Fanny Lewald Jenny Von der Verfasserin von Clementine Bei Gerhard , dem ersten Restaurant einer großen deutschen Handelsstadt , hatte sich im Spätherbst des Jahres achtzehnhundertzweiunddreißig nach dem Theater eine Gesellschaft von jungen Leuten in einem besondern Zimmer zusammengefunden , die anfänglich während des Abendessens heiter die Begegnisse des Tages besprach , allmälig zu dem Theater und den Schauspielern zurückkehrte und nun in schäumendem Champagner das Wohl einer gefeierten Künstlerin , der Giovanolla , trank , welche an jenem Abende die Bühne betreten hatte . Sie soll leben und blühen in ewiger Schönheit ! sagte entzückt der Maler Erlau , und möge es mir vergönnt sein , die Feueraugen und den Götternacken dieses Mädchens immer vor meinen Augen zu haben , wie sie sich mir bei der gestrigen Sitzung zeigten . Ihr seht sie Alle in der falschen , täuschenden Beleuchtung der Bühne , und könnt nicht ahnen , wie schön ihre Farben , wie regelmäßig und vollendet ihre Züge und wie üppig ihre Formen sind . Ich sage Euch , sie ist der Typus einer italienischen Schönheit . Wenn sie nur nicht so verdammt jüdisch aussähe , sagte wegwerfend der junge Horn , der Sohn und Erbe eines reichen Kaufmanns . Ich sagte es gleich zu meinem Vetter Hughes , den ich Ihnen , lieber Erlau ! als einen Mitenthusiasten empfehlen kann , und der für nichts Augen hatte , als für diese Person , die mir wirklich mit all ihrer gepriesenen italienischen , oder sagten Sie orientalischen Schönheit ? im höchsten Grade mißfallen hat . Wir lieben in unserer Familie diese Art von Schönheit nicht , es ist eine uns angeborne Antipathie , und mir wurde erst wieder in England bei den schlanken , blonden Insulanerinnen recht wohl , nachdem ich mich in Havre ein Jahr lang unter jenen kleinen , brunetten Französinnen in der Frankfurter Judengasse geglaubt hatte . A propos , von Judengasse , lieber Ferdinand ! fiel der Vetter , ein geborner Engländer , und erst seit wenig Tagen in dieser Stadt , dem Sprechenden ins Wort , wer war wohl das ganz junge Mädchen in der zweiten Loge rechts von der Bühne ? Sie ist offenbar eine Jüdin , aber es ist ein sehr interessantes Gesicht . Ich kenne die Leute nicht , antwortete der Gefragte . Schämen Sie sich , rief im komischen Zorn der Maler , und verleugnen Sie nicht , wie unser heiliger Apostel Petrus , seligen Andenkens , Ihren Meister und Herrn . Sie sollten den reichen Banquier Meier nicht kennen , bei dessen Vater Ihr Herr Vater die Handlung erlernte , und von dem er die Mittel zu seinem Etablissement erhielt , als er sich in Ihre Mutter verliebte ? Freilich kam Ihr Herr Papa durch diese Heirath in die schönste Mitte der Kaufmannsaristokratie , und mag in der Gesellschaft wohl seine alttestamentarischen Verbindungen vergessen haben . Horn war halb beleidigt , halb verlegen . Ach so ! sagte er , die Meiers hatten die Loge ? Es waren die Meiers ? Die Tochter soll ein hübsches Mädchen werden , eine sehr reiche Erbin , sie steht noch zu Diensten , lieber Vetter ! – Das ist aber auch Alles , was ich von ihnen weiß . So erlauben Sie mir , nahm der Candidat Reinhard , ein schöner , junger Mann , der bis dahin schweigend der Unterhaltung zugehört hatte , die ihm nicht zu gefallen schien , das Wort , so erlauben Sie mir , Ihnen , falls es Sie interessirt , nähere Auskunft über die Familie zu geben . Das Meiersche Haus ist eines der gastlichsten in unserer Stadt , die Mutter eine freundliche , wohlwollende Frau , der Vater ein sehr gescheidter und braver Mann , der ein offenes Herz für die Menschen und die Menschheit hat , und sich lebhaft für Alles interessirt , was es Großes und Schönes gibt . Die Leute haben nur zwei Kinder : einen Sohn , der mein genauer Freund ist , den Doctor Meier , und eben diese Tochter , Jenny Meier , die ich bis vor Kurzem unterrichtet habe . Und ist Niemand da , der die Handlung fortsetzt , wenn der alte Meier , dessen Firma ja sehr bekannt ist , einmal stirbt ? fragte der Vetter . Ja wohl , ein Neffe , seines Bruders Sohn , der auch Meier heißt , und schon lange in der Handlung ist . Man sagt , er werde die Tochter heirathen und das Geschäft einst übernehmen , antwortete Reinhard zögernd . Der Glückliche , ich könnte ihn beneiden , denn das Mädchen ist wahrhaft reizend , rief der Engländer aus . Das denkt Freund Reinhard auch , lachte Erlau , und gewisse Leute wollen behaupten , daß er die junge Dame , nachdem er ihre geistige Ausbildung meisterhaft geleitet , jetzt praktisch in der Conjugation mancher Zeitwörter unterrichte , als da ist : ich liebe , du liebst u. s.w. u. s.w . Werde nicht roth , lieber Reinhard , es ist eine Bemerkung , wie jede andere , und ich theile Deine Neigung und Anhänglichkeit für das ganze Meiersche Haus . Es sind gute und gebildete Leute , und wenn auch die sogenannte Elite der Gesellschaft dort im Hause nicht zu sehen ist , so findet man den größten Theil unserer Gelehrten und Künstler , eine Menge von Fremden , und vortreffliche Unterhaltung bei Meiers . Ich wüßte kein Haus , das ich lieber besuchte , als das ihre . Sie schildern die Familie so anziehend , daß Sie mir fast den Wunsch einflößen , mich in dem Hause einführen zu lassen , sagte Hughes . Nicht doch , William ! fiel Horn ein , meine Mutter würde das sehr ungern sehen , wie kommst Du nur darauf ? Ich bitte Dich , diese Juden hängen wie die Kletten zusammen , und bist Du erst in einem ihrer Zirkel , so steckst Du auch gleich so fest in der ganzen Clique , daß man sich scheuen muß , mit Dir an öffentlichen Orten zu erscheinen , aus Furcht , von Deiner mosaischen Bekanntschaft überfallen zu werden . Die Visite bei Meiers – Würde Ihnen beweisen , daß Ihr Herr Vetter mit seinen Gesinnungen in mancher Beziehung noch tief im Mittelalter steckt , unterbrach Reinhard die Rede , und ich bekenne Ihnen , Herr Horn , daß mir Ihre Aeußerungen nicht nur in unserer Zeit höchst befremdlich scheinen , sondern daß ich sie geradezu für unschicklich halte , nachdem ich Ihnen gesagt habe , daß ich der Familie befreundet bin und sie hochachte . Entschuldigen Sie , ich vergaß , daß Sie Lehrer in dem Hause sind und die Sache also anders ansehen müssen . Ich aber , der ich unabhängig bin , gestehe Ihnen – – – – Gestehen Sie Nichts mehr , Sie haben ja schon so Vieles heute gestanden , rief Erlau dazwischen , was Sie lieber hätten verschweigen sollen . Sie sind ein reicher , junger Kaufmann , sehr elegant , sehr fashionable , was kümmern Sie Geständnisse und Juden ? Mein Gott ! Sie haben nun einmal die Antipathie , und Sie brauchen ja auch nicht zu Meiers zu gehen , Es hat Sie Niemand gebeten – selbst nicht , fügte er halblaut , gegen Reinhard gewendet , hinzu , als vor drei Jahren die Sonntag dort war und der junge Herr alle Segel aufsetzte , um eingeladen zu werden . Ich bitte Dich , Reinhard , ärgere Dich über den Laffen nicht und laß ihn laufen . Die Unterhaltung war zu einem Punkte gekommen , auf dem sie leicht eine verdrießliche Wendung nehmen konnte , da öffnete sich plötzlich die Thüre und ein junger , hübscher Mann , kaum dreißig Jahre alt , trat in das Zimmer . Er war nur mittler Größe , aber kräftig und wohl gebaut , hatte krauses , schwarzes Haar , eine gebogene Nase , ein Paar durchdringend kluge , schwarze Augen , und vor Allem eine hohe , gewölbte Stirn , die beim ersten Anblick den Mann von Geist und Charakter verrieth . Seine Bewegungen waren rasch , wie sein Blick . Er hatte eine gelbliche aber gesunde Farbe , und war modern , doch ganz einfach gekleidet . Kaum war er in das Zimmer getreten , als Erlau und Reinhard ihm mit dem Ausruf : Guten Abend , Meier , gut daß Du kommst ! entgegen gingen . Er wandte sich aber , die Begrüßung nur flüchtig erwidernd , an Horn , und sagte : Ich komme eben aus dem Hause Ihrer Eltern . Ihr Fräulein Schwester hat sich den Fuß beschädigt , als sie nach der Rückkehr aus dem Theater aus dem Wagen stieg . Man hat mich holen lassen , es ist jetzt Alles in Ordnung , durchaus nichts zu befürchten , und ich freue mich , daß ich Sie hier treffe , denn ich glaube , man erwartet Sie zu Hause . – Guten Abend , und schön , daß ich Euch noch finde , fuhr er , gegen die Freunde gewendet , fort , und setzte sich zu ihnen nieder . Horn machte ein paar besorgte Fragen , die von Doctor Meier beruhigend beantwortet wurden , dann brach jener auf , und William wollte ihn begleiten . Erlau indessen , der niemals genug Leute beisammen haben konnte , und dem der Engländer gefiel , redete ihm zu , bei ihnen zu bleiben , um noch ein paar Stunden zu plaudern . Im Hause Ihres Onkels können Sie Nichts nützen und hier , sagte er , haben wir Gelegenheit , Sie unserm Freunde , dem Doctor Meier , von dem wir vorhin sprachen , vorzustellen , also bleiben Sie immer hier . William war das zufrieden , und Horn empfahl sich dem kleinen Kreise , indem er William versicherte , er beneide ihn um den Genuß , in so vortrefflicher Gesellschaft noch länger zu bleiben , dabei warf er einen spöttischen Blick auf Meier , den dieser nicht sah , da er Horn den Rücken zugewendet hatte , und den Reinhard mit verächtlichem Achselzucken erwiderte . Ein Kellner räumte die leeren Bouteillen , die gebrauchten Gläser fort , und setzte eine volle Flasche vor die Zurückbleibenden hin . Erlau , Reinhard und William , die schon seit einer Stunde beim Weine saßen , geriethen allmälig in eine immer munterere Laune , gegen welche Meier's Ruhe eigenthümlich abstach . Vor Allen konnte Erlau's ausgelassene Fröhlichkeit sich nicht genug thun ; ein Witz folgte dem andern , ein Toast dem andern . Alt-England soll leben ! rief er aus , mit seinen freien Institutionen , mit seinem edlen Lord auf dem Wollsack , seiner magna Charta und seinen Constables und Beefsteaks , und Sie sollen leben und leben immer mit uns , wie heute , Mr. Hughes . Der Toast wurde erwidert . Hughes trank auf die Einheit Deutschlands ; Reinhard ließ die deutschen Frauen leben , Erlau vor Allen die Schauspielerin , von der schon früher die Rede gewesen war , und Meier gab sich dem Treiben hin , wie ein Erwachsener , der mit Kindern spielt . Er nahm äußerlich Theil daran , während ihn im Innern offenbar ein anderer Gegenstand beschäftigte , und er in ein Hinträumen versank , aus dem Erlau's Ruf : Meier , die Deinen sollen leben ! ihn aufstörte . Schweigend und nur mit dem Kopfe nickend dankte dieser , und trank sein Glas aus . Damit war aber Erlau noch nicht zufrieden . Mein Gott ! Du unerträglich ernsthafter Doctor und Misanthrop , gibt es denn nichts mehr auf der Welt , was Dich aus Deiner philosophischen Philisterlaune herausreißen kann ? – Ich erschöpfe mich in hinreißender Geistreichheit , ich verschwende die beste Laune , den allerbesten Wein an Dir , und Du nimmst meine Liebenswürdigkeit , die doch heute ganz außerordentlich ist , hin , wie ein Bettler das tägliche Brot , ohne Freude und Genuß , und gießt den edlen Wein hinunter , gedankenlos , als gälte es , das harte tägliche Brot mit langweiligem Wasser hinabzuspülen . Ich werde irre an Dir , Doctor ! Was fehlt Dir , was denkst Du , was meinst Du ? Soll ein Gott vom Himmel steigen , um Dir zu beweisen , daß die Welt die beste ist , in der auf ödem Kalkfelsen dieser Göttertrank zu wachsen vermag ? in der auf allen Wegen die schönsten Blumen erblühen , und in manchen alten Häusern die hellsten Mädchenaugen blitzen ? Sünder , gehe in Dich , und thue Buße , und rufe mit mir : Die Weiber sollen leben ! – und – ha ! nun hab' ich 's , was ihn wecken wird ; steht auf , ihr Weisen , und trinket mit mir ! Meier , Deine Schwester soll leben ! – Reinhard und Hughes standen auf , und der Letztere rief lebhaft : Ja ! das schöne Mädchen mit dem dunkeln Flammenblick soll leben und immer leben ! – Auch Reinhard , in dem noch mancher Widerhall seiner Studentenjahre nachtönte , erhob sein Glas , und bereitete sich , es gegen die andern Gläser klingen zu lassen , nur Meier blieb ruhig sitzen und sagte : Seit wann ist es Sitte , daß man bei Zechgelagen auf das Wohl unbescholtener Mädchen trinkt ? Ich werde es wenigstens nicht leiden , daß der Name meiner Schwester in meiner Gegenwart im Weinhause entweiht werde . Setzen Sie sich , meine Herren ! den Toast nehme ich nicht an . – Dieser ruhige , ernste Ton schien Erlau plötzlich abzukühlen , während er den Engländer in lebhafte Bewegung versetzte . Er ging rasch auf Meier zu , und rief : Verzeihen Sie mir , mein Herr ! aber Sie müssen mein Freund werden ! Wir Engländer haben sonst nicht das Herz auf der Zunge – aber Ihr Deutschen seid unsere Stammverwandten . Ihr wißt es , was sweet home und a blushing maid dem Herzen sein können – Sie wissen es vor Vielen gut , darum schlagen Sie ein , Doctor ! ich bin dessen nicht unwerth ! Meier that , wie Jener es verlangte , und that es gern , denn es lag so viel Ehrenhaftes in dem Gesicht des Fremden , daß es augenblicklich für ihn einnahm . Auch Reinhard schüttelte ihm die Hand und man trank auf die Dauer und das Gedeihen des neuen Bundes . Dadurch blieb Erlau allein stehen ; er goß zwei Gläser voll , nahm in jede Hand eins derselben und sprach in affectirter Traurigkeit : Auf das U folgt gleich das Weh , das ist die Ordnung im A B C – auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit von langer Weile , denn ich schwöre Euch ! die rechte , wahrhafte Ewigkeit wird erst recht langweilig sein . Auf jede liebenswürdige Sünde folgt bei Euch eine unausstehliche Bußfertigkeit . Anathema ! über das ausgeartete Geschlecht , das nicht begreift , wie man sündigt aus süßer , inniger Ueberzeugung ; dem nur en passant ein kleines , bornirtes Sündchen in den Weg kommt , und das nie jenes großartige Gebet des edlen Russen begriff und gläubig zu beten vermochte : Herr ! führe mich in Versuchung , damit ich unterliege ! – Hier stehe ich allein , ich fühle es , in einer verderbten Zeit , in der mich Niemand versteht , und so muß ich für mich allein den Toast ausbringen : Gott erhalte mich in meiner geliebten Sündhaftigkeit , worauf ich dies Glas ausleere – und hole der Teufel Eure verdammte Tugend , bei der man nicht an ein hübsches Mädchen denken und ihm Glück wünschen darf , ohne eine Ladung Moral und ein Fuder Gefühl in den Kauf zu bekommen . – Dabei leerte er das zweite Glas , und sagte verdrießlich , während die Andern herzlich lachten : und nun könnt Ihr Alle ruhig nach Hause gehen , nachdem Ihr mich mit Eurer abgeschmackten Sentimentalität um meine beste Laune gebracht habt . Geht nach Hause und schlaft wie die Ratten und träumt tugendhaft – ich werde noch nach dem Fenster der göttlichen Giovanolla wandeln , und sehen , ob dieser süße Strahl der Liebe , der , Gott sei Dank ! keine Heilige ist , noch über der Erde leuchtet , oder ob er sich schon hinter den Wolken des Schlummers verborgen hat , und mir erst morgen wieder als Stern und Sonne aufgehen will . – Beiläufig könnte ich dann diesen unsern Insulaner in das Haus seines Onkels geleiten , in sein sweet home , damit er uns nicht auf den Querstraßen des Lebens verloren gehe , und seine warme Seele nicht erstarre in kalter Winternacht . – Gute Nacht , liebe Söhne ! Gute Nacht , Meier – kommen Sie , Herr Hughes ! – Mit diesen Worten brach er auf und die Gesellschaft ging aus einander . Wo warst Du gestern , Eduard ? fragte Jenny Meier am nächsten Morgen ihren Bruder , als dieser in das Wohnzimmer seiner Eltern trat , in welchem die Familie frühstückend beisammen saß . Wir hatten Dich zum Thee erwartet , und Du kamst nicht ! Auch im Theater bist Du nicht gewesen ! Steinheim war bei mir , und unser Joseph , und wir plauderten eine Weile ; dann wollte ich mit ihnen hinauf kommen , und Eure Rückkehr aus dem Theater erwarten , wurde aber plötzlich in das Haus des Commerzienraths Horn gerufen , wo sich die Tochter den Fuß gebrochen hatte , als sie aus dem Theater kam . So gingen meine Gäste fort , und ich sprach nachher , als ich den Verband angelegt hatte und nach Hause gehen wollte , bei Gerhard ein , fand dort Bekannte , und blieb noch eine Stunde sitzen ! Mein Gott ! rief die Mutter , hat sich das schöne Mädchen schwer beschädigt ? Du hörst es ja , antwortete der Vater , sie hat den Fuß gebrochen , und ein schwerer Fall , ein ganz verzweifelter muß es wohl sein , wenn der alte Horn sich entschloß , gerade Eduard rufen zu lassen . Das kannst Du nicht behaupten , lieber Mann ! Eduard ist doch , obgleich einer der jüngern Mediciner , in den ersten Häusern der Stadt Hausarzt , sowohl bei Christen , als bei Juden ; und Du weißt selbst , wie ungemein zuvorkommend ihm überall begegnet wird , und wie sehr man für ihn eingenommen ist ! Ich weiß es wohl , und es freut mich , daß er sich diese Stellung errungen hat , aber eben so wohl weiß ich , daß es jener ganzen Clique gewiß die höchste Ueberwindung gekostet hat , den jüdischen Arzt in ihre engern Kreise zu ziehen . Sie entschuldigen sich vor sich selbst mit dem Nutzen , den er ihnen gewährt , und doch ! wer weiß , ob Eduard überall den gleichen Empfang fände , wenn er sich mit einer Jüdin verheirathete , und für seine Frau dieselben Rücksichten verlangte , als für sich ? Den einzelnen jungen Mann nehmen sie allenfalls gern auf . Eine Familie ? da würden sie vielleicht Bedenken haben . Das glaube ich nicht , sagte die Mutter , im Gegentheil , ich bin überzeugt , daß Eduard nur zu werben braucht , um eine Frau , aus welchem christlichen Hause er wollte , zu bekommen , und ich kann es nicht leugnen , daß ich nichts sehnlicher wünsche , als ihn recht bald eine solche Verbindung schließen zu sehen ! Der Vater lächelte , und Eduard erwiderte : Eine Verbindung der Art , liebe Mutter , werde ich nie eingehen , das weißt Du wohl . Ich werde mich niemals taufen lassen , und Deine ehrgeizigen Hoffnungen für mich , mit denen Du in der Zukunft eine große Laufbahn voll Ehrenstellen , Orden und Würden für mich erblickst , werden sich schwerlich jemals verwirklichen . Es sei denn , daß eine neue Zeit für uns heraufkäme . Die zu schaffen Du Dich berufen fühlst , mit Steinheim , Joseph und Andern , fiel Jenny ein . Ich bitte Dich Eduard , nur beim Frühstück verschone mich mit Politik , nur die eine Tasse Kaffee lasse mich ohne politische Zuthaten genießen . Vater ! verbiete ihm überhaupt , schon beim Frühstück vernünftig zu sein . Er hat ja dazu seine große Praxis , und den ganzen , langen Tag , der Morgen muß für uns sein . Der Vater gab scherzend den gewünschten Befehl und fragte , ob Eduard nicht wisse , wie man bei Horn's darauf gekommen sei , gerade ihn rufen zu lassen . Ihr Hausarzt , der alte Geheimrath , fand den Fall sehr bedenklich , berichtete der Sohn , that sehr ängstlich , und daher bestand das Fräulein selbst darauf , sich von ihm nicht den Verband anlegen zu lassen , und verlangte , man solle nach mir schicken . Wenigstens erzählte mir der Commerzienrath es so , ich weiß nicht , ob , um mir begreiflich zu machen , daß er selbst es nicht gethan hätte , oder um mir mitzutheilen , welch schmeichelhaftes Vertrauen die Tochter in mich setze . Ist sie so schön , als sie zu werden versprach ? Ich habe sie in der Schule gekannt , sagte Jenny ; aber spiele nicht den kalten , gefühllosen Arzt , der nichts sieht , als die Krankheit , fügte sie hinzu . Sie ist so schön , daß selbst der Kälteste sich an ihrem Anblick freuen muß , antwortete er ; dabei war sie so geduldig bei dem großen Schmerz , so liebenswürdig gegen die Umgebung , so dankbar gegen mich , daß ich ganz für sie eingenommen bin . Ich würde es sehr bedauern , wenn sie nicht völlig herzustellen wäre . Jenny war ganz glücklich , den Bruder so erwärmt zu sehen , und meinte , die Kranke könne sich glücklich schätzen , die werde gewiß sorgsamer und besser als manche Königin behandelt werden , aber Eduard möge sich bei der Kur nicht zu sehr anstrengen , damit er sich nicht etwa selbst eine Herzkrankheit zuziehe , die leicht unheilbar sein könnte . Nun kam auch Joseph Meier , der Neffe , welcher ebenfalls im Hause wohnte , dazu . Er war fast in gleichem Alter mit Eduard , doch ließ sein düsteres Wesen ihn älter erscheinen als er war . Er hatte ein kluges Aeußere , ohne hübsch zu sein , weil er sehr unregelmäßige Züge hatte , und gewöhnlich etwas mürrisch aussah . Nur selten flog ein Lächeln über das markirte Gesicht und verbreitete ein mildes Licht über die Augen , die eigentlich höchst gutmüthig waren , aber fast immer brütend zur Erde blickten . Joseph und Eduard waren von Kindheit an die besten Freunde gewesen , und hatten , einander gegenseitig ergänzend , sich zu dem gebildet , was sie geworden waren , zu tüchtigen Menschen , Jeder in seiner Art . Nur fehlte Joseph das liebenswürdige Wesen , der schöne ungezwungene Anstand , die Eduards Erscheinung so angenehm machten ; und vor Allem hatte dieser eine angeborene Beredsamkeit , während Joseph in den meisten Fällen nur kurz und abgebrochen sprach . Natürlich wurde bei Josephs Ankunft das eben Mitgetheilte wiederholt und nochmals besprochen . Er ließ sich das Ganze ruhig erzählen , und sagte dann mit seinem gewöhnlichen sonderbaren Lächeln : O ja , so sind sie , wenn sie Dich brauchen , können sie recht liebenswürdig sein . – Aber höre doch einmal , wie sie von Dir reden , wenn sie unter sich sind . – Frage einmal , ob sie Dich für ebenbürtig halten ? Diese Aeußerung , eben jetzt ausgesprochen , wo man in so guter Laune war , verstimmte die Uebrigen sichtlich . Jenny , die das düstere Wesen des Vetters nicht liebte , war die Erste , die ihren Verdruß äußerte , indem sie ihm den Caffee mit den Worten reichte : Da ! Du Störenfried ! trinke nur , damit Du nicht brummen kannst . – Auch Madame Meier schien unzufrieden . Der Vater fing an , die Zeitungen zu lesen , die Joseph mitgebracht hatte , und nur der Doctor plauderte noch eine Weile mit ihm fort ; dann entfernten sich die drei Männer , um an ihre Geschäfte zu gehen , und nur Mutter und Tochter blieben zurück . Joseph wird doch von Tag zu Tag unerträglicher , sagte die Letztere , er wird immer finsterer , immer abstoßender , und ich freue mich auf kein Fest , auf nichts mehr , sobald er dabei ist , weil ich weiß , daß er mir jede Freude stört . Und doch glaube ich , wandte die Mutter ein , daß es kaum ein reicheres , edleres Herz gibt , als das seine . Ich wüßte Niemand , der so freudig Alles für seine Geliebten zu opfern bereit wäre , Niemand , der es mit mehr Anspruchslosigkeit thäte als er . Auch achten wir Alle ihn von Herzen , haben ihn sehr lieb , und es thut mir leid , daß Du Dich nicht in seine Eigenheiten schicken kannst . Können ? mein Gott ! können würde ich es schon , aber ich will es gar nicht . Das ist es eben , was mich betrübt , mein Kind ! – Dies ewige ich will und ich will nicht , dies unfügsame in Deinem Wesen , das ist es , was mich über Dich besorgt macht . Als Du geboren wurdest , und ich Dich auf meinem Schooße heranwachsen sah , habe ich oft zu Gott gebetet , er möge alles Unheil von Dir abwenden . Bisher ist mein Gebet auf fast wunderbare Weise erhört worden , und doch sehe ich es mit Schmerz , daß wir Menschen Gott eigentlich um nichts bitten dürfen , weil wir nicht wissen , was uns frommt . So hättest Du mir also lieber Unglück wünschen sollen ? fragte die Tochter lächelnd . Zu Deinem wahren Heile wäre es vielleicht besser gewesen . Ich schloß von meinem Herzen auf das Deine , und darin irrte ich . In Dir ist der Charakter Deines Vaters , der feste , starke Sinn , und Eduards Einfluß hat diese Charakter-Richtung in Dir noch mehr ausgebildet . Vom Glück verzogen , von uns Allen mit der nachgiebigsten Liebe behandelt , hast Du es nie gelernt , Dich in den Willen eines Andern zu fügen ; was man an Dir als Eigensinn hätte tadeln sollen , das haben Vater und Bruder als Charakterfestigkeit gelobt , und ich begreife , daß Dir Joseph zuwider ist , weil er allein Dir entschieden und mit Nachdruck entgegentritt . Trotzdem weiß ich , daß er Dich mehr liebt , als Viele , die Dir schmeicheln . Bei den Worten reichte die milde Frau der Tochter die Hand . Diese nahm sie , drückte einen Kuß darauf , und saß eine Weile schweigend bei ihrer Arbeit . Man sah es ihrem lieblichen Gesichte an , daß irgend ein Entschluß , ein Gedanke sie beschäftigte ; auch legte sie plötzlich die Arbeit bei Seite , sah ganz ruhig die Mutter an und sagte mit einer Stimme , der man nicht das Geringste von der Bewegung anmerkte , die ihre Züge verriethen : Mutter ! den Joseph heirathe ich niemals . Niemals , Mutter ! – Sage ihm das , und auch dem Vater . Ich weiß , daß Ihr es wünschet , daß Joseph es erwartet und mich nur erzieht , um eine gute Frau an mir zu haben ; die Mühe aber kann er sparen . Sieh , fuhr sie fort , und ihre Fassung verlor sich mehr und mehr , so daß sie zuletzt bitterlich weinte , sieh , gute Mutter ! was Dein Beispiel , Deine Geduld , und Vater und Eduard , die ich so lieb habe , nicht über mich vermochten , das kann Joseph , den ich gar nicht liebe , gewiß nicht von mir erlangen . Ihr sagt oft , ich sei noch ein Kind , ich werde erst in einigen Wochen siebzehn Jahre , aber solch ein Kind bin ich nicht mehr , daß des Cousins rauhe , befehlende Art mich nicht verletzte . Andere haben mich auch getadelt , aber sie verlangen nicht das Unmögliche von mir . Dort die große , hohe Pappel im Garten biegt der Wind hin und her , und meinen kleinen , stacheligen Cactus hat er gestern mitten durchgebrochen , weil er sich nicht beugen konnte . So ist mein Herz ! Es mag Euch starr , rauh und häßlich erscheinen , aber es kann , so hoffe ich , Blüthen tragen , die Euch freuen . Man kann mein Herz brechen , aber es niemals zu schwächlichem Nachgeben , zu schwankender Gesinnung überreden – und das schwöre ich Dir , lieber will ich sterben , als Joseph's Frau werden . Laut schluchzend warf sie sich vor die Mutter nieder und barg das Gesicht in ihren Schooß . Erschreckt über so viel unerwartete Leidenschaftlichkeit schlang die besorgte Mutter die Arme um das geliebte Kind und versuchte auf alle Weise es zu beruhigen . Sie versicherte Jenny , daß sie allerdings glaube , der Vater würde ihre Verbindung mit Joseph gern sehen , doch sei es ihm nie in den Sinn gekommen , jemals ihrer Neigung Zwang anzuthun . Sie solle selbst über ihre Zukunft entscheiden ; sie wisse ja , daß die Eltern keinen andern Wunsch hätten , als das Glück ihrer Kinder – aber Alles war vergeblich . Jenny konnte nicht zur Ruhe kommen , und die Mutter sah an der Leidenschaftlichkeit , die so plötzlich , so anscheinend grundlos hervorgebrochen war , daß wohl schon lange ein andres stilles Feuer in Jenny's Seele geglüht haben mochte . Wer dieses Feuer aber angefacht , das wußte sie nicht zu errathen . Sie konnte sich nicht erinnern , daß irgend einer der jungen Männer , die in ihr Haus eingeführt waren und Jenny auf jede Weise huldigten , einen besonderen Eindruck auf diese gemacht hätte . Sie sann und sann , während die Tochter noch ganz erhitzt und aufgeregt wieder an den Nähtisch zurückgekehrt war , und sich emsiger als sonst mit einer Arbeit beschäftigte , die gar nicht so großer Eile bedurfte . Sie wurde aber allmälig ruhiger dadurch , und hatte sich äußerlich bereits gesammelt , als man den Doctor Steinheim meldete . Einen Augenblick schwankte die Mutter , der in dieser Stimmung jeder Besuch unwillkommen war , ob sie ihn annehmen solle , oder nicht , dann entschied sie sich dafür , weil sie hoffte , Steinheim's Lebhaftigkeit werde Jenny auf angenehme Weise zerstreuen . Als er darauf nach wenig Minuten in das Zimmer trat , wurde er von beiden Damen wie ein alter Bekannter behandelt . Er mochte siebenundzwanzig bis achtundzwanzig Jahre alt sein , hatte eine große , kräftige Figur und einen vollblütigen , rothbraunen Teint . Sein krauses schwarzes Haar , die dunkeln Augen und der starke bläuliche Bart konnten ebenso gut dem Südländer als dem Juden gehören , und machten , daß er von vielen Leuten für einen schönen Mann gehalten wurde , während Andere die Kohlschwarzen Augen starr und unheimlich , die Schultern hoch , den starken Hals zu kurz und Hände und Füße so groß fanden , daß dieses Alles ihm jeden Anspruch auf wirkliche Schönheit unmöglich mache . Er selbst schien indessen gar nicht dieser Meinung zu sein , das bewies die sehr studirte Toilette , die aber trotz ihrer gesuchten Eleganz des Geschmacks ermangelte . Er trug an jenem Morgen einen kurzen dunkelgrünen Ueberrock , zu dem eine ebenfalls grüne Atlasweste und mehr noch ein dunkelrother türkischer Shawl sonderbar abstachen , den er unter der Weste kreuzweise über die Brust gelegt und mit einer großen Brillantnadel zusammengesteckt hatte . Handschuhe , Stiefel und Frisur waren nach der modernsten Weise gewählt , aber all das stand ihm , als ob er es eben wie eine Verkleidung angelegt hätte . Es war für den feinen Beobachter etwas Unharmonisches in der ganzen Erscheinung , das störend auffiel . Ich bitte tausendmal um Vergebung , sagte er , daß ich in diesem Morgenanzug vor Ihnen erscheine , aber ich bin so durchweg erkältet , meine Nerven sind so abgespannt , mein Wunsch , Sie zu sehen , war so groß , daß ich dachte , die Damen entschuldigen Dich wohl . Es ist allerdings eine Verwegenheit – aber : » ich kann nicht lange prüfen oder wählen , bedürft Ihr meiner zu bestimmter That , dann ruft den Tell ! Es soll an mir nicht fehlen . « Mein Gott ! Herr Doctor ! geht es so bergab mit Ihnen , daß Sie von dem göttlichen Shakespeare , dem erhabenen Calderon und dem heiligen Schmerzenssohne unserer Zeit , dem unvergleichlichen Byron , schon zu unserm armen Schiller zurückkehren müssen ? Sie haben also in den letzten Tagen wohl gar zu viele Citate verbraucht ? fragte Jenny spottend , und – Jenny ! ' rief die Mutter mit mißbilligendem Tone . – Aber Steinheim ließ sich nicht stören , er ging zu Jenny und sprach : » Mit Ihnen , Herzogin , hab' ich des Streits auf immer mich begeben , « und Sie werden auch nicht mehr streiten wollen , meine schöne kleine Feindin ! wenn ich Ihnen sage , daß ich als der Verkünder sehr interessanter Nachrichten komme . Erstens ist Erlau entzückt über den Vorschlag Ihrer Frau Mutter , hier am Sylvesterabend Tableaux darzustellen , zweitens – nun rathen Sie – hat man heute Herrn Salomon , einen jüdischen Kaufmann , zu einem städtischen Amte erwählt . Das Letztere ist mir ungemein gleichgültig , rief Jenny , aber für die erste Nachricht bin ich Ihnen sehr dankbar , und sie macht mir großes Vergnügen . Weiß es Eduard schon ? Was denn ? Daß der Kaufmann Salomon gewählt ist ? – fragte Jenny . Also sehen Sie , sehen Sie , es ist Ihnen doch nicht so gleichgültig , als Sie behaupten , und wie könnte es auch . Wen sollte es nicht freuen , wenn alte barbarische Vorurtheile allmälig vor der gesunden Vernunft und der Gerechtigkeit weichen müssen ; wenn ein Volk , das Jahrhunderte hindurch mit Füßen getreten wurde , endlich allmälig die Rechte erlangt , an die es dieselben Ansprüche hat , als die andern Bürger des Staates , wenn .... A propos ! was ist gestern bei Horn's vorgefallen , man ließ ja Eduard noch so spät holen ? sagte Steinheim , der oft von dem Hundertsten , wie man sagt , auf das Tausendste kam . – Ich höre , die Clara Horn hat den Fuß gebrochen ; Erlau sagte es mir , der mich , das fällt mir eben ein , bei der Giovanolla erwartet ! Wie hat sie Ihnen gestern gefallen , die Giovanolla ? Sie gehen doch morgen wieder hin ? – Das Alles fragte er so durcheinander , daß es nicht möglich war , irgend eine der Fragen zu beantworten ; dann wandte er sich , Abschied nehmend an Madame Meier , rieth Jenny nochmals , das Theater nicht zu versäumen , und empfahl sich mit den Worten : » So süß ist Trennungswehe , ich sagte wohl Adieu , bis ich den Morgen sähe . « Mutter und Tochter sahen ihm lächelnd nach . Ehe wir in der Erzählung fortfahren , müssen wir aber einen Rückblick auf den Lebensweg der Personen werfen , von denen diese Blätter handeln sollen . Die Familie Meier galt bei Allen , die sie kannten , für eine der glücklichsten . Der Vater hatte ein hübsches Vermögen , das er von seinen Eltern ererbt , durch Thätigkeit und kluge Berechnung in einen großen Reichthum verwandelt , dessen er bei seiner Bildung auf würdige Weise zu genießen wußte , und von dem er dem Dürftigen gern und reichlich mittheilte . Aus Neigung hatte er sich früh mit seiner Frau , einem schönen und guten Mädchen , verheirathet , die ihm mit immer gleicher Liebe zur Seite gestanden , und ihm zwei Kinder , Eduard und Jenny , geboren hatte . In seiner Frau , und mit ihr in diesen beiden Kindern , hatte Meier Trost und Ersatz gefunden , wenn Welt und Menschen ihren Haß und ihre Unduldsamkeit gegen den Juden bewiesen , wenn man ihn ausgeschlossen hatte von Gemeinschaften , ihm Rechte verweigert , deren Gewährung jeder Mann von Ehre zu fordern hat . Die Thätigkeit , Wirksamkeit und Liebe , denen einer großen Gesammtheit zu nutzen nicht vergönnt war , waren lange Zeit hindurch Eduard's alleiniger Segen geworden , da er mehr als zehn Jahre älter war als seine Schwester . Man wundert sich oft , daß die Juden noch immer die Geburt eines Messias erwarten und die göttliche Sendung Jesu weder anerkennen noch begreifen . Aber von ihrem Standpunkte aus muß das ganz natürlich scheinen . Wie sollten sie an eine Lehre glauben , deren mißverstandene Grundsätze ihnen bis auf den heutigen Tag die blutigsten , widersinnigsten Verfolgungen zugezogen haben ? wie an einen Erlöser , der sie bis jetzt nicht von Schmach und Unterdrückung erlöset hat ? Von der Liebe , die Jesus der Menschheit gepredigt , haben die Juden bei den Christen seit jener Zeit wenig zu bemerken Gelegenheit gehabt . Sir haben in der That noch keinen Messias gefunden . Welch ein Wunder also , wenn sie ihn um so sehnlicher erwarten , je mehr sie der Befreiung und Erlösung sich werth fühlen ; wenn jeder Vater bei der Geburt eines Sohnes freudig hofft , dies könne der Erlöser seines Volkes werden , und wenn er den Knaben so erziehen möchte , daß der Mann reif werde für den großen Zweck . So war auch Eduard's Erziehung in jeder Beziehung sorgfältig geleitet worden . Sie sollte ihn zu einem Menschen heranbilden , der in sich Ersatz für die Entbehrungen finden könnte , welche das Leben ihm auferlegen würde , und sollte ihn anderseits fähig machen , die Verhältnisse zu besiegen , und sich wo möglich eine Stellung zu verschaffen , die ihn der Entbehrungen überheben und alle Vorurtheile besiegen könne . Glücklicherweise kamen Eduard's Fähigkeiten dem Wunsche seiner Eltern entgegen . Eine starke Fassungsgabe und eine große Regsamkeit des Geistes machten , daß er die meisten seiner Mitschüler überflügelte , und erwarben ihm ebenso sehr die Gunst der Lehrer , als eine gewisse Herrschaft über seine Gefährten . Von Liebe und Wohlwollen überall umgeben , schien sein Charakter eine große Offenheit zu gewinnen , und er galt für einen fröhlichen , sorglosen Knaben , bis einst in der Schule der Sohn einer gräflichen Familie , mit dem er sich knabenhaft in Riesenplanen für die Zukunft verlor , bedauernd gegen ihn äußerte : Armer Meier , Dir hilft ja all Dein Lernen Nichts , Du kannst ja doch nichts werden , weil Du nur ein Jude bist . Von dieser Stunde ab war der Knabe wie verwandelt . Er erkundigte sich eifrig nach den Verhältnissen der Juden , er fühlte sich gedrückt und gekränkt durch sie , und nur sein angeborner Stolz verhinderte ihn , sich gedemüthigt zu fühlen ; doch entwickelte sich durch das Nachdenken über diesen Gegenstand bei ihm sehr früh der Begriff von jenen Rechten des Menschen , die Alle in gleichem Grade geltend zu machen vermögen , das Bewußtsein innern Werthes , und ein Zorn gegen jede Art von Unterdrückung . Je älter er wurde , und je mehr er erkennen lernte , welche Vorzüge ihm schon bei seiner Geburt , durch die Aussicht auf eine glänzende Unabhängigkeit zu Theil geworden waren , je bestimmter er einsah , zu welchen Ansprüchen ihn seine Fähigkeiten einst berechtigen dürften , um so mehr empörte sich sein Herz gegen ein Vorurtheil , das alle seine Hoffnungen unerbittlich vernichtete . Grade in der Zeit von Eduard's Kindheit war wieder eine neue Judenverfolgung durch ganz Deutschland gegangen und die allgemeine Stimmung hatte sich natürlich auch in der Schule sichtbar gemacht , die Eduard besuchte . Spott und Kränkungen mancher Art waren nicht ausgeblieben ; man hatte wohl gehofft , der feige Judenjunge werde Alles ruhig dulden . Darin hatte man sich aber geirrt . Eduard's Charakter war furchtlos , und er erlangte durch Uebung bald eine Gewandtheit und Entschlossenheit , die Jeder sich anzueignen vermag . Er lernte fechten , reiten , schwimmen , und nachdem er sich ein paar Mal mit starker Hand selbst sein Recht verschafft hatte , fand er Ruhe , und endlich auch wieder seine frühere überlegene Stellung zu seinen Gefährten wieder . Hatte der Jüngling früher in einzelnen Momenten dem Gedanken Raum gegeben , sich von dem Judenthume loszusagen und christ zu werden , so verschwand der Plan plötzlich bei dem Anblick der Rohheiten , die er als Knabe selbst von sogenannten gebildeten Christen gegen seine Glaubensgenossen ausüben sehen . Er konnte sich nicht denken , daß das Recht und die Wahrheit sich auf einer Seite befänden , die so zu handeln im Stande war , und Verfolgung machte auch ihn , wie tausend Andere zu allen Zeiten , nur fester seinem Volke angehörig . Er hatte sich aber in jener Zeit gewöhnt , sich in der Opposition zu empfinden und das Gefühl verließ ihn nie wieder , weil er beständig in Verhältnissen lebte , die dazu gemacht waren , seine Opposition hervorzurufen . Da Eduard keine Neigung für den Kaufmannsstand hegte , beschlossen seine Eltern , ihn studiren zu lassen , wobei ihm freilich nur die Wahl blieb , Mediziner zu werden , oder nach beendigten Studien in irgend einem andern Fache als Privatgelehrter zu arbeiten , da ihm der Eintritt in eine Staatsstelle ebenso wie die Erlangung eines Lehrstuhles als Jude unmöglich waren . Er entschied sich für das Erstere und verließ das Vaterhaus , um die Universität zu beziehen . Glücklicherweise herrschte damals auf den Hochschulen ein freier akademischer Geist , und die neuen Verhältnisse übten auf Eduard einen guten Einfluß aus . Hier galt er selbst , sein eigenstes Wesen , ohne daß ihn Jemand fragte , wer bist Du ? und was glaubst Du ? Sein Geist , seine körperliche Gewandtheit erwarben ihm die Achtung seiner Genossen , sein Fleiß , das Wohlwollen der Lehrer , und die Bereitwilligkeit , mit der sein reichlich gefüllter Beutel Allen offen stand , die Sorglosigkeit und Genußfähigkeit , die er zu jedem Feste brachte , machten ihn bald zum Lieblinge der ganzen Burschenschaft , der er sich mit jugendlicher Begeisterung angeschlossen hatte . Die Idee der Freiheit und Sittlichkeit , die jenem Bunde ursprünglich zum Grunde lag , berührte die zartesten Seiten seiner Seele , und kam seiner ganzen Richtung entgegen . Er fühlte sich gehoben als Glied eines schönen Ganzen , das harmonisch aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt war , frei in einem Verbande , in dem Alle gleiche Rechte genossen . Unter den Jünglingen , die sich an ihn angeschlossen hatten , und deren Freundschaft ihn beglückte , war Reinhard ihm der liebste geworden . Er war der Sohn einer armen Predigerwittwe , die einer reichen Familie angehörte . Von seinen Verwandten unterstützt , hatte er die Schule besucht und kaum die Universität bezogen , als er erklärte , nun weiter keines Beistandes zu bedürfen , da er in sich die Kraft fühle , für seine Existenz selbst zu sorgen und hoffentlich auch seine Mutter ernähren zu können . Es hatte ihn seit Jahren schmerzlich gedrückt , von Andern abhängig zu sein , es hatte ihn gedemüthigt , seine Mutter von den Wohlthaten einer hochmüthigen Familie leben zu sehen , welche ihr niemals die Heirath mit einem armen bürgerlichen Candidaten vergeben wollen . Abhängigkeit irgend einer Art schien ihm die größte Schmach , weil sie ihm Kränkungen zugezogen , die er nie vergessen konnte , und nur zu leicht mußten er und Eduard sich verständigen , da Beide , wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen , sich in ihrem Ehrgefühle verletzt , in mancher Rücksicht von der Allgemeinheit ausgeschlossen empfunden hatten . Wenn Reinhard den halben Tag mit mühevollem Unterrichten zugebracht hatte , und mit unerschütterlichem Eifer seinen theologischen Studien nachgekommen war , erquickte ihn Abends der Frohsinn , der Geist und der Reichthum an Hoffnungen , mit denen Meier in die Zukunft sah . Im Anfang ihrer Bekanntschaft waren ihre religiösen Ueberzeugungen freilich oftmals zwischen ihnen zur Sprache gekommen , und ein Gegenstand lebhafter Erörterungen geworden . Meier konnte es nicht begreifen , wie man an einen Sohn Gottes , an seine Menschwerdung , an die Dreieinigkeit , an die wirkliche Anwesenheit Christi im Abendmahl zu glauben vermöge – ein Glaube , den Reinhard mit tiefer Ueberzeugung heilig hielt , und den zu lehren und zu predigen sein sehnlichster Wunsch war ; denn er gehörte zu jenen poetischen Naturen , die sich Alles , was sie ergreifen , zu einer Religion gestalten , und bei denen der Glaube an die Wunder ein wahrhaftes Bedürfniß ist . Später aber war davon niemals mehr die Rede zwischen ihnen gewesen , weil sie fühlten , daß der verschiedene Glaube sie Beide doch zu demselben Ziele leite , und ein äußeres Ereigniß war dazu gekommen , sie noch fester zu verbinden . Es war gegen die Zeit ihres Abgangs von der Universität gewesen , als die Regierung es für nöthig gefunden hatte , eine Untersuchung gegen die Burschenschaft einzuleiten . Meier und Reinhard waren nebst vielen Andern verhaftet , längere Zeit mit Verhören und Untersuchungen geplagt und erst nach einem halben Jahre freigesprochen worden . Meier hatte diese Zeit gezwungener Zurückgezogenheit benutzt , sich für sein Doctorexamen vorzubereiten , das er in den ersten Tagen der wiedererlangten Freiheit gemacht , und war dann in seine Vaterstadt zurückgekehrt , um dort seine Carriere zu beginnen . Zwar war er , wie es zu geschehen pflegte , noch eine geraume Zeit unter der sorgsamen Aufsicht der höhern Polizei geblieben , aber das hatte ihn in der Ausübung seiner medicinischen Praxis nicht gehindert , die er gleich mit dem glücklichsten Erfolge begann . Anfänglich waren es , wie gewöhnlich , nur die Armen gewesen , die seiner Hülfe begehrt und sie bei ihm gefunden hatten , doch das Gerücht von einigen glücklichen Kuren , von seiner Uneigennützigkeit und Menschenliebe , hatte sich schnell verbreitet , seine Praxis hatte angefangen , sich auch in den höhern Ständen auszudehnen , und sein Loos würde ein beneidenswerthes gewesen sein , wenn nicht aufs Neue die alten Vorurtheile gegen ihn geltend gemacht worden wären . Meier 's sehnlichster Wunsch war nämlich dahin gegangen , Vorsteher irgend einer bedeutenden klinischen Anstalt zu werden , um lehrend zu lernen und zu nützen . Auf eine solche Stelle an irgend einer Universität Deutschlands hatte er aber nicht rechnen können , und es war ihm also wünschenswerth geworden , wenigstens die Leitung einer Krankenanstalt zu erhalten . Als dann durch den Tod eines alten Arztes die Directorstelle eines Stadtlazareths freigeworden , hatte er nicht gezögert , sich darum zu bewerben , besonders da er einer günstigen Meinung im Publicum gewiß gewesen war . Die Vorstellungen der Armenvorsteher und mancher andern Leute hatten die betreffende Behörde auch wirklich dazu vermocht , den jungen geachteten Arzt , dessen Kenntnisse ihn ebenso sehr zu dieser Stelle empfahlen , als seine strenge Rechtlichkeit und seine reinen Sitten , zum Director zu wählen und bei der Regierung um seine Bestätigung einzukommen . Meier war auf dem Gipfel des Glückes gewesen , und in der Freude seines Herzens hatte er sich , nachdem er gewählt worden war , anheischig gemacht , auf das immerhin bedeutende Gehalt zu Gunsten der Lazarethkasse zu verzichten . Einige Wochen waren in frohen Erwartungen hingeschwunden , er hatte die Glückwünsche seiner Freunde empfangen und bereits daran gedacht , seine Wohnung im elterlichen Hause mit der neuen Amtswohnung zu vertauschen , als der Bescheid der Regierung angelangt war , welcher statt der erwarteten Bestätigung die Aufforderung enthalten , Meier möge zum Christenthume übertreten , da es ganz gegen die Ansichten der Regierung sei , einem Juden irgend eine Stelle anzuvertrauen . Vergebens waren seine Vorstellungen , wie der Glaube bei einer solchen Anstellung gar kein Hinderniß sein könne , wie diese Zurückweisung in den Gesetzen des Staates nirgends begründet sei – die Regierung war bei ihrem Entschlusse geblieben . Man hatte Meier einen unruhigen Kopf genannt ; seine Neider , an denen es dem Talentvollen , Glücklichen nie fehlt , hatten über die jüdische Anmaßung gelacht , die sich zu Würden dränge , für die sie nicht berufen sei , und dabei vergessen , daß die Behörden selbst den verspotteten Gegner durch ihre Wahl für den Würdigsten erklärt hatten . Auf das Empfindlichste gekränkt , hatte Meier schon damals sein Vaterland verlassen wollen ; doch die angeborene Liebe zu demselben und der Gedanke an seine Eltern hatten ihn davon zurückgehalten . Er war in der Heimath geblieben , und obgleich er das Unrecht , das ihm geschehen , niemals vergessen , oder es verschmerzen können , das schöne Feld für seine Thätigkeit verloren zu haben , hatten ihn die Anerkennung , die er fand , der ausgezeichnete Ruf , den er erwarb , endlich schadlos gehalten für die erfahrene Zurücksetzung . Bei seiner Rückkehr von der Universität hatte er Jenny als ein liebliches Kind von eilf Jahren wiedergefunden , das sich mit leidenschaftlicher Innigkeit an ihn hing , und für das er eine Zärtlichkeit fühlte , die ebenso viel von der Liebe eines Vaters , als eines Bruders besaß . Die Eltern hatten die Kleine niemals aus den Augen verloren , und jeden Wunsch des nachgebornen Lieblings mit zärtlicher Zuvorkommenheit erfüllt . Eduard war überrascht durch den Verstand und den schlagenden Witz des Kindes , er sah , daß ein lebhaftes , leidenschaftliches Mädchen aus demselben werden müsse , konnte sich es aber nicht verbergen , daß die übergroße Liebe seiner Eltern in Jenny eine Herrschsucht , einen Eigensinn entstehen gemacht hatten , dem bis jetzt nur durch seinen Vetter Joseph eine Schranke gesetzt worden war , der , im Meierschen Hause lebend , die Kleine mit seiner ernsten , rauhen Art tadelte und zurechtwies . Dafür hatte Jenny den Cousin schon damals nicht leiden mögen , und es dem Bruder unter vielen Thränen geklagt , wie garstig der Joseph sei , wie er ihr Alles zum Trotze thäte , und wie sie hoffe , in Eduard einen Beschützer gegen den unliebenswürdigen Cousin zu finden . Der junge Mann begriff bald , daß bei Jenny mit Strenge nichts auszurichten sei , und machte sich in der ersten Zeit seiner Anwesenheit selbst zu ihrem Lehrer und Erzieher . Sie lernte fast spielend , ja es schien oft , als läge das Verständniß aller Dinge in ihr , und man dürfe sie nur daran erinnern , um klar und deutlich in ihr Kenntnisse hervorzurufen , die man ihr erst mitzutheilen wünschte . Ebenso wahr und offen als Eduard , wuchs sie diesem von Tag zu Tag mehr ans Herz , und obgleich er gegen die Eltern oft beklagte , daß sich in Jenny zu viel Selbstgefühl und eine fast unweibliche Energie zeigten , obgleich er es Joseph zugestehen mußte , daß sich bei ihr die Eigenschaften des Geistes nur zu früh , die des Herzens aber scheinbar gar nicht entwickelten , so fiel es ihm doch schwer , als er nach zwei Jahren den Unterricht derselben aufgeben mußte , weil seine zunehmende Praxis ihm keine Zeit mehr dazu übrig ließ . Eduard drang deshalb darauf , man möge seine Schwester einer Privatschule anvertrauen , die von den Töchtern der angesehensten Familien besucht wurde . Er hoffte , der Umgang und das Zusammenleben mit Mädchen ihres Alters werde bei Jenny die Härten und Ecken , die ihr Charakter zu bekommen schien , am leichtesten vertilgen . Die Eltern folgten seinem Rathe und die neuen Verhältnisse machten in vielen Beziehungen einen günstigen Eindruck auf Jenny . Sie gewöhnte sich , ihrem Witze nicht so zügellos den Lauf zu lassen wie in dem elterlichen Hause , wo man ihre beißendsten Einfälle nur lachend getadelt hatte ; sie lernte es , sich in den Willen ihrer Mitschülerinnen zu fügen , dem Lehrer zu gehorchen , aber sie fing auch an , sich ihrer Fähigkeiten bewußt zu werden , welche sie in eine Klasse gebracht , in der alle Mädchen ihr im Alter um mehrere Jahre voraus waren . Von einem Umgange , wie Eduard ihn für sie gehofft hatte , war indessen nicht die Rede . Die halberwachsenen Mädchen dieser ersten Klasse mochten sich größtentheils mit dem bedeutend jüngern Kinde weder unterhalten , noch befreunden , das ihnen obenein von den Lehrern mitunter vorgezogen wurde . Andere , denen Jenny's lebhaftes , freimüthiges Wesen behagte , und die gern mit ihr zusammen waren , konnten von ihren Eltern nicht die Erlaubniß erhalten , die Tochter einer jüdischen Familie einzuladen oder zu besuchen , und zu diesen Letztern gehörte auch Clara Horn . Zwei Jahre älter als Jenny , hatte sie dieselbe unter ihre Vormundschaft genommen , ihr gerathen und geholfen , wenn das verzogene Mädchen sich in den strengen Schulzwang nicht zu finden gewußt , und dadurch ihr volles Vertrauen erworben . Ihr hatte Jenny in den Zwischenstunden von ihren Eltern , von ihrem Bruder , von allen ihren Freuden erzählt , und damit ihrer Beschützerin eine Vorliebe für die ganze Meiersche Familie eingeflößt . Wenn nun Clara nach solcher Mittheilung ihre kleine Freundin glücklich pries , und sie um die Eintracht ihrer Eltern und die Liebe ihres Bruders beneidete , da sie Beides entbehrte , wenn Jenny sie dringend bat , zu ihr zu kommen und das Alles mit ihr zu genießen , hatte Clara immer verlegen geantwortet , sie dürfe das nicht . Endlich hatte Jenny sie einmal beschworen , ihr den Grund zu sagen , warum sie nicht zu ihr kommen könne , da hatte Clara ihr mit Thränen erklärt , sie dürfe nicht , weil Jenny's Eltern Juden wären und ihre Eltern diesen Umgang niemals gestatten würden . Jenny wurde glühend roth , sprach aber kein Wort , und gab nur schweigend der weinenden Clara die Hand . Die nächsten Stunden saß sie so zerstreut da , daß weder Lehrer noch Mitschüler sie erkannten . Sie dachte über Clara's Worte nach , und es wurde ihr klar , wie sie allein und einsam in der Schule sei , wie keines von den ihr befreundeten Mädchen sie besuche , oder ihre Einladungen annähme , außer bei solchen Gelegenheiten , wo man die ganze Klasse einlud , und sie , ohne es zu auffallend zu machen , nicht zurücklassen konnte . Sie erinnerte sich der ewigen Frage , bei wem sie eingesegnet werden würde , und des Lächelns , wenn sie den Namen des jüdischen Predigers nannte . Es schien ihr unerträglich , künftig in diesem Kreise zu leben , und als sie nach Hause kam , warf sie sich weinend den Eltern in die Arme , flehentlich bittend , man möge sie aus der Schule fortnehmen . Alle Thränen , die sie in der Schule standhaft unterdrückt hatte , brachen nun gewaltsam hervor . Eduard kam dazu , und bei der Schilderung , die sie von ihrer Zurücksetzung und Ausgeschlossenheit machte , deren sie sich jetzt plötzlich bewußt geworden war , fühlten ihre Eltern und ihr Bruder nur zu lebhaft , daß sie auch dies geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der Welt zu schützen , ihm nicht die Leiden zu ersparen vermochten , die sie selbst empfunden hatten und nun wieder mit ihm erdulden mußten . Jenny länger in der Anstalt zu lassen , fiel Niemand ein , weil man das bei ihrem Charakter fast für unthunlich hielt und mit Recht fürchtete , daß ihre Fehler , die man zu bekämpfen wünschte , dort unter diesen Verhältnissen nur wachsen könnten . Man gab also den Besuch der Schule wieder auf , und Jenny sollte wieder zu Hause unterrichtet werden , wobei man aber die Aenderung machte , daß man ihr Therese Walter , die Tochter einer armen Beamtenwittwe , zur Gefährtin gab , die in der Nachbarschaft wohnte und mit der sie von früh auf bekannt gewesen war . Jenny hatte bis dahin für Therese keine besondere Zuneigung gefühlt . Jetzt , getrennt von der Schule , in welcher Umgang mit Mädchen ihr zum Bedürfniß geworden war , wurde Therese ihr Ersatz für diese Entbehrung , ja , ihr einziger Trost . Es bildete sich dadurch allmälig eine Freundschaft zwischen den beiden Mädchen , die sich sonst wohl niemals besonders nahe getreten wären , da Theresens mittelmäßige Anlagen , ihr ruhiges und stilles Wesen zu Jenny's Art und Weise nicht recht paßten , und sie derselben unterordneten , was aber freilich dazu beitrug , das Verhältniß zu befestigen . Als es nun nöthig wurde , einen Lehrer für die beiden , jetzt fast fünfzehnjährigen Mädchen zu wählen , schlug Eduard seinen Freund Reinhard dazu vor , der in sehr beschränkten Verhältnissen noch immer in der Universitätsstadt lebte , in welcher die Freunde einander begegnet waren . Reinhards Bemühungen , nach gemachtem Examen eine Pfarre zu bekommen , waren an dem Einwande gescheitert , den man gegen ihn wegen seiner burschenschaftlichen Verbindungen machte . Ein paar Jahre war er Hauslehrer gewesen , hatte die Stelle aber aufgegeben , weil sein Gehalt zwar für seine Bedürfnisse hinreichte , jedoch nicht groß genug war , seiner Mutter die Unterstützung zu gewähren , deren sie bedurfte . Seitdem hatte er durch Unterrichten und durch literarische Thätigkeit für sich und seine Mutter zu sorgen gesucht . Von Eduard Beistand anzunehmen , hatte er verweigert , und nur mit Vorsicht konnte derselbe ihm den Vorschlag machen , nach dessen Vaterstadt zu kommen , um den Unterricht der beiden Mädchen unter den vortheilhaften Bedingungen , die man ihm stellte , zu übernehmen . Eduard's Plan gelang . Er sah seinen Freund nach mehrjähriger Abwesenheit wieder , und fand in ihm mit großer Freude den alten treuen Gefährten , den er verlassen hatte ; doch war er im Denken und Fühlen mannigfach verändert . Ein düsterer Ernst hatte sich seiner bemächtigt . Die Armuth hatte ihn stolz , mißtrauisch und reizbar gemacht , und dadurch die Schönheit seines Charakters beeinträchtigt . Im höchsten Grade streng gegen sich selbst , wahr gegen seine Freunde , glühte er für Recht und Freiheit , hing er mit dem alten schwärmerischen Glauben dem Christenthume an , das ihm der Urquell der Wahrheit und der Liebe war . Der günstige Erfolg , den sein Unterricht im Meierschen Hause hatte , verschaffte ihm bald so viele Schüler , daß er den Aufforderungen , die in dieser Beziehung an ihn gemacht wurden , kaum genügen konnte , während sie ihm eine sorgenfreie Existenz bereiteten , da der Unterricht in der reichen Handelsstadt ganz anders als in dem kleinen Universitätsstädtchen bezahlt wurde . Er konnte seine Mutter zu sich nehmen , mit der er seine kleine freundliche Wohnung theilte , und die treffliche Frau wurde bald in vielen Familien , besonders aber im Meierschen Hause ebenso geachtet und geliebt , als Reinhard selbst . – Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigenthümlichen Eindruck gemacht . Weil Eduard ihn so hoch hielt , hatte sie im Voraus die günstigste Meinung für ihn gehegt , und als nun Reinhard in ihrem elterlichen Hause vorgestellt worden , hatten ihr sein Aeußeres und sein ganzes Wesen auf ungewohnte Weise Beachtung geboten . Weit über die gewöhnliche Größe , schlank und doch sehr kräftig gebaut , hatte er eine jener Gestalten , unter denen man sich die Ritter der deutschen Vorzeit zu denken pflegte . Hellbraunes , weiches Haar , und große blaue Augen , bei graden regelmäßigen Zügen , machten das Bild des Deutschen vollkommen , und ein Ausdruck von melancholischem Nachdenken gab ihm in Jenny's Augen noch höhere Schönheit . Er bewegte sich ungezwungen , sprach mit einer ruhigen Würde , für die er fast zu jung schien , doch ließen sich seine große Abgeschlossenheit , seine sichtbare Zurückhaltung nicht verkennen , die er selbst der Freundlichkeit entgegensetzte , mit der man ihn im Meierschen Hause empfing . Therese und Jenny , welche man ihm als seine künftigen Schülerinnen vorstellte , behandelte er mit einer Art Herablassung , die Therese nicht bemerkte , von der aber Jenny , durch die Huldigungen Steinheim's und Erlau's bereits verwöhnt , sich so betroffen fühlte , daß sie ganz gegen ihre sonstige Weise sich scheu zurückzog und weder durch Reinhard's Fragen , noch durch Eduard's und der Eltern Zureden in das Gespräch und aus ihrer Befangenheit gebracht werden konnte . Nach einigen Tagen hatte der Unterricht begonnen , und beide Theile waren sehr mit einander zufrieden gewesen . Reinhard fühlte sich durch die ursprüngliche Frische in Jenny's Geist angenehm überrascht , und die ruhige , stille Aufmerksamkeit Theresens machte ihm Freude . Was Jene plötzlich und schnell erfaßte , mußte diese sich erst sorgsam zurechtlegen und klar machen , dann aber blieb es ihr ein liebes , mühsam erworbenes Gut , dessen sie sich innig freute , während Jenny des neuen Besitzes nicht mehr achtete , wenn er ihr Eigenthum geworden war , und immer eifriger nach neuen Kenntnissen strebte . Diese unruhige Eile machte , daß sie sich ihres geistigen Reichthums kaum bewußt ward und sich und Andere damit in Verwunderung setzte , wenn sie gelegentlich veranlaßt wurde , ihn geltend zu machen . Für Reinhard war der Unterricht doppelt anziehend . Er hatte wenig in Gesellschaften gelebt , wenig mit Frauen verkehrt , und ihr eigenthümliches Gemüthsleben , die ganze innere Welt desselben , war ihm fremd . Mit erhöhter Begeisterung las er die deutschen Klassiker mit den Mädchen , wenn er Jenny , hingerissen durch die Schönheit der Dichtung , roth werden und ihr Auge in Thränen schwimmen sah . So hatte er ihnen einst das erhabene Gespräch zwischen Faust und Gretchen vorgetragen , das mit den Worten beginnt : » Versprich mir , Heinrich ! « und das schönste Glaubensbekenntniß eines hohen Geistes enthält . Reinhard selbst fühlte sich wie immer lebhaft davon ergriffen , und als Jenny bei den Versen : » Ich habe keinen Namen dafür ! Gefühl ist Alles . Name ist Schall und Rauch , umnebelnd Himmelsglut ! « weinend vor Wonne dem Lehrer beide Hände reichte , ihm zu danken , hatte er dieselben schnell und warm in die seinen geschlossen , obgleich er es einen Augenblick später schon bereute . In Folge dieser Stunde und eines dadurch entspringenden Gesprächs war Reinhard zu der Erkenntniß gekommen , daß Jenny , obgleich tief durchdrungen von dem Gefühl für Schönheit und Recht und von dem zartesten Gewissen , dennoch in seinem Sinne aller religiösen Begriffe entbehrte . Ihre Familie hatte sich von den jüdischen Ritualgesetzen losgesagt ; Jenny hatte daher von frühester Kindheit an sich gewöhnt , ebenso die Dogmen des Judenthums als die des Christenthums bezweifeln und verwerfen zu hören , und es war ihr nie eingefallen , daß es Naturen geben könne , denen der Glaube an eine positive geoffenbarte Religion Stütze und Bedürfniß sei . Ja , sie hatte ihn , wo ihr derselbe erschienen war , mitleidig wie eine geistige Schwäche betrachtet . Um so mehr mußte es sie befremden , daß Reinhard , vor dessen Geist und Charakter ihr Bruder so viel Verehrung hatte , daß ihr Lehrer , der ihr so werth geworden war , einen Glauben für den Mittelpunkt der Bildung hielt , den sie wie ein leeres Märchen , wie eine den wahren Kern verhüllende Allegorie zu betrachten gelernt hatte . Reinhard behauptete geradezu , daß ein weibliches Gemüth ohne festes Halten an Religion weder glücklich zu sein , noch glücklich zu machen vermöge . Absichtlich führte er deshalb die Unterhaltung mit seinen Schülerinnen häufig auf christlich-religiöse Gegenstände , so daß in seinem Unterricht Religion und Poesie Hand in Hand gingen , wodurch den Lehren des Christenthums ein leichter und gewinnender Einzug in Jenny's Seele bereitet wurde . Ihr und Reinhard unbewußt war aber mit dem neuen Glauben nur zu bald eine leidenschaftliche Liebe für den Lehrer desselben in des Mädchens Herzen entstanden , für den begeisterten jungen Mann , der ihr wie ein Apostel des Wahren und des Schönen gegenüberstand . Aus Liebe zu ihm zwang sie sich , die Zweifel zu unterdrücken , die immer wieder in ihrem Geiste gegen positive Religionen aufstiegen , und sich nur an die Morallehren zu halten , die dem Gläubigen in dem Christenthume geboten werden . Reinhard seinerseits hatte nicht eigentlich daran gedacht , seinem Glauben eine Proselytin zu gewinnen , diese Schwäche lag ihm fern , denn er ließ jeden Glauben gelten , weil er Geltung für den seinen forderte ; nur einem dringenden Mangel in dem Herzen seiner Schülerin hatte er abhelfen wollen . Er war überzeugt , daß der Glaube in Jenny den geistigen Hochmuth zerstören , ihr Wesen milder machen müsse , und war sehr erfreut , wirklich diese Resultate zu erblicken , ohne zu ahnen , daß ihre weichere Stimmung , die er für das Werk der Religion gehalten , nur eine Folge ihrer Liebe zu ihm war . Jenny fühlte das Bedürfniß , an einen Gott zu glauben , der das Gute jenseits lohne , weil ihr kein Erdenglück für Reinhard ausreichend schien ; sie wurde demüthiger , aber nicht im Hinblick auf Gott , sondern vor dem Geliebten ; und der Gedanke , ihre Liebe könne jemals ein Ende finden , oder durch den Tod aufhören , machte sie so unglücklich , daß ihr die Hoffnung auf Unsterblichkeit und ein ewiges Leben wie der einzige Trost dagegen erscheinen mußte . Den Eltern und Eduard blieb die vortheilhafte Veränderung in Jenny's Wesen nicht verborgen , und wenn Eduard , was häufig geschah , mit Reinhard über die Schwester sprach , so verfehlte er nicht , es dankend anzuerkennen , wie wohlthuend des Freundes Unterricht auf Jenny wirke . Nur Joseph schien die Meinung nicht zu theilen . Er wird eine schlechte Christin aus ihr machen , äußerte er gelegentlich , verweigerte es aber , sich näher darüber zu erklären , weil er ein Geheimniß nicht verrathen wollte , das ihn nur seine eifersüchtig wachende Liebe so früh hatte erkennen lassen . So war Jenny in das sechszehnte Jahr getreten . Ihr Aeußeres hatte sich schön entwickelt , ihre Liebe zu Reinhard war von Tag zu Tag gewachsen , und es konnte nicht fehlen , daß sie mit der Hingebung , die sie dem jungen Lehrer in den Stunden bewies , einen Eindruck auf ihn machen mußte , den er vergebens mit allen Waffen der Vernunft bekämpfte . Denn welche Hoffnungen konnte er für die Neigung hegen , die er für Jenny zu fühlen begann ? Selbst wenn die Eltern darin willigten , sie Christin werden zu lassen und sie ihm zur Frau zu geben , konnte er es wagen , das reiche , verwöhnte Mädchen in sein armes Haus zu führen ? – So eigensüchtig durfte er nicht sein ; und von den Unterstützungen ihres Vaters zu leben , zu wissen , daß seine Frau ihre behaglichen Verhältnisse nicht ihm allein verdanke , der Gedanke schien ihm , nach den Erfahrungen seiner Jugend , fast unerträglich . – Nach jeder Stunde nahm er sich vor , den Unterricht unter irgend einem Vorwande zu beendigen , um eine Liebe nicht tiefer in sich Wurzel fassen zu lassen , die kein Erfolg krönen konnte , die einmal aufgegangen , blitzesschnell und mächtig aufschoß , obwohl er sie mit festem Willen still in sich verschloß . Auch Jenny hielt sich scheu zurück . Aus Furcht , sich zu verrathen , ging sie , sobald der Unterricht vorüber , und ihre Familie oder Fremde zugegen waren , plötzlich aus ihrer Hingebung in eine fremdthuende Kälte über . Sie zeigte anscheinend für jeden Andern mehr Theilnahme als für Reinhard , und dieser blieb dann meistens an Theresens Seite , um im Gespräch mit ihr seine qualvolle Aufregung so gut als möglich zu verbergen . Besonders war es Erlau , welcher Reinhard's Eifersucht erregte . Mit ächtem Künstlerenthusiasmus bewunderte er Jenny's erblühende Schönheit , und seine frohe , kecke Laune half dem jungen Mädchen oft über ihre Befangenheit und über all ihre Verwirrung fort . Es that ihr wohl , wenn Erlau sie ganz begeistert lobte ; sie freute sich , wenn Reinhard es hörte , dessen scheinbare Gleichgültigkeit sie schmerzte , und während sie eifersüchtig auf Therese sich von dieser und von Reinhard fern hielt , suchte sie Erlau geflissentlich auf , der sich ohnehin gern in ihrer Nähe befand . In solchen Stimmungen ließ sie sich von Steinheim bisweilen zu lebhaften Unterhaltungen hinreißen , in denen der Witz die Hauptrolle spielte , und die oft in eine Art von Neckereien und Scherzen übergingen , an denen Reinhard , seiner ganzen Natur nach , keinen Antheil zu nehmen vermochte . Jenny wußte das wohl , aber sie vermochte nicht , dem Geliebten die unangenehme Empfindung zu ersparen . Je theilnahmsloser und ferner er sich davon hielt , jemehr überzeugte sich Jenny , daß sie ihm ganz gleichgültig sei , und um so weniger sollte er eine Ahnung von ihrer Liebe erhalten . Nur vor Reinhard's Mutter löste sich die Stimmung des jungen Mädchens zu seltener Weichheit auf . So oft die Pfarrerin das Meiersche Haus besuchte , verließ Jenny augenblicklich die ganze übrige Gesellschaft , um sich ausschließlich der Pfarrerin zu weihen . Jedes Wort , das diese sprach , war ihr werth ; stundenlang konnte sie ihr zuhören , wenn sie von der Kindheit ihres Sohnes erzählte , von den unzähligen Opfern , denen der Jüngling sich für sie unterzogen , von der immer gleichen Liebe , die der Mann ihr darbringe , und wie sie nichts sehnlicher wünsche , als den geliebten Sohn bald in Verhältnissen zu sehen , die es ihm möglich machten , an der Seite einer guten Frau das Glück zu finden , das Gott ihm gewiß gewähren müsse . Jede solche Erzählung diente nur dazu , Jenny's Liebe lebhafter anzufachen ; und je deutlicher das Bewußtsein derselben in ihr wurde , je bestimmter der Wunsch in ihr hervortrat , Reinhard anzugehören , um so unerträglicher mußten ihr die Bewerbungen Joseph's scheinen , die von den Wünschen ihrer Eltern unterstützt wurden . An einem der Abende , welche Jenny's Unterredung mit ihrer Mutter folgten , saßen Madame Meier , die Pfarrerin und Jenny in der Loge , welche ihr Vater für immer gemiethet hatte , um die berühmte Giovanolla zum ersten Male als Susanne im Figaro auftreten zu sehen . Der erste Act war vorüber , als Eduard mit Joseph und Hughes in der Loge erschien , den Letztern seiner Familie vorzustellen . Nach den ersten Worten flüchtiger Begrüßung fing man von der Oper , von der heutigen Aufführung , von der Sängerin , von dem Texte des Figaro , und endlich von Musik im Allgemeinen zu sprechen an . Eduard tadelte das abwechselnde Sprechen , und Singen in den Opern . Es muß Alles gesungen werden , sagte er , wenn es nicht einen sonderbaren Effect machen soll , daß Jemand im Momente höchster Aufregung sich plötzlich in der Rede unterbricht , ruhig ein paar Minuten wartet , bis die Einleitungstacte vorüber sind , und dann in demselben Affecte zu singen anfängt . Du hast Recht , fiel Joseph ein , erst lehre aber unsere Sänger so deutlich singen , daß man sie verstehen kann ! denn in hundert Fällen sind es die eingeschalteten Reden allein , aus denen man einigermaßen entnimmt , weßhalb die Leute auf der Bühne sich eigentlich ereifern . Dabei werden diese Zwischengespräche auch so unverzeihlich leicht behandelt , daß man sie nur mit Widerwillen hört , fügte Hughes hinzu . Ich muß dabei an einen der ersten Tenoristen Deutschlands denken , den ich einst in einer Residenz Ihres Vaterlandes hörte , und der , als er den Fra Diavolo in ganz erträglichem Deutsch gesungen hatte , beim Sprechen in ein so reines Schwäbisch verfiel , daß es den possenhaftesten Eindruck machte . Mich dünkt , wandte die Pfarrerin ein , als sei in der That bei der Musik das Wort die Nebensache , da Instrumentalmusik und namentlich die Töne der Orgel denselben Eindruck auf das Gefühl zu machen vermögen , als der Gesang . Das möchte ich nicht behaupten , meinte Joseph , mich langweilt jedes Instrumentalconcert , und zu einer Kirchenmusik zu gehen , würde mich keine Macht der Welt bewegen . Weil Du ein Verstandesmensch bist , rief Jenny aus , immer bereit , die Ansicht der Pfarrerin zu theilen und Joseph zu widersprechen , weil Du die Empfindung Anderer nicht kennst . Oh ! Deine Empfindungen und Gefühle z.B. kenne ich am Ende doch , warf Joseph neckend hin , aber mit einem Blick und einem Tone , der ihr das Blut zu Kopfe trieb . Einen Augenblick schwieg sie bestürzt , dann nahm sie sich zusammen , und sagte zu Hughes : Glauben Sie nicht auch , daß die Musik der Worte entbehren könne ? Insofern bestimmt , als man gewiß sang , ehe man daran dachte , den Gesang mit der Sprache zu verbinden . Mir scheint es aber , als ob Musik und Dichtung so nahe zu einander gehören , daß man kaum sagen darf , die Dichtung könne der Musik , oder diese der Dichtung entbehren . So vollkommen jede Kunst für sich allein zu bestehen und zu entzücken vermag , so gibt es doch gar viele Fälle , in denen erst beide zusammen , sich ergänzend , zu dem vollendeten Ganzen werden , das uns begeistert . Ich will doch lieber den Tasso ohne Musik hören , als den Figaro ohne Worte , lachte Joseph . Was das nur wieder für ein Streit ist , sagte Eduard , der bis dahin mit seiner Mutter gesprochen und an der Unterhaltung nicht Theil genommen hatte . Wie oft hast Du , Joseph , mit großem Vergnügen der Aufführung der Ouverture gerade des Figaro zweimal hintereinander zugehört . Merken Sie es sich aber , lieber Hughes , daß meine Schwester und mein Vetter es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen , einander zu widersprechen , wenn es irgend angeht . Jenny fürchtet , wir könnten sonst Mangel an Unterhaltung haben , und der Stoff würde ihr fehlen , unterbrach ihn Joseph , übrigens bin ich in der That nicht sehr empfänglich für Musik , obgleich ich sie recht gern habe . Du brauchst Dich dessen nicht zu rühmen , flüsterte Jenny dem Cousin ins Ohr , als in dem Augenblick die Introduction zum zweiten Acte begann : Who is not moved with rapture on sweet sounds , is fit for treason , stratagem and spoil , let him not be trusted . – Joseph war verletzt . Er verließ die Loge , die Uebrigen rückten leise die Stühle zurecht , um von dem Gesange der Sängerin nichts zu verlieren , und mit reinem , schönem Tone stimmte sie das » heilige Quelle meiner Triebe « an . Jenny bog sich einen Moment über die Brüstung der Loge hinaus , um sich nach ihren Bekannten umzusehen , und ihr erster Blick fiel auf Reinhard , dessen Augen sehnsüchtig an ihr hingen . Seit der letzten Stunde , seit einigen Tagen hatte sie ihn nicht gesehen , der es schwer genug über sich gewonnen hatte , sie zu meiden . Sie mußte wenigstens von ihm hören , von ihm sprechen , darum hatte seine Mutter die Einladung zum Theater erhalten . Als Madame Meier und Jenny vor der Thüre der Pfarrerin vorfuhren , hatte Jenny das Herz vor Freude bei dem Gedanken gebebt , nun werde Reinhard , wie er pflegte , die Mutter hinunter geleiten – aber er kam nicht . – Nur das Dienstmädchen leuchtete vor , und der Meiersche Diener half der Matrone in den Wagen . Auf die Frage von Madame Meier , ob Herr Reinhard heute das Theater nicht auch besuche , hatte seine Mutter erwidert , ihr Sohn sei von dringenden Arbeiten so sehr in Anspruch genommen , daß er durchaus zu Hause bleiben müsse , und ihre Bitte , sich heute einmal Ruhe zu gönnen und den Figaro zu hören , habe er entschieden abgelehnt . Damit war Jenny jede Hoffnung für den heutigen Abend genommen worden ; sie hatte sich aber schwer genug in den Gedanken gefunden , und konnte nun kaum einen Schrei freudiger Ueberraschung zurückhalten , als sie den Geliebten plötzlich vor sich sah , als das Bewußtsein in ihr auftauchte , er , der so unverwandt zu ihr emporblickte , könne nur ihretwegen gekommen sein . Und so war es in der That . Er hatte zu arbeiten versucht , aber das Bild der Geliebten war zwischen ihn und die Arbeit getreten . Er sah sie in glänzender Toilette , die sie liebte und in der sie so schön war . Er sah , wie das bleiche , feine Köpfchen , von langen dunkeln Locken beschattet , alle Blicke auf sich zog . – Es litt ihn nicht am Schreibtische . Unruhig schritt er im Zimmer umher ; er überlegte , daß Erlau , der Bewunderer der Giovanolla , daß Steinheim gewiß im Theater sein , daß Erlau vermuthlich jetzt in der Loge neben Jenny sitzen würde . Was die Liebe allein nicht vermocht hatte , das errang die Eifersucht : er griff rasch nach Hut und Mantel , und war eine Viertelstunde später im Theater . Erleichtert athmete er auf , als er die Männer nicht in ihrer Nähe bemerkte . Heute , nachdem er sie zwei Tage nicht gesehen , in denen er unaufhörlich an sie gedacht und die heißeste Sehnsucht empfunden hatte , heute schien sie ihm schöner und begehrenswerther , als je ! Aber Alles lag trennend zwischen ihm und ihr : Religion und Verhältnisse , und vor Allem ihre Kälte . Ja ! wenn er ihr mehr als nur ein Lehrer wäre , den sie hochhielt , wenn sie ein anderes Interesse für ihn hätte , wenn sie ihn liebte ! Mit diesen Gedanken hingen seine Augen an ihr , als ihr Blick ihn traf , und das selige Entzücken in ihren Zügen , die glühende Röthe , die ihr Gesicht urplötzlich überflogen , gaben ihm eine Antwort , die ihm das Herz aufwallen machte . Hunderte von Menschen waren jetzt zwischen ihm und der Geliebten , und das Geständniß , das er im Alleinsein ihr nie zu machen gewagt hatte , jetzt war es seinem Herzen entschlüpft ; die Zuversicht zu Jenny's Liebe , auf die er bisher nie gehofft , jetzt vor hundert Zeugen war sie ihm geworden . Das ist das Geheimniß der Liebe , daß sie zwei Herzen verbindet zu Einem , und diese absondert unter Tausenden ; daß das Gefühl der erwiderten Liebe nicht der Worte , kaum des Blickes bedarf , um sich deutlich zu machen . Es ist , als ob die Liebe wie ein flüchtiger Aether dem einen Herzen entströme , um das andere zu erfüllen und zu beleben . Aber nur das geliebte , geöffnete Herz empfindet das Lebenswehen , das für es ausgeströmt wird . Die Uebrigen berührt der Strom von Jenseits nicht , und sie athmen ruhig die kalte Erdenluft , ohne zu ahnen , wie schnell und leicht und freudig zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen . Reinhard und Jenny waren allein mit einander , mitten in dem menschenvollen Raume . Nur für sie allein sang die Gräfin , nur um ihren stillen Gefühlen Worte zu geben , und wie zum Schwure blickten sie sich ernst und heilig in die Augen , und wiederholten innerlich : » Laß mich sterben , Gott der Liebe , oder lindre meinen Schmerz . « Jenny , dem Kindesalter noch sehr nahe , wurde froh wie ein Kind , nachdem die Gewalt des ersten Eindruckes sich etwas vermindert hatte . Sie war glücklich in dem Bewußtsein , geliebt zu werden ; sie hätte es dem ganzen Publicum zurufen mögen : meinetwegen ist er in das Theater gekommen , und er liebt mich ! und doch hatte sie nicht den Muth , seiner Mutter zu sagen , daß er da sei , und daß sie ihn sähe . Ihr ganzes Gesicht lächelte schelmisch , als Cherubin kläglich fragte : » Sprecht , ist das Liebe , was hier so brennt ? « Reinhardt wandte kein Auge von der Geliebten , und ein ganzer Frühling von Glück und Wonne blühte in seinem Herzen auf , als Jenny bei der wiederholten Frage : » Sprecht , ist das Liebe , was hier so brennt ? « ihn muthwillig ansah , und ganz unmerklich für jeden Andern , ihm ein freundliches » Ja « mit den schönen Augen zunickte . Bald war das Finale des zweiten Actes mit seinem rauschenden Prestissimo vorüber . Reinhard verließ seinen Platz , und eilte , in die Nähe der Geliebten zu kommen . Es war ihm , als müsse er nun in Einem Worte alles Leiden und Hoffen der letzten Monate vor ihr enthüllen , als müsse er sie an seine Brust schließen und ihr danken für das Glück , das sie ihm in dieser Stunde gegeben . Er hätte das zarte Mädchen auf seinem Arm forttragen mögen , sich durchkämpfend durch eine Welt von Hindernissen , um das süße Kleinod ganz allein zu besitzen , um es an einen Ort zu bringen , wo kein begehrender Blick Diejenige träfe , die sein Ein und Alles war . Und als er die Thür der Loge geöffnet hatte , als Jenny sich umwendete , und er das Rauschen ihres seidenen Kleides hörte , da wußte er kein Wort zu sagen . Er sprach einige gleichgültige Dinge mit ihrer Mutter , hörte , wie seine Mutter sich freute , daß er noch so spät gekommen sei , und setzte sich schweigend neben Jenny nieder . Sie fühlte das Peinliche seiner Lage und auch sie war befangener , als jemals . Endlich brachte sie stockend die Worte hervor : Ich habe Herrn Reinhard schon beim Beginn des zweiten Actes gesehen . Und warum sagtest Du das nicht gleich ? fragte ihre Mutter . Ich dachte , ich wußte nicht , stotterte Jenny ganz verwirrt , bog sich zur Pfarrerin nieder , küßte ihr die Hand und bat , als ob sie ein Unrecht gut zu machen hätte : ach , sein Sie nicht böse ! Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine von Jenny's Launen , und gaben nicht weiter auf sie Acht , als abermals der Vorhang emporrollte und das Duett zwischen Susanna und dem Grafen ertönte . Für Reinhard sang der Graf nicht vergebens : » So lang' hab' ich geschmachtet , ohn ' Hoffnung Dich geliebt « ; er fühlte dabei die Trostlosigkeit der verflossenen Tage auf's Neue , und Jenny konnte sie in dem beredten Ausdruck seines Auges lesen , ohne daß sie ein Wort mit einander zu sprechen brauchten . Sie fühlte mit Reinhard , als die Musik aufjubelte , bei der Stelle : » So athm' ich denn in vollen Zügen der Liebe , der Liebe süßes Glück « , und Beide versanken mit dem Gefühle seliger Gewißheit in jene Träumereien , die wohl Jeder von uns gefühlt hat , wenn ein großes , heißersehntes Glück endlich von uns erreicht worden ist . Die Oper war zu Ende , ehe das junge Paar es vermuthete . Reinhard bot Madame Meier den Arm , während Jenny mit seiner Mutter ging . In der Vorhalle traf man Eduard mit Hughes und Erlau , und verabredete , daß er die beiden Herren zum Thee mitbringen solle , zu dem Madame Meier auch die Pfarrerin und Reinhard einlud . Der Letztere geleitete die Damen zu ihrem Wagen , stieg mit ihnen hinein , und als sie wenige Augenblicke darauf in das Portal des Meierschen Hauses einfuhren , als er Jenny die Hand zum Aussteigen bot , und diese kleine Hand in der seinen bebte , konnte er es sich nicht versagen , sie leise zu drücken und zu halten , während sie die ersten Stufen der Treppe hinaufstiegen . So hält man ein Vögelchen fest , das man eben gefangen hat , weil man sich des Besitzes bewußt werden will , weil man fürchtet , es könne uns entfliehen ; aber scheu und leicht , wie ein kleiner Vogel , machte Jenny ihre Hand frei , ging eilig die Treppe hinauf und in das Theezimmer , wohin Reinhard ihr folgte . Der Vater brachte den Abend außer dem Hause zu ; die Damen setzten sich also gleich an den Theetisch , und wenig Augenblicke später erschienen die erwarteten Herren . Nun , was sagen Sie heute zur Giovanolla ? fragte Erlau , sobald er Platz genommen hatte . Sie müssen gestehen , reizender , anmuthiger kann man nicht sein . Ich hätte nie geglaubt , daß es möglich sei , bei so großartiger Schönheit diesen Eindruck soubrettenhafter Koketterie zu machen , und sie hat sich heute in der Susanna als eine große Künstlerin gezeigt . Ich denke , erwiderte Madame Meier , so gar viel Kunst bedarf sie nicht , um sich so darzustellen , als sie ist . Im Gegentheil ! das ist ja die schwerste Aufgabe , sich selbst zu spielen ; aber diese hat sie nicht zu lösen gehabt , denn kokett ist die Giovanolla nicht . Wahrhaftig nicht ! rief er , als die Andern zu lachen anfingen . Sie weiß , daß sie ein Ideal von Schönheit ist , und besitzt Großmuth genug , sich den Augen der staunenden Mitwelt in all der Vollendung zeigen zu wollen , deren sie fähig ist . Ich mußte heute bei jeder ihrer Bewegungen meine Freude zurückhalten , um nicht fortwährend den Leuten zuzurufen , daß sie ein klassisches Modell vor Augen hätten . O ! ich habe im Geiste die wundervollsten Studien gemacht , und die Nachwelt soll sich noch am Bilde dieses Weibes erfreuen , wenn mein Talent mit meinem Willen gleichen Schritt hält . Während Du an die Nachwelt dachtest , sagte Eduard , überlegte ich , daß es wohl keine größere Thorheit gibt , als die Jugend an solchen Darstellungen Theil nehmen zu lassen , in denen die Sitten einer sittenlosen , verderbten Vorzeit so anmuthig und so einschmeichelnd dargestellt werden . Der Meinung bin ich auch , bekräftigte Reinhard . Ich will nicht leugnen , daß dieser Abend zu den schönsten meines Lebens gehört , so viel Freude hat er mir gebracht , und doch peinigte es mich , die Logen voll von jungen Damen zu sehen . Damit tadeln Sie mich , lieber Reinhard ! unterbrach ihn Jenny's Mutter . Sie wollen mir sagen , was Eduard schon mitunter äußerte , daß wir Mütter mit der Erziehung unserer Töchter nicht sorgfältig genug zu Werke gehen . Ich glaube aber , daß es dem reinen Sinn eines unverdorbenen Mädchens eigen ist , an einem schönen Bilde nur die Schönheit , und nicht gleich die Flecken und Fehler zu sehen , die es entstellen . Darum haben mein Mann und ich nie Bedenken getragen , unserer Tochter manches Buch in die Hände zu geben , sie an manchen Dingen Theil nehmen zu lassen , die man ihrem Alter sonst vorenthält . Gewiß ist das häusliche Beispiel und die innere Seelenbildung die Hauptsache bei weiblicher Erziehung , sagte Hughes . Sonst müßten ja in Frankreich , wo man die Mädchen bis zu ihrer Verheirathung in klösterlicher Einsamkeit hält , die Sitten besser sein , als bei uns in England und hier in Deutschland , wo man der Jugend viel größere Freiheit verstattet ; und gerade hier beweist doch die Erfahrung , daß die französische Zurückgezogenheit keine lobenswerthen Erfolge aufweist . Weil in Frankreich der ganze Zustand der Gesellschaft ein verderbter , ein aufgelöster ist ; weil die Bande der Ehe dort locker geworden sind , und das Haus , die Familie aufgehört haben , der Mittelpunkt zu sein , von dem Alles ausgeht . Was kann es nützen , ein Mädchen in den strengsten Grundsätzen zu erziehen , wenn der erste Schritt ins Leben ihr zeigt , daß weder ihre Eltern , noch ihr Gatte an diese Grundsätze glauben ; wenn sich das junge , liebebedürftige Herz verrathen sieht , vielleicht um einer Tänzerin willen , die nicht werth ist , der Schuldlosen die Schuhriemen zu lösen . Wenn dann das böse Beispiel dazu kommt , das die sogenannten modernen Romane und das Theater bieten , da braucht man sich freilich über die Erfolge in Frankreich nicht zu wundern , eiferte Eduard . Aber bei uns , mein Sohn ! wandte seine Mutter ein , ist doch der Zustand der Frauen und der Gesellschaft überhaupt ein ganz anderer . Deshalb scheint mir , Du übertreibest den Nachtheil , den Theater und dergleichen auf junge Gemüther ausübt , und wir Deutschen können unseren Töchtern ruhig diese Genüsse gewähren . Im Gegentheil , liebe Mutter ! weil bei uns der Mann sein Haus noch für den Tempel seines Glückes , die geliebte Frau für die Hohepriesterin desselben hält , weil er Ruhm , Ehre und Alles , was er ist und erwirbt , diesem Tempel und seiner Priesterin darbringt , weil sein Hoffen und Fürchten in diesen Kreis gebannt ist und er immer wieder dahin zurückkehrt , sobald das Leben mit seinen gebieterischen Forderungen ihn frei läßt ; darum haben wir deutschen Männer ein Recht , zu verlangen , daß auch kein unreiner Hauch die Seele eines Mädchens berühre , dem so viel geopfert wird . Und wie hoch , wie heilig ist uns das Mädchen , das wir lieben ! rief plötzlich Reinhard , der bis dahin schweigend zugehört hatte , als ob er aus tiefen Gedanken zu sich käme . Wenn ein Mädchen wüßte , wie schwer und heftig der Kampf ist , den der Mann zu kämpfen hat , ehe er willig und für immer auf seine Ungebundenheit verzichtet , ehe er seine Freiheit opfert ! Nur einem Wesen , das man mehr liebt als sich selbst , das man gleich einer Gottheit heilig hält , kann man so unterthan werden , als die Liebe es uns dem Weibe macht . Wer aber ertrüge den Gedanken , daß die Gottheit unsres Herzens unwürdigen Festen beiwohnt ? Wer wollte es ruhig ansehen , daß ihr Auge von unreinem Anblick berührt würde ? Ich könnte mein Leben daran setzen , der Geliebten eine solche Entweihung zu ersparen ; und ein Mädchen , das wahrhaft liebt , das die Liebe , die hingebende , die anbetende Liebe eines Mannes zu begreifen vermag , das in sich auch den Geliebten achtet , muß nothwendig und freiwillig Allem entsagen , was diesen und sie zugleich verletzt . Wer es gefühlt hat , wie wahre Liebe das Männerherz reinigt und veredelt , dem muß es wehe thun , wenn die Mädchen selber sich um den Nimbus bringen , den Sittenreinheit um sie hervorzaubert , und der sie unserm Herzen gerade so theuer macht . Er hatte noch nicht geendet , als sein Auge auf die neben ihm sitzende Jenny fiel , die sich hinter der dampfenden Samovare verbarg und vor Bewegung kaum den Thee zu bereiten vermochte . Er fühlte den bittern Tadel , den er unwillkürlich auch gegen die Geliebte ausgesprochen hatte ; er wollte einlenken , aber er vermochte es nicht , denn es war seine innerste Ueberzeugung gewesen , die er ausgesprochen hatte . So viel Glück ihm der heutige Abend im Theater gewährt , so weh that es ihm doch , daß ein so schlüpferiges , sittenloses Stück , so leichtfertige Gesänge , zum Boten seiner Liebe bei Jenny geworden waren . Das war der Unterschied zwischen ihm und ihr , daß sie , aufgezogen in den Begriffen der sogenannten großen Welt , trotz ihrer sittlichen Seele , das Gefühl für die Sittenlosigkeit mancher Verhältnisse verloren hatte , oder daß es nicht zum Bewußtsein in ihr gekommen war . Der Figaro , Don Juan und vieles Andere , waren ihr Dinge , an denen sie sich von Kindheit auf erfreut hatte , ohne an das Gute und Böse daran zu denken , und das war ein Zustand , in den weder Eduard noch Reinhard sich zu versetzen vermochten . Reinhard war bis zu seiner Universitätszeit in einem Landstädtchen in vollkommener Zurückgezogenheit erwachsen , und seinem Geiste mußten die Eindrücke , die er dann plötzlich in der Gesellschaft und durch das Theater empfing , ganz anders erscheinen , weil er sich der Empfindungen bewußt war , die dadurch in ihm hervorgerufen worden . Eduard hingegen war allmälig durch Nachdenken zu der Ansicht gekommen , die er vertheidigte , und die er , durch Verhältnisse , welche wir später darthun werden , angeregt , heute ungewöhnlich warm ausgesprochen hatte . Beide Männer ahnten nicht , mit welcher Verwunderung Madame Meier und die Pfarrerin den Ansichten ihrer Söhne zuhörten , und daß Beide tiefer in den Herzen derselben lasen , als es ihnen lieb sein mochte . Ebenso hatte Reinhard nicht bedacht , wie weh der armen Jenny sein Urtheil thun mußte , die sich in aller Unbefangenheit dem Genusse der Musik hingegeben hatte , und die eben heute diese Oper doppelt liebte , weil ihr während derselben die Ueberzeugung geworden war , daß Reinhard's Herz ihr angehöre . Der Pfarrerin war Jenny's Bewegung nicht entgangen ; sie sah den langen , flehenden Blick , den Reinhard auf sie richtete , nachdem er gesprochen ; sie sah , daß Jenny sich zu ihm neigte und ein paar Worte sprach , die ihren Sohn in das höchste Entzücken zu setzen schienen , denn sein Gesicht leuchtete vor Wonne , aber verstehen konnte sie diese leise gesprochenen Worte nicht . Ich werde nie wieder in den Figaro gehen , hatte Jenny zu Reinhard gesagt , und die Pfarrerin überlegte vergebens , weshalb der Ausdruck von Betrübniß auf dem schönen Gesichte des Mädchens trotz Reinhard's Freude nicht verschwinden wollte . Um der Unterhaltung , die für einige Augenblicke ins Stocken gekommen war , wieder fortzuhelfen , bemerkte die Pfarrerin : Mag man nun über die Moral des Figaro , die allerdings locker genug ist , noch so streng urtheilen , es ist nicht zu leugnen , daß die Dichtung Anmuth hat , der bezaubernden Composition gar nicht erst zu denken . Das macht sie um so gefährlicher , schaltete Hughes ein , wenn wir die Gefährlichkeitstheorie der beiden Herren überhaupt annehmen . Ich bitte Sie , mein Herr , lachte Erlau dazwischen , lassen Sie sich doch von den abgeschmackten Lehren nicht hinreißen . Was so ein Doctor , der längst ein begehrter Heirathscandidat ist , und so ein Candidat der Theologie , der längst Prediger sein möchte , unser Einem vorpredigen und aufdociren möchten , das ist ja deshalb Alles noch nicht wahr . Lassen Sie die Beiden doch lehren , was sie wollen ; ich behaupte dennoch , daß im Figaro , im Barbier , im Don Juan , in der ganz vergessenen , lieblichen Fanchon , etwas von der flüchtigen , zierlichen Leichtigkeit des vorigen Jahrhunderts liegt , die uns leider verloren gegangen ist . Von einer Leichtigkeit , sagte Eduard , die , in totale Verderbtheit ausgeartet , sinnlos forttänzelte zum Schaffot , trotz der warnenden Stimmen , an denen es nicht fehlte . Ja ! zum Schaffot , fuhr Erlau fort , auf dem die leichtfertigen Tänzerinnen mit einer Ruhe starben , mit einer Seelengröße , die einer Römerin würdig gewesen wäre . Die Prinzeß Elisabeth starb eben so ruhig als Arria , oder irgend eine andere Heldin Eurer gepriesenen , langweiligen Römerzeit ; und der ganze Unterschied ist der , daß die Französinnen liebenswürdig und glücklich waren , und Glückliche machten , während so eine antike Römerin , oder römische Antike in ihrem Frauengemache saß und tugendhaft war , und wollene Toga's webte . Da lobe ich mir die Französinnen ! Die alten Damen lachten , und Erlau fuhr dadurch ermuthigt fort : Sagt mir nur ehrlich , ist Einer von Euch halb so liebenswürdig , als der Graf Almaviva , oder Don Juan , oder Cherubin , oder der Abbé in Fanchon ? Du vielleicht , lieber Erlau ! sprach Eduard . Wollte Gott , ich wäre es . Ich strebe täglich , diese heitern Vorbilder einer fröhlichen Vorzeit zu erreichen , aber kommt man dazu ? Kaum hat man sich verliebt und schwelgt in Wonne , so erzählen sie von Actien zu einer Eisenbahn , oder von Entwürfen zu Kleinkinderschulen , in denen lauter Prüden und Pedanten erzogen werden sollen . Denkt man daran , sein Herz frei zu machen , um es bald wieder gefangen zu geben , so soll man einer Corporation zur Befreiung der Negersklaven oder zur Erleichterung der Hunde beitreten ; und kein Mensch denkt dabei , daß mich z.B. dies viel mehr ennuyirt , als es irgend einen Neger langweilt , Zuckerrohr zu tragen , oder einen Hund , seinen Karren zu ziehen . Es ist freilich nicht allen Menschen möglich , das Leben wie eine Lustpartie zu nehmen , und jedes höhere Interesse als lästiges Hinderniß zu verleugnen , erwiderte Reinhard , dem diese Scherze Erlau's besonders darum mißfielen , weil Jenny ein Wohlgefallen daran fand , das er nicht billigen konnte . Und wie soll man das Leben denn wohl anders nehmen ? fuhr der unerschöpfliche Erlau fort . Gott hat uns fraglos für die Freude geschaffen ; Gott will , daß wir uns freuen sollen , und daß Ihr mich neulich und heute wieder in meinem besten Vergnügen stört , ist eine wahre Todsünde . Was habt Ihr denn von dem ewigen Moralisiren ? Madame Meier und die Frau Pfarrerin hören so andächtig zu , daß ihnen der Thee eiskalt werden wird , und Fräulein Jenny sieht seit der abgeschmackten Unterhaltung so traurig aus , und ist so zerstreut , daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe , den schweren Aerger zu ertränken , den Ihr mir verursacht . – Liebes Fräulein , sprach er gegen Jenny gewandt , nur eine doppelte Portion Zucker als Ausgleich für den bittern Verdruß , den Ihr Bruder mir gemacht hat ! Die kleine Gesellschaft war in ein herzliches Lachen ausgebrochen , das Erlau's fröhliche Laune hervorgerufen hatte . Auch Jenny riß sich gewaltsam aus den Gedanken heraus , die heute zum ersten Male in ganz neuer Gestalt in ihr erwacht waren . Nur Reinhard blieb in tiefes Sinnen verloren , und sah , aufgelöst in Liebe , zu Jenny hin , die sich eben anschickte , Erlau eine scherzhafte Antwort zu geben , als Joseph und Steinheim in das Zimmer traten . Sie waren zu Fuß aus dem Theater gekommen , und Steinheim entschuldigte ihr spätes Erscheinen mit den parodirten Worten : Spät komm' ich , doch ich komme ; der weite Weg entschuldige mein Säumen . Aber warum fuhren Sie nicht auch nach Hause ? fragte Jenny . Weil leider Freitag Abend ist , antwortete Steinheim , und ich meiner Mutter den Kummer nicht machen wollte , zu fahren . Aus Kindesliebe , aus Frömmigkeit hole ich mir in dem nassen Wetter den Tod , nach dem Echauffement im Theater , und bei meinem reizbaren Nervensystem ! Was soll man aber thun ? Ich habe geglaubt , das Fahren sei nur am Sonnabend verboten , sagte die Pfarrerin . O nein ! erwiderte Steinheim , der Sonnabend fängt bei uns schon des Freitags an , und alle Ruhe- und Sabbathfeiergesetze müssen von Freitag Abend ab gehalten werden , bis Sonnabends die ersten Sterne blinken . Die Pfarrerin erwähnte es lobend , daß Steinheim sich an diese Formen halte . – Mir sind sie ganz gleichgültig , antwortete er , ich halte sie für ein Gesetz , das mißverstanden ist , und befolge es nur meiner Mutter zu Liebe , der ich viele Opfer der Art bringe , obgleich sie meine Gesundheit ruiniren . Für solch einen Mustersohn habe ich Sie nicht gehalten , sagte Jenny , die nie der Lust widerstehen konnte , Steinheim zu necken . Ich wußte nicht , daß Selbstverleugnung auch zu Ihren Tugenden gehöre . Es liebt die Welt , das Strahlende zu schwärzen , und das Erhabne in den Staub zu ziehn , « declamirte Steinheim . Daß Sie , holdes Fräulein , aber an mir zweifeln , verdiene ich nicht , und ich könnte wie Cäsar sagen : » Brutus , auch Du ! « – Uebrigens wissen Sie ja , daß Sonnabends unsere Pferde geschont und ich strapazirt werde . Das ist das erste Gesetz gegen Thierquälerei , rief Erlau dazwischen , und ich wundere mich , lieber Meier , daß Du , in doppelter Hinsicht triumphirend , nicht längst darauf aufmerksam gemacht hast . Wirklich , meinte Madame Meier , gehört aber die stille Sabbathfeier zu den Gesetzen der jüdischen Religion , die mir sehr gefallen und zusagen – obgleich wir sie nicht mehr halten . Ich finde es auch sehr schön , sagte Jenny , aber es ist doch nicht für alle Menschen , eigentlich nur für Juden gemeint ; denn ich habe bei Madame Steinheim selbst gesehen , daß ihr christliches Dienstmädchen die Lichter putzte , was sie selbst nicht that . Also meinen Sie , fragte Steinheim , der sich neben Jenny's Stuhl hingesetzt hatte , da das Dienstmädchen Licht putzen darf , so kann das Pferd auch ziehen ? Ja ! sagte Jenny leise , während sich bereits eine andere Unterhaltung in der Gesellschaft entsponnen hatte . Ja ! die Pferde könnten wohl arbeiten , da sie nicht Juden sind . Und was sind sie denn ? fragte Steinheim ebenfalls leise , um die Andern nicht zu stören . Weiß ich's ? war die Antwort , vermuthlich Christen ! – oder Heiden ! fügte sie schleunig hinzu , bemerkend , daß Reinhard , der an ihrer andern Seite saß , jedes Wort dieser kindischen Unterhaltung gehört hatte , und sich unwillig abwendete , als Steinheim in ein laut schallendes Gelächter verfiel , dessen Grund er aber , auf Jenny's eifriges Bitten , nicht sagen wollte , so sehr man auch in ihn drang . Durch Reinhard's Brust waren die letzten Worte wie ein fliegendes Weh gezogen , wie ein eisiger Frost über die ersten schönen Blüthen des Frühlings . Diese Leichtfertigkeit , dies Scherzen mit Allem , was Andern heilig ist , das war es eben , was oft so trennend zwischen Jenny und seiner Liebe gestanden hatte . Er liebte ihre reiche , schöne Natur , ihr lebhaftes Gefühl , und wurde es doch nur zu häufig mit Betrübniß gewahr , daß Jenny , in Folge ihrer Erziehung und der Verhältnisse , in denen sie aufgewachsen war , eine Richtung genommen hatte , die seiner ganzen Seele widerstrebte , die auch Eduard mißbilligte , die aber zu ändern ihren beiderseitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen war . Reinhard glaubte an ihr Herz , er liebte sie , wie ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag – und doch fühlte er eine Scheidewand zwischen sich und der Geliebten ; doch konnte er die bange Ahnung nicht unterdrücken , es stehe ein Etwas trennend zwischen ihm und ihr . Jetzt bei Jenny's letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue und heute um so schmerzlicher in ihm . Trüb und verstimmt nahm er , als sich die Gesellschaft trennte , von der Geliebten Abschied , trüb und verstimmt schritt er an seiner Mutter Seite heim , während Jenny in ihrem Zimmer Thränen der bittersten Reue vergoß . Sie wußte , was sie ihm angethan hatte , aber so hatte sie heute doch nicht von ihm zu scheiden geglaubt . – Er hatte keinen Blick für sie gehabt , und jetzt wußte er es doch , daß sie ihn liebte . Die schöne Clara lag , während sich dies Alles begab , von Schmerzen gepeinigt auf ihrem Krankenlager . Jung , schön und gut , umgeben von Reichthum und Luxus , hatte sie doch niemals das Glück gekannt , für das allein sie geschaffen schien . In ihrem väterlichen Hause war die unglückliche Ehe ihrer Eltern eine Quelle des Leidens für sie geworden . Nur der Wunsch , sich in der Welt vorwärts zu bringen , hatte ihren Vater einst dazu vermocht , um seine Gattin zu werben , die , wie schon früher erwähnt , einer der angesehensten Familien der Kaufmannsaristokratie angehörte . Die Commerzienräthin war einige Jahre älter als ihr Gatte , hatte aber , als sie sich mit ihm verband , noch vollen Anspruch auf die Bewunderung ihrer regelmäßigen kalten Schönheit zu machen , und glaubte , ein Recht auf die Verehrung ihres Mannes , auf seinen Dank zu besitzen , weil sie sich entschlossen , zu einer Verbindung zu schreiten , die damals noch keine glänzende Aussicht geboten hatte . Liebe brachten beide Theile nicht in das neugegründete Hauswesen ; und als bald darauf der herrschsüchtige Charakter der Frau dem jungen Manne sein Haus zur Plage machte , und er sich immer mehr von ihr zurückzog , artete ihre Stimmung in eine Bitterkeit , in eine starre Kälte aus , die vollends dazu beitrug , die Gatten von einander zu entfernen . Die Geburt ihres Sohnes schien eine Zeitlang das Herz der Mutter mildern Gefühlen gegen den Vater des Kindes zu öffnen . Es war aber zu spät , um den Frieden herzustellen . Horn hatte sich , fortgerissen von andern Männern und einem sinnlichen Temperamente , einer Lebensart überlassen , welche seiner Frau gerechten Grund zur Klage bot , und als einige Jahre später Clara geboren wurde , fehlte schon an ihrer Wiege das Lächeln beglückter Elternliebe . Ihr Sohn war das einzige Wesen , an dem die Mutter hing . Ihm wurde , sobald er nur im Stande war , seinen Willen zu äußern , jeder Wunsch erfüllt ; und eben so schwach und nachsichtig gegen den Sohn , als streng gegen alle Andere hatte die Commerzienräthin den jungen Mann zu dem weichlichen , kalten und hochmüthigen Stutzer erzogen , als welchen wir ihn am Anfang dieser Erzählung zuerst erblickten . – Um die liebliche Clara hatte die Mutter sich wenig nur gekümmert . Die Kleine war früh einer Gouvernante übergeben worden , die glücklicher Weise ganz dazu geschaffen war , die Seele des jungen Mädchens zu bewahren und auszubilden . Von den Eltern nicht mehr als nothdürftig beachtet , geneckt und geplagt von den eigensinnigen Launen des Bruders , gewöhnte sich Clara schon in erster Kindheit an eine Fügsamkeit und Anspruchslosigkeit , die später der edelste Schmuck der schönen Jungfrau wurden . Nicht ohne Stolz sah der Vater auf die Bewunderung , die das erste Auftreten Clara's in der Gesellschaft erregte . Die wilden Leidenschaften der Jugend hatten sich bei ihm gelegt , sein Sohn , der Mutter Liebling , war ihm fremd geblieben ; er vermißte eine freundliche Heimath , die Anhänglichkeit einer Familie , und so konnte es nicht fehlen , daß der Tochter demüthige Ergebenheit , ihr kindliches Anschmiegen ihn fesselten . Er liebte sie , wie er zu lieben im Stande war . Sie war sein Stolz , die Krone seines Besitzes , und alle seine Wünsche gingen darauf hinaus , diese Tochter so glänzend , als möglich , versorgt zu sehen . Wie angenehm mußte es ihn also überraschen , als die Commerzienräthin , die das freundliche Verhältniß ihres Mannes zu der Tochter stets mit gewohnter Gleichgültigkeit betrachtet hatte , ihm einst ganz unvermuthet die Frage vorlegte , ob es jetzt , da Clara bereits im zwanzigsten Jahre sei , nicht Zeit werde , an die Verheirathung derselben zu denken . Sie theilte ihm mit , daß sie schon seit längerer Zeit mit ihrer in England verheiratheten Schwester den Plan entworfen habe , den einzigen Sohn derselben mit Clara zu verbinden . Sie bewies , daß ihr Schwager Hughes , nach englischer Sitte an die Bevorzugung des ältesten Erben gewöhnt , gern bereit sein werde , Ferdinand im Besitze des väterlichen Vermögens zu lassen , und daß auch ohne dieses Clara reicher und glänzender versorgt sein würde , als es in Deutschland jemals der Fall sein könnte . Der Plan , den die Commerzienräthin dabei hatte , war , einst die gleiche Theilung des Vermögens zwischen ihren bei den Kindern zu vermeiden ; und er fand , wenn auch aus andern Gründen , bei ihrem Gatten volle Billigung . William Hughes galt nach Allem , was man über ihn wußte , für einen gescheidten und wackern Jüngling . Die Millionen seines Vaters kannte der Commerzienrath aus Erfahrung , und daß der alte Hughes Mitglied des Unterhauses war , daß auch William dies einst werden und sich eine glänzende Laufbahn für ihn eröffnen könne , entschied nicht wenig zu Gunsten dieser Angelegenheit , so daß die Commerzienräthin volle Freiheit erhielt , dieselbe nach ihrer Ansicht einzuleiten . Nichts war leichter , als den jungen reiselustigen Engländer zu einem Ausflug nach dem Continent und zu dem gelegentlichen Besuche seiner Familie zu überreden , die er nur als Knabe gesehen hatte ; und der schmeichelhafte Empfang , der ihm von Onkel und Tante wurde , die große Freude , welche Ferdinand , dem die Plane seiner Mutter nicht unbekannt waren , über des Vetters Anwesenheit an den Tag legte , bewogen diesen bald zu einem längeren Verweilen in dem verwandten Hause . Für Clara begann mit des Vetters Anwesenheit ein neues Leben . Mutter und Bruder überboten sich in tausend Freundlichkeiten gegen sie , man bemühte sich , sie in dem vortheilhaftesten Lichte erscheinen zu lassen , und war jetzt plötzlich bereit , ihren Ansichten und Wünschen zu schmeicheln , weil man sie zu ähnlicher Fügsamkeit zu überreden wünschte . Von Natur weich und hingebend , fühlte Clara sich zum ersten Mal in ihrem Leben wahrhaft glücklich , durch das Wohlwollen , von dem sie sich umgeben sah ; und da auch auf sie das Glück seinen verschönenden , belebenden Einfluß zu machen nicht verfehlte , war es nur natürlich , daß William seine Cousine sehr liebenswürdig fand . Er beschäftigte sich angelegentlich mit ihr , und bald begann sich ein zutraulich heiteres Verhältniß zwischen ihnen zu bilden , dessen Entstehen von der ganzen Familie mit Freuden bemerkt wurde . Da kam an dem Abende , an dem diese Erzählung beginnt , der unglückliche Zufall dazwischen , der Clara für lange Zeit von der Gesellschaft trennte , die Heirathsentwürfe ihrer Mutter für sie zunächst hinausschob , und Eduard in ihre Nähe brachte . Nach dem ersten Aufruhr , den dieses Ereigniß verursacht hatte , fing man im Hornschen Hause bald wieder an , sich den gewöhnlichen Beschäftigungen und Zerstreuungen hinzugeben , und Clara wurde von ihrer Mutter vernachlässigt wie früher , was ihr nach dem kurzen Traume von Glück um so schmerzlicher sein mußte . Fast immer , wenn ihr junger Arzt sie besuchte , fand er sie mit einer Wärterin allein , und seinem geübten Auge konnte es nicht entgehen , daß bei seiner Kranken die Seele empfindlicher noch als der Körper leide . Die Geduld , mit der sie ihre Schmerzen ertrug , die Sanftmuth und Ruhe ihres ganzen Wesens , und ein Zug von stiller Resignation machten ihm die Kranke werth . Er bemühte sich , durch Unterhaltungen mancher Art ihre Aufmerksamkeit zu beleben ; er kam , so oft er es konnte , dehnte seine Besuche lange aus , und fand den schönsten Lohn dafür in der dankbaren Freude , mit der das junge Mädchen ihn begrüßte ; in dem Genuß , den er selbst bald dabei zu empfinden begann . Oft , wenn er sie am Morgen in möglichst gutem Wohlsein verlassen hatte , war sie Abends in einem aufgeregten , beunruhigenden Zustande , für den in ihrem körperlichen Befinden kein Grund vorhanden war , und den er mit Recht unangenehmen Gemüthsbewegungen zuschreiben mußte . So fand er sie denn auch eines Abends , weinend und so bewegt , daß sie kaum seine Fragen zu beantworten vermochte . Ein heftiger Streit der Eltern , veranlaßt durch Ferdinand's Verschwendung und seine ungeregelte Lebensart , war unglücklicherweise in dem Krankenzimmer ausgebrochen . Der Vater hatte sich mißbilligend darüber geäußert , daß Ferdinand jetzt fast niemals mehr bei Tisch erscheine , daß er seine Zeit in leichtsinniger Gesellschaft verbringe , daß er durch die unverzeihliche Schwäche der Mutter in all diesen Fehlern bestärkt werde , die er als Vater nicht länger dulden wolle . Gereizt durch den doppelten Tadel , der sie und ihren Liebling traf , hatte die Commerzienräthin heftig erwiedert , sie könne eine Lebensweise an ihrem Sohne nicht so strafbar finden , zu der des Vaters früheres Betragen ihm das Beispiel gegeben und die sie Jahre lang an ihrem Manne habe erdulden müssen . Trotz Clara's dringenden Bitten , trotz ihrer flehentlichen Worte , sie nicht zum Zeugen dieser entsetzlichen Scene zu machen , war sie dennoch fortgesetzt worden , bis die Mutter in höchster Entrüstung das Zimmer verließ , und der Vater allein bei ihr zurückblieb , sich vor der Tochter bitter über das Loos beklagend , das ihm an der Seite ihrer Mutter geworden sei . Bald darauf war Eduard eingetreten . Clara war allein . Die Krankenwärterin saß in der geöffneten Nebenstube schläfrig strickend bei der Lampe , deren Schein durch einen grünen Ueberwurf gemildert war . Alles war still in dem Zimmer , und Eduard hörte um so deutlicher an den unruhigen Athemzügen der Leidenden , daß sie eben erst zu weinen aufgehört hatte . Freundlich fragte er sie nach ihrem Befinden , er wollte ihre Hand ergreifen , um sich durch den Pulsschlag selbst davon zu überzeugen , aber sie zog die Hand rasch fort , und sagte : » Ach ! das beweist heute nichts ; ich leide freilich , aber Sie können mir nicht helfen , lieber Doctor ! « und dabei brach sie auf's Neue in heiße Thränen aus . Der Doctor beschied sich und versuchte sie um ihr körperliches Uebel zu befragen , sie war aber so aufgeregt , daß sie , ihre sonstige Zurückhaltung gänzlich vergessend , ihn mit den Worten unterbrach : Täuschen Sie sich nicht , Herr Doctor ! ich will Sie auch nicht länger damit hintergehen – die äußere Wunde kann nicht heilen , ich kann nicht genesen , so lange meine Seele auf das Grausamste zerrissen wird . Ich wollte oft , ich brauchte nicht zu leben ! Und denken Sie nicht an Ihre Eltern ? Wissen Sie nicht , daß auch für das Leiden der Seele oft wunderkräftiger Balsam in der Zukunft liegt ? fragte Eduard . Gerade ein Gemüth , wie das Ihre , muß im Leben Freuden finden , weil es geschaffen ist , Freude zu bereiten durch sein bloßes Sein . Ich habe Niemandem Freude gemacht , ich habe immer allein gestanden unter den Meinen , von Kindheit an ; und ohne meines Vaters Liebe wüßte ich kaum , daß ich eine Heimath habe , entgegnete sie ihm schnell . Meinen Tod würde man bald vergessen , und er würde vielleicht ein Glück , er würde zu einem Versöhnungsmittel werden . Sie sagen , ich hätte ein weiches Gemüth ; beklagen Sie dann mein Schicksal , das mich in die kälteste Atmosphäre versetzte , in der ich täglich tausendfachen Tod erleide ! Erschöpft lehnte sie sich bei diesen Worten in die Kissen zurück . Der höchste Punkt der Aufregung war vorüber , sie weinte schweigend eine Weile fort , der Doctor ließ sie gewähren , weil er diese Thränen als das beste Beruhigungsmittel kannte ; aber er betrachtete das schöne Mädchen mit Bedauern . Clara war eine jener Frauennaturen , die , wie er es eben gegen sie selbst ausgesprochen , durch ihr bloßes Erscheinen wohlthuend wirken . Eine gleichmäßige Ausbildung aller Seelenkräfte , bei glücklicher Anlage , machte , daß Leute von dem verschiedensten Charakter sich von ihr angezogen fühlten . Der Kluge nannte sie klug , der Leidende theilnehmend , der Frohe fröhlich , und Alle fühlten sich erquickt durch ihre Güte und das Wohlwollen , mit dem sie Jedem begegnete . Man fand sie liebenswerth , man war für sie eingenommen , ehe sie irgend etwas gethan hatte , dies Urtheil zu rechtfertigen . Solch ein Mädchen könnte und müßte der Schutzgeist eines Hauses sein , sagte sich Eduard , und es that ihm leid , daß dieses milde Wesen einer Familie angehöre , in der es weder glücklich zu sein , noch glücklich zu machen vermochte . Als Clara sich beruhigt hatte und das medicinische Examen vorbei war , ermahnte der Doctor sie , sich so viel als möglich zu schonen , sich ruhig zu verhalten . Bedenken Sie , sagte er , daß der Körper durch Ihre Gemüthsbewegung leidet und nicht die frühere Kraft gewinnen kann , und daß Sie , andererseits , bei diesem gereizten Nervenzustande , jedes geistige Leid doppelt schwer empfinden . Mit diesen Worten wollte er von ihr scheiden , aber sie war wieder Herr über sich selbst geworden , und hielt ihn noch zurück . – Vergessen Sie , was ich heute sagte , bat sie ihn , ich bin krank , und dabei übertreibt man sein Empfinden . Und denken Sie nicht ungleich von mir , weil ich die Meinen im Unmuth angeschuldigt habe . Glauben Sie , Herr Doctor ! fügte sie hinzu , indem sie zu lächeln versuchte , ich bin nicht so undankbar , als ich Ihnen heute erscheinen mußte , und ich möchte nicht , daß Sie mich dafür hielten . Liebes , gutes Fräulein , wie mögen Sie glauben , daß ich an Ihnen irre werden könnte ? rief Eduard aus . Genügt es denn nicht , daß ich Sie kenne , daß ich seit Wochen Ihre Geduld , Ihre Fügsamkeit bewundere , um ein schönes , ein reines Bild Ihres Wesens in mir festzustellen ? Glauben Sie mir , dem Arzte offenbart sich die Schönheit der Menschennatur ebenso oft , als er von der erbärmlichen menschlichen Schwachheit unangenehm überrascht wird . Ihnen danke ich das Erste , und wenn ich als ein kalter Zweifler zu Ihnen gekommen wäre , Ihnen hätte ich die Ueberzeugung zu verdanken , daß im Menschen ein sanfter Strahl der Gottheit lebt . O ! ein so schlechter Christ sind Sie gewiß nicht , daß Sie jemals an Gott gezweifelt und erst meiner Belehrung zum Glauben bedurft hätten ! rief Clara , um ihre Bewegung zu verbergen . Indem fiel ihr aber das Thörichte dieser Aeußerung ein , und ihre Verlegenheit nahm zu , als Eduard lächelnd antwortete : Ein Gottesleugner bin ich in der That nicht ; aber sicher ein herzlich schlechter Christ , da ich ein Jude bin . Gönnen Sie mir also immerhin die Belehrung durch Ihr Beispiel . Wenn es mich auch nicht bekehrt , so bessert und erfreut es mich , und für Beides bin ich Ihnen nur zu gern verpflichtet . Damit empfahl er sich und ließ Clara in eigenthümlicher Bewegung zurück . Sie hatte ihren Arzt liebgewonnen und ein unbedingtes Zutrauen zu seiner Behandlung gefaßt , sie achtete ihn als Mann , heute hatte sie ihn tief in ihrer Seele lesen lassen . Das Unglück ihres ganzen Lebens , das Niemand kannte , hatte sie ihm enthüllt , er hatte sich dabei gegen sie wie ein Bruder mild und gut gezeigt , sie war ihm näher getreten , als jemals einem andern Manne , und – er war ein Jude . Sie erschrak , und mußte doch lächeln , denn sie hatte es gewußt , und die Ihrigen hatten sie damit geneckt , daß sie darauf bestanden , sich nur von einem Arzte des » auserwählten Volkes « behandeln zu lassen . Man hatte sie oft genug um den eigentlichen Grund dieser Wahl gefragt , und doch konnte sie die Thatsache so ganz vergessen , daß sie sie in diesem Augenblicke überraschte . Noch vor einigen Tagen hatte William , der öfter in ihrem Krankenzimmer erschien , mit großer Theilnahme von der Meierschen Familie gesprochen , und dafür eine Strafpredigt der Commerzienräthin aushalten müssen , die er mit verständigen Gründen zurückgewiesen hatte . Jetzt war Clara völlig seiner Ansicht . Sie nannte William in ihrem Herzen einen guten aufgeklärten Menschen – aber Eduard war mehr als das . Sie mußte an sein klares , kluges Auge denken , an seine freie Stirne , und sein jüdisches Gesicht kam ihr fast schön vor . Ob Christus wohl auch ähnliche Züge gehabt haben mag ? fragte sie sich , und immer und immer wieder an ihn denkend , sank sie endlich in einen festen Schlaf , in dessen Träumen William und Eduard und der Heiland , wie die alten Bilder ihn uns zeigen , in einander flossen , und aus dem sie erst am frühen Morgen neu gestärkt erwachte . Weniger ruhig sollte dem armen Eduard die Nacht vergehen . Während ihn Jenny längst mit seiner schönen Kranken aufzog und seine Mutter an jenem Abend das Geheimniß seines Herzens entdeckt zu haben glaubte , ja mit mütterlicher Sorge bereits dem Vater davon Mittheilung gemacht hatte , merkte der Doctor es noch nicht , daß Clara ihn mehr , als irgend eine seiner andern Kranken beschäftigte . Später als gewöhnlich war er an dem Abende zu den Seinen heimgekehrt . Er fand sie ganz allein . Seine Eltern und Jenny saßen traulich beisammen , er sah , daß man ihn erwartet und vermißt hatte . Komm her , mein Sohn , rief ihm der Vater entgegen , setze Dich zu uns und erzähle , wo Du so lange geblieben bist . Eduard gab den Bescheid , er hätte Fräulein Horn noch besucht . Jenny erkundigte sich nach ihrem Ergehen , er sagte , daß die Genesung nur langsam vorwärts schreite , und daß die Kranke viel Schmerzen ertragen müsse . Da könntest Du Geduld und Ruhe lernen , Jenny , schloß er seine Rede . Es scheint , als ob Clara überhaupt eine gute Lehrerin ist , antwortete jene schnippisch , denn es ist nicht zu leugnen , daß sie Dir auch manche Begriffe beigebracht hat , die Dir früher nicht geläufig waren . Ich sagte es noch gestern zur Mutter , das ewige Politisiren hast Du Dir ziemlich abgewöhnt , dafür bist Du aber so zerstreut und träumerisch geworden , daß Du gar nicht hörst , wenn man mit Dir spricht . Entweder macht Dir Deine Patientin solche Sorgen oder Du langweilst Dich bei uns zu Hause . Eduard hörte das gelassen an , und seine Mutter meinte : Etwas selten bist Du wirklich in der letzten Zeit zu Hause geworden , und verändert finde ich Dich auch , mein Sohn ! Kannst Du uns sagen , woher das kommt , so wirst Du mich beruhigen . Was Ihr für närrische Frauen seid ! rief der Vater lächelnd . Ist denn das Leben nicht täglich neu , die Natur nicht täglich verändert , und Eduard sollte unwandelbar die gleiche Stimmung haben ? Könnt Ihr wissen , was in seinem Berufe sich für neue Verhältnisse seinem Geiste aufdrängen , und wie klein und beschränkt ihm Eure Interessen gegen die seinigen oft erscheinen mögen ? Da kommt Ihr mit Euren Haus-und Familiengeschichten und wundert Euch , wenn man nicht mit Antheil danach hört , und nennt das kalt , nennt es zerstreut . Eduard hat , wenn er einst selber Hausherr sein wird , die Kunst zu lernen , mit dem Ohr zuzuhören , ohne daß das Gehörte bis in den Kopf dringt , das lernt sich aber mit den Jahren . Wollte Gott ! sagte die Mutter , augenblicklich zugreifend , wo ihr eine Handhabe für ihr Lieblingsthema dargeboten ward ; wollte Gott , Eduard wäre erst so weit . Ungebunden , wie er jetzt ist , läßt er sich in Dinge ein , die ihn nicht kümmern ; er nimmt , wie man so sagt , kein Blatt vor den Mund , er äußert politische Ansichten und Hoffnungen , die unnöthig die Augen der Regierung auf ihn gerichtet erhalten , und wenn man ihn warnt , heißt es ein für allemal : Was thut's ! ich bin ja unabhängig , ich bin ungebunden ! Das heißt , erläuterte der Vater , Du möchtest unserm Sohne mit dem süßen Rosenband der Ehe zugleich eine tüchtige Kette anlegen , eine möglichst kurze , damit er nicht zu große Sprünge machen könne . Die Mutter macht 's wie Julia in Shakespeare , » so liebevoll mißgönnt sie ihm die Freiheit . « Freundlich nahm der Sohn die Hand der Mutter und sagte : Und doch waren heute meine Gedanken mehr mit häuslichen Verhältnissen , als mit allgemeinen Interessen beschäftigt . Ich hatte Gelegenheit , einen Blick in das innere Leben einer Familie zu werfen , in der ein vortreffliches Herz unter dem Druck der widerwärtigsten Verhältnisse blutet , und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren , als ich hier eintrat , und mir so wohl und behaglich wurde in unserm Hause , wie glücklich jene Arme in einem Kreise , wie der unsere , sein würde ! Und wer ist die Arme mit dem schönen Herzen ? fragte Jenny schnell . Ein Mädchen , das solche indiscrete Fragen niemals machen würde , antwortete Eduard sehr bestimmt . Dann meinte er : In den Jahren , die ich hier prakticire , ist es mir aufgefallen , wie die glücklichen Ehen , die Sorgfalt der Eltern für ihre Kinder bei den Juden gewöhnlicher sind , als in den Christenfamilien . Auch steht die Zahl der Scheidungen , wie mir ein Jurist sagte , bei den beiden Confessionen in gar keinem Verhältniß , da eine Scheidung der Ehe unter Juden zu den großen Seltenheiten zählt . Das ist allerdings merkwürdig , meinte Jenny , denn bei den Juden ist die Heirath doch oft nur eine Familienverabredung , von der Braut und Bräutigam zuletzt erfahren . Das ist nicht nur bei den Juden , sondern überhaupt sehr oft der Fall , entgegnete der Vater , und die Welt sieht in der Wirklichkeit nicht ganz so romantisch aus , wie in Deinem siebzehnjährigen Köpfchen . Was aber das Glück der Ehen bei den Juden betrifft , so verdanken sie das , sowie manches andere Gute , dem Drucke , unter dem sie Jahrhunderte gelebt haben . Der Mann , dem die freie Bewegung in's Leben hinein überall verwehrt war , der nichts sein eigen nennen durfte , nicht Haus , nicht Hof , dem man das mühsam erworbene Gut unter immer neuen Vorwänden gewaltsam zu entreißen wußte – dem blieb nichts , als sein Weib und seine Kinder . Sie waren das Einzige , das ihm nicht leicht zu rauben war , sie blieben sein , auch getrennt von ihm , sein durch den Glauben , und nur , indem sie sich von diesem trennten , konnten sie aufhören , sein zu bleiben . Wie natürlich also , wenn dem Juden Weib und Kind seine Welt wurden , und wenn bis heute das Beispiel glücklicher Häuslichkeit segensreich fortwirkt unter ihnen , obgleich die äußern Verhältnisse sich jetzt geändert haben . Ach ! armer Vater , was hast Du denn für eine kleine Welt ! sagte Jenny pathetisch , die gerade in der muthwilligsten Laune war . Hast Niemand , als die Mutter und die liebe kleine Jenny ! Eine Welt von zwei Welttheilen , während der ärmste Christ fünf Welten hat ! Und Eduard ? fragte der Vater . O ! richtig , der Welttheil Eduard sieht jetzt leider so kläglich aus , als ob bald eine neue Sündfluth hereinbrechen sollte . Oder vielmehr , er sieht aus , als ob er statt des Herzens einen Vulkan hätte , der nächstens losbricht und bald den Untergang des Welttheiles voraussehen läßt . O Vater ! Vater ! rief sie , und warf sich an dessen Brust , als Eduard sie verwundert und nicht eben freundlich ansah , schütze mich , der Vulkan Eduard fängt an Feuer und Flammen zu sprühen . Der Vater nahm das anmuthige Kind in seine Arme , und beide Eltern gaben sich dem Behagen dieses engen Beisammenseins mit vollem Herzen hin . Nur Eduard blieb zerstreut und einsilbig , und entfernte sich , unter einem flüchtigen Vorwande , früher , als er 's sonst zu thun pflegte . Joseph's Brummen wird ansteckend , bemerkte Jenny scherzend , als er fort war ; die Mutter aber schüttelte ängstlich den Kopf und sagte seufzend : Vater ! was geht mit Eduard vor ? Mich macht es unruhig um seinetwillen . Mich nicht , antwortete der alte Meier . Eduard ist ein Mann ; was es auch sei , laßt ihn gewähren , er wird den rechten Weg zu finden wissen . Als Eduard die Eltern verlassen hatte , und in seine besondere Wohnung kam , fand er keine Ruhe in seinem Zimmer . Die engen Räume drückten ihn , er öffnete ein Fenster , und obgleich der Schnee in großen Flocken hineindrang , wurde ihm wohler und freier , als die Luft seine heiße Stirne wieder kühlte . Das Haus seiner Eltern lag nahe am Hafen , ein Garten führte terrassenartig zum Flusse hinunter , der gerade hier in das Meer mündete . Eine Unruhe , wie er sie nie empfunden , trieb ihn hinaus und , in den Mantel gehüllt , eilte er durch die beschneiten Gänge des Gartens . Hin und wieder fielen noch einzelne , übrig gebliebene Blätter mit den Schneeflocken zur Erde : der Sturm jagte die Wolken vor sich hin und hemmte Eduard im Vorwärtsschreiten . Er war ganz allein auf dem Wege , und nun erst merkte er , daß er das Zimmer verlassen hatte , nicht achtend des Sturmes , der ihn umbrauste , nicht der tiefen Dunkelheit um ihn her , denn stürmischer noch und dunkler sah es in seiner Seele aus . Wie hatte er sich absichtlich so über seine Gefühle täuschen , wie diese Liebe verkennen mögen ? Jetzt , da er mit klarem Blicke zurückdachte , fühlte er fast mit einer Art Beschämung , daß er in Clara von den ersten Augenblicken , da er zu ihr gerufen wurde , nicht nur die Leidende , die Kranke , sondern immer das schöne Weib gesehen hatte . Ihre Liebenswürdigkeit , ihr ruhiger Verstand waren ihm von Tag zu Tag anziehender geworden , und er konnte es sich nicht verbergen , daß Clara für ihn das Ideal eines Mädchens sei . So hatte er sich seine Geliebte gedacht , so seine künftige Frau gewünscht , und sollte er sich nicht auf dem Gipfel des Glückes wähnen , da Clara ihn liebte ? Er konnte nicht daran zweifeln . Jeder Blick , jedes Wort des schönen Mädchens verriethen ihm , ihr selbst unbewußt , eine Neigung , die bei diesem tiefen Gemüthe stark und dauernd werden mußte . Alle seine Pulse schlugen warm bei der Ueberzeugung , Gegenliebe gefunden zu haben , wo sein Herz sie so sehnlich begehrte . Er hatte einen Augenblick hindurch ein Gefühl jenes Glückes , das den Menschen für jahrelanges Entbehren schadlos hält ; dann aber zuckte sein Herz kalt und krampfhaft zusammen unter der rauhen Berührung der Wirklichkeit . Er hatte sich es ausgemalt , wie Clara , seine Liebe erwidernd , mit ihm vor seinen Eltern erscheinen würde , um diesen Bund segnen zu lassen – aber war das möglich ? Thor ! rief er aus , kindischer Thor ! wohin hast Du Dich verirrt ! Und er stand still und sah hinab in die schäumenden Wellen , die so unruhig wogten , wie sein gequältes Herz . Da brach der Mond durch die dunkeln Wolken , und glänzte einen Augenblick in dem Wellengekräusel wieder , das sich vor den milden Strahlen zu beruhigen und zu ordnen schien ; und der Mond dünkte ihm ein klares , lichtes , unerforschliches Auge zu sein , das auf das wilde Meer seines Lebens besänftigend herniederschaute . Das Herz that ihm unbeschreiblich weh , die Thränen traten ihm in die Augen . Gott ! Gott ! rief es in ihm , warum mußte ich in Verhältnissen geboren werden , die mir bei jedem Schritte hemmend entgegentreten ? Warum muß ich von Allem , was meine Seele am glühendsten begehrt , geschieden sein ? Warum mir dies Leben des Kämpfens und Entbehrens ? Vor ihm lagen die Schiffe in lautloser Stille , die Wachen gingen , um sich zu erwärmen , mit großen Schritten auf dem Deck umher ; hier und dort schimmerte ein Licht aus den kleinen Fenstern der Kajüten . Er fühlte die Nähe von Menschen , er sah , daß auch sie ein schweres , saures Tagewerk zu erfüllen bestimmt waren , und doch beneidete er ihr Geschick und ihren ruhigen Schlummer . Mochte der Schiffer noch so lange von der Heimath getrennt sein , einst kehrt er doch zurück in ein Land , dessen Bürger , dessen eingeborner Sohn er ist , das ihn schützt in allen seinen Rechten ; und die Gattin , die er unter allen Mädchen frei erwählte , sinkt an seine Brust , ohne daß der Glaube , wie ein drohendes Gespenst , zwischen sie tritt und mit kalter Hand die warmen Herzen trennt . Was bot das Leben ihm ? Kränkungen waren ihm geworden , seit er zum ersten Bewußtsein erwacht war ; weder Mühe noch Fleiß war ihm vergolten worden , wie er es gewünscht hatte und zu hoffen berechtigt war . Nun hatte sein herz sich dem hemmenden Einflusse allmälig entzogen , es war neu belebt und erblüht in dem erwärmenden Hauch einer edlen Liebe , er hatte die Gefährtin gefunden , an deren Seite er den Lebensgang zu gehen begehrte – und wieder trat das alte Schreckbild zwischen ihn und sein Glück . – Aber war dies Schreckbild nicht zu bannen ? Warum sollte er nicht , wie tausend Andere , einem Glauben entsagen , dessen Form allein ihn von der übrigen Menschheit trennte ? Was band ihn an Moses und seine Gesetze ? Es sträubte sich bei diesen ebenso viel gegen seine Vernunft , als bei den Lehren Jesu . Warum nicht einen Aberglauben gegen den andern vertauschen , und mit der Geliebten vereint zu dem allmächtigen Wesen beten und rein vor seinen Augen wandeln ? – Aber war es denn allein der Glaube , den er zu verleugnen hatte ? War es nicht auch das Volk , in dem er geboren war , von dem er sich losreißen mußte ? Das uralte Volk , das in tausendjährigen Kämpfen seine Selbstständigkeit zu wahren und damit seine innere Mächtigkeit zu bekunden gewußt hat ? – Kann man sich losreißen von seinem Volke ? fragte er sich , darf ich um meiner Selbstbefriedigung willen mich von meinem Volke trennen , weil es ungerecht mißachtet , weil es unterdrückt wird ? – Nimmermehr ! – Unzählige meiner Stammesgenossen haben ausgeharrt in Treue , haben Verbannung und Tod erlitten um ihres Glaubens und ihres Volkes willen , und ich wäre feig genug , auf meines Herzens Wünsche nicht verzichten zu können , während die Meinen leben und mich lieben , während es mir gegeben und geboten ist , so viel ich vermag , für die unterdrückte Nation zu wirken , der ich angehöre ; sie frei zu machen aus Sklavenfesseln , die Jahrhunderte auf ihr lasten . Wie mag ich mein Glück , das Glück des Einzelnen , so hoch schätzen , während mein ganzes Volk nicht glücklich ist ! Ehe ich meineidig werde an den Meinen und an meiner Ehre , mag dies Herz brechen in Sehnsucht nach der Geliebten , nach meiner süßen , schönen Clara ! Und wieder und immer wieder wollte der männliche Entschluß wankend werden , bei dem Gedanken an die Geliebte . Eduard malte es sich aus , wie auch Clara's Seele leiden werde unter der Trennung , die er über sie und sich verhängen müsse – wie sie ihm zürnen werde , weil er so großes Weh über sie bringe – und doch vermochte er noch weniger den Gedanken zu ertragen , sich und ihr durch die Taufe alle diese Schmerzen zu ersparen und sich mit ihr zu verbinden . Er war entschlossen und resignirt , aber tief traurig , als er langsam den Rückweg nach seiner Wohnung antrat . Reiflich überlegte er , wie er sein künftiges Betragen gegen Clara einrichten werde , wie kein Blick , kein Wort das Gefühl seiner Brust enthüllen solle , und das bleiche Licht eines Wintertages sah bereits durch seine Fenster , ohne daß Eduard daran gedacht hätte , sich zur Ruhe zu legen . Der Morgen fand ihn todtmüde in einem Lehnstuhl sitzen , erfreut über die körperliche Abspannung , die ihn das geistige Leid weniger zerreißend empfinden ließ . Ein Jeder hat es gewiß erfahren , wie in einem Kreise befreundeter Menschen sich allmälig eine Epoche vorbereitet , in der unvorhergesehene Ereignisse eine gänzliche Umgestaltung der Verhältnisse hervorrufen . Es ist , als ob ein Jeder sich mit einem Male bewußt geworden sei , was er wolle und müsse ; und wo noch vor kurzer Zeit nur Keime vorhanden waren , steht schnell emporgewachsen eine reife Ernte da . Aber dem Erscheinen solcher Zeitpunkte gehen in den Familien , wie in der Natur bei der Ernte , heiße , schwere Tage voraus , in denen die Luft drückend und unheilschwer über uns liegt und sich in gewaltsamen Gewitterstürmen abkühlt . Wir fühlen den herannahenden Orkan , eine Unruhe überfällt uns , wir zagen vor dem entscheidenden Momente , und sehnen ihn doch ungeduldig herbei , um in der erfrischten Atmosphäre frisch und frei aufathmen zu können . Ein solcher Zeitpunkt war für den Kreis von Menschen herangerückt , in dessen Mitte diese Erzählung uns führt . Jeder der Betheiligten fühlte , daß ein entscheidender Schritt geschehen müsse , und Keiner hatte den Muth , ihn zu thun . Eduard hielt es sich als eine Nothwendigkeit vor , Clara zu verlassen , ehe das Scheiden ihm und ihr noch schwerer werde , und konnte es doch nicht über sich gewinnen , ihre Behandlung fremden Händen zu übergeben , die leicht weniger geschickt und sorgsam sein konnten , als die seinen . Wenigstens täuschte er sich über seine Unentschlossenheit mit dieser scheinbaren Pflichterfüllung . – Jenny begriff es nicht in liebender Ungeduld , warum Reinhard zögere , ihr ein Geständniß zu machen , dessen es kaum noch bedurfte , während dieser selbst ernst mit sich zu Rathe ging und , je mehr er sich und Jenny prüfte , um so ängstlicher über den Erfolg einer Verbindung mit der Geliebten wurde . In dieser peinlichen Unruhe vergingen einige Wochen . Clara 's Genesung war so weit vorgeschritten , daß Eduard nur noch bisweilen ihr väterliches Haus besuchte , um sich nach dem Zustande seiner Kranken zu erkundigen , und vor Allem , um sie zu sehen , um mit ihr über Alles zu sprechen , was seine Seele in Anspruch nahm . Vor ihr hatte er sich gewöhnt , alle Regungen seines Herzens , alle Gedanken seines Geistes zu enthüllen . Er hatte sie eingeweiht in das Glück und in das Leid , das er um seiner Abstammung willen erduldet , und während er sich die Genugthuung gönnte , der Geliebten von sich und seinem früheren Leben zu erzählen , hatte er gehofft , es Clara dadurch zugleich deutlich zu machen , wie sie getrennt wären durch das Vorurtheil der Menschen , und wie er niemals daran denken könne , sie sein Weib zu nennen . Anders aber , als er es berechnet hatte , wirkten diese Schilderungen auf das liebende Herz des Mädchens . Sie wünschte und fühlte in sich die Macht , ihn zu entschädigen für Alles , was fremde Unduldsamkeit an ihm verbrochen hatte ; sie wollte ihm zeigen , daß sie wenigstens die Vorurtheile der Menge nicht theile . Darum sprach sie offen von ihrer Achtung und Verehrung für ihn , darum hatte sie tausend jener kleinen Aufmerksamkeiten ihm gegenüber , in denen weibliche Liebe so erfinderisch ist , und die , allen Andern unbemerkbar , sicher den Weg in das Herz Dessen finden , dem sie gelten . Sie war tief ergriffen von seiner ihr bisher fremden und doch so freien Weltanschauung ; die Wahrheit seiner Worte prägte sich ihr so deutlich und unbestreitbar ein , daß auch in dieser Beziehung der Geliebte ihr zum Ideal wurde . Ein Tag , an dem sie ihn nicht gesehen , nicht gehört hatte , was er treibe , was ihn beschäftige , schien ihr ein verlorner zu sein ; und als nun Eduard endlich seine letzte , ärztliche Visite machte , als Clara mit Thränen in den Augen vor ihm stand , mit Thränen , die , wie ihre Mutter meinte , einer übertriebenen Dankbarkeit flossen , fand sie endlich so viel Muth in sich , leise die Hoffnung auszusprechen , der hilfreiche Arzt , dem sie zu Dank verpflichtet sei , werde auch künftig sich dem Hause ihrer Eltern nicht ganz entziehen . Die Commerzienräthin konnte es also füglich auch nicht wohl vermeiden , eine ähnliche Einladung an ihn ergehen zu lassen , und trotz aller gefaßten Entschlüsse , trotz seiner Grundsätze , freute sich Eduard dieses mit Widerstreben gethanen Vorschlags . Aber wer will ihn der Schwäche zeihen , der selbst geliebt hat ? Erinnert euch , wie eure Vorsätze zu Grunde gingen , wenn in der Trennungsstunde die Geliebte bittend vor euch stand ! Fragt euch , ob die Sehnsucht nach der Gegenwart der Geliebten nicht stärker war , als jeder Entschluß , den die Vernunft euch vorgezeichnet hatte ! Nachdem Eduard eine förmliche Einladung zu einem Mittagbrod im Hause der Commerzienräthin erhalten hatte , bei dem er mit vielen der angesehensten Männer der Stadt zusammengekommen war , die ihn kannten und hochschätzten , nachdem die stolze Wirthin es einmal über sich gewonnen hatte , einen Juden als Gast an ihrer Tafel zu dulden , fand es Clara nicht schwer , eine zweite Einladung für ihn zu erwirken , besonders da Ferdinand , nach heftigen Zerwürfnissen mit seinem Vater , seine sogenannte große Tour angetreten hatte , und so lange in London in dem Hause seines Onkels bleiben sollte , als William auf dem Continent verweilen würde . Statt also in ihren Absichten durch Ferdinand gehindert zu werden , fand sie dieselben durch das Zureden ihres Vetters wesentlich gefördert ; und ihre Eltern ließen sich bereit finden , den Wünschen ihrer Tochter und William's nachzugeben , da nach Clara's Herstellung das Heirathsprojekt für diese wieder aufgenommen wurde , und die Commerzienräthin auf's Neue die zärtlich nachgebende Mutter spielte , um desto leichter das vorgesteckte Ziel zu erreichen . Dazu kam , daß der bisherige alte Hausarzt der Horn'schen Familie gerade jetzt , nachdem er sein Jubiläum feierlich begangen hatte , seine Praxis niederlegte , und der Commerzienräthin selbst den Vorschlag machte , Eduard zu ihrem Arzte zu erwählen , wodurch er gewissermaßen von Rechtswegen in die Zahl der Hausfreunde mit aufgenommen wurde . Seine fleißigen Besuche schrieb Madame Horn der Ehre zu , die ihm durch seine Wahl widerfahren sei und die er zu schätzen wisse ; und daß Clara's Interesse für den Doctor andere Motive , als Erkenntlichkeit haben könne , war ein Gedanke , der ihr niemals einfiel , weil sie die Liebe ihrer Tochter zu einem Juden für eine Naturverirrung angesehen haben würde , die sie einem Mädchen aus ihrer Familie unmöglich zutrauen konnte . Das Jahr näherte sich seinem Ende , als Eduard fast ein täglicher , und selbst von den Eltern gern gesehener Gast des Horn'schen Hauses geworden war . Der Commerzienrath , der durch seine Geschäfte fortwährend mit den jüdischen Bankiers in Berührung kam , und den alten Meier persönlich achtete , war natürlich weniger hartnäckig in seinem Widerwillen gegen die Juden ; und Eduard hatte , schon während er Clara behandelte , sich das volle Zutrauen ihres Vaters gewonnen . Hughes schloß sich immer mehr an Eduard an , und diesem war das um so lieber , als er durch ihn in fortwährender Berührung mit Clara blieb , deren unzertrennlicher Begleiter der Cousin seit Ferdinands Abwesenheit geworden war . Für Clara begann nun eine Zeit der reinsten Freude . Eduard überließ sich mit jugendlicher Lebendigkeit der Wonne , die ihm das Beisammensein mit der Geliebten gewährte , ohne an die Zukunft zu denken , weil die Gegenwart ihn hinnahm . Hughes , dem Clara mit der schwesterlichsten Traulichkeit begegnete , gerade weil ihr Herz mit Eduard allein beschäftigt war , Hughes fühlte eine wachsende Neigung für sie , der er sich sorglos hingab , da er wußte , daß sie die Wünsche beider Familien für sich habe . Er gehörte zu jenen ruhigen , trefflichen Menschen , die bei wahrem Gefühle doch keiner Leidenschaft fähig sind . Er gewann Clara lieb , er liebte sie sogar innig , aber das störte ihn weder in den Beschäftigungen und Zerstreuungen des Tages , noch raubte es ihm eine Stunde des Schlummers während der Nacht . Unermüdlich aufmerksam auf Alles , was Clara erfreuen konnte , stets besorgt , ihr Unangenehmes zu ersparen , war er ganz zufrieden mit dem Wohlwollen , das sie ihm bewies , und des Doctors Einfluß auf seine Cousine beunruhigte ihn nicht , da er mit offenem Vertrauen an Beiden hing . Eduard hinwiederum entgingen die Gefühle nicht , die William für Clara hegte , aber so fest glaubte er an ihres Herzens Wahrhaftigkeit , daß nie ein Gedanke von Eifersucht in ihm rege wurde . Wenn dann aber plötzlich die Frage in ihm hervortrat , was die Zukunft ihm bringen werde , was das Ende von allen diesen Verhältnissen sein könne ? dann zog sich eine düstre Wolke auf seiner Stirn zusammen . Er sagte sich , daß er schlecht , daß er unredlich handle , er rief es sich zurück , wie fest der Entschluß , Clara zu meiden , einst in ihm gewesen sei , und fand nicht Frieden , nicht Ruhe , bis er in Clara's Nähe Alles wieder vergaß , außer seiner Liebe für sie . Da er den ganzen Tag beschäftigt und Abends häufig im Hornschen Hause war , anderer Einladungen nicht zu gedenken , an denen es dem beliebten Arzte nicht fehlte , mußte er natürlich in seinem elterlichen Hause seltener werden , obgleich er das Mittagsmahl regelmäßig mit den Seinen einnahm , und oft ängstlich nach Muße strebte , um sie den Eltern zu widmen . Die nächste Folge davon war , daß Jenny aus Mißmuth , wie sie sagte , sich an Joseph zu gewöhnen begann , und Zutrauen zu ihm faßte . Denn Reinhard hielt sich in scheuer Entfernung , er mißtraute sich und der Geliebten . Eduard war , um Jenny's Worte zu brauchen , der Fahne untreu geworden , und auf dem Punkte , zu desertiren . Erlau malte die Giovanolla und folgte ihr von früh bis spät . Steinheim endlich hatte zum zehnten Male eine jener literarischen Arbeiten vorgenommen , deren er immer ein halb Dutzend unter den Händen hatte , die ihn ein paar Wochen lang beschäftigten und ihm unsterblichen Ruhm verschaffen sollten , die aber niemals fertig wurden , weil er weder Ruhe noch Fleiß genug dazu besaß , und somit war die Meiersche Familie jetzt mehr allein , als es sonst der Fall zu sein pflegte . Dieser Zustand wurde der lebhaften Jenny unerträglich . Gepeinigt durch Reinhard's Benehmen , das sie sich nicht zu deuten vermochte , gelangweilt durch die ungewohnte Einsamkeit und Stille des Hauses , tauchte einst plötzlich in ihr der Entschluß auf , Reinhard's Zweifeln , die ihrer Meinung nach nur aus dem verschiedenen Glauben entspringen konnten , ein Ende zu machen , und zugleich dem Geliebten einen überzeugenden Beweis ihrer Liebe zu geben , indem sie sich von der Religion ihrer Väter , ihrer Eltern trennte und zum Christenthum überträte , dessen Lehren ihr durch Reinhard lieb geworden waren . Dieser Vorsatz , einmal gefaßt , kam ihr nicht mehr aus dem Sinn . Therese , der sie ihn zuerst als das tiefste Geheimniß mittheilte , ohne jedoch die wahren Motive anzugeben , zerfloß in Thränen der Freude bei dem Gedanken , daß ihr Jenny künftig auch durch den gleichen Glauben angehören wolle . Sie malte mit rührender Inbrunst den Segen , der Jenny in dem Besuch der Kirche , in dem Genusse des heiligen Abendmahls zu Theil werden müsse ; sie schilderte ihr die Ruhe , den Himmelsfrieden , den sie nach demselben empfunden , und Jenny , deren ganze Seele gerade jetzt in der furchtbarsten Unruhe befangen war , fühlte sich dadurch in ihrer Ansicht bestärkt , und fing an , auch die Eltern allmälig auf ihre Wünsche vorzubereiten . Diese nahmen es anfänglich leicht . Sie hielten es für eine jener enthusiastischen Aufwallungen , die sie an ihrer Tochter gewohnt waren , und mit denen sie sich ebenso gut für das Christenthum und einen allgemeinen Kreuzzug , als für das Judenthum und die Begründung eines neuen jüdischen Reiches begeistern konnte . Nur Joseph faßte es anders auf . Er kannte die geheimen Triebfedern , die hier im Spiele waren , und ein doppeltes Interesse flößte ihm den Wunsch ein , die Ausführung oder das Ausbilden dieses Gedankens bei Jenny zu verhindern . Eines Tages , als man vom Mittagstische aufgestanden war , Eduard sich entfernt , und die Eltern eine kleine Spazierfahrt unternommen hatten , die Jenny mitzumachen abgelehnt , blieb sie mit Joseph allein in dem Eßzimmer zurück und das Gespräch wandte sich bald auf das Christenthum und Jenny's beabsichtigten Uebertritt , da Joseph sowohl als Jenny gleich lebhaft bei dem Thema betheiligt waren . Was ist es denn eigentlich , fragte Joseph , was Dich so urplötzlich zu dem Entschlusse gebracht hat ? Urplötzlich kannst Du ihn nicht nennen , antwortete sie . Ich habe bis jetzt überhaupt nicht über mich selbst nachgedacht ; ich habe wie ein Kind in den Tag hineingelebt . Nun ich älter werde und ernster über mich nachdenke , fühle ich , daß die Halbheit , in der ich erzogen bin , mich nicht befriedigt , daß ich nicht glücklich bin , und ich will das ändern . Joseph lächelte unwillkürlich . Und Du hoffst , das Christenthum werde Dich glücklicher machen ? Täusche Dich doch nicht ! Der Glaube , der Friede , der nicht in uns ist , den bringt kein Wechsel der Religion in unser Herz , den kann Dir weder Christus noch Moses geben . Das kannst Du nicht wissen , weil Du selbst nicht Christ bist ! erwiderte sie . Und woher weißt Du es denn ? Durch Therese , durch Reinhard . O ! wenn Du wüßtest , wie selig Therese nach dem Genusse des Abendmahls war , wie fest Reinhard daran glaubt , daß selbst Leiden , die Gott uns auferlegt , zu unserm Heile dienen , wie sicher er darauf rechnet , nach dem Tode mit seinen geliebten Verstorbenen wieder vereinigt zu werden ! Joseph , glaube mir , mit der Ueberzeugung muß man glücklich sein ! Joseph schwieg eine Weile , denn Jenny's Worte , aus denen ihre angeborne Lebhaftigkeit mit der Liebe für Reinhard zugleich hervortönte , machten einen schmerzlichen Eindruck auf ihn . Er beneidete Reinhard , daß er Jenny's Liebe gewonnen , und war einen Augenblick nahe daran , ganz von dieser Unterhaltung abzubrechen und mit keinem Zweifel ein Herz zu beunruhigen , das für ihn , wie er fühlte , hoffnungslos verloren sei . Indeß war Jenny ihm zu theuer , als daß er sie ohne Besorgniß auf einem Pfade sehen konnte , dessen Ziel ihm für ihre Ruhe durchaus gefährlich schien , und er hielt es für recht und nöthig , bei einem so wichtigen Schritte , an dessen Ausführung er , wie er die Verhältnisse kannte , nicht mehr zweifelte , die Stimme der Warnung ernstlich geltend zu machen . Verkenne mich nicht , sagte er , wenn ich an die Möglichkeit Deiner ernstlichen Bekehrung zweifle . Du sagst mir , mit Theresens und Reinhard's Ueberzeugung müsse man glücklich sein . Hast Du diese Ueberzeugung ? Nein , antwortete Jenny . Aber Du glaubst auch , daß Gott über uns lebt , daß er unser Schicksal lenkt , daß uns nichts begegnen könne , ohne seinen Willen , daß er allweise und allgütig ist , daß er uns liebt ? Gewiß , das glaube ich . Du glaubst , daß wir eine unsterbliche Seele haben ? denn das scheint eine von den Ueberzeugungen zu sein , die Du am tröstlichsten findest . Joseph , fiel Jenny rasch ein , sieh ! wenn ich an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben vermöchte , wenn mir das bewiesen werden könnte , so daß ich es einsehen , es begreifen könnte , dann wäre ich schon glücklich . Es ist so furchtbar , Dasjenige auf das bloße Wort eines Andern glauben zu müssen , was uns zur unwandelbaren , felsenfesten Ueberzeugung werden muß , wenn wir nicht beständig in Todesangst erzittern sollen bei dem Gedanken , daß einer unserer Lieben uns entrissen werden könne . Aber bewiesen muß es mir werden , daß ich es erfassen kann mit der Vernunft . Daß Ihr mir sagt : Glaube , wir sind unsterblich , das genügt mir nicht , das vermag ich nicht . Du vermagst nicht zu glauben , und willst Christin werden ? zu einer Religion übertreten , die , ganz auf Offenbarungen fußend , voll von Mysterien , nur durch den Glauben besteht , in Allem , was nicht Moral oder Philosophie ist ? Was ist Dir der Sohn Gottes , der Mensch gewordene Gott ohne den Glauben ? Wie kann Dich die Anwesenheit Christi im Abendmahle erheben , wenn Du nicht zu glauben vermagst ? Oder meinst Du , man könne Dir die Gegenwart Christi im Sakramente beweisen ? es gäbe eine Erklärung für die Kindschaft Jesu ? Kannst Du den heiligen Geist , die Dreieinigkeit begreifen ? Man wird Dir ein Bild dafür geben , aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu glauben , dieses Bild sei Wahrheit ? O Gott ! nicht weiter , rief Jenny weinend aus , nicht weiter , Joseph ! mache mich nicht haltlos . Doch ! mein Kind ! denn wie mein Kind , oder wie eine Schwester liebe ich Dich , sagte Joseph mit bebender Stimme , sich selber überwindend , doch ! – Du mußt mit Dir selbst einig werden . Du weißt , das viele Sprechen ist nicht meine Sache ; um Dich aber aufzuklären über Dich selbst , müssen wir aufrichtig mit einander sein . Den Glauben an Gott , die Lehren , recht zu thun und dem Nächsten zu dienen , enthält das alte Testament , und Du findest sie veredelt und einer höhern geistigen Entwickelung entsprechend im neuen Testamente wieder ; und Mahomet und Zoroaster lehrten sie – denn sie sind begründet in der Seele , die uns Gott gegeben . Darüber hinaus ist alles Menschensatzung . Und Du , großgezogen in den Vorstellungen des jetzigen Judenthums , wirst nie aufhören , an Alles den Maßstab der Vernunft anzulegen . Du hast gesehen , daß Deine Familie , gut und brav , den Gesetzen der Moral gefolgt ist , und doch die Gesetze , die das Judenthum charakterisiren , als bloßes Ceremonialgesetz verwirft . Du bist erzogen in der Schule des Gedankens , wenn ich so sagen darf , und Dir ist die Möglichkeit des Glaubens ohne Prüfung dadurch genommen . Du wirst hoffentlich ein Mensch werden nach dem Herzen Gottes , aber Du wirst niemals Christin sein noch Jüdin . Wie wir Juden jetzt in religiöser Beziehung denken , gibt es keine positive Religion mehr , die für uns möglich ist , und wir theilen mit Tausenden von Christen die Hoffnung , daß eine neue Religion sich aus den Wirren hervorarbeiten werde , deren Lehren nur Nächstenliebe und Wahrheit , deren Mittelpunkt Gott sein muß , ohne daß sie einer mystischen Einhüllung bedürfen wird . Joseph hielt inne , und auch Jenny schwieg . Endlich fragte sie leise : Und was soll aus mir werden ? Was soll ich denn beginnen , wenn ich nicht glauben kann ? Joseph , der neben ihr auf dem Divan saß , zog sie sanft an sich und sagte mit dem mildesten Tone , dessen seine Stimme fähig war : Du sollst Dich prüfen , ob Du ohne Reinhard nicht glücklich zu sein vermagst , denn nur ihn suchst Du im Christenthume . Du sollst prüfen , ob Reinhard Dir eine so feste Stütze im Leben werden kann , als die Deinen ? Reinhard ist gut und brav , aber ich fürchte , Ihr Beide werdet einander nie verstehen – und am Ende wirst Du Deinem Herzen folgen . Das allein entscheidet zuletzt das Schicksal der Frauen . Gott gebe , daß Dein Herz Dich niemals irre leitet . Er küßte mit den Worten Jenny's Stirn , sie lehnte ergriffen und verschämt den Kopf an seine Schulter , da klopfte es an die Thüre und Reinhard trat in's Zimmer . Er blieb erschreckend stehen , Jenny erhob sich nicht weniger erschrocken und eilte schnell hinaus , nur Joseph war ruhig und hieß den Gast willkommen . Dadurch gewann Reinhard Zeit , sich zu fassen ; einen kurzen Moment schien er zu überlegen , dann ging er schnell und leidenschaftlich bewegt auf Joseph zu und sagte : Ich kenne Sie nicht genau genug , um eigentlich eine solche Frage an Sie richten zu dürfen . Sie könnten mich der Zudringlichkeit beschuldigen , aber mein Lebensglück hängt von der Frage ab : Wie stehen Sie mit Jenny ? Ihre Forderung ist allerdings sonderbar , antwortete Jener , da ich wirklich nicht einsehe , was Sie zu der Frage berechtigt ? Doch will ich Ihnen antworten , weil ich Ihrer Ehre vertraue . Meine Cousine ist mir eine theure Verwandte , die , unter meinen Augen aufgewachsen , mir wie eine Schwester werth ist . Und Sie ist nicht Ihre Braut ? fragte Reinhard weiter . Nein ! war die entschiedene Erwiderung . Aber Sie lieben Jenny ? Was bedeutet sonst die Scene , die ich eben hier mit angesehen habe ? Darüber brauche ich Ihnen keine Auskunft zu geben , und es ist mehr als Sie fragen dürfen , wenn Sie Fräulein Meier die Achtung zollen , die sie zu fordern berechtigt ist , sagte Joseph tadelnd . Reinhard wollte eben eine heftige Entgegnung machen , denn seine Eifersucht raubte ihm die Besinnung ; doch bezwang er sich gewaltsam , und mit erkünstelter Ruhe sagte er : Ich muß es darauf ankommen lassen , wie Sie über mich in diesem Augenblicke urtheilen mögen . Vielleicht gelingt es mir bald , Ihnen in günstigerem Lichte zu erscheinen , und mein Betragen vor Ihnen zu rechtfertigen . – Mit den Worten verließ er Joseph , der gedankenschwer im Zimmer auf und ab ging , bis sein Oheim mit seiner Frau nach Hause kam , denen bald darauf Eduard in der besten Laune folgte . Der Doctor kam aus dem Horn'schen Hause . Man hatte dort von einem Treibhause gesprochen , in dem eine Menge der schönsten Blumen gerade jetzt in voller Blüthe ständen , und Hughes hatte dabei die Bemerkung gemacht , er halte das Treibhaus von Eduard's Vater für eines der reichsten und schönsten , die er jemals gesehen habe . Er erzählte von alle den verschiedenen Camelien , Azalien und Hyazinthen . Clara schien sich dafür lebhaft zu interessiren , und Eduard wagte endlich den Vorschlag , sie möge seinen Eltern die Freude machen , sich selbst durch den Augenschein davon zu überzeugen . Hughes fand die Idee vortrefflich ; er war gleich bereit , seine Cousine zu begleiten , und erhielt dazu nach einigen Einwendungen die Erlaubniß seiner Tante . Die Commerzienräthin nämlich , die ihren Plan niemals aus dem Gesichte verlor , fingen William's häufige Besuche im Meierschen Hause zu beunruhigen an . Es bangte ihr vor der Möglichkeit , Jenny könne der Magnet sein , der ihn dort hinziehe , und sie wünschte lebhaft , die Verlobung Clara's mit William , die ihr sehr am Herzen lag , so schnell als möglich geschlossen zu sehen . Darum war ihr jede Veranlassung willkommen , die Clara und Hughes zusammenführte , besonders diese , bei welcher der junge Mann als Beschützer des Mädchens auftrat ; und es war ihr lieb , wenn sich die Leute gewöhnten , das Paar als verlobt zu betrachten , weil nur zu häufig das Urtheil der Welt uns erst zu Entschlüssen bestimmt , die wir sonst vielleicht gar nicht oder doch viel später fassen würden . Eine größere Freude hätte die Commerzienräthin aber weder ihrer Tochter noch Eduard bereiten können . Beide erglühten vor Lust , als ihre Blicke sich begegneten . Die Verabredung wurde für den nächsten Morgen getroffen , und Eduard eilte nach Hause , um seine Eltern davon in Kenntniß zu setzen . Auch Reinhard war , als er sich von Joseph trennte , nach seiner Wohnung gegangen , und so stürmisch in das friedliche Zimmer der Pfarrerin getreten , daß diese , Brille und Strickzeug bei Seite legend , verwundert zu dem Sohne empor sah , denn sie war dergleichen Ausbrüche in ihrer Nähe , die er wie geheiligten Boden ehrte , nicht gewöhnt . Was ist geschehen , Gustav ? sprich mein Sohn ! fragte sie endlich , als Reinhard , der offenbar keinen Anfang zu dieser Unterhaltung zu machen vermochte , sich schweigend neben sie auf das Sopha warf , und tief aufathmend sein Gesicht in den Händen barg . Was ist geschehen ? Um Gotteswillen ! fragte die Mutter noch einmal , so rede doch . Und des starken Mannes Lippen bebten , und aus beklommener Brust stieß er die Worte heraus : Ich liebe Jenny , und ich sah sie an ihres Vetters Brust ! Auch die Pfarrerin fuhr zusammen . Armer Sohn , sprach sie , also ist sie Joseph's Braut ? Und ich glaubte , sie theile Deine Liebe , die ich lang schon kannte . Sieh Mutter , das ist es ! Auch ich habe an ihre Liebe geglaubt . Ich bete sie an , sie ist der Gedanke meiner Tage , der ewige Traum meiner Nächte gewesen , und nun ! Die Mutter drang in ihn , ihr genau zu berichten , was vorgefallen sei . Reinhard's Erzählung , von den leidenschaftlichsten Klagen unterbrochen , ließ sie einsehen , daß ihres Sohnes Eifersucht der Geliebten Unrecht gethan haben möchte . Sie fragte ihn , ob er Jenny seine Liebe bekannt habe ? Niemals ! antwortete er . Ein mir sonst unbekanntes Bangen hielt mich davon zurück . Wenn ich es zu sagen vermöchte , wie ich Jenny liebe , das schöne , schöne Geschöpf , dessen Lehrer ich gewesen bin , dessen Geist ich gebildet habe , dessen Herz so warm , an dessen Seite zu leben das heißeste Verlangen meines Lebens ist ! Aber in Jenny ist noch ein zweites , fremdes Wesen , das mich kalt zurückstößt , wenn mein Herz ihr offen und warm entgegenwallt . – Hast Du Jenny gesehen , wenn sie den schalen Witzen des albernen Steinheim Beifall lächelt ? wenn sie mit Wonne die Huldigungen von Alt und Jung duldet , und kein höheres Glück zu kennen scheint , als die Pracht und den Luxus , die sie umgeben , keine andere Freude , als Allem Hohn zu sprechen , was es Großes und Heiliges gibt ? Ich habe sie am Morgen Thränen der Rührung vergießen sehen über Empfindungen , die sie am Abend spottend verlachte ; und oft , wenn Ihr schönes Auge mich zu den schönsten Hoffnungen berechtigte , verletzte mich im nächsten Augenblick ihr kaltes Wort so schwer , daß ich schon tausendmal entschlossen war , sie für immerdar zu fliehen . Und sie zu fliehen , sie nicht zu sehen , Mutter ! von Jenny zu scheiden , vermag ich doch nicht mehr . – Beide schwiegen , und die Pfarrerin weinte still . Neulich , fuhr er nach einer Weile fort , hörte sie von dem Unglück einer armen Familie sprechen ; sie war sehr bewegt und doch so klug und ruhig in den Hülfsleistungen , die sie anbot . Sie war gerührt wie ein Weib , und klar und verständig wie ein Mann . Hoch erfreut betrachtete ich sie , wie sie geschäftig alles Nöthige ordnete und aus Kisten und Schränken zusammentrug , was irgend der augenblicklichen Noth zu steuern vermochte . Und nach einer Stunde , als vielleicht auf ihr junges Haupt der beste Segen des Himmels von den Armen erfleht wurde , hörte ich selbst aus ihrem Munde die Worte : Die Dürftigkeit ist nicht poetisch , ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt , sie ist nur niederziehend , ist nur kläglich . – Und ich sollte daran denken , sie in ein kleines Pfarrhaus einzuführen , das ihr niederziehend und kläglich scheinen könnte ? – Nein ! niemals , niemals ! Und wieder entstand eine lange und traurige Pause , bis die Pfarrerin endlich sagte , indem sie ihren Arm um ihren Sohn schlang : Mein armer Sohn ! leider ist manches wahr in Deinen Klagen . Aber bist Du sicher , daß Du Jenny nicht Unrecht thust mit Deinem Urtheil ? Ihr Herz ist gut , sie liebt Dich , und viele ihrer Fehler , die ich nicht verkenne , würden sich verlieren , wenn sie in der Ehe höhere und reinere Freuden kennen lernte , als den Luxus ihres Vaterhauses . O ! das ist es auch nicht , rief Reinhard , innerlichst erfreut , sich widersprochen und die Geliebte gelobt zu sehen . Das ist es nicht ! Gönne ich ihr nicht die Perlenschnur in ihren schönen Locken ? Freue ich mich nicht selbst , wenn der weiche Caschmirshawl sich um die kleine , feine Gestalt legt , und die Schultern blendend weiß daraus hervorschimmern ? Sie ist geboren für diesen Schmuck ! aber , sie kann ihn nicht entbehren ; ich vermag ihn ihr nicht zu geben und würde doch erröthen , mein Weib in einer Pracht zu sehen , die sie nicht mir allein verdankte , die ich nicht mit ihr theilen könnte , ohne von den Wohlthaten eines Dritten zu leben . Und wenn Jenny in einem jener Anfälle rücksichtslosen Witzes jemals ein Wort sagte , das mich daran erinnerte , sie sei die Reiche mir gegenüber – gerade , weil ich sie liebe – bei Gott ! ich glaube , ich könnte sie hassen ! Das wird Jenny nie , begütigte die Pfarrerin , und in der Beziehung würde ich sie ruhig an Deiner Seite sehen . Was mir an ihr mißfällt , ist das jüdische Element in ihr . Der Witz dieses Volkes ist eigenthümlich und fürchterlich , er hat mich oft erschreckt , gepeinigt , wenn es mir in ihrem Vaterhause wohl war , wie es Einem bei so braven , gebildeten Menschen wol werden muß . Der Witz der Juden hat etwas von dem Stilet des Banditen , der aus dem Verborgenen hervorstürzt , den Wehrlosen um so sicherer damit zu treffen . Er ist die letzte Waffe des Sklaven , dem man jede andere Waffe gegen seinen Unterdrücker genommen hat , die feige Rache für erduldete tiefempfundene Schmach . Mutter ! Jenny 's Witz ist nicht so schlimm ; er ist kindisch , schnell und treffend . Aber wenn ich , in thörichter Eifersucht aufgeregt , hart über Jenny urtheilte – vergiß es , liebe Mutter ! bat der Sohn , denn ich habe Jenny Unrecht , sehr Unrecht gethan . Ich selbst glaube nicht , was ich sagte ; es war Leidenschaft , Zorn , was aus mir sprach , nicht meine Ueberzeugung , nicht mein Herz , das Jenny liebt – und nicht wahr ? auch Du hast Jenny lieb ? fragte Reinhard , und die Pfarrerin schwankte , was sie beginnen sollte . Sie sah , daß ihr Sohn zu sehr an der Geliebten hing , um selbst aus dem Munde seiner Mutter ein Wort des Tadels gegen sie ertragen zu können . Lieber wollte er seine Ueberzeugung , seine eigene Erfahrung in der Beziehung Lügen strafen , als Jenny tadeln hören , die er gerade jetzt , wo die Eifersucht ihm die Gefahr , sie zu verlieren , vorspiegelte , um so leidenschaftlicher liebte . Doch siegte die Pflicht , ihren Sohn an Jenny's Eigenthümlichkeit zu mahnen , in ihr über die Scheu , ihm augenblicklich wehe zu thun . Ich habe Jenny sehr lieb , sagte sie , und die kindliche Freundlichkeit , die Hingebung , die sie mir immer zeigt , verdienen meinen wärmsten Dank . Klug , schön und gut wie sie ist , darf jede Mutter stolz auf solche Tochter sein . – Reinhard's Gesicht leuchtete vor Freude und ein feuriger Händedruck lohnte seiner Mutter diese Anerkennung . Doch , fuhr die Pfarrerin fort , täusche Dich nicht , mein Sohn ! Jenny hat Fehler , für die sie nicht verantwortlich ist , weil sie gewissermaßen nationell sind , und weil die Mehrzahl der Jüdinnen sie mehr oder weniger mit ihr theilen . Die Lebhaftigkeit , die Rührigkeit der Juden wird bei der großen Masse zur unerträglichen Manier . Ihr Sprechen , ihre Geberden sind carrikirt . Davon ist der Gebildete bis zu einem gewissen Grade frei , die unruhige Lebhaftigkeit indessen bleibt ein hervorstechender Zug der Juden . Sie mag vortreffliche Geschäftsmänner hervorbringen , der Weiblichkeit aber tritt sie zu nahe . Jenny belebt eine ganze Gesellschaft ; sie ist täglich neu ; man hat Freude an der Unterhaltung mit ihr , nur Ruhe findet man nicht bei ihr . Sie hat Muth und Geist ; sie bewegt sich frei und keck ; und doch muß ich , wie zur Erholung , auf Therese sehen , die in ihrer Bescheidenheit neben Jenny einen gar wohlthuenden Eindruck auf mich macht . Therese ist kälter ; hat nicht so viel Geist , wandte Reinhard ein , und was Du von den Jüdinnen sagst , trifft auch nicht immer zu . Ist Jenny's Mutter nicht die liebenswürdigste , vortrefflichste Frau ? Auch Jenny wird so werden , wenn sie älter sein wird . Und diese beständige Lebhaftigkeit , die Du tadelst , wie viel Freude muß sie dem Manne gewähren ! Jenny 's Geist ... . Das ist es , was ich fürchte ! sagte die Pfarrerin . Jenny 's Geist ist unerbittlich klar ; er läßt sich nie von ihrem Herzen täuschen . Das ist es , was mich besorgt macht . Diesen geistreichen Mädchen aus den jüdischen Familien , die gleich Jenny erzogen werden , fehlt es fast immer an gutem weiblichen Umgange : mehr unterrichtet , als die Frauen ihrer nächsten Umgebung , überschätzen sie sich zu leicht ; das Beisammensein mit Mädchen , die Sorge für die täglichen Bedürfnisse des Hauses hört auf ihnen Freude zu machen ; sie ziehen die Unterhaltung der Männer vor , welche mit Vergnügen solche einen kleinen Ueberläufer empfangen . Im Kreise der Männer machen ihr Geist und ihre Aufklärung rasche Fortschritte ; die neuen Begriffe , der große Maßstab der Männer werden an Alles gelegt ; das Mädchen schämt sich der engen Verhältnisse , die ihm bis dahin genügten ; eilig werden die alten Vorurtheile niedergerissen , die beschränkten Ansichten verworfen ; das Haus , in dessen friedlichen alten Mauern das junge Mädchen heimisch ist und am liebenswürdigsten erscheint , wird zerstört , und ein neuer spiegelblanker Palast errichtet . Durch die großen Scheiben dringt strahlend hell das Sonnenlicht , und glänzt von den glatten Marmorwänden wieder . Alles ist Licht ! kein Halbdunkel , kein düsterer Schatten ; aber auch kein stiller Raum , um dem Schöpfer einen Altar zu bauen , kein traulich Plätzchen für schüchterne Liebe . – Sie hielt inne , ergriff des Sohnes Hand , und sagte mit Bewegung : Ich habe Dir , als Du noch auf meinen Knieen spieltest , oft in Märchen und Bildern die Wahrheit mitzutheilen versucht , die ich Deinem Herzen einprägen wollte ; die alte Gewohnheit ist mir geblieben , wie Du siehst . Jenny , von den Ihrigen im Zweifel erzogen , ist ein weiblicher Freigeist geworden . Wird sie , die Glaubenslose , Dich dauernd glücklich machen können ? Reinhard sah brütend vor sich nieder , ohne zu antworten ; auch seine Mutter verlor sich in Gedanken . So saßen sie eine Weile still beisammen . Bei den Männern , hub die Mutter dann aufs Neue an , ihrer Gedankenreihe Ausdruck gebend , bei den Männern , bei Jenny's Vater , bei Eduard , fällt der Unglaube nicht so störend auf , weil philosophische Erkenntniß ihnen eine feste Ueberzeugung gegeben hat . Aber Madame Meier selbst bedauert die Richtung , welche ihre Tochter genommen hat , denn die Mutter ist ein frommes , echt weibliches Gemüth ; und sage mir ehrlich , mein Sohn ! glaubst Du , Jenny werde jemals von Herzen Christin sein ? Wenn Du nun dastehst und mit inniger Erhebung Deiner Gemeinde das Abendmahl ertheilst im Namen unsers Heilandes , der für uns gestorben ist , wird Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken , daß Deine Frau , Dein anderes Ich , der heiligen Handlung kalt und zweifelnd zusieht und innerlich Dich und die Gemeinde bemitleidet , die Erbauung findet , wo sie ein leeres Formenwesen sieht ? Hast Du Dir Jenny als die Mutter Deiner Töchter gedacht ? – Sie könnte einem Manne unter anderen Verhältnissen gewiß viel , sehr viel sein , aber keinem Christen , keinem Geistlichen , der aus innerer Ueberzeugung seinen Beruf heilig hält . Nein ! rief Reinhard plötzlich aus , nein ! Du irrst Dich Mutter ! Es wird anders werden , anders sein ! Das Licht göttlicher Wahrheit wird auch in Jenny's Geist leuchten , sie wird einsehen und fühlen , daß im Christenthum der Quell ewiger Seligkeit rein und lauter strömt . Ein starker Glaube , wie meiner , muß sie davon überzeugen , und ist sie nicht schon dem Herzen nach Christin ? Alles , was Du an ihr tadelst , liebe Mutter , wird schwinden ; Du hast es selbst vorhin gesagt , wenn ihr Gemüth die ewig wahre Lehre in sich aufgenommen haben wird , wenn eine edlere Freude , eine selige Ruhe sie beleben werden . Denke Dir , welch ein Glück , die Seele seiner Frau gebildet zu haben , sie gewonnen zu haben für die Wahrheit ! – Und werde ich ihr nicht Schätze bieten , edler und unschätzbarer , als ihre Reichthümer , die mich ängstigten ? Morgen noch sage ich ihr , daß ich sie liebe , und ich hoffe , Dir morgen eine Tochter zuzuführen , die würdig ist , einen Platz an Deinem Herzen zu finden ! O theure Mutter ! glaube mir ! wir werden sehr glücklich sein . Ich allein weiß , welch eine Welt von Liebe , von Großmuth in Jenny lebt , ihre Seele entspricht dem holden , süßen Antlitz – und Beides mein ! Jenny ganz mein , mein Eigen ! Es ist fast zu viel Glück ! – sagte er lächelnd , und fing an , der Pfarrerin ein Bild ihres künftigen Lebens in ländlicher Stille zu entwerfen , das der armen Frau Thränen entlockte , eben weil sie ihrem Sohne ein solches Loos wünschte , und doch zweifelte , ob es jemals Jenny zusagen würde . Nur mit Ueberwindung wagte sie , ihrem Sohne den Vorschlag zu machen , noch ein paar Tage mit seiner Werbung zu zögern , nochmals reiflich zu überlegen – denn zu harren , bis er eine Anstellung gefunden , dazu war er nicht zu überreden . Die Warnungen seiner Mutter , ihre Mißbilligung hatten nur dazu gedient , ihn an Jenny's Vorzüge zu erinnern , und widerstrebend versprach er , das Meiersche Haus ein paar Tage zu meiden , und Jenny nicht zu sehen . Der nächste Morgen , ein Sonntag , brachte nach trüben Tagen mit Wind und Schneegestöber , wie der Dezember sie bietet , einen klaren , frischen Frost . Die Straßen waren trocken , und sahen in der Sonntagsstille , die in großen geräuschvollen Handelsstädten um so friedlicher erscheint , gar reinlich und festlich aus . Mit der eitlen Sorgsamkeit einer Hausfrau musterte Madame Meier die Zimmer , ließ nochmals jedes Stäubchen fortkehren , und wollte es doch nicht wahr haben , daß sie heute noch mehr darauf halte , als sonst , weil sie Clara zum Frühstück erwartete . Eduard hatte die erste Morgenstunde dazu benutzt , mit dem Gärtner das Treibhaus zu durchwandern . Er selbst hatte die seltensten Exemplare in das rechte Licht gestellt , den Frühstückstisch unter die Orangen setzen lassen , deren Blüthen am üppigsten dufteten , und dem Gärtner aufgetragen , ein Bouquet zu arrangiren , das für diese Jahreszeit als ein wahres Wunder erscheinen mußte . Dann hatte er in fast knabenhafter Fröhlichkeit mit Jenny gescherzt , mit ihr herumgewalzt , als eine Truppe Musikanten auf der Straße spielte , und sie zuletzt gebeten , doch zuzusehen , daß es Clara in seinem elterlichen Hause recht gefallen möge . Joseph sah theilnahmlos dem fröhlichen Treiben der Geschwister zu . Er wurde wehmüthig gestimmt , als Jenny nach Eduard's Entfernung zu ihm kam , ihm die Hand reichte und mit ungewohnter Feierlichkeit zu ihm sagte : Joseph ! ich habe Dich bis jetzt verkannt , Dich nicht genug geliebt . Was mir die Zukunft auch bringen wird , Du sollst mein geliebter Bruder , mein zweiter Eduard sein . Willst Du das ? und Du kannst mir vertrauen , wie einem Manne , wie ich Dir ! – Er antwortete ihr nicht gleich , sie hatte sein Urtheil ausgesprochen , über sich und ihn entschieden . So sei es , war Alles , was er ihr endlich zu erwidern vermochte , weil er alle Art von Aufregungen eben so ängstlich mied , als Jenny sie suchte ; und sie besaß nicht Beobachtung genug , in Joseph's stillem , ruhigem Gesicht den wahren Schmerz zu lesen , den ihre Entscheidung ihm verursachte . Sie war unzufrieden mit ihm , als sie ihn verließ . Eduard kehrte schon gegen Mittag von seiner Praxis zurück und versuchte umsonst , die Ungeduld zu verbergen , mit der er nach dem Zeiger der Uhr und auf die Straße hinaussah , von welcher die Ersehnte in Begleitung ihres Vetters kommen sollte . Da rollte endlich ein leichtes Fuhrwerk über das Pflaster , hielt vor dem Meierschen hause still , die Thorflügel öffneten sich , der Portier zog die Glocke , und Eduard flog die Treppe hinunter , um die Geliebte selbst zu seiner Familie zu geleiten . Jenny ging ihr bis in das Vorzimmer entgegen , die Mädchen umarmten sich auf Mädchenart mit zärtlichen Küssen , das alte , trauliche » Du « der längst verflossenen Schulzeit wurde hervorgesucht , und es vergingen mehrere Minuten , ehe Clara in das Wohnzimmer zu Madame Meier kam . Sie sah schön aus an dem Tage .