Erstes Buch . Erstes Kapitel . „ Amerika ! Welcher Name hat einen Inhalt gleich diesem Namen ! Wer nicht Dinge der gedachten Welt nennt , kann in der wirklichen Welt nichts Höheres nennen . Das Individuum sagt : mein besseres Ich , der Erdglobus sagt : Amerika . Es ist der Schlußfall und die große Cadenz im Concerte der menschlichen Vollkommenheiten . Was unmöglich in Europa , ist möglich in Amerika ; was unmöglich in Amerika , das erst ist unmöglich ! Ich sehe hier die höchste gesunde Kraftentwicklung des volljährigen Menschenkörpers ; — drüber hinaus liegt Convulsion und Delirium ! “ „ Amerika ! heilige Erstarrung ergreift mich bei deinem Anblicke . Die Schauer der Menschengröße wehen von deinen Ufern . Menschengröße , wer kennt dein Gefühl in Europa ? Karl der Große , Ludwig der Große , Friedrich der Große — das sind die Menschengrößen der alten Welt . Was sonst noch groß ist neben ihnen , wird decorirt oder hingerichtet ! — O weiche zurück , Andenken Europa's , vor dem blühenden Bilde dieser jungen Erde ! Sei mir gegrüßt , Morgenstirn , Morgenantlitz , frische , schwellende , aufstrahlende Schönheit ! Ein jugendlicher Mensch ist die Freude des älteren , aber eine jugendliche Welt , — ist es möglich , diesen Wonnebegriff in ein sterbliches Herz aufzunehmen ? Glückliches Land ! mit allen Säften unsrer Geschichte bist du genährt , aber wir sind die gröbsten , du das feinste Gefäß dieser Säfte . Asien die Wurzel , Europa der Stamm , Amerika Laub- und Blüthenkrone — so gipfelt sich das Wachsthum der Menschheit . Und die runzeligen Rinden Asiens und Europa's durchkriecht das Insect , auf Amerika's Wipfel wiegt sich der freie , fröhliche Vogel ! In unsern geschichtlichen Schlupfwinkeln verpuppt sich die graue , schläferige Raupe , aus Amerika's Blüthenkelchen trinkt der Schmetterling seine Psyche-Unsterblichkeit ! “ „ Ein Mann von riesigem Leibe kam an ein Wasser , daran fand er ein Knäblein spielen . Das Knäblein sagte : Mann trag' mich über das Wasser , denn deine Schultern sind stark . Und der Mann hob das kleine , federleichte Körperchen auf , und trug es durchs Wasser . Aber im Tragen verwandelte sich das Kind in eine schwere , gewichtige Last . Wie geht das zu ? wunderte sich der Mann , trag' ich doch ein schmales , schmächtiges Knäblein ! Du irrst dich , antwortete dieses , Himmel und Erde trägst du auf deinen Schultern . — Darf ich dieser Legende nicht hier gedenken am Bord meines Auswandererschiffes ? Der große Christoph sind wir , die alte Weltgeschichte ; auf unsern Schultern stehst du , Amerika , das wir in kleinsten Anfängen über die atlantische Wassergränze trugen ; aber wundergleich überflügelt uns dein Gewicht , und wahrlich ! du bist der Heiland , der uns einst Alle erlösen wird ! Glückzu , daß du nicht zu sterben brauchst für uns , daß du leben wirst , leben , und nichts als leben ! Zurück ihr Tragiker , die ihr den Angstschweiß , die Thränen , das Blut von hingerichteten Weltideen in den goldnen Schalen eurer Verse sammelt ; hier füllen sich nicht eure Schalen . Nach Asien geht , nach Europa ! Dort spricht man den Besten und Tugendhaftesten die Todesstrafe zu ; — hier werden sie zu Präsidenten erwählt ! “ — „ Amerika ist ein Bau , bei welchem die menschliche Vernunft zum erstenmale das Gesetz der Schwere fand . Die Staatsgebäude der alten Welt fingen mit der Kuppel an . Der König und der Hohepriester wölbten vor Allem das unermeßliche Dach . Dann kamen die Vasallen , die Ritter und Krieger und stellten ihre Säulen darunter . Unter die Säulen setzte das Bürgerthum seine Sockel . Vom Sockel abwärts endete das Gebäude . Die Sudras , die Pariahs , die Fellahs , die leibeigenen Bauern , — sie waren ein verwahrloster Untergrund . Die Baukunst that nichts für ihren Bestand , sie erlaubte blos ihr natürliches Dasein . Das Fundament war geduldet . Trug es den schweren überladenen Bau , so that es das Glück ; trug es ihn nicht , so sank er langsam mit dem zerquetschten Volksleben in die Erde , wie Asiens Despotien , oder er riß gewaltsam in Trümmer unter den Revolutionen Europa's . Weises Amerika , das mit dem Anfange anfing ! “ „ So werd' ich bewohnen ein festes , wohlgezimmertes Haus , ein Haus gebaut auf die erste aller Wissenschaften , auf die Wissenschaft vom Volke . Marquis Posa sans phrase ist der Hausherr darin . Ich trete ein , und umarme staunend und schauernd den erschossenen Freund . Er lächelt . Verwundere dich nicht , Bruder , mich hier im Gedeihen zu finden . Du wußtest ja , ich bin unsterblich . Die Königswunde hier — traumhaft fährt er sich an die Stirne — siehe , sie ist glücklich vernarbt . Ach , es war ein beschränktes Jahrhundert ! Lächeln wir , Freund , über seine Irrthümer . Damals versagte man der Humanität eine kleine Anstellung in Holland , heute schwingt sie ihr Scepter über einen Raum , den Flandern und Brabant hundertmal einnehmen könnten und mancher Acre erübrigte noch zu einem irrenärztlichen Latifundium für den Madrider Staatsrath . Nicht wahr , das Menschenthum schreitet doch vorwärts , und die Könige sind — das Menschenthum schreitet doch vorwärts , und die Könige sind — sonderbare Schwärmer ! Hier zuckt man die Achseln über die Ausführbarkeit ihrer Träume und auf dem Capitol zu Washington findet man nichts praktisch , als unsre Ideale . — Sei mir willkommen , Freund , sei mir willkommen ! “ — Also wurde die Küste von Amerika begrüßt . Ein Mann von jugendlichem Alter steht auf dem Vordertheil seines Schiffes und schaut mit verschränkten Armen und begeistertem Blicke sein großes Gegenüber : die neue Welt . In seinem Hymnus steht seine Gestalt vor uns , kaum brauchten wir die leibliche zu betrachten . Aber auch diese drückt eine edle , schwungvolle Persönlichkeit aus . Auf seine Stirn haben die Götter das Siegel des Gedankens gedrückt , sein Mienenspiel ist eine Lyra , mit vollen , herztiefen Empfindungen besaitet . Sein Wuchs , mit Winkelmann zu reden , sein Stamm ist fein , wir möchten sagen artistisch gebaut . Ein künstlerischer Wurf geht auch durch seine Bekleidung . Sie hat nichts zu thun mit dem entsagenden Negligé des abstract Gebildeten . Sie verräth Formensinn . Sie stellt eine Persönlichkeit dar , welche über die Identität von Gestalt und Gehalt durch ein natürliches Gefühl , durch eine angeborene Poesie belehrt ist . Der Segler passirt die Narrows , die Meerenge zwischen LongIsland und Staten-Island . Links und rechts gezogene Hügel , Wald kronen , Wiesenteppiche , darüber verstreut , von der Hütte bis zum Palast , ein Füllhorn menschlicher Wohnungen . Im Prospect die prächtige Bai von Newyork , sie , die sämmtliche Kriegsflotten der Erde aufnehmen könnte , im Tiefgrunde die Stadt selbst . Das MastenGepfähl und Tau-Gestrick ihres Hafens garnirt sie , aus dieser Ferne gesehen , wie das zarteste Spitzengewebe ; kaum schimmert der Teint ihres weißen , holländischen Häuseranstrichs durch . Am Borde streitet man sich , ob diese Einfahrt wirklich Aehnlichkeit mit Neapel habe oder nicht . Der hohläugige Seekranke behauptet's mit freuderothem Auferstehungs-Jubel , der vielgereiste Tourist zuckt die abgehärtete KennerAchsel . Dem Dritten liegt die Stadt zu eben , sie hat kein Relief . Der Vierte stellt auch Hoboken und Brooklyn in ihren Rahmen und jenes zieht den blauen Hügelkranz von Neu-Jersey , dieses die bewaldeten Bergwände Long-Islands mit in das Bild . Ein Anderer verschiebt Berg und Wald , setzt sie hieher und dorthin und gewinnt ihnen schöpferisch einen Vesuv ab . Unser Hochwächter im Vorder-Castell wendet sich um und spricht über das Verdeck hin : Meine Herren , wenn es heißt : Neapel sehen und sterben , so wollen wir sagen : Newyork sehen und leben ! das ist Gleichartiges und Verschiedenes . Beifallszuruf folgt dem Wortspiele des Mittlers ; dieser vereinsamt sich wieder und legt sein Auge betrachtungsvoll auf Land und See hinaus . Ein grauer Gewitterdunst umduftet den schwülen Sommerhimmel . Der Seespiegel schattet ihn ab und gleicht einer dunklen , angehauchten Stahlplatte . Links auf Neu-Jersey , rechts über Brooklyns Waldhöhen hängen zwei dünnwallende Sprühregen herab . In der Mitte von beiden bricht im Hintergrunde die Sonne durch und spannt ein paar breite großgefächerte Strahlen über Newyork . Die Stadt schwimmt in einem milchweißen Fernenlicht , das mattgraue Wolkengehänge des Vordergrunds contrastirt dazu mit einer schlagenden Wirkung . Wer Neapel in diesem Nimbus gesehen , dürfte sich glücklich preisen . Ein solches Bild mit andern abzuwägen , kennzeichnet das Gros der Menschenaugen . Sie sehen die Landschaft nur als wägbare Masse , der beleuchtende Geist entgeht ihnen allzuoft . Unser Ankömmling enpfindet ihn voll . Sein Auge ist wie von einem Zauber gefesselt vor dieser Lichtwirkung . Es ist ihm , als sähe er in der neuen Welt ein neues , sich selbst übertreffendes Tageslicht . Und das sinnliche Bild wie ein Symbol deutend , ruft er aus : Ja , nur Amerika hat Tag , Europa das Phosphorlicht seiner faulenden Stoffe ! — Inzwischen treibt das Fahrzeug dem Lande immer näher . Die Scenen der Bai werden reicher und bunter . Schiffe von allen Größen und Formen — im Ocean nur durch's Fernrohr gesehen , durch's Sprachrohr angesprochen — bewundert man jetzt in der Nähe ; gleich Delphinenschaaren erfüllten sie zu Hunderten das majestätische WasserBassin . Zwischen ihnen tummeln sich kleine verwegene Ruderboote und verschwinden in jedem Augenblicke aus dem Gesichte , so oft eine frische Brise über den Meeresspiegel haucht . Aber immer sind sie wieder oben , lustig , geschäftig , rastlos wie die Bienen . Es ist auch ein Bienenvolk , das nach Honig ausschwärmt . Die Repporters der Zeitungen sind's , welche meilenweit den einlaufenden Schiffen entgegenkommen . Sie scheinen die Honneurs der neuen Welt zu machen , den Fremden ihre Dienste anzubieten , verfolgen aber nur den Zweck , sich selbst allerlei Seeberichte und Reisenotizen von ihnen einzusammeln . Weniger artig verhüllen ihre Honiggier die Runners , die Clerks der Makler , der Agenten , der Gastwirthe . Zu Ballen und Rießen bombardiren sie das Schiff mit ihren Annoncen , entern , erstürmen es und möchten es in die Sclaverei ihrer Firma gerne mit den geringst-möglichen Umständen schleppen . Bei dieser Gelegenheit geht mancher Wahn in die Brüche , daß man sein Englisch in bester Aussprache einstudirt habe . Indeß verständigt man sich doch zuletzt , läßt sich hier in ein Geschäft ein , belegt dort eine Nummer im Gasthaus . Auch unserm Helden präsentirt ein geschäftssüchtiger Runner die Karte seines Hotels . Aber er bringt seine eigene Adresse mit , und dieser Sorge enthoben , wendet er sich von dem Beschwerlichen ab , denn das Einclariren des Schiffes unterhält jetzt seine Aufmerksamkeit . Er vernimmt die letzten Commando's des Lootsen , das letzte Segel sieht er von den Matrosen beilegen , das Schiff geht vor seine HafenBarriere . Ein leiser Schauer durchrieselt ihn , indem die schwere Ankerkette über die Winde rasselt . Ach , nur der Reiche reist , gleich dem Elfen Puck „ schweifend über Land und Meer ” — aber wie Viele heftet diese Kette bleibend an den Boden , für den sie vielleicht ihr Letztes eingesetzt ! Da flattern sie hin Alle mit der gleichen Hoffnung , Jeder mit seinem besonderen Schicksale ! Ein Nest voll halbbesiederter Brut dünkt ihm das Auswandererschiff — wer wird aufwärts dringen in den blauen , liederreichen Aether ; wer wird niederstürzen in den Busch , in die Tatze des lauernden Wildes ? Das Ankerwerfen ist einer jener Momente , wo man die Geisterhand deutlicher zu sehen glaubt , die das Menschenschicksal webt . Auch bei der rosigsten Aussicht flirrt Gespensterfurcht wie ein schwarzer Faden durch 's Auge . Im Getümmel des Landens , des Ausschiffens , in einem Babel amerikanischer Namen und Adressen , die jetzt von allen Lippen durcheinander schwirren , verlieren wir den Freund , der zuerst unsre Aufmerksamkeit erregt , nicht aus dem Auge . Schlägt er doch auffallend genug seinen Weg ein ! Während Alles um ihn her den Hotels und Agenturen zuströmt , lenkt dieser Ankömmling , nach einem minutenlangen Aufenthalte im Zollhause , seine Schritte auf die Battery , auf Newyorks Promenade . Das weltberühmte Südende Newyorks , die Battery , war im Jahre 1832 noch nicht wie heute mit einem überhandnehmenden Anbau von Matrosenschenken und Auswandererherbergen behaftet . Die vornehmste Atmosphäre der Manhattanstadt wehte damals auf dieser reizenden Landspitze . Ihre Rasenteppiche , ihre Schattengänge von Linden und Pappeln athmeten den Geist einer erhabenen Idylle . Im Angesichte der unermeßlichen Bai , am Mündungspunkte des breiten Nord- und Oststromes , in einer Lage , die vielleicht mit dem „ goldenen Horn “ um die Palme ringen kann , genoß sie der großartigsten Schau des Seeverkehrs und war doch nicht berührt von ihm . Er defilirte gleichsam in Parade an ihr vorbei , zum gemeinen Dienste schwenkte er rechts ab an den Kai des Ostflusses , damals seinem wichtigen Emporium . Auf der Battery schlürfte Newyork nur den Duft seiner Seemacht . Diese Avenüe hat unsern Freund schon am Bord seines Schiffes bezaubert ; hier wandelt er jetzt im Grün und Laubschatten , — ein letztes intimes Stelldichein der reinen Gemüthskräfte gegenüber den handelnden . An der Pforte einer Hemisphäre , am Fußgestelle riesenhafter Wirklichkeiten will er noch einmal eine Stunde der Muße feiern und seine ganze Innerlichkeit in ein großes Gegengewicht zusammenfassen , als scheute er mit dem ahnungsreichen Helden der Tragödie , daß ihn der Zufall Blind herrschend mit sich führe ! Wir sehen , der flüchtige Blick auf die Persönlichkeit dieses Mannes hat uns nicht getäuscht . Ein Mensch steht vor uns , den nicht die gemeinste Noth beeilt , der sein Leben nicht auf Bestellung lebt , aber Ein Auftrag scheint ihm geworden : das Subject zu vertreten in der Welt der objectiven Aeußerlichkeiten . Wir belauschen seine Gedanken nicht mehr wie am Bord des Schiffes . Dort waren sie ein Aufblitz der Begeisterung , ein Hallelujah , hier sind sie eine stille Messe der Andacht . Er ist mehr bei sich selbst , als bei der Welt ; von Zeit zu Zeit fließt ein leiser Schriftzug in sein Taschenbuch . Anfangs häufiger , bald aber sparsamer und mit manch ungeduldigem Correcturstrich . Das macht , die Battery ist nicht ganz so geräuschlos wie es zuerst schien . Die Stadt , die hinter diesem dünnen Vorhang von Bäumen liegt , kann ihre mächtige Nähe nicht leicht verschweigen . Schauerlich tönt 's da herein . Die industriellen Donner , das friedliche Kriegsgetümmel , das Jagdgeheul der Nahrungssorgen , die ganze Symphonie eines Werktages , der für eine halbe Welt arbeitet , pflanzt sich mit dumpfem Schwalle über die Wipfel des Parks fort . Kein Künstler vermag das Ungesehene lebendiger zu veranschaulichen , als diese taube Masse unvermischbarer Geräusche das Freskogemälde einer großen Stadt zeichnet . Einer Stadt , die noch an sich selbst arbeitet , und schon ein weltgroßes Hinterland auszuarbeiten hat ! Ein Kessel , der zugleich braut , da er noch unterm Hammer ist ! Kein Wunder , wenn sich das Erdbeben dieses Bodens nicht unterbinden läßt mit der Schnur , die ein paar Alleen zieht ! Die Battery ist das Erkerstübchen Newyorks . So weit sie sich ausladet in das schöne , blaue Meer — sie kann dem Hause doch nicht entfliehen , dem sie angehört . Und wie dieses Haus in allen Sparren und Balken dröhnt , so zittern auch die Fenster des Erkers , auf dem Brette wanken die Blumenstöcke , und dem Großvater an der Wand fährt's stoßweise durch die Glieder , daß er manchmal zu nicken scheint , wie der Gouverneur zu Pferde . Da ist das Töchterchen , das ihren Dichter lesen , der Sohn , der seinen Euklid studiren will , auch nicht so ganz geborgen im Erkerstübchen . Unser Spaziergänger empfindet's . In dem Lärm , der seine Promenade umbrandet , hat er von Zeit zu Zeit eine hellgellende Knabenstimme unterschieden , die mit dem robustesten Pathos eine Waare von unwiderstehlicher Zugkraft auszu rufen schien . Der jugendliche Schreier war bisher stets unsichtbar geblieben , denn die Battery hatte in dieser späten Vormittagsstunde wenig Besuch und der kleine Autochthone kannte ohne Zweifel seinen Markt . Endlich aber verirrte er sich doch in die Anlage . Zeitungen waren's die er ausrief . Er that dies mit der ganzen Inhaltsanzeige der Tagesnummer . Der Fremde horchte hoch auf . So viel er hier zu hören bekam , waren die Völker von halb Europa in Aufstand , einige Könige verjagt , viele Minister hingerichtet , die vornehmsten Börsenhäupter bankrott , mehrere Städte versunken , und ein teuflisch-raffinirter Doppel-Gattenmord machte den unschuldigen Schluß der Nippes-Artikelchen . Dem Europäer blieb zwischen Staunen und Lachen zu entscheiden anheimgestellt , ob hier Orts die Redaktionen selbst ihre Zeitungen so kühn überwürzen , oder ob das Genie ihrer Colporteurs auf eigene Verantwortung diesen schwindelnden Flug nimmt . Jedenfalls aber war es landesübliche Geschäftspraxis , denn er sah an den Mienen der Vorübergehenden , daß sie nichts Außerordentliches hörten . Indeß wollte er Neugierde halber die Nummer erstehen und war eben im Begriffe , den marktschreienden Newsboy aus der Ferne zu sich zu winken : da änderte sich die Sache . Der Knabe colportirte noch eine andere Waare — eine unnennbare ! Denn auf einmal schrie er den Titel eines Preßerzeugnisses in die helle , freie Luft hinaus — dem Fremden schoß alles Blut in's Gesicht ! Erschrocken blickte er um sich — leider sahen die Vorübergehenden so gleichgiltig dazu , wie zuvor ! Also auch landesüblich ! Preßfreiheit und Preßscheußlichkeit in unmittelbarster Berührung ! Neben dem römischen Triumphator ging so ein Sclave einher , der sein Zerrbild und Affe war . Aber das Aergerniß wurde noch ärger . Der Junge schlug mit seinem schamlosen Geschrei einen Baumgang ein , in welchem drei junge Damen von feinstem Aeußeren an der Seite ihrer Begleiter promenirten . Dieser Umstand beengte indeß den rücksichtslosen Kaufmann nicht im Geringsten . Vergebens erwartet unser Zuschauer , daß er verstummen wird : mit nichten ; er fährt auf's Zwangloseste fort , sein Kaufgut auszurufen . Vergebens erwartet er selbst , daß die Herren der Damen einschreiten werden : es unterbleibt ; sie ehren die Freiheit des Handels und Wandels . Entsetzlich ! Nimmt man diesen Unfug hin , wie — irgend eine Scene des Thierlebens auf der Straße ? Geschieht nichts gegen diese Schändlichkeit ? Und schon begegnet man sich von beiden Seiten , nirgend ein Nebenweg zum Ausbeugen , — und dicht vor den Stirnen der jungen Schönen erhebt der Freche von Neuem seinen Ruf ! Mit dem peinlichsten Gefühle verfolgt der junge Mann jetzt die Haltung der Mädchen . Die Armen ! was können sie thun dem souverainen Scandal gegenüber ? Die Dame rechts blickt zur Seite und faßt eifrig einen Hafenkrahn in's Auge , die mittlere verbirgt ihr Antlitz in's Taschentuch , die Dame links — ein kleiner blonder Engel , das seraphisch-gescheitelte Lockenhaupt kaum im Drittels-Profil sichtbar — ist es möglich , das Kind hält den Jungen an ! Sie zieht ihre Börse , sie winkt mit einer Handbewegung seewärts , der Bube läuft gehorsam an den Wall der Battery , und im nächsten Augenblicke — entladet er sein ganzes Portefeuille in's Meer . Den Zuschauer überfliegt's wie ein Strahl . Bravo Lady , das haben Sie wohl gemacht ! Zwar nicht die Welt , aber doch Ihren Spaziergang konnten Sie reinigen von diesem Schmutze . Es ist geschehen . Jetzt erst blickt er aufmerksamer nach der interessanten Spaziergängerin . Leider , da ist auch das Drittels-Profil hin ! Ein ältlicher Herr , dem Augenscheine nach der Klasse der höheren Tafel-Autoritäten zuzählend , schnaubt in der vornehmen Freiheit eines bequem gelüfteten Sommeranzugs heran . Sein Volumen ist das vom trojanischen Pferd . Mit dem Gruße eines intimen Hausfreundes schließt er sich der Gesellschaft an , d. h. blos sein Schatten saugt all ihre Körper auf . Namentlich die kleine blonde Lady verschwindet neben ihm , wie ein Schneeglöcklein unter der Lawine . Die ganze Gruppe entfernt sich gegen die Landseite . Das Alles war die Scene weniger Augenblicke . Der Fremde brach auf . War es Absicht , daß er die Richtung der drei Damen einschlug , oder — doch , was kümmert es uns ? Fragt er sich doch im eigenen Selbstgespräch : was kümmert es dich ! Der die Urschatten der Hinterwälder sucht , sollte sich im Passiren einer Hafenstadt — ein artiger , kleiner Charakter ! Die ihre Tugend auf den Krahn hing — und die andere mit dem Taschentuch-Feigenblatt — es war vielleicht weiblicher — im niederen Style , ja ! Sie handelte im großen . Ueberhaupt sie handelte . Doch , — was kümmert es dich ! In Ohio wird es eines deiner Gedichte . — Gedichte ! Ach ich habe , wie schwer ! meine Gedichte bezahlt — Ich glaube es Ihnen , Herr Geheimerath ! Was unsterblich im Gesang soll leben Muß im Leben untergehn — der Teufel selbst hat Ihnen das gesagt , Herr Hofrath ! Wie die Herr'n Brüder das Leben kannten ! Damit läßt er , oder verliert er die Gesellschaft aus den Augen . Auch die äußere Scene um ihn ist jetzt verwandelt . Nur wenige Schritte haben ihn nach der Stadtseite der Battery geführt , und schon zeigt die Anlage ein wesentlich städtisches Bild . Eine Reihe glänzender Cafés gruppirt sich hier unter den Schattengängen des Parks , sie schließen sich zum voll gewundenen Kranze besonders an der Fronte , wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt zusammenmünden . Zwar umwittert ein Geist von Einsamkeit diese Pavillons , welche nur Sommererfrischungen bieten , und nichts von jenen nahrhafteren Genüssen eines amerikanischen Frühstücks , dessen Stunde eben regiert : deßungeachtet fehlt es den Cafés nicht an Leben . So z. B. stimmt gleich im nächstgelegenen ein Orchester von Schwarzen seine Instrumente , und veranlaßt unsern Gast ein Glas Eis zu nehmen , als Folie seines ersten amerikanischen Kunstgenusses . Das Concert beginnt . Ein seltsam zerhackter Rhythmus , dessen Tactart in einigem Dunkel schwebt , und überdies von jedem der einzelnen Künstler ziemlich selbstständig gehandhabt wird ! Aber wie wird unserm Zuhörer , als die Melodie , ohne alle Vermittlung , plötzlich aus Dur in Moll überspringt ? Entsetzt fährt er auf , reißt dem Vorgeiger die Violine aus der Hand , und spielt ihm die Figur correct vor . Alle Anwesenden staunen den Europäer an , Niemand begreift die Einmischung eines Gentlemans in das „ Handwerk “ der Schwarzen . Diese selbst am Wenigsten . Zwar hören sie mit geschmeicheltem Lächeln dem Spiele des Fremden zu , als aber die Reihe wieder an sie kommt , stellt sich an derselben Stelle auch derselbe Barbarismus wieder ein . Ob man hier aller Orts die Ausübung der Musik diesen Negern überlasse ? fragt der bestürzte Kunstfreund den Aufwärter . — In der Regel , mein Herr , war die Antwort , die Niggers haben mehr Talent dafür als die weißen Natives . Einige Anwesende sahen den unaussprechlichen Gesichtsausdruck des Fremden , und er glaubt zu hören , wie sie sich zuflüsterten : Ein Deutscher ! Darauf nimmt einer derselben laut das Wort und sagt mit dem augenscheinlichen Bestreben einer Ehrenrettung : Nämlich , mein Herr , es ist hier von öffentlicher Musik die Rede . Gute Kammermusik findet sich wohl unter uns . — Wo , mein Herr ? fragt der Ankömmling wie mit einem Hilferuf . — Bei Mr. Bennet zum Beispiel . — Der Fremde schien geneigt , über diesem Gegenstande länger zu verweilen , aber es blieb ihm unmöglich unter der fortwäh¬ rendenGeisel des wilden Orchesters . Im Pavillon gegenüber begann jetzt sogar ein zweites zu spielen , natürlich eine andere Melodie und in einem anderen Tact und Rhythmus . Beide Orchester vernahmen sich einander vollkommen gut , das schien aber weder ihr , noch ihrer Zuhörer Wohlbefinden im Geringsten zu beeinträchtigen . Einige Kinder , an ihrer englisch-amerikanischen Mundart als reinste Natives kennbar , liefen sogar begierig herbei und stellten sich mit intelligentester Raumabmessung zwischen die spielenden Orchester in die gerechte Mitte , um , wie sie sich zujubelten „ zwei Musik “ zu haben . Der Europäer ergriff eine wilde Flucht . Mit der Sehnsucht eines Bräutigams dachte er einen Augenblick lang — an seine Violine . Sie lagert jetzt im Zollhause mit seinem anderen Gepäcke ; bis er sie in das bezogene Logis abholen läßt , widmet er ihr ein zärtliches Andenken . Ahnt er doch , welchen Werth sie ihm jetzt haben wird ! — Aber wenn nach Novalis Architektur starrgewordene Musik ist , so hat Newyork mindestens seinen starren Beethoven im Broadway . Das sollte der Unvorbereitete sofort empfinden lernen . Er stand ohne es selbst zu wissen am südlichen Mündungspunkte dieser Riesenstraße — eine geringe Wendung , und Broadway lag vor ihm aufgethan . Der Anblick erschüttert ihn . Den Zeus aller Straßen erblickt er ! Zwei Kriegsschiffe , dünkt ihm , könnten sich ausweichen darin ; — das ist ihre Breite ! Zwei Kriegsschiffe , dünkt ihm , könnten an beiden Enden sich bombardiren , und ihre Kugeln erreichten sich nicht ; — das ist ihre Länge ! Vergebens stemmt er sich mit Trotz gegen diesen Eindruck des Ungeheuren . Wohl sieht er , wie die Verhältnisse der Häuser — damals in Mehrzahl noch klein und unansehnlich — das Verhältniß der Straße vergrößern . Wohl sieht er , wie die einförmige Geradlinigkeit der Pappelallee , welche die ganze Flucht durchläuft , ein Hebel mehr ist zur perspectivischen Täuschung . Aber wenn die erste der Pappeln ein Thurm und die letzte wie ein Grashalm erscheinen kann — wer überwände die Täuschungskraft einer solchen Perspective ? Wahrlich , ein Volk , das in diesen Dimensionen denkt , hat etwas von dem Geiste der die neunte Symphonie schrieb , oder den olympischen Jupiter meißelte ! Es hat ein Recht an das : anch' io son' pittore ! Der Newsky-Prospect ist ein Kaisergedanke , eine Linie aus dem Generalstab ; der Broadway ist ein Volksgedanke , ein Maß nach der Krämerelle ! Setzet sie unter die Sterne , diese Krämerelle ! Die Seele unsers Helden , jedes Große und Neue schnell in seiner höchsten Wesenheit fassend , huldiget so dem ersten Anblicke des Broadway . Im nächsten Augenblicke nimmt er es auf mit ihm . Er ist entschlossen , in diesen Strom unterzutauchen , und stürzt sich muthig hinein . Und wahrlich , ein Strom ist die Pulsader Newyorks , ohne alle Figur . Ein Mississippi zu Lande ! In der Fahrstraße hat die gestaute Fluth der Fuhrwerke kaum Zeit und Raum sich aus einander zu wirren und individuell abzufließen . Welch ein Schwall von Wagen bedeckt hier in jedem Augenblicke jeden Quadratzoll Landes ! Die Karre des Shopkeepers zerrt ihre Ballen und Fässer , der urmenschlichen Schleife verwandt , niedrig am Boden dahin — das kurzbeinige Krokodill dieses Strombettes . Delphinenleicht und lustig tanzt die Karrosse des Millionärs an ihr vorbei , hochgepolstert über Shopkeepers Niveau , das vielleicht einst das ihrige war . Plump und brutal wälzt sich die fahrbare Völkerwanderung im Omnibus , die riesige Wallfischmaschine , daher , und schurft , alle Fluth an die Seiten drängend , ihre breitspurige Wogenbahn . Wer ist groß außer ihr ? Der Cirpencefahrer auf der Decke dieses Kastens blickt in die Karrosse nieder , wie von der Belletage in's Kellergewölbe . Und doch ist über dem keckbemalten , fahnenbewimmelten Omnibus noch ein höheres Wesen . Platz da ! rette sich wer kann ! die Straße verdunkelt sich , — ein langer , keuchender Pferdetrain schleppt ihn herauf , den Alles überragenden Transportwagen . Ein Haus transportirt er — ein fertiges Backsteinhaus ! Nur das Dach und der Schornstein fehlt , wenn sie nicht dem Ungeheuer wie in einem Strickkörbchen , nachgeführt werden . — So die Straße . Gefähr jeder Größe , Form und Bestimmung drängt sich so dicht hinter einander , daß das Ganze wie ein einziger Leib , wie ein unsterblicher Heerwurm sich ausnimmt . Die tägliche Bilanz dieser Achsenumdrehungen erreicht vielleicht die Million , ihr nächstes Product ist ein unaussprechlicher Lärm . Und nun das Trottoir . Kaufhalle an Kaufhalle , Bude an Bude , jedes Haus ein Markt , jedes Wort ein Geschäft . Hier ist täglich Messe . Die amerikanische Waare liebt das Dunkel nicht . Unter dem römischen Sommerhimmel Newyorks lagert sie vor dem Laden im Freien . Besonders Eßwaaren buhlen um diese Oeffentlichkeit . Wir sagen : besonders , aber ja nicht : ausschließlich . Denn auch der Buchhändler verschmäht es nicht , unter dem Schatten von Kartoffelbergen zu wohnen , in den Visirgläsern optischer Instrumente spiegelt sich die gerupfte Fettgans , und sogar der Sarghändler stellt sein Produkt zwischen Thürme von Baumfrüchten aus , und verdirbt seinem Nachbar den Markt , dessen Kokosnüsse , der Ideenverbindung wegen , wie kahle Todtenschädel gleißen . Diese Gütermassen ab- und zuzuschleppen , zu vermehren , zu vermindern , zu mustern und aufzukaufen , ist beständig ein tausendbeiniges Ungeheuer unterwegs , brüllend nach dem Bedürfnisse , wählerisch im Genusse , gähnend vor Uebersättigung . Hier stürzt sich der schwarze Taglöhner auf den faulenden Inhalt eines Fischbehälters , dort gleitet die Auster im Dufte des Champagnerschaums über die feine Zunge der Wallstreet-Männer . Hier kauft sich die Quaterone ein Paar baumwollene Strümpfe , und macht den nächsten Thorweg zu ihrem Boudoir , worin sie scrupellos den Wechsel des Neuen und Alten vornimmt , dort läßt sich die vornehme Dame im Putzwaarenlager den Werth von Fürstenthümern vor die Füße rollen und kauft zuletzt nichts . — Unser Wanderer kämpft ritterlich mit all diesen Elementen . Immer tiefer arbeitet er sich den Strom hinab ; aber ach ! wo ist sein Ende ? Wo nur ein Ruhepunkt ? Mit jeder Seitenstraße , die einmündet , schwillt noch die Fluth , denn Alles drängt dem Broadway zu , wenig fließt ab von ihm . Der Schwimmer weiß zuletzt nicht mehr , schwimmt er mit oder gegen den Schwall ; wohin er sich wendet , jede Richtung ist ihm eine widrige . Die Kunst des Flanirens ist eine Localkunst . Zu schauen und nicht zu schauen , sich zu bewegen und stehen zu bleiben , hat eine andere Technik auf den Boulevards , auf dem Long-Acre und auf dem Broadway . Der Eingeborene kennt diese Kunst , unser Fremder wird fortgespült , wie ein äthiopisches Sandkorn in 's Nil-Delta . Es ist als hätte er die ganze Erde wider sich , Bewegliches und Un bewegliches . Ein Blick gegen Himmel bleibt oft der einzige Ruhepunkt . Ruhepunkt ? mit nichten ! Denn was soll er zu einer Stadt sagen , wo im dritten Gestock der Schlosser hämmert , wo ein Schmiedefeuer glüht in jener Dachetage , die sonst nur das Lämpchen des Poeten kennt ? Ja , das Haus ist hier kein Erbe auf Kind und Kindeskind ; die Fabrik hat's geliefert , die Fabrik verbraucht's als vorübergehendes Werkzeug . So ist auch der Weg zum Himmel nicht frei , Lärm oben wie unten , Hammer dröhnen und Funken sprühen zu den Fenstern einer Höhe heraus , in welcher der Zeisig singen , von welcher ein Blatt des Blumenstocks niederwehen sollte . An einer Straßenecke , in welche der Wanderer endlich einbog , stand ein kleines , reingekleidetes Mädchen , weinend , ein Zettelchen in der Hand . Es hatte verschiedene Versuche gemacht , von den Passanten , wie es schien , eine Auskunft zu erhalten , und stets unglückliche . Alles rannte achtlos an dem kleinen Wesen vorbei und ließ es stehen . Endlich zupfte es auch diesen Ankömmling am Rockärmel , und blickte mit hellblauen Augen voll Wasser bittend zu ihm auf . Die Kleine mußte ihr Stimmchen wiederholt anstrengen , um sich in dem Straßenlärm hörbar zu machen . Sie bat um den Weg in irgend eine Street nach der Common-School irgend eines Mr. Mockingbird : zugleich wies sie ihren Zettel vor , worauf die Adresse stand . Der junge Mann wußte nun freilich nicht besser Bescheid , als das verirrte Kind selbst . Aber augenblicklich ergriff er den Gedanken , der sich hier darbot . Ist es möglich , rief er sich zu , mit so viel Detail des Markts sich zu balgen , und nicht an die Volksschule zu denken , an den einfachen geistigen Punkt , aus dem das Ganze begriffen wird ? Common-School , das ist das Schlagwort ! Das ist der Ort , wo der Fremde stets zuerst Landeskunde studiren soll ! Komm , mein Kind ! Er warf sich mit dem Mädchen rasch in den nächsten Omnibus , und war fast so glücklich wie dieses selbst über das gefundene Auskunftsmittel . Die Fahrt begann mit einer unfreundlichen Scene . Einer der Mitfahrenden hatte seine Beine lang vor sich ausgestreckt und eben an jene Stelle der Wagenlehne gestemmt , welche das einsteigende Paar zu besetzen hatte . Er schien indeß nicht geneigt , seine Bequemlichkeit aufzugeben , sondern räumte dem kleinen Mädchen , seinem neuen vis-à-vis , nur so viel ein , daß er ihr Köpfchen zwischen seine beiden Stiefelabsätze aufnahm . Der Fremde verbat sich diese Zwanglosigkeit . Jener erwiderte : Mein Herr , Sie fordern für dieses Kind die Rechte einer Lady zu früh . Sein Ton dabei war vollkommen ruhig , fast belehrend , wie der Mann überhaupt nicht ohne Façon schien . Aber um so gereizter empfand der Fremde diese Sittenrohheit und scharf antwortete er : Sind Sie einer Lady zuvorkommend aus Sclaverei für ein Ceremoniell , oder aus freier Menschlichkeit ? Auf letztere werden Sie auch dieses Kind zählen lassen ! Der Amerikaner blieb gänzlich eindruckslos bei diesem Appell , und die Collision hätte leicht ernster werden können , wenn ein Marktweib nicht den Tact hatte , ihren Platz mit dem Kinde zu wechseln . Vor dieser Lady zog der Ausgestreckte seine Beine zurück . — Nach dieser Episode verlief die weitere Fahrt ruhig , und dauerte , unter einem steten Wechsel von aus- und einsteigenden Personen , verhältnißmäßig kurz . Der Omnibus setzte unser Paar in einer Straße ab , von welcher nichts als der Name vorhanden war , den mit großen Lettern ein prophetischer Pfahlanschlag nannte . Das kleine Mädchen fand sich aber sofort orientirt , und lief glückstrahlend auf den einzigen Anbau dieser Straßenzukunft zu . Es war ein backsteinener , länglich viereckiger Kasten , ohne Maueranwurf , mit unglasirten Dachpfannen gedeckt . Ein Mann von derbem Leib und starken Knochen , mit einem rothen , prallen Gesichte , kurzgeschornem Haupthaar , in Jacke und Hemdärmeln , aber einen französischen Hut auf dem Kopfe , empfing unsern Ankömmling mit der Frage : Wie viel Bushel ? Der Fremde wußte diese Anrede nicht zu deuten . Ich dachte , Sie machten eine Bestellung in Zwiebeln , antwortete der Stämmige . Der Fremde wechselte zweifelnde Blicke zwischen dem kleinen Mädchen und diesem Manne , und erklärte , daß er die Volksschule des Mr. Mockingbird zu besuchen geglaubt . — In der sind Sie , sagte dieser ; — ich habe vor einigen Wochen in Thran fallirt , und verlor mein Vermögen . Sofort eröffnete ich eine Schule und unterrichte die Kinder meiner Nachbarn in dem was ich weiß und in dem was ich nicht weiß , wozu ich einen Hilfslehrer miethe . Da mir diese Beschäftigung weder den ganzen Tag noch den ganzen Beutel ausfüllt , so mache ich in den übrigen Stunden das fehlende Geld mit einem Zwiebelhandel . Damit schritt er ohne weitere Umstände in das Innere des Hauses . Unser Held folgt ihm , — ein wenig zögernd und unsicher . Seine Miene drückt ziemlich unzweideutig den Grad seiner Erwartungen aus . Die Persönlichkeit des ehrenwerthen Mr . Mockingbird scheint ihm eine ausgesprochen sinnliche , und die Pflege von Kinderseelen , zwischen Thran und Zwiebeln betrieben , dünkt ihm nicht dessen natürlichster Beruf . Doch folgt er . Die Schulstube war ein geräumiges , luftiges Zimmer , dessen ganzer Schmuck in dem hellen Tageslichte bestand , das reichlich einfiel . Tische und Bänke waren nur aus dem Rohesten gehobelt , Lack oder Firniß nirgend verschwendet . Auf den Bänken saßen sechzig bis achtzig Knaben , der Mehrzahl nach in einem Alter von neun bis zwölf Jahren . Ihr Aeußeres war reinlich gehalten , ihre Bekleidung mehr grob und formlos , als defect , eigentliche Zerlumpungen nirgends . An einem der vorhandenen Tische arbeitete mit einer Linirmaschine ein junger Mann — Mr. Benthal , Hilfslehrer , sagte Mr. Mockingbird . Der Fremde nahm mit einer leichten Verbeugung den Namen entgegen und erwiderte ihn mit seinem eigenen , indem er sich als Doctor Moorfeld vorstellte . Das kleine Mädchen war gleich bei ihrem Eintritte auf den Hilfslehrer zugeeilt ; sie brachte ihm , wie es schien , eine Nachricht . Dann hielt sie sich vertraulich an seine Seite , indeß er stillvertieft fortarbeitete . Die Schulstube feierte eben , wenn nicht mit dem eleganten , doch mit dem hungerigen Newyork , ihre Mittagsstunde. Dr. Moorfeld , wie wir den Fremden jetzt nennen dürfen , fand die kleinen Republikaner über großen Vorräthen mitgebrachten Fleisches und Brodes thätig . Deßungeachtet sah er seinen Zweck nicht nur nicht verfehlt , sondern sogar noch besser erreicht . Mr. Mockingbird hielt nämlich eine Art Brachwirthschaft in dieser Pause , eine freie Conversation . Er ließ sich mit seinen Schülern in einen Dialog ein , aus welchem der Namensaufruf verbannt war : wer einen Gedanken hatte , konnte mit Auszeichnung antworten , wer nicht , ohne Beschämung schweigen ; es war ein zwangloses Spiel der Individualitäten , mehr Clubb als Schule . Kurz , diese Zeit der Ernährung wurde , weil Amerika überhaupt keine Zeit verliert , zwar dem Schulzwecke gewonnen , aber ihrem eigenen nicht entzogen . Mr. Mockingbird legte behaglich die Arme auf den Rücken und begann mit seinem kleinen Volke ein Wechselpiel von Fragen und Antworten , das eine lebendigere Ausführung etwa dieses Umrisses war : Ich war wohl ein Thor , fing er an , indem er seine Stube aufund abschritt , und sich scheinbar dem Zufalle überließ , ich war wohl ein Thor , daß ich mein Haus im länglichen Viereck baute . So eben überlegt' ich mir 's anders , indem ich auf der Schwelle stand . Wie , wenn ich 's rund gebaut hätte ? rund wie diesen Hut ! Was meint ihr zu dem Einfall ? Die Kinder , zweifelhaft zwischen Ernst und Scherz , sahen theils sich , theils den Meister an . Sie schwiegen . Jener fuhr fort : Wozu braucht man das Haus ? — Ein Knabe antwortete : Zum Wohnen . — Recht ; und wer wohnt in dem Hause ? — Die Leute . — Gut , der Mensch wohnt in dem Hause . Der Mensch ... hm ! der Mensch ist so klein und das Haus so groß ! Braucht der Mensch alle Räume des Hauses auf einmal , oder kann er sich auch in einem einzelnen Raume desselben aufhalten ? — Im Zimmer . — Richtig , einen einzelnen bewohnbaren Raum des Hauses nennt man ein Zimmer . Also der Mensch wohnt eigentlich im Zimmer , nicht wahr ? — Ja . — Hört , ich überlege mir die Sache . Ehrlich zu reden , ich habe Lust , auch dem Zimmer noch was abzusparen . Wozu brauch' ich ein ganzes Zimmer , wenn ich z.B. schlafe ; wie ? — Das ist wahr , man hat kleine Schlafkämmerchen . — Ich rathe , mir wird sehr schwül d'rin im Sommer . Lieber möcht' ich unter dem freien Sternenhimmel schlafen . Das ginge doch wohl ? — Wenn kein Wetter kommt , allerdings . — Seht ihr ! das Schlafstübchen brauch' ich so nothwendig nicht . Aber was brauch' ich doch noch zum Schlafen ? — Das Bett . — Da haben wir's , das Bett ! Ich wohne also , so zu sagen , Nachts eigentlich im Bette ? — Ja . — Ich bin ein närrischer Kauz ! Zuvor wollt' ich mein Haus rund , anstatt im länglichen Viereck haben , aber ich lasse nicht ab . Ich möchte jetzt auch ein rundes Bett , ein kugelrundes Bett ; was ? Die ganze Schulstube lachte . Mr. Mockingbird fuhr fort : Eure Heiterkeit ist euer Urtheil . Ihr gebt mir zu verstehen , ein rundes Bett wäre blanker Unsinn . Ein rundes Bett taugte nicht für die menschliche Figur , das länglich-viereckige Bett wäre gerade recht so . Meint ihr das ? — Ja , ja ! — Meinen ist gut , aber beweisen ist besser . Wie könnt ihr mir's beweisen ? Nun , Vance ! he ! du kanzelst ja gerne ; würdest du den Beweis wohl finden ? Komm , wir wollen ihn mit einander suchen ; zwei richten immer mehr , als Eins . Der Lehrer nahm den Knaben aus der Bank und stellte ihn mit dem Rücken gegen die Wand . Dann fing er an , dicht an seinem Körper zwei senkrechte und quer über seinem Kopfe eine kürzere horizontale Linie zu ziehen . Hierauf ließ er ihn wieder abtreten , und wendete sich gegen die übrige Schule mit den Worten : Was für eine Figur bilden diese drei Linien an der Wand ? — Ein Viereck . Ein längliches Viereck ! — Aha ! der Mensch ist also , wenn man ihn nicht auf's genaueste abzeichnet , sondern nur grobhin , mit drei Strichen . . . was ist da der Mensch ? — Ein längliches Viereck . — O , nun weiß ich Bescheid ! Gesetzt , ich müßte unsern Freund Vance verpacken , wie eine Waare , welche Form müßte seine Kiste bekommen ? — Es müßte ein längliches Viereck sein . — Richtig , dort steht ja das Maß an der Wand ! Nun verpackt sich aber der Mensch wirklich , und zwar Nachts , wenn er schläft . Seine Kiste ist dann das Bett . Das Bett hat daher am passendsten . . . welche Form ? — Die länglich-viereckige . — Und ist im Grunde das Zimmer nicht eine große Kiste , worin man Betten einpackt ? Und das Haus eine große Kiste , worin man Zimmer einpackt ? Seht , um wie viel klüger sind wir jetzt , als zuvor ! Das Haus muß ein längliches Viereck sein , des Zimmers wegen , das Zimmer des Bettes wegen , und das Bett des Menschen wegen , weil dieser selbst , wie uns jene Figur an der Wand beweist , ein längliches Viereck ist . Die Kinder zeigten sich sehr interessirt , namentlich fiel der Knabe Vance dem Meister fast ins Wort : Jetzt weiß ich auch , rief er , warum alle übrigen Möbel des Zimmers viereckig sind ; die Tische , die Bänke , die Bilder , die Schränke , die Koffer — Und selbst das noch , was man in Schrank und Koffer packt , die Bücher z. B. , ergänzte der Meister . Ja , was soll ich sagen ! werden in die Bücher nicht wieder die Buchstaben verpackt ? Hier hast du ein feines Stift , Vance . Zieh' um den Buchstaben e dieselben Striche , die ich zuvor um dich gezogen . . . was für eine Figur bilden diese Striche ? — Ein längliches Viereck ; Meister , Meister , mit dem n geht 's noch leichter ! — Sehr wahr , das n ist ja auch der Musterbuchstabe . Nun bitt' ich euch ! Blickt einmal auf- und abwärts auf das , was wir jetzt gelernt haben ! Ein Buchstabe und ein Haus haben die nämliche Figur und aus der nämlichen Ursache ! Die Ursache steht dort an der Wand . Der Mensch ist ein längliches Viereck und darnach richten sich all seine Formen ! Dieses Probestück machte augenscheinlich Eindruck auf seinen Zeugen . Im Verlaufe desselben hatte die Miene des fremden Doctors einen ungleich höheren Ausdruck angenommen , als womit er die Schwelle des schulmeisternden Zwiebelhändlers überschritten . Er bezeugte dem Mr. Mockingbird jetzt seine ganze Anerkennung . Ja , es ist nicht deutsche Metaphysik , antwortete dieser trocken . Und zu seiner Schule gewendet , fuhr er sogleich wieder fort : Wer fertig ist mit dem Essen und gute Lust hat , der lese uns auch ein Kapitel . Dabei findet sich wohl Stoff zu weiterer Unterhaltung . Viele Schüler schlugen zugleich ihre Bücher auf . Der Meister mußte eine Wahl treffen und bezeichnete einen der erwachseneren Knaben , dem er zurief : Hoby , lies uns den Rath an „ junge Gewerbsleute ” . Der Aufgeforderte fing mit einer muntern , verständigen Stimme aus seinem Büchlein also zu lesen an : „ Bedenke , daß die Zeit Geld ist ; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht , oder auf seinem Zimmer faullenzt , der darf , auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt , nicht dies allein berechnen ; er hat nebendem noch fünf Schilling ausgegeben , oder vielmehr weggeworfen . „ Bedenke , daß Credit Geld ist ; läßt Jemand sein Geld , nachdem es zahlbar ist , bei mir stehen , so schenkt er mir die Interessen , oder so viel als ich während dieser Zeit damit anfangen kann . Dies beläuft sich auf eine beträchtliche Summe , wenn ein Mann guten und großen Credit hat und guten Gebrauch davon macht . „ Bedenke , daß Geld hinsichtlich seiner Fortpflanzung sehr fruchtbarer Natur ist . Geld kann Geld erzeugen und die Sprößlinge können noch mehr erzeugen u. s. w. Fünf Schillinge umgetrieben sind sechs , wieder umgetrieben sieben Schilling 3 Pence u. s. w. bis hundert Pfd. Sterl . Je mehr davon vorhanden ist , desto mehr erzeugt das Geld beim Umtreiben , so daß der Nutzen höher und höher steigt . Wer ein Mutterschwein tödtet , vernichtet dessen ganze Nachkommenschaft bis ins tausend fachste Glied . Der Verschwender d. h. der Mörder von einem Schilling bringt seinen Enkel um eine Million . „ Bedenke , daß ein guter Zahlmeister der Herr von Jedermanns Beutel ist . Wer pünktlich zahlt , kann zu jeder Zeit alles Geld entlehnen , was seine Freunde gerade nicht brauchen . Dies ist bisweilen von großem Nutzen . Neben Fleiß und Mäßigkeit trägt nichts so sehr dazu bei , einen jungen Mann in der Welt vorwärts zu bringen , als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit in seinem Handel . Deßhalb behalte niemals erborgtes Geld eine Stunde länger als du versprachst , damit nicht der Aerger darüber deines Freundes Börse dir auf immer verschließe . „ Die unbedeutendsten Handlungen , die dem Credite Schaden bringen , müssen vermieden werden . Der Schlag deines Hammers , den dein Gläubiger um fünf Uhr Morgens , oder um neun Uhr Abends vernimmt , stellt ihn auf sechs Monate zufrieden ; sieht er dich aber am Billardtisch oder hört er deine Stimme im Wirthshause , so läßt er dich am nächsten Morgen um die Zahlung mahnen , und fordert sein Geld , bevor du es zur Verfügung hast . „ Außerdem zeigt dies , daß du ein Gedächtniß für deine Schulden hast ; es läßt dich als einen eben so sorgfältigen wie ehrlichen Mann erscheinen und das vermehrt deinen Credit . „ Hüte dich , daß du Alles was du besitzest für dein Eigenthum hältst und demgemäß lebst . In diese Täuschung gerathen viele Leute , die Credit haben . Um dies zu verhüten , halte eine genaue Rechnung über deine Ausgaben und dein Einkommen . Gibst du dir Mühe , namentlich erstere genau zu verrechnen , so hat das eine gute Wirkung ; dann entdeckst du , wie wunderbar kleine Ausgaben zu großen Summen anschwellen und du wirst bemerken , was hätte gespart werden können und was in Zukunft gespart werden kann . „ Eine Ausgabe , auch wenn sie noch so klein sei , erlaube dir ohne Noth doch nicht darum allein , weil sie klein ist . Bedenke folgendes : der Zinsfuß in unserm Lande ist sechs Procent d. h. für sechs Pfund jährlich kannst du den Gebrauch von hundert Pfund haben , vorausgesetzt , daß du ein Mann von bekannter Klugheit und Ehrlichkeit bist . Wer täglich einen Groschen nutzlos ausgibt , gibt jährlich an sechs Pfund nutzlos aus , welches der Preis für den Gebrauch von hundert Pfund ist . Wer einen Theil seiner Tageszeit zum Werthe eines Groschen verschwendet ( und das mögen nur ein paar Minuten sein ) verliert auch , einen Tag in den andern gerechnet , das Vorrecht , hundert Pfund jährlich zu gebrauchen . Wie viel also , nur durch diese Verschwendung weniger Minuten des Tags , an Geld verloren geht , wenn ein junger Mann ein höheres Alter erreicht , — das zu betrachten laß dir auf's ernstlichste angelegen sein . Es ist in der That ein größerer Reichthum , als den ein Phantast im Lotto zu gewinnen , oder ein Schatzgräber aus der Erde zu heben hofft . “ Der Mann nimmt das Leben ein wenig peinlich , bemerkte Dr. Moorfeld , den dieses Bruchstück amerikanischer Disciplin offenbar minder ansprach , als das erste . Mein Herr , es ist Benjamin Franklin , der so schreibt , antwortete Mr . Mockingbird ohne alle Erörterung . Der Doctor hatte indeß noch Genugthuung wegen des Ausfalls auf die deutsche Metaphysik zu nehmen , dessen eigentliche Zielscheibe er freilich nicht kannte . Er war daher nicht geneigt , dem Manne , der ihm das Gastrecht zuerst verletzt zu haben schien , die Parthie allzu aufopfernd zu überlassen . Und indem er nach Hut und Stock griff , verabschiedete er sich jetzt , zwar unter den Formen eines Gentlemans , in Bezug auf die Antwort des Mr. Mockingbird aber erwiderte er dieses : Ich bin Ihnen sehr verbunden , mein Herr , daß Sie mir den geschätzten Namen eines Benjamin Franklin nennen . Der Mann hat jedenfalls in der Wissenschaft noch mehr als in der Bank hinterlassen , und durch sein eigenes Leben ein höheres Ideal aufgestellt , als welches in jener Schrift dem menschlichen Trachten zugemuthet wird . Diese Ausmünzung der menschlichen Existenz in Schillinge und Pfunde gewinnt erst durch die Erfindung des Blitzableiters den Anspruch auf unsre Verzeihung . Ohne sie würden wir die Doctrine eines Mannes vor uns haben , der sich so weit vergessen hätte , unsre Bestimmung dahin zu definiren : Aus dem Rinde macht man Talg , aus dem Menschen Geld . Mag sein , daß ein unfertiges Volk eine Zeitlang auf diesen Standpunkt sich herabstellen muß , ein fertiges aber sagt : Geist macht man aus dem Menschen , nicht Geld ! Der Hilfslehrer des Mr. Mockingbird , der bisher ohne aufzublicken sich an seine Linirmaschine gehalten , legte sein Handzeug jetzt hin , und machte mit Schüchternheit , wie es schien , einen Versuch , dem Fremden das Geleite zu geben . Unter der Thüre ergriff er verstohlen die Hand desselben und flüsterte mit bewegter Stimme : Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort ! Zweites Kapitel . Im Nachdenken über diese Scene bestieg Moorfeld eine Miethkalesche und fuhr jetzt der Adresse seines newyorker Absteigequartiers zu . Wer mochte der junge blonde Mann sein , der mit seinem germanischen Bart , seiner vollen Studentenlocke , seiner breiten Brust und trutzigen Stirn ihm so mädchenhaft-schüchtern nachgeschlichen und zugestammelt ? Ein Eingewanderter natürlich . Einer jener deutschen Taglöhner der Weltgeschichte , welche auf der ganzen Erde überall am Kulturleben mitarbeiten , aber selten auf eigenen Namen und nie auf den ihrer Nation . Moorfeld nahm seinen Ausfall auf Mr. Mockingbird's Franklin längst wieder zurück ; er hätte sich gerne Unrecht gegeben , daß er mit idealistischer Einseitigkeit gegen das erste Stück hiesigen Volkslebens so vorschnell abgesprochen : aber da stiehlt sich eine warme Hand in die seinige , ein kummervoller Märtyrerblick trifft ihn , und das Wort seiner Uebereilung bestätigt ihm , wie es scheint , die Erfahrung . Ein unwillkommenes Rechthaben ! Moorfeld suchte sich mit Gewalt in den schönen Flug seiner Erstlingsstimmung wieder zurückzuwerfen . Er ergab sich mit allen Sinnen wieder dem Ungeheuer eines Straßenlebens , das das europäische übertraf , wie ein Redoutensaal einen Latrappistenkreuzgang . Er sah und hörte zu seiner Kalesche hinaus , er bemühte sich neugierig zu sein und zu erstaunen . Umsonst . Er bekam seine Stimmung nicht mehr in seine Willkür und durch all das fluthende Lärmen um ihn her verfolgte ihn der halberstickte Flüsterton : „ Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort . “ Endlich ragte eine lange Reihe von Mastbäumen die Straße herauf , welche der Kutscher eingeschlagen hatte ; ein blauer Wasserstreif dunkelte dahinter , der immer breiter und voller wurde , Wimpel wehten , Matrosen johlten , Krahnen seufzten , und im Nu wiegte sich das zierliche Wagengebäude auf dem platanenbesäumten Kai des Hudson oder Nordflusses , der sich wohl an drei englische Meilen breit vor den überraschten Augen des Europäers ausdehnte . Der Wagen rollte längs des Flusses an einer Häuserreihe hinab , welche in ihrem bunten Nebeneinander eine äußerst heitere Enfilade bildete : dieses Haus trug einen lebhaften Farbenanstrich , jenes stach durch seine hellgrünen Jalousien hervor , ein drittes durch eine glänzend gefirnißte Pallisadenverzäunung , hinter welchen lombardische Pappeln eine steife Parade hielten , jedes machte in seiner Einzelheit einen Versuch zu brilliren , der wirklich im Ganzen erreicht , wenn auch im Besonderen fast immer verfehlt und oft chinesisch verfehlt war . Vor einem dieser Häuser hielt der Kutscher . Moorfeld sprang aufgeweckt heraus , ließ den Klopfer ertönen , und wartete . Ein Neger öffnete . Aber ehe Moorfeld ihm seinen Namen nennen , oder seine Karte abgeben konnte , war der schwarze Hausgeist schon wieder verschwunden , indem er ein solches Ceremoniell nicht zu erwarten schien . „ Help you selp “ lächelte Moorfeld , und sah sich im Hausflur , wo man ihn so republikanisch-formlos allein stehen ließ , auf gut Glück um . Er fand rechts ein Zimmer , dessen Thüre , wahrscheinlich der großen Hitze wegen , halb offen stand . Er blickte vorsichtig hinein . Eine junge Dame von großer Schönheit saß darin und studirte über Landkarten und Bücher eifrig hinter einem großen Comptoirtisch . Der Fremdling glaubte sich hier an guter Adresse ; er öffnete unter einem bescheidenen Klopfen auch die übrige Hälfte der Thür und stellte sich der schönen Einsiedlerin mit all jener Artigkeit vor , womit ein Mann von Erziehung die Tochter des Hauses unter diesen Umständen anredet . Das Mädchen hörte ihn an , ohne eine Miene zu verändern , ja fast ohne den Blick zu ihm aufzuschlagen , worüber der junge Mann , der sich im Besitz eines gefallenden Aeußern wußte und vielleicht etwas verwöhnt in diesem Punkte war , eine unwillkommene Regung empfand . Treten Sie gefälligst ins Parlour gegenüber , antwortete die lakonische Venus mit einer leichten Handbewegung ; Moorfeld zog sich zurück , nicht ohne einen seiner bezwingendsten Blicke in das schöne regungslose Antlitz des Mädchens zu werfen . Selbst das offizielle Lächeln der Höflichkeit hätte ihm wohlgethan in diesem Antlitz , aber er sah nichts darauf als die Ruhe einer sauber gearbeiteten Figur unter Glasschrank . Dagegen traf ihn vor der Thür über das Treppengeländer des ersten Stockes herab ein zorniger Mädchenblick aus einem Gehänge , oder vielmehr aus einem Tauwerk von schlappen Locken — die Gestalt huschte im Nu zurück als Moorfeld zu ihrer Loreleyhöhe seinen Blick erhob . Kopfschüttelnd ging er auf den bezeichneten Eingang des Parlours zu . Er klopfte , ohne Antwort zu erhalten . Er besann sich nicht lange , sondern schloß vielmehr , daß es landesübliche Sitte sein müsse , geradezu zu gehen , ohne sich an irgend eine Form zu binden , da der Mangel derselben unmöglich die spezielle Ungastlichkeit dieses Hauses sein konnte . Er trat also ein . Das Gefühl unter dem ersten amerikanischen Dache zu stehen , brachte jetzt eine Pause in all seine übrigen Empfindungen . Er sah sich im Parlour um , erfüllt und ergriffen von dem Bewußtsein , daß das Zimmer der Abdruck des Menschen sei . Die Möbelformen hatten nach unsern Begriffen keinen eigentlichen Styl , wohl aber ließen seltsame Holzarten manch wunderliche Spielerei zu . So sah Moorfeld ein halb Dutzend spindeldürre Stühle , welche mit so bizarrer Feinheit geschnitzt waren , daß selbst die Königin Mab , wie es schien , darauf hätte durchbrechen müssen . Nur eine ungewöhnliche Holzfaser konnte diese Bearbeitung erlauben , aber die sinnliche Vorstellung des Sitzens war ganz bedachtlos dabei verletzt . Nach demselben Mißverhältniß zwischen Schein und Zweck präsentirte sich der Sophaüberzug : er brillirte in einem orange-prächtigen Farbenmuster , das das Auge lebhaft genug traf , aber das Muster stellte nichts weniger als einen — Waldbrand vor . Moorfeld mußte mehr als lächeln , daß der Zumuthung , sich auf Feuerflammen zu setzen , nicht das Geringste ästhetische Bedenken entgegengestanden hatte . Auf dem Kaminsims stand eine Stutzuhr mit grellen und glänzenden Farben lackirt , ein paar Porcellanvasen links und rechts zeichneten sich gleichfalls durch überladene Buntheit ungefähr im Geschmacke unserer Landleute aus . Im Trumeau erblickte Moorfeld eine schlecht modellirte Statuette , welche einen Mann in knappen Stiefeln und Hosen mit Zopf und Stock , dürftigen Beinen und einem Schlotterbauch vorstellte . Die Unterschrift lehrte , daß es Washington sei . Moorfeld erschrack bei dem Anblicke dieses Namens und seufzte achselzuckend : Das ist der Mann , der sie alle frei gemacht hat , und sie konnten nicht ihn einmal von ein paar häßlichen Linien frei machen ! Sind politische Helden wohlfeiler als poetische ? Schnell wandte er sich hinweg , um sein Auge an gelungenen Gegenständen zu entschädigen , aber er entdeckte nichts besonders mehr . Nach einem Bücherschrank sah er sich z. B. vergebens um . Das einzige Buch , das er im Zimmer fand , war die Bibel . Sie lag mit einer seltsamen Ostentation auf dem runden Tisch , der vor dem waldbrennenden Sopha stand . Die Tapeten des Zimmers , der Fußteppich und die Vorhänge waren theilweise reiche Stoffe , aber harmonirten in ihren Farben nicht , denn jede einzelne war so schreiend gewählt , als ob sie Selbstzweck wäre , und die optische Belebung des Gemaches allein zu tragen hätte . Die leeren Wandflächen wiesen ein einziges Bild auf , ein Familienportrait , wie es schien ; Moorfeld wandte aber eben so schnell wie von dem Washington sein Auge davon . Das Gesicht war wie mit Kalk und Ziegelroth auf eine unerträglich rohe Weise gepinselt . Ein prächtiger Goldrahmen schmückte das Bild , aber das Gold stand so außer Verhältniß zur Kunst , daß es nur eine Satyre auf dasselbe schien . Das war die Ausstattung des Parlours . Sie athmete den Geist einer bürgerlichen Frugalität , das aufwachende Bedürfniß des Luxus und dieser selbst wieder den crassen und heftigen Geschmack der Kindheit . „ Vielleicht ein hübsches Gesicht , aber eine erfrorene Nase “ murmelte das europäische Urtheil unsers Freundes ; dem Zimmer fehlte der gemüthliche Zug , wir möchten sagen die organische Wärme der Häuslichkeit . Während Moorfeld diese flüchtige und wie wir sehen nicht sehr lohnende Rundschau gehalten hatte , öffnete sich die innere Thür des Parlours und Herr Staunton , der Hausherr , trat ein . Eine lange schmächtige Figur mit enger Brust , nach vorn abfallenden Schultern und dünnem Halse präsentirt ihren amerikanischen Typus . Der längliche , nicht unedel geformte Kopf zeigt allen Zerfall des Herbstes , aber allen Schein des Lenzes . Gefärbtes Haar , bepinselte Augenbraunen , eingesetzte Zähne , ein leicht aufgetragenes Roth auf dem glattrasirten Gesichte schillert aus einer gewissen Ferne mit einem gewissen Jugendglanze , natürlich zur mehreren Wehmuth des genauen Betrachters . Die freie , weltmännische Haltung des Eintretenden , verbunden mit einer Sorte geschäftsfreundlicher Heiterkeit ist gleichsam der moralische Theil dieser Toilettenkunst . Ein Zug von merkantiler Selbstsucht wird aus seiner obern Gesichtshälfte in der gewohnheitsmäßigen Heiterkeit der Stirn und des Auges noch siegreich genug hinweggelächelt , hat aber in der untern Hälfte , die überhaupt unbedeutend gedrängt und gekniffen ist , zwischen dünngespannten Lippen und krampfhaften Mundwinkeln eine sehr bemerkbarte Heimath . Die ganze Erscheinung machte den Eindruck eines Mannes , der stets als Geschäftsmensch gelebt und stets als Gentleman sich gefirnißt hatte . Dieser Herr trat seinem Gast jetzt entgegen und begrüßte ihn mit einer sorgfältigen Herzlichkeit . Er lud ihn ein , sich zu verbrennen , d. h. er bot ihm das Sopha an , er selbst nahm seinen Platz auf einem von den Stühlen der Königin Mab . Hiermit eröffnete er die Unterhaltung , indem er sich wegen seines schwarzen Dieners Jack entschuldigte , den er schon vor zwei Stunden an den Landungsplatz geschickt hätte , um ihn , den erwarteten Gast nämlich , abzuholen . Das Schiff , wisse er , sei so pünktlich eingelaufen , als es signalisirt war , es könne nur die Fahrlässigkeit des Dieners sein , der ihn verfehlt habe , er werde ihm die Genugthuung geben , den Schuldigen zu bestrafen . Moorfeld verbat sich diese Aufmerksamkeit , und da er nicht verkannte , daß das Gesagte auch eine Anspielung auf sein eigenes Verspäten sein könne , so gestand er freimüthig , daß er aus dem Hafengetümmel sich unverzüglich auf die Battery geflüchtet , und dann der Begierde nachgegeben habe , eine Promenade durch die Stadt zu machen . Der Amerikaner hörte dieser Erklärung salbungsvoll zu , er erhob sich mit einem eigenthümlichen Ausdruck in's Große und Hohe und sagte mit einer gedehnten Feierlichkeit : Ich danke Ihnen im Namen unserer unvergleichlichen Hauptstadt , daß Sie bewundern die Pracht und Größe ihrer Anlage , die Thätigkeit ihrer Menschen , den Geist der Freiheit und der Vernunft , der Ihnen entgegenkommt aus allen Bildern unsers öffentlichen Lebens . Haben Sie in Europa sich an ähnlichen Schauspielen zu erfreuen ? Moorfeld der zunächst weder von Bewunderung , noch Freude , sondern nur von seiner Schaulust gesprochen , nahm diese Rede ganz so auf , wie er durfte , und sagte gemessen : Europa lebt viel von altem Gelde , Arbeit und Muße harmonirt dort wie Licht und Schatten in einem fein durchdachten Bilde . Moorfeld erröthete , es fiel ihm auf , daß er in zwei Stunden bereits zweimal seiner Begeisterung widersprochen und Europa gegen Amerika bevorzugt . Herr Staunton antwortete : Sie sind ein Kenner der Kunst , wie ich höre ; wie gefällt Ihnen dieses Portrait hier , Herr Doctor ? — Es ist mit festen Strichen und lebhaften Farben ausgeführt — war das Urtheil des Befragten . O , es ist ein vortreffliches Werk , rief Herr Staunton , zehn Dollars kostet es ! — Moorfeld sagte , dieser Preis scheine ihm zwar nicht ohne Verhältniß zu dem Gegenstande , aber ohne alles Verhältniß zu denen in Europa . Er nannte hierauf die letzteren . Ich weiß , ich weiß ! rief Herr Staunton mit einiger Ungeduld ; aber bedenken Sie , daß man mich für einen Verschwender hält , überhaupt ein einzelnes Bild , als solches , zu bezahlen . Man baut oder miethet hier sein Haus , übergibt es dem Tapezierer im Accord zur Ausschmückung , und dessen Sache ist es dann , einige Goldrahmen mit den betreffenden Malereien anzubringen . Das ist die Sitte hier , kein Mensch hält es anders . — Kein Mensch ! rief Moorfeld fast erschrocken und drang in den Sprecher , ob er diese Redemsart wörtlich zu nehmen habe , oder unter günstigen Beschränkungen . Das Mienenspiel des Amerikaners zeigte einen deutlichen Kampf zwischen zwei einander widersprechenden Gefühlen ; er schien einen geheimen Aerger zu empfinden gegen das , was er zu antworten hatte , und doch fiel es ihm schwer , etwas , das Personen außer ihm für auszeichnend hielten , von seinem Vaterlande zu verschweigen . Zuletzt siegte sein Nationalstolz und er fing an , die Privat-Gallerie eines Mr. Bennet auf der Battery im Lapidar-Styl zu erheben . Nach dieser Anstrengung erholte er sich aber durch die Bemerkung , daß ihm übrigens auch die gepriesene Kunst der Deutschen einigen Zweifel erregt habe , seit er z. B. von allen Seiten hören müsse , wie viele Bilder nur ein einziger Herr Düsseldorf gegenwärtig durch die Welt verbreite . Unmöglich könne ein Mann , der so viel hervorbringe , anders malen , als es die amerikanische Tapezierer eben auch zu besorgen wüßten , wenn er nicht an Wunder glauben solle . Es scheine die Fingerfertigkeit dieses heutigen Modekünstlers dem Ruf der deutschen Solidität nicht zu entsprechen , dagegen rechne sich 's ganz Amerika zur Ehre , daß der große Alston in Boston , der erste Künstler seiner Zeit , schon zehn Jahre an einem historischen Tableau male , und es noch nicht fertig habe . Moorfeld antwortete , nach dem Geiste der Extreme , dessen Ruf diesem Lande vorausgehe , und der auf den ersten Blick sich bestätige , würde er sich nicht wundern , wenn Herr Alston sein nächstes Tableau in zehn Minuten vollendete , und Amerika sich 's nicht weniger zur Ehre rechnete ; übrigens sei Düsseldorf nicht der Name eines Künstlers , sondern der Name einer Stadt voll Künstler . In diesem Augenblicke meldete der schwarze Jack , es sei servirt , worauf Herr Staunton sich erhob und seinen Gast zum zweiten Frühstücke bat . Ein ersprießlicher Wechsel von dem Thema der Kunst zu einem , das der Natur näher stand ! — Die beiden Herren verfügten sich in ein Zimmer des ersten Gestockes . Die Mitte desselben nahm ein mäßiggroßer Eßtisch ein , beladen mit einer übermäßigen Fülle von Gerichten , deren warm gekochte Piecen das Gemach trotz des geöffneten Fensters mit starken Dünsten erfüllten . Diesem Tische präsidirte eine Dame , oder vielmehr die Tagesnummer der NewyorkerTribüne , denn außer den beiden weiblichen Händen , welche das riesige Zeitungsblatt vor sich hin hielten , war die Gestalt der Leserin unsichtbar . Herr Staunton stellte die Frau und den neuen Genossen des Hauses einander vor . Die Newyorker-Tribüne legte sich jetzt in die halbe Querfalte und ließ den Kopf einer Matrone sehen , welchen drei ehrwürdige Momente auszeichneten : die Spuren des Weisheitsalters , der Ausdruck religiöser Beflissenheit und eine Brille . Doctor Moorfeld und Mrs. Staunton wechselten die üblichen Complimente , wobei ersterer die Bemerkung machte , daß , wenn eine schöne Sprache durch das weibliche Organ noch schöner klingt , eine mißtönige dagegen , wie das Yankee-Englisch , eben so ihren entgegengesetzten Charakter durch den Frauenmund fühlbarer ausdrückt . Nach dieser Ceremonie setzte man sich zu Tische . — Frau Staunton fragte : wo bleibt Sarah ? — Beste , das frag' ich dich , antwortete der Gatte . Aber in demselben Augenblick trat der Gegenstand dieser Erkundigung ein ; es war eine lange schmächtige Dame von relativer Jugend und zweifelhafter Schönheit ; sie wurde dem Fremden als die Tochter des Hauses vorgestellt . Moorfeld erkannte bei dieser Gelegenheit den Irrthum seiner vorigen Verwechselung und sparte die Worte nicht , ihn eifrigst zu entschuldigen ; als aber die Eltern nicht gleich begriffen , wovon die Rede sei , flüchtete Sarah in die Arme ihrer Mutter und verbarg sich an ihrem Busen , indem sie mit einem tiefen Gefühle von Kränkung wehklagte : Ach Mama , das Kammermädchen ist zuvor an meiner Statt begrüßt worden ! Weder Herr noch Frau Staunton schienen dieses Geberden ihres hocherwachsenen Töchterchens für übertrieben zu halten , die Mutter schloß vielmehr sehr mütterlich die reife Jungfrau an ihr Herz und tröstete sie mit vielem Affecte . Mein Gott ! seufzte sie , und schlug ihre Augen in eine Himmelshöhe , welche weit über die Richtung der Brille hinausging , mein Gott , seufzte sie , ist es denn zu verwundern , wenn fremde Besucher unsers Landes die weiblichen Herrschaften von ihren Domestiken nicht mehr zu unterscheiden wissen ? Die Klasse der Dienenden stellt sich in allem Aeußern so anmaßend neben uns selbst , daß uns kaum eine andere Auszeichnung übrig bleibt , als das Gefühl unserer Würde , welches uns freilich hinlänglich schmückt , wenn gleich nicht auf den ersten Blick . Fassen wir uns in christlicher Geduld , liebes Kind ! Was wollen wir thun ? Auch noch ein schwarzes Kammermädchen nehmen ? Ach , schon eins ist zu viel von dieser Race ! Nicht wahr , dazu entschließen wir uns nicht , gute Sarah ? Lassen wir uns um der Liebe Gottes willen die Ansprüche der Weißen gefallen und geben wir unserer liebenswürdigen Freundin Recht , welche , wie du weißt zu sagen pflegt : sie könne sich den Himmel nur als einen Ort voll Dienstboten denken . Moorfeld bezeugte sich den Leiden der Damen so theilnehmend , als es mit einem leisen Zug von Ironie im Herzen möglich war , und machte namentlich auf den Umstand aufmerksam , daß er die fragliche Frauensperson über Büchern und Landkarten gefunden , d. h. in einer Beschäftigung , welche in Europa zweifellos die gebildete Haustochter bezeichnet hätte . Ach , in Europa ! fiel Herr Staunton mit unbedachter Geringschätzung dazwischen ; — im alten Land fühlt sich selbst der höchst Beamtete als ein Diener , bei uns möchte der niedrigste Dienst gern für ein Amt gelten . Die weiße Race dient überhaupt nicht hier . Darum ließ ich Ihnen ja auch durch unsern Agenten den Rath geben , sich keinen Bedienten mitzunehmen , wie es Ihre Absicht war . Er hätte Sie in den ersten Wochen verlassen . Unsre Hariet betreffend , so bereitet sie sich auf ein Schulamt vor , von dem Umstand gewinnend , daß man neuerer Zeit die Volksschulen gerne mit weiblichen Lehrkräften besetzt . Sie sahen sie in einer dieser Selbstvorbereitungs-Stunden , deren sie sich täglich ein Paar ausbedungen hat . Die Sache hat ihre Unbequemlichkeiten für die weibliche Herrschaft , aber dem Mädchen kann ich ihr Streben nicht übel nehmen . Ist sie doch eine freie Amerika nerin , eine reine Native , sie will vorwärts ! Moorfeld versagte dieser Mittheilung seinen Beifall nicht und fügte hinzu , er zweifle nicht , daß die Ehre Europa's und Amerika's in allen Punkten einander verstehen würden . Herrn Staunton's Abfälligkeit gegen das erstere nöthigte ihm die gelinde Rüge ab . Die Gesellschaft setzte sich zu Tische . Der junge Fremde glaubte noch immer einen beleidigten Zug in Sarah's Mienen zu finden , und nahm sich die Mühe , denselben zu bannen . Er erwies dem Mädchen alle Aufmerksamkeit , sowohl die sie fordern konnte , als die ein junger geistreicher Mann freiwillig gegen ihr Geschlecht verschenkt . Er war aber nicht glücklich . Das Gefühl der Kränkung lag wie ein interessanter Thau auf dieser abgeblühten Blume und kein Sonnenpfeil Apollo's war im Stande ihn hinwegzuglühen . Er gerieth endlich auf den Gedanken , daß dieser Thau — gemalt sei und gab seine wohlmeinende Bemühungen auf , eh' er der Versuchung erlag , in eine feine Satyre umzuschlagen und der unbescheidenen Spröden für das fingirte Weh ein kleines ächtes Thränchen abzupeinigen . Bis hieher hatte Moorfeld dem Tische noch keine Aufmerksamkeit geschenkt , deßungeachtet wandte er sich jetzt an die Hausfrau und machte ihr ein Compliment darüber . Als er sah , daß die Phrase eindrucklos abprallte , schrieb er es seiner Aussprache zu und wiederholte eine der schönsten englischen Artigkeiten mit der correctesten Deutlichkeit . Der Eindruck erfolgte nun zwar , er war aber womöglich entgegengesetzt . Die geschmeichelte Hausfrau sah in diesem Augenblicke fast so beleidigt aus , wie ihre Tochter Sarah : sie blickte kalt und stolz nieder , und warf irgend ein Wort hin , das Moorfeld seinerseits nicht verstand . Herr Staunton legte sich in's Mittel , indem er halb gegen seine Frau , halb gegen Moorfeld gewendet , ersterer auseinandersetzte , der sehr verehrte Gast habe eine dankenswerthe Meinung geäußert , welche blos in der Voraussetzung irrig sei , daß eine amerikanische Lady sich in der Küche beschäftige . Unsere freie und aufgeklärte Nation , fuhr er fort , findet einen ihrer schönsten Vorzüge vor den übrigen Völkern der Erde in dem Bewußtsein , den Frauen eine Stellung eingeräumt zu haben , welche diesen zarten Blumen der Menschheit allein als die natürliche und berechtigte zukommt . Kein amerikanischer Bürger , der sich nicht auf der Höhe , sondern nur auf dem Niveau der öffentlichen Meinung seines Landes behaupten will u. s. w. — Moorfeld bedurfte nicht vieler Geduld , die langathmige Pomp-Phrase zu Ende zu hören . Es war ihm ein Genuß höherer Schauerlichkeit , den alten kosmetisch zusammengehaltenen Mann über die Blumen der Menschheit peroriren zu lassen . Inzwischen hatte er angefangen mit mehr Bedacht sein erstes amerikanisches dejeuner zu würdigen . Als ein Fremder , der in dem Neuen zugleich das Charakteristische zu belauschen die Neigung hat , blieb die culinarische Physiognomie der neuen Welt nicht der letzte Gegenstand seines Interesses . Die Stimmung , womit der Gentleman seinen Beobachtungen auf diesem Gebiete nachgeht , hatte bisher etwas verschämt Humoristisches , an den Liberalismus der mittelalterlichen Hofnarren und Kirchenkomödien Erinnerndes ; wenn die fortschreitende Naturwissenschaft das Geheimniß vom Stoffwechsel in den feinsten materialistischen Ausspitzungen ergriffen haben wird , so wird sich unser versteckter Ernst für diese Angelegenheit vielleicht offener an's Tageslicht wagen , ungefähr wie heute schon das Theekochen z. B. ein Obligat-Studium an den japanischen Universitäten ist . Damals ragte aber die Küche noch wenig in die Chemie und durch diese in die Philosophie herein , unser Held wagte also erst , sich seiner Neugierde für Amerika's Tisch zu überlassen , als er die Tischgäste selbst , der Reihe nach ziemlich ungenießbar erprobt hatte . Zuerst fiel ihm schon die amerikanische Sitte des Servirens auf . Die Tafeldeckung war hier kein europäisches Hintereinander , sondern ein Nebeneinander . Sämmtliche Gerichte standen gleichzeitig auf dem Tische . Erkannte der Fremde das Handelsvolk darin , das die Zeit spart ? Oder die gleichmachende Republik , die keine Rangordnung duldet ? In beiden Fällen hatte der Anblick eines solchen Eßtisches etwas Fremdartiges , ja wahrhaft Ueberwältigendes , Brüskes . Die Phantasie sah all ihre Perspectiven abgeschnitten , sie wurde genöthigt , das ganze Gebiet ihrer Genüsse auf Einen Blick zu umfassen , statt daß die Gänge und Pausen einer europäischen Tafel , wie die Kapitel eines Romans , wie die Aufzüge eines Drama's von Spannung zu Spannung fortschreiten , und dem Gaste zwischen Hoffnung , Illusion , Ueberraschung , ja selbst Furcht und Reue das interessante Spiel seiner menschlichen Leidenschaften gestatten . Dagegen durfte der unparteiische Denker die praktische Seite dieses Gebrauches auch nicht übersehen . Hier lief der Appetit nicht Gefahr an unverstandenen Hintergedanken zu verhungern und über genialen Zukunftsvisionen das Lächeln der Göttin Gelegenheit zu versäumen : die rasche That , die scharfe Unmittelbarkeit Amerika's lag in diesem Ensemble . Moorfeld musterte nun die Gerichte selbst . Schinken , Fische , Geflügel , Wildpret , Coteletts , Bratwürste , Kartoffeln , Früchte , Eier , Kaffee , Wein , Brantwein , das Alles war der Apparat dieses sogenannten Frühstückes . Es war keine Auswahl der landesüblichen Küche , sondern vielmehr die Summe derselben . Alles war da . Der gebratene Speck des Hinterwäldlers dampfte neben dem feinen Puterhahn und die plebejische Brandyflasche rivalisirte keck mit dem Adelswappen : Jacquesson fils & Cie. Politisch beurtheilt sah Moorfeld das Bild einer unfertigen Gesellschaft darin , in welchem die ländlichen Ansiedlerelemente mit den höheren Chorden der Stadtsitte noch chaotisch durcheinander klangen . Von Allem kostend wanderte seine Zunge gleichsam mit den Rundköpfen Cromwell's aus , und saß bei Mock Turtle und Champagner im Concerte der modernsten Geldmächte . Leider war diese bunte Mannigfaltigkeit in eine traurige Einheit gebracht — es schmeckte Alles gleich schlecht . Ohne nach den Paragraphen der höheren Gourmandise zu richten , fand unser Gast schon als bloßer Naturalist das Frühstück ungenießbar . Sämmtliche Gerichte waren entweder halb verbrannt oder halb roh . Es machte ihm den Eindruck , als seien sie gleichzeitig an's Feuer gestellt und nach eben der despotischen Minutenuhr ihrer Schule wieder entrissen worden , ohne jenes liebevolle Eingehen auf das zartere Spiel der Individualitäten , auf die hingebende Empfänglichkeit des Coteletts und auf den charakterfesten Widerstand des Rostbeafs . Wahrlich , es fehlte die Frauenhand in diesem fabriksmäßigen Geköche ! Moorfeld zweifelte keinen Augenblick , daß nicht einmal die weibliche Dienerin , welche er ohnedies über Büchern gefunden , sondern der Hausneger selbst seine schwarze Hand in diesem traurigen Spiele gehabt . Rohe Negerrache ! grollte er sich zu , nur daß die Weißen selbst nicht fein genug sind , sie zu empfinden . In der That , von Feinheit war nicht die Rede hier . Die Art , wie die zarten Blumen der Menschheit , die Damen nämlich , auf heißen Maisbrodschnitten gelbe Butter zerließen und es aßen , die Art wie Herr Staunton seine weichen Eier mit der Schale in den Mund führte und die zermalmten Schalensplitter dann auf ein Tellerchen zurückspülte , das Alles war für den fremden Beobachter zwar ein Schauspiel höchster Originalität , aber auch Abscheulichkeit . Der Europäer ließ diesen Passus des amerikanischen dejeuners mit großer Bestürzung an sich vorübergehen . Indem unser Held unter also erschwerenden Umständen seinen Appetit zu befriedigen suchte , angelte er , wie er meinte , nur nach den feinsten und am leichtesten zubereiteten Fleischspeisen . Bei diesen Versuchen kam er aber bald dahinter , daß Fleisch überhaupt nur ein relativer Begriff sei . Es fragt sich bei den verschiedenen Nationalitäten immer , was sie vom Thiere begehren und sich vorsetzen . Wenn nun der Engländer die blut- und muskelreichen Theile liebt , der Franzose die galatinartigen und nervenreichen , so warf sich der Amerikaner vor allem auf das Fett des Thieres . Fett war hier Fleisch . Es lag entweder offen zu Tage , oder das Fleisch selbst war durch ein eigenthümliches Raffinement der Mast mit dem Fettstoff so imprägnirt , daß stets dieselbe geschmackwidrige Identität zurückkehrte . Die ganze Tafel war gleichsam ein Tisch für den Lichtzieher . Diese Talgmasse schwamm freilich in einer Beize der schärfsten Gewürze ; Moorfeld glaubte sogar deutlich zerstoßenen Höllenstein durchzuschmecken ; aber schmeckte es darum besser , daß er sich die Würze mit Satyre würzte ? Zwei Verneinungen geben wenigstens für den Geschmack keine Bejahung . Die Champagnerflaschen blieben nach allen diesen Niederlagen sein letzter Trost . Als aber Moorfeld sich das erste Glas davon ausbat — wie geschah ihm auch jetzt ? Hr. Staunton griff , als müßte es so sein , nach der Brantweinbouteille und goß ihm Brandy unter den Champagner . Man verbessere ihn so , sagte er anstandslos . Er selbst trank gleichfalls diese Mischung . Moorfeld sah die Geschichte mit dumpfem Erstaunen an ; — das ging ihm doch über den Begriff ! Nicht daß er den Gipfel der bisherigen Geschmackswidrigkeit sah , setzte ihn außer Fassung . Die Sache ergriff ihn tiefer . Im Trinken liegt ja bei allen Völkern eine gewisse Symbolik , das Trinken spielt im Christenthum selbst eine Rolle und für den Kelch wurden Kriege geführt . Trinkt der Amerikaner seinen Champagner mit Brandy , wer garantirt hier das Genie gegen die Prosa ? fragte sich der Fremdling . Diese Idee unterlegte er dieser Handlung . Es war ein Augenblick ahnungsvollen Erschreckens , der sich nicht näher definiren läßt . Indeß sich der Freund diesen dunklen Vorgefühlen noch überließ , trat ein Fremder in das Zimmer , glatt und glänzend wie Dollar , lackirt , rasirt , lächelnd und höflich , ein blank geöltes Rad aus der Maschinerie einer großen Handlungsfirma , ein Comptoir-Gentleman wie je einer aus brettsteifen Vatermördern guckte . Er beschrieb Rückgrats-Curven nach allen Seiten hin und wechselte dann einen Fragezeichenblick zwischen Staunton und Moorfeld , dessen Inhalt das Bedenken war , ob die Rücksichten der Höflichkeit oder der Vorsicht mit einer Geschäftssache herauszurücken erlaubten ? — So eben wird der Schiffbruch der Temperance , Capitän Powell , von Sandy Hoock signalisirt , fing er an , ich fliege auf eine Minute von der Börse weg , und bitte bei Ihren eventuellen Reflectionen darauf um prompteste Ordre , Mr. Staunton . Diese Nachricht schien für Hrn. Staunton von großer Erheblichkeit . Er war sogleich ganzer Geschäftsmann . Mit einer eiligen Verbeugung gegen Moorfeld entschuldigte er die veränderte Richtung seiner Aufmerksamkeit und vertiefte sich dann in das Notizbuch des Jobbers , mit dem er anfing , Ziffern hin- und her zu kritzeln und überhaupt in Schriftzeichen , Pantomimen und eingestreuten , kurzen Geschäftsphrasen sich zu verständigen . So fähig indeß die Börsen-Hierarchie ist , in ihrer eigenthümlichen Kunstsprache vor dem Profanen offene Geheimnisse zu behandeln , so begriff Moorfeld doch den ungefähren Zusammenhang . Zufällig wußte er nämlich von den sogenannten Mock-Auctionen , die damals eben anfingen und später so berüchtigt geworden sind . Dieses Geschäft gründete sich darauf , daß die Unternehmer , durch Seewasser beschädigte und verdorbene Schiffsfrachten ankauften , der Waare einen künstlichen Schein gaben und sie mit großem Gewinn auctionsweise wieder losschlugen . Von einem solchen Geschäfte war hier die Rede . Herr Staunton gab seine Aufträge , der Jobber notirte und in fünf Minuten war der Schiffbruch auf Sandy Hoock verwerthet . Als der Börsenmann fort war , fing Mrs. Staunton , indem sie sich mit der Newyorker-Tribune Kühlung zufächelte , langsam und gedehnt an : Sage mir , Bester , haben wir mit der Temperance nicht unsern Daniel zurückerwartet ? Du hättest doch um Gerettete oder Verunglückte Erkundigung einholen sollen . — Ich dachte daran , mein Engel , sagte Hr. Staunton , aber du sahst ja , wie ihn die Börsenstunde pressirte . Später ! — Moorfeld stutzte . Was für ein Daniel war das ? Ein Sohn ? unmöglich ! Ein Handlungsdiener ? Dann hätte der englische Sprachgebrauch nicht „ unser “ sondern „ Mister “ gesagt . Also doch ein Sohn ? Moorfeld schwindelte . Nein , nein , es ist unmöglich ! Unmöglicher wenigstens als eine Abweichung vom Sprachgebrauch . Bestürzt , verwirrt und mehr als gesättigt , sprang Moorfeld auf von seinem ersten amerikanischen Frühstück . Der schwarze Jack führte ihn auf sein Zimmer . Es hatte eine weite Aussicht über Fluß und Land , eine der Bedingungen , auf die er ja schon in Europa dieses Privatlogis gemiethet . Aber indem er eintrat kam auf einmal ein plötzlicher Schreck über ihn . Woher er kam , wissen wir nicht zu erklären , wenn sich der Leser nicht eigener Augenblicke dieser Art erinnert . Es gibt solche Augenblicke . Die Macht der Gewohnheit wird manchmal — auf einen Secundenblitz — aufgehoben . Ein großes Glück , das wir gemacht , wenn wir schon lange von seinen Früchten zehren , schreit oft den ersten Freudenschrei wieder auf in uns , ein Todtenfall , den wir schon lange verschmerzt , überschauert uns oft mit den ersten Schrecken der Neuigkeit , ein geliebtes Musikstück , das wir schon lange mit anhören , klingt uns in einem auserwählten Augenblicke wieder das Entzücken des ersten Anhörens zurück . Es wäre ganz vergeblich , den schrecklichen oder süßen Reiz solcher Erstlingseindrücke uns willkürlich zu reproduciren , es ist eine unbegreifliche Inspiration , die direct von den Göttern kommt , ein Erdbeben der Phantasie , ein Durchstoßen der Alltagskruste und Auflodern der Originalität in uns . Ein solcher Augenblick war's , der jetzt unsern Europäer überraschte . „ Deine Fenster sehen auf Amerika , “ der Gedanke packte ihn plötzlich , als hätte er ihn nie zuvor gedacht , noch weniger ausgeführt . Ein Wunder schien ihm's , ein Feenwerk . Er hielt sich den ganzen Tag über an sein Zimmer , gleichsam als wäre er nur hier geborgen und draußen verloren . Der Neger wurde eifrigst auf's Zollhaus gesandt und fieberhaft erwartete Moorfeld mit seinem Gepäcke den Anblick europäischer Gegenstände . Er lag aber , ehe sie noch anlangten , zu Bette . Das genossene Frühstück hatte sich in einer gewaltsamen Transaction Luft gemacht . Als der Verdauungskranke Abends zum Diner gerufen wurde , erbat er sich eine Tasse Kamillenthee und ließ alle übrigen Genüsse Amerika's auf sich bewenden . Drittes Kapitel . Ein prangender Morgen glänzte über die Welt . Spät aufwachend , wunderte sich Moorfeld , daß der Lärm des Hafenlebens , das unmittelbar unter seinen Fenstern lag , nicht längst ihn erweckt . Er trat an's Fenster . Ja freilich ! da lag Schiff an Schiff im Hudson — alle Flaggen aufgehißt , alle Räume grabähnlich stumm — eine ganze Flotte des fliegenden Holländers schien vor Anker . Es herrschte also heute jenes Gespenst , das man in den puritanisch quäckerischen Landen Sonntag nennt . Die Strömung des Flusses war die einzige Bewegung in diesem Bilde der unheimlichsten Ruhe . — Der Europäer sann darüber nach , was mit einem solchen Tage der heiligen Langeweile anzufangen sei . Sein Blick fiel auf seine Koffer , welche gestern unberührt stehen geblieben . Damit war für's Erste gesorgt . Er stand auf und fing an , sie auszupacken . Das ist eine der sinnigsten Menschenarbeiten und jedenfalls das harmloseste Sonntagsvergnügen in allen fünf Zonen auf beiden Hemisphären . Die Bagatells , welche der kurzsichtige Sterbliche „ leblose Dinge ” nennt , sind keineswegs so leblos , als es scheint : Stoff , Form oder Farbe spricht auf irgend eine Weise zu irgend einem Sinne und ein Widerschein geschichtlicher Erinnerungen spielt um die geringste Einzelnheit . So gehen die Gegenstände mit einer sanften träumerischen Muße durch die Hand , ja , es bleibt überhaupt unentschieden , ob die Hand oder die Phantasie bei einer Arbeit dieser Art vorherrscht . Leuchtet dazu ein blauer geräuschloser Tag zu hellen Fenstern in die einsiedlerische Stube , so faßt sich das Ganze in eine gewisse Stimmung zusammen , welche scheinbar mit Taschenspiegeln und Rasirmessern nichts zu thun hat , aber nichts desto weniger da ist , und recht tief und lebendig da sein kann . In dieser Stimmung hatte der Freund seine geliebte , wohlverpackte Violine vorgefunden und aus den ersten Probegriffen um die Reinheit des Tons wurde unvermerkt ein langgezogenes Spiel . An 's Fenster gedrückt , das Auge über Fluß und Land und durch die tiefblaue Heiterkeit des Morgenhimmels schweifend , stand er da und brachte der neuen Welt das erste Liebesopfer einer klangreichen Seele . Die heimathlichen Weisen quollen in reicher Strömung aus dem schönen Instrumente , eine Phantasie , die sich an ihrer eigenen Fruchtbarkeit hinriß , reihte Blume an Blume , hing Kranz neben Kranz auf , und vor dem inneren Auge des Künstlers stand vielleicht ein Freundeskreis von fernen , lieben Menschen , werth , daß sie eine Seele in ihren guten Stunden mitgenießend vergegenwärtigte . Als Moorfeld eine Zeitlang so vor sich hingespielt hatte , klopfte es . Herr Staunton trat ein und erkundigte sich , im hochgesteiften Vatermörder , den französischen Hut in der Hand , um das Befinden seines Gastes . Moorfeld dankte , und wies auf seine Violine , das Zeichen seiner aufgeweckten Kräfte . Ein vorzügliches Instrument , ein klangreiches , melodisches Instrument , rief Herr Staunton , geschehe mir anders als ich wünsche , wenn ich Ihr Spiel nicht mit dankbarer Freude belauscht habe . Ich muß die Wahrheit sagen , Herr Doctor , ein ganz köstliches Holz ! Ach , das Vergnügen der Kunst wird mir zu selten zu Theil , als daß ich 's nicht lebhaft zu schätzen wüßte . In der Woche besetzt das Geschäft und der Clubb die Tags- und Abendstunden , und am Sonntage kann man in sämmtlichen Staaten der Union keinen musikalischen Ton hören , wenn nicht glücklicherweise vielleicht von einem Fremden . Unser frommes Land hält Klang und Saitenspiel für eine Sünde am Tage des Herrn ; aber ich denke wohl , meine Nachbarn sind bereits in den Kirchen , man wird uns kein Aergerniß nachsagen , Herr Doctor . Der junge Europäer legte rasch , als ob es entweiht wäre , sein Instrument hin ; sein dunkles Auge schoß einen wilden Blick , voll von dem Genie des Zorns . Der Amerikaner nahm die Gelegenheit wahr , als er seine Mission erfüllt sah , mit Höflichkeits-Formalitäten wieder seinen Rückzug zu nehmen . Moorfeld fuhr im Aufräumen seiner Koffer fort , aber wir können in dieser ausdruckslosen Arbeit eine merkliche Veränderung des innern Ausdrucks wahrnehmen . Das harmlose Adagio seines vorigen Gebärdenspiels ist in ein rauschendes Allegro verwandelt ; er wirft die Sachen mit einer genußlosen Hast unter einander , seine Finger zucken wie elektrisch , oft unterbricht er sich und geht mit starken Schritten durch das Zimmer . Der enge Raum genügt bald seiner unruhigen Bewegung nicht mehr , es ist mit diesem häuslichen Sonntage nichts anders anzufangen , als ihn in publico anzusehen . Er eilt fort . Die beste Flucht vor dem Sonntag wäre natürlich direct in den Sonntag hinein gewesen . Schon als Sittenbeschauer der Menschen konnte der Fremde nichts anders , als heute die Kirchen besuchen . Wahrscheinlich hätte es Moorfeld auch gethan — ohne Herrn Staunton's Morgenbesuch . Dieser aber trieb ihn begreiflich — in die Opposition . Andächtig zu sein mit Andächtigen , welche „ Aergerniß “ an einem Adagio nehmen — in Europa sieht es Jedermann ein , daß das einem Europäer nicht möglich war . Dazu kam das Sonntagsgeläute . Wie wurde unserm Freund als er in Newyork läuten hörte , wie man in Europa zum Feuer „ anschlägt “ ? Anfangs glaubte er wirklich die ganze Stadt brenne , als das eintönige Gehämmer von allen Kirchen zu arbeiten anfing . Mit empörter Seele rannte er in die Einsamkeit . Wir wüßten auch nichts , was von dem Menschen mehr hinwegscheucht , als solch ein äußerster Grad seiner Rhythmuslosigkeit . Höchstens noch ein Diner aus Fett und Pfeffer und Champagner mit Brandy . Wahrlich , unser Freund zieht eine starke Summe seit gestern . Ein Volk das nicht einmal die Instincte des Gaumens und der Andacht — also die Grundpfeiler der sinnlich-sittlichen Menschennatur — zu erfüllen weiß , das wandelt doch weit ab vom europäischen Wege . In diesem Augenblicke ging ihm einstweilen Moorfeld selbst aus dem Wege . Er wandelte auf der Battery wo eben Niemand wandelte . Das frische Meer , der blaue Himmel , der weite unendliche Horizont stammend und spiegelnd im Lichte der kräftigsten Sommersonne ließen ihn ein paar Stunden so hinträumen . Notizbuch und Stift in seiner Hand verrathen uns , daß wir ihn in Gesellschaft guter Geister wissen . Freilich sehen wir ihn eben so oft streichen als schreiben ; es scheint ein kleiner Familienzwist in dieser Gesellschaft zu herrschen . Wenn es kein großer ist — bekümmern wir uns nicht darum . Als Moorfeld zum Dejeuner in die gestrige Gruppe eintrat , fiel ihm „ unser Daniel “ wieder mit neuer Schwere auf die Seele . Er beschloß sogleich die Conversation darauf hinzuleiten . Er glaubte mit einer Artigkeit beginnen zu müssen , und drückte dem Hause Staunton sein Bedauern aus , daß er heut morgen seine Sabbathruhe entweiht . Er hätte sein Violinspiel sogleich mit einem Spaziergang vertauscht , als er vernommen — aber die Damen Staunton sahen sich in diesem Augenblicke so bedenklich an , daß Moorfeld , ohne mehr zu sagen , vielmehr das schon Gesagte in eine erschrockene Erwägung zog . Herr Staunton beschwichtigte die dreifache Verlegenheit und sagte mit einem liberalen Ausdruck : Die Vernünftigeren in Newyork werden nicht lange mehr einen Spaziergang für eine Profanation des Sonntags halten . Und macht es auch zur Zeit noch Niemand mit , namentlich während der Kirchenstunde nicht , so denkt man hier doch nachsichtiger darüber als z. B. in Boston . Ein Spaziergang , rath' ich , wird bald ein erlaubtes Sonntagsvergnügen in unsrer erleuchteten Weltstadt sein . Ist 's möglich ?! rief Moorfeld auf dem Gange draußen , denn er hatte bei Herrn Staunton's Worten — was hilft es , die Wahrheit zu mildern — mit einem wahren Grimm seine Serviette niedergelegt . Unter dem Vorwande der gestrigen Indigestion war er aufgestanden . Auf dem Corridor begegnete ihm Jack , der aufwartende Neger . Der Bursche lachte ihn mit verzücktem Augenzwicken an , machte die Gebärde des Violinspielens , zuckte tanzend mit den Fußspitzen und sagte kopfnickend : Sar , schön ! schön ! heut morgen ; Banjo in Ihrer Hand spricht gute Sprache , Sar ! Mehr aus seinen Gebärden als aus seinen Worten errieth Moorfeld die Meinung des Schwarzen . Er drückte ihm beide Hände , indem er dem drolligen Gesichte gerührt , fast begeistert in's Auge sah . Aber wir haben eine Sünde begangen , Jack , fügte er wehmüthig lächelnd hinzu , der heilige Sonntag verbietet's . Ach , was macht man mit eurem Sonntag hier ! — Man geht zum Feuer , Sar , sagte der Neger , indem er den Ausruf für eine Frage nahm und als solche gewissenhaft beantwortete . Zum Feuer , wiederholte Moorfeld verwundert , zu welchem Feuer ? — Ei , antwortete Jack , die jungen Herren von den Löschcompagnien vertreiben sich den Sonntag mit Feuerlöschen . Banjo ist Sünde , aber Feuerlöschen ist gut Werk , nicht wahr , Sar ? Nun , so müssen sie doch erst Feuer anzünden , wenn sie Feuer löschen wollen , wie , Sar ? Moorfeld sah den naiven Logiker erschrocken an . Sie sind Brandstifter zu ihrem Sonntagsvergnügen ? rief er mit starker Betonung , aber in diesem Augenblicke erdröhnten dumpfe Glockenschläge , die sich zwar von dem monotonen Getön des sogenannten Kirchengeläutes nicht unterschieden , die der entzückte Jack aber sogleich für ein Feuersignal erklärte . Mit einem lauten Freudengejubel sprang er in die Küche hinweg , fluchend auf die unzeitige Neuerung der Brandstifterpraxis , die schon so früh anfange , und ihn nicht einmal an seinem Spültisch fertig werden lasse . Moorfeld ging wie im Traume auf die Straße hinaus . Er fand am Kai schon die ersten Anfänge eines Zusammenlaufs . „ Rooseveltstreet in der vierten Ward ! “ riefen die Begegnenden einander zu . Auf Erkundigung hörte Moorfeld , daß der genannte Bezirk am Ostflusse liege , also gerade auf der entgegengesetzten Seite der Stadt . Vergebens sah er sich rings nach einem Omnibus um , kein Fuhrwerk war irgendwo zu sehen und zu hören . Er merkte , daß auch hier der Sonntag im Spiele sei , und daß ihm als Fremden nur übrig bleibe , auf gut Glück der Richtung derjenigen zu folgen , welche denselben Weg einzuschlagen schienen . Das that er . Die Menge des Straßenpublikums mehrte sich mit jedem Schritt . Der hochgeputzte Neger in weißen Handschuhen und Manschetten , das zarte Phantasiestäbchen balancirend , an seinem Arme die schwarze Schöne , die im weißen Kleide mit Rosaschleifen ihren äthiopischen Teint vortheilhaft , wie sie meint , zu heben weiß , der kurze Dandy-Frack , die strahlende Uniform , die schwere Sammtrobe , der wallende Federhut — das Alles eilte auf einen Schauplatz voraussichtlicher Unreinlichkeit mit größtem Eifer . Dazu malte sich auf allen Mienen , selbst der elegantesten Herren und Damen , eine gewisse Freudigkeit , ja schon der Umstand , daß sie aus so weiter Ferne zu einem so alltäglichen Ereigniß zusammenströmten , war bedeutungsvoll . Kurz , Moorfeld konnte unverhohlen wahrnehmen , daß die Leute die Zwangsjacke ihrer Sonntagsfeier begierig lüfteten , daß ihnen der Brand ein wahres Volksfest sei , und daß Jack's Vermuthung ohne Zweifel ihre sittenkundige Giltigkeit habe . Unter diesen Beobachtungen gelangte er an den Ort des Brandes . Aus der Tiefe der Straße , in deren Mitte seine Schritte unter dem Gedränge der Menschen kurz und kürzer wurden , flackerte eine lichterlohe Feuersäule von einem auffallend lauten Geprassel und Geknatter begleitet ; es war ein Haus von Fachwerk , ein sogenanntes Framehaus , dessen Sparren und Balken die gefräßige Flamme zusammenknirschte . Die Löschmannschaft in ihren rothen Jacken , weißen Hosen und lackirten Hüten , kecke Gestalten , denen die Welt zu gehören schien , bot in ihrer Haltung einen sonderbaren Anblick von Wildheit und Eleganz . Vor allem machte sich ein junger reckenhafter Bursche bemerklich , der gleichsam der potenzirte Ausdruck seiner ganzen Compagnie war , über die er auch thatsächlich das Commando führte . In ihm schien der Muth Uebermuth , die Wildheit Frechheit , die Eleganz Prahlerei , aber auch ein gewisser Grad von Männerschönheit war ihm nicht abzusprechen . Das ganze Unternehmen beseelte er mit einer quecksilbernen Raschheit ; den Einen riß er von der Pumpe weg , den Andern verdrängte er vom Schlauch , den Dritten warf er von der Leiter , sein Eifer war allgegenwärtig — aber wer das Gebahren des Tollen nicht blos begaffte , sondern ihm auf seinen Grund schaute , der merkte bald , daß seine Begeisterung entweder der Rumflasche entstammte , oder daß sie Koketterie vor dem Pöbel war , oder daß er Händel in seiner eigenen Mannschaft suchte : am wahrscheinlichsten Alles zugleich . Der Anblick dieses Feuerbändigers war ganz danach angethan , als ob er sich das Feuer heimlich erschüfe , das er öffentlich bekämpfte . Wie er mit dem Brande umsprang , so schien Alles an ihm zu sagen : Ich darf ihn hassen , ich hab ′ ihn geboren ! Das Schauspiel hatte jedenfalls seinen Sinnenreiz . Wie die jungen Männer zwischen Rauch , Flamme und hochstrahlenden Fontainen im Wechsel der verschiedensten Stellungen ihre körperliche Geschickleichkeit entwickelten und den Kampf zwischen Wasser und Feuer gleichsam wie ein ritterliches Karussel betrieben , ohne jenen Sudel von Geschrei , Verwirrung und Unreinlichkeit , den der Europäer bei derartigen Gelegenheiten gewohnt ist , so ließ es gar wohl die angenehme Täuschung zu , man sähe eigentlich ein Spiel , eine Vorstellung der höheren Turnkunst . Auf einmal erscholl der Ruf : „ Die Achter ! die Achter ! “ Man sah aus einer Seitenstraße eine neue Löschcompagnie anrücken und die ganze Scene veränderte sich im Nu . Der Matador , den wir zuvor beschrieben — Howland nannten ihn die Seinigen — schwang sich in Einem Satze von der Leiter , seine Compagnie machte Front gegen jene Straße , die Zuschauer drängten sich dichter zusammen , Alles deutete darauf hin , daß man diesem Zusammentreffen der beiden Compagnien wie der eigentlichen Handlung des Dramas entgegen sah . Der Recke Howland trat vor und rief : Willkommen , meine Herren von der achten ! Die prompteste Compagnie zwischen den Polen , das ist ein Faktum ! He , meine Freunde , brenne einer von euch einen Schwefelfaden an , die Herren von der achten wollen löschen . — Ich rathe , Mr. Howland , Euer verehrlicher Kopf ist selbst ein brennendes Rumfäßchen ; daran wäre zu löschen genug , rief der Capitän der Verspotteten , und seine Compagnie schrie das Schlagwort sogleich im Chorus nach . Löscht ihn ! löscht ihn ! löscht das brennende Spritlager von James Howland und Compagnie ! Und augenblicklich kam aus der Spritze der Achter ein Wasserstrahl dahergerauscht , und schoß mit einer solchen Heftigkeit an Howland's Kopf , daß es den mächtigen Körper fast zu Boden riß . Der Bursche gebärdete sich wie toll und commandirte mit einer Stentorstimme : An die Pumpe ! Seine Compagnie schöpfte , zielte und schleuderte der achten eine wüthende Decharge zu . Die Mannschaften beider Partheien bombardirten sich mit dem äußersten Eifer aus ihren Spritzen . Ihre Wasserstrahlen rauschten im Bogen bald über bald unter einander hin , bald begegneten sie sich im Kernschuß und prallten gegen einander , daß der ganz Schwall zischend zerspritzte , und rings im Zuschauerkreis die kostbaren Toiletten der Damen einnäßte , welche mit lautem Gekreisch auseinanderstoben und doch immer von Neuem sich zudrängten , indeß die Männer mit Händen und Füßen applaudirten und hochjauchzende Zurufe erschallen ließen , um die tollen Kämpfer noch mehr zu entflammen . Inzwischen ging der achten Compagnie ihr mitgebrachter Wasservorrath aus ; sie war nun an den Brunnen des Ortes angewiesen , welchen aber ihre Gegner im Besitz hatten . Es galt einen Kampf darum . Entschlossen schoben sie ihre elegante Spritze vor , entschlossen stellte sich Howland mit den Seinigen um den Brunnen . Beide Parteien , naß wie Taucherenten , scheinen gleichwohl , den Schmiedekohlen gleich , nur angefeuchtet um desto lichter zu brennen . Roth von Kampfeshitze und überfließender Begier ihr Blut zu kühlen , loderten die Gesichter der jungen Männer unter der Traufe des Wassers , der Augenblick , in welchem sie handgemein an einander rückten , versprach eine stürmische Katastrophe . Da gipfelte sich der dritte Act des Drama's von einer andern Seite her . Mit Fahnen und Standarten und einem lauten Hurrah ! als gält 's einen Triumphzug , erschien eine neue Compagnie auf dem Schauplatz . Bei ihrem Anblick gerieth Howland in Wuth . Es schienen seine ärgsten Parteifeinde zu sein . Wie eine wilde Katze schwang er sich auf die Feuerleiter und schrie ihnen entgegen : Was sucht ihr da in der vierten Ward ? Zündet euch selbst ein Feuer an , wenn ihr eure JungfernSpritze einweihen wollt ! Fort , fort , mit euch ! Zugleich ließ seine Compagnie einen Hagel von Schimpfreden über die Eindringlinge niederregnen ; man entnahm aus ihrem Geschrei , daß sie die Spritze der Andern in einem siegreichen Gefecht vor Kurzem zertrümmert , und Jene mit Fahnen , Standarten und einer neuen Paradespritze ihnen zum Trotz heute angerückt kamen . Selbst die Achter schienen durch die Erscheinung einer fremden Compagnie in ihrer Ward beleidigt , und einen Augenblick lang geneigt , ihre Partei zu wechseln . Inzwischen waren sie , begünstigt durch die neue Diversion , Herren des Brunnens geworden , hatten ihre Spritze schnell gefüllt , und richteten ihren Schlauch erst auf den hochstehenden Howland , dann aber auch auf die Köpfe seiner neuen Feinde . Diese wiederholten dasselbe Manöver , indem sie Howland von der andern Seite bombardirten , und sowohl seine als die achte Compagnie mit einem langreichenden Wasserstrahle bedeckten . Howland , wüthend wie ein angeschossener Eber , zog seinen Revolver und knatterte blindlings nach links und rechts unter seine Feinde ; augenblicklich protzten und platzten die Pistoletts von allen Seiten gegen einander , jede Compagnie stand gegen jede , die Kugeln flogen hin und wieder , die Wasserbogen brausten auf und ab , dazu regnete es von der Höhe herab Feuerbrände , da die Flamme , schon halb gelöscht , während dieses Handgemenges neu aufflackerte . Die Zuschauer stoben entsetzt auseinander , hier rief eine Frauenstimme : ich bin getroffen ! dort : ich brenne ; die Männer schrieen : Watch ! Watch ! aber Polizei ließ sich nirgends blicken . Zuletzt verließ auch Moorfeld die Brandstätte und hatte — eine amerikanische Sonntagsfeier gesehen . Zu Hause beim Diner sagte Herr Staunton : Sie kommen vom Feuer ? Nun , mein Herr , dann werden Sie bewundert haben eine der herrlichsten Institutionen unsers freien und aufgeklärten Volkes . Wo , zwischen beiden Polen , finden Sie eine Feuerwehr wie die amerikanische ? Unsere Spritzen sind leicht und zweckmäßig gebaut , ihr Mechanismus ist der vollkommenste , der sich denken läßt , ihr Aeußeres ist elegant wie ein Uhrgehäuse . Unsere Löschmannschaft ist die Blüthe unserer Jugend , ein Elitencorps , dem keine Nation der Erde etwas Aehnliches entgegenstellen kann : auf meine Verantwortung , mein Herr , das ist ein Factum über allen Zweifel erhaben . Diese vortrefflichen Jünglinge betrachten die Feuerwehr , was sie auch ist , als eine Schule des männlichen Muthes , der bürgerlichen Aufopferung , als eine Ritter-Akademie , in welcher die edelste aller Kriegswissenschaften gelehrt wird : der Kampf gegen das Element . Nichts gleicht ihrer kühnen Geistesgegenwart , ihrer heroischen Entschlossenheit , ihrer großherzigen Verachtung der Gefahr , ihrer Hingebung für die öffentliche Sicherheit des Lebens und des Eigenthums . In Wahrheit , eine Musteranstalt unsere Löschcompagnieen ! Wir zeigen mit Stolz auf sie und nächst dem Unabhängigkeitsfeste ist uns kein Tag des Jahres so lieb , als der 14. Juni , der Gründungstag unserer Feuerwehr in Newyork . An diesem glorreichen Tage halten sämmtliche Compagnien ihren Festaufzug durch die Stadt , Deputationen aus allen Gegenden der Union schließen sich ihnen an , Musikchöre treten vor , die Straßen sind mit Blumen bestreut , die Fenster mit Teppichen behangen , die Tücher der Damen wehen , Fahnen mit schmeichelhaften Devisen flattern ; in dieser öffentlichen Huldigung einer freien Nation ernten die edlen Jünglinge den einzigen Lohn ihrer uneigennützigen Bürgertugend . Es ist ein Schauspiel , mein Herr , werth , daß man um seinetwillen allein den großen Ocean durchschifft , und selbst die nächsten Sterne , rath' ich , müßten ihre Zuschauer senden , denn die Welt hat nichts Schöneres mehr aufzuweisen , es thäte mir Leid wenn 's nicht wahr wäre . Ich wünsche Ihnen Glück , daß Sie noch rechtzeitig zu diesem erhabenen Nationalfeste eingetroffen sind , wenigstens hörte ich alle Fremde ohne Ausnahme unsern 14. Juni als den schönsten Tag ihres Lebens preisen , und ich verkehre viel mit Fremden , das darf ich behaupten . Aber was sagen Sie zu der heutigen Probe , Herr Doctor ? Sie waren erstaunt — wie ? Moorfeld erwiederte : ein ritterlicher Zug habe ihn vor Allem angesprochen . In Europa sei es gebräuchlich , nur über dem Grabe eines verdienten Kriegers Gewehrsalven zu geben , höchstens erweise noch der romantische Waidmann dem letzten Röcheln eines verendenden Edelwilds diese Ehre . In Amerika aber sei es ausnehmend zart und sinnig , daß man auch das überwältigte Element mit militärischer Courtoisie behandle , und über dem gelöschten Brande , wie über einem gefallenen Helden , die Gewehre abfeuere . Ja , der Eifer für diese rühmliche Sitte ginge so weit , daß die edle Jugend dieses Erlöschen oft nicht einmal abwarte , sondern mitten im robustesten Brande Feuer gebe , und zwar auf sich selbst und das Publikum . Dieser letztere Zug habe ihm wieder heroische Bilder vor den Geist gebracht , nämlich die Fechterspiele der Römer an vornehmen Scheiterhaufen , oder auch jenes aufopferungsvolle Schlachten getreuer Waffenträger am Grabe ihres Herrn , welches bei den meisten Kriegervölkern des Alterthums geherrscht habe . Nur schienen ihm die Revolvers über eine ganz geringe Distanz hinaus kein sicheres Feuergeschoß mehr , so daß er glaube , die morgigen Zeitungen werden blos von Verwundungen , nicht aber von einem eigentlichen Opfertod zu berichten haben . — Herr Staunton erblaßte , als er in dieser ganzen Lobrede von einer jener Rowdie-Schlachten hörte , welche auf dem öffentlichen Leben Amerika's mit so großer Schande lasten ; Moorfeld fuhr aber in seiner ironischen Anerkennung fort : daß die Sonntagsruhe Amerika's durch diese Sonntagsthätigkeit erst ihr eigentliches Relief erhalte , habe er überhaupt mit aufrichtiger Genugthuung erfahren . Es stand von den ungeheuren Energien Amerika's zu erwarten , daß das zurückgepreßte Leben auf irgend eine Weise sich zu entfesseln wisse , und zwar um so gewaltsamer , je strenger es gefesselt sei — ganz nach den physischen Kraftverhältnissen von Druck und Gegendruck . Dieses sonntägliche Kampfspiel der NewyorkerFeuerwehr sei ihm daher ein schätzbarer Commentar gewesen zu dem Briefe Paulus an die Römer XIV. 5 , da er schreibt : „ Welcher auf die Tage hält , der thut es dem Herrn , und welcher nichts darauf hält , der thut es auch dem Herrn . “ Das ist von allen verdammten Deutschen der verdammteste ! murmelte Herr Staunton zwischen seine eingesetzten Zähne , als sein Gast mit einem verbindlichen Gruße vom Tische aufgestanden . — — Moorfeld aber saß in einer ernsthafteren Stimmung , als er eben gezeigt hatte , auf seinem Zimmer . Er revidirte den Plan seines newyorker Aufenthaltes . Bekanntlich bringt ein Reisender an den Ort seiner Bestimmung irgend eine fertige Disposition mit , deren Stichhaltigkeit indeß bald von den wirklichen Verhältnissen in Frage gestellt wird . Dies war jetzt Moorfeld's Fall . Er hatte geglaubt , vor seiner Weiterreise nach dem Landesinneren in Newyork , der ersten amerikanischen Großstadt , Station halten zu müssen . Das Verständniß der hinterländischen Zustände , hatte er gemeint , könne er sich dadurch rascher und in größeren Zügen aufschließen . Ebenso hatte er durch Agentur sich Quartier in einem Privathause bestellt : das Culturbild eines Volkes , nahm er an , könne ein Beobachter nirgends directer studiren , als an der Quelle aller Cultur , in der Familie . Diese Voraussetzungen waren es , welche er nun noch einmal durchprüfte . Daß die Stadt nothwendig die idealisirte Physiognomie des Landes darstelle , ist vielleicht , überlegte er jetzt , blos europäisch gedacht ; in Amerika möchte das Gegentheil walten . Ein Agriculturland , wie es ist , liege sein höchster Charakterausdruck wohl eben im Lande , und die Stadt sei nur eine Pantomime , ein Nebenumstand , eine Art Pseudoplasma . In der That , schien es ihm jetzt deutlicher zu werden , was er schon Angesichts der Feuerlösch-Emeute dunkel zu fühlen geglaubt . Er hatte sich der Wildheit dieser Scene nicht rein zu erfreuen vermocht . Er hatte den gesunden , naiven Kraftdrang eines Volkes , das sich so sprichwörtlich das jugendliche nennt , in der Balgerei jener Bursche doch nicht recht durchempfunden . Er glaubte , jede deutsche Bauernschlacht weise mehr robusten Vandalismus auf ; in dieser Newyorker Jugend läge vielmehr ein gewisses Etwas , das gerade das Gegentheil vermeinter amerikanischer Ursprünglichkeit sei : nämlich eine reflectirte , theatralische Frechheit , eine Emotion von matten und früh verbrauchten Kräften , die höchstens an der Nachsicht der Polizei zu einem Strohfeuer aufprasselt , wie es den Europäer vorübergehend blendet . Kurz die Ahnung beschlich ihn , ob eine amerikanische Stadt , anstatt die potenzirten , nicht vielmehr die blasirten Elemente des Volkslebens zur Erscheinung bringe , den oberflächlichen Schaum einer reinen und gesunden Gährung , deren Proceß sich auf andern Schauplätzen vollziehe . Was zweitens das Culturbild von Herrn Staunton's Familie betraf , so gab sich unser Freund Mühe , mit größter Gewissenhaftigkeit darüber zu urtheilen , oder besser eines vorzeitigen Urtheils sich zu enthalten . So fremdartig und unerquicklich zwischen der nationalen Arroganz des Hausherrn , der steifen Würde der Hausfrau und der prätentiösen Unnahbarkeit der Tochter ihn die ersten Stunden seines Aufenthaltes anmutheten , so erlaubte ihm doch die Ehrfurcht vor allem Menschlichen noch keine Voreingenommenheit gegen diese Personen . Selbst die Lebensfrage „ unsers Daniel “ mochte er , nach der Auslegung , deren sie zur Noth fähig war , auf sich beruhen lassen . Deßungeachtet glaubte er von der amerikanischen Familie so wenig wie von der amerikanischen Stadt sich versprechen zu dürfen . Auch hier ahnte er ein dem europäischen entgegengesetztes Verhältniß . In Europa betrachtet der Bürger seine Familie als den angebornen und natürlichen Beirath seiner Angelegenheiten : Europa's Geschichte wird in der Familie gemacht . Anders in Amerika . Hier wehte innerhalb der vier häuslichen Wände ein so kühler Geist , daß augenblicklich errathen wurde , die eigentliche Lebenswärme der bürgerlichen Existenz entbinde sich hier auf anderem als häuslichem Schauplatze . Der Mann gehörte , wie in den alten Staaten , der Oeffentlichkeit . Dort entfaltete er die Summe seiner Eigenthümlichkeit , dort zeichnete er , dort individualisirte er sich . Zu Hause war er nur ein Gattungscharakter — ein guter Ehemann . Was er den Mächten des Lebens abgelistet und abgetrotzt , das legte er wie eine ritterliche Beute seinen Ladies zu Füßen , der Gattin und Tochter . Ihnen kehrte er die Bildseite seines irdischen Webens zu ; das Sausen , Schlagen , Rupfen und Treten der Webearbeit blieb ihnen abgewendet . Von dem gemüthlichen deutschen Stabreim : Wohl und Weh , Freud und Leid — theilte er nur Wohl und Freud mit ihnen , die andere Hälfte des Reimes verschluckte er : er hob aber Alles auf , indem er den Gegensatz aufhob . Seine weibliche Familie vergötterte er , seine männliche vergaß er . Den Sohn spülte ihm der Strom der amerikanischen Freiheit schon als Knabe hinweg , und brachte ihn nie wieder , oder vielleicht als Associé zurück , mit dem man die Dividende — nicht der väterlichen Liebe — sondern des väterlichen Geschäftes abrechnet . Diese Betrachtungen waren es , welche Moorfeld , nicht so wohl machte , als vielmehr nicht abhalten konnte von sich . Er streckte wahrlich die Hand nicht freiwillig nach einer Erkenntnißfrucht von so herbem Geschmacke aus ; aber gewisse Naturen — dichterische oder weibliche z. B. — urtheilen gleichsam unwillkürlich , divinatorisch , mit der Spürkraft der Empfindung , mit der raschen Gestaltungsfähigkeit der Phantasie . Es wäre ganz vergeblich , ein solches Urtheil zu unterdrücken , oder zu betäuben . Auch liegt keine moralische Nöthigung dazu vor . Nur der langsame Kopf nennt es Vorurtheil , der schnelle schöpferische darf es mit Recht sein Urtheil nennen . Was jenem die Erfahrung ist , das ist diesem die Iotuition . Beide haben in der That zwei verschiedene Gewissen . Ja , adoptirt selbst der Geniale das Gewissen der Langsamen , und leistet er ihm , da es das Gesetz der Mehrheit ist , gleichsam aus Zerstreuung Gehorsam — er wird es nie lange thun und stets seiner eigenen Stimme vertrauen dürfen . Moorfeld konnte ihr jetzt schon mindestens nicht gänzlich mißtrauen . Inzwischen lag der Sabbath auf der Stadt draußen , wie eine eiserne Maske . Moorfeld stand in seinem Fenster und betrachtete fast bewundernd das große , allgemeine Nichts . Es kam ihm wie eine Art Kunstwerk vor , dieses Schweigen hervorzubringen . Einem Organismus , wie Newyork , eine solche Generalpause aufzulegen , schien ihm der höchste mechanische Triumph . Vor seinem Fenster fluthete der Hudson , aber die Schiffe lagen darin , wie eine Heerde geschlachteter Lämmer . Am Himmel brannte die Sonne zwecklos , und sein weitgespanntes Blau zuckte und sprühte von Licht , aber nirgends die Staffage einer einzigen Rauchsäule ! Er horchte weit und breit in die Welt hinaus — kein Wagen rollte , keine Menschenstimme scholl von der Straße . Er dachte an die Lärmscene des Brandes zurück — ein Jahrhundert schien ihm vergangen seitdem . Er brannte sich seinen mächtigen Türkenkopf an und wanderte auf und ab in der Stube . Die Scene fing an Eindruck auf ihn zu machen . Von Zeit zu Zeit blieb er wieder am Fenster stehen , und starrte in die Langweile hinaus . Allmählig füllt sich sein Auge mit Geistern , seine Mienen spannen sich und zeigen jenen Ausdruck , welcher verräth , daß die inneren Gedankenkreise in Fluß gerathen . Ja , er hat Funken gefangen von der Langweile . Die Langweile ist ihm zum Pathos geworden . Mit jener feinen dichterischen Saugader , welche jeder Erscheinung ihren Geist auszusaugen weiß , zieht er Leben aus der allgemeinen Leblosigkeit , Ideen aus dem absoluten Stillstande . Das Riesenhaupt der Meduse draußen versteinert ihn nicht , er ist's , der in ihre Züge die Seele wirft . Mit großen Blicken die große Leerheit durchbohrend , sagt er ihr folgendes : Das Universum stockt und starrt , Kein Puls des Lebens geht ; Die Welt probirt , wie die Vernichtung Ihr zu Gesichte steht ! Ja , ja , ich seh' ein Leichenfest ; Ein zweiter Souverän Geht hinter seinem leeren Sarg Mit Sterblichkeitsgestöhn . Gib Acht , gib Acht ! du parodirst Nicht ungestraft des Todes Mächte ; Der falsche Sarg geht vor dir her , Doch auf dem Fuß folgt dir der rechte ! Es setze sich kein Mensch die Sphinx Vor seines Lebens Pyramide — Die ausdruckslose Ewigkeit Mit schlaflos-todtem Augenlide ! Der Nil versumpft , der Sand dringt vor , Ruinen seh ' ich rings Und Memphis , Sabbath , Pfaff und Volk Verschlang die graue Sphinx . — Laßt ab ! ihr nietet allzu fest Das Nicht- Sein an das Sein ; Malt mir in's Leben keinen Zug , Den euch Gespenster leihn . — Der Dichter liebt ein Volk , das kühn Religionen überlebt ; Nicht liebt er die Religion , Die sitten-starr ein Volk begräbt . Wir haben uns nicht enthalten , diese Verse mitzutheilen ; sie schienen uns besser , als wir's beschreiben möchten , die eigenthümliche Puritanerluft , in der sie empfangen sind , zu versinnlichen .