1. Einleitung Wir legen in folgenden Blättern nicht sowohl eine einfache Geschichte , wie wir sie in diesen Büchern gerne er zählt haben , als vielmehr noch weniger dar , nämlich bloß den Zustand einer Familie , wie er aus mehreren uns unbekannten Veranlassungen , hauptsächlich aber aus der großen innern Grundverschiedenheit zweier Schwestern , der einzigen Kinder des Hauses , hervor gegangen ist . Wenn wir auch denjenigen , die gerne viel Tatsächliches und Geschehenes lesen , nicht genug tun können , so glauben wir doch , daß mancher Seelen- und Menschenforscher , wenn er am Ende dieser Blätter angekommen ist , sie nicht ohne eine kleine Teilnahme weglegen wird . Uns hat es einst ein sanftes , fast trauriges Gefühl erregt , als uns ein Freund die lückenhafte Tatsache , wie sie war , und ohne auf Verzierungen und Ausschmückungen auszugehen , erzählt hat . Die Teilnahme war um so größer , als dieser Freund selber in seiner Jugend eine einseitige Bildung seiner Geisteskräfte erhalten hatte , wodurch er in der Folge viel leiden mußte , als er ferner manchen unverdienten Schmerz und manche Täuschung erfuhr , und als er auch von dieser Familie eine Umdüsterung seiner Seele fort trug , die er wohl durch die Stärke und Heiterkeit seines Geistes , welche er sich in späteren Jahren erwarb , überwunden haben wird . Wir erzählen die Tatsache mit den Worten unseres Freundes , obgleich wir als Nacherzähler auf die Frische und Ursprünglichkeit verzichten müssen , die ihm , der die Sache erlebte , eigen war , und wir überhaupt nicht die Lebendigkeit der Darstellung besitzen wie unser Freund , der aber mit vielen sehr wohlbegabten Menschen die eigentümliche Sucht teilet , nie etwas Geschriebenes von sich geben zu wollen . Nach diesen einbegleitenden Worten folge die Sache . 2. Reisefreunde Wir fuhren einmal unser mehrere in einem Postwagen . In dem Kasten saß ein Vater mit zwei Töchtern – ich weiß es nicht genau , aber ich hielt ihn dafür . Das ältere der Mädchen , ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt , erregte durch ihr ernstes und ruhiges Benehmen unsere Aufmerksamkeit und unsern Beifall . Das jüngere war noch fast ein Kind , das mit kindlichen Augen in die Welt hineinschaute . Außer diesen drei Personen saß noch eine Frau in dem Kasten , die ich für die Begleiterin , gewesene Amme , oder sonst etwas dergleichen von den Mädchen hielt , obwohl sie vielleicht auch ganz und gar nicht zu ihnen gehören konnte ; denn sie gab , ungleich der gewöhnlichen Art solcher Frauen , sehr wenige Zeichen von sich , regte sich wenig und sprach oft wirklich postenlange kein Wort . In dem hintern Gelasse des Wagens saßen ich und ein ältlicher Mann , den wir seines blassen Aussehens und seiner schwarzen Kleidung halber scherzweise Paganini nannten . Er lächelte einmal bei diesem Spottnamen trübsinnig und sagte : » Wer weiß , ob es nicht ein sehr großes Unglück für mich wäre , wenn ich wirklich Paganini wäre . « Unter dem Vordache des Wagens saß neben dem Postgeleiter ein Student , von dem ich nichts zu sagen weiß , als daß er sehr viel aus einem Meißnerkopfe rauchte , an dem er ein langes Rohr und ein bewegliches Mundstück hatte . Die Reise war durch ganz und gar nichts ausgezeichnet , weder durch sehr schlechtes noch durch sehr schönes Wetter – weder durch ein Glück noch durch ein Unglück weder durch besonders langweiliges noch durch ungemein anziehendes Gespräch . Als wir uns erst ein wenig in einander hinein gelebt hätten und die Sache ein wenig in den Gang gekommen wäre , hatten wir unser Ziel erreicht , und wir gingen auseinander . Ich hätte das Ding längst vergessen , wenn nicht der Zufall eine Fortsetzung daran gestückt hätte , wie er es oft mit den unzusammengehörigsten Sachen tut . Man wird bei solchen Vorgängen gereizt , nach einer Art Vernunft in dem Gemengsel zu suchen , und wenn wirklich etwas daraus erfolgt , schieben wir es der Vorsehung in die Schuhe mit welchem Rechte oder Unrechte , weiß ich nicht . Die Sache aber war so . Als ich einmal , ich weiß nicht nach welch langer Zeit , in Wien war und in dem Gasthofe zur Dreifaltigkeit , den ich immer zu benützen pflege , die hintere Wendelstiege in den Hof hinab stieg , welche Stiege gewiß jeder Reisende kennt , der einmal in diesem Gasthofe gewohnt hat , weil sie so enge ist , daß sich ihrer zwei kaum ausweichen können : so begegnete mir hinauf steigend leibhaftig und wirklich unser falscher Paganini . Ich erkannte ihn sogleich wieder , was hauptsächlich dadurch möglich wurde , daß er , wie ich glaube , den nämlichen schwarzen Frack anhatte , wie damals im Postwagen . Da ich ihm meinen Gruß zurief , erkannte er mich auch , und wir drückten uns gegenseitig die Freude aus , uns hier so unvermutet getroffen zu haben . Wie es bei Reisenden gebräuchlich ist , fragten wir um unser Befinden , wie lange wir schon da seien , und wie lange wir uns noch aufzuhalten gedächten . Da erfuhren wir nun , daß wir nicht nur schon drei Tage Zimmernachbarn wären , sondern daß wir es auch wahrscheinlich noch sehr lange bleiben würden . Er hatte nämlich einen Prozeß zu betreiben und mußte in dieser Angelegenheit viele Gänge und Besuche machen : ich war wegen der Betreibung eines Bittgesuches in Wien und hatte der Gänge und Besuche gewiß nicht weniger zu tun . Wir sprachen nach dieser Mitteilung die Hoffnung aus , daß wir uns gewiß nun öfter sehen würden , und um dies nicht eine bloße Redensweise sein zu lassen , verabredeten wir eine gemeinschaftliche Speisestunde in unserm Gasthofe , so oft es nämlich einem jeden von uns möglich sein würde ; und bemerkten , daß wir uns auch ohne dem , da wir so nahe wären , manchmal treffen könnten . In Folge dieses Versprechens kamen wir nun an dem Wirtstische zusammen , wir fanden Behagen an einander , und jeder erschien gerne zu der festgesetzten Stunde , wenn er nicht notwendig verhindert war . Zuletzt geschah es auch , daß wir sogar manchmal an Abenden , wenn es etwas regnerisch war , oder wenn einem ein Verdruß in dem Haupte spukte , an der Tür des Nachbars pochten ; wenn er zu Hause war , eintraten , ein Stündchen verplauderten , und nicht selten den Verdruß verloren , weil man ihn erzählen und sich recht weidlich darüber aussprechen konnte . Zuweilen gingen wir dann auch an irgendeinen Vergnügungsort , wohin der einzelne , wenn er nicht aufgefordert worden wäre , gewiß nicht gegangen wäre . So lebten wir drei Wochen neben einander , und lächerlich war es , daß wir beide immer im schwarzen Fracke gingen , natürlich , weil er immer bei Rechtsmännern , ich aber bei Beschützern aufwarten mußte . Er nannte mich daher einmal , da ich wieder ganz schwarz zum Speisen nach Hause kam , Paganini den Dritten . Es war dies der einzige Scherz , den ich den Mann , der eher immer trübsinnig war , sagen hörte . Einmal war wieder recht schlechtes Wetter . Es war kein tüchtiger Regen , der alles rauschen und strömen macht , und daher doch wieder fröhlich ist , sondern es war das Wetter , das mir schier unter allen das widerwärtigste ist ; ein dicker , unbeweglicher Nebel , der sich wie Fließpapier an die Fenster legt , der oben am Himmel Sonne , Mond und alle Turm- und Häuserspitzen wegfrißt , und unten auf Erden alle Dinge naß , schmutzig und tropfend macht . Zum Überflusse war noch Sonntag , an dem wir beide keine Geschäfte hatten . Wir saßen stochernd und in den Zeitungen blätternd herum . Da geriet ich auf einen Einfall und legte ihn meinem Nachbar vor . Wir sollten nämlich in eins der Theater gehen , ohne eher , als wir uns in dem Hause befänden , zu wissen , in welches , und ohne das Stück zu kennen , das aufgeführt würde ; denn die Zettel , die gewöhnlich auf einem Tischlein im Speisezimmer lagen , hatten wir vorher keiner angeschaut . Ihm war es recht , und ich schritt ans Werk . Ich ließ einen Lohndiener rufen , riß aus einem weißen Blatte Papier fünf Stücke , schrieb auf jedes den Namen eines der fünf Theater Wiens , rollte sie zusammen und befahl dem Diener , eins zu ziehen . In das Theater , dessen Namen er auf seinem Zettel finden würde , sagte ich , solle er uns Karten zu Sperrsitzen holen und die Karten in Papier gewickelt bringen . Unterwegs möge er uns einen Wagen bestellen , dem er das Theater nenne , daß er uns um halb sieben Uhr dahin fahre . Mein Nachbar ließ alles willig geschehen , und der Diener ging fort . Als er wieder gekommen war und uns die in Papier gewickelten Karten gebracht hatte , gingen wir auf mein Zimmer und verbrachten den Rest des Nachmittages , wie man solche Nachmittage zu verbringen pflegt , das heißt , wir rauchten ein wenig , sahen bei den Fenstern auf den Nebel hinaus , und manchmal auf die Uhr . Endlich ward es finster , weil die Zeit im späten Jahre war , es ward zuletzt auch halb sieben Uhr , und der Wagen wurde uns gemeldet . Ich hatte den Plan , daß wir durchaus nichts von der Fahrt wissen sollten , ich sagte daher meinem Nachbar , daß ich die Fenstervorhänge des Wagens herab lassen wolle . Er war , wie gewöhnlich , zufrieden , und wir stiegen ein . Der finstere Wagen fuhr aus dem Tore , wendete um Ecken , fuhr ziemlich lange fort , und setzte uns endlich an dem Josephstädter Theater ab . Ich sagte nun meinem Begleiter , wir wollen innen keinen Zettel anschauen , daß wir das Stück , das gespielt wird , nicht vorher kennen . Er willigte ein , wir gingen in das Haus , unsere Sitze wurden geöffnet , und wir setzten uns nieder . Wir waren ganz nahe an der Bühne , was uns angenehm war , und was wir dem Schutze unsers Lohndieners verdankten . Das Theater war schon sehr voll , man könnte sagen , gedrängt voll , und doch kamen noch immer neue Menschen und klappten auf allen Seiten die Sperrsitze , woraus wir schlossen , daß ein sehr beliebtes Stück bevorstehe ; aber unserem Vorhaben getreu fragten wir niemanden , und da wir Fremde waren , redete uns auch niemand an . Endlich , da schon alles außerordentlich erfüllt war , klang das Zeichen des Anfanges . Es wurde eine Musik gemacht , die kürzer und unbedeutender war , als sie gewöhnlich Stücken vor her zu gehen pflegt . Dann war es stille , und der Vorhang ging auf . Die Bühne zeigte ein schönes Zimmer und war leer , nur daß ganz vorne an den Lampen zwei Notenpulte standen . Unter den Zuschauern war das tiefste Schweigen . Da trat ein junger , schwarz gekleideter Mann aus dem Hintergrunde der Bühne hervor und führte ein Mädchen in weißem Gewande an der Hand – es war nicht eigentlich ein erwachsenes Mädchen , sondern ein Ding , das noch zwischen Kind und werdender Jungfrau stand – das weiße Kleid ließ dem Kinde sehr wohl , es hatte zwei breite , auf den Rücken hinab gehende Zöpfe , und die Augenbogen , wie ich zu bemerken glaubte , waren besonders klar . Die Haare waren einfach gescheitelt . Die Zuschauer erhoben , als sich dieses Paar zeigte , einen unglaublichen Sturm des Beifalles , und man erkannte leicht , daß er dem Kinde gelte , welches durch den jungen Mann bloß eingeführt worden war . Das Mädchen , da es in die Mitte der Bühne gekommen war , verbeugte sich dankend gegen die Zuschauer und blieb dann stehen , ungefähr wie jemand , dessen Sinn schon auf ganz andere Dinge gerichtet ist , und der die vorliegenden Beifallszeichen cher als eine Unterbrechung als etwas anderes ansieht . Endlich hörte der Lärm auf , und das Kind ging von der Mitte der Bretter , wo es bisher gestanden war , gegen die Lampen vorwärts . Seine Züge entwickelten sich – ich geriet in das äußerste Erstaunen , und mein Nachbar und ich sahen uns plötzlich an ; denn das Kind war niemand anderer als jenes ältere der zwei Mädchen , die einmal mit uns in dem Postwagen gefahren waren , das immer so ernst gewesen war , und das uns so gefallen hatte . Es war das nämliche Mädchen , dem der Beifallssturm gegolten hatte , und das , als wir wieder hin sahen , eben eine Geige von einem der zwei Pulte nahm und sich noch einmal verbeugte . Mein Nachbar und ich sagten zu einander : » Wir werden also jetzt das Mädchen spielen hören « , und wir wußten nun auch , ohne daß es uns jemand sagte , wer von den Lampen hell beleuchtet vor uns stehe : Theresa Milanollo . – Mich ergriff nun jetzt ein ganz anderes Gefühl , nämlich die Angst , ob das Mädchen auch so gut spielen würde , wie ich es wünschte , und wie es mir um sie lieb wäre , wenn es wäre . Mir war von jeher bloße Fertigkeit sehr zuwider , und sogenannte Wunderkinder machten mir jedes Mal einen Schmerz . Welch eine Qual und welche unzählige Stunden der Anstrengung müssen vorhergehen , ehe das Kind sich die unglaubliche Fertigkeit erwirbt und die arme gelehrige Seele ein äußerst genau in das Ganze eingreifendes Geräte wird . Daher hatte ich Mitleiden , als ich das schöne , blasse Mädchen vor den Lampen stehen sah , ehe man anfing . Die Züge waren unbeweglich , und ich dachte mir damals , diese Büste könnte man in Marmor hauen . Ich glaubte zu erkennen , daß sie auf das nicht achte , was um sie vorgehe , allein das konnte eben so gut Befangenheit als Kunstgefühl sein . Endlich begann die Musik des Orchesters – ich blickte auf sie – sie stand ruhig und sah mit ihren ernsthaften Augen vor sich . Als der Augenblick gekommen war , wo sie einfallen mußte , lag die Geige mit einem leichten Ruck an ihrer Schulter – und im Augenblicke ging auch der schöne , gehaltene Ton durch die Räume und durch alle Seelen . Mir war es auf der Stelle klar , dieser Ton könne gar nicht anders als aus dem Herzen kommen , so wie alle folgenden aus dem Herzen kamen , weil sie so zu Herzen gingen . Ich habe in späteren Zeiten das Mädchen wohl noch spielen , nie aber mehr sprechen gehört , ich bin mit ihr nie mehr zusammen gekommen , und habe sie auch nicht kennen gelernt . Ich kann daher aus andern Umständen nicht beurteilen , wie tief ihr Fühlen sei ; aber aus diesen Tönen war es mir eine Unmöglichkeit , zu denken , daß es nicht so sei . Ich mußte mit Befremden in das Antlitz eines noch so jungen Kindes schauen , das schon so empfand . Wie ihre Saiten durch die andere Musik hervor tönten , wie sie so entschieden heraus ragte , wie ein Mann : war es mir , als höre ich ein inniges , starkes , erzählendes und manchmal auch klagendes Herz . Gar schön aber war es , wie die Unschuld in dem Spiele herrschte – eine Unschuld , die , möchte ich sagen , nur bei Kindern möglich ist , welche noch an kein Ich denken , das gefeiert werden soll , sondern die Sache spielen , die ihnen das einzige ist , das da gelte . Ich schäme mich daher nicht , es zu gestehen , daß ich von dem Kinde mit einer tiefen , schönen , sittlichen Gewalt erfüllt wurde . Ich klatschte daher auch nicht in die Hände , als sie endete , was aber unzählige andere mit fürchterlichem Gepolter taten . Ich kann nicht denken , daß diese das Eigentliche empfinden ; denn wenn ein Künstler , also ein höherer Mensch – und jeder wahre Künstler muß das sein – vor uns steht , uns einen schönern , reinern Teil seiner Menschlichkeit vor Augen fahrt und die unsere zu sich empor hebt : dort ist mir , als sollten wir bescheiden verehren . Mit lustigem Beifallsklatschen und Rufen lohnt man nur den bezahlten Lustigmacher . Das Mädchen senkte die Geige , es verbeugte sich nur einmal und kurz , und wurde von demselben jungen Manne , der es eingeführt hatte , wieder fort geführt . So endete die erste Abteilung . Nach einem kurzen Zwischenraume , den die Menschen mit Gespräche und Gebrause ausfüllten , begann die zweite . In derselben führte Theresa die jüngere Schwester heraus . Sie hielt sie , gleichsam wie eine ältere Beschützerin , an der Hand . Wir sahen das jüngere der zwei Kinder aus dem Postwagen , das mit seinen Augen so kindlich geschaut hatte . Das Mädchen , bedeutend kleiner als Theresa , war ebenfalls weiß gekleidet , aber statt der gescheitelten Haare und der Zöpfe hatte es ein Kinderköpfchen , rund um voll Locken . Theresa stimmte ihr die kleinere Geige , die auf dem zweiten Pulte lag , und reichte sie ihr dar . Die jüngere Schwester stand nicht , bevor das Spiel begann , mit dem Ernste , und ich möchte sagen , mit der Düsterheit da , wie die ältere getan hatte , welche wußte , was für ein tiefes und schwankendes Ding jetzt beginnen werde : sondern sie war wie ein zuversichtliches Kind , das eine schwere Aufgabe her zu sagen hat , aber auch weiß , daß es dieselbe kann . Das Spiel fing an . Die Kleine spielte es mit Freudigkeit und mit Sicherheit Theresa begleitete sehr bescheiden und half nur hie und da gelegentlich mit einem starken Striche aus . Da sie endeten , erhob sich ein rauschender , stürmender , tobender Beifall . Die kleine Künstlerin verbeugte sich freudig , wie eben ein Kind , das froh ist , daß es seine Sache gut gemacht hat . Ich dachte mir : du liebes Wesen , das Herz mit seinen Freuden und Leiden muß noch nicht in dir erwacht sein ; die Töne sind dir nette , gute Dinge , aus denen man recht schöne Sachen machen kann – aber du erfuhrst es noch nicht , welch eine Seligkeit und auch welch eine Wehmut in ihnen liegen könne . – Theresa führte unter einem Beifallsjubel das mit Lob überschüttete Kind von der Bühne ; nur in der Mitte wendeten sich beide noch halb um und verbeugten sich . So endete das zweite Spiel . Im dritten spielte Theresa etwas Heiteres , aber Anstandvolles . Ich könnte sagen : sie wand ihre starken goldenen Töne herrlich um die Häupter der Menge . Dann spielten beide ein kurzes Duett , und dann wieder Theresa allein . Mir fiel jetzt mein Nachbar ein , den ich in der Tat ganz und gar vergessen hatte . Ich wußte nicht , ob er ein Kenner oder ein Freund der Musik sei , wir hatten , wie mir schien , von Musik früher nie gesprochen . Er war auch die ganze Zeit über so stille neben mir gesessen , er hatte mich nicht angeredet , er hatte sich nicht gerührt , so daß es begreiflich wird , daß ich , der ich so aufmerksam gegen die Dinge vor mir hingezogen wurde , auf ihn vergessen konnte . Jetzt sah ich ihn an – aber ich erstaunte und erschrak fast ; denn es fielen ihm Tränen , eine nach der andern , Schlag auf Schlag , über die gefurchten Wangen herab . Dabei saß er starr und unbeweglich . Alle , die um uns herum , und alle , die schön geputzt in den Logen saßen , blickten gegen die Bühne hin und sahen ihn nicht . Ich aber war ein wenig unruhig , und meine Aufmerksamkeit war geteilt . Die Töne gingen vor uns fort , und die Musik war eine traurige . Seine Tränen wurden noch reichlicher , und meinem ihm zugewendeten Ohre war es fast vernehmlich , als seien sie in ein hörbares Schluchzen übergegangen . Ich fürchtete , ich würde ihn aus dem Theater fort bringen müssen ; denn da jetzt das Spiel aus war , sahen auch die Augen anderer Menschen auf ihn hin . Aber er hielt sich fest . Die Tränen wurden nicht mehrere , eher weniger , und das Schluchzen wurde nicht hörbarer . Er sah hiebei nicht rechts und nicht links . Theresa spielte noch etwas Einfaches , sehr Edles – dann war noch einmal ein ganz kurzes Duett – und dann war die Vorstellung aus . Da nun die Menschen sich zum Gehen erhoben , da ein Teil derselben sich in Bänken und Gängen stellte , um den lärmenden Beifall fortzusetzen , so war es unter dem Gedränge leichter , meinen Nachbar fort zu bringen , da jetzt niemand weiter auf ihn achtete . Ich tat auch , als hätte ich nichts gesehen , und da er näher gegen das Ende der Bank gesessen war , ging er in der Menge vor mir her . Auf dem langsamen Wege bis zu dem Tore wurde nichts zwischen uns gesprochen , aber da wir in dem Wagen , den ich draußen herbei gerufen hatte , saßen , sagte er die Worte : » Ach , du unglücklicher Vater , du unglücklicher Vater ! « Da ich diese Äußerung durchaus nicht verstand , antwortete ich nichts darauf , und er sprach auch während des Fahrens nichts weiter . Als wir in unserem Gasthofe angekommen waren und ich eben den Fahrlohn für den Wagen bezahlte , ging er in sein Zimmer hinauf . Ich tat desgleichen , und begab mich nach einiger Zeit in das Gastzimmer hinunter , um noch etwas weniges zum Nachtmahle einzunehmen . Es saßen verschiedene Menschen da , worunter ich einige kannte , da sie ebenfalls Bewohner des Gasthofes waren und sich gewöhnlich zu den Versammlungsstunden in dem Speisesaale einzufinden pflegten . Wir sprachen verschiedene Dinge , unter andern auch von den Geschwistern Milanollo und ihrer heutigen Vorstellung , aber nur oberflächlich , wie es bei Reisenden oft gewöhnlich ist , die , wenn sie sich auf mehrere Augenblicke zusammen finden , gern einige flüchtige Worte wechseln . Mein Nachbar kam nicht zum Abendessen herunter . Ich blieb länger sitzen als gewöhnlich , teils weil ich müde war , teils weil die Eindrücke , welche ich empfangen hatte , nur nach und nach verschwanden . Als ich von dem Speisesaale über den Hof zu meiner Wendelstiege ging , sah ich gegen die Fenster meines Nachbars hinauf , sie waren schwarz , und er hatte bereits sein Licht ausgelöscht . Ich stieg die Treppe hinan , und da ich , um zu meinem Zimmer zu gelangen , an dem seinen vorüber mußte , hielt ich unwillkürlich an der Tür etwas an ; aber es war totenstille in dem Innern , und der Bewohner mochte wohl schon in tiefem Schlafe liegen . Da ich mein Gemach aufgeschlossen und wieder zugeschlossen hatte , da ich mein Licht auf dem Nachttischchen entzündet hatte , da ich ausgekleidet war und in dem Bette lag : hatte ich erst die rechte Zeit und nahm mir die rechte Muße , über das Benehmen meines Nachbars nachzudenken . Es mußte mir in der Tat bedeutend auffallen , und ich konnte nicht anders , als mir Vermutungen darüber zu machen . Ich hätte in der frühern Zeit eher gedacht , daß der mittelgroße , hagere , blasse Mann durch Töne nicht gar leicht zu bewegen sein müsse ; denn in dem Wesen desselben lag etwas Stilles , mitunter auch Trockenes , aber immer etwas , das sich nicht aufdringt , sondern eher in sich zurück tritt und verschließt . Daß wir ihn Paganini nannten , war mehr Schalkheit , durch die flüchtigste äußere Ähnlichkeit angeregt , als daß wir ihm diese Kunst zutrauten . Es boten sich mir drei Arten dar , sein heutiges Benehmen zu erklären . Entweder war er wirklich für Musik so empfänglich , daß das außerordentliche Spiel der Geschwister Milanollo auf ihn so wirkte , daß er nicht mehr Herr seiner Bewegung war und in die Tränen ausbrach , die wir an ihm sahen . Dann aber ist es nicht erklärlich , daß ich das nie früher bemerkt hatte ; denn ungewöhnliche Empfänglichkeiten für ein Ding offenbaren sich meistens sehr bald , sei es durch die Rede , welche der Empfängliche gerne auf das Ding hinlenkt , sei es ein wenn auch minder bedeutender Anlaß , der das Ding herbei führt und die Empfänglichkeit darlegt . Oder es mochte bei meinem Nachbar auch der zweite Fall sein , daß er nämlich zu jener Art Menschen gehört , die , ohne es zu wissen , eigentlich tiefes Gefühl haben , das nur außerordentlich schwer aufgeschlossen wird , aber , wenn es aufgeschlossen ist , desto stärker und nachhaltiger dahin strömt . An solchen Menschen gehen oft Töne , Farben und andere Gelegenheiten Jahre lang ohne Wirkung vorüber , wie Wasser über einen Felsen ; aber von ungefähr werden sie durch einen Anlaß von ihrem unbekannten Innern ergriffen , daß sie seiner Gewalt , die sie überkommt , gar nicht zu steuern wissen , ihr wie Kinder ohne Hilfe hingegeben sind und ihre Ratlosigkeit vor aller Welt offenbaren müssen . Solche Menschen werden von ihren Gefühlen viel stärker erschüttert als andere , die ihr Herannahen merken und tausend kleine Waffen dagegen in Bereitschaft halten . Aber auch gegen diesen zweiten Fall streitet der sonderbare Ausruf , den mein Nachbar im Wagen machte : › Unglücklicher Vater , unglücklicher Vater . ‹ Dieser Ausruf stimmt mit bloßer , wenn auch starker Erregung durch schöne Darlegung einer außerordentlichen Kunst nicht überein . Es bleibt daher der dritte Fall über , daß nämlich in dem Leben dieses Mannes , der jetzt in dem Zimmer neben mir einsam schläft , irgend unbekannte Verhältnisse sein mögen , die in Beziehung und Verbindung mit dieser Musik die Erregung so stark machten , daß er sie von Menschen weg in Verborgenheit trug und sich nicht mehr die wenigen Bissen Essen gönnen konnte , die ergewöhnlich zu seinem Abendmahle einnahm . Ich beschloß daher , mir von der Sache gegen ihn gar nichts merken zu lassen und ihrer , wenn er nicht selber etwas sagte , nicht zu erwähnen . Ehe ich einschlief , dachte ich auch noch an die mir so lieb gewordene Theresa . Es ist also nicht , wie ich anfangs gefürchtet hatte , bloße außerordentliche Fertigkeit an ihr , sondern sie versteht , empfindet und erschafft das Gespielte . Aber auch so wollte ein Mitleid , und zwar noch ein innigeres , meine Seele um sie beschleichen . Wenn sie sehr oft in solchen heißen Gefühlen ist , so wird ihr Leben darunter ermatten und ihre Zukunft gefährdet sein . Dies ist jederzeit der Fall , und wenn die Selbstschöpfungen gar gewaltig aus dem noch jungen , weichen und hilflosen Herzen kommen , so muß dasselbe gleichsam wie in einem Samum welk werden . Aber , dachte ich wieder , sie wird schon stark und frei sein , daß sie das Gefühl ihrer Kunst ertragen kann , daß sie auch die anderen Dinge der Welt sieht und mit gesunden Augen durch das Leben geht . Oder vielleicht wird sie durch die Wiederholung und durch die Bekanntschaft mit ihren Wirkungen weniger angegriffen als wir , die wir von der Neuheit und von der Plötzlichkeit getroffen werden . Aber der Künstler kann andererseits nur allein die zarten Tiefen des Kunstwerkes , in das er sich versenkt , ergründen , und muß ihnen die Seele hingeben : während wir bloß von der Allgemeinheit der Sache überkommen werden und nur die Allgemeinheit des Gefühles mit nach Hause tragen . Wer kann das wissen , und wer kann das ergrübeln ? Unter diesen Gedanken war nach und nach der Schlummer , dessen ich heute so bedurfte , über mich gekommen . Ich löschte mein Licht aus , und in wenigen Augenblicken waren beide Welten , die äußere und die meiner Gedanken , verschwunden . Als ich am andern Tage viel später als gewöhnlich , weil ich spät einschlief , erwachte , als ich mich angekleidet hatte , in den Speisesaal hinunter gegangen war und um meinen Nachbar , an dessen Tür ich ein Vorlegschloß gesehen hatte , gefragt hatte , hieß es , daß er sehr früh ausgegangen war , ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben , wann er wieder kommen werde . Ich ging nun ebenfalls an meine Geschäfte und kam nicht eher als um die gewöhnliche Speisestunde nach Hause . Da ich in den Saal trat , sah ich ihn schon an unserem Tische sitzen und setzte mich zu ihm . Es waren mehrere Menschen an dem Tische , die gewöhnlich um diese Stunde zu kommen pflegten ; mein Nachbar erwähnte des gestrigen Tages nicht . Als wir nach Tische , wie häufig , einige Minuten in unseren Zimmern allein waren , sagte er auch nichts , und ich , meinem Vorsatze getreu , schwieg ebenfalls . Nach diesem Ereignisse ging ich noch öfters , um die Geschwister Milanollo zu hören . Ich habe aber meinen Nachbar nie dazu eingeladen , und er hatte mich in jener Zeit auch nie gefragt , wo ich gewesen sei . Von den beiden Mädchen war zwischen uns nicht mehr die Rede . Er lebte so stille und einfach fort , er war gefällig und zuvorkommend , wenn auch schweigsam und versunken . Ich bereute es in meiner Zartfühligkeit , daß ich ihn einmal schlechtweg bloß seines schwarzen Frackes und seiner blassen Gesichtsfarbe halber Paganini geheißen habe . Ich nahm mir mit festem Ernste vor , nie mehr einem Menschen auf Geratewohl einen Spottnamen zu geben , weil ich mit ihm später besser bekannt werden und einsehen konnte , wie wenig er ihn verdiene . Wir blieben noch immer in unserem Gasthofe . Er ging alle Tage unverdrossen und , wie es mir schien , immer eifriger seinen Geschäften nach . Mein Bittgesuch , so langsam es sich auch förderte , ging doch seinen Weg , ich hatte alle Gänge , die dafür zu machen waren , gemacht , hatte sie wiederholt und konnte jetzt nichts weiter tun als ruhig abwarten , wie die Sache ausgehen werde . Nur die Anfragen , auf welcher Stelle seiner Laufbahn das Ding jetzt sei , konnten von Zeit zu Zeit gemacht werden . Die Schwestern Milanollo waren indessen abgereiset . Die Tagesschriften , welche von ihnen voll gewesen waren , hatten allgemach aufgehört , von ihnen zu reden , die Gespräche , in denen sie eine Rolle gespielt hatten , waren verstummt , das heißt , sie handelten jetzt von etwas anderem . Nur manches verspätete Gedicht machte sich noch in der einen oder andern Spalte einer Zeitschrift gelten , und in manchem Gespräche guter Freunde , wenn eben von Musik die Rede war , wurde noch ihr Name genannt . Ich habe immer und jederzeit , wenn sich Gelegenheit dazu gab , meine tiefen Gefühle über ihr Spiel offen dargelegt , nur wenn mein Nachbar zugegen war , mied ich eher die Gelegenheit , daß er nicht auf jenen Abend erinnert würde . Endlich kam die Zeit , wo man , so sehr man sie gefeiert hatte , doch nicht mehr eigens von ihnen sprach , sondern nur , wenn sich zufällig die Gelegenheit dazu ergab . Daß etwas der Stoff des allgemeinen Gespräches einer sehr großen Stadt sei , muß es sich eben zugetragen haben und muß Aufsehen erregen . Und gerade in großen Städten trägt sich immer etwas zu , und macht von Zeit zu Zeit etwas Aufsehen . Darum sind die Tagesgespräche so wandelbar . Wie lange das Kinderpaar in dem Gedächtnisse ihrer Freunde und Verehrer fortgelebt haben mag , kann ich nicht erörtern , und es liegt nicht innerhalb der Grenzen dieser Geschichte . Mein Nachbar und ich waren noch immer in Wien . Er wurde später sogar krank , und bei der großen , sonderbaren Scheu , die er gegen jedes Hospital an den Tag legte , lag er auf seinem Zimmer neben dem meinen darnieder , und hatte einen Arzt und eine Wärterin , sonst aber niemanden . Ich ging daher häufig , wenn es meine Zeit zuließ , zu ihm hinüber , redete mit ihm , erzählte ihm die Tagesbegebnisse , was an der Wirtstafel gesprochen worden sei , wer abgereiset und neu angekommen wäre – ich gab ihm auch zuweilen Arznei ein , richtete ihm die Kissen , und erfuhr bei dieser Gelegenheit , wie bitter mager der Mann sei , wenn er so den Arm heraus streckte , um etwas zu fassen , oder wenn er etwa das Knie gegen die Decke stemmte und eine sehr spitzige Pyramide machte . Er lag den ganzen Tag ruhig , es kam kein Mensch zu ihm , und man wußte auch gar nicht , welche Angehörige er habe ; denn man sah ihn nie Briefe empfangen oder schreiben . Endlich wurde er wieder nach und nach gesund , und ging in seinem schwarzen Fracke aus , wie er vor der Krankheit ausgegangen war , nur daß man ihm das überstandene Übel ansah . Seine Abreise , wie er sagte , näherte sich nun heran . Er mußte seinen Prozeß verloren haben , weil er noch düsterer und noch trauriger aussah . Eines Tages kam er nach dem Mittagsessen zu mir herüber und sagte , daß er abends nach sechs Uhr mit dem Postwagen abreisen werde . Er frage mich daher , ob er mich kurz vor jener Stunde treffen könne , um von mir Abschied zu nehmen . Ich antwortete ihm , daß ich den ganzen Nachmittag zu Hause bleibe , und daß ich ihn sogar , wenn er es erlaube , bis zu dem Postwagen begleiten werde . Er nahm es gerne an , und ging wieder in sein Zimmer zurück . Von den Schwestern Milanollo hatte er richtig bis hieher kein Wort gesagt . Am Nachmittage hörte ich ihn viel hin und her gehen ; er mußte einpacken , was er selber tat , weil er nie einen Diener gehabt hatte . Ein wenig nach vier Uhr , da ich eben bei meinem Fenster hinaus sah , sah ich einen Träger einen ledernen Koffer und zwei Handsäcke von der Wendeltreppe herab über den Hof fort tragen , die ich als die seinigen erkannte . Von nun an war es in dem Zimmer neben mir stille . Eine geraume Zeit nach fünf Uhr ging ich zu ihm hinüber und fragte , wann er gehen wolle ; ich sei bereit , ihn zu begleiten . Ich werde gleich gehen , « antwortete er , » und wenn Ihr Zeit habt und Euch die Mühe nehmt , mich bis zu dem Postwagen zu begleiten , so freut es mich sehr . « Bei diesen Worten steckte er noch Verschiedenes zu sich und warf verschiedenes Unbrauchbare weg . » Ich bin noch Euer Schuldner « , sagte er dann , indem er etwas in ein Papier Gewickeltes , das auf dem Tische lag , nahm und es mir einhändigte . » Wofür ? « fragte ich . » Ich habe vergessen , Euch damals meinen Anteil an den Sitzen und an dem Wagen zu bezahlen , als wir in dem Theater in der Josephstadt waren « , antwortete er . » Ist es das ? « sagte ich , » das ist ja so wenig , und es wäre von keinem Belange gewesen , wenn Ihr ganz und gar darauf vergessen hättet . « » Muß doch berichtet sein « , antwortete er . Ich steckte das Papier , ohne seinen Inhalt zu untersuchen , zu mir und verfolgte die Sache nicht weiter . Er war indessen fertig geworden und sagte : » Ist es gefällig ? « Ich wandte mich zum Gehen , er zog noch flüchtig die Lade des Schreibtisches heraus , um zu sehen , ob er nichts vergessen habe , und wir schritten zur Tür hinaus . Es war sonderbar , es fiel mir schwer auf , obwohl ich mit dem Manne nie in einer eigentlich näheren Verbindung gewesen war , daß er nun gehe und , als wir das Zimmer verlassen hatten , die Schlüssel an der Tür stecken ließ , wo bisher immer , wenn ich in seiner Abwesenheit vorbei ging , ein festes , nettes Vorhängschloß angelegt war . Als wir in den Hof gekommen waren , sagte er der Magd , die wir dort sahen , und der gewöhnlich das Zimmerfegen oblag , daß er nun reise , daß die Schlüssel stecken , und daß sie über das Zimmer verfügen könne . Wir schritten nunmehr bei dem Tore hinaus . Auf der Gasse sagte er zu mir : » Ich danke Euch noch einmal sehr freundlich für die Güte und Aufmerksamkeit , die Ihr in meiner Krankheit für mich gehabt habt . Ihr seid ein guter , gefälliger Mensch , vielleicht treffen wir uns auf dieser Welt noch einmal irgend wo wieder . « » Wo wohnt Ihr denn ? « fragte ich ihn . » Ich habe bisher in Meran gewohnt « , antwortete er ; » wo ich in Zukunft wohnen werde , weiß ich noch nicht . Wenn Ihr aber einmal nach Meran kommet , dürft Ihr nur nach mir fragen , und man wird Euch dann meinen Aufenthaltsort schon sagen . Oder wenn Ihr mir Euren Wohnort nennet , so kann ich Euch auch einen Brief schreiben , worin ich Euch anzeige , wo ich sein werde . Wenn Ihr dann einmal in die Nähe kommt , so geht Ihr zu mir . Ich werde gewiß eine große Freude haben , Euch zu sehen . « » Und ich gewiß auch « , antwortete ich . Ich nahm nach diesen Worten eine Namenskarte aus meinem Taschenbuche , schrieb mit starker Bleifeder meine Wohnung auf die Kehrseite und sagte : » Unter dieser Aufschrift wird mich ein Brief von Euch zu jeder Zeit des Jahres finden . « Er nahm die Karte und tat sie in seine Schreibtafel . Nun gingen wir schweigend neben einander her , entweder weil wir wirklich nichts zu reden wußten , oder weil wir gespannt waren . Endlich , gleichsam um das kleine Stück Weges , das wir noch bis zur Post hatten , auszufüllen , tat er die Frage : » Seid Ihr schon einmal in Italien gewesen ? « » Es war wohl schon seit Jahren mein sehnlichster Wunsch , dieses merkwürdige Land zu sehen , « antwortete ich , » aber meine Verhältnisse gestatteten es bisher immer nicht , den Wunsch zu verwirklichen . Indessen gebe ich ihn nicht auf , und wenn einmal eine Zeit kommt , in der es mir möglich ist , eine große Reise zu machen , so ist Italien das Land , in welches ich sie unternehme . « » Tut das ja , « sagte er , » es wird Euch gewiß nicht reuen . « Mit diesen Worten waren wir an der Post angekommen und gingen bei dem großen Tore hinein . Der Innsbrucker Wagen war schon angespannt . » Nun lebet wohl , « sagte er , » ich danke Euch für die Begleitung , und ich danke Euch auch noch einmal für alles andere , was Ihr mir getan habt , und grüßet unsere Mittagsgäste recht schön . « » Lebet wohl , « antwortete ich , » und reiset glücklich . « Somit war der Abschied vollbracht . Er ging an den Wagen und schaute bei allen Fenstern hinein ; allein da er ziemlich spät gekommen war , saßen überall schon Reisende von verschiedener Gattung darinnen : dicke und dünne , schnurrbärtige und backenbärtige , mit Tabakspfeifen und Augengläsern versehene – nur in dem hintern Gelasse , bei einer Frau mit Reisesäcken und Fächern , war ein Plätzchen erübrigt – sein Mantel , den er voraus geschickt hatte , lag neben den hintern Rädern auf der Erde , er hob ihn auf und tat ihn um – auf der Wagendecke war man mit Schnüren und Zubinden fertig geworden , man packte den armen alten Mann , wie es gehen wollte , ein und fuhr mit ihm davon . Ich blieb noch eine Weile auf der Gasse vor dem Posthause stehen und sah dem Wagen nach , so weit ich ihn erblicken konnte . Die Ecke der nächsten Gasse verdeckte ihn aber bald . Hierauf ging ich in eine Gesellschaft von jungen Männern , die ich kennen gelernt hatte , die sich jede Woche an einem bestimmten Tage versammelten , und die mich hiezu eingeladen hatten . Es war eben der Tag , und wir saßen ziemlich lange beisammen und redeten von den verschiedensten Dingen der Welt . Am andern Tage stand ich auf und ging wieder meinen Geschäften nach . Es ist unglaublich , aber es ist doch so : der alte Mann , der fort gefahren war , ging mir sehr ab . Zum Zimmernachbarn hatte ich einen Fruchthändler bekommen , der immer mit den Fingern sehr schnalzte , wenn er über die Wendeltreppe hinab ging . Er war zugleich so dick , daß man auf der Stiege nicht an ihm vorbei konnte , sondern , in einen Gang oder unter eine Tür gestellt , ihn vorüber lassen mußte . Ich war noch ziemlich lange an Wien gebunden . Endlich wurde meine Bittangelegenheit doch entschieden , und zwar gegen meinen Wunsch . Der Fruchthändler war schon lange abgereist , ich hatte nach einander wohl fünfzehn verschiedene Zimmernachbarn gehabt , und jetzt , da ich meinen lang ersehnten Bescheid in die Hände bekam , packte ich meine Sachen zusammen und fuhr ebenfalls davon . 3. Reisebesuch Ihr wißt alle , meine teuren Freunde , wie ich von jeher ein Kind des Zufalles gewesen bin . Zuerst ist schon meine Erziehung ein Zufall gewesen ; denn nach dem Tode meiner vortrefflichen Mutter , welche der Meinung war , daß man das Herz und Gemüt vorzugsweise zu größtmöglichster sittlicher Vollkommenheit ausbilden müsse , kam mein Vater an die Reihe , der früher wegen seiner vielen Geschäfte nicht im Stande gewesen war , sich um mich zu bekümmern , der aber im allgemeinen den Plan meiner Mutter vollständig gebilligt hatte . Er wollte auf die Grundlage des Gefühles nun auch die wissenschaftliche Ausbildung setzen . Aber er starb ebenfalls in dem ersten Jahre . Nach ihm übernahm mein Oheim , der Bruder des Vaters , die Erziehung . Dieser verwarf alles , was nicht nach seinem Ausdrucke praktisch war . Praktisch war aber dasjenige , das er dafür erklärte . Ich mußte nun immer arbeiten , das heißt , wie er selber sagte , etwas hervor bringen . Das Hervorgebrachte aber mußte ein Sichtbares und Greifbares sein , das dem Staate und der menschlichen Gesellschaft nützte . Er teilte mir Lehrer und Gehülfen zu , die selber arbeiteten und mich zur Arbeit anleiteten . Die Einbildungskraft und alles , was mit ihr zusammenhängt , nämlich alle Kräfte , die zur Ausschmückung und Ergötzung des Geistes dienen , hielt er strenge darnieder . Ich bin selber der Meinung , daß das heitere und freie Spiel jener Kräfte , die so schön und lieblich in der menschlichen Seele liegen , in Verbindung mit einer Tätigkeit , wodurch das irdische Gut für den einzelnen und so auch für die Gesellschaft hervorgebracht wird , den Menschen ganz und völlig erfüllt und glücklich macht ; aber ich konnte beides zusammen nie erreichen , sondern immer nur eines allein ; denn als ich aus der Erziehung des Oheims entlassen war , weil ich nun selbstständig in seiner Richtung vorwärts gehen konnte , tat ich es nicht . Ihr wißt , wie sich lange niedergehaltene Kräfte rächen . Ich gab mich nun , da ich frei war , dem Zuge meiner Einbildungskraft und den Anregungen meiner sinnenden Kräfte unbedingt hin . Ich ließ die schönen Künste und allerlei Schwelgereien der Gefühle ohne Maß auf meine Seele wirken . Wenn mir damals ein hochherziges , edles , starkes , tief fühlendes Wesen entgegen getreten wäre , das aber auch im Schaffen und Wirken tüchtig gewesen wäre , daß sich die Fülle der Habe und Wohnlichkeit ergieße : ich glaube , ich hätte es nicht erkannt , und gewürdigt . – Jetzt , da die Geschicke es weigern , könnte ich es wohl . So wurde ich also durch Zufall , da ich meine Kräfte abgesondert und einseitig übte , ganz das Entgegengesetzte von dem , was meine Erziehung bezweckte . Was weiter kam , war die natürliche Folge davon . Im kleinen war es ja auch ein Zufall , daß ich einmal mit den Schwestern Milanollo in einem Wagen fuhr , ohne sie zu kennen , und daß ich dann mit einem meiner damaligen Reisegenossen wieder zusammen traf und sie mit ihm hörte . Noch mehr aber wirkte der Zufall später , da ich mich von meinem Zimmernachbar in der Dreifaltigkeit getrennt hatte . Ich wollte damals , als ich in Wien war , durch die vielen Verbindungen , die ich meinem Vater verdankte , eine Stelle erringen , die ich meinen Fähigkeiten angemessen erachtete ; denn das ohnehin nicht große Vermögen von meinen Eltern sah ich durch mein schlenderndes Leben sich nach und nach dem Ende zuneigen . Ich hatte große Versprechungen und zehrte durch den langen Aufenthalt in der großen Stadt noch einen Teil von Zeit und Geld auf . Da erhielt ich den abschlägigen Bescheid und reiste nach Hause . Es war die äußerste Zeit , irgend etwas fest zu setzen . Nun fing ich sofort an , durch außerordentliche Tätigkeit und durch sehr geschickte Berechnungen , welch beides ich von meinem Oheime gelernt hatte , mir im Handel ein Vermögen zu erwerben . Ich hatte den Plan , mir mit demselben , wenn es einmal groß genug wäre , ein recht nettes Häuschen mit einer Landwirtschaft zu meinem künftigen Lebensunterhalte anzuschaffen , freilich , um wieder träumen zu können . Zu meinen Berechnungen , deren Stoff ich mir mühsam durch stetes Herumfragen und Reisen erworben hatte , trafen noch glückliche Umstände hinzu , die niemand ahnen konnte , die mein Oheim selber nicht ahnte , und die machten , daß ich mein Ziel viel früher erreicht hatte , als ich dachte . Ich kaufte das Häuschen , und da ich es eingerichtet hatte , da um das ganze Besitztum eine Einfriedigung lief , da ich die Bearbeitung meiner Grundstücke begann : machte ich eine Erbschaft , in welcher das alles viel reicher und schöner vorhanden war , als ich es mir je hätte einbilden können . Eine Tante , die älteste Schwester meiner Mutter , die mich einmal als Kind lieb gehabt hatte , die nach dem Tode ihres Gatten , eines reichen Mannes , einsam gelebt hatte , und dem Anscheine nach allmählich , ohne daß man die Ursache wußte , in tiefe Armut versunken war , war mit Hinterlassung eines bedeutenden Reichtumes gestorben . Sie hatte schon seit Jahren in einem kleinen Stübchen gelebt und sich nur mit dem Notdürftigsten genährt und gekleidet . Sie nahm von der Familie nie etwas an , und wurde im Laufe der langen Zeit von uns fast vergessen , als wäre sie gar nicht mehr vorhanden gewesen . Ein großes , äußerst reizendes Anwesen , welches ein Anwalt , der in ihrer Stadt lebte , bewirtschaftete , gehörte zu ihrem Eigentume . Er verwaltete es nur unter der größten Verschwiegenheit , daß niemand wisse , daß sie Vermögen habe , und sie etwa in ihrer Abgeschiedenheit überfalle und ermorde . Dieses Besitztum , welches die Tante Treulust nannte , obwohl das nahegelegene Dorf Reutschlag hieß , und wohin sie trotz der großen Entfernung von ihrer Stadt jährlich einmal im tiefsten Geheimnisse fuhr , hatte sie mir nebst einer beträchtlichen Summe Geldes , das zur ersten Einrichtung dienen sollte , als Erbteil hinterlassen . Die Söhne meines Oheims bekamen als bloße verschwägerte Glieder der Familie jeder nur ein kleines Vermächtnis , und alles übrige , dessentwillen sie so bitterlich gedarbt hatte , das sie durch lange Jahre und ungeheure Mühe zusammen gebracht hatte , wurde milden Stiftungen zugewandt , und zwar nur solchen , die werktätig zur Linderung menschlichen Leidens eingreifen . Das war der Zweck ihres Lebens gewesen . Das Testament meiner Tante hatte ein außerordentliches Aufsehen gemacht , teils der Willenskraft wegen , die mit einer solchen Verfahrungsart verbunden ist ; teils des Gegensatzes wegen , da nach vermuteter Armut ein solcher Reichtum zum Vorscheine gekommen war . Bloß Treulust hatte für sie eine Schwäche dieses Lebens abgegeben : sie hatte den Sitz mit vieler Freundlichkeit und mit einem Geschmacke ausgestattet , den man der alten , herben Frau nicht zugemutet hätte , sie ließ das Besitztum immer im besten Baustande und Betriebe sein , und gab es endlich dem einzigen blutverwandten Wesen , das sie noch auf der Erde hatte , zur Erbschaft . Ich reisete , als mir diese Dinge durch die Gerichte bekannt gemacht wurden , nach meinem neuen Eigentume , fand es unendlich herrlicher als mein altes , verkaufte daher alles , was ich mir mit so vieler Mühe und so vielem Fleiße zusammengerichtet hatte , und übersiedelte mich in meine neue Wohnstätte . Ich hatte in meinen früheren dürftigen Zeiten ein sehr schönes Mädchen gekannt . Ich weiß nicht , ob ich es liebte , was man lieben nennt ; jenes Lodern , Leiden und Sprudeln , was ich an meinen Freunden sah , wenn sie liebten , war nicht in mir ; aber ich hatte es sehr gerne , wenn ich die schöne Mathilde sah und mit ihr sprechen konnte . Ich näherte mich ihr , zeichnete sie aus und gestand ihr einmal meinen Wunsch , ihr näher angehören zu wollen . Sie war nicht abgeneigt und sagte , daß sie gerne einwillige , wenn ich nur so viel habe , eine Gattin den Verhältnissen gemäß erhalten zu können . Ich hatte mir eben damals mein erstes Besitztum erworben , und legte ihr dessen Beschaffenheit vor . Sie erwiderte , es möchte doch vielleicht noch zu wenig sein . Als ich Treulust erhalten hatte , war freilich alles zu spät ; denn die schone Mathilde war bereits mit einem Schloßbesitzer , der in einiger Entfernung wohnte , vermählt . Ich war verdrüßlich , war übel gestimmt , und beschloß , wenigstens jetzt allein zu bleiben und meinen Kohl zu bauen . Ich begann es auch , und die Sache fügte sich nach und nach zusammen . In jener Zeit dachte ich wieder an die Schwestern Milanollo . Wenn ich nämlich manchmal abends , da meine Leute etwa gar schon zur Ruhe gegangen waren , oder hinten an den Wirtschaftsgebäuden saßen und plauderten , einsam in meiner grünen Stube saß und nichts um mich war als die schönen Kupferstiche , die ich von der Tante geerbt hatte , nahm ich gerne meine Geige aus ihrem Fache und geigte mir etwas vor . Ich hatte nämlich in jener Zeit , als ich meinen Träumereien gelebt hatte , die Geige spielen gelernt und hatte manche Stunde mit meinem Meister vergeigt . Aber so schön wie Theresa geigte ich weder damals mit meinem Meister noch jetzt in meiner grünen Stube , obwohl ich eine aus alter Zeit stammende Cremoneser Geige besaß und mir die besten Saiten kommen ließ , die auf der Welt zu haben waren . Wir hielten damals unser vier Mitglieder zwei politische Zeitungen , nämlich der Dechant zu Blumenau , der Forstmeister zu Olshag , der Schulmeister meines Dorfes und ich , da wir aber auch alle viere die Geige spielten , so wurde einmal , als wir uns bei einer Kircheneinweihungsfeier trafen , verabredet , daß wir alle Monate wenigstens einmal bei mir zusammen kommen und ein Quartett einrichten wollten . Das Ding geschah und kam bald in den Gang . Wir übten uns in wenigen der bekannteren Tonsetzer , und spielten gewöhnlich zuerst aus Haydn , dann aus Mozart , und endlich aus Beethoven . Wenn nun meine Mitspieler sehr zufrieden waren und sagten , die Kirchenmusik in Blumenau und in Stromberg sei lange nicht so gut als unsere Aufführungen , und die toten Meister könnten sich in ihrem Grabe freuen , daß sie so verehrt würden , und daß wir sie doch so gut vortrügen ; dann dachte ich : ihr habt nie so gut spielen gehört wie ich , und mögt euch immerhin freuen , ich kann es nicht . Ich ließ sie gewähren und verschwieg meine Gedanken . – Unsere Lust an der Sache ermattete aber endlich ein wenig , und die monatlichen Quartette schrumpften zu vierteljährigen ein , die wir aber auch da nicht immer abhielten , außer wir schickten uns eigene Einladungsbriefe dazu . Am Ende kam alles in Vergessenheit . So waren mehrere Jahre vergangen , die ich mit Einrichtungen in Treulust verbrachte . Da dachte ich wieder an meine italienische Reise . Ich konnte sie jetzt mit Bequemlichkeit machen . Meine Verhältnisse waren geordnet , ich hatte nichts zu erbauen , ich hatte keine Veränderungen vorzunehmen , und ich hatte keine Hoffnungen , die erfüllt werden sollten . In Tirol lebten zwei Freunde von mir , die mich beständig zu sich einluden . Der eine derselben hatte eine Musterwirtschaft , die schon oft von Reisenden und Zeitungen gelobt worden war . Ich konnte sie besuchen , dann weiter durch Südtirol gehen und bei dieser Gelegenheit auch in Meran nach meinem alten Reisefreunde fragen ; denn der Brief , den er mir über seinen neuen Wohnort zu schreiben versprochen hatte , war nie angekommen . Ich machte wirklich in Folge dieser Gedanken im Winter meine Vorbereitungen . Ich machte sie freilich nicht mit jener großen , freudevollen Hoffnung , wie ich sie vor mehreren Jahren gemacht hätte , wo mir mein Reiseziel noch so hold vorschwebte und es an allen Mitteln gebrach . Ich weiß nicht , war ich nun um eben diese Jahre älter geworden , oder hatte ich mich so in mein Besitztum hinein gelebt , daß das Fortgehen davon schwerer war als früher alle Reisen , wo ich eigentlich zwar immer irgend wo wohnte , aber nirgends zu Hause war . Indessen machte ich meine Anstalten doch noch immer mit gehöriger Lust , und besonders war es wohltätig , daß jetzt alle Mittel dazu vorhanden waren , die damals gänzlich gefehlt hatten . Ich war gegen Anfang des Frühlings mit meinen Vorrichtungen fertig , und an einem sehr schönen Morgen fuhr mich mein Altknecht mit meinen liebsten Braunen , die ich ihm während meiner Abwesenheit recht auf die Seele band , auf einem Feldwege der nächsten Post zu . Mein Plan war folgender : ich wollte erst in den Frühlingstagen reisen , um sie zu genießen . Eine kleine Zeit wollte ich bei meinen Freunden in Tirol zubringen , dann während des Sommers in Oberitalien verweilen . Gegen die mildere Herbstzeit zu wollte ich dann südlicher gehen , den Winter in Rom und den Sommer im Albanergebirge zubringen . Endlich wollte ich nach Neapel reisen , und im Winter dort , im Sommer aber auf Capri wohnen . Hiebei würde ich einmal Sicilien besuchen . Der dritte Winter würde in Florenz verlebt , und der nächste Frühling darauf würde mich wieder in der Heimat sehen . Ist die Reiselust dann gelöscht , dachte ich , so bleibe ich zu Hause , erwacht sie wieder , so besuche ich dann andere Länder , da ich ja in meiner Behausung nichts zurück lasse , das sich nach mir sehnt . Auf der Post nahm ich von meinem Knechte und von den Pferden Abschied , ließ alle meine Leute grüßen , trug ihnen genaue Obsorge über das Hauswesen auf , und fuhr dann , da mein Gepäcke indessen umgepackt worden war , in die fremden Länder hinaus . Ich rückte nun an Berg um Berg , an Tal um Tal vorüber . Die Reise übte , wie es jede an dem Menschen tut , einen sehr wohltätigen Einfluß auf mich aus . Das gleichmäßige Einerlei , in welches mich das ewige Betrachten des Getreidewachsens versetzt hatte , milderte sich und erfüllte sich nach und nach mit den Mosaikstocken grüner Berge , weißer Städte , leuchtender Landhäuser , und vermannigfaltigte sich durch die tausend fremder Angesichter , die mir begegneten , fremder Trachten , die ich sah , und durch das fröhliche und seltsame Gewimmel , das die unzähligen Menschen dieser Erde treiben müssen , um dem Tage das Leben abzugewinnen , und dieses Leben dann doch wieder in der Schnelle zu vergeuden . Es ist ein großer , sonderbarer Anblick , dieses merkwürdige Geschlecht im ganzen zu überschauen – wie es sich immer und immer geändert hat und immer zu größerer Vollkommenheit zu gehen vermeinte . Wie mag es in den Millionen künftiger Jahre sein , wohin unser befangener Blick nicht zu dringen vermag – wer kann es wissen ? Wenn man mit seinem Fühlen und Denken außer der Gegenwart steht und von ihr nicht fortgerissen wird , so hastet alles in Unruhe , in Begehren und in Leidenschaft vorüber – manches schöne , edle Herz lächelt uns an , daß man es liebt und an sich drücken möchte , aber es geht auch vorüber ; – – wenn man dann die Natur betrachtet , wie die Geselligkeit der Pflanzen über alle Berge dahin liegt , wie die Wolken ziehen , wie das Wasser rieselt und das Licht schimmert – welch ein Treiben jenes , welch ein Bleiben dieses ! Durch die Natur wird das Herz des Menschen gemildert und gesänftigt , durch das Wogen der Völker , sobald man einen tieferen Geist hinein zu legen vermag , wird es begeistert und erhoben . Da ich immer ein einzelner war , der nicht hatte , was er lieben oder hassen konnte , lernte ich die Menschen in der Weltgeschichte kennen . Da waren sie anders , als sie sich immer in der nächstberührenden Welle geltend machen möchten . Was die Gegenwart oft als ihr Höchstes und Heiligstes hielt , das war das Vorübergehende : was sie nicht beachtete , die innere Rechtschaffenheit , die Gerechtigkeit gegen Freund und Feind , das war das Bleibende . Was ein Redner , von dem bloßen Teile eines Ganzen ergriffen , seinen Zeitgenossen heftig predigte , ist in den folgenden Geschlechtsräumen anders , weit anders gekommen . Mit diesen Gedanken fuhr ich die Straße des schönen Tirols hinan und ließ diese Berge und Lasten auf mich einwirken , zwischen denen die Menschen herum gehen und wie überall , während sie wähnen , nur für die nächsten Bedürfnisse zu sorgen , den Bau der Zukunft aufbauen . Und je nach der Güte oder Zerworfenheit der Gegenwart wird dieser Bau auch dauernder oder hinfälliger . Ich fuhr durch das lange Inntal und lenkte dann in das Pustertal ein . Ich hatte den einen meiner Freunde besucht und war eine Woche bei ihm geblieben . Die Zeit wurde verbracht , indem wir teils schöne landschaftliche Stellen besuchten , teils mit seinen Freunden zusammen kamen , teils die Land- und Alpenwirtschaft dieses Volkes besahen . Dann reisete ich wieder weiter und kam zu dem an dern , der den berühmten Hof hatte . Ich blieb drei Wochen bei ihm . Ich schaute alles an , was da war , ich betrachtete die Arbeiten , ich ließ mir erzählen , und fertigte ein Buch an , in welches ich alles eintrug , was ich mir merken wollte . Mit der schönsten Erinnerung und mit dem Bilde eines edlen Mannes – denn in früheren Zeiten hatten wir uns doch nur sehr oberflächlich gekannt – verließ ich das Haus und wandte mich nach dem südlichen Tirol . Es gingen noch duftblaue Berge , glänzender Firn , dunkelnder Wald und grünes Gelände an mir vorüber . Über manchen rauschenden Bach mußte ich fahren , und an mancher freundlichen Häuserreihe mußte ich vorbei , bis ich eines Abends in Meran einzog . Es waren sehr viele Fremde in dem Orte , die sich gewöhnlich im Sommer einfinden , um die ungemeinen Reize der Gegend zu genießen . Im Herbste , sagte man mir , kommen meistens noch mehrere , weil sie da eine Traubenkur zu gebrauchen pflegen . Ich fragte , da ich nun da war , bei meinem Gastwirte um Franz Rikar , so hieß nämlich mein ehemaliger Zimmernachbar . » Dieser Mann « , antwortete der Wirt , » ist schon sehr lange nicht mehr in Meran , er hat sich sehr einschränken müssen , es geht ihm sehr schlecht , und er hat sich an die Ufer des Gardasees zurück gezogen , wo er geboren ist . « Als ich um den Ort fragte , sagte er , den wisse er nicht genau , wenn es aber nicht Riva sei , so müsse es ganz gewiß in der Nähe sein . Als ich des Abends ein wenig in dem Städtchen herum ging , um es mir anzuschauen , fragte ich auch noch andere Leute , und erhielt fast überall die nämliche Antwort , nirgends aber eine genauere . Da ich diese Sache erfahren hatte , kam mir der Gedanke , den alten Mann nach Treulust zu schaffen . Er könnte , dachte ich , dort recht gut leben ; ich bin ganz allein , er könnte unbeirrt sein , er könnte etwas tun , oder auch nicht ; wenn ich zurück käme , könnte ich mit ihm reden und umgehen ; vielleicht gewinne ich ihn gar lieb , kränke mich um ihn , wenn er krank wird , pflege ihn , und weine um ihn , wenn er stirbt . Dieser Gedanke und dieser Beschluß änderten meine bisherige Reiserichtung , ich ließ von dem Wege , den ich nach Mailand verfolgen wollte , ab , ließ meine Sachen auf ein eigens gemietetes Fuhrwerk packen , und fuhr in demselben am andern Tage morgens auf dem nächsten Wege nach Riva zu . Ich beschloß , den Mann mit den nötigen Schriften und mit Geld zu versehen , ihn auf den Weg nach Treulust zu geben und dann meine Reisepläne wieder weiter zu verfolgen . Als ich in Riva angekommen war , bewunderte ich nur ganz kurz die außerordentlich schöne Lage dieses Ortes und erkundigte mich gleich nach meinem Manne . Allein in ganz Riva kannte niemand den Namen Rikar , und als ich den Mann beschrieb , war niemand vorhanden , der sich erinnern konnte , je einen solchen gesehen zu haben . Ich stand also an dem ersten Hindernisse meines gutgemeinten Planes . Weil ich aber einmal so weit war , so beschloß ich , gleich noch ein mehreres zu tun . Ich beschloß , da man einstimmig gesagt hatte , er müsse in der Nähe von Riva wohnen , sofort einen beliebigen Bogen an den Riva-Ufern des Gardasees herum zu fahren , an allen Orten , wo ich Menschen vermutete , anzuhalten und zu fragen . Zu diesem Zwecke mietete ich ein Schiffchen und einen Fährmann , der es lenken konnte . Ich besorgte Lebensmittel , wenn wir etwa länger an unwirtbaren Stellen verweilen sollten , barg meine Sachen in meinem Zimmer im Gasthofe , und beschloß , so bald als möglich meine Fahrt zu beginnen . Dies geschah schon am nächsten Morgen , da sich mein Fährmann sehr früh eingestellt hatte . Wir begaben uns auf unsere sonderbare Reise , und wurden durch das herrlichste Wetter und manch anderes seltsame Ding belohnt . Was in mir von früheren Zeiten träumerisch war , war ganz geeignet , geweckt zu werden für Freunde landschaftlicher Natur und Entwicklung ist eine solche langsame , von häufigem Anhalten unterbrochene Fahrt an den Ufern bei weitem vorzüglicher als eine längs der Mitte des Sees , wo alles , was schön ist , nur in allgemeinen Bildern unentfaltet vorüber rückt . Wir fuhren stets an den Gestaden . Bald war es ein großer , unermeßlich scheinender Fels , den wir umschifften , und der wie ein Stück Alpe in das seichte Fahrwasser des Sees geworfen schien . An seinem Körper spielten die grauen Lichter und die violetten Schatten , und an seinem Fuße plauderten oder flüsterten die Wellchen , die unbemerkt und unablässig an seinem Korne wuschen . – Ein ander Mal war es wieder eine blendende Sandbank , die gegen das Dunkelblau des Wassers hinaus ging . Hinter ihr klomm das reine Grün empor , das wieder oben in Felsen überging , die dann blaulich in die noch blauere , fast funkelnde Luft hinein dämmerten . Oft stach eine solche Zunge gleichlaufend mit dem Ufer weit in den See hinaus , und jenseits derselben lag das ruhigste dunkelblaueste Wasser wie ein geborgenes Band an dem Gürtel des Gestades dahin . Wenn wir dann in die Langbucht einfuhren , so entwickelte sich eine Hütte , ein Häuschen , ein Landsitz , wo wir früher nur einen mattgrauen oder schwachweißen Punkt gesehen hatten . – Oft wurde das breite Wasser des Sees ganz schwarzblau , unendlich dunkler als die Luft , und längs des fernen Saumes glänzte , wie eine lichte Kalkwand , das Zieratenwerk der Felsen und warf sein Gitter zauberhaft in die Fläche des schwarzen Spiegels . – Wenn wir manchmal eine Wand sahen und meinten , sie sei weithin die glatteste , ritzenloseste Mauer , so tat sie sich , wenn wir an ihr entlang fuhren , auf einmal auf , und trug in ihrer Faltung eine niedersteigende , von dichtem Buschwerke bewucherte Furche , in der das klareste , glasdurchsichtigste Alpenwasser nieder strömte . Und wenn wir dann um die Sandhügel , die sich heraus schoben , herum fuhren und in die Bucht einlenkten , die sich darstellte , so sahen wir , daß der Schauplatz sehr groß sei und an seinem Rande statt des grünen Wucherwerkes , welches wir erblickt hatten , riesengroße , schöne Bäume trug und in mancher Ecke noch ein aus rohen Steinen oder Stämmen zusammengefügtes Fischerhäuschen barg . Mein Begleiter plauderte fast unablässig fort . Ich lernte sein seltsames Italienisch bald verstehen und antwortete ihm darin , worüber er große Freude hatte . Er nannte mir alle Stellen , von denen er die Namen wußte , erzählte mir Geschichten , die oft sehr abenteuerlich und unglaublich waren , und zeigte , wie fast alle Südländer gewohnt sind , das lebhafteste Entzücken über sein schönes Land . Das erste Mal aßen wir zu Mittag auf unserem Schiffchen , das wir ruhig stehen ließen , und über dessen Borde wir ein Brett als Tisch legten , auf dem wir unsere Sachen ausbreiteten . Er tat mir aus meiner Flasche Bescheid und wurde noch gesprächiger und lustiger als vorher . Da ich ihm den Zweck unserer Fahrt geoffenbart hatte , wurde er von dem Seltsamen des Dinges ergriffen , und so oft wir landeten , frug er in die Leute , die uns vorkamen , hinein , als müsse er ihnen den alten Mann um jeden Preis und mit Gewalt entreißen ; und das Märchenhafte , daß ich nichts als den Namen Rikar wußte , ergötzte ihn so , daß er nach jedem Punkte am Ufer spähte und oft ausrief : » Dort liegt ein Haus , dort liegt eine Hütte , dort liegt ein Stein . « Die Nacht brachten wir in einer einzeln gelegenen Herberge zu , die mit ihren schimmernden Mauern , gleichsam wie eine weiße Tafel , an die Felsen geklebt schien und von einem ganz verwickelten Geländer des grünsten Weinlaubes umgeben war . Am andern Tage fuhren wir sehr früh ab , und sahen Riva , von dem wir gestern ausgegangen waren , wie kleine Papierstreifchen auf dem Wasser schwimmen . Wir hatten alle unsere Vorbereitungen für den Gebrauch des Tages und für unser Mittagmahl wieder in das Schiffchen getan , und fuhren das blaue , schwellende Wasser dahin . An all den zahlreichen Stellen , an denen wir bisher gefragt hatten , hatten wir keine Antwort erhalten . Gespeist wurde wieder auf dem See . Am Nachmittage gelangten wir in eine ödere Gegend des Wassers . Das Land stieg sanfter , aber auch unfruchtbarer gegen den Spiegel herab . Wo der See seichter gegen die Ufer auslief , lagen viele große Steine in der Gestalt von Knollen und Platten in ihm . Am Gestade stand ein graues Haus , und über ihm am Rande der Landschaft waren , wie überall , die Felsen . Wir fragten in dem Hause , ohne eine Auskunft zu erhalten . Vielleicht , sagte man , wüßten die Fischer etwas , die weiter unten am Strande seien . Da wir ein Weilchen gefahren waren , kamen uns die besagten Fischer zu Gesichte . Mehrere Männer standen mit hochaufgeschürzten Beinkleidern in dem seichten Wasser und wuschen Schmutz und schwarzes Gras aus den Netzen , die sie stückweise aus den Fahrzeugen wickelten . Wir lenkten den Schiffsschnabel gegen sie und fragten um Franz Rikar . Aber sie sahen uns sprachlos an , als ob sie sich auf eine Antwort besännen . Als ich , wie gewöhnlich , eine kleine Beschreibung von dem Manne gab , rief seitwärts eine feine , knabenhafte Stimme : » Da kann ich vielleicht eine Antwort erteilen . « Wir sahen dahin , woher die Stimme gekommen war , und sahen einen Knaben auf einem der aus dem Wasser hervorragenden Steine stehen . Er gehörte nicht zu den Fischern , sondern hatte ihnen nur zugeschaut . Um das sehr schöne , aber sehr braune Angesichtchen mit den großen italienischen Augen waren äußerst verwirrte und verwilderte Haare , der Hals und die Oberbrust waren nackt , dann hatte er ein rauhes Ziegenfell um die Schultern , zu einer Art Überkleid geheftet , aus dem die nackten Arme hervor ragten , deren einer einen oben gekrümmten , unten mit der Spitze in das Wasser gestemmten Stab hielt . Die Beinkleider endeten mit zerrissenen Fetzen gleich unter dem Knie , von wo die nackten braunen Füße bis zum grauen Steine nieder gingen . An einer Schnur hatte er eine runde hölzerne Flasche umhängen . Die Erscheinung war wie ein kleiner Johannes in der Wüste . » Nun , wenn du Auskunft geben kannst , « redete ich , » so sprich ! « Wir wendeten während dem unser Schiffchen etwas näher gegen ihn . » Sagt , ist der Mann , den Ihr suchet , alt ? « fragte er mit seiner feinen , klaren Stimme . » So ziemlich alt « , antwortete ich . » Nein , er ist sehr alt « , sagte er ; – » und hat er immer , wie Ihr sprecht , ein blasses Angesicht und ein schwarzes Kleid ? « » Ja « , erwiderte ich . » Dann ist er es schon , « sagte der Knabe , » der ist es , der so wunderbar geigt und auf den Anhöhen wohnt . « » Er geigt ? « fragte ich . » Ihr könnt Euch nicht vorstellen , wie herzergreifend er geigt « , erwiderte der Knabe . Das ist ja nicht möglich , « sagte ich , » hast du ihn geigen gesehen ? « » Ich bin nicht bei ihm gestanden , da er geigte , « antwortete der Knabe , » aber ich habe ihn oft in der Ferne gehört . So geht er « . Bei diesen Worten beugte sich der Knabe mit dem Oberleibe vor und fing an , auf seinem Steine hin und her zu gehen . Ich erkannte augenblicklich in dieser Nachahmung den Gang meines Reisefreundes . Ich hatte ihn oft so gesehen , ohne es mir besonders klar zu machen ; der Knabe hatte es jetzt genau dargestellt . » Ja , ja , der ist es schon , « rief ich , » der ist es schon . Ist er wohl sehr abgetragen und zerrissen ? « Der Knabe blickte mich stumm an , so daß ich sah , daß die Vorstellung von ganz oder zerrissen nicht in seinem Haupte sei . » Nein , « sagte er endlich , » ich glaube nicht , daß sein Gewand zerrissen sei . « » Nun , so weise uns nur an , wie wir zu ihm kommen « , sagte ich . » Da müßt Ihr noch um das Höllwasser fahren , « antwortete er , » seht , wo dort die Steine liegen . Ich werde auch hinüber gehen , und wenn wir drüben sind , werde ich Euch schon hinauf weisen . « Er zeigte hiebei dem Ufer entlang in der Richtung , in der wir zu fahren hatten . Es lag da ein großes Geröllwerk , wie es gerne entsteht , wo Gießwasser in den See gehen , Sand und Steine mitschleppen und diese Dinge wie einen Wall an der Mündung liegen lassen , der von ferne wie ein blendendes Dreieck aussieht . Während der Knabe auf diese Steine zeigte , beschrieb er zugleich mit seinem Arme sehr lebhaft einen Bogen , um anzudeuten , daß wir sie umfahren sollten . Wir begannen die Fahrt , und zu gleicher Zeit hüpfte er am Ufer auf den Steinen neben uns her . Wir bemerkten dabei , daß der lange Stab , den er in der Hand hielt , eine starke eiserne Spitze habe , und daß er sich mit Hilfe desselben von Stein auf Stein schwang . Er tat dies sehr behende und sicher , daß wir sahen , daß das Ding oft in einsamen Stunden seine Lieblingsunterhaltung gewesen sein mochte . Weil der Sandhügel ziemlich hoch und lang war , mußten wir zu seiner Umschiffung bedeutend weit in den See hinaus fahren und sahen den Knaben nun von ferne und ganz klein , wie ein graues Hüpfmännchen , in den grauen Steinen sich bewegen . Als wir die Mündung umschifft hatten , stand er schon auf dem Rasen und wartete auf uns . Zugleich sahen wir mehrere Ziegen auf dem Grasgrunde , die zwischen den Steinen und dem wenigen Gestrippe kletterten , und zu denen er gehören mochte . Da wir nahe genug waren , sagte er : » Da müßt Ihr nun hinauf steigen , bis Ihr in den Felsen , seht dort oben , in die Furche kommt , welche die Tiefspalte heißt – Ihr könnt da wo immer empor steigen ; denn alle Ziegenpfade des Grases führen in die Tiefspalte hinauf . In derselben müßt Ihr fort gehen , bis Ihr zu dem Häuschen des alten Hieronymus kommt . Es steht nur ganz allein in der Spalte . Da fragt wieder an , und der alte Hieronymus wird Euch ganz gewiß zu dem Manne leiten , den Ihr sucht . « Da ich ihn fragte , ob er mich nicht selber durch die Schlucht , die er die Tiefspalte hieß , hinauf führen und mir manches von dem Manne , den ich suche , erzählen könnte , antwortete er : » Ich kann Euch ja nicht hinauf führen , weil da die Ziegen sind , und von dem Mann kann ich nichts sagen , als daß er es schon ist , den Ihr suchet . « Da nun die Sonne noch sehr hoch stand und ein bedeutender Rest des Tages übrig war , so beschloß ich , nach der Weisung des Knaben das Abenteuer zu wagen , um entweder meinen Mann selber zu finden , oder doch etwas Näheres von ihm zu erfahren . Deshalb wendete ich mich zu meinem Fährmanne und sagte : » Gerardo , die Flaschen , die da in dem Korbe stecken , sind Weinflaschen . Jede , wie du siehst , hat auf dem Halse ein Petschaft , welches auf dem Korke so angedrückt ist , daß man ihn nicht heraus nehmen kann , ohne die Buchstaben und die Zierden um dieselben zu verletzen . Wenn du es daher doch tätest , um ein wenig Wein zu trinken und Wasser nachzufüllen , würde ich es erkennen . Hier hast du eine Flasche , die darfst du trinken , die übrigen mußt du unberührt lassen ; denn sonst würdest du betrunken werden und müßtest mir den teuren Wein bezahlen . Nun merke auf , was ich dir sage . Ich werde jetzt da hinauf steigen , um in den Bergen nach unserem Manne zu fragen . Du mußt hier in dem Schiffe warten , bis ich entweder selber komme oder dir einen Boten mit der Nachricht schicke , was du tun sollst . Wenn bis zu dem Abende weder ich selbst komme noch ein Bote erscheint , so fahre in das graue Fischerhaus zurück , oder sonst irgend wohin , und bleibe dort über Nacht . Am Morgen aber mußt du wieder auf diesem Platze sein und auf mich warten . Habe auf die Sachen Acht ; ich will dir eine meiner Pistolen nebst Pulver und Blei zurück lassen , wenn du mit diesen Dingen umgehen kannst ; verpuffe aber nicht etwa aus Kurzweile und Lustigkeit die Sachen auf dem See da und locke dir die müßigen Leute auf den Hals . Habe auf alles Sorge , was ich sage , und sei klug . « » Ja , ja , Signore , ich werde klug sein « , sagte der freundliche Bursche ; » aber die Pistole brauche ich nicht , ich kenne die Ufer ohnehin recht gut . Ich werde auf Euch hier warten , und wenn Ihr bis abends nicht kommt , und wenn auch keine Nachricht kommt , werde ich nicht ins Fischerhaus fahren , weil es mir nicht gefällt , sondern ich werde ein wenig in den See hinaus rudern , werde dort den Schiffspfahl in den Boden schlagen und das Schiff daran binden . Dann werde ich mich auf die Rohrmatten legen und schlafen . Ich habe zwei wollene Decken mit , die sind gut . Es wird eine warme Nacht kommen und kein Wind sein , wie alle Tage her . « » Gut , « sagte ich , » mache es , wie du willst . « Ich nahm nun meine Ledertasche vom Schiffsboden auf und hing sie um . Ich nahm mein Fernrohr , nahm die Pistolen , nahm eine Flasche Wein und etwas kalten Braten , steckte alles in meine Ledertasche und stieg zu dem Knaben am Ufer aus , der mich mit einem wirklich außerordentlich schönen , aber auch außerordentlich verwilderten Angesichte und mit verständigen Augen ansah . Ich gab ihm ein Geschenk , das er mit freundlichem Lächeln annahm . » Lebt wohl , Signore « , rief mir mein Fährmann noch nach . » Leb wohl , Gerardo , « antwortete ich , » sei folgsam und obsichtig . « Und nun begann ich auf dem kurzen und ziemlich unfruchtbaren Grase empor zu steigen , während meine zwei Gesellschafter , wie ich hinter mir hörte , ein Gespräch mit einander begannen . Das Höllwasser mußte zu Zeiten seinen Namen recht wohl verdienen , da ein solcher Greuel von Schutt und von Steinen neben mir lag , obwohl es jetzt so schwach und ohnmächtig wie ein Kind in diesen Dingen dahin fädelte , jeden Stein umgehen und in dem feinen Sande sich sein dünnes Rinnsal graben mußte . Als ich eine Weile gestiegen war und mir in der großen Hitze , die im Gebirge herrschte , der Schweiß kam , blieb ich stehen und wendete mich um , um auf die zwei einzigen Wesen , welche ich in dieser Gegend verlassen hatte , zurück zu schauen . Ich nahm mein Fernrohr heraus und richtete es , um sie besser betrachten zu können . Ich fand sie mit dem Rohre auch sehr bald . Gerardo lag bereits über die Sachen des Schiffes längelang ausgestreckt , das Antlitz nach aufwärts gekehrt , die Arme oberhalb des Hauptes geschlagen , die rote Mütze über die Augen gezogen , und von der warmen südlichen Nachmittagssonne beschienen . Er genoß auf diese Art fröhlich der süßen Ruhe , die den Menschen seines Standes und Landes nächst der Nahrung des Leibes , oder noch vielleicht vor derselben , das Höchste ist . Den Hirtenknaben fand ich auch , wie er gleichfalls auf der Erde zwischen den grauen Steinen lag und sich wärmte . Außer diesen zwei Menschen und den wenigen Ziegen war in der ganzen Gegend nichts Lebendiges zu schauen . Die Umgebung stimmte gerade so feierlich und lächelnd , wie sie immer im Süden ist , dazu . Ich ließ mein Rohr abwechselnd von dem einen , der auf dem blendenden Schiffholze lag , zu dem andern , der in die einförmigen Steine gelegt war , hin und her gehen . Von ihnen weg dehnte sich die tief dunkelblaue Flut des Sees hinaus , die nur zeitweise eine weiße feurige Furche warf , oben stand der ebenfalls tiefdunkle Himmel , der zu dem Bilde gehörte , und an dem Rande woben die violetten , duftigen Berge . Da ich eine Zeit gestanden war und mich erholt hatte , wendete ich mich wieder um und verfolgte meinen Weg wieder weiter . Ich kam nach und nach in die Schlucht , welche der Knabe angedeutet hatte . Es begannen aus dem Rasen sich Steine zu heben , die mich in den natürlichen Zwischenraum , den sie zwischen sich ließen , hinein lockten . Bald ging ich auf einem Pfade , zu dessen beiden Seiten hohe Felswände waren , aufwärts . Der Pfad hob sich dann selber an der rechtseitigen der Wände und hatte links unter sich einen tiefen Grund , in welchem die Furche eines Gießwassers lief . Die Furche aber war nicht zu sehen , da die ganze Spalte , wie überall an den Ufern dieses Sees , mit dichtem Gebüsche und mit schlanken , wuchernden Bäumen bedeckt war . Unter dem Geheimnisse dieser grünen Decke hörte ich das Wasser , das jetzt sehr schwach war , fließen , ich hörte bald das Rascheln kleiner Abstürze , bald das Rieseln größerer Wasserfälle , während rechts von den Felsenmauern der brennende Sonnenstrahl auf mich fiel . So ging ich weiter . In kurzer Zeit erblickte ich das Häuschen , von dem der Knabe gesprochen hatte . Es war schneeweiß , stand sehr nahe an dem Felsen und schien von weitem so flach zu sein , als wäre es mit dem Weinlaubgeländer , das hier überall um die Häuser läuft , an die Steine angebunden . Da ich hinzu gekommen war , klopfte ich an die Tür , worauf eine Magd erschien und mich um mein Begehren fragte . Ich sagte , daß ich einen Mann mit Namen Hieronymus suche . » Mein Herr heißt eigentlich Hieronymus Rüdheim , « antwortete sie , » aber die Leute , denen er schon vierzig Jahre Gutes tut , und die ihn betrügen , nennen ihn nur schlechtweg und undankbar den alten Hieronymus . Wartet ein wenig , ich werde es ihm gleich sagen . « Sie ging hinein und schloß vor mir wieder die Tür . Nach kurzem öffnete sich dieselbe abermals , und ein alter Mann trat heraus , der den ganzen dichten Tirolerbart in blendend weißer Farbe trug . Er hatte einen schwarzen Rock an , der eine Tirolerjacke gewesen wäre , wenn ihn nicht seine Länge und Weite fast zu einer Kutte gemacht hätte . An der Brust blickten die breiten grünen Hosenträger hervor . Das dunkle Beinkleid reichte bis an die Knie , dort waren silberne Schnallen , dann kamen grüne Strümpfe und schwarze Bundschuhe . » Was willst du denn ? « fragte er mich , indem er unter der Tür stehen blieb . Unten am See hat man mir gesagt , « antwortete ich , » daß Ihr mir über einen Mann namens Franz Rikar Auskunft zu erteilen im Stande seid . « » Gehe herein , ich werde dir etwas zu essen und zu trinken geben « , sagte er . » Hinein gehen will ich wohl , « antwortete ich , » da es hier vor dem Hause so heiß ist , trinken will ich auch , wenn Ihr mir etwas gebt , aber essen kann ich nichts , da es von meinem Mittagmahle noch gar kurz her ist . « » Nun , so gehe nur herein « , sagte er . Ich trat , da er jetzt von der Tür zurück wich , in eine Art Vorhalle ein , die stark gewölbt und sehr angenehm kühl war . Um einen eichenen Tisch , der in einer Ecke stand , liefen Bänke herum , auf deren eine ich mich nieder ließ . Er setzte sich mir gegenüber . » Marianne , « rief er , » bringe Wein , Brod und sehr frisches Wasser . « Die Magd , welche sich im Hintergrunde der Halle beschäftigt hatte , entfernte sich , und brachte bald auf einem blanken Untersatze die geforderten Dinge . » So , greife nun zu und stärke dich « , sagte er . Ich schenkte mir Wein und Wasser ein , da ich in der Tat durstig war , trank und nahm dann ein Schnittchen von dem weißen , schönen Brode . » Du willst also über Franz Rikar Auskunft haben ? « sagte er . » Nicht sowohl Auskunft , « antwortete ich , » als vielmehr den Weg zu seiner Wohnung wünschte ich zu erfahren . Wir waren einmal Reisegenossen , dann waren wir ein ander Mal sehr lange Zeit Zimmernachbarn , und versprachen , da wir schieden , daß wir uns , wenn einer in die Nähe des andern käme , besuchen wollten . Da ich nun zufällig durch diese Gegend reise und in Erfahrung gebracht habe , daß er hier herum irgend wo wohne , so möchte ich mein Wort lösen und ihn besuchen . « Du bist wahrscheinlich sein Freund von Wien her « , sagte der alte Mann . » Ja , so ist es « , antwortete ich . » Ich kann dir schon den Weg zu ihm zeigen , « sagte er , » und werde ihn dir zeigen ; aber sage , wer hat dir denn Anweisung gegeben , daß du mich um Franz Rikar fragen sollst ? « Ich beschrieb ihm den Hirtenknaben und sagte , daß mich derselbe in die Schlucht zu ihm herauf gewiesen habe . » Der Knabe Giuseppe hat schon recht , « sagte er , » ich kenne den Franz Rikar sehr gut und will ihm wohl . Er wird eine große Freude haben , dich zu sehen . Trinke deinen Wein aus , iß noch ein Stückchen von dem Brode , dann werde ich dir den Weg zu ihm zeigen . « » Ich habe keinen Hunger , « antwortete ich , » und den Durst habe ich mir auch schon gelöscht . Wenn ich aber hier einen Boten haben könnte , der zu dem See hinunter ginge , wäre es mir lieb ; denn ich habe einen Fährmann unten gelassen , dem ich gerne eine nähere Botschaft schicken möchte , vorausgesetzt , daß es zu Franz Rikar so weit ist , daß ich heute von ihm nicht mehr zu dem See zurück kommen kann . « » Es ist so weit , « erwiderte er , » daß du von hier aus wohl bis Sonnenuntergang brauchen wirst , um zu ihm zu gelangen . Ich kann dir keinen Boten geben ; denn dies Haus ist das einzige in der ganzen Gegend , und ich bin ganz allein mit der Magd auf der Sommerkühle heroben . Wenn mein Hausmeier oder sonst jemand von meinen Leuten zugegen wäre , würde ich ihn dir zu Rikar mit geben oder zu dem See hinab schicken , wie du wolltest . So aber kann ich es nicht . Wenn du daher mit deinem Fährmanne nichts Bestimmtes verabredet hast , so steige wieder zu ihm hinunter und schiebe den Gang zu Rikar auf morgen auf . « » Ich habe eben so viel mit ihm verabredet , « antwortete ich , » daß es nichts macht , wenn ich heute nicht mehr zu dem See hinunter komme ; ich hätte ihm nur gerne eine ganz genaue Nachricht übersendet . « » Nun das kannst du halten , wie du es für gut findest « , sagte er . Während dieses Gespräches hatte ich mir , um seinen Willen zu tun , noch ein bißchen Wein eingeschenkt , ihn getrunken und ein Stückchen Brod dazu gebrochen . Nun aber drückte ich meinen Wunsch aus , aufzubrechen , um mein Ziel zu erreichen , und bat ihn , mir den Weg , wie er versprochen habe , zu zeigen . » Da mußt du mit mir auf die Gasse heraus gehen , « sagte er , » trinke noch einmal auf glückliche Wanderung , und schlage genau den Weg ein , welchen ich dir erklären werde . Grüße mir Rikar und sage ihm , daß ich dir den Weg zu ihm gezeigt habe . « Ich nahm meinen Hut von der Bank auf , er stieß mit mir auf glückliche Reise an , und wir gingen dann auf die Gasse hinaus . » Du hast eigentlich « , sagte er , » den längsten und unbequemsten Weg eingeschlagen , der von dem See zu Rikar hinauf führt ; aber da du einmal da bist , mußt du schon auf ihm fort gehen . Schreite von hier gar durch die Schlucht empor . Sie wäre oben geschlossen , daß man gar nicht hinaus könnte , aber ich habe der Aussicht wegen Stufen in die Steinwulst schlagen lassen , die quer über sie liegt , und diese Stufen steige hinan . Wenn du oben bist , schaue nach der Gegend , nach welcher die Sonne geht . In diese Gegend gehe du auch . Zur Sicherheit der Richtung wirst du einen Berg sehen , der so aussieht , als ob er auf seinem Gipfel rote Steine hätte . Auf diesen Berg gehe zu . Wenn du ihn erreicht hast , lasse ihn zu deiner rechten Hand und gehe fort . Du wirst dort auch einen getretenen Pfad finden . Wenn du den Berg hinter dir hast , gelangst du auf eine Haide , auf welcher sehr viele graue Steine liegen . Dort ist wieder kein Pfad . Gehe aber durch die Steine immer der untergehenden Sonne nach . In einer Weile wirst du einen Stein sehen , der viel größer ist als alle andern ; du wirst ihn auch daran erkennen , daß er schwarz ist und auf seinem Gipfel eine verdorrte Fichte trägt . Er ist der einzige Stein in der Gegend , auf dem eine Fichte ist . Bei diesem Steine brich deinen Weg ab und gehe gerade nach der Richtung deines rechten Armes in das Tal hinein , das du sehen wirst . Du wirst da auch bald einen guten Weg finden , auf dem gehe fort , er führt dich um eine Felsenecke , und da wirst du grüne Bäume und weißes Mauerwerk sehen , da ist es , wo Franz Rikar wohnt . Während du aber auf der Bergebene fort gehst , mußt du auch noch eine andere Maßregel beobachten . Schaue öfters auf die Steinwulst zurück , durch die meine Schlucht geschlossen ist , du wirst sie sehr leicht erkennen ; denn sie sieht wie ein gehobener Bühel aus . Diesen merke dir . Die Steine auf dem Hochlande sehen einer dem andern gleich , und wenn du daher die Anzeichen , die ich dir gegeben habe , nicht finden solltest , und wenn dir daher der Weg zu Rikar verschlossen wäre , so kehre wieder zu dem Bühel zurück , steige die Stufen herab und bringe die Nacht bei mir zu . Morgen kann ich dir einen Wegweiser mit geben . So – jetzt lebe wohl , schreite rüstig deines Weges und habe auf das Acht , was ich dir gesagt habe . « » Lebt wohl , « erwiderte ich , » und habt Dank für die Erquickung , die Ihr mir gereicht , und für die Erklärung , die Ihr mir gegeben habt . « Ich reichte ihm die Hand , indem er die Worte sagte : » Mit Gott , mit Gott . « Ich stieg die paar Stufen , die von seinem Hause zu dem Pfade hinab führten , hinunter , und er schaute mir nach . Als ich dann eine kleine Strecke in der Schlacht weiter hinaufgegangen war und umschaute , stand er nicht mehr auf der Gasse , sie war leer , und die dunkelbraun angestrichene Tür war zu . Ich dachte , während ich so fort ging , ich hätte wohl um Näheres über Franz Rikar fragen können , ich hätte dem wohlwollenden alten Manne meinen Plan entdecken können , er würde mir gewiß mit den besten Mitteln an die Hand gegangen sein , wie ich ihn ausführen könnte . Allein anderseits war das Gefühl von Scheu , welches mich jedes Mal zurück hielt , wenn ich den Mund öffnen wollte , auch natürlich , und ich konnte ja zuerst bei Rikar selber sehen , wie die Sachen ständen , und konnte dann um so sicherer den Weg ermitteln , der betreten werden mußte . Mit solchen Gedanken ging ich den Rest der Schlucht empor . Sie wurde enger und ungangbarer , aber auch seichter und unfruchtbarer . Ich sah von ihrem oberen Teile ihre ganze Länge hinab . Sie lag wie ein grünes Sammetbändchen zum See hinunter . – Endlich kam ich auch zu den Stufen , von welchen der alte Mann gesprochen hatte . Es wäre wirklich unmöglich gewesen , über den Steindamm , der sich quer über die Schlucht streckte , hinaus zu kommen ; allein die Stufen , die schief und in einer künstlichen Wendung über ihn gehauen waren , machten die Sache leicht . Ich stieg über sie hinaus und stand bald auf der obersten Höhe des Bühels . Hier war es ganz anders als unten . Die Fruchtbarkeit hatte ganz und gar und völlig aufgehört . Der Grund war mit dem grüngrauen Filze bedeckt , den ich oft auf Steinen angetroffen hatte , nur war er hier noch viel schaler und schwächer als irgend wo . Aber die Aussicht , von welcher der Greis nur im allgemeinen geredet hatte , war außerordentlich schön . Sie ging größtenteils nur in die Gegend , gegen welche ich wandern sollte . War ich schon unten am See von den mannigfaltigen , seltsamen Dingen , die ich angetroffen hatte , ergriffen , so war ich hier vollständig hingerissen und , ich kann sagen , in der Tiefe meiner Seele entzückt . Die Maler haben eigentlich diese Dinge noch nicht gemalt ; denn da war kein Baum , kein Gesträuchlein , kein Haus , keine Hütte , keine Wiese , kein Feld , sondern nur das sehr dürftige Gras und die Felsen gewiß wenige Künstler hätten das für die Aufgabe eines Meisters gehalten , wenn sie nicht früher die Erfahrung gemacht hätten , wie so unaussprechlich die düstere Schönheit solcher Öden auf die Seele des Menschen zu wirken vermag . In allen Stufen des matten Grün , Grau und Blau lag das fabelhafte Ding hinaus ; schwermütig dämmernde , schwebende , webende Tafeln von Farben stellten sich hin , und die Felsen rissen mattschimmernde Lichtzuckungen hinein ; und wo das Land bloß lag und etwa nur Sand und Gerölle hatte , drangen Flächen fahlen Glanzes oder sanft gebrochene Farbtöne vor . Draußen über allem duftete ruhig und schwach rötlich ein Berg , der die roten Steine enthalten mochte , von denen der Greis gesprochen hatte . Von ihm gingen zwei langgestreckte , feurige Wolkenbänke weg , die von der bereits zum Untergange neigenden Sonne angezündet waren und das schwache , trübe Grün des südlichen Himmels neben sich hatten , das so sanft glänzte und oben in ein flammendes Blau überlief . Alles das hätte schon genügt zu der Größe des Bildes ; aber weit links von mir lag noch zwischen den Felsen ein grauer , sanfter Strich durch den Himmel , der die Ebene der Lombardie war . Gewohnt an die lieblichen Höhen meines Vaterlandes , wo Obstbaum an Obstbaum steht , Wäldchen sich mit Wäldchen ablöset , grüne Wiesen dazwischen ansteigen und das Gold der Weizenfelder leuchtet , wo kein Plätzchen unbenützt ist , ohne daß ein Kräutlein oder Baum steht , wo Quellen und Bäche in Menge rieseln , manche klare Flüsse und Ströme ziehen und weit draußen das sanfte Blau der Gebirge geht , hatte ich keinen andern Begriff von Schönheit der Landschaft , als daß sie so sein müsse – ja in einem schönen Lande lebend , achtete ich nicht einmal sonderlich auf derlei Reize ; aber hier stand ich in einer Öde , wo alles fehlte , wo gar keine Mittel waren , etwas darzustellen , und wo sich doch eine so ruhige Schönheit zeigte , als legte die Natur ein einfach erhabenes Heldengedicht vor mich hin . Ich war gleichsam gebeugt , und die Lautlosigkeit um mich rückte erst alles recht in die Weite und Breite , daß ich mich verlor . Ich ging endlich von diesem Platze auf die Ebenen von Gras- und Steinboden , die sich vor mir erstreckten , hinaus . Ich ging der nach Untergang strebenden Sonne nach . Vorher hatte ich noch einen Blick zurück getan , ob ich meinen See sehen könnte . Wie eine blaue Sichel lag ein Stück von ihm zwischen roten Bergen , und da hier die Aussicht beschränkter war , verschwand dasselbe beim ersten Schritte , den ich noch vorwärts tat . Ich beschloß nun , recht tüchtig darauf los zu gehen , um bei Zeiten an meinem Ziele anzulangen . Ich ging ohne Pfad auf dem festen , prallen Grasboden fort . Das sah ich sehr bald , daß der Greis mit seiner Warnung recht hatte , die besagte , daß ich öfters auf den Bühel zurück schauen und ihn mir merken solle ; denn wie sehr sich die Felsen auf dieser Berghalde , auf der ich offenbar fort ging , glichen , kann nur der ermessen , der schon in solchen Gegenden gegangen ist . Wenn man daher die Richtung verliert und kein Merkmal hat , an dem man sie wieder gewinnen kann , so könnte man in jeder beliebigen falschen gehen , ohne es zu wissen . Allein das Merkmal , welches mir der Greis angegeben hatte , war sehr deutlich zu erkennen , denn der Bühel unterschied sich durch seine eigentümliche wulstige und getriebene Gestalt von allen Höhen , die ich sah . So bin ich denn neugierig , dachte ich , wie ich in diesen wilden Gegenden , durch die ich gehe , den einfachen , harmlosen Mann finden werde , auf dessen Werbung ich aus bin . Die Felsen zogen sich neben mir zurück und hatten bald lichtgoldne Stellen , bald blauliche Schatten . Den Dunststreifen der südlichen Ebene hatte ich bald in kleinen Stückchen zwischen Felskuppen , bald war er ganz verschwunden . Er wurde durch den feurigen Ball der Sonne , der über ihm schwebte , nur noch dunstiger , flimmeriger und leuchtender . Ich hatte ein paar Male den lächerlichen Einfall , eine Pistole los zu drücken , um die Wirkung unter dieser Steinbevölkerung zu beobachten ; aber ich tat es doch wieder nicht , weil ich eines Teils wirklich nicht mehr kindisch genug zu dieser Handlung war , und weil mich andererseits das Gefühl zurück hielt , diese einsame Ruhe , die überall und allüberall herrschte , zu stören . Den roten Berg meines Wegerklärers hatte ich unausgesetzt vor mir , und das Eisengestein , welchem er seine Farbe verdankte , wurde von einer Zeit zur andern immer deutlicher , so daß es endlich beinahe greifbar bei mir war . Als ich wieder einmal etwas lange auf meinen Bühel zurück schaute , den mir der Greis Hieronymus als Rückmerkmal angegeben hatte , und dann mich zum Weitergehen wieder umwendete , sah ich die Sonne in einer zackigen Felsenmauer im fernen Westen untergehen , gleichsam in die Zacken zerfallen ; aber diese Erscheinung war nicht geeignet , mir Unruhe oder Besorgnis einzuflößen ; denn ich erreichte so eben den roten Berg , ließ ihn an meiner rechten Hand und ging auf dem Pfade neben ihm fort . Auch konnte mein Ziel nicht mehr ganz ferne sein , da der Greis gesagt hatte , daß ich es bis Sonnenuntergang erreichen werde , und ich mir eben keine gar große Langsamkeit im Gehen vorwerfen konnte . Von dem Berge kam ich auf die kleine Haide hinaus , welche Hieronymus voraus gesagt hatte , und ging wieder auf festem Grasboden zwischen häufigem fast metalldichtem Gesteine dahin . Als ich eine Weile so gewandert war , stellte sich auch das letzte Merkmal , das mir angegeben worden war , dar , der schwarze Stein mit der verdorrten Fichte . Er war auf viele Schritte Entfernung kennbar , da er der einzige solcher Art in großer Umgebung war . Als ich zu ihm hinzu gekommen war , hatte ich einen seltsamen Anblick . Hoch im zartgoldenen Abendhimmel gerade über dem feinen Gerippe des dürren Baumes schwebte ein Adler , wie eine dunkle Fliege anzuschauen , und am Fuße des Steines in dem Schatten desselben , den er von dem Abendlichte warf , saß ein Mädchen . Ich konnte nicht erkennen , ob es schön sei , und wie es gekleidet sei , da die ganze hochgelbe Glut des Abends in mein Angesicht fiel und mich blendete ; aber so viel erkannte ich doch , daß die Kleider weiß waren , und daß die Gestalt noch der Jugend angehörte . Das Mädchen saß ganz einfach da , wie auf einem Spaziergange begriffen und hier ein wenig der Ruhe genießend . Daß es so unbekümmert da saß , bewies mir auch , daß ich schon sehr nahe an menschlichen Wohnungen sein müsse . Ich ging etwas näher und fragte , in welcher Richtung ich zu der Wohnung des Franz Rikar komme . Das Mädchen hob den Kopf ein wenig empor , um mich anzuschauen , dann sagte es in einer wunderschönen deutschen Sprache : » Wenn Sie zu Ihrer Rechten in die Talebene hinein gehen , so werden Sie bald Bäume und unter ihnen ein Haus sehen , in welchem Rikar wohnt . « Das war genau die Weisung , welche mir der Greis gegeben hatte . Ich dankte daher , und wendete mich rechts , wie sie sich ausgedrückt hatte , in die Talebene . Es war wirklich eine Talebene , gleichsam eine Niederung von der Haide aus in den Gebirgskörper hinein geschnitten . Auf der Erde hatten die Farben des Tages aufgehört , die Felsen waren unbestimmt , der Rasen wurde dunkler , und nur in der Luft schwamm das helle , flüssige Gold des Himmels über die Dinge dahin . Ich fand hier auch den Weg , welchen mir Hieronymus vorausgesagt hatte . Als ich ein Weilchen darauf gewandert war , bog ich um eine Felsecke und sah nun auch die Bäume . Ein Baum muß auf diesem Hochlande eine solche Seltenheit sein , daß ich nun recht wohl begriff , daß er als ein vorzugsweises Merkmal der Wegerklärung angeführt werde ; ich begriff es um so mehr , da die Bäume , welche sich mir eben darstellten , meinen Augen so unsäglich wohl taten . Sie waren sehr groß , mußten bedeutend alt sein und schienen in Kastanien , vielleicht mit Obstbäumen untermischt , zu bestehen . Auch das Mauerwerk sah ich , so viel es der Abend zuließ , zwischen den Bäumen hervor schimmern . Ich ging auf dem Wege fort und sah bald , daß das Tal sich nach innen erweitere und einen ziemlich offenen , freien Platz bilde . Nach einer Zeit kam ich zu einem Garten , an dessen Gittertore der Weg endete . Das Gitter stand offen , und ich ging in den Garten hinein . Ein breiter Weg führte in gerader Richtung auf das Haus zu . Wahrscheinlich , dachte ich , ist dieses das Haus , welches mir der Greis und das Mädchen als unter den Bäumen stehend und als Wohnort des Franz Rikar bezeichnet hatten – und ist es dasselbe nicht , so können mir wenigstens seine Bewohner angeben , wo ich Rikar finde . Ich ging also auf das Haus zu . Ich ging zwischen Kastanien , dann zwischen Obstbäumen und endlich zwischen Gemüsebeeten und Lattenobst hin . Als ich an das Ende des Weges gekommen und die einigen Stufen , die zu dem Hause empor führten , hinauf gestiegen war , befand ich mich an einem großen eisernen Gitter , hinter dem eine geräumige Halle war , wahrscheinlich der gemeinschaftliche Eingang des Hauses . Der Abend war ganz still , hinter dem Hause hörte ich das Rauschen eines Springbrunnens , und in der Halle zündete ein altes Mütterlein eine Hängelampe an . Die Fäden dieses Lichtes spannen sich in den Garten heraus , der durch sie auf einmal viel dunkler wurde . Die Züge des alten Mütterleins waren sehr schön , wie man sie oft auf italienischen Gemälden an Matronen antrifft , und in dieser Lage war das Mütterlein selber schier ein Gemälde , da es von oben herab recht schön beleuchtet wurde . Ich stand an dem Gitter , legte mein Angesicht zwischen die Stäbe und sah hinein . Als sie mit ihrem Geschäfte fertig war , erhob ich meine Stimme und sagte : » Verzeiht , daß ich Euch anrede ; ich bin ein Fremder , bin erst in der Abenddämmerung hier angekommen , der Weg hat mich an das Gitter geführt , und ich möchte gerne eine Frage tun . « Das Mütterlein wendete sich rasch von ihrem Schämel gegen mich und sagte : » So fragt nur . « Dieses Wort hatte sie in einem reinen Italienisch gesagt . » Ich suche einen Mann namens Franz Rikar , « antwortete ich hierauf , » welcher hier irgendwo wohnen soll . Wenn Ihr ihn kennt oder sonst etwas von ihm wisset , so könnt Ihr mir vielleicht Auskunft geben . « » Freilich kenne ich ihn , « sagte sie , » und Ihr dürft nicht mehr weit zu ihm gehen ; denn er wohnt hier . Bleibt nur eine Weile stehen , ich werde es ihm sagen , daß ihn jemand sucht , und wenn er Euch kennt , wird das Gitter aufgesperrt werden . « Nach diesen Worten ging die alte Frau fort und verschwand in dem Hintergrunde der Halle , war sie nun durch eine Tür hinein gegangen , oder über eine Treppe empor gestiegen . Obwohl sie italienisch gesprochen hatte , hatte sie meine deutschen Worte doch sehr gut verstanden . Ich blieb an dem Gitter und wartete . Nach einiger Zeit kam die Frau wieder zum Vorscheine , und hinter ihr ging ein Mann , der eine brennende Kerze trug . Ich erkannte ihn sogleich , es war mein alter Zimmernachbar aus dem Gasthofe zur Dreifaltigkeit in Wien . Ich fand ihn ganz den nämlichen , er hatte wieder schwarze Kleider , und der Frack sah aus , als wäre es derselbe , den er damals getragen hatte . Er ging über die Breite der Halle , das Licht vor sich her tragend . Als er zu mir gekommen war , hob er die Kerze in die Höhe und leuchtete mich an . » Gott grüße Euch , Herr , « sagte ich zu ihm , » Ihr seid es schon , den ich suche ; seht , ich habe Wort gehalten und bin bei meiner Reise zu Euch gekommen . « » Jawohl , Cornelia , « antwortete er , » den Mann kenne ich sehr gut , den kenne ich sehr gut , mache nur schnell auf . « Das Mütterlein öffnete und ließ mich hinein . » Seid mir vielmal gegrüßt , « sagte er zu mir , » seid mir vielmal gegrüßt ; es freut mich sehr , daß Ihr mich alten Mann nicht vergessen habt : und gar zu mir auf die Haide herauf gegangen seid . Ihr habt mir immer Liebes gezeigt , seid immer freundlich gewesen , und nun kommt Ihr gar in die Öde , mich zu besuchen . Seid mir vielmal , vielmal gegrüßt . « Mit diesen Worten hatte er mir die Hand gereicht , welche er frei hatte , und hatte die meinige sehr freundschaftlich gedrückt . » Seid mir ebenfalls auf das herzlichste gegrüßt , « sagte ich , » ich bin recht gerne zu Euch herauf gestiegen , und freue mich , Euch so wohl zu finden . « » Ich habe hier alles , was ich brauche , « sagte er , » aber ich bin auch so einfach , wie ich es kaum in meinem Stüblein in der Dreifaltigkeit war , wißt Ihr , dessen Fenster auf den Ziehbrunnen des Hauses hinab gegangen sind . Seid Ihr von Sankt Gustav herauf gestiegen ? « » Ist Sankt Gustav eine Ortschaft ? « fragte ich . Ja « , antwortete er . » Dann bin ich nicht von dort herauf gekommen , « sagte ich , » ich bin von dem See herauf gekommen und bin durch eine Schlucht gestiegen , in welcher das Häuschen eines Mannes namens Hieronymus Rüdheim steht . Er hat mir den Weg zu Euch erklärt und hat gesagt , daß ich Euch von ihm recht schön grüßen solle . « » Ich danke , ich danke , das ist ein treuer Freund « , antwortete er . » Also von dem See seid Ihr herauf gekommen , das ist ein sehr langer und wilder Weg . Aber wie habt Ihr mich denn ausgeforscht , daß ich hier bin ? « » Ich habe in Meran nach Euch gefragt , « sagte ich , » und man hat mich an den Gardasee gewiesen . Dort habe ich wieder geforscht und habe Euch so gefunden . « Ich wollte ihm die näheren Umstände meines Forschens am See nicht genauer angeben . Während dieser Worte waren wir teils in der Halle gestanden , teils waren wir langsam über dieselbe gegangen . Jetzt befanden wir uns am Fuße einer Treppe . Das alte Mütterlein hatte sich gleich , nachdem es das Gitter geöffnet und geschlossen hatte , entfernt . » Steigt nun herauf in meine Stube , « sagte er , » und sitzt wieder ein wenig bei mir , wie einstmals . Steigt nur herauf . « Mit diesen Worten begannen wir die Treppe empor zu steigen . Er ging voraus , hielt aber das Licht immer seitwärts , daß ich alle Stufen deutlich sehen konnte . Derlei Höflichkeiten hatte er immer gehabt . Als wir das erste Stockwerk erreicht hatten , kamen wir in einen Gang . Wir gingen in demselben eine Strecke fort . Hierauf öffnete er eine Tür und hieß mich eintreten . Ich tat es , und befand mich in einer Stube , die für einen einzelnen Menschen eingerichtet war . Auf dem Tische stand eine Lampe , und er stellte die Kerze dazu . » Wir werden hier den Abend zubringen wenn es Euch gefällig ist , « sagte er , » und wenn die Schlafenszeit kömmt , werde ich Euch schon in ein Zimmer führen , in welchem Ihr ruhen könnt . Legt die Ledertasche ab , die Ihr an einem Riemen umhängen habt , legt den Hut ab und setzt Euch hier in diese guten Kissen nieder . « Ich war nicht unbedeutend müde , namentlich hatte mich das unbequeme Gehen in den Steinen angegriffen , und ich folgte daher seiner Einladung gerne . » Ihr müßt verzeihen , « sagte er nach einem Weilchen , » daß ich Euch eine kleine Zeit allein lasse . Ich muß einige Anstalten machen , dann werde ich gleich wieder kommen . « Mit diesen Worten verließ er mich und ging zur Tür hinaus . Als ich allein war , benützte ich die Zeit , mich ein wenig umzuschauen , wie es hier aussähe . Der Mann selber war nicht gar abgetragen ; freilich war sein schwarzer Anzug nicht neu und vornehm , aber das war ich an ihm gewohnt , da er ihn beständig trug . Die Dinge , welche ihn in diesem Zimmer umgaben , waren ebenfalls nicht ärmlich . Über den Tisch , der die Lampe trug , war ein feiner Teppich gebreitet , der erst kürzlich gestickt worden sein mußte ; unter dem Tische stand ein weicher , gefütterter Fußschemel , der ebenfalls Stickerei zeigte ; die Sitzgeräte waren mit grünem Leder und , wie ich an meinem Sofa empfand , sehr gut gepolstert ; alles übrige war sehr anständig ; und auf dem Schreibtische standen sogar einige Ziergegenstände , die unter die aufgeschlagenen Bücher und umherliegenden Schriften gemischt waren . In Folge dieser Beobachtungen beschloß ich , den Abend bei ihm ohne irgendeiner weiteren Maßregel zuzubringen . Morgen , dachte ich , würde ich schon sehen , bei wem er hier sei , und wie ich meine Handlungen einzurichten hätte . Als ich mit meinen Betrachtungen und Vorsätzen fertig war , kam er wieder bei der Tür herein . Er setzte sich zu mir auf das Sofa , genau so , wie er es in der Dreifaltigkeit immer getan hatte , wo er es nicht leiden konnte , wenn einer von uns auf einem Sessel saß . » Ihr seid also wahrscheinlich auf Eurer italienischen Reise begriffen ? « sagte er . » Ja « , antwortete ich ; » was ich einstens gar nicht mehr gehofft hatte , ist durch einen Zufall möglich geworden ; ich kann jetzt mit Ruhe und auf längere Zeit jenes Land besuchen . « Ich erwartete nun , daß er etwas von dem Briefe sagen und sich entschuldigen würde . Er tat es aber nicht . » Es scheint Euch sehr gut gegangen zu sein , seit wir uns damals in Wien trennten , « sagte er , » Ihr seht vortrefflich aus , und seid ein sehr stattlicher junger Mann geworden . « Ich konnte von ihm zwar nicht ganz dasselbe sagen , er kam mir noch magerer vor , aber es schien doch eine gewisse Heiterkeit und Fröhlichkeit in ihm zu sein . » Ja , « antwortete ich , » es ist mir in der letzten Zeit sehr wohl geworden , und ich glaube , daß ich nun für die ganze Dauer meines Lebens gesichert bin . « Er lehnte sich auf den Tisch , sah mich mit treuherzigen Augen an und sagte : » Das freut mich sehr , es kann gewiß niemanden geben , den es so freut als wie mich . « » Und wie habt denn Ihr seit der Zeit gelebt , seit der wir uns nicht gesehen haben , « fragte ich ihn . » Ich bin nicht mehr krank gewesen , seit ich jenes Übel in der Dreifaltigkeit ausgestanden hatte , « antwortete er , » ich lebe vergnügt , und warte allgemach auf meinen Tod , der bei alten Leuten nicht lange ausbleiben kann . « » Wird noch lange , lange ausbleiben , lieber Freund ! « sagte ich . » Nun , wie es ist , und wie es Gott will « , antwortete er . Da wir also gerade auf die Weise bei einander saßen , wie wir es an so manchem Abende in Wien getan hatten , so dachte ich , ich könnte ihm erzählen , was mir bisher im allgemeinen begegnet sei , und könnte dabei etwas von meinem Plane mit ihm leise einfließen lassen . Ich sagte daher zu ihm : » Ich bin noch immer unverheiratet , es hat sich eben nicht gemacht . Von den vielen seltsamen und abenteuerlichen Planen , mit denen ich Euch oft in früherer Zeit unterhalten habe , habe ich die meisten , ja ich kann sagen , alle aufgegeben , und bin jetzt nichts mehr und nichts weniger als ein einfacher Landwirt . Eine alte Muhme , die sich im Leben nicht um mich bekümmert hatte , hatte im Tode recht gut für mich gesorgt und mir ein sehr schönes Anwesen hinterlassen . Es liegen liebliche Fluren um dasselbe herum , in einiger Entfernung davon steigen Wälder auf , und hinter ihnen sieht man das Blau der Hochgebirge hervor blicken . Das liebe ich nun , bin gerne dort , und hätte nie geglaubt , daß diese Dinge einen solchen Zauber ausüben könnten . Als ich das neue Besitztum antrat , fing ich gleich an , in demselben herum zu wirtschaften . Ich begann alle Felder zu lockern ; ich habe zu den paar tausend Obstbäumen , die ich geerbt hatte , noch ein paar tausend neue hinzu gesetzt , habe alle diese Stämmchen veredelt und habe die alten gereinigt und geordnet ; dann habe ich Glashäuser angelegt , in denen jetzt schon sehr schöne Blumen und Früchte sind , die noch immer schöner werden sollen , ich habe mir einige Zimmer zu meiner Wohnung eingerichtet , und mehrere andere stehen bereit , Gäste aufzunehmen , wenn sich einige bei mir einfinden sollten . In der Gegenwart bin ich auf einer längeren Reise begriffen , und wenn ich wieder nach Hause komme , werde ich aufs neue meine Felder bearbeiten , werde bauen , Ruhebänke , Aussichten anlegen , und so weiter – und so weiter . Nur einen Wunsch hätte ich : es wäre gut , wenn ich außer dem gelegentlichen Umgange , der sich einfindet , noch einen vertraulicheren und näheren hätte , etwa einen älteren , bewährten Freund , der mir mit Rat und Tat an die Hand ginge , bei mir wohnte und mir manchen Augenblick seiner Zeit schenkte ; denn ich bin allein , und fühle es manchmal recht bedeutend . « » Es freut mich , daß ich Euch so reden höre , und daß Ihr die Landwirtschaft so liebt , « antwortete er , » Ihr könnt gar nicht ahnen , wie wohltätig Eure Rede auf mich gewirkt hat . Und was einen Gefährten anlangt , so könnt Ihr bald eine liebe , angenehme Hausfrau bekommen , und Angehörige werden dann auch nicht fehlen . « » Ich rede hier nicht von Angehörigen des Blutes « , erwiderte ich ; » die , von denen ich herstamme , habe ich kaum gekannt , und ob sich andere einfinden werden , steht in sehr , sehr weitem Felde . Wenn es aber auch wäre , so wäre ein Mann doch noch recht gut , der durch die gleichen Bande der Gesinnung gebunden wäre , der sich mit mir vereinigte , ein heiteres , edles Landleben darzustellen , das andere anlockte , erhöbe und zur Nacheiferung verleitete . So möchte manches Ersprießliche gewirkt werden , das selbst nach unserm Tode fort lebte und für manche Zukunft segensreiche Früchte brächte . Ich habe in letzter Zeit oft gedacht , eine solche Aufgabe wäre eines Mannes nicht ganz unwürdig , daß er die Dauer seines Lebens daran setzte , natürlich wenn er von der Würde seiner Aufgabe ganz durchdrungen wäre . « » Ich muß Euch noch einmal sagen , « antwortete er , » daß es mich sehr freut , daß Ihr die Pflege des Bodens so hochachtet – es ist ein schöner Abend für mich , daß Ihr von diesem Dinge so redet . Es gibt auch noch andere Beschäftigungen , von den Menschen bedeutend hoch geschätzt , Künste , die sehr , sehr schmerzlich sein können die ungemein , ganz ungemein schmerzlich sein können ! « Ich wußte nicht , was er bei diesen Worten immer an der Lampe zu tun und umzudrehen hatte . Er hatte dies auch in Wien öfters getan . Wenn wir so in seinem Zimmer , etwa bei schlechtem Wetter beisammen saßen , stand er manchmal plötzlich auf , ging in dem Zimmer hin und her , richtete etwas , das ohnehin recht stand , oder sah emsig bei dem Glase des Fensters hinaus , obwohl nichts zu sehen war , weil draußen eine rabenschwarze Finsternis lag . Es war gleichsam , als ob den Mann eine Sorge oder ein Kummer drücke . Ich erkannte , daß ich jetzt eine unangenehme Saite in ihm berührt hatte , und brach das Gespräch ab . Wir saßen eine Weile stumm neben einander , dann redeten wir von anderen Dingen . Er erzählte mir von dem See , beschrieb mir manche Punkte und Stellen an ihm , und tat dies mit solcher Liebe und Angelegentlichkeit , daß ich sah , daß er hier geboren worden sei . Während wir noch so sprachen , ging die Türe auf , und es kam eine Magd und ein Mann herein . Die Magd war so , wie man sie in manchen Häusern zu untergeordneten Diensten hat , und der Mann sah einem Gärtner oder so etwas Ähnlichem gleich . Sie trugen Tischzeug , um den Tisch damit zu decken . Sie taten den Teppich weg , stellten die Lampe seitwärts auf einen Kasten , deckten den Tisch für zwei Personen , stellten zwei Lichter darauf und ließen die Lampe auf dem Kasten fort brennen . Dann gingen sie wieder zur Tür hinaus . Nach kurzem brachte die Magd unsere Speisen , und der Mann brachte das Getränke . Wir hatten eine Suppe , guten Braten mit Salat , eine Flasche vortrefflichen Weines und sehr frisches Wasser . Das Abendessen hatte nichts Armes oder Bettelhaftes an sich . Als wir es verzehrt hatten , kamen wieder die zwei nämlichen Menschen und räumten ab . Sie trug das Geschirr und er die übrigen Eßgeräte fort . Zuletzt breiteten sie wieder den Teppich über den Tisch , stellten die Lampe darauf und verließen uns . Rikar hatte wahrend ihrer Beschäftigungen manchmal ein freundliches oder berichtigendes Wort mit ihnen geredet . Als wir allein waren , saßen wir noch lange beisammen und sprachen von verschiedenen , meistens gleichgültigen Dingen . Endlich sagte er zu mir : » Wenn es Euch genehm sein wird , zur Ruhe zu gehen , dann dürft Ihr es nur sagen , ich werde Euch in Euer Zimmer geleiten . « Als ich daher dachte , daß es spät genug sein könnte , mein Lager zu suchen und ihm auch die Ruhe zu gönnen , äußerte ich diesen Wunsch . Er zündete mit einem Papierstreifen eine der da stehenden Kerzen an und sagte : » Wenn es Euch gefällig ist , folgt mir . « Ich nahm meine Ledertasche und meinen Hut und folgte ihm . Er führte mich noch eine Treppe hinauf , dann ein Stückchen über einen Gang , dann schloß er ein Zimmer auf und führte mich hinein . In demselben zündete er die zwei auf dem Tische stehenden Kerzen an , stellte die seinige einen Augenblick weg , nahm mich bei der Hand und sagte : » Schlaft recht wohl , genießt einer recht angenehmen und erquickenden Ruhe . « » Ihr auch , Freund Rikar , « antwortete ich , » Ihr auch . « » Gute Nacht « , sagte er , drückte meine Hand , nahm seine Kerze und ging zur Tür hinaus , die er hinter sich zuzog . Ich war also in meinem Schlafzimmer allein . An diesem Abende , dachte ich , hast du nunmehro gar nichts über die näheren Verhältnisse des Franz Rikar erfahren , wir werden nun sehen , wie es morgen damit beschaffen ist . Mit diesem Gedanken ging ich gegen die Tür , schloß mich mit dem innern Riegel ab und legte dann meinen Hut und meine Ledertasche auf den Tisch nieder . Es ist meine Gewohnheit , wenn ich in fremden Räumen übernachte , dieselben , bevor ich schlafen gehe , noch recht genau zu untersuchen . Dies tat ich auch jetzt . Ich nahm ein Licht und leuchtete umher . Ich sah sogleich , daß mein Schlafzimmer eigentlich aus zwei Zimmern bestehe , indem ich durch eine offen stehende Tür in ein anderes Gemach gelangen konnte , das wie ein Wohnzimmer eingerichtet war . Eine weitere Tür , die vielleicht in fernere Zimmer führen mochte , war durch einen Kasten verstellt . So war mein Bereich also ein völlig abgeschlossener . Ich ging nun an die Betrachtung der Geräte . Sie waren alle sehr anständig und fest , aber nicht neu , ja es konnte Zweifel entstehen , ob sie nicht ein paar Jahrhunderte alt seien . Das weiße Linnenzeug des Bettes stach sehr schön von dem braunen Holze des Gestelles ab . Der Geräte waren gerade so viele , als unumgänglich nötig war , die Zimmer einzurichten , keines mehr und keines minder . Was mir besonders auffiel , war , daß in jedem der Gemächer wohl ein Spiegel an der Wand war , sonst aber nichts erblickt werden konnte , was etwa wie ein Gemälde oder wie ein Kupferstich ausgesehen hätte . Es ist dies eine seltene Tatsache in Wohnungen von Landhäusern . Da ich mich nun über das Innere gänzlich vergewissert hatte , schritt ich an das Äußere . Ich ging in das Nebengemach meiner Schlafstube , öffnete eines der Fenster und sah hinaus . Aber von einer Aussicht war in einer Nacht wie diese keine Rede : Millionen dichter Sterne standen an dem fast schwarzen Himmel und funkelten nicht in weißem , sondern fast buchstäblich in goldenem Lichte hernieder . Unter ihnen lag die Gegend so unkenntlich , gleichsam wie eine schwarze Schlacke , an der die Funken des Himmels verknisterten . Selbst in der nächsten Nähe unter mir konnte ich keine Gegenstände unterscheiden als einige Ballen schweigender Bäume und fahle Dinge , wie Anlagen und Geländer . Weil aber die Nacht gar so milde war und die sanftere Kühle auf die Hitze des Tages so wohl tat , so blieb ich längere Zeit am Fenster und genoß der Annehmlichkeit und des erquickenden Bades der Luft . Endlich entfernte ich mich doch und beschloß , mich zu Bette zu begeben . Ich ließ aber das einmal geöffnete Fenster offen stehen , um die holde Luft nicht von mir auszuschließen . Ich ging in meine Schlafstube zurück , entledigte mich allgemach meiner Kleider , legte alles auf einen Sessel , löschte die Lichter aus und legte mich in das Bett . Ich dachte noch des armen Burschen Gerardo , was etwa er für eine Nacht in seinem Schiffe auf dem See haben möchte ; und weil ich doch teils von dem Gange , teils von den vielen seltsamen Eindrücken etwas ermüdet war , streckte ich meine Glieder und entschlief bald angenehm und fest . Ohnehin mochte ich schon der letzte im Hause sein ; denn da ich bei dem offenen Fenster hinaus geschaut hatte , waren alle anderen Fenster an dieser Seite des Hauses bereits finster gewesen . Ich wußte nicht , wie lange ich geschlafen haben mochte , denn mein Schlaf ist gewöhnlich so fest , daß er nicht unterbrochen wird , außer wenn er überhaupt schon aus ist ich wußte also nicht , wie lange ich geschlafen haben mochte , als ich durch ein Geräusch geweckt wurde . Ich wußte anfangs nicht , was es sei , und setzte mich im Bette auf , um besser zu horchen . Nach und nach erkannte ich das Ding als Klänge , und endlich , da ich mich völlig gesammelt hatte , als Tone einer Geige . Sie umspielten fast lieblich das sich mehr und mehr ermannende Gehirn , und als ich völlig wach und nüchtern war , waren es klare , reine , entschiedene und scharf gezogene Töne . Allein da ich kaum einige Takte zusammenhängend vernommen hatte , hörte alles auf . Ich setzte mich in meinem Bette zurecht , um gut zu lauschen . Nach einer Weile begann es wieder mit dem zartesten Piano und wuchs der Sache gemäß zu der Stärke , wie sie die Kunst erforderte . Ich erstaunte auf das äußerste . So konnte weder ich selber spielen , noch habe ich je so spielen gehört , wenn es nicht Theresa Milanollo war . Das gab sich als höchste , edelste Kunst zu erkennen . Es war so ungemein genau begrenzt , kein Haar darüber und kein Haar darunter , es prägte sich klar , bestimmt und gegenständlich aus . Je länger ich zuhörte , je mehr wurde mir die Ähnlichkeit einleuchtend , bis ich , als das vorgetragene Stück aus war , fast zu der unumstößlichen Gewißheit kam , das müsse Theresa Milanollo sein , die eben gespielt habe . – Es begann wieder , und trug seine Dinge mit männlicher Entschiedenheit vor . Ich stand nun auf , warf schnell etwas von meinen Kleidern um mich und schlich mich auf den Zehen in das andere Zimmer , dessen Fenster ich offen gelassen hatte . Ich ging an das Fenster und lehnte mich hinaus , um zu horchen . An dem ganz heiteren Himmel stand jetzt eine schmale silberne Mondessichel , so dünne wie ein in die Luft geschnittener Zirkel , erleuchtete aber doch so viel , daß ich sah , daß unter meinen Fenstern eine Terrasse sei , auf welcher Bäume standen , und auf welcher der schwache Schimmer einer Einfassung hin lief . Sonst sah ich nichts , nicht einmal das Dämmern der Felsen , von denen ich doch wußte , daß sie in einer nicht großen Entfernung sein müßten . Auch woher die Töne kamen , konnte ich mit dem Ohre nicht bemessen , kamen sie von rechts , kamen sie von links , oder kamen sie von unten . Selbst ob im Hause oder im Garten gespielt wurde , war mir nicht recht klar . Auf der Terrasse glaubte ich niemanden zu sehen , auch würde ich es da wohl erkannt haben , wenn auf ihr jemand gespielt hätte , da sie gerade unter meinen Fenstern hinlief . Es begann wieder , nachdem es eine geraume Weile ausgesetzt hatte – und man könnte gleichsam sagen , es gab seine Seele in die Lüfte . Ich horchte fort und fort . Wenn es Theresa Milanollo ist , so mußte ich denken : ist denn das Kind in dieser kurzen Zeit um so viel älter geworden , daß die süße Unwissenheit sich gewendet hat , die uns sonst so entzückte ? Oft ist es ja in dem Spiele gar nicht anders , als sei bereits die Glut der Leidenschaft darinnen . Es ist nicht mehr das Ding , das mit einfacher Liebe in den goldenen Tönen gespielt hat , bloß aus dem Grunde , weil sie goldene sind ; sondern das ist so zu sagen ein schreiendes Herz , welches seinen Jammer erkannt hat . Es lag in dem Spiele ein Schmerz und eine Sehnsucht , die so einleuchtend ausgesprochen waren , daß man sah , das sei nicht ein vorgebildetes und vorgespiegeltes Ding der Kunst , sondern das sei aus dem wirklichen , bitteren , erfahrenen Leben hergenommen . Es war für mein Ohr die ganz natürliche Steigerung des Herzens darinnen . Zuerst war eine sanfte Klage , die versuchsweise bittet und , wiewohl vergeblich , hinschmilzt – dann war das heiße Flehen , das ein fernes , wohlerkanntes Glück so gerne herbei ziehen möchte – dann war die Ungeduld des Heischens – dann stand die Seele auf , und es war ein Zürnen , daß das Gut , das man geben wolle , nicht erkannt werde – dann war ein Hohn , der da sagt , wie hoch das eigene Herz steht , und wie es sich durch Verachtung rächen will – – endlich war eine Fröhlichkeit , die es sich rauschend vorsagt , daß sie es sei . – – Ich dachte : du armes , armes Kind ! was mußt du gelitten haben , daß du diese Dinge verstehst , und sie mit der einzigen Stimme , die dir Gott in so reichlichem Maße gegeben hat , ausdrücken kannst ! Mir fiel auch jener wundersame Auftritt ein , den ich hatte , als ich Rikar in das Theater führte , und als er so auffallend weinte , da er die Schwestern Milanollo hörte . Wie mag das zusammen hängen ?! Ich hüllte mich fester in meinen Rock , den ich übergenommen hatte , weil die Nacht doch ein wenig kühl war , und hörte zu . Das Spiel setzte nun ziemlich lange aus , und begann wieder . Es wurde immer besser und geläuterter , als machte sich doch nach und nach die Kunst geltend , die das menschliche Herz so beseligt und sänftigt , und als dränge sie die Leidenschaft zurück Endlich wurde einmal jene Stärke , jene Begeisterung und Emporhebung , die gerne dem Ende einer Musik , namentlich dem einer sich selbst hörenden , vorausgeht , weil gleichsam die Seele sich selbst überholt hat , und das Werkzeug , wodurch sie sich ausgesprochen hatte , weglegt . So war es auch hier . Der Schluß , den ich selber als einen solchen erkannt hatte , offenbarte sich wirklich als einen solchen . Gleichsam wie ein goldener Blitz war der letzte Ton der Saiten über die Gegend hinaus gegangen – und es blieb still . Die silberne Luft und die starre weiße Lavasichel des Mondes standen unbeweglich . Ich blieb noch lange an dem Fenster und wartete , ob es nicht wieder beginnen würde . Aber es begann nicht mehr . Alles blieb stille . Die Bäume unter mir hielten ihre Blätter an sich , daß keines wanke , und selbst das Rauschen des Springbrunnens , das ich deutlich vernommen hatte , als ich heute abends zu dem Hause herzu gegangen war , mußte versiegt sein , denn ich hörte es nicht . Ich ging endlich ziemlich durchfroren in mein Bett zurück und legte mich nieder . Bis sich meine Glieder erwärmten , dachte ich nicht viel nach ; dann aber kam das Reich der Gedanken , der Ahnungen und Vermutungen . Anfangs hatte ich den zweckwidrigen Gedanken , Licht zu machen , zu dem Fenster zu gehen und hinunter zu leuchten ; aber sogleich erkannte ich , daß ich gerade dann unten nichts sehen würde , wenn ich mir ein Licht vor die Augen hielte , und daß gerade , wenn ich jemanden sehen wollte , derselbe fort gehen würde . Ich blieb also in dem Bette . Mir fielen jetzt auch die Worte des Hirtenknaben ein , daß Rikar so schön geige . Aber den Gedanken , daß es der alte Mann gewesen sein könne , der gespielt habe , verscheuchte ich gleich . Wie könnte er auch solche Töne hervor gebracht haben ; das waren die Töne der Jugend , die noch in den Empfindungen große und glühende Maße hat und über das Mögliche und Erreichbare hinausgeht ; während das Alter bloß um größte Genauigkeit , Reinheit und Art des Spieles frägt , ohne in der Empfindung weit über das Mittelmaß dieseits oder jenseits hinaus zu kommen . Und insbesondere kannte ich meinen Reisefreund zu genau , als daß ich ihm nur das geringste von dem , was ich gehört hatte , zuzuschreiben vermocht hätte . Die Musik hatte mich in der Tat zu sehr angegriffen , als daß ich sie gleich aus meinem Sinne hätte bringen können . Von einem Schlafen war daher keine Rede . Ich ging sie im Gedanken noch einmal durch und senkte mich in die Seele , aus der sie gequollen sein mochte . Ich hielt meine Ohren bereit , um sie , wenn sie doch wieder begänne , aufnehmen zu können , und sah hiebei auf die unklaren Dinge meines Zimmers , die in dem schwachen und noch nichts bedeutenden Schimmer des Mondes da standen . Aber sie begann nicht mehr . Zuletzt übte doch die Natur ihr Recht , meine Gedanken wurden allgemach verworrener , und ich entschlief endlich . Ich mußte sehr gut und ziemlich lange geschlafen haben ; denn nach meiner Rechnung mußte die Musik bedeutend nach Mitternacht statt gefunden haben , und da ich erwachte , war es heller Morgen , und die Sonne warf ihr Strahlenmeer durch meine Fenster herein . Ich war von meiner Feldwirtschaft her gewohnt , immer vor der Sonne aufzustehen , schämte mich daher vor mir selbst und sprang schnell aus dem Bette . Ich war sehr ruhig , war gestärkt und heiter , wie ich es immer am Morgen bin . Daß ich wieder auf die Musik der Nacht dachte , war begreiflich ; aber sie kam mir jetzt nicht mehr so zauberisch vor als in der Finsternis . Vielleicht war sie auch nur in der Erinnerung ein wenig abgeblaßt , da jetzt die erwachten Sinne anders und von den klaren und scharfen Dingen des Tages in Anspruch genommen waren . Ich wusch mir Angesicht und Haupt und begann mich anzukleiden . Während dieses Geschäftes ging ich auch mitunter an die Fenster , um hinunter zu schauen . Was ich gestern vermutet hatte , war richtig : eine Terrasse lag gerade unter meinen Fenstern . Sie enthielt Bänke , zwischen denen Kübel mit Orangenbäumen standen . Dann waren Weingeländer , Blumen und Zwergobst . Das alles war durch ein graues Gitterwerk von dem äußeren Garten getrennt . In diesem äußeren Garten standen Obstbäume , aber in ziemlichen Räumen von einander entfernt , und zwischen ihnen waren Gemüsebeete und wieder Blumen . Letztere aber waren sonderbarer Weise nicht zu Verzierungen verwendet , sondern sie standen alle nach Gattungen in großen einfärbigen Flecken beisammen . Da war nun einer hellrot , der andere blau , der dritte weiß . Jenseits des Gartens , der durch eine Mauer von rohen Steinen eingefaßt war , hörte die Baumpflanzung nicht auf , sondern es standen noch viele , je nachdem es der Grund zuließ , bald dichter , bald dünner beisammen , und zwischen ihnen lagen die grauen Steine der Gegend zerstreut . Außerhalb dem Ganzen sah ich wieder die Landschaft , die ich gestern den ganzen Nachmittag gesehen hatte , nämlich den schwachgrünen Rasen und die grauen , aus ihm hervorragenden Felsengruppen . Das Haus , in dem ich übernachtet hatte , mußte also am Ende einer Ortschaft liegen , oder es war das einzige in diesem Tale . Manche Anlagen um dasselbe mußten erst vor nicht langer Zeit gemacht worden sein ; denn viele der Bäume waren noch sehr jung und schmächtig , und standen zwischen den älteren da . Selbst der Gemüsegarten mußte neueren Ursprunges sein ; denn auch in ihm lagen zwischen den Pflanzen noch größere Stücke des grauen Steines , die man nicht hatte weg bringen können , oder die nur unterdessen noch da waren . Dies gab dem Garten ein seltsames , aber ich muß gestehen , malerisches Ansehen , da es die Einerleiheit , mit der uns unsere Gärten trotz ihrer Überladung quälen , sehr eigentümlich und phantastisch unterbrach . Daß ich als Landbewohner diese Dinge , wenn auch schnell , doch genau betrachtete , war natürlich . Ich hatte mich endlich völlig angekleidet und ging in dem Zimmer herum , um manches , wie das nach der ersten Nacht natürlich ist , zu ordnen . Namentlich nahm ich meine Ledertasche her , um sie auszupacken . Der kalte Braten , den ich als Lebensmittel mit auf meine Wanderung genommen hatte , war schon fast ganz eingetrocknet und unbrauchbar . Ich wickelte ihn sehr sorgfältig in Papiere und schloß ihn in eine Lade des Kastens ein ; denn ich wollte ihn als Speise für die Fische meines Sees , denen ich ihn lieber gönnte als den Wieseln der Haide , aufbewahren . Die Pistolen , das Fernrohr , die Weinflaschen und anderes , was ich mit hatte , tat ich gleichfalls aus der Ledertasche in eine Lade . Als ich so hin und her ging , hörte ich ein feines Pochen an der Tür , ich hatte es früher schon einmal zu hören geglaubt , ohne darauf zu achten , jetzt aber ging ich zu der Tür , schob den Nachtriegel , der noch vor war , zurück und öffnete . » Ist es schon erlaubt , herein zu treten ? « fragte eine zarte , schön klingende Stimme . » Allerdings « , gab ich zur Antwort , indem ich einen Schritt in das Zimmer zurück tat . In der Lichtung des Türfutters standen zwei Frauengestalten . Die vordere erkannte ich , es war dasselbe alte Mütterlein mit dem schönen kleinfaltigen italienischen Bilderangesichte , das gestern in der Halle die Lampe angezündet und mir dann meinen Freund Rikar geholt hatte . Sie trug mehrere sehr weiße und frische Linnen über den Arm und hatte zwei kristallklare Flaschen mit Wasser in den Händen . Die zweite der beiden Gestalten , die durch die erste ein wenig gedeckt war , war ein junges Mädchen von höchstens zweiundzwanzig Jahren . Die Wangen waren äußerst blühend und gesund , aber für die gewöhnliche Vorstellung von Schönheit viel zu viel gebräunt . Die Stirne war lichter , aber doch noch dunkel genug Die Augen waren bedeutend groß und glänzend und schienen mir in dem ersten Augenblicke schwarz . Die dunkeln Haare waren vorne gescheitelt und hinten in einem Geflechte mit einer goldenen Quernadel empor geheftet . Der Anzug war ein häuslicher und deutscher . » Ich bitte nur herein zu treten « , sagte ich . Sie gingen herein . » Lege nur die Linnenzeuge dort auf den Waschtisch hin , Cornelia , « sagte die jüngere , » stelle die Flaschen dazu , und dann bist du schon fertig . « Die Alte tat , wie ihr befohlen worden war , und ging dann wieder fort . Das junge Mädchen war nun allein bei mir , es sah mich mit den großen Augen ruhig an und sagte : » Ich bin die Tochter des Franz Rikar ; Sie haben ihn einmal in Wien in einer langen Krankheit gepflegt und gewartet ; er ist noch gestern , da Sie schon schlafen gegangen waren , zu mir in mein Zimmer gekommen und hat mir gesagt , daß Sie da seien , und daß Sie vielleicht länger bleiben würden , ehe Sie Ihre Reise nach Italien wieder fortsetzten . Ich bin also heute früh zu Ihnen gegangen , um Ihnen auf die herzlichste und innigste Weise , die es nur auf Erden gibt , zu danken und Sie willkommen zu heißen . « » Ach , Fräulein , « antwortete ich , » was ich getan habe , ist so einfach und natürlich , daß es keiner Rede wert ist . « » Es ist einfach und natürlich , « sagte sie , » viele Menschen würden so handeln ; aber eben so einfach und natürlich ist es , daß derjenige , gegen den die Handlung gerichtet war , sich bedankt . Ich stehe gewöhnlich vor Sonnenaufgang auf , ich hatte mir gleich gestern vorgenommen , zu Ihnen zu gehen , und da ich heute in einer Verrichtung an Ihrem Zimmer vorbei ging und Sie in demselben herum gehen hörte , holte ich mir die Amme Cornelia , daß sie zugleich besseres Linnen und Wasser mit herein brächte , und wir versuchten , ob wir schon zu Ihnen kommen dürften . Sie waren wirklich angekleidet , und somit danke ich Ihnen noch einmal , verehrter Herr , was Sie an dem Manne getan haben . « » Ich bitte Sie sehr , « antwortete ich , » von dem Danke nichts weiter zu erwähnen . « » Der Vater hat mir auch gesagt , « entgegnete sie , » daß Sie ein Landwirt seien , daß Sie Felder und Gärten haben , und daß Sie von der Pflege dieser Dinge mit vieler Liebe und Wärme gesprochen haben . Sehen Sie , das ist sehr schön und lieb von Ihnen . Sie sind wahrscheinlich als Landwirt gewohnt , sehr früh aufzustehen , die andern schlafen noch , obwohl die Sonne schon aufgegangen ist ; wenn es Ihnen daher nicht unangenehm wäre , so würde ich Sie vor dem Frühmahle ein wenig herum führen . Sie sehen , ich bin darnach angekleidet . « Wirklich war sie zu einem solchen Zwecke gut gekleidet . Ich hatte den Anzug , da sie so vor mir stand , schon früher bemerkt . Die Kleider waren kurz und von einem Stoffe , der , wenn er beschmutzt wird , leicht zu reinigen ist . An den Füßen hatte sie zwar schlanke , aber feste und weit hinauf reichende Stiefelchen an . Ich sagte , daß mir ihr Antrag großes Vergnügen mache , und daß ich sofort bereit sei . Ich nahm meinen Hut , wir verließen das Zimmer und gingen die Treppen hinab . Als wir in die Halle gekommen waren , in der gestern das Mütterlein die Lampe angezündet hatte , sagte sie , ich solle ein wenig warten , sie habe noch etwas zu tun . Sie ging in eine ebenerdige Stube hinein , und ich hörte sie dort reden . Sie sprach immer in schönem , reinem Deutsch , und ich hatte schon in meinem Zimmer gesehen , daß , wenn sie die sehr gut gefärbten Lippen auftat , zwei Reihen sehr schöner und gesunder Zähne zum Vorscheine kamen . Als sie aus der Stube heraus trat , nahm sie einen Strohhut , der an einem Nagel in der Halle hing , herab , setzte ihn auf und sagte : » Nun bin ich in Bereitschaft , kommen Sie . « Wir gingen aus der Halle in den Garten . Was ich zum Teile schon von ihm gesehen hatte , bestätigte sich in ganzem Umfange . Er war durchaus ein Nutzgarten , sehr viele Obstbäume , teils Zwerg- und Lattenobst , teils hohe , reiche Stämme , standen auf dem Raume umher und hatten die Blumen und eine große Menge verschiedener Gemüse unter sich . Da wir uns etwas weiter entfernt hatten , sah ich auch , was ich schon fast vermutet hatte , daß wirklich da keine Ortschaft liege , sondern daß dieses Haus das einzige sei , das sich mit seinen Anlagen in dem Tale der Hochebene befinde . Gegen Norden , wohin ich früher keinen Blick gehabt hatte , zeigte sich in geringer Entfernung eine bedeutende Felsenmauer , welche das ganze Anwesen vor kalten Winden schützte . Das Haus , welches ich nun auch übersah , hatte zwei Stockwerke , war nicht zu weitläufig und nicht zu klein , und war von einigen Wirtschaftsgebäuden umgeben , die offenbar erst in neuerer Zeit gebaut worden waren . Die Mauern des Hauses waren glänzend weiß übertüncht . Meine Begleiterin schien diese meine schnellen Blicke auf die Lage des Ganzen nicht zu bemerken , weil ihr selber ja alles längst bekannt und geläufig war . Sie ging voraus , so lange der Weg enge war , wies auf verschiedene Dinge und sprach über sie . Als ich ihr meine Bemerkung mitteilte , daß hier die Blumen nach Gattungen bei einander stehen , sagte sie : » Die Pflanzen sind in ihren Bedürfnissen äußerst verschieden , daher kann man nicht jeder Gattung geben , was ihr not tut , wenn alle unter einander stehen . Ich setzte sie daher allein , daß ich jede genau nach ihrer Art pflegen kann . Seit wir die Pflanzen verkaufen , ist es natürlich um so mehr notwendig , daß die einzelnen Gattungen sehr schön seien . « » Also haben Sie selber alle diese Pflanzen gesetzt ? « fragte ich . » Nicht gerade ich selber , « antwortete sie , » aber mit Beihilfe der Leute , die zu dieser Beschäftigung aufgenommen worden sind . Es ist sehr schön , wenn man den Dingen die ihnen zugeartete Erde geben kann , wenn man sie nach ihrem Begehren feucht oder trocken halten und ihnen nach Wunsch Licht und Schatten erteilen kann . Dann sind sie auch dankbar , und werden so schön , wie man es vorher kaum geahnt hatte . Sehen Sie einmal . « Mit diesen Worten beugte sie sich nieder und fuhr mit der Hand über einen sehr dunkeln Wald von Ranunkeln . Ich hatte wirklich nie diese stämmigen , festen , hohen und dunkeln Ranunkelblätter gesehen . Ich sagte es ihr . » Nicht wahr ? « erwiderte sie , und hatte ihre Freude darüber . Dann zeigte sie mir auch ihre Nelken , Levkojen , Rosen und anderes ; sie zeigte mir ihre Tulpenbeete und die , wo sie die Hyazinthen aus Samen ziehe . » Ich habe , « sagte sie , » wenn ihnen die Zeiten ganz besonders günstig waren , schönere Zwiebeln bekommen , als die sind , die man aus Haarlem bezieht . « Dann gingen wir um eine Ecke zu den Gewächshäusern . Sie waren sonderbarer Weise sehr viele und meistens kleine , in deren einzelnen immer die zusammengehörigen Gattungen standen . Ich mußte mich fast bücken , da ich durch die gläsernen Kästchen ging . Auch hier waren die einzelnen Pflanzen sehr schön . Auf meine Bemerkung , daß größtenteils Modegewächse da stünden , wie ich sie jetzt gar so viel auf meiner Reise gesehen hätte , antwortete sie : » Ich habe Ihnen ja gesagt , daß wir die Pflanzen verkaufen , ich zöge sie freilich lieber nach meinem Herzen , aber zu unserem Zwecke müssen wir solche haben , die die Leute wollen . Die Leute sind aber auch sehr gütig und nehmen unsere Ware gerne . Wir haben mehrere Esel , wovon täglich einige mit Ladung nach Sankt Gustav hinab gehen , und von dort an den See , wo die Sachen dann von verschiedenen Händlern weiter verführt werden . Sie würden gewiß in mancher Uferstadt von unserem Obste essen , wenn Sie zur Zeit der hiesigen Reife dort wären . Aber es geht auch noch weiter hinab , es geht bis dorthin , wo sie viel bessern Boden haben als wir hier ; aber bei uns in den Steinen wird das Obst kräftiger , und es kommt nur darauf an , daß man die gehörige Sorge darauf verwende . « Da sie so von dem Obste sprach , und ich auf die Bäume sah und an jedem ein Blechtäfelchen bemerkte , auf dem die Art geschrieben war , da ich überhaupt die Reinlichkeit und gute Haltung der Bäume sah , fragte ich sie , ob sie auch über die Bäume so wie über die kleineren Gewächse die Oberaufsicht führe . » Freilich , « sagte sie , » ich habe ja die jüngeren alle mit Hilfe unserer Leute gesetzt . « » Das ist ja nicht möglich « , antwortete ich , indem ich ihr in das Angesicht sah . » Sie halten mich wahrscheinlich für viel zu jung , « sagte sie , » ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre alt . Vor etwas mehr als sechs Jahren haben wir die Stämmchen gesetzt . Sie gedeihen vortrefflich . Die älteren sind noch von dem Urgroßvater her . Vor mehreren Menschenaltern glaubte man allgemein , daß diese Gegend durchaus nicht im Stande sei , Bäume zu tragen ; aber es ist nicht wahr , wenn man nur beim Setzen recht tiefe und große Groben lockert . « » Aber « , sagte ich , » wo haben Sie denn die Kenntnisse hergenommen , die man , wie ich zu meinem Schaden recht gut weiß , zu diesen Dingen unumgänglich braucht ? « » Wo ? « antwortete sie , » aus Büchern . Das sah ich wohl ein , daß ich aus mir selber nichts wisse . Wo sollte ich nun die Kenntnisse finden als in Büchern , in denen sie stehen ? Ich kaufte und lieh mir dieselben zusammen , und lernte . Freilich ist mir hier ein Freund an die Hand gegangen , der mir die Wahl erleichterte und mich wohl selber oft unterrichtete . Er hat in der Nähe ein großes Besitztum und ist jetzt verreist . Da er täglich zurück kommen soll , so können Sie ihn kennen lernen , wenn Sie sich länger aufhalten , er ist ein vortrefflicher , außerordentlicher Mensch . Er kömmt , wenn es seine Geschäfte ein wenig zulassen , zu öfteren Zeiten zu uns herauf . Ich weiß nicht genau , woher ich mehr lernte , aus den Büchern oder aus seinem Unterrichte . Übrigens hoffe ich schon nach und nach noch mehr zu lernen , was ich brauche . « Wir waren während dieses Gespräches unter den Bäumen in einem großen Bogen herum gegangen , und waren allgemach in die nördliche Gegend des Hauses gekommen , wo der Garten mehr den Anblick eines Vergnügungsplatzes gewann . Es war eine Kreisfläche von gestreutem Sande da , in deren Mitte ein Wasserbecken ruhte , das zwar den Stift , nicht aber den Strahl eines Springbrunnens hatte – es war eine gezimmerte Laube da , in der man essen oder sonst sich versammeln konnte , und es war in einiger Entfernung ein Kastanienwäldchen aus alten Bäumen , in deren Schatten man sich erfrischen konnte . Wir gingen quer Über die Sandfläche hin . » Die Schwester hat wieder den Springbrunnen stehen gelassen , sagte meine Begleiterin , ging gegen das Becken , schürzte den Arm auf , kniete auf den Steinrand , beugte sich vor und öffnete mit der Hand den Hahn , der an der messingenen Spitze des Springbrunnenrohres angebracht war . Das zurückgehaltene Wasser schoß in einem mächtigen Strahle empor . » Sehen Sie , wie das prächtig ist « , sagte sie , nachdem sie aufgestanden war , sich die Hand abgewischt hatte und wieder zu mir zurück gekommen war . Wir gingen hierauf durch die Anlagen bis in das Freie hinaus , woselbst , wie ich schon früher bemerkt hatte , auch noch Baume zwischen den Steinen auf ihren gelockerten Plätzen standen . Meine Begleiterin ging mit ihren Stiefelchen , ohne weiter darauf zu achten , durch das tauige Gras . Als wir bis zu einer Stelle gekommen waren , wo wieder eine leichte Mauer von losen , zusammen gelesenen Steinen lag , und wo man recht schön gegen die Felsenwand hinsehen konnte , die gegen Norden den Gesichtskreis schloß , blieb sie stehen und sagte : » Hier ist die Grenze unseres Besitztumes . Nur eine Kleinigkeit haben wir noch dort an dem Felsen , wo Sie den Rauch aufsteigen sehen ; wir haben den dortigen Grund angeschafft , weil er zu den Erdbrennereien so geeignet ist . Das ganze Anwesen ist klein , ich habe Ihnen alles gezeigt . Es ist nichts mehr übrig . Es wurde bisher daraus gemacht , was nach den Verhältnissen daraus zu machen war ; aber es wird schon noch besser werden . – Sie müssen gewiß lächeln , wenn Sie das ansehen . Bei Ihnen , denke ich , wird das alles weiter und breiter und prächtiger sein . Wenn man so durch mächtige Felder und Wiesen wandelt , muß das einen erhebenden Umblick gewähren . Felder und Wiesen haben wir nicht , weil der Grund , den wir geerbt haben , zu klein dazu ist . Auch sind seit Menschengedenken keine Felder hier gewesen ; aber ich denke , warum soll es nicht möglich sein , da doch Bäume , die so tief wurzeln , da Blumen , Kräuter und Gemüse gedeihen , und der Regen nicht gar so selten ist . Grund und Boden wäre hier nicht teuer – denken Sie nur , wie es schön wäre , wenn da bis zur Felsenwand im Frühlinge die Saaten stünden , und im Sommer die hohen Wagen belastet würden . « » Ich zweifle keinen Augenblick , daß es möglich wäre « , gab ich zur Antwort , indem ich die Fläche mit den Augen prüfte . » Sehen Sie , ich auch nicht , « sagte sie , » es sind schon viele Dinge auf der Welt geworden , wie in den Büchern der Geschichte steht . – Wer weiß , was noch geschieht , wenn man nur zum Geschehen ein wenig nachhilft . An mir sollte es wahrlich nicht fehlen . « Wir blieben noch eine Weile stehen und schauten gegen das nasse , in der Sonne funkelnde Gras der Haide . Dann wendeten wir uns zum Rückwege . Sie führte mich durch die andere Seite des Gartens zurück . Dieselbe war ungefähr wie die , die wir bisher durchwandert hatten . Es zeigte jegliches denselben Zweck : Verwertung der Gewächse . Meine Begleiterin zeigte mir manches und erklärte mir verschiedene Dinge , die ich da anders fand als sonst wo . Als wir in die Eingangshalle gekommen waren , hing sie ihren Strohhut wieder auf den Nagel und führte mich die Treppen zu meinen Zimmern empor . An der Tür derselben machte sie mich auf ein im Futter des Holzes befindliches Fach aufmerksam und sagte : » Solche Fächer haben wir bei allen Türen machen lassen , um dem ewigen Verlegen der Schlüssel vorzubeugen . So macht man auf . « Sie zeigte mir mit diesen Worten , wie man verfahren müsse , damit der Deckel des Faches aufspringe .