprecht war auf dem Wege von dem Berge herab wie ein Lamm hinter den Männern gegangen . Jetzt , wie sie ein wenig anhielten , um die Gruppe im Garten zu betrachten , und er an ihnen vorbeikam , sahen sie , daß seine blaßblauen Augen ganz leer standen , daß er auf die Seinen keinen Blick tat und geradeswegs gegen die Ringmauer zuschritt . Dort angekommen , öffnete er die Pforte und wies die Männer unter denselben Verbeugungen hinaus , wie er sie hereingewiesen hatte . Sie traten durch das schmale Drehtor und hörten hinter sich die Vorrichtung knarren und den Schlüssel rasseln . Nach einigen Schritten , die sie gebeugt durch das verwachsene Haselgebüsche getan hatten , standen sie wieder in der Fichtenallee vor dem weißen Mauerflecke , wie sie vor einigen Stunden gestanden waren , ehe man sie hineingelassen hatte . Die Nachmittagsluft seufzte wieder eintönig in den langen , haarigen Zweigen , wie es die am Vormittage getan , und die Stille und die Harzdüfte sanken wieder von den Wipfeln . Das Rätsel des Berges , das Heinrich gesucht , lag nun hinter ihm , und die graue , hohe , stumme Mauer stand wieder davor . Da sie nun allein waren , und da sie die unbetretene , unbefahrne Straße der düstern Allee abwärts zu schreiten begannen , sagte Robert zu Heinrich : » Nun aber um Gottes willen erkläre , was soll alles das bedeuten ? « » Ich will es dir sagen , « antwortete Heinrich , » aber zuvor erkläre du mir , wie es denn kam , daß du nie von diesem außerordentlichen Schlosse und seinem wunderlichen Testamente zu mir gesprochen hast , da ich doch schon so viele Wochen in der grünen Fichtau wohne und so oft mit dir zusammengekommen bin ? « » Deine Frage ist noch wunderlicher als die Sache selbst « , erwiderte Robert . » Wie konnte mir beikommen , eben weil du schon viele Wochen in der Fichtau warest , daß du von einem Dinge nichts wissest , das doch in aller Leute Munde war ? und wie sollte ich freiwillig wieder von etwas beginnen , von dem man eben erst aufgehört hatte zu reden ? « » Nun , so hat mich denn ein Wunder in dieser Angelegenheit geführt , « sagte Heinrich , » sonst wäre sie gerade für den verloren gewesen , den sie doch am meisten anging , der mitten im Gespräche darüber saß und nicht einen Laut davon vernommen hat ! – Höre mich an . Du weißt , wie ich dir sagte , daß ich wunderbare Ruinen gefunden , und daß ich den närrischen Fichtauer Wirt darüber zu Rede gestellt ; – du weißt , daß du mir dann selber das sonderbare Testament dieser Scharnasts auseinandergesetzt hast ; aber das weißt du nicht , daß ein furchtbarer Blitz auf mich von heiterem Himmel gefallen war daß ein solcher Scharnast mein Ahnherr gewesen – und daß ich es doch keinem Menschen dieser Erde zu entdecken wagte , weil es dennoch unwahr sein konnte – ach , es schwebte mir ja kaum wie ein dunstiger , duftiger Nebelstreifen vor , der dahin sein konnte , ehe man ihn erfaßt . – Ich schrieb desselben Abends , als ich mit dem Wirte und deinem Schwiegervater gesprochen hatte , noch an meine Mutter , und befragte sie , wie unser Ahn geheißen , und welche seine Verhältnisse gewesen – und ich schickte den Brief noch in der Nacht nach Priglitz auf die Post . Darum , Freund , war es auch nicht Neugierde allein , was mich auf diesen Berg trieb , sondern ein Instinkt , der auf seinen Gegenstand weist , wenn er ihn auch noch nicht kennt . Siehe , dir muß der Kastellan , dir muß meine Ähnlichkeit mit jenem Bilde aberwitzig gewesen sein , und mir wurde es klar , wie die Sonne des Firmamentes . Ich will dir jetzt auch alles erzählen , merke wohl auf . Vor hundertundzwanzig Jahren kam ein Mann in unser Tal , das damals fester , dichter Wald war , kaum von einigen Hütten und Feldern unterbrochen . Der Mann hatte niemand als ein wunderschönes Mädchen mitgebracht , war sehr alt , trug einen weißen Bart und dunkle Kleider . Mit Werkleuten und Knechten , die er aufnahm , baute er ein schönes , weißes Haus auf dem Waldabhange und erweiterte um dasselbe den Raum in Gärten und Feldern . Sodann soll er allen , die um ihn wohnten , Gutes getan haben ; er soll sie angeleitet , in tausend Dingen unterrichtet und überhaupt weise und ruhig gelebt haben . In jener Zeit geschah es auch , daß mein Urgroßvater , ein wohlhabender , gelehrter Mann und Pflanzenkenner , angezogen durch die wilde Schönheit des Waldtales , sich ebenfalls darin ansiedelte und ein ähnliches Haus baute wie der eingewanderte Alte . Da nun aber der Urgroßvater noch sehr jung war und , wie die Familiensage spricht , sehr schön , so geschah es wieder , daß sich er und die Tochter des fremden Mannes sehr gefielen und endlich heirateten . Der weise Greis hat noch lange gelebt , und ist an die hundert Jahre alt geworden . Erst bei seinem Tode kam es zu Tage , daß er ein Graf gewesen und Scharnast und Julius geheißen . Es sollen – waren es nun Verwandte oder sonst nur Freunde – vornehme Leute zum Begräbnisse in den Wald gekommen sein ; aber wo sie hingeraten , oder ob man noch etwas von ihnen gehört , davon wußte man später nichts mehr . Auch verlor sich die ganze Sage der Abstammung in unserer Familie , wie eine Dämmerung , die vergeht , so , daß kaum einer davon sprach , die andern es nicht glaubten . Denke dir nun , wie mir ward , da der Wirt die Namen nannte , die mir in den Ohren klangen , und die ich kaum heraufbeschwören konnte – denke dir , wie ich in dieses Schloß trete und mich der irre Kastellan als Herrn begrüßt – wie ich auf jenem Bilde in längst verschollenen Kleidern stehe – wie ich als Genosse in den Jugendgeschichten eines uralten Mannes spiele . – – Wenn es nun ist , denke dir , wenn es ist : dann ist jener schöne , sanfte Knabe Julius in Jagdkleidern der weise Greis aus unserm Walde , dann bin ich in die Fichtau gegangen , um Blumen und Steine zu sammeln , und habe das tote Geschlecht meiner Väter gefunden . Wie wunderbar ! Warum ich aber jenem andern Bilde einer andern Linie , jenem zweiten Sixtus so ähnlich sehe , weiß ich nicht , wenn es nicht eines jener Familienwunder ist , die sich zuweilen ereignen , daß nämlich in einem Gliede plötzlich wieder dieselbe Bildung hervorspringt , die schon einmal da gewesen , um dann wieder in vielleicht ewige Unterbrechung auseinanderzulaufen oder wenn es nicht ein Fingerzeig des Himmels ist , daß noch ein entfernter Sprößling dieses Geschlechtes lebe , auf den man sonst nie gekommen wäre . « Robert schüttelte bei diesen letzten Worten seines Freundes fast traurig den Kopf und sagte : » Das ist ja eine erstaunliche , überaus merkwürdige Geschichte , die du da so erzählst , als wäre sie vollkommen einleuchtend – ich erstaune fast vor den Folgen – ich weiß es noch gar nicht , wie sehr ich mich darüber freuen werde – aber vorerst bin ich noch beinahe betrübt darüber ; denn siehe , Heinrich , deine Erinnerungen zählen vor Gericht nicht , der Name ist dir dunkel , die Erkennung des Kastellans folgte bloß aus deiner Ähnlichkeit mit jenem Bilde , die selber zufällig ist – ich sehe einer endlosen Sache entgegen . Wird man nicht sagen , du selber habest das Bild malen und dort verstecken lassen , da die Ähnlichkeit zu lächerlich ist ? oder was beweist sie am Ende ? Sage , hast du außer den Dingen , die du mir erzähltest , weiter nichts , nicht irgendeine kleinste Kleinigkeit , woraus Hoffnung entstände , daß man würde einen Beweis herstellen können ? « » Ich weiß in der Tat sonst nichts , « entgegnete Heinrich , » als daß jener alte Mann Julius Graf Scharnast geheißen , das heißt ich meine , daß er so geheißen , aber ich habe meiner Mutter geschrieben , ob er so geheißen , und ob nicht Schriften von ihm übrig wären . Ich bin nur darum nicht gleich selbst nach Hause gereiset , damit ich noch eher dieses Schloß besuchen und dann mit dir reden könnte , daß du mir als Rechtserfahrner einen Rat gebest . Sobald die Antwort der Mutter da ist , werde ich sie dir mitteilen und dich fragen , was ferner zu tun ist . « » Es ist gut so , « antwortete Robert , » sage nur keinem Menschen etwas von der Sache , damit nicht entgegengearbeitet werde . Wenn die Lage so ist , wie sie scheint , dann müssen bestimmt und gewiß Dokumente von jenem Julius Scharnast irgendwo liegen ; die Kunst ist dann nur , sie klug zu finden und klug zu heben , ehe sich eine Hand darein mischt . Sie müssen vorhanden sein , wenn er nicht ganz und gar leichtsinnig und sorglos um seine Nachkommenschaft gewesen ist . Wenn der Brief deiner Mutter Winke gibt , so will ich selber mit dir reisen und jeden kleinsten Faden selber lenken und leiten , damit du nicht zu Schaden und Irrtum kommst . « » Ich danke dir , « sagte Heinrich , » ich wußte , daß du gut und hülfreich bist , darum habe ich mich dir allein anvertraut . « » Gut und hülfreich ? « erwiderte Robert ; » die Sache ist ja so ungeheuer und merkwürdig , daß ich ein wahrer Tiger sein müßte , wenn ich dir nicht mit Händen und Füßen beispränge – und ich begreife nicht , wie du so ruhig davon reden kannst , wie etwa von einem Pachtvertrag , oder einem Pferdekaufe . « » Siehe , das ist so : ich trage die Sache schon acht Tage mit mir herum , wurde sie gewohnt , und sie ist mir indessen völlig einleuchtend geworden . « » Ich wollte nur , sie wäre dem Lehenhofe auch einleuchtend « , sagte Robert , und dann fuhr er so wie aufzählend fort : » Es muß ein Taufschein da sein , ein Trauschein , etwa ein Testament jenes Greises , Korrespondenzen , ein Offizierspatent oder so etwas , – wenn Ihr nur die Dinge nicht zerrissen habt . – – Es dürften , ja es müssen sogar im Gewölbe des roten Steines Schriften sein , die über jenen Julius Auskunft geben – – dann der Vertrag über den Waldkauf und Häuserbau deines Greises – der muß in einem Archive sein . Euer Tal ist ja landesherrlich , nicht wahr ? « » Ich bitte dich , schone mich jetzt mit diesen Dingen « , sagte Heinrich ; » denn ich weiß sie nicht ; aber wenn wir reisen , werde ich dich überall hinführen , wo du hin verlangst , und dir Auskunft verschaffen , worüber du nur willst . « » Nun ich hoffe und wünsche und will alles Beste für dich « , antwortete Robert ; » aber ich habe eine wahre Angst , eine peinigende Angst habe ich , wie wir das Ding durchsetzen werden . « » Ich wieder gar keine « , sagte Heinrich ; » entweder rollt alles schön und klar wie Perlen heraus , oder ich bin ganz und gar keiner von jenen . – Nur leid täte mirs dann , sehr leid um das schöne Schloß , daß ich nicht auf seinem Berge arbeiten und schaffen dürfte , und daß ich es nicht mit all seinen Schätzen und Mälern von dem Heimfalle an Verderbnis und Unheimlichkeit retten könnte . « » Freilich wäre es auch mir sehr angenehm « , erwiderte Robert ; » es wäre eine wahre Freude für mich , es wäre die größte meines ganzen Lebens , Thrine und mein Kind ausgenommen , wenn ich dich hier oben wüßte als Herrn und Besitzer , ein klares und freundliches Leben führend über den Trümmern dieser verworrenen , vielleicht sündhaften Vergangenheit . – Du würdest alles ordnen , daß es heiter würde ; du wärest uns so nahe , deine Mutter und Schwester wären bei dir – – und vielleicht ein gar so liebes Weibchen auch ? – – Hab ich dich ? « » Erwähne das nicht , « sagte Heinrich errötend , » erwähne das jetzt nicht . « » Nun , nun , du brauchst dich nicht zu schämen « , entgegnete Robert ; » sie ist schon recht , sie ist herrlich und mehr wert als alle Fürstinnen und Grazien der Welt . « » Freilich ist sie mehr wert , freilich « , – sagte Heinrich . » Nun so handle rasch zu , « erwiderte Robert , » und lasse alles andre gehen , wie es gehen mag . « Unter diesen und ähnlichen Gesprächen waren die Freunde endlich vollends den Berg hinabgelangt , und sahen unten im dichten Gebüsche das Häuschen des Grafen Jodok stehen , und das steinerne Bänkchen davor , auf dem er in den letzten Tagen seines Lebens gesessen war . Dann gingen sie durch heitere Obstbaumgruppen dem Dorfe zu , wo sie ein Mahl bestellt hatten , und wo ihr Wagen wartete . Es ist begreiflich , daß sie während des Essens und noch nachher über die Dinge redeten , die sie gesehen , und über die Zukunft , wie sie einzurichten ist . Als es schon gegen die Kühle des Abends ging , saßen sie ein und fuhren den Rückweg gegen Priglitz zu . Öfter , wenn es die Berge zuließen , sahen sie noch auf die alte Burg zurück , und ganz spät , als schon längst die Sonne untergegangen und sie eben um einen Winkel in das Haupttal der Pernitz einbogen , rissen noch einmal die grünen Hügel auseinander und ließen den verlassenen Zauberberg durchblicken , wie er fahl , gleich einem Luftbilde , in der Dämmerung draußen hing – sie dachten sich noch einmal die Bewohner auf ihm , den blöden Greis , das Kind , das alte Mütterchen und den Hund ; sie dachten sich die ragenden Bauwerke desselben , und die Reihe der starren schweigenden Bilder – dann schob sich ein schwarzer Wald vor , sie flogen um die Ecke , und das weitere Pernitztal nahm sie auf . Fröhlich rollten sie nun in der Nacht dem bekannten rauschenden Wasser entgegen , in die Enge des Tales zurückdringend , um Heinrich an der grünen Fichtau abzusetzen . Es rückten die alten , wohlbekannten Berghäupter immer finsterer und immer größer an dem Wagen vorbei , und die Freunde kamen erst an der Häusergruppe an , da wieder der Mond , aber nun ein abnehmender , über derselben stand und den fahlgrauen Schimmer auf die Dächer legte , da der Staubbach wieder Diamanten warf und die Gräser Perlen hielten . Auch in der Pernitz rührte sich das zerflossene Silber , und auf dem Waldlaube stand der ruhige , feste Glanz ; aber alle Fenster des ganzen Hauses waren schwarz , die Ruhe der Bewohner zeigend . Zwei davon , die allein in einem matten Glimmer des Mondes schillerten , deckten das Gemach , in welchem der schlummernde Atem Annas ging . Heinrich stieg ab und pochte leise mit dem hölzernen Hammer an das Tor , Robert aber ließ seinen Wagen umwenden , um noch in der Nacht seine Heimat zu gewinnen und die harrende Thrine zu beruhigen . Der Wagen war an der Steinwand des Julius verschwunden ; auch vernahm man sein fernes Rollen nicht mehr . Der Knecht der grünen Fichtau , der das leise Pochen gehört und auf Befragen die Stimme Heinrichs erkannt hatte , hatte ihn eingelassen , – und so war wieder alles , was der heutige Tag gesehen , die lustigen Sonntagsgäste der grünen Fichtau , der närrische Erasmus , die zwei Wanderer , die Bewohner jenes Berges , und das in seiner Liebe befangene Herz , in denselben weiten , lichtdämmernden , schlummerbringenden Mantel der Nacht gehüllt und seinen Träumen überliefert . Wir aber lassen sie schlummern und träumen , und schwingen uns indessen in die glänzende Luft hinauf , um aus ihr auf das ganze Bauwerk der Gebirge niederzuschauen . Tot liegt es unten weit hinaus und zeigt die schwarzen Spitzen gegen den Glanz hinauf , an denen sich nicht ein einziges Atom rührt , nur daß an den Wänden glitzernde Fäden niederrinnen und auf den nassen Bergen hie und da ein blitzender Mondfunke harrt . Der Orion ist schon tief geneigt und löscht bereits seine ersten Sterne an dem schwarzen Gebirgsrande aus – ein anderer Stern , ehe er völlig untergeht , blitzt noch so lebhaft , als sollte man in der Stille sein Knistern hören können – der halbe Mond aber steht noch hoch am Himmel und übergießt ihn mit dem Flore seines milchigen Lichtes , jedes Sternlein in seiner Nähe vertilgend . Alles , was unser Blick überschauen kann , von der Kette angefangen , die unter dem blitzenden Sterne ihren Schattenriß gegen den Himmel legt , über alle Höhen und Hügel herüber , auf denen jetzt die mattfärbigen Felsen ragen oder die feuchten Wälder stehen , alles dieses bis zu den schweigenden Zacken draußen , die die letzten das Licht des Mondes auffangen , alles , was wir so übersehen , steht unter den Fittigen jenes Schlosses , das wir heute mit den zwei Freunden besucht haben , und alle Wesen , die jetzt da unten schlummern und träumen , erwarten von ihm ihr Wohl oder Wehe . Wir aber wünschen von Herzen , daß sie sämtlich unter die Obhut des sanften , freundlichen Mannes gelangen mögen , der heute in jenem Mauerwerke gewesen und schon so lange mit Bewunderung zwischen diesen grünen Bergen herumgegangen ist . Er ist einfach und milde , und wird eine leichte und hülfreiche Hand über ihre Häupter strecken . Wir aber verlassen nun auch unsere Höhe und lassen den Rest der Nacht ungesehen und unempfunden über die stummen Berge hinweggehen , bis ihr letzter Silberschein weit draußen im Westen erblasset und die goldene Flamme des Morgens über ihre Häupter hereinschlägt , alle Stimmen , die jetzt schweigen , zu neuen Freudenrufen erweckend , und alle Leben , die jetzt tot sind , zu neuem Wogen und Wallen geleitend . Als nun dieser Morgen angebrochen war , finden wir Heinrich in seinem Zimmer bereits aufgestanden und angezogen . – Er beschäftigte sich , indessen draußen die feurigen Goldströme um alle Hütten spielten , damit , daß er Pflanzen und Mineralien in flache Kisten packte , und wie eine fertig war , den Deckel anschraubte und ihn mit einer Aufschrift versah . So tat er fast den ganzen Tag . Und wie oft er indessen an das Fenster gegangen , ja selbst den Garten durchstreift hatte , so hatte er doch Anna nicht zu sehen bekommen ; es war fast , als wiche ihm das Mädchen aus . Nur gegen Abend , als man ihn über den Steg und dann die Grahnswiese emporgehen sah , lauschte ihr Angesicht zwischen den weißen Vorhängen ihres Fensters heraus und sah ihm nach , so lange er zu erblicken war . In der Dämmerung kam er wieder zurück , und der große Wirtshund ging mit ihm , weil er ihn oben am Hage gefunden hatte und ihm überhaupt sehr zugetan war . Die Tiere kennen gute Menschen und gesellen sich zu denen , die ihnen wohlwollen . So verging auch der andere Tag und der nächste wieder . Mittwochs aber , da er eben über seine Gassenstiege herabgegangen war , um später sein Mittagsmahl zu nehmen , lief Anna hochrot aus dem Gassengärtchen herbei und sagte zu ihm : » Seit Morgen liegt schon ein Brief an Euch in des Vaters Stabe ; Thrinens Syndikus hat ihn mit einem eigenen Boten gesendet . « Heinrich entfärbte sich bei dieser Nachricht , und beide , ohne sonst ein einzig Wort zu sagen , gingen wieder auseinander . Der Brief aber war von Heinrichs Mutter . Zitternd entfaltete er ihn und las , wie folgt : › Lieber Sohn ! Du schreibst ohnedem so selten , und dann wieder so kurz , daß wir nicht wissen , wie es Dir geht , oder was Dir fehlt , damit wir es Dir schicken . Und vonwegen Du geschrieben , so läßt Dich der Herr Pfarrer grüßen und Dir sagen , daß es wirklich in der Traumartikel der Kirche zu Grünberg steht , daß Dein Urgroßvater Melchior im Jahre Christi 1719 mit der tugendhaften Jungfrau Angelika Scharnast ehelich kopuliert worden ist , welche die Tochter des Obristen Julius Scharnast gewesen ist . Der Obrist aber war gar ein Graf gewesen , ehe er gekommen ist , aber das steht nicht darinnen , sondern wenn Du es wissen willst , wie sich alles begeben hat , so meint der Herr Pfarrer , dieses werde im Amte zu Grünberg aufgeschrieben sein , und daß Du es Dir sollst aufschlagen lassen . Oder wenn es nicht aufgeschrieben ist , so hat schon der vorvorige Syndikus zu Deinem Vater gesagt , daß verschlossene Schriften von dem Obrist im Amtsgewölbe liegen , aber es ist wieder alles beim alten geblieben . Wenn es zu Deinem Fortkommen dienlich ist , so komme lieber selber und sehe alles an . Deine Schwester ist wieder sehr krank gewesen , nun aber schon besser . Die Kiste mit den Kräutern haben wir an den Boten abgegeben , aber es wäre uns lieber , wenn Du doch etwas anderes tätest und Dich zu etwas anderm wendetest , allein Du wirst es schon selbst am besten verstehen . Ich grüße Dich mit meinem ganzen Mutterherzen , die Schwester grüßt Dich auch , und so behüte Dich Gott , und ich bleibe Deine treue Mutter , Magdalena . ‹ Heinrich legte den Brief wieder zusammen , und war er bei dessen Entfaltung blaß gewesen , so wurde er nun nach dessen Lesung flammend rot . Es wären fast Tränen der Rührung über die guten , einfältigen Worte der Mutter hervorgebrochen – aber er hatte jetzt nicht Zeit , sondern mit äußerster Hast lief er wieder in seine Stube , packte noch in Eile alles zusammen , was herum lag , und versah es mit Aufschriften , daß es der Boten-Simon am künftigen Montage mit sich fortnehme ; den Koffer mit seinen Kleidern gab er einem Schubkarrenführer aus der Fichtau , daß er ihn sogleich zu Robert nach Priglitz bringe , dann verzehrte er einige Bissen von seinem Mittagsessen , ohne daß sie ihm sonderlich schmecken wollten . Da alles dieses geschehen , ging er zu Erasmus , der mit den Seinigen am Gartentische noch beim Mittagsmahle saß , um seine Rechnung zu berichtigen und Abschied zu nehmen . – Erasmus brachte bald auf einem Täfelchen die Rechnung , strich das erlegte Geld ein und versprach , daß jede Kiste mit dem Boten-Simon pünktlich und am rechten Orte eintreffen solle . Heinrich reichte dem Vater und der Mutter die Hand ; zu Anna sagte er bloß die Worte : » Lebt recht wohl , Jungfrau ! « – sie sagte auch kein einziges Wort als : » Lebt recht wohl ! « – dann wendete er sich um und ging fort . » Es ist im Grunde doch ein recht kerngutherziger Mensch « , sagte Vater Erasmus , und alle drei aßen sie fast traurig an ihrem Mittagsmahle weiter . Am andern Tage kam durch einen Holzknecht die Nachricht von Priglitz , daß Heinrich und Robert abgereiset wären , man weiß nicht wohin . Die Sache bestätigte sich auch , indem noch desselben Tages Thrine samt ihrem Kinde zu ihrem Vater , dem Schmiede , in die Fichtau auf Besuch kam und über eine Woche blieb . Auch sie wußte nichts über das Ziel der Reise . Endlich fuhr sie wieder nach Hause . Ein Tag um den andern verging , ohne daß die Männer zurückkehrten , eine Woche nach der andern verging . Als aber endlich Robert allein zurückkam , so kam mit ihm zugleich eine Nachricht mit , die wie ein Lauffeuer von Land zu Land lief , von einem Berge der Fichtau zum andern , und die in Annas verborgenem Herzen einen ganzen Sturm von Freude und einen fürchterlichen Schreck emporjagte . 3. Der rote Stein Während nicht nur in der Fichtau , sondern im ganzen Lande noch ein außerordentliches Geschrei über das Wunder war , so sich begeben ; während Arbeitsleute aller Art auf dem Rothensteine beschäftigt waren , so daß es schien , als rühre sich nun der ganze Berg , der früher so vereinsamt gewesen ; während das vermauerte Tor nun wieder gastlich seine Wölbung offen hielt und auf einem Gerüste Steinmetzen oder Steinhauer an seiner Verzierung arbeiteten ; während kein Weg auf dem Berge war , auf dem nicht ein Karren quiekte , kein Busch , hinter dem es sich nicht rührte , kein Dach , auf dem es nicht ging , kein Zimmer , in dem es nicht scheuerte – – während dieses alles geschah , ging Heinrich langsam bei dem großen verfallenen Tore des Julianschlosses hinein , in das einzige Bauwerk , in welchem keine Hand sich regte ; er ging den betretenen Pfad über den Schutthügel ; er ging bei der ent gegengesetzten Öffnung wieder hinaus , durchwandelte den verfallenen Garten auch auf dem wohlbetretenen Pfade , und hielt vor dem hohen roten Felsen stille , zu dem die Pfade führten . Hier zog er einen Schlüssel aus seinem Busen hervor , – denn die Siegel waren schon alle nicht mehr da – drehte ihn dreimal in dem Schlosse und öffnete sanft die hohen , glatten , eisernen Torflügel . Da sah ein weiter , matt dämmernder Gang heraus ; weit ge schweifte , flache , halbkreisartige Stufen von blutigrotem Marmor wiesen zu einem zweiten Eisentore von wunder schöner Arbeit , die zwei Schlüsselmündungen mit gediegenem Golde umlegt . Er trat ein . Hinter sich schloß er die äußern Tore und schritt über das Lichtgezitter , das eine Spiegelvorrichtung von oben herab auf den Estrich des Ganges warf und ihn schwach beleuchtete . Nachdem er die Stufen emporgegangen war , nahm er die zwei kleinen stählernen Schlüssel aus einem Samtfache , das er mit sich trug , und öffnete die eiserne , goldbelegte Pforte . Ein großer , ruhiger Felsensaal tat sich auseinander , auf seinem Fußboden dasselbe Spiegellichterspiel zeigend wie der Gang und damit die im Sechseck gestellten Wände matt beleuchtend , an denen es wie von Metallen glänzte . Heinrich ging ebenfalls hinein und schloß hinter sich zu . Dann aber ging er den Wänden entlang , drückte an verschiedenen Stellen , worauf sich die eisernen Lehnen von den Fenstern der Kuppel zurückschlugen und sanfte Lichtbäche von oben herabfallen ließen , die alles klar machten , aber die spielenden Lichtwunder des Fußbodens auslöschten . Bevor nun Heinrich irgend etwas anderes tat , schritt er gegen eine Stelle der Marmorwand , öffnete dort ein kleines stählernes Türchen , auf dem mit goldenen Buchstaben das Wort : › Henricus II ‹ stand , und legte ein beschriebenes Heft , das er aus seinem Busen zog , hinein . Dann schloß er langsam das Wandkästchen wieder und trat zurück . Es standen aber noch viele andere solche Türchen herum , und jedes trug in goldenen Buchstaben einen Namen . Sonst war aber weder Geräte noch irgend etwas im Saale , außer einem marmornen Tische , der vor einer Art Altar stand , und einem hochlehnigen Stuhle aus Erz. Heinrich ging an den vielen Türchen vorüber ; erst eines der letzten , bevor die unbeschriebenen kamen , öffnete er und zog die Schriften aus dem Eisenschranke hervor , die drinnen waren . Auf dem hohen Stuhle sitzend , die Papiere vor sich auf dem Tische , schlug er die ersten Blätter um , bis er zu einem eingelegten Zeichen kam , dann sein Haupt sachte vorwärts neigend , las er weiter , wie folgt : » Und darum kann ich euch keinen Dank haben , Ubaldus und Johannes , und Prokopus und Julianus – und wie ihr heißet ; denn der Dämon der Taten steht jederzeit in einer neuen Gestalt vor uns , und wir erkennen ihn nicht , daß er einer sei , der auch schon euch erschienen war – und eure Schriften sind mir unnütz . Jedes Leben ist ein neues , und was der Jüngling fühlt und tut , ist ihm zum ersten Male auf der Welt : ein entzückend Wunderwerk , das nie war und nie mehr sein wird – aber wenn es vorüber ist , legen es die Söhne zu dem andern Trödel der Jahrtausende , und es ist eben nichts als Trödel ; denn jeder wirkt sich das Wunder seines Lebens aufs neue . Was ich hier schreibe , bin nicht ich – mich kann ich nicht schreiben , sondern nur , was es durch mich tat . Ich habe die Erde und die Sterne verlangt , die Liebe aller Menschen , auch der vergangenen und der künftigen , die Liebe Gottes und aller Engel – ich war der Schlußstein des millionenjährig bisher Geschehenen und der Mittelpunkt des All , wie es auch du einst sein wirst ; – – aber da rollt alles fort – wohin ? das wissen wir nicht . – Millionenmal Millionen haben mitgearbeitet , daß es rolle , aber sie wurden weggelöscht und ausgetilgt , und neue Millionen werden mitarbeiten , und ausgelöscht werden . Es muß auch so sein : was Bilder , was Denkmale , was Geschichte , was Kleid und Wohnung des Geschiedenen – wenn das Ich dahin ist , das süße , schöne Wunder , das nicht wieder kommt ! Helft das Gräschen tilgen , das sein Fuß betrat , die Sandspur verwehen , auf der er ging , und die Schwelle umwandeln , auf der er saß , daß die Welt wieder jungfräulich sei , und nicht getrabt von dem nachziehenden Afterleben eines Gestorbenen . Sein Herz konntet ihr nicht retten , und was er übrig gelassen , wird durch die Gleichgültigkeit der Kommenden geschändet . Gebt es lieber dem reinen , dem goldnen , verzehrenden Feuer , daß nichts bleibe , als die blaue Luft , die er geatmet , die wir atmen , die Billionen vor uns geatmet , und die noch so unverwundet und glänzend über dir steht , als wäre sie eben gemacht und du tätest den ersten , frischen , erquickenden Zug daraus . Wenn du seinen Schein vernichtet , dann schlage die Hände vor die Augen , weine bitterlich um hn , soviel du willst- aber dann springe auf , und greife wieder zu an der Speiche , und hilf , daß es rolle – bis auch du nicht mehr bist , andere dich vergaßen , und wieder andere und wieder andere an der Speiche sind . Wundere dich nicht über diesen meinen Schmerz , da doch alles , was ich in den vielen Blättern oben geschrieben habe , so heiter und so freundlich war , wundere dich nicht ; denn ich gehe dem Engel meiner schwersten Tat entgegen , und aus den Pergamenten des roten Felsensaales kam dieser Engel zu mir . Dort liegen die Schläfer , von ihrem Ahnherrn verurteilt , daß sie nicht sterben können ; eine schauderhaft durcheinanderredende Gesellschaft liegt dort , vor jedem Ankömmling müssen sie ihre Taten wieder neu tun , sie seien groß oder klein ; – diese Taten , genug , sie waren ihr Leben und verzehrten dieses Leben . Wenn es dein Gewissen zuläßt , später Enkel , so verbrenne die Rollen und sprenge den Saal in die Luft . Ich täte es selber , aber mir schaudert vor meinem Eide . Kannst es aber auch du nicht tun , so vergiß doch augenblicklich das Gelesene , daß sich die Gespenster all ihres Tuns nicht in dein Leben mischen und es trüben , sondern daß du es lieber rein und anfangsfähig aus der Hand deines Schöpfers trinkest . Ich fahre fort . Als ich aus Frankreich zurückkehrte , und das Bild des treuen Alfred doch schon zu erblassen begann – als ich fast alle Welt durchreiste – als ich jeden Brief der Marquise unerbrochen zurücksandte , bis keiner mehr kam da fiel es mir ein – – – lese nun das Folgende , weil du es zu lesen geschworen , so wie ich es schrieb , weil ich es zu schreiben geschworen – ; aber wenn du das Eisentor des Gewölbes zuschlägst , so lasse alles hinter dir zurück und streue die Erinnerung in die Winde , damit du keinen Hauch davon , kein trübes Atom zu den Deinen nach Hause trägst , zu deinen armen Kindern , zu deinem schönen , unschuldigen Weibe . Das Land Indien war es , wo mir der Engel meinerschwersten Tat erschien ; – unter dunklem Schatten fremder Bäume war es , an einem Flusse , der so klar floß , als walle nur dichtere Luft längs der glänzenden Kiesel – das Schlechteste und Verachtetste , was die Menschheit hat , war dieser Engel , die Tochter eines Paria ; aber schön war sie , schön über jeden Ausdruck , den eine Sprache ersinnen mag , und über jedes Bild , das in Jahrtausenden einmal in eine wallende Phantasie kommt . – In den Pergamentrollen hatte ich gelernt , wie alles nichtig und eitel sei , worauf Menschen ihr Glück setzen ; denn es war Torheit , was alle meine Vorfahren taten . Ich wollte Neues tun . Den Kriegsruhm hatte ich schon genossen , dies ekle , blutige Getränke ; die Kunst hatte ich gefragt , aber sie sagt nichts , wenn das Herz nichts sagt ; die Wissenschaften waren Rechenpfennige , und die Liebe Sinnlichkeit , und die Freundschaft Eigennutz . – – Da fiel mir ein , wie ich oben sagte , ich wolle nach dem Himalaja gehen . Ich wollte die riesenhaften und unschuldigen Pflanzen Gottes sehen , und eher noch wollte ich das große , einfache Meer versuchen . Ich kam nach dem Himalaja . Dort lernte ich die Hindusprache , dort sah ich das Bramanenleben , ein anderes als unseres , das heißt anders töricht – und dort ging auch die Paria zwischen Riesenpalmen nach dem Flusse , um Wasser für den Vater zu schöpfen . Sie hat , seit sie lebte , sonst nichts getan , als daß sie durch die Palmen ging , um Wasser zu holen und für den Vater Datteln zu lesen und Kräuter zu pflücken . › Rühre mich nicht an und rede nicht mit mir ‹ , hatte sie zu dem fremden Manne gesagt , › daß du nicht unrein werdest ‹ , – und dann stellte sie den Wasserkrug auf ihre Schulter neben den glänzenden , unsäglich reinen Nacken , und ging zwischen den schlanken Stämmen davon . Und so ging sie Tage und Monden – kein Mensch war in dem Walde als ich ; denn sie würden unheilig durch Rede und Berührung mit ihr geworden sein . Der Vater saß unter Feigenbäumen und sah blöde und leer gegen die Welt – und als er eines Tages tot war und sie nicht zu dem Flusse kam , so ging ich zu ihr und berührte sie doch ; denn ich nahm ihre Hand , um sie zu trösten – ich redete mit ihr , daß sie erschrak und zitterte und mich ansah wie ein Reh . › Du mußt dich nun waschen ‹ , sagte sie , › daß du wieder rein seiest . ‹ › Ich werde mich nicht waschen ‹ , sagte ich ; › ich will ein Paria sein wie du . Ich werde zu dir kommen , ich werde dir Früchte und Speise bringen , und du reichest mir den Krug mit Wasser . ‹ Und ich kam auch , und kam wieder und oft . Ich redete mit ihr , ich erzählte ihr von unserm Brama , wie er sanft und gut sei gegen die Kinder seines Volkes , und wie er nicht den Tod des Weibes begehre , wenn der Mann starb , sondern daß sie lebe und sich des Lichtes wieder freue . › Wenn sie aber freiwillig geht , so nimmt er sie doch mit Wohlgefallen auf ? ‹ fragte sie und heftete die Augen der Gazelle auf mich . › Er nimmt sie auf ‹ , sagte ich , › weil sie es gut gemeint hat ; aber er bedauert sie , daß sie sich ihr schönes Erdenleben geraubt hat , und nicht lieber gewartet , bis der Tod selber komme und sie zu ihrem Manne führe , der auch schon ihrer harrte . ‹ › Siehst du , wie du selber sagst , daß er schon harrte ‹ , antwortete sie rasch . › Du bist also im Irrtume , und man muß ja zu ihm kommen . ‹ › Wenn du wieder in dein Land gehst ‹ , setzte sie langsamer hinzu , › in deine Heimat , die etwa gar jenseits dieser hohen , weißen Berge ist , so werde ich traurig sein und auch meinen , daß ich dir folgen solle . ‹ › Und willst du mein Weib werden ? ‹ setzte ich plötzlich hinzu . Und hier war es , wo ich zum ersten Male gegen sie schlecht war . Ihr Wort hatte mich entzückt , ich beredete sie , mein zu werden und mir zu folgen . Sie kannte kein anderes Glück , als im Walde zu leben , Früchte zu genießen , Blumen zu pflücken und die Pflanzenspeisen zu bereiten , die ihr sanfter , reinlicher Glaube vorschrieb ; ich aber kannte ein anderes Glück , unser europäisches , und hielt es damals für eins . – Das weiche Blumenblatt nahm ich mit mir fort , unter einen fremden Himmel , unter eine fremde Sonne . Sie folgte mir willig und gerne – nur sehr blaß war sie , als wir über das breite , endlose Salzwasser fuhren , und es machte ihr Kummer , wenn sie sich mit dem schmutzigen Schiffwasser waschen oder es trinken mußte . Ihre Seele war in mir , und sie wußte es nicht , darum liebte ich sie mehr , als eine Zunge sagen kann . Ich tat ihrer Meinung und ihrem Willen nie Gewalt an , sondern ließ sie vor mir spielen und sah zu , wie sie mein Herz und ihr Herz , meinen Unterricht und ihren Hinduglauben kindisch durcheinandermischte und in Betörung lächelte . Als sie nach den Gesetzen unsres Landes mein Weib geworden war , führte ich sie auf meinen Berg . Ich hatte schon vor meiner Abreise ein Gebäude nach griechischer Art angefangen , und dieses stand nun , als wir ankamen , bereits fertig da . Ich taufte es › Parthenon ‹ und richtete es zu unserer Wohnung ein . Es war sehr schön , und sein Inneres mußte von jeder Pracht und Herrlichkeit strotzen , damit ich ihr ihr Vaterland vergessen machen könne . Auch einen Garten legte ich rund herum an , und hundert Hände mußten täglich arbeiten , daß er bald fertig würde . Ich zog schwarze Mauern und Terrassen , um die Sonnenhitze zu sammeln ; ich warf Wälle auf , um den Winden zu wehren ; ich baute ganze Gassen von gläsernen Häusern , um darin Pflanzen zu hegen , dann ließ ich kommen , was ihr teuer und vertraut war : die schönsten Blumen ihres Vaterlandes , die weichsten Gesträuche , die lieblichsten Vögel und Tiere – aber ach , den dunkelblauen Himmel und die weißen Häupter des Himalaja konnte ich nicht kommen lassen , und der Glanz meiner Wohnung war nicht der Glanz ihrer indischen Sonne . So lebte sie nun fort . Sie aß kein Fleisch ; an mir duldete sie bloß , daß ich es tue und mich mit dem Blute der armen Tiere beflecke . Aber höher hätte sie mich gewiß geachtet , wenn ich es ebenfalls vermocht hätte , nur ihre Pflanzengerichte , ihre Früchte und ihr Obst zu genießen . Oft in jenen Tagen , die in den ersten Jahren so gleichförmig dahin flossen – oft , wenn ihr Mund an meinem hing , wenn ihre weichen , kleinen Arme mich umschlangen , und wenn ich in ihr großes , fremdes Auge blickte und darinnen ein langsam Schmachten sah – sie wußte selbst nicht , an welcher tiefen , schweren Krankheit sie leide oft sagte mir eine Stimme ganz deutlich in das Ohr : › Gehe wieder mit ihr nach Indien , sie stirbt vor Heimweh ‹ ; – aber mein hartes Herz war in seinem Europa befangen , und ahnete nicht , daß es anders sein sollte , daß ich , der Stärkere , hätte opfern sollen und können , was sie , die Schwächere , wirklich opferte , aber nicht konnte . Ich hörte die Stimme nicht , bis es zu spät war , und eine Tat geschah , die alles , alles endete . – – Siehst du , damals rollte auch der Wagen des Geschickes , nur daß er über zarte Glieder ging und sie zerquetschte . Ich hatte einen Bruder , Sixtus mit Namen – einen schöneren Jüngling kann man sich kaum denken – und dabei war er gut und herrlich , und ich liebte ihn wie ein Teil meines eigenen Herzens . Dieser Bruder kam von seinen weiten Reisen zurück und wollte einige Monate bei uns wohnen . Das sah ich gleich , daß er vor der Schönheit meines Weibes erschrak und zurückfuhr , und daß in sein armes Herz das Fieber der Leidenschaft gleichsam wie geflogen kam ; aber ich kannte ihn als gut und mißtraute nicht , ja er dauerte mich , und ich sagte ihr , daß sie ihm gut sein möge , wie man einen Bruder liebt . – Ich kam seinem Herzen zu Hülfe , ich war noch freundlicher , noch liebreicher als je , daß es ihn erschüttere und er sich leichter besiege . Ich mißtraute nicht – und dennoch schwirrte es oft mit dunkeln Fittigen um mein Haupt , als laure irgendwo ein Ungeheuer , welches zum Entsetzen hereinbrechen würde . Ich wußte bisher nicht , ob sie damals von dem eine Ahnung hatte , was wir Treubruch in der Ehe nennen ; denn ich war nicht darauf verfallen , ihr dies zu erklären : jetzt erzählte ich ihr davon , sie aber sah mich mit nichtssagenden Augen an , als verstände sie das Ding nicht , oder hielte es eben für unmöglich . Noch war nichts geschehen . Er schwärmte wild in den Bergen herum , oder saß halbe Nächte an der Äolsharfe des Prokopus . Seine Abreise näherte sich immer mehr . Ich aber war gedrückt , wie ein Tropenwald , auf dem schon die Wucht unsichtbarer Gewittermaterie liegt , wenn die Regenzeit kommen soll und die Sonne doch noch in dem heitern , aber dicken Blau des Himmels steht . So war es , als ich einmal in der Nacht von einer Reise zurück , die ich in einem Streite wegen schnöden Mammons tun mußte , gegen den Rothenstein angeritten kam . Es war eine heiße Julinacht ; um den ganzen Berg hing ein düsteres , elektrisches Geheimnis , und seine Zinnen trennten sich an manchen Stellen gar nicht von den schwarzen Wolken . Die weißen tröstlichen Säulen des Parthenon konnte ich gar nicht sehen , aber um den dunklen Hügelkamm , der sie mir deckte , ging zuweilen ein sanftes , blauliches Leuchten der Gewitter . Mir war , wenn ich nur einmal dort wäre , dann wäre alles gut , – aber je mehr ich ritt , desto mehr war es , als würde der ganze Berg von den Wolken eingetrunken , und ich konnte ihn nicht erreichen , ach ich konnte ihn nicht erreichen ! Auch mein Rappe , schien es , teile meine Angst ; denn er war nicht wie gewöhnlich , wenn er die Heimat witterte , freudig und ungestüm , sondern er stöhnte leise , und sein Nacken war feucht . Einmal war mirs , als höre ich auch meinen Diener nicht mehr hinter mir reiten , aber wie ich anhielt und umblickte , so stand doch seine dunkle Gestalt dicht hinter mir . Nicht Eifersucht war es , die mich trieb – nein , nicht Eifersucht – – aber es war mir immer , Chelion würde in dieser Nacht ermordet , wenn ich nicht zeitig genug käme . Endlich , da wieder ein stummer Blitz durch den Himmel zog , stand ganz deutlich der Prokopusturm darinnen , und mein Weg führte mich auch schon bergan . Die Fichtenallee nahm mich auf , und stand regungslos , wie eine schwarze Doppelmauer . Ruprecht , der junge Sohn meines unlängst verstorbenen Kastellans , öffnete das Tor der Ringmauer , ohne daß ich ein Zeichen zu geben brauchte ; es war , als hätte er schon meiner geharrt . › Nichts Neues ? ‹ fragte ich ihn . › Nichts ‹ , sagte er . Ich ritt den weiteren Berg hinan . Kein einziger Gegenstand desselben rührte sich , als wäre alles in Finsternis eingemauert . Hinter den Trümmern des Julianhauses waren die Stallungen ; ich warf meinem Knechte die Zügel des Rappens zu , empfahl ihm das treue Tier und ging durch die Eichen gegen das Parthenon , aber da ich an dem Flügel des alten Sixtusbaues vorbeikam , in dem mein Bruder wohnte , und da ich Licht sah , ging ich hinein , um ihn zu grüßen . Das Tor des Gebäudes stand offen , die Tür zu seinen Gemächern war nicht gesperrt , sein Diener schlief auf einem Stuhle im Vorsaale , aber Sixtus war nicht zu Hause . Ich ging wieder weiter – durch die schönen Gesträuche Chelions ging ich . – – An den weißen , langen Säulen meines Hauses leckten die immer häufiger werdenden Blitze hinan – da wars , als gleite eine Gestalt schattenhaft längs dem Korridor : › Sixtus ‹ , schrie ich , aber das Wesen sprang mit einem furchtbaren Satze herab und seitwärts ins Gebüsche . – Mir war , als klapperten mir die Zähne , und ich eilte weiter . Die Lawine hing nun – der feinste Hauch konnte sie stürzen machen – und er blieb auch nicht aus , dieser Hauch : von der allzeit fertigen Zunge eines Weibes kam er ; Bertha war es , die Braut Ruprechts , die Dienerin meiner Gattin . Sie stand unbegreiflicher Weise in tiefer Nacht vor dem Tore des Parthenon , und da sie meiner ansichtig wurde , stieß sie im Todesschreck heraus , was sie wahrscheinlich um den Preis ihres Lebens gerne verschwiegen hätte : › Graf Sixtus ist bei Eurem Weibe . ‹ Ich ergriff das Gespenst bei dem Arme , um zu sehen , ob es Leben habe . › Es ist nicht wahr , Satan , ‹ schrie ich und schleuderte das unselige Geschöpf mit meiner Hand rücklings in das Gesträuch , daß sie kreischte ; ich aber ging durch das bloß eingeklinkte Tor hinein und schloß es hinter mir ab . Das Tor aber sollte nach meinem Befehle jedesmal bei Einbruch der Nacht geschlossen sein – heute war es offen gestanden . Sachte , daß kein Fußtritt schalle , ging ich durch den Gang längs der Gemächer meiner Diener zu dem zweiten Tore des Gebäudes , um mich zu versichern , ob es gesperrt sei , – es war zu . Ich zog den innen steckenden Schlüssel ab und ging dann eben so leise auf mein Zimmer . Dort stand ich mitten auf der Diele des Bodens – und stand eine Weile . Dann tat ich leere Gänge im Zimmer und unnütze Dinge . – – Es lebte ein alter , weiser Mann , bei dem ich einmal gelernt hatte , als ich noch mein Heil im Wissen suchte ; er war in der Scheidekunst weiter als alle seine Genossen . – Möge nie wieder erfunden werden , was er erfand und geheim hielt : ein klares , schönes , helles Wasser ist es . Er erhielt es aus dem Blute der Tiere – aber nur ein Zehnteil eines Tropfens auf die Zunge eines lebenden Wesens gebracht , ja nur sanft damit die Lippen befeuchtet , macht , daß augenblicklicher , süßer , seliger Tod die Sinne umnebelt und das Wesen rettungslos verloren ist . Wir hatten es einmal an einem Kaninchen versucht – ich erinnerte mich , wie es damals , als sein Zünglein damit befeuchtet ward , das Haupt mit allen Zeichen des Wohlbehagens seitwärts lehnte und verschied . In einem silbernen Schreine hatte ich ein Teil . Ich nahm das Kristallfläschchen hervor – und hell und klar , wie von einem Bergquelle , und prächtig , wie hundert Diamanten , funkelte das Naß im Lichte meiner Lampe . Um den innerlichen Frost zu vertreiben , ging ich einige Male in der Stube auf und ab . Dann trat ich zu der stummen , mit Tuch überzogenen Tür meiner Seitenwand , öffnete sie und ging in den Gang , der zu Chelions Zimmern führte . Aus dem letzten Gemache , worin sie schlief , floß mir ein sanftes Lampenlicht entgegen – alle Türen standen offen , und durch die hohen Glaswände , die den Gang von dem indischen Garten trennten , schimmerten zeitweise die lautlosen Blitze des Himmels . Schläft sie ? Ich ging weiter – durch alle Zimmer ging ich , bis in das letzte . Ich trat näher – ein schwaches Rauschen schreckte mich – es war aber nur einer ihrer Goldfasane , der sich entweder bei ihr verspätet hatte und entschlummerte , oder der bei der ein wenig offenen Gartentüre hereingekommen war . – Warum blieb sie offen ? warum gerade heute ? –