Erster Theil Erstes Buch 1. Eine gelehrte Entdeckung . Es ist später Abend in unserm Stadtwald , leise wispert das Laub in der lauen Sommerluft und aus der Ferne tönt das Geschwirr der Feldgrillen bis unter die Bäume . Durch die Gipfel fällt bleiches Licht auf den Waldweg und das undeutliche Geäst des Unterholzes . Der Mond besprengt den Pfad mit schimmernden Flecken , er zündet im Gewirr der Blätter und Zweige verlorene Lichter auf , hier läuft es vom Baumstamme bläulich herab wie brennender Spiritus , dort im Grunde leuchten aus tiefer Dunkelheit die Wedel eines Farnkrautes in grünlichem Golde , und über dem Wege ragt der dürre Ast als ungeheures weißes Geweih . Dazwischen aber und darunter schwarze , greifbare Finsterniß . Runder Mond am Himmel , deine Versuche den Wald zu erleuchten sind unordentlich , bleichsüchtig und launenhaft . Bitte , beschränke deine Lichter auf den Damm , der zur Stadt führt , wirf deinen falben Schein nicht allzuschräge über den Weg hinaus , denn linker Hand geht es abschüssig in Sumpf und Wasser . Pfui , du Lügner ! da ist der Sumpf , und der Schuh blieb darin stecken . Aber dir ist das gerade recht , Täuschen und Betrügen ist deine liebste Arbeit , du Phantast unter den Sternen . Man wundert sich allgemein , daß die Menschen der Vorzeit dich als Gott verehrten . Einst hat das griechische Mädchen dich Selene gerufen und sie hat dir die Schale mit purpurnem Mohn bekränzt , um durch deinen Zauber den treulosen Geliebten zu ihrer Thürschwelle zu locken . Damit ist es für immer vorbei . Wir haben die Wissenschaft und Photogen , und du bist herabgekommen zu einem armen alten Gaukler , der fern von Menschen im Walde umherflackert . Zu einem Gaukler ! Man erweist dir noch allzuviel Ehre , wenn man dich überhaupt als lebendes Wesen behandelt . Was bist du denn eigentlich ? eine Kugel ausgebrannter blasiger Schlacke , luftlos , farbenlos , wasserlos . Bah ! eine Kugel ? Unsere Gelehrten wissen , daß du nicht einmal rund bist , auch darin lügst du . Wir von der Erde haben dich nach unserer Seite in die Länge gezogen . Du bist gewissermaßen zugespitzt , und deine Gestalt ist erbärmlich und unregelmäßig . Du bist nichts als eine Art großer Erdrübe , welche sich in ewiger Sklaverei um uns herumwälzt . Der Wald lichtet sich , zwischen der Stadt und dem Wanderer liegt noch eine weite Rasenfläche mit ihrem Weiher . Sei gegrüßt , du grüner Thalgrund ; wohlgepflegte Kieswege ziehen sich über die Waldwiese , hier und da erhebt sich lustiges Gebüsch und eine Gartenbank . Auf der Bank rastet bei Tage der wohlhäbige Bürger ; die Hände auf das spanische Rohr gestützt , sieht er stolz nach den Thürmen seiner guten Stadt hinüber . Ist heut auch die Flur verwandelt ? Vor dem Wanderer breitet sich 's wie eine wogende Wasserfläche , und es wallt , brodelt und ballt sich um die Füße , in endlosen Nebelmassen soweit das Auge reicht . Welches Geisterheer wäscht hier seine grauen Gewänder ? Sie flattern von den Bäumen , sie ziehen durch die Luft , mattscheinend , zerfließend , sich wieder verwebend . Und höher erheben sich die dämmrigen Gebilde . Sie schweben dem Wanderer über das Haupt , die düstern Massen der Bäume verschwinden , auch den Himmel verbirgt die Dämmerung , jeder Umriß löst sich auf in ein Chaos von bleichem Licht und wogender Unform . Noch dauert die feste Erde unter den Füßen des Schreitenden , und doch wandelt er geschieden von allen wirklichen Gestalten der Erde unter leuchtenden körperlosen Schatten . Hier sammelt sich 's und dort wieder zu schwebendem Scheine . Langsam schweifen die Luftgebilde an dem Flor , der den Wanderer umhüllt . Hier dringt eine gebeugte Gestalt heran , einem knieenden Weibe vergleichbar , das vor Schmerz zusammenbricht , dort ein Zug in langen wallenden Gewändern wie römische Senatoren , an ihrer Spitze ein Kaiser mit der Strahlenkrone , aber die Krone und das Haupt zerfließen , kopflos und gespenstig gleitet der große Schatten vorüber . – Dunst der feuchten Wiese , wer hat dich so verwandelt ? Wetter ! das that wieder der Alte dort oben , der gaukelnde Mond . Weicht hinterwärts , täuschende Bilder der Dämmerung . Das Thal ist durchschritten , vor dem Wanderer schimmern erleuchtete Fenster , hier ragen die nächsten Häuser der Stadt , zwei stattliche Häuser und zwei Hausbesitzer ! Hier wohnen Menschen , Steuerzahler , rührig Schaffende ; sie hüllen sich zur Nacht in warme Decken und nicht in deine wässrigen Gespinste , o Mond , welche als rollende Tropfen von Haar und Bart träufeln ; sie haben ihre Launen und ihre Biederkeit und schätzen deinen Werth , Mond , genau nach den Summen , die du der Stadtkasse an Gaslicht ersparst . In dem Hause zur linken Hand glänzt aus der obern Fensterreihe eine Lampe nahe den Scheiben . Vergeblich mühst du dich , bleiches Wolkenlicht , deine trügenden Strahlen auch dort hineinzuwerfen . Denn ihn , der dort wohnt , sollst du mit deinen Possen nicht kränken , er ist ein Kind der Sonne und ein Held dieser Geschichte . Es ist der Professor Felix Werner , ein gelehrter Philolog , noch ein junger Herr , aber von wohlverdientem Ruf . Da sitzt er an seinem Arbeitstisch und blickt auf verblichene alte Schrift ; ein ansehnlicher Mann ; wenn er aufsteht , von guter Mittelgröße , dunkles gelocktes Haar umgibt ihm ein großes Antlitz von kräftiger Bildung , nichts Kleines darin , helle treue Augen unter dunklen Brauen , die Nase leicht gebogen , die Muskeln des Mundes stark entwickelt , wie bei einem beliebten Lehrer der studirenden Jugend natürlich ist . Jetzt gerade fährt ein feines Lächeln darüber und die Wangen sind ihm von der Arbeit oder geheimer Aufregung geröthet . Verschwinde hinter einer Wolke , Mond , die Gesellschaft meines Professors ist mir lieber . Der Professor sprang von seinem Arbeitstisch auf und durchschritt einige Male eifrig das Zimmer , dann trat er an ein Fenster , welches auf das Nachbarhaus hinsah , stellte zwei große Bücher auf das Fensterbrett , legte ein kleineres darüber und brachte dadurch eine Figur hervor , welche einem griechischen P ähnlich sah und durch den Lichtschein dahinter für die Augen im Nachbarhause sichtbar wurde . Nachdem er dies telegraphische Zeichen gezimmert hatte , eilte er wieder an den Tisch und beugte sich von neuem über sein Buch . Der Diener trat leise ein , das Abendessen wegzuräumen , welches auf einem Seitentisch zurechtgestellt war . Da er die Speisen unberührt fand , blickte er mißbilligend auf den Professor und blieb lange hinter dem leeren Stuhl stehen . Endlich rückte er sich in militärische Haltung : » Der Herr Professor haben das Abendbrot vergessen . « » Räumen Sie ab , Gabriel , « befahl der Professor . Gabriel bewies keinen guten Willen . » Der Herr Professor sollten wenigstens ein Stück kalten Braten zu sich nehmen . Aus Nichts wird Nichts , « fügte er wohlwollend hinzu . » Es ist nicht in der Ordnung , daß Sie hereinkommen , mich zu stören . « Gabriel nahm den Teller und trug ihn zum Professor . » Nehmen der Herr Professor wenigstens ein paar Bissen . « » So geben Sie , « sagte der Professor und aß . Gabriel benutzte die Pause , in welcher sein Herr widerstandslos bei verständlicher Thätigkeit verweilte , zu einer respectvollen Anmahnung : » Mein seliger Hauptmann hielt sehr auf ein gutes Abendessen . « » Jetzt aber sind Sie ins Civile übersetzt , « versetzte der Professor lächelnd . Es ist aber auch nicht in der Ordnung , « fuhr Gabriel hartnäckig fort , » wenn ich allein den Braten esse , den ich für Sie hole . « » Ich hoffe , Sie sind jetzt zufrieden , « versetzte der Professor und schob ihm den Teller zurück . Gabriel zuckte die Achseln . » Es ist zum wenigsten guter Wille . Der Herr Doctor war nicht zu Hause . « » Ich sehe . Sorgen Sie dafür , daß die Hausthür geöffnet bleibt . « Gabriel machte Kehrt und entfernte sich mit den Tellern . Wieder war der Gelehrte allein , das goldene Licht der Lampe fiel auf sein Antlitz und die Bücher , welche um ihn lagen , schneller rauschten die weißen Blätter unter der Hand des Nachschlagenden und in starker Spannung arbeiteten seine Züge . Da pochte es an die Thür , der erwartete Besuch trat ein . » Guten Abend , Fritz , « rief der Professor dem Eintretenden entgegen , » setze dich auf meinen Platz und sieh hierher . « Der Gast , eine zarte Gestalt , mit feinen Zügen und einer Brille vor den Augen , rückte sich gehorsam zurecht und ergriff ein kleines Buch , welches Mittelpunkt eines Kreises von aufgeschlagenen Werken in jedem Alter und Format war . Mit Kennerblicken musterte er zuerst den Deckel : geschwärztes Pergament mit alten Noten und darunter geschriebenem Kirchentext , er warf einen spähenden Blick auf das Innere des Einbands und suchte nach den Pergamentstreifen , durch welche der übelerhaltene Rücken des Buches mit dem Deckel verbunden war . Dann erst sah er auf das erste Blatt des Inhalts , auf die vergilbten Buchstaben des geschriebenen Textes . » Das Leben der heiligen Hildegard – die Hand des Schreibers aus dem fünfzehnten Jahrhundert , « – sprach er , und sah den Freund fragend an . » Nicht deshalb zeige ich dir das alte Buch . « Sieh weiter . Der Lebensgeschichte folgen Gebete , eine Anzahl Recepte und Wirthschaftsregeln von verschiedenen Händen bis über die Zeit Luthers hinaus . Ich hatte diese Blätter für dich gekauft , du konntest darin vielleicht etwas für deine Sagen oder Volksaberglauben finden . Bei der Durchsicht aber traf ich auf einer der letzten Seiten diese Stelle , und ich muß dir jetzt das Buch noch vorenthalten . Es scheint , daß mehre Generationen eines Mönchsklosters das Buch benutzt haben , um Bemerkungen einzuzeichnen , denn auf diesem Blatt ist ein Verzeichniß von Kirchenschätzen des Klosters Rossau . Es war ein dürftiges Kloster , das Verzeichniß ist nicht groß oder nicht vollständig . Es wurde von einem unwissenden Mönch , soweit man aus seiner Schrift schließen kann , etwa um 1500 gemacht . Sieh , hier Kirchengeräth und wenige geistliche Gewänder , und hier einige theologische Handschriften des Klosters , für uns gleichgültig , darunter aber zuletzt folgender Titel : » Das alt ungehür puoch von ußfart des swigers . « Der Doctor prüfte neugierig die Worte . » Das klingt wie Ueberschrift eines Rittergedichts . Und was bedeuten die Worte selbst : Ist der Ausfahrende ein Schwieger oder ein Schweigender ? « » Versuchen wir das Räthsel zu lösen , « fuhr der Professor mit glänzenden Augen fort , und wies mit dem Finger auf dasselbe Blatt . » Eine spätere Hand hat in lateinischer Sprache dazugeschrieben : › Dies Buch ist latein , fast unlesbar , fängt an mit den Worten : lacrimas et signa und endet mit den Worten : Hier schließt der Geschichten – actorum – dreißigstes Buch . ‹ Jetzt rathe . « Der Doctor sah in das erregte Gesicht des Freundes : » Laß mich nicht warten . Die Anfangsworte klingen vielversprechend , aber ein Titel sind sie nicht , es mögen im Anfange Blätter gefehlt haben . « » So ist es , « versetzte der Professor vergnügt . » Nehmen wir an : ein , zwei Blätter haben gefehlt . Im fünften Kapitel der Annalen des Tacitus stehen die Worte lacrimas et signa hintereinander . « Der Doctor sprang auf , auch ihm flog ein freudiges Roth über das Antlitz . Setze dich , « fuhr der Professor fort , den Freund niederdrückend . » Der alte Titel vor den Annalen des Tacitus lautete wörtlich übersetzt : › Tacitus vom Ausgange des göttlichen Augustus ‹ , besser Deutsch : › Vom Hinscheiden des Augustus ab . ‹ Wohlan , ein unwissender Mönch entzifferte auf irgendeinem Blatte die ersten lateinischen Worte der Ueberschrift : › Taciti ab excessu ‹ und versuchte sie ins Deutsche zu übersetzen . Er war froh zu wissen , daß tacitus schweigsam bedeutet , hatte aber nie etwas von dem römischen Geschichtschreiber gehört , und übertrug also wörtlich : Vom Ausgange des Schweigenden . « » Vortrefflich , « rief der Doctor . » Und der Mönch schrieb seine gelungene Uebersetzung des Titels auf die Handschrift . Triumph ! Die Handschrift war ein Tacitus . « » Höre noch weiter , « ermahnte der Professor . » Im dritten und vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bestanden die beiden großen Werke des Tacitus , die Annalen und Historien , in einer Sammlung vereint unter dem Titel : Dreißig Bücher Geschichten . Wir haben dafür mehre alte Zeugnisse , sieh her . « Der Professor schlug bekannte Stellen auf und legte sie vor den Freund . » Und wieder am Ende der verzeichneten Handschrift stand : › Hier schließt das dreißigste Buch der Geschichten . ‹ Dadurch schwindet , wie mir scheint , jeder Zweifel , daß diese Handschrift ein Tacitus war . Und um das Ganze zusammenzufassen , war das Sachverhältniß folgendes : Zur Zeit der Reformation befand sich eine Handschrift des Tacitus im Kloster Rossau , der Anfang fehlte . Es war eine alte Handschrift , sie war durch die Zeit und ihre Schicksale für Mönchsaugen fast unlesbar geworden . « » Es muß aber an dem Buch noch etwas Besonderes gehangen haben , « unterbrach der Doctor , » denn der Mönch bezeichnet es mit dem Ausdruck : ungeheuer , welches etwa unserm Wort unheimlich entspricht . « » So ist es , « bestätigte der Professor . » Man darf muthmaßen , daß entweder eine Klostersage , die sich daran geheftet hatte , oder ein altes Verbot , das Buch zu lesen , oder wahrscheinlicher eine ungewöhnliche Beschaffenheit des Deckels oder Formats diese Bezeichnung verursacht hat . Die Handschrift enthielt beide Geschichtswerke des Tacitus , welche durch fortlaufende Bücherzahl verbunden waren . Und wir , « fuhr er fort und warf in der Aufregung das Buch , welches er in der Hand hielt , auf den Tisch , » wir besitzen diese Handschrift nicht mehr . Keines von den beiden Geschichtswerken des großen Römers ist uns vollständig erhalten ; uns fehlt , wenn wir die Lücken zusammenrechnen , wohl mehr als die Hälfte . « Der Freund durchschritt hastig das Zimmer . » Das ist eine von den Entdeckungen , die das Blut schneller in die Adern treibt . Dahin und verloren ! Aber es überläuft Einen heiß , wenn man deutlich empfindet , daß so wenig fehlte , einen kostbaren Schatz des Alterthums für uns zu retten . Er hat Völkermord , Brand und Zerstörung von anderthalb Jahrtausenden überdauert , er liegt noch zu der Zeit , wo das Morgenroth der neuen Bildung bei uns hereinbricht , glücklich verborgen und unbeachtet in einem deutschen Kloster , wenige Wegstunden von der großen Völkerstraße , auf welcher die Humanisten hin und her wandern , die Bilder römischer Herrlichkeit im Haupte , begierig nach jeder Ueberlieferung aus der Römerzeit suchend . Und kaum eine Tagreise entfernt erblühen Universitäten , auf denen die Jugend sich begeistert in lateinischen Versen und Prosa übt . Es lag so nahe , daß irgendein Mönch aus Rossau einem Ordensbruder davon erzählte , der die Kunde nach Mainz oder Köln trug . Es scheint unbegreiflich , daß nicht einer von den lateinischen Schullehrern , die sich damals über das ganze Land verbreiteten , Nachricht von dem Buche erhielt und den Brüdern etwas von dem Werth eines solchen Denkmals sagte . Und wie natürlich war , daß der geistliche Herr , welcher die Oberaufsicht über das Kloster übte , von dem geheimnißvollen Bande erfuhr und neugierig die verblichenen Blätter umschlug . Selbst dann wäre doch eine Kunde in die Welt gedrungen und die Handschrift uns wahrscheinlich irgendwo erhalten . Aber nichts von alledem . Und im besten Fall hat ein Zeitgenosse von Erasmus und Melanchthon , ein armer hungernder Mönch , die Handschrift an den Buchbinder verkauft , und abgeschnittene Streifen kleben noch irgendwo an alten Einbänden . Sogar dafür ist diese Nachricht wichtig . Das war eine schmerzliche Freude , die dir das kleine Buch bereitet hat . « Der Professor faßte die Hand des Freundes , die bei den Männer sahen einer dem andern in das treue Gesicht . » Nehmen wir an , der alte Erbfeind erhaltener Schätze , das Feuer , habe auch diese Handschrift verzehrt , « schloß der Doctor traurig . » Wir sind Kinder , daß wir den Verlust empfinden , als hätten wir ihn heut erlitten . « » Wer sagt uns , daß die Handschrift unwiederbringlich verloren ist ? « entgegnete der Professor in unterdrückter Bewegung . » Noch einmal setze dich vor das Buch , es weiß uns auch von den Schicksalen der Handschrift zu erzählen . « Der Doctor sprang an den Tisch und ergriff das Büchlein von der heiligen Hildegard . » Hier hinter dem Verzeichniß , « sprach der Professor und wies auf die letzte Seite des Buches , » steht noch mehr . « Der Doctor starrte auf das Blatt , lateinische Buchstaben ohne Sinn und Wortabsatz waren in sieben Zeilen zusammengeschrieben , darunter stand ein Name : F. Tobias Bachhuber . » Vergleiche diese Buchstaben mit jener lateinischen Bemerkung neben dem Titel der unheimlichen Handschrift . Es ist unzweifelhaft dieselbe Hand , feste Züge des siebzehnten Jahrhunderts , hier das s , r , das f. « » Es ist dieselbe Hand , « rief der Doctor vergnügt . » Die Buchstaben ohne Sinn sind kindliche Geheimschrift , wie man sie im siebzehnten Jahrhundert übte . Diese hier ist leicht zu lösen , jeder Buchstabe ist mit seinem folgenden vertauscht . Auf einen Zettel habe ich die lateinischen Worte des Textes zusammengestellt . Die Worte lauten auf Deutsch : Beim Herannahen des wüthenden Schweden habe ich , um den verzeichneten Schatz unseres Klosters den Nachstellungen des brüllenden Teufels zu entziehen , dies alles an einer trocknen und hohlen Stelle des Hauses Bielstein niedergelegt . Am Tage Quasimodogeniti 37 . Also am 19. April 1637 . – Was sagst du nun , Fritz ? Es scheint doch , die Handschrift war bis in den dreißigjährigen Krieg nicht verbrannt , denn Frater Tobias Bachhuber – sein Andenken sei gesegnet – hat sie in dieser Zeit noch einer Betrachtung gewürdigt , und da er ihr in dem Verzeichniß eine besondere Anmerkung gönnt , wird er sie zuverlässig bei der Flucht nicht zurückgelassen haben . Die geheimnißvolle Handschrift war also bis zum Jahre 1637 im Kloster Rossau , und der Frater hat sie im April dieses Jahres mit anderer Habe in der hohlen und trocknen Stelle des Schlosses Bielstein vor Baners Schweden verborgen . « » Jetzt wird die Sache Ernst , « rief der Doctor . » Ja , es ist Ernst , mein Freund ; nicht unmöglich , daß die Handschrift noch irgendwo verborgen dauert . « » Und Schloß Bielstein ? « » Es liegt nahe bei dem Städtchen Rossau . Das Kloster hat unter dem Schutze des geistlichen Schirmherrn bis zum dreißigjährigen Kriege in dürftigen Verhältnissen fortbestanden ; im Jahre 1637 wurde Stadt und Kloster durch die Schweden verwüstet . Die letzten Mönche verloren sich , das Kloster wurde nicht wieder eingerichtet . Das ist alles , was ich zur Zeit erfahren konnte . Für das Weitere erbitte ich deine Hilfe . « » Die nächste Frage ist , ob das Schloß den Krieg überdauert hat , « versetzte der Doctor , » und was bis jetzt daraus geworden . Schwerer wird zu ermitteln sein , wo Bruder Tobias Bachhuber geendet hat , und am schwersten , durch welche Hände sein kleines Buch auf uns gekommen ist . « » Das Buch fand ich heut bei einem hiesigen Antiquar , es war neuer Erwerb und noch nicht in sein Verzeichniß aufgenommen . Die weitere Auskunft , welche der Verkäufer etwa geben kann , werde ich morgen holen . Es lohnt doch , nachzufragen , « fuhr er kühler fort , bemüht , einen Strom verständiger Erwägung über die aufbrennende Glut seiner Hoffnungen zu leiten . » Seit jener geheimen Notiz des Fraters sind mehr als zweihundert Jahre verflossen , die zerstörenden Kräfte waren in dieser Zeit nicht weniger thätig als früher , vor andern Krieg und Raub der Jahre , in denen das Kloster zu Grunde ging . So sind wir zuletzt nicht weiter , als wenn die Handschrift einige hundert Jahre früher verloren wäre . « » Und doch steigt mit jedem Jahrhundert die Wahrscheinlichkeit , daß die Handschrift bis zur Gegenwart erhalten ist , « warf der Doctor ein , » selbst wenn man für jedes Jahrhundert eine gleiche Zahl von Angriffen auf das Bestehende annimmt . Aber die Zahl der Menschen , welche das Merkwürdige eines solchen Fundes ahnen , ist seit jenem Kriege so groß geworden , daß wenigstens eine Zerstörung durch rohe Unwissenheit fast undenkbar wird . « » Wir dürfen darin auch dem Wissen der Gegenwart nicht zu viel vertrauen , « warf der Professor ein . » Wenn es aber wäre , « fuhr er auf , und seine Augen strahlten , » wenn uns die Kaisergeschichte des ersten Jahrhunderts , wie sie Tacitus geschrieben , durch ein günstiges Geschick zurückgegeben würde , es wäre ein Geschenk , so groß , daß der Gedanke an die Möglichkeit einen ehrlichen Mann wohl berauschen darf , wie römischer Wein . « » Unschätzbar , « bestätigte der Doctor , » für unsre Kenntniß der Sprache , für hundert Einzelheiten römischer Geschichte . « » Für die älteste Geschichte deiner Germanen , « rief der Professor . Beide maßen wieder mit schnellen Schritten die Stube , schüttelten einander die Hände und sahen einer den andern fröhlich an . » Und wenn ein günstiger Zufall auf dieser Spur zu der Handschrift leitete , « begann Fritz , » wenn sie durch dich dem Tageslicht zurückgegeben würde , du , mein Freund , du bist auch der beste Mann , sie herauszugeben . Der Gedanke , daß deinem Leben eine solche Freude und so ruhmvolle Arbeit werden könnte , macht mich glücklicher als ich sagen kann . « » Finden wir die Handschrift , « versetzte der Professor , » so kann sie nur von uns beiden zusammen herausgegeben werden . « » Von uns ? « frug Fritz verwundert . » Von dir mit mir , « entschied der Professor , » das soll deine Tüchtigkeit in weiteren Kreisen bekanntmachen . « Fritz trat zurück . » Wie kannst du glauben , daß ich so etwas annehmen würde ? « » Widersprich mir nicht , « rief der Professor , » du bist vollkommen dafür geeignet . « » Das bin ich nicht , « versetzte Fritz fest , » und ich bin zu stolz , etwas zu unternehmen , wobei ich deiner Güte mehr verdankte als meiner Kraft . « » Das ist ungeschickte Bescheidenheit , « rief der Professor wieder . » Ich werde es nie thun , « entgegnete Fritz . » Du verleugnest dein Zartgefühl , wenn du nur einen Augenblick daran denkst , daß ich mich vor dem Publicum mit fremden Federn schmücken könnte . « » Ich weiß besser als du , « rief unwillig der Professor , » was du vermagst und was dir frommt . « » Jedenfalls frommt mir nicht , dir , der du bei der Arbeit selbst den Löwenanteil haben würdest , den Lohn dafür heimlich abzunagen . Nicht meine Bescheidenheit , sondern meine Selbstschätzung verbietet das . Und dies Gefühl sollst du ehren , « schloß Fritz mit großer Energie . » Nun , « lenkte der Professor ein , die auflodernde Empfindung bändigend , » vorläufig geberden wir uns wie der Mann , welcher Haus und Acker vom Erlös eines Kalbes kaufte , das ihm noch nicht geboren war . Sei ruhig , Fritz , nicht du , nicht ich werden die Handschrift herausgeben . « » Und niemals werden wir erfahren , was römische Kaiser an Thusnelda und Thumelicus gefrevelt haben , « sagte Fritz und trat wieder teilnehmend zu dem Freunde . Aber es sind doch nicht Einzelheiten , welche uns den größten Gewinn brächten , « begann der Professor ruhiger , » und nicht , daß wir diese missen , macht uns den Verlust der Handschrift empfindlich . Denn für die Hauptsachen versagen andere Quellen nicht . Das Wichtigste wäre immer , daß Tacitus der erste und in mancher Hinsicht der einzige Geschichtschreiber ist , der höchst auffallende , unheimliche Seiten der menschlichen Natur dargestellt hat . Seine Werke sind uns zwei geschichtliche Tragödien , Scenen des Julischen und des Flavischen Kaiserhauses , markerschütternde Bilder der ungeheuren Umwandlung , welche durch ein Jahrhundert der größte Staat des Alterthums , die Seelen der Gehorchenden , die Charaktere der Herrscher erfahren ; die Geschichte einer Tyrannenherrschaft , welche die edlen Geschlechter vertilgt , eine hohe und reiche Bildung heraustreibt und verdirbt , vor allem die Herrschenden selbst mit wenigen Ausnahmen entmenschlicht . Wir haben bis zur Gegenwart kaum ein anderes Werk , dessen Verfasser so spähend in die Seelen einer ganzen Reihe von Fürsten blickt , so scharf und genau die Verwüstungen schildert , welche die dämonische Krankheit der Könige in den verschiedensten Naturen hervorgebracht hat . « » Mich hat immer geärgert , « sagte der Doctor , » wenn man ihm vorwarf , daß er zumeist Kaiser- und Hofgeschichte geschrieben . Wer darf Trauben von einer Cypresse verlangen und behagliche Freude an dem großartigen Staatsleben von einem Manne , der durch einen großen Theil seines Mannesalters täglich Messer und Giftbecher eines wahnsinnigen Despoten vor seinen Augen sah . « » Ja , « fuhr der Professor beistimmend fort , » er gehörte zu den Aristokraten , deren Häupter hoch über die Menge herausragen , eine Körperschaft , unfähig zum Regieren , unwillig im Gehorsam . In dem Gefühl einer bevorzugten Stellung waren sie die unentbehrlichen Diener , die stillen Feinde und Rivalen der Fürsten , in ihnen bildeten sich die Tugenden und Laster einer gewaltigen Zeit zu ungeheuren Erscheinungen . Wer sollte die Geschichte römischer Fürsten schreiben als ein Mann aus diesem Kreise ? Durch Palastintriguen und stillen Einfluß dunkler Nebengestalten entwickeln sich die Thatsachen , die schwärzeste Missethat verbirgt sich hinter den steinernen Wänden des Palastes , das Gerücht , das leise Gemurmel des Vorzimmers , der lauernde Blick versteckten Hasses sind oft die einzigen Quellen des Geschichtschreibers . Uns bleibt vor solcher Zeit nichts übrig , als bescheiden das Urtheil des Mannes zu schätzen , der uns von diesen fremdartigen Zuständen Kunde überliefert hat . Wer die erhaltenen Bruchstücke des Tacitus ehrlich und gescheidt betrachtet , der wird seinen sichern Blick in die tiefsten Falten eines römischen Gemüthes bewundernd ehren . Es ist ein erfahrener Staatsmann , ein kräftiger und wahrhafter Geist , der uns die geheime Geschichte seiner Zeit so erzählt , daß wir die Menschen und all ihr Thun verstehen , als ob wir selbst Gelegenheit hätten , ihnen in das Herz zu sehen . Wer das vermag für spätere Jahrtausende , der ist nicht nur ein großer Geschichtschreiber , er ist auch ein bedeutender Mensch . Und vor solcher Gestalt habe ich immer eine tiefherzliche Ehrfurcht empfunden , und ich halte für eine Pflicht ernster Kritik , das Mäkeln der Kleinen von solchem Bilde fern zu halten . « » Schwerlich hat einer seiner Zeitgenossen , « bestätigte der Doctor , » so tief die Schwächen der eigenen Zeitbildung gefühlt als er . Immer hat mich gerührt , wie er das Schwerflüssige seiner Sprache , das Vieldeutige des Ausdrucks mit der Scheu und Vorsicht entschuldigt , welche unter der Herrschaft des Scheusals Domitian auch in die Seelen der Besten geschlagen wurden . « » Ja , « schloß der Professor , » er ist ein Mann , soweit das in seiner Zeit noch möglich war , und das ist zuletzt die Hauptsache . Denn was uns am meisten fördert , ist doch nicht die Summe des Wissens , die wir einem großen Manne verdanken , sondern seine eigene Persönlichkeit , die durch das , was er für uns geschaffen , ein Theil unseres eigenen Wesens wird . Der Geist des Aristoteles ist für uns noch etwas Anderes als die Summe seiner Lehren , welche wir aus den erhaltenen Büchern zusammensuchen . Und Sophokles bedeutet uns etwas ganz Anderes als sieben erhaltene Tragödien . Die Art , wie er dachte , fühlte , das Schöne empfand , das Gute wollte , die soll ein Stück von unserm Leben werden . Dadurch vor allem wirkt das Wissen aus vergangener Zeit befruchtend auf unser Sein und Wollen . In diesem Sinne ist auch die schwermüthige , trauervolle Seele des Tacitus für mich weit mehr als selbst seine Schilderungen des Kaiserwahnsinns . – Sieh , Fritz , und deshalb sind mir dein Sanskrit und deine Inder nicht recht , ihnen fehlen die Männer . « » Sie sind wenigstens für uns schwer erkennbar , « erwiederte der Freund . » Aber wer , wie du , die homerischen Gesänge den Studenten erklärt , der darf nicht verkennen , welcher Reiz darin liegt , in die geheimnißvollsten Tiefen des menschlichen Schaffens hinabzusteigen , in die Periode der Menschheit , wo noch die junge Volkskraft den Einzelnen , welcher in ihr arbeitet , unserm Blicke verdeckt , und das Volk selbst in Poesie , Sage , Recht , wie ein Einzelwesen Lebendiges gestaltend , vor uns tritt . « » Wer sich nur damit beschäftigt , « versetzte der Professor eifrig , » der wird leicht phantastisch und weich . Das Studium solcher Urzeiten wirkt wie orientalischer Mohnsaft . Die Arbeit unter diesen schillernden , undeutlichen Gebilden , welche im Dunkel aufleuchten und wieder verschwinden , verführt zu ungeregeltem Combiniern ; wer sein Lebtag darüber verweilt , wird auch in den Gesichtspunkten , durch die er sein eigenes Leben bestimmt , schwerlich Willkür fernhalten . « Fritz stand auf . » Das ist unser alter Streit . Ich weiß , du willst mir nichts Hartes sagen , aber ich empfinde , daß du dabei an mich denkst . « » Und habe ich Unrecht ? « fuhr der Professor fort , » wahrlich ich habe Respect vor jeder geistigen Arbeit , aber meinem Freund möchte ich die gönnen , welche für ihn am segensreichsten ist . Dein Suchen im indischen Götterglauben und deutscher Mythologie lockt dich von einem Räthsel zu dem andern ; in dem endlosen Gebiet von unklaren Anschauungen und Bildern unter wesenlosen Schatten soll eine junge Kraft nicht immer weilen . Zwinge dich zu einem Abschluß . Auch aus äußern Gründen . Es taugt dir nicht , Privatgelehrter zu sein , das Leben ist zu bequem , der äußere Zwang , ein bestimmtes Gebiet von Pflichten fehlen dir . Du hast mehre von den besten Eigenschaften eines Lehrers . Sitze nicht im Hause der Eltern , du mußt Universitätslehrer werden . « Dem Freunde stieg eine dunkle Röthe langsam über die Wangen . » Es ist genug , « rief er gekränkt , » wenn ich zu wenig an meine Zukunft gedacht habe , du sollst mir darüber keine Vorwürfe machen . Es war mir vielleicht zu große Freude , an deiner Seite zu leben und der stille Vertraute deiner kräftigen Arbeit zu sein . Etwas von dem Segen , den das Leben eines Mannes allen mittheilt , die an seinem geistigen Schaffen theilnehmen , habe ich in deiner Nähe doch auch empfunden . Gute Nacht . « Der Professor ging auf ihn zu und faßte seine beiden Hände . » Bleibe , « rief er , » bist du mir böse ? « » Nein , « erwiederte Fritz , » aber ich gehe . « Er schloß leise die Thür . Der Professor ging mit starken Schritten auf und ab , machte sich Vorwürfe über seine Heftigkeit und sorgte um die Stimmung des Freundes . Endlich warf er die Bücher , welche Telegraphendienste verrichtet hatten , heftig auf die Bretter zurück und trat wieder an den Arbeitstisch . Gabriel leuchtete dem Doctor die Treppe hinab , öffnete die Hausthür und schüttelte den Kopf , als sein Nachtgruß bei dem Herrn nur kurze Erwiederung fand . Er löschte das Licht und horchte nach dem Zimmer seines Herrn . Als er die Schritte des Professors hörte , entschloß er sich , noch einige Züge lauer Abendluft zu schöpfen und stieg in den kleinen Hausgarten . Dort stieß er auf den Hausbesitzer Herrn Hummel , welcher wahrscheinlich in derselben Absicht unter den Fenstern des Professors spazierte . Herr Hummel war ein breitschultriger Mann mit einem großen Kopfe und eigensinnigem Gesicht , wohlhäbig und gut erhalten , von ehrbarem und altfränkischem Anstrich . Er rauchte aus seiner langen Pfeife mit einer sehr dicken Spitze , an welcher eine Reihe kleiner Kirchthurmsknöpfe hinter einander stand . » Ein schöner Abend , Gabriel , « begann Herr Hummel , » ein gutes Jahr , das wird eine Ernte ! « Er stieß den Diener vertraulich an : » Da oben hat 's heut etwas gegeben , das Fenster stand offen . Nicht daß ich horchen wollte , aber ich mußte so manches vernehmen , Gabriel ! « schloß er bedeutsam und bewegte mißbilligend seinen Hausbesitzerkopf . » Er hat wieder das Fenster aufgemacht , « versetzte Gabriel ausweichend . » Die Fledermaus und die Motte werden bei der freien Aussicht zudringlich , und wenn er mit dem Doctor discurrirt , sind beide manchmal so laut , daß die Leute auf der Straße stehen bleiben und zuhören . « » Verschluß ist immer gut , « bestätigte Herr Hummel . » Was hat 's denn eigentlich gegeben ? Der Doctor ist der Sohn von da drüben , und Sie kennen meine Meinung , Gabriel , ich traue nicht . Ich will Niemandem zu nahe treten , aber was von jenem Hause kommt , darüber habe ich so meine Ansichten . « » Worüber es ging ? « antwortete Gabriel , » ich hab 's nicht gehört , aber das kann ich Ihnen genau sagen , es ging über die alten Römer . Sehen Sie , Herr Hummel , wenn wir die alten Römer hätten , so wäre Vieles bei uns anders . Das waren Eisenbeißer , die verstanden zu fuuragiren . Sie führten Krieg , sie eroberten hier und dort . « » Sie sprechen ja wie ein Mordbrenner , « sagte Herr Hummel mißbilligend . Ja , sie thaten es nicht anders , « erwiederte Gabriel selbstzufrieden , » sie waren ein eigennütziges Volk und hatten Haare auf den Zähnen wie die Igel . Und was am wunderbarsten ist , wieviel Bücher diese Römer bei alledem geschrieben haben . Kleine und große , viele auch in Folio . Wenn ich die Bibliothek abstäube , nimmt es mit den Römern kein Ende , jede Art von Kaliber , und manche sind dicker als die Bibel . Nur sind alle schwer zu lesen , wer aber die Sprache versteht , erfährt Vieles . « » Die Römer sind ein abgestorbenes Volk , « versetzte Herr Hummel , » als es mit ihnen zu Ende ging , kamen die Deutschen . Der Römer würde es bei uns niemalen thun . Das Einzige , was uns helfen kann , ist die Hansa . Das ist die Einrichtung . Mächtig zur See , Gabriel , « rief er und schüttelte den Rock desselben an einem Knopfe , » die Städte müssen es unternehmen , Bündnisse , Capitalaufnahme , denn Handel ist da , Credit ist da , an Menschen fehlt 's nicht . Schiffe bauen , Flaggen aufhissen . « » Und wollen Sie mit Ihrem Kahne auf das große Meer ? « frug Gabriel und wies mit der Hand auf einen kleinen Kahn , der an der hintern Seite des Gartens umgestülpt auf zwei Hölzern lag . » Soll ich mit meinem Professor auf die See gehen ? « » Davon ist nicht die Rede , « versetzte Herr Hummel , » aber die jungen Leute , welche zuvörderst unnütz sind . Mancher könnte etwas Besseres thun , als bei seinen Eltern zu Hause sitzen . Warum soll Ihr Doctor von drüben nicht als Matrose für's Vaterland mitgehen ? « » Ich bitte Sie , Herr Hummel , « rief Gabriel erschrocken , » der junge Herr ? Er hat ja ein kurzes Gesicht . « » Thut nichts , « brummte Hummel , » dafür gibt 's auf der See Fernröhre , und er kann 's ja meinetwegen bis zum Kapitän bringen . Ich bin nicht der Mann , der seinem Nächsten etwas Böses wünscht . « Er ist ein Gelehrter , « entgegnete Gabriel , » und dieser Stand ist auch nöthig . Ich versichere Sie , Herr Hummel , ich habe über das gelehrte Wesen nachgedacht , ich kenne meinen Professor genau und zuweilen den Doctor , und ich muß sagen , es ist etwas an der Sache , es ist viel daran . Manchmal bin ich zweifelhaft . Wenn der Schneider den neuen Rock bringt , merkt so Einer nicht , was Jedermann weiß , ob ihm der Rock sitzt oder ob auf dem Rücken Falten sind . Wenn er auf den Einfall kommt , von einem Bauer eine Fuhre Holz zu kaufen , die vielleicht doch nur gestohlen ist , so bezahlt er hinter meinem Rücken das Holz viel theurer als jeder Mensch . Und wenn er unversehens ärgerlich wird und sich streitet über Dinge , die wir beide ruhig miteinander besprechen , so wird mir die Sache zweifelhaft . Wenn ich aber dann sehe , wie er sonst ist , barmherzig und freundlich sogar gegen die Fliegen , die um seine Nase tanzen – denn er holt sie mit dem Löffel aus dem Kaffe und setzt sie draußen auf's Fensterbrett – und wie er aller Welt das Beste gönnen möchte , und wie er sich selber gar nichts gönnt und noch tief in der Nacht liest und schreibt , so wird mir seine ganze Geschichte gewaltig . Und ich sage Ihnen , ich lasse nichts auf die Gelehrten kommen . Sie sind anders als wir , sie verstehen nicht , was unsereiner versteht . Aber wir verstehen nicht , was sie verstehen . « » Nun , man hat auch seine Bildung , « versetzte Herr Hummel . » Was Sie sagen , Gabriel , haben Sie als ein achtbarer Mensch gesprochen , aber das Eine will ich Ihnen anvertrauen , man kann eine große Wissenschaft haben und ein recht hartherziges Subject vorstellen , das sein Geld auf Wucherzinsen gibt und seinen guten Freunden die Ehre abschneidet . Und deswegen meine ich : die Hauptsache ist Ordnung und Grenze und seinen Nachkommen etwas hinterlassen . Ordnung hier , « er wies auf seine Brust , » und Grenze dort , « er wies auf seinen Zaun , » daß man sicher weiß , was einem selbst gebührt und was dem Andern gehört . Und für die Kinder ein festes Eigenthum , auf dem sie sitzen ; dann mögen diese wieder für ihre Kinder sorgen . Das ist , was ich unter Menschenleben verstehe . « Der Hausherr verschloß die Thür des Zaunes und die Thür des Hauses , auch Gabriel suchte sein Lager , aber noch lange brannte die Lampe in der Arbeitsstube des Professors , und ihre Strahlen kreuzten sich an der Fensterbrüstung mit dem bleichen Schein des Mondes . Endlich verlosch die Leuchte des Gelehrten , das Zimmer stand leer ; draußen am Himmel fuhren kleine Wolken an der Mondscheibe vorüber , und dämmrige Lichter tanzten jetzt als Beherrscher der Stube über den Schreibtisch , über die Werke der alten Römer und über das Büchlein des seligen Frater Tobias . 2. Die feindlichen Nachbarn . In künftigen Zeiten wird , wie man hört , auf dem Erdball eitel Freude und Liebe sein . Die Menschheit wird in wassergrünem und himmelblauem Gewande einhergehen , Sandalen an den Füßen und Palmzweige in der Hand , um dem letzten Haß und der letzten Bosheit Salz auf den Schwanz zu streuen und diese Nachtvögel für das große Museum der Zukunft auszustopfen . Bei solcher Jagd wird man finden , daß das letzte Nest der Unholde zwischen den Wänden zweier Nachbarhäuser hängt . Denn zwischen Nachbar und Nachbar nisten sie , seit der Regen vom Dach des einen Hauses in den Hof des andern rieselt , seit der Sonnenstrahl durch eine Hausmauer der andern vorenthalten wird , seit Kinder die Hände durch den Zaun stecken , um Beeren zu naschen , seit der Hausherr nicht abgeneigt ist , sich selbst für besser zu halten als seine Mitmenschen . Und es gab zu unsern Tagen wenig Gebäude im Lande , zwischen denen Widerwille und feindliche Kritik so arg wirtschafteten als zwischen den beiden Häusern am großen Stadtpark . Viele erinnern sich der Zeit , wo die Häuser der Stadt noch gar nicht bis an den waldigen Thalgrund reichten . Damals hatte die Thalgasse nur wenige kleine Menschenwohnungen , dahinter lag ein wüster Raum , Frau Knips , die Wäscherin , trocknete dort Bürgerhemden und ihre beiden unartigen Jungen warfen einander mit den Holzklammern . Da hatte Herr Hummel einen Trockenplatz am letzten Ende der Straße gekauft und hatte darauf sein schönes Haus gebaut in zwei Stockwerken mit steinernen Stufen und eisernem Gitter , und dahinter ein einfaches Arbeitshaus für sein Geschäft , denn er war Hutfabrikant und trieb die Sache sehr ins Große . Und wenn er aus seinem Hause trat und die Vorsprünge des Daches und die Gipsarabesken unter den Fenstern musternd überschaute , so sah er von allen Seiten Licht und Luft und freie Natur und empfand sich als den vordersten Pfeiler der Civilisation gegen den Urwald . Da begegnete ihm , was manchem Pionier der Wildniß die Ruhe stört : sein Beispiel fand Nachahmung . An einem finstern Morgen des März kam ein Wagen mit alten Brettern an den Wäschplatz gefahren , der ihm gegenüber lag , schnell wurde ein Plankenzaun zusammengeschlagen , Tagelöhner mit Haue und Handkarren begannen Grund zu graben . Das war ein harter Schlag für Herrn Hummel . Aber sein Leid wurde größer . Als er zornig über die Straße schritt und den Maurermeister nach dem Namen des Mannes frug , der gegen Licht und Ruhm seines Hauses feindlich arbeiten ließ , da erfuhr er , daß sein künftiger Nachbar der Fabrikant Hahn sein sollte . Von allen Menschen auf der Welt war dieser der größte Tort , den ihm das Schicksal anthun konnte . Nicht eigentlich als Bürger betrachtet , er war nicht unreputirlich , es ließ sich gegen die Familie nichts Schweres einwenden , aber er war Hummels natürlicher Gegner , denn das Geschäft des neuen Ansiedlers bewegte sich auch um Hüte , und zwar um Strohhüte . Diesen leichten Plunder zu verfertigen ist nie für eine ernste Männerarbeit gehalten worden , es war nie ein zünftiges Handwerk , es hat nie das Recht gehabt , Lehrlinge frei zu sprechen , es ist sonst nur von italienischen Bauern betrieben worden , es hat sich als eine Neuerung mit andern schlechten Sitten erst spät in der Welt verbreitet , es ist im Grunde gar kein Geschäft , man kauft Strohbänder und läßt sie durch zusammengelaufene Mädchen im Wochenlohn aneinandernähen . Und es besteht eine alte Feindschaft zwischen Filzhut und Strohhut . Der Filzhut ist eine historische Macht , durch Jahrtausende geheiligt , nur die Mütze duldete er neben sich , als gemeine Einrichtung für Werkeltage . Da erhob der Strohhut seine Anmaßungen gegen verbrieftes Recht und beanspruchte frech die Hälfte des Jahres . Seit der Zeit schwanken die Wagschalen des irdischen Beifalls zwischen diesen beiden Attributen des Menschengeschlechts . Wenn der unstäte Sinn der Sterblichen nach dem Stroh zuschwankt , bleibt der schönste Filz , Felbel , Seide und Pappe unbeachtet stehn , von der Luft ausgezogen , von Motten zerbissen . Hinwiederum wenn die Neigungen der Menschen nach dem Filz hinfluthen , trägt alles Geborne , Frauen , Kinder und Kindermädchen , kleine Männerhüte , dann liegt das Stroh kläglich , kein Herz schlägt dafür und die Hausmaus nistet in dem schönsten Geflecht . Das war für Herrn Hummel ein starker Grund zum Zorn . Aber es wurde noch ärger . Er sah täglich , wie das feindliche Haus aus dem Boden wuchs , er beobachtete die Gerüste , die aufsteigenden Mauern , die Zieraten der Gesimse , die Fensterreihen , – es war zwei Fenster länger als sein Haus . Das Erdgeschoß hob sich in die Höhe , ein zweiter Stock , zuletzt gar ein dritter – alle Fabrikräume des Strohmanns wurden dem Wohnhaus einverleibt . Das Haus des Herrn Hummel war zu einem unbedeutenden Dinge herabgedrückt . Da schritt er zu seinem Advocaten und forderte Rache wegen entzogenem Licht und verschlechterter Aussicht . Natürlich zuckte dieser die Achseln . Das Recht Häuser zu bauen gehörte zu den Grundrechten der Menschheit , es war auch gemeines deutsches Herkommen in Häusern zu leben , und es war voraussichtlich hoffnungslos zu beantragen , daß Hahn auf seinem Grundstück nur ein . Leinwandzelt errichten dürfe . So war durchaus nichts zu thun als sich mit Geduld zu fügen , und Herr Hummel hätte sich das selbst sagen sollen . Seitdem waren Jahre vergangen . Zu derselben Stunde vergoldete das Sonnenlicht die Parkseite der beiden Häuser , stattlich und bewohnt standen sie da , beide gefüllt mit Menschen , welche täglich aneinander vorbeigingen . Zu derselben Stunde trat der Briefträger über beide Thürschwellen , die Tauben flogen von dem einen Dach auf das andere , die Sperlinge an den beiden Hausrinnen traten in die gemüthlichsten Beziehungen ; um das eine Haus roch es zuweilen ein wenig nach Schwefel , um das andere nach versengten Haaren , aber derselbe Sommerwind trieb vom Walde den Harzgeruch und den Duft der Lindenblüthen durch beide Hausthüren . Und doch , die tiefe Abneigung der beiden Häuser hatte sich nicht verringert . Das Haus Hahn empfand einen Widerwillen gegen versengte Haare , und die Familie Hummel hustete in ihrem Garten zornig , sooft eine Spur von Schwefel in dem Sauerstoff der Luft geargwöhnt wurde . Zwar wurde das anständige Verhalten zu der Nachbarschaft nicht ganz mit Füßen getreten , wenn auch der Filz eine Neigung zu bärbeißigem Verhalten hatte , das Stroh war biegsamer und bewies in mehren Fällen seine Nachgiebigkeit . Beide Hausherren hatten eine bekannte Familie , in welcher sie zuweilen zusammentrafen , ja beide hatten einmal vor demselben Täufling gestanden und darauf geachtet , daß einer nicht weniger Pathengeld gab als der andere . Deshalb entstand ein unvermeidliches Grüßen , so oft man ihm nicht aus dem Wege gehen konnte . Aber dabei blieb es . Zwischen dem Markthelfer , welcher die Strohhüte schwefelte , und den Arbeitern , welche über den Hasenhaaren walteten , bestand glühender Haß . Und die kleinen Leute , welche in den nächsten Häusern der Straße wohnten , wußten das und thaten redlich das Ihre , um das bestehende Verhältniß aufrecht zu erhalten . Auch konnte in der That das Wesen der beiden Hausherren schwerlich zusammenstimmen . Der Dialekt war verschieden , die Bildung hatte einen anderen Strich , was der eine an Leibgerichten und andern Einrichtungen des Lebens lobte , mißfiel dem andern ; Hummel war aus einem Baumstamm des nördlichen Deutschland an das Licht geflogen , Hahn aus einer kleinen Stadt in der Nähe herzugeflattert . Wenn Herr Hummel von seinem Nachbar Hahn sprach , so nannte er ihn das Strohfeuer und den Phantasten . Herr Hahn war ein sinniger Mann , still und fleißig über seinem Geschäft , in den Freistunden aber ergab er sich ausfallenden Liebhabereien . Unleugbar waren diese darauf berechnet , dem wandelnden Publicum , welches zwischen den beiden Häusern nach der Waldwiese und den grünen Bäumen hinauszog , einen guten Eindruck zu machen . In dem kleinen Garten hatte er nacheinander die meisten Erfindungen gehäuft , durch welche moderne Gartenkunst die Erde verschönert . Zwischen den drei Fliederbüschen erhob sich ein Felsen aus Tuffstein gemauert mit schmalem und steilem Pfade zur Höhe , daß nur feste Bergsteiger ohne Alpenstock die Expedition nach dem Gipfel wagen konnten , auch sie in Gefahr , mit der Nase in den zackigen Tuffstein zu fallen . Im nächsten Jahre wurden , nahe am Gitterzaun , in kurzen Entfernungen Stangen errichtet , an denen Schlinggewächse hinaufliefen ; zwischen je zwei Stangen hing eine bunte Glaslampe . Wenn die Lampenreihe an festlichen Abenden angezündet war , warf sie einen magischen Glanz auf die Strohhüte , welche unter dem Fliederbusch zusammensaßen und die Urtheile der Vorübergehenden einsammelten . Den Glaskugeln folgte das Jahr der Papierlaternen . Wieder im nächsten Jahre erhielt der Garten ein antikes Aussehen , denn eine weiße Muse glänzte , von Epheu und blühendem Lack umgeben , bis weit in den Wald hinein . Gegenüber solcher Neuerungssucht hielt Herr Hummel fest an seiner Vorliebe für's Wasser . An der Hinterseite seines Hauses zog sich eine schmale Wasserader nach der Stadt . Alljährlich wurde sein Kahn mit derselben grünen Oelfarbe angestrichen , er setzte sich in seinen Freistunden am liebsten allein in den Kahn und ruderte sich ein wenig auf den Häusern in den Park , nahm seine Angel zur Hand und ergab sich dem Vergnügen , Weißfische und anderes kleines Wasservolk zu fangen . Ohne Zweifel war das Haus Hummel legitimer , das heißt eigensinniger , wunderlicher , schwerer zu behandeln . Von allen Hausfrauen der Straße erhob Frau Hummel die größten Ansprüche , durch seidene Kleider , durch eine goldene Uhr an goldener Kette . Sie war eine kleine Dame mit blonden Locken , immer noch recht hübsch , sie war im Theater abonnirt , gebildet und zartfühlend und konnte sehr böse werden . Sie sah aus , als wenn sie sich aus nichts etwas mache , aber sie wußte Alles , was auf der Straße vorging . Nur den eigenen Gatten vermochte ihre Regierungskunst nicht immer zu bewältigen . Doch bewies Herr Hummel , tyrannisch gegen alle Welt , seiner Frau große Rücksicht . Wenn sie ihm im Hause zu stark wurde , ging er stillschweigend in den Garten , und wenn sie ihm auch dahin folgte , verschanzte er sich in der Fabrik hinter einem Bollwerk von Haaren . Aber auch Frau Hummel war einer höheren Gewalt unterworfen , und diese Macht übte ihr Töchterchen Laura . Von mehren Kindern war ihr nur dies eine geblieben , alle Zärtlichkeit und weiche Empfindung der Mutter war ihm zu Theil geworden . Und es war ein prächtiger kleiner Balg , die ganze Stadtgegend kannte sie , seit sie die ersten rothen Schuhe trug , schon auf dem Arm der Wärterin war sie oft angehalten und beschenkt worden . Lustig wuchs es auf , ein dralles Mädchen mit zwei großen blauen Augen und rothen Bäckchen , mit dunklem Kraushaar und einem schlauen Gesicht . Wenn die kleine Hummel die Straße entlang spazierte , ihre Händchen in den Taschen der Schürze , war sie die Freude der ganzen Nachbarschaft . Keck und kurzab wußte sie sich in alle zu schicken und blieb mit dem kleinen Mäulchen Niemandem etwas schuldig . Sie gab dem Holzhacker vor der Thür ihre Buttersemmel und trank mit ihm aus seiner Schale den dünnen Kaffe , sie begleitete den Postboten die ganze Straße entlang , und ihr größtes Vergnügen war , mit ihm die Treppen hinaufzulaufen , zu klingeln und seine Briefe zu übergeben ; ja sie hatte sich einst am späten Abend aus der Stube geschlichen , saß neben dem Nachtwächter auf einem Ecksteine und hielt sein großes Horn in ungeduldiger Erwartung des Stundenschlages , zu welchem das Horn ertönen würde . Frau Hummel schwebte in einer unaufhörlichen Angst , daß ihre Tochter einmal gestohlen werden müsse , denn mehr als einmal war sie auf viele Stunden verschwunden , dann war sie mit fremden Kindern in ihre Wohnung gegangen und hatte mit ihnen gespielt ; sie war die Vertraute vieler kleiner Straßenjungen , wußte sich bei ihnen in Respect zu setzen , gab ihnen Pfennige und empfing als Zeichen der Achtung Brummteufel und kleine Schornsteinfeger , die aus gebackenen Pflaumen und Holzstäbchen zusammengesetzt waren . Sie war ein gutherziges Kind , das lieber lachte als weinte , und ihr lustiges Gesicht machte das Haus des Herrn Hummel wohnlicher als die Efeulaube der Hausfrau und das mächtige Brustbild des Herrn Hummel selbst , welches recht eigensinnig auf Laura's Puppenstube heruntersah . » Das Kind wird unerträglich , « rief Frau Hummel zornig und trat , die betrübte Laura an der Hand , in das Wohnzimmer . » Sie quirlt den ganzen Tag auf der Straße umher . Jetzt , als ich vom Markte kam , saß sie neben der Brücke auf dem Stuhl der Obstfrau und verkaufte ihr die Zwiebeln . Jedermann blieb stehen und ich mußte mein Kind aus dem Gedränge herausholen . « » Das Wurm wird gut , « versetzte Herr Hummel lachend , » warum willst du ihr die Jugend nicht gönnen ? « » Sie muß aus dem ordinären Verkehr heraus . Es fehlt ihr aller Sinn für das Feinere , sie kennt noch kaum die Buchstaben und sie hat einen Abscheu vor dem Lesen . Auch ist Zeit , daß mit den französischen Vocabeln ein Anfang gemacht wird . Die Betty der Regierungsräthin ist nicht älter und sie weiß ihre Mutter schon so zierlich chère mère zu nennen . « » Die Mutter Schere und Möhre und den Vater Kohlrabi , « versetzte Herr Hummel . » Die Franzosen sind ein artiges Volk . Wenn du so besorgt bist , deine Tochter für den Markt abzurichten , dann ist das Türkische immer noch besser als das Französische . Der Türke bezahlt dir Geld , wenn du ihm das Kind verhandelst , die Andern wollen alle noch etwas dazu haben . « » Sprich nicht so ruchlos , Heinrich ! « rief die Gattin . » Und du bleib mir mit deinen verdammten Vocabeln vom Leibe , sonst verspreche ich dir , ich lehre das Kind alle französischen Redensarten , die ich kenne , es sind ihrer nicht viele , aber sie sind kräftig . Baisez moi , Madame Uemmel . « Damit ging er trotzig aus dem Zimmer . Das Ergebniß dieser Berathung war aber doch , daß Laura in die Schule ging . Es wurde ihr sehr schwer , zu schweigen und zu hören , und längere Zeit waren die Fortschritte wenig befriedigend . Endlich kam auch in die kleine Seele der Ehrgeiz , sie klomm die untern Staffeln der Bildung bei Fräulein Johanne heran , dann wurde sie in das berühmte Institut von Fräulein Jeannette befördert , wo die Töchter anspruchsvoller Familien das höhere Wissen erhielten . Dort lernte sie die Nebenflüsse des Amazonenstromes , viel eghyptische Geschichte , tippte auf den Deckel eines Elektrophors , sprach Französisch über das Wetter , las Englisch in einer kunstvollen Weise , welche sogar dem gebornen Briten die Anerkennung abnöthigte , daß in dem Institut eine neue Sprache erfunden werde , und wurde endlich in allen Feinheiten eines deutschen Aufsatzes gebildet . Sie schrieb kleine Abhandlungen über den Unterschied zwischen Wachen und Schlafen , über die Gefühle der berühmten Cornelia , Mutter der Gracchen , über die Schrecken eines Schiffsbruchs und die wüste Insel , auf welche sie sich gerettet hatte . Zuletzt erwarb sie Kenntnisse in der Abfassung von Strophen und Sonetten . Bald stellte sich heraus , daß Laura's Hauptstärke nicht in der französischen , sondern in der deutschen Sprache lag , ihr Stil wurde die Freude der Anstalt , ja sie begann ihre Lehrerinnen und die liebsten Mädchen in Gedichten anzusingen , welche den schwierigen Versbau des großen Schiller vom Kranze aus goldenen Aehren bis zur Form aus Lehm gebrannt sehr glücklich nachahmten . Jetzt war sie mit achtzehn Jahren ein hübsches rosiges Fräulein , immer noch rund und lustig , immer noch die Gebieterin des Hauses , und bei allen Leuten auf der Straße beliebt . Die Mutter , stolz auf die Bildung der Tochter , hatte ihr nach der Confirmation ein Oberstübchen geräumt , das auf die Bäume des Parkes hinaussah , und Laura richtete sich ihr kleines Heimwesen zu einem Feenschloß ein , mit Efeu , mit einem kleinen Blumentisch , mit einem allerliebsten Schreibzeug aus Porzellan , auf welchem Schäfer und Schäferin nebeneinander saßen . Dort oben verlebte sie ihre schönsten Stunden bei Feder und Löschblatt , denn sie schrieb vor jedermann verborgen ihre Memoiren . Aber auch sie theilte die Abneigung ihrer Familie gegen das Nachbarhaus . Schon als kleines Ding war sie bei dieser Hausthür schmollend vorübergegangen , noch nie hatte ihr Fuß den Hausflur betreten , und wenn die gute Frau Hahn einmal einen Handschlag von ihr forderte , so dauerte es lange , bevor sie die kleine Hand aus der Schürze zog . Von den Bewohnern des Nachbarhauses war ihr aber der junge Fritz Hahn am peinlichsten . Sie traf selten mit ihm zusammen , und dann wollte das Unglück , daß sie immer in einer Verlegenheit war und Fritz Hahn ihren Gönner spielen konnte . Als sie noch gar nicht in die Schule ging , hatte der älteste Sohn der Frau Knips , schon ein erwachsener Schlingel , welcher hübsche Bilder und Geburtstagswünsche malte und an die Leute in der Nachbarschaft verkaufte , sie einmal zwingen wollen , das Geld , das sie in der Hand hielt , für einen Teufelskopf auszugeben , den er gemalt hatte und den Niemand auf der Straße haben wollte . Recht widerwärtig und boshaft behandelte er sie und sie geriet gegen ihre Gewohnheit in Angst , gab ihre Groschen hin und hielt weinend das greuliche Bild zwischen den Fingern . Da kam Fritz Hahn seines Weges , fragte nach dem Handel , und als sie ihm die Gewaltthat des Knips klagte , entbrannte er von einem so heftigen Zorn , daß sie wieder über den Fritz erschrak . Er fuhr auf den Burschen los , der sein Mitschüler war und schon eine Klasse höher saß , und begann auf der Stelle eine Prügelei , welcher der jüngere Knips , die Hände in der Tasche , lachend zusah . Und Fritz drängte den garstigen Buben an die Wand und zwang ihn , das kleine Geldstück herauszugeben und seinen Teufel wieder zu nehmen . Aber diese Begegnung half gar nicht dazu , ihr den Fritz lieb zu machen . Sie konnte nicht leiden , daß er schon als Primaner eine Brille trug und daß er immer so ernst vor sich hinsah . Wenn sie aus der Schule kam und er mit seiner Mappe in die Vorlesung ging , suchte sie ihm jedesmal aus dem Wege zu gehen . Noch später einmal stieß sie mit ihm zusammen – sie saß unter den ersten Mädchen im Institut , der älteste Knips war bereits Magister und der jüngere Lehrling im Geschäft ihres Vaters und Fritz Hahn sollte gerade Doctor werden – , da hatte sie sich auf dem Kahn zwischen die Bäume des Parkes gerudert , bis der Kahn an eine Wurzel stieß und ihr Ruder in das Wasser fiel . Und als sie sich darnach bückte , gingen Hut und Sonnenschirm denselben Weg , und Laura sah verlegen um Hilfe nach dem Ufer . Da kam wieder Fritz Hahn in tiefen Gedanken daher , er hörte den leisen Schrei , welchen Laura bei dem Unfall ausstieß , sprang sofort in das schlammige Wasser , fischte Hut und Sonnenschirm und zog den Kahn an das Ufer . Hier bot er Laura die Hand und half ihr auf festen Grund . Laura war ihm wohl Dank schuldig , auch hatte er sie mit Achtung behandelt und Fräulein genannt . Aber er sah doch sehr lächerlich aus , die hagere Gestalt verbeugte sich ungeschickt und die Gläser waren starr auf sie gerichtet . Und als sie darauf erfuhr , daß er von dem Sprung in den Sumpf einen schrecklichen Katarrh davongetragen hatte , da wurde sie heißzornig auf sich selbst und auf ihn , weil sie geschrieen hatte , wo gar keine Gefahr war , und weil er zu so unnöthigem Ritterdienst gestürmt war ; sie würde sich schon allein geholfen haben , und jetzt dächten die Hahns , sie sei ihnen wer weiß welchen Dank schuldig . Darüber hätte sie ruhig sein können , denn Fritz hatte sich still umgezogen und die Kleider in seiner Stube getrocknet . Freilich , daß die beiden feindlichen Kinder einander mieden , war natürlich , denn Fritz war eine ganz andere Natur . Auch er war das einzige Kind und auch er war von einem gutherzigen Vater und einer übersorglichen Mutter weich erzogen . Von klein auf ein stiller , in sich gekehrter Knabe , anspruchslos , fleißig in den Büchern , hatte er sich neben dem Haushalt der Eltern seine eigene Welt in der Wissenschaft ausgebaut , welche von der großen Heerstraße seitab lag . Während um ihn das Leben lustig summte , saß er über die Grundstriche und Haken des Sanskrit gebeugt und untersuchte die Familienverwandtschaft zwischen dem wilden Geisterheer , das über der Teutoburger Schlacht dahinfuhr , und zwischen den Göttern der Veda , welche über Palmenwälder und Bambusrohr in das heiße Gangesthal hinabschwebten . Auch er war Freude und Stolz seines Hauses , die Mutter ließ sich nicht nehmen , jeden Morgen selbst den Kaffe hinaufzutragen , dann setzte sie sich mit ihrem Schlüsselbund ihm gegenüber und sah schweigend zu , während er sein Frühstück verzehrte , schalt leise über sein Nachtarbeiten am letzten Abend und sagte ihm , daß sie nicht ruhig einschlafe , bis sie über sich den Stuhl rücken höre und die Stiefeln klappern , die er zum Reinigen vor die Thür stellte . Nach dem Frühstück bot Fritz dem Vater Gutenmorgen , und er wußte , daß dem Vater Freude war , wenn er einige Minuten mit ihm durch den Garten schritt , das Wachsthum der Lieblingsblumen betrachtete und vor allem , wenn er dem Vater zu einer Verschönerung seine Zustimmung geben konnte . Das war der einzige Punkt , wo Herr Hahn mit seinem Sohne zuweilen in Gegensatz gerieth . Und da er den Gründen des Sohnes nicht zu widerstehen vermochte und den eigenen starken Verschönerungstrieb auch nicht bändigen konnte , so schlug er gern den Weg ein , der selbst von größeren Politikern für nützlich erachtet wird , er bereitete seine Pläne heimlich vor und überraschte durch Thatsachen . Bei solchem Stillleben war dem jungen Gelehrten der Verkehr mit dem Professor das beste Vergnügen des Tages , seine Erhebung , sein Stolz . Er hatte noch als Student die ersten Vorlesungen gehört , welche Felix Werner an der Universität hielt . Allmählich war eine Freundschaft entstanden , wie sie vielleicht nur unter hochgebildeten und wackern Gelehrten möglich ist . Er wurde der hingebende Vertraute für die umfangreiche Thätigkeit seines Freundes . Jede Untersuchung des Professors und ihre Erfolge wurden bis auf Einzelheiten besprochen , jede Freude , die ein neuer Fund machte , theilten die Nachbarn . Täglich sahen sie einander , viele Abende vergingen ihnen in der schönen Art der Unterhaltung , welche den Deutschen eigentümlich ist , in einem Gespräch , das zwischen Erörterung und Geplauder schwebt , wo zwei Geister , welche beide die Wahrheit suchen , sich im Austausch ihrer Ansichten gegenseitig fördern . Dann rührte in Jedem , angeregt durch das feine Verständniß und die Einwürfe des Andern , eine schöpferische Kraft kräftig die Schwingen , und blitzschnell und ungeahnt öffneten sich dem Sprechenden und dem Hörer neue Gesichtspunkte , ein tieferes Verständniß . Mit dem besten Theil ihres Lebens wuchsen Beide zusammen . Freilich war Fritz als der jüngere auch der , welcher sich am meisten der feurigen Natur des Freundes bequemte , er war mehr Empfänger als Gebender . Aber gerade deshalb wurde das Verhältniß so fest und innig . Nicht ohne kleine Störungen , wie das bei Gelehrten natürlich ist , denn beide waren von schnellem Urtheil , beide hochgespannt in den Forderungen , die sie an sich selbst und an die Menschen machten , beide von seiner , leicht erregter Empfindung . Aber solche Gegensätze wurden bald überwunden , sie trugen nur dazu bei , die liebevolle Rücksicht , mit welcher die Freunde einander behandelten , zu vergrößern . Durch diese Freundschaft wurde das schwierige Verhältniß der beiden Häuser ein wenig gemildert . Auch Herr Hummel konnte nicht umhin , dem Doctor eine kleine Rücksicht zu gönnen , da sein hochverehrter Miether den Sohn der Feinde auffallend auszeichnete . Denn auf seinen Miether ließ Herr Hummel nichts kommen . Durch dunkles Gerücht war ihm verkündet , daß der Professor in seiner Art ein berühmter Mann sei , und er war geneigt , irdischen Ruhm besonders hochzuachten , wenn dieser bei ihm zur Miethe wohnte . Auch war der Professor ein vortrefflicher Miether , er protestirte nie gegen eine Maßregel , welche Herr Hummel als oberste Polizeibehörde des Hauses verfügte ; er hatte Herrn Hummel einst wegen Anlage eines Capitals um Rath gefragt , er hielt nicht Hund nicht Katze , gab keine Tanzgesellschaften , sang nicht zum Fenster hinaus und spielte auf keinem Flügel Bravourstücke . Und was die Hauptsache war , er bewies gegen Frau Hummel und Laura , wenn er ihnen einmal begegnete , eine ritterliche Artigkeit , welche dem gelehrten Herrn sehr wohl stand . Frau Hummel war von ihrem Miether begeistert , und Hummel hatte gut befunden , die letzte nothwendige Erhöhung der Miethe nicht vorher im Familienkreise zu besprechen , weil er einen Widerspruch seiner gesammten weiblichen Bevölkerung voraussah . Jetzt hatte der Kobold , welcher zwischen beiden Häusern hin und her lief , Steine in den Weg werfend und den Menschen Eselsohren bohrend , auch die beiden freien Seelen seines Reviers gegeneinander aufgeregt . Aber sein Versuch blieb kümmerlich : die wackern Männer waren nicht fügsam , nach seiner mißtönenden Pfeife zu tanzen . Früh am nächsten Morgen trug Gabriel einen Brief seines Herrn zum Doctor hinüber . Als er in den feindlichen Hausflur trat , kam ihm eilig Dorchen , das Dienstmädchen der Familie Hahn , entgegen , einen Brief ihres jungen Herrn an den Professor in der Hand . Die Boten tauschten die Briefe und zu gleicher Zeit lasen die Freunde ihre Zuschriften . Der Professor schrieb : » Mein lieber Freund , zürne mir nicht , daß ich wieder einmal heftig wurde , die Veranlassung war so abgeschmackt als möglich . Was mich verstimmte , war , ehrlich gesagt , daß du so unbedingt verweigertest , einen Lateiner mit mir herauszugeben . Denn die Möglichkeit , Verlorenes zu finden , welche wir im gefälligen Traume durch einige Augenblicke annahmen , war mir doch auch darum so lockend , weil sie uns beiden eine gemeinsame Thätigkeit in Aussicht stellte . Wenn ich versuche , dich in den engern Kreis meiner Wissenschaft zu ziehen , so wirst du voraussetzen , daß ich dabei nicht nur durch persönliche Empfindungen , sondern weit mehr durch den naheliegenden Wunsch bestimmt werde , für die Wissenschaft , auf welche ich mich beschränken muß , deine Kraft zu gewinnen . « Fritz dagegen schrieb : » Lieber theurer Freund , ich trage das peinliche Gefühl mit mir herum , daß meine Empfindlichkeit von gestern uns beiden einen schönen Abend verdorben hat . Meine nur nicht , daß ich dir das Recht bestreiten will , mir die Weitschweifigkeit und Systemlosigkeit meiner Arbeiten vorzuhalten . Gerade weil deine Aeußerungen eine Saite berührten , deren stillen Mißklang ich selbst zuweilen empfinde , verlor ich für einen Augenblick die Unbefangenheit . Du hast sicher in Vielem Recht , nur das Eine bitte ich dich zu glauben , daß meine Weigerung , mit dir eine große Arbeit zu übernehmen , weder selbstsüchtig noch unfreundschaftlich war . Ich bin mir bewußt , daß ich ein , wenn auch für meine Kraft zu umfangreiches , Gebiet nicht verlassen , am wenigsten aber mit einem neuen Kreis von Interessen vertauschen darf , in welchem mein mangelhaftes Können dir nur zur Last sein würde . « Beide waren nach Empfang dieser Briefe doch etwas beruhigt . Da aber einzelne Aeußerungen derselben jedem von ihnen eine weitere Auseinandersetzung nothwendig machten , so setzten sich beide hin und schrieben einander wieder kurz und gedrungen , wie gedankenvollen Männern ziemt . Der Professor antwortete : » Für deinen Brief , mein theurer Fritz , danke ich dir von Herzen . Nur das Eine muß ich wiederholen , du hast von je deinen eigenen Werth zu niedrig angeschlagen , und wenn ich dir einen Vorwurf machen darf , so ist es nur dieser . « Fritz endlich antwortete : » Wie tief und gerührt empfinde ich in diesem Augenblick deine Freundschaft für mich . Nur das will ich dir noch sagen , unter Vielem , was ich von dir zu lernen habe , ist mir nichts nöthiger als deine bescheidene › Beschränkung ‹ . Und wenn du mit diesem Worte deine umfassende und resultatvolle Thätigkeit bezeichnest , so zürne nicht , daß auch ich für meine Arbeit darnach ringe . « Der Professor ging nach Absendung seines Briefes unruhig in die Vorlesung und hatte das Bewußtsein , daß er zerstreut vortrage , Fritz eilte auf die Bibliothek und suchte emsig alle Notizen zusammen , welche über Schloß Bielstein aufzutreiben waren . Am Mittag nach der Heimkehr las jeder den zweiten Brief des Freundes , dann sah der Professor oft nach der Uhr , und als es drei schlug , setzte er schnell seinen Hut auf und ging mit großen Schritten über die Straße in das feindliche Haus . Während er den Thürgriff an der Stube des Doctors faßte , fühlte er von innen einen Gegendruck , kräftig riß er die Thür auf , Fritz stand vor ihm , ebenfalls den Hut auf dem Kopf , im Begriff , zu ihm hinüberzugehen . Ohne ein Wort zu sagen , umarmten einander die beiden Freunde . » Ich bringe gute Nachricht vom Antiquar , « begann der Professor . » Und ich vom alten Schlosse , « rief Fritz . » Höre zu , « sagte der Professor , » der Antiquar hat das Buch des Fraters von einem Kleinhändler gekauft , der im Lande umherzieht , Geräth und alte Bücher zu sammeln . Der Mann wurde in meiner Gegenwart herbeigeholt , er hat das Büchlein in der Stadt Rossau selbst aus dem Nachlaß eines Tuchmachers erstanden , mit einem alten Schrank und einigen geschnitzten Schemeln . Es ist also wenigstens möglich , daß die handschriftlichen Bemerkungen am Ende , die sich ohnedies ungeübtem Blick entziehen , seit dem Tode des Fraters niemals Aufmerksamkeit erregt und niemals Nachforschungen veranlaßt haben . – Vielleicht gewährt noch ein Kirchenbuch in Rossau Nachricht über Leben und Tod des Mönches Tobias Bachhuber . « » Wohl , « bestätigte Fritz vergnügt , » es besteht dort eine Gemeinde seiner Confession . Schloß Bielstein aber liegt eine halbe Stunde von der Stadt Rossau auf einer waldigen Anhöhe – sieh hier die Karte . Es war früher Eigenthum des Landesherrn , im vorigen Jahrhundert ist es in Privatbesitz übergegangen . Das Gebäude aber dauert noch , es wird in dieser Landeskunde als altes Schloß aufgeführt , welches gegenwärtig Wohnhaus eines Herrn Bauer ist . – Auch mein Vater weiß von dem Hause , er hat es auf einer Geschäftsreise von der Landstraße gesehen und schildert es als ein langgestrecktes Gebäude mit Erkern und hohem Dach . « Die Fäden verflechten sich zu einem guten Gewebe , « sagte der Professor , sich behaglich zurechtsetzend . » Halt , noch eins , « rief der Doctor geschäftig . » Die Sagen dieser Landschaft sind von einem unserer Freunde gesammelt . Der Wackere ist zuverlässig . Laß sehen , ob er eine Erinnerung aus der Umgebung von Rossau ausgezeichnet hat . « Er schlug eilig nach , sah in das Buch und blickte den Freund sprachlos an . Der Professor ergriff den Band und las die kurze Notiz : » In der Umgegend von Bielstein erzählt man , daß vor alten Zeiten die Mönche einen großen Schatz im Schlosse vermauert haben . « Wieder stieg die alte unheimliche Handschrift vor den Freunden aus dem Boden , deutlich sichtbar , mit den Händen zu greifen . » Unmöglich ist ja nicht , daß die Handschrift dort noch versteckt liegt , « bemerkte endlich der Professor mit künstlicher Ruhe . » An Beispielen für dergleichen Funde fehlt es nicht . Es ist noch nicht lange her , da wurde in dem alten Hause eines Gutsbesitzers meiner Heimat eine Zimmerdecke durchgeschlagen , es war eine Doppeldecke , der leere Raum dazwischen enthielt eine Anzahl Urkunden und Papiere über Eigenthumsrechte , daneben einigen alten Schmuck . Der Schatz war auch zur Zeit des großen Krieges versteckt worden , und durch Jahrhunderte hatte Niemand auf die niedrige Decke der kleinen Stube geachtet . « » Natürlich , « rief Fritz , sich die Hände reibend , » auch in den Bekleidungen der alten Rauchfänge sind zuweilen leere Räume ; ein Bruder meiner Mutter fand beim Umbau seines Hauses an solcher Stelle einen Topf mit Münzen . « Er zog seinen Beutel . » Hier ist eine davon , ein schöner Schwedenthaler . Der Oheim gab mir ihn bei der Einsegnung als Heckgroschen und ich trage ihn seit der Zeit in der Börse . Ich habe manchmal harte Versuchung ihn auszugeben bekämpft . « Der Professor untersuchte genau den Kopf Gustav Adolphs , als ob dieser ein Nachbar des versteckten Tacitus gewesen wäre und in seiner Umschrift eine Kunde von dem verlorenen Buch brächte . » Es ist richtig , « sagte er nachdenkend , » wenn das Haus auf einer Anhöhe liegt , könnten selbst die Kellerräume trocken sein . « » Allerdings , « erwiederte der Doctor . » Häufig wurden auch die dicken Wände doppelt gemauert und der Zwischenraum mit Schutt ausgefüllt . Es ist in solchem Fall leicht , durch kleine Oeffnung einen hohlen Raum im Innern der Mauer hervorzubringen . « » Für uns aber , « begann der Professor sich aufrichtend , » erwächst jetzt die Frage : Was haben wir zu thun ? Denn eine solche Kunde , wie groß oder gering ihre Bedeutung auch werden möge , legt dem Finder doch die Pflicht auf , alles Mögliche zu thun , was die Entdeckung fördern kann . Und diese Pflicht haben wir ungesäumt und vollständig zu erfüllen . « » Wenn du öffentliche Mittheilung von dieser Ueberlieferung machst , so gibst du die Aussicht , die Handschrift selbst zu entdecken , und Alles , was sich daran knüpfen mag , aus den Händen . « » In dieser Sache muß jede persönliche Rücksicht schwinden , « entschied der Professor . » Und wenn du jetzt die gefundenen Klosternotizen bekanntmachst , « fuhr der Doctor fort , » wer steht dir dafür , daß nicht die behende Thätigkeit eines Antiquars oder eines Ausländers allen weiteren Nachforschungen zuvorkommt ? In solchem Falle mag der Schatz , selbst wenn er gefunden wird , nicht allein für dich , auch für unser Land , ja für die Wissenschaft verloren gehn . « » Das letzte wenigstens darf nicht geschehn , « rief der Professor . – » Und auch , wenn du dich an die Staatsregierung jener Landschaft wendest , ist sehr zweifelhaft , ob dir Verständniß und guter Wille entgegenkommt , « erörterte der Doctor siegreich . Es fällt mir nicht ein , die Angelegenheit fremden Beamten zu überlassen , « erwiederte der Professor . » Wir haben aber ganz in der Nähe Jemand , dessen Glück und Scharfsinn im Aufspüren von Seltenheiten wunderbar sind . Ich habe Lust , dem Magister Knips von der Handschrift zu sagen : er mag seine Correcturen auf einige Tage bei Seite legen , für uns nach Rossau reisen und dort das Terrain untersuchen . « Der Doctor fuhr in die Höhe : » Das darf niemals geschehen . Knips ist nicht der Mann , dem man ein solches Geheimniß anvertrauen darf . « » Ich habe ihn doch stets zuverlässig gefunden , « entgegnete der Professor . » Er ist bei vieler Wunderlichkeit geschickt und wohlunterrichtet . « » Mir wäre eine Entweihung deines schönen Fundes , den trödelhaften Mann dafür zu verwenden , « versetzte Fritz , » und ich werde es nie billigen . « » Dann also , « rief der Professor , » bin ich entschlossen . Die Ferien sind vor der Thür , ich gehe selbst in das alte Haus . Du aber , mein Freund , auch du wolltest dir einige Reisetage gönnen , du mußt mich begleiten : wir reisen zusammen , schlag ein . « » Von Herzen , « rief der Doctor , die Hand des Freundes fassend . » Wir dringen in das Schloß und citiren die Geister , welche über dem Schatze schweben . « » Wir sprechen zuerst ein verständiges Wort mit dem Eigenthümer des Hauses . Was dann zu thun ist , wird sich finden . Unterdeß bewahren wir die Angelegenheit als Geheimniß . « » So ist es recht , « stimmte Fritz bei ; die Freunde stiegen vergnügt in den Garten des Herrn Hahn hinab und beriethen , um die weiße Muse gelagert , die Eröffnung des Feldzuges . Fest eingedämmt durch methodisches Denken war die Phantasie des Gelehrten , aber in der Tiefe seiner Seele strömte doch reichlich und stark dieser geheimnißvolle Quell aller Schönheit und Thatkraft . Jetzt war in den Damm ein Loch gerissen , lustig ergoß sich die Flut über seine Saaten . Immer wieder flog ihm der Wunsch zu der räthselhaften Handschrift . Er sah die Maueröffnung vor sich und den ersten Schein der Leuchte , der auf die grauen Bücher in der Höhlung fiel ; er sah den Schatz in seinen Händen , wie er ihn heraustrug und nicht mehr von sich ließ , bis er die unleserlichen Seiten entziffert hatte . – Seliger Geist des Frater Tobias Bachhuber ! wenn du etwa deine Ferienzeit im Himmel dazu verwendest , auf unsere arme Erde zurückzukehren , und wenn du dann bei Nacht durch die Räume des alten Schlosses gleitest , deinen Schatz hütend und unberufene Neugierige schreckend , o so winke freundlich dem Manne zu , der jetzt naht , dein Geheimniß ins Sonnenlicht zu tragen , denn er sucht wahrhaftig nicht für sich Gewinn und Ehren , sondern er beschwört dich als ein Redlicher im Dienst guter Gewalten . 3. Die Reise ins Blaue . Wer aus höhern Regionen auf die Gegend von Rossau herniederblickte , der konnte an einem sonnigen Erntemorgen des August zwischen den Weiden der Landstraße eine Bewegung wahrnehmen , welche den Thoren der Stadt zustrebte . Für nähere Betrachtung wurden zwei wandelnde Männer erkennbar , ein größerer und ein kleinerer , beide in hellen Sommerkleidern , welchen durch die Gewitterregen des letzten Tages aller Glanz abgespült war , beide mit ledernen Reisetaschen , welche am Riemen von der Schulter hingen ; der größere trug einen breitkrempigen Filzhut , der kleinere einen Strohhut . Die Wanderer waren Fremdlinge , denn sie hielten zuweilen an und beobachteten Thal und Hügel mit Genuß , was den Eingeborenen des Landes selten einfiel . Die Gegend war von Vergnügungsreisenden noch nicht entdeckt , in den Wäldern waren nirgend glatte Pfade für die Zeugstiefeln der Städter gebahnt , selbst der Fahrweg war keine Kunststraße , in den ausgefahrenen Wasserlöchern stand das Regenwasser , die Glöckchen der Schafherde und die Axt des Holzfällers wurden nur von den Bewohnern der Umgegend gehört , welche auf dem Felde arbeiteten oder zwischen zwei Orten ihrem Geschäft nachgingen . Und doch war die Landschaft nicht ohne Anmuth , die Umrisse der waldigen Hügel schwangen sich in kräftigen Linien , hier und da ragte Gestein zu Tage , ein Steinbruch zwischen Ackerflächen , ein Felshaupt zwischen den Bäumen des Waldes . Von den Bergen am Horizont zog ein kleiner Bach in gewundenem Lauf dem fernen Flusse zu , umsäumt von Wiesenstreifen , hinter denen sich die Ackerbeete bis zu den belaubten Höhen hinaufzogen . Fröhlich lag die einsame Landschaft im Morgenlicht , seitab von der großen Völkerstraße . In der Niederung vor den Reisenden erhob sich rings von Hügeln umgeben der Ort Rossau , ein Landstädtchen mit zwei plumpen Kirchtürmen und dunklen Ziegeldächern , welche über die Stadtmauer ragten wie Rücken einer Rinderherde , die sich gegen ein Rudel Wölfe zusammengedrängt hat . Die Fremden schauten von der Höhe mit warmer Theilnahme auf Schornsteine und Thürme hinter der alten Mauer , welche mißfarbig , geborsten und geflickt vor ihnen lag . Dort war einst ein Schatz bewahrt worden , der wiedergefunden die ganze civilisirte Welt beschäftigen und Hunderte zu begeisterter Arbeit aufregen würde . Die Landschaft sah durchweg aus wie andere deutsche Landschaften , der Ort durchweg wie andere arme Städtchen . Und doch war irgendein kleiner Zug in der Gegend , der den Reisenden eine fröhliche Hoffnung nährte . War es der lustige Zwiebelaufsatz , welcher die dicken alten Thürme krönte ? oder war es das Thorgewölbe , welches gerade vor den Reisenden den Eingang zur Stadt in lockendes Dunkel hüllte ? oder die Stille des leeren Thalgrundes , in welchem der Ort ohne Vorstadt und Außenhäuser lag , wie auf alten Karten die Städte abgebildet werden ? oder die Viehherde , welche aus dem Thore ins Freie zog und aus dem Anger leichtfertige Sprünge machte ? oder war es vielleicht die kräftige Morgenluft , welche den Wanderern um die Schläfe wehte ? Beide empfanden , daß etwas Merkwürdiges und Vielverheißendes in dem Thale schwebte , welches sie als Suchende betraten . » Denke die Landschaft , wie sie sich einst dem Auge bot , « begann der Professor , » der Laubwald schloß sich in alter Zeit enger um den Ort , er formte die Hügel höher , das Thal tiefer , wie in einem Kessel lag damals das Kloster mit den Hütten seiner abhängigen Landleute . Hier im Süden , wo das Gelände sich steil hinabsenkt , haben die Mönche sicher einst ihren Klosterwein gebaut . Um das Kloster schlossen sich allmählich die Häuser der Stadt . Nimm den Thürmen die Mütze , welche ihnen vor hundert Jahren aufgesetzt wurde , und gib ihnen die alten Spitzen zurück , an die Mauern setze hier und da einen Thurm , und du hast einen hübschen Steinkasten , der ein geheimnißvolles Stück Mittelalter einschloß . « » Und auf demselben Weg , der uns hierher geführt , zog einst ein gelehrter Mönch mit seinen Handschriften in das stille Thal , um hier die Brüder zu lehren oder sich vor mächtigen Feinden zu verbergen , « sagte hoffnungsvoll der Doctor . Die Reisenden schritten am Anger vorüber , der Hirt sah gleichgültig nach den Fremden , aber die Kühe stellten sich an dem Grabenrand auf und starrten auf die Wanderer und das halbwüchsige Volk der Herde brummte ihnen fragend zu . Sie traten durch die dunkle Thorwölbung und sahen neugierig die Gassen entlang , welche hier zusammenliefen . Es war eine kleine ärmliche Stadt , nur die Hauptstraße war mit schlechten Feldsteinen gepflastert . Unweit des Thores ragte hoch der schräge Balken eines Ziehbrunnens , daran hing eine lange Stange mit dem Eimer . Von Menschen war wenig zu sehen , wer nicht in den Häusern arbeitete , war auf dem Feld beschäftigt . Denn die Halme , welche in den Steinritzen der Thorwölbung hingen , verriethen , daß Erntewagen die Feldfrucht zu den Höfen der Bürger fuhren ; neben vielen Häusern waren hölzerne Thore geöffnet , dann sah man in die Hofräume , in die Scheuern und über Düngerstätten , aus denen kleines Federvieh pickte . Die letzten Jahrhunderte hatten so wenig als möglich an dem Orte geändert , noch standen die niedrigen Häuser mit dem Giebel gegen die Straße , zuweilen streckte sich eine hölzerne Dachrinne über den Weg , statt der Schilder reichten noch die Zeichen der Handwerker , aus Blech und Holz geschnitten , farbig bemalt , in die Straße hinein , ein großer hölzerner Stiefel , ein Greif , welcher eine ungeheure Schere in der Hand hielt , ein schreitender Löwe , der eine Brezel anbot , und als schönstes Stück ein regelmäßiges Sechseck , aus bunten Glasrauten zusammengesetzt . » Hier hat sich Vieles erhalten , « sagte der Professor . Die Freunde kamen auf den Marktplatz , einen unregelmäßigen Raum , dessen kleine Häuser sich durch bunten Anstrich herausgeputzt hatten . Dort starrte von einem unansehnlichen Gebäude ein rothbemalter Drache mit geringeltem Schwanz , aus einem Bret geschnitten , von einer Eisenstange gehalten , in die Luft . Darauf stand mit übelgeschwungenen Buchstaben : Gasthof zum Lindwurm . » Sieh , « sagte Fritz , auf den Lindwurm weisend , » die Phantasie des Künstlers hat ihm einen Hechtkopf mit dicken Zähnen ausgeschnitten . Der Wurm ist der älteste Schätzehüter unserer Sage . Es ist merkwürdig , wie fest die Erinnerung an dies Sagenthier überall im Volke haftet , wahrscheinlich stammt auch dieses Schild aus einer Ueberlieferung des Ortes . « So stiegen sie auf ausgetretener Steintreppe in das Haus , ohne zu ahnen , daß sie schon längst von scharfen Augen beobachtet wurden . » Wer mögen die sein ? « frug den dicken Wirth ein Bürger , der seinen Morgentrunk einnahm , » wie Geschäftsreisende sehen sie nicht aus , vielleicht ist einer der neue Pastor vom Kirchdorfe . « » So sieht kein Pastor aus , « entschied der Wirth , welcher Menschen besser kannte . » Es sind Fremde , zu Fuß , kein Wagen und keine Sachen . « Die Fremden traten ein , setzten sich an einen rothgestrichenen Tisch und bestellten das Frühstück . » Eine hübsche Gegend , Herr Wirth , « begann der Professor , » kräftige Bäume im Walde . « » Bäume genug , « versetzte der Wirth . » Die Umgegend scheint wohlhabend , « fuhr der Professor fort . » Die Leute klagen , daß sie nicht genug verdienen , « antwortete der Wirth . » Wieviele Geistliche haben Sie am Orte ? « » Zwei , « sagte der Wirth höflicher . » Der alte Pastor ist aber gestorben . Es ist unterdeß ein Candidat hier . « » Ob der andere Pfarrer zu Haus ist ? « » Ist mir unbekannt , « sagte der Wirth . » Sie haben doch ein Gericht hier ? « » Einen Ortsrichter , er ist jetzt auf dem Amt , es ist heut Gerichtstag . « » Hat nicht vor Zeiten ein Kloster in der Stadt gestanden ? « nahm der Doctor das Verhör auf . Der Bürger und der Wirth sahen einander an . » Das ist lange her , « versetzte der Herr der Schenke . » Hier in der Nähe liegt das Schloß Bielstein ? « frug Fritz weiter . Wieder sahen der Bürger und der Wirth einander bedeutungsvoll an . » Es liegt so etwas hier in der Nähe , « erwiederte der Wirth zurückhaltend . » Wie lange geht man bis zum Schloß ? « frug der Professor , geärgert durch die kurzen Antworten des Mannes . » Wollen Sie dorthin ? « entgegnete der Wirth , » kennen Sie den Gutsbesitzer ? « Nein , « antwortete der Professor . » Haben Sie denn etwas bei ihm zu thun ? « » Das ist unsere Sache , Herr Wirth , « versetzte der Professor kurz . » Der Weg geht eine halbe Stunde durch den Wald , er ist nicht zu fehlen , « schloß der Wirth die ungemüthliche Unterhaltung und verließ die Stube . Der Bürger folgte ihm . » Viel haben wir nicht erfahren , « sagte der Doctor lächelnd , » ich hoffe , der Pfarrer und Richter sind redseliger . « » Wir gehen geradezu nach dem Gute , « entschied der Professor . Draußen steckten der Wirth und der Bürger die Köpfe zusammen . » Wer die Fremden sein mögen ? « wiederholte der Bürger , » geistlich sind sie nicht , und an dem Richter war ihnen auch nicht viel gelegen . Hast du gemerkt , wie sie nach dem Kloster und dem Schlosse frugen ? « Der Wirth nickte . » Ich will dir meinen Verdacht sagen , « fuhr der Bürger eifrig fort : » sie kommen nicht umsonst her , sie suchen etwas . « » Was sollen sie suchen ? « frug der Wirth nachdenkend . » Es sind verkleidete Jesuiten , sie sehen mir sehr apropos aus . « » Nun , wenn sie mit den Leuten auf dem Gute anbinden wollen , die sind Manns genug , mit ihnen fertig zu werden . « » Ich habe mit dem Inspector zu thun , ich will ihm doch einen Wink geben . « » Menge dich nur nicht in Geschichten , die dich nichts angehen , « warnte der Wirth . Der Bürger aber drückte die Stiefeln fester , die er unter dem Arm trug , und fuhr um die Ecke . Schweigend schritten die Freunde aus der gemeinen Nüchternheit des Lindwurms auf die Straße . Sie erfrugen von einem Mütterchen am entgegengesetzten Stadtthor den Weg nach dem Schlosse . Hinter der Stadt erhob sich der Pfad vom Kiesbett des Baches zu einer waldigen Höhe . Sie traten an einen Schlag Buschholz , aus dem einzelne hohe Eichen emporragten . Der Regen des letzten Abends lag noch in Tropfen auf den Blättern , das dunkle Grün des Sommers glänzte im Sonnenstrahl einzelne Vögelstimmen , das Hämmern des Spechts unterbrachen die Stille . » Das gibt eine andere Stimmung , « rief der Doctor erfreut . » Es gehört wenig dazu , ein gut besaitetes Menschenherz in neuer Melodie klingen zu machen , wenn nicht gerade das Schicksal mit rauher Hand darauf spielt . Etwas Baumrinde mit grauem Flechtenbart , eine Handvoll Blüthen im Grunde und wenige Noten aus der Kehle eines Vogels , « versetzte der Professor weise . » Horch , das ist kein Gruß , den die Natur dem Wanderer gönnt , « unterbrach er sich lauschend . Von fern klangen menschliche Stimmen , ein leiser Choral tönte wie aus den Baumgipfeln in ihr Ohr . » Höher hinauf , « rief der Doctor , » zu der geheimnißvollen Stätte , wo alte Kirchenlieder aus den Eichen rauschen . « Sie stiegen noch einige hundert Schritt in die Höhe und standen auf einer Terrasse des Waldhügels , die an der Seite von Bäumen umschlossen , in der Mitte gelichtet war . In der Lichtung stand eine kleine hölzerne Kirche , von einem Friedhof umgeben , dahinter erhob sich auf einem massigen Felsblock ein langes altes Gebäude , das Dach durch viele spitze Giebel gebrochen . » Das fügt sich gut zusammen , « rief der Professor und sah neugierig über die Waldkirche nach dem Schlosse hinauf . Aus der Kirche scholl ein Trauergesang stärker in das Ohr . » Laß uns hineingehen , « sagte der Doctor , auf die geöffnete Pforte des Friedhofs weisend . » Mir ist gottseliger hier draußen zu Muthe , « erwiederte der Professor , » und mir widersteht's , unberufen in Freude und Leid Fremder einzudringen . Das Lied ist zu Ende , jetzt kommt des Pfarrers Sprüchlein . « Fritz aber war auf die Steine der niedrigen Mauer geklettert und betrachtete die Kirche . » Sieh die massiven Strebepfeiler . Es ist der Rest eines alten Baues , sie haben ihn durch Tannenholz ergänzt , Thurm und Holzdach blau vor Alter , es lohnt das Innere zu sehen . « Der Professor hielt die lange Ranke eines Brombeerstrauches , welche über die Mauer herabhing , in der Hand und sah bewundernd auf weiße Blüthen , grüne und gebräunte Beeren , welche in dicken Büscheln beieinander standen . Undeutlich drangen die Laute einer Männerstimme an sein Ohr , und unwillkürlich neigte er das Haupt , den Sinn aufzufassen . » Laß uns doch hören , « sagte er endlich und betrat mit dem Freunde den Friedhof . Sie zogen die Hüte und öffneten leise die Kirchthür . Es war ein sehr kleiner Raum , der Ziegelbau des alten Chores von innen weiß getüncht , das übrige von gebräuntem Holz , die Kanzel , eine Galerie , wenige Bänke . Vor dem Altar stand ein offener Kindersarg , die Gestalt darin ganz mit Blumen bedeckt , wenige Landleute in schmuckloser Tracht daneben , auf den Stufen des Altars ein alter Geistlicher mit weißem Haar und treuherzigem Gesicht , am Haupt des Sarges aber die schluchzende Frau eines Arbeiters , die Mutter des Kleinen . Und neben ihr eine kräftige Frauengestalt in städtischer Tracht , sie hatte den Hut abgenommen , hielt die Hände gefaltet und sah auf das Kind unter den Blumen hernieder . So stand sie regungslos , die Sonne fiel schräge auf das gelockte Haar und die regelmäßigen Züge des jungen Gesichts . Fesselnder aber als der hohe Wuchs und das schöne Haupt war der Ausdruck tiefer Andacht , welche über sie ausgegossen war . Unwillkürlich faßte der Professor den Arm des Freundes , ihn zurückzuhalten . Der Geistliche sprach sein Schlußgebet , die stattliche Frau neigte das Haupt tiefer , dann beugte sie sich noch einmal zu dem Kleinen herab und legte einen Arm um die Mutter , welche sich weinend an die Trösterin lehnte . So stand die Fremde und sprach leise über dem Haupte der Mutter , während ihr selbst die Thränen aus den Augen herabrollten . Wie Geisterlaut klang das Murmeln der tiefen Frauenstimme in das Ohr der Freunde . Dann hoben die Männer den Sarg vom Boden und folgten dem Geistlichen , der auf den Friedhof führte . Hinter dem Sarge ging die Mutter , das Haupt an der Schulter ihrer Führerin . Die Frau schritt bei den Fremden vorüber , verklärt vor sich hinschauend , sie flüsterte ihrer Gefährtin Bibelworte zu . » Der Herr hat 's gegeben , der Herr hat 's genommen . – Lasset die Kindlein zu mir kommen , « vernahmen die Freunde . Die Mutter hing gebrochen am Arme der Fremden und , wie durch den leisen Ton fortgeführt , wankte sie zu dem Grabe . Ehrfürchtig schlossen sich die Freunde dem Zuge an . Der Sarg wurde in das Grab gelassen , der Geistliche sprach den Segen , jeder der Anwesenden warf drei Hände voll Erde auf das geschwundene Leben . Dann traten die Landleute auseinander und machten der Mutter und ihrer Begleiterin den Weg frei . Die Fremde reichte dem Geistlichen die Hand und geleitete die Mutter langsam über den Friedhof auf den Weg , der zum Schlosse führte . In einiger Entfernung folgten die Freunde , ohne einander anzusehen . Der Professor fuhr sich über die Augen : » Dergleichen macht immer weich , « sagte er traurig . » Wie sie am Altare stand , « rief der Doctor , » eine Seherin der Vorzeit , als trüge sie einen Eichenkranz auf dem Haupt . Sie zog das arme Weib sich nach durch ihr Murmeln . Es waren zwar unsere ehrlichen Bibelsprüche ; aber jetzt verstehe ich , was das Wort raunen in alter Zeit bedeutete , wo man auch den Worten eine zauberische Kraft zuschrieb . Sie beherrschte der Trauernden Seele und Leib , und ihre Stimme regte auch mir das Herz auf . Wer war dieses Weib , war es Mädchen oder Frau ? « » Es ist ein Mädchen , « erwiederte der Professor nachdrücklich . » Sie wohnt im Schloß und wir werden sie dort treffen . Laß sie voraus und uns am Fuß des Felsens warten . « Sie saßen lange auf einem vorspringenden Stein , der Professor wurde nicht müde , ein Büschel Moos zu betrachten , er bürstete es mit der Hand und legte es bald nach der einen , bald nach der andern Seite . Endlich stand er schnell auf . » Was auch kommen möge , jetzt gehen wir . « Sie stiegen einige hundert Schritt bis zur Höhe . Die Landschaft vor ihnen war plötzlich verwandelt . Zur Seite lag das Schloß mit einem gemauerten Hofthor und großen Wirtschaftsgebäuden , vor ihnen neigte sich eine weite Fläche Ackerlandes von der Höhe hinab in ein flaches Thal . Das einsame Waldbild war verschwunden , um die Wanderer rührte sich kräftig das Leben des Tages , der Wind trieb Wellen durch das Aehrenmeer , Erntewagen fuhren auf den Feldwegen heran , Menschenstimmen riefen , die Peitsche knallte und die Garben flogen von starker Hand geschwungen über die hohen Leiterbäume . » Holla , was suchen Sie hier ? « frug hinter den Fremden eine tiefe Baßstimme in befehlendem Ton . Die Freunde wandten sich schnell um . Vor dem Hofthor stand ein mächtiger breitschultriger Mann mit kurzgeschorenem Haar und sehr energischem Ausdruck im sonnenbraunen Gesicht . Hinter ihm steckten Wirthschaftsbeamte und Knechte neugierig die Köpfe durch das Thor und ein großer Hund fuhr bellend gegen die Fremden . » Zurück , Nero , « rief der Landwirth und pfiff den Hund zu sich , dabei sah er mit kaltem Polizeiblick auf die Fremden . » Herr Gutsbesitzer Bauer ? « frug der Professor grüßend . » Der bin ich , und wer sind Sie ? « gab der Gutsherr die Frage zurück . Der Professor nannte die Namen und den Ort , von dem sie kamen . Der Wirth trat einen Schritt näher und prüfte das Aussehen der Beiden von oben herab . Dort wohnen ja wohl keine Jesuiten , « sagte er ; » wenn Sie aber hierher kommen , Verborgenes zu finden , so war die Reise unnütz , hier finden Sie nichts . « Die Freunde sahen einander an , sie standen nahe am Hause , aber fern vom Ziel . » Sie machen uns fühlbar , « erwiederte der Professor , » daß wir ohne Vermittlung eines Dritten an Ihre Wohnung treten . Obgleich Sie aber über den Zweck unseres Herkommens bereits eine Vermuthung ausgesprochen haben , ersuche ich Sie doch , uns deshalb eine Erklärung vor weniger Zeugen zu gestatten ! « Die feste Haltung des Professors verfehlte nicht ganz die Wirkung . » Wenn Sie in der That ein Geschäft zu mir führt , so werden wir das allerdings besser im Haus abmachen . Folgen Sie mir , meine Herren . « Er lüftete ein wenig seine Mütze , wies mit der Hand nach dem Thor und schritt voraus . » Nero , Teufelshund , kannst du nicht Ruhe halten ! « Der Professor und der Doctor folgten , an sie schlossen sich Wirthschaftsbeamte und Knechte und der knurrende Hund . So wurden die Fremden in einem ungemütlichen Zuge nach dem Wohnhaus geführt . Trotz ihrer mißlichen Lage sahen sie doch mit Neugierde auf den großen Hof , auf die Arbeit des Einscheuerns , auf einen Trupp Gänse , welcher , durch den Zug gestört , breitbeinig und schnatternd über den Weg schritt . Dann überflog ihr Auge das Wohnhaus , die breiten steinernen Stufen mit Bänken an beiden Seiten , die gewölbte Thür , das übertünchte Wappen am Schlußstein . Sie traten in einen geräumigen Hausflur , der Gutsherr hing seine Mütze auf einen Kleiderrechen , drückte mit schwerer Hand die Klinke der Wohnstube und machte wieder eine Handbewegung , welche höflich sein sollte und die Fremden zum Vortritt einlud . » Jetzt sind wir allein , « begann er , » womit kann ich Ihnen dienen ? Sie sind mir bereits als zwei Schätzesucher angekündigt . Wenn Sie das sind , so muß ich Ihnen rundheraus erklären , daß ich von solchen Thorheiten nichts wissen will . Im übrigen bin ich bereit , mich Ihrer Bekanntschaft zu freuen . « » Nun , Schatzgräber sind wir nicht , « entgegnete der Professor , » und da wir den Zweck unserer Reise überall als Geheimniß bewahrt haben , so begreifen wir nicht , wie Sie etwas Entstelltes über die Veranlassung unseres Kommens hören konnten . « » Der Schuster meines Hofverwalters hat ihm die Nachricht mit zwei versohlten Stiefeln zugetragen , er hat Sie im Gasthofe der Stadt gesehen und aus Ihren Fragen Verdacht geschöpft . « » Er hat mehr Scharfsinn angewandt , « erwiederte der Professor , » als bei unsern harmlosen Fragen nöthig war . Und doch hat er nicht ganz Unrecht gehabt . « » Also ist etwas daran , « unterbrach der Landwirth finster , » in diesem Fall muß ich die Herren bitten , sich selbst und mich nicht weiter zu bemühen . Ich habe keine Zeit für dergleichen Narrheiten . « » Vor Allem haben Sie die Güte , uns anzuhören , ehe Sie uns in so kurzer Weise das Gastrecht aufkündigen , « versetzte der Professor ruhig . » Unser Kommen hat keinen andern Zweck , als Ihnen eine Mittheilung zu machen , über deren Werth Sie dann selbst entscheiden mögen . Und nicht nur wir , auch Andere könnten Ihnen einen Vorwurf daraus machen , wenn Sie unser Gesuch ohne Prüfung abweisen . Die Sache geht Sie mehr an als uns . « » Natürlich , « sagte der Wirth , » diese Redensarten kennt man . « » Doch nicht ganz , « entgegnete der Professor , » es ist ein Unterschied , wer sie braucht und welchem Zweck sie dienen . « » Nun denn , in des Teufels Namen , sprechen Sie , aber verständlich , « rief der Landwirth ungeduldig . » Nicht eher , « fuhr der Professor fort , » als bis Sie sich bereit zeigen , eine ernste Angelegenheit so anzuhören , wie sie verdient . Es ist eine kurze Auseinandersetzung nöthig , und Sie haben uns noch nicht einmal zum Sitzen eingeladen . « So nehmen Sie Platz , « versetzte der Landwirth und rückte einen Stuhl . Der Professor begann : » Durch Zufall habe ich vor kurzem in einem geschriebenen Buche unter andern handschriftlichen Aufzeichnungen der Mönche von Rossau einige Bemerkungen gefunden , welche für die Wissenschaft , der ich diene , möglicherweise wichtig sind . « » Und welches ist Ihre Wissenschaft , « unterbrach ihn der Landwirth ungerührt . » Ich bin Philologe . « » Das bedeutet alte Sprachen ? « frug der Landwirth . » So ist es , « fuhr der Professor fort . » Die Notiz eines Mönches in dem erwähnten Bande meldet , daß um das Jahr 1500 eine werthvolle Handschrift , welche die Geschichtserzählung des Römers Tacitus enthielt , in dem Kloster vorhanden war . Das Werk des berühmten Geschichtschreibers ist uns in einigen andern wohlbekannten Handschriften nur sehr trümmerhaft erhalten , es scheint , daß die damals in dem Kloster vorhandene Handschrift sein Werk vollständiger enthielt . Eine zweite Notiz desselben Buches meldet aus dem April des Jahres 1637 , daß damals die letzten Mönche des Klosters in schwerer Kriegszeit Kirchengeräth und die Handschriften des Klosters an einer hohlen und trocknen Stelle des Hauses Bielstein vor den Schweden verborgen haben . – Das sind die Worte , die ich gefunden , weitere Thatsachen habe ich Ihnen nicht mitzutheilen . Die Echtheit der beiden Bemerkungen ist für uns zweifellos , ich habe Ihnen eine Abschrift der betreffenden Stelle mitgebracht , das Original bin ich bereit , Ihrer eigenen Einsicht zu unterwerfen oder der eines sachverständigen Beurtheilers , den Sie wählen wollen . Ich füge nur noch hinzu , daß wir beide , mein Freund und ich , sehr gut wissen , wie ungenügend die Mittheilungen sind , welche wir Ihnen machen , und wie unsicher die Aussicht , daß sich jetzt nach zwei Jahrhunderten noch etwas von dem damals vergrabenen Eigenthum des Klosters vorfinde . Und doch haben wir eine Ferienreise dazu benutzt , Ihnen Nachricht von dieser Entdeckung zu geben , selbst auf die naheliegende Gefahr einer vergeblichen Untersuchung . Wir haben uns aber zu dieser Reise verpflichtet gefühlt . Nicht vorzugsweise um Ihretwillen , obgleich die Handschrift , wenn sie sich fände , von sehr hohem Werth sein würde , sondern zunächst im Interesse der Wissenschaft , denn nach dieser Richtung wäre ein solcher Fund in der That unschätzbar . « Der Landwirth hatte aufmerksam zugehört , das Papier , welches der Professor vor ihn auf den Tisch legte , ließ er unberührt . Jetzt begann er : » Daß Sie mich nicht täuschen wollen und daß Sie die Wahrheit nach allen Seiten mit guter Meinung sprechen , sehe ich ein . Ihre Auseinandersetzung ist mir verständlich . Ihr Latein vermag ich nicht zu lesen ; und das ist auch nicht nöthig , denn was die Thatsachen betrifft , so glaube ich Ihnen . Aber , « fuhr er lächelnd fort , » die Herren Gelehrten haben in der Ferne eines nicht gewußt , daß dieses Haus das Unglück hat , in der ganzen Gegend für den Ort zu gelten , an welchem alte Mönche ihre Schätze vermauert haben . « » Das war uns allerdings nicht unbekannt , « fiel der Doctor ein , » und es konnte uns die Bedeutung der schriftlichen Notizen nicht verringern . « » Da waren Sie in großem Irrthum . Es liegt doch auf der Hand , daß ein solches Gerücht , welches durch mehre Menschenalter in einer Gegend geglaubt wird , fortwährend abergläubische und gewinnsüchtige Personen in Bewegung gesetzt hat , diese vermeinten Schätze aufzuspüren . Wie können Sie annehmen , daß Sie die ersten sind , welche auf den Gedanken kommen , nachzusuchen ? Dies ist ein altes festes Haus , aber es würde fester sein , wenn es nicht vom Keller bis unter das Dach Spuren zeigte , daß man in früherer Zeit Löcher hineingeschlagen und die Schäden nachlässig ausgebessert hat . Erst vor wenigen Jahren habe ich Kosten und Mühe gehabt , einen neuen Dachbalken einzuziehen , weil Dach und Decke sich senkte , und die Untersuchung ergab , daß gewissenlose Menschen ein Stück des Balkens ausgesägt hatten , jedenfalls um in einen Winkel des Daches hineinzugreifen . Und ich sage Ihnen geradeheraus , wenn mir etwas das alte Haus verleidet , in dem ich seit zwanzig Jahren Glück und Unglück erfahren habe , so ist es dies widerwärtige Gerücht . Gerade jetzt wird in der Stadt die Untersuchung gegen einen Schatzgräber geführt , der Narren durch das Vorgeben betrogen hat , er könne aus diesem Berge einen Schatz beschwören . Noch wird seinen Mitschuldigen nachgespürt . Ihren Fragen in der Stadt haben Sie zuzuschreiben , daß die Leute dort , welche viel von dem Betruge reden , Sie für Helfer des eingezogenen Gauners gehalten haben . Daher auch mein rauher Gruß . Ich mache Ihnen deshalb meine Entschuldigung . « » Und Sie wollen sich nicht dazu verstehen , « frug der Professor unzufrieden , » unsere Mittheilung zu weiterer Nachforschung zu benützen ? « » Nein , « versetzte der Landwirth , » ich will mich nicht selbst zum Narren machen . Wenn Ihr Buch nichts weiter meldet , als was Sie mir gesagt haben , so dient diese Nachricht zu gar nichts . Haben die Mönche hierherum irgend etwas versteckt , so ist Hundert gegen Eins zu wetten , sie haben es in ruhiger Zeit selbst wieder herausgeholt . Wäre aber gegen alle Wahrscheinlichkeit das Versteckte damals an seiner Stelle geblieben – es sind seitdem einige hundert Jahre vergangen – , so hätten es längst andere hungrige Leute herausgegraben . Das sind , verzeihen Sie mir , Ammengeschichten , nur gut für Spinnstuben . Ich habe einen Widerwillen gegen solches Gelüst , das an den Mauern wühlt . Der Landwirth soll im Acker schaufeln und nicht in seinem Hause . Unter Gottes Sonne liegen seine Schätze . « Dem Professor wallte das Blut über die kalte Art des Mannes , er bezwang mit Mühe den ausbrechenden Zorn , indem er an das Fenster trat und einem Haufen Sperlinge zusah , die heftig gegeneinander schrien . Endlich begann er , sich umwendend : » Ihre Weigerung ist ein Recht des Hauseigenthümers . Wenn Sie darauf bestehen , so werden wir Sie allerdings mit dem Bedauern verlassen , daß Sie die mögliche Bedeutung unserer Mittheilung nicht zu würdigen wissen . Ich habe diese Begegnung nicht vermieden , obgleich mir wohlbekannt war , wie zufällig die Eindrücke sind , welche bei einer ersten Unterredung mit Fremden den Entschluß bestimmen . Sie würden vielleicht mehr Rücksicht auf unsre Nachricht genommen haben , wenn sie Ihnen durch Vermittlung Ihrer Regierung zugleich mit der Forderung , genaue Nachsuchung anzustellen , zugegangen wäre . « » Reut Sie , daß Sie diesen Weg nicht eingeschlagen haben ? « frug lächelnd der Landwirth . » Offen gesagt , nein . Ich habe in solcher Angelegenheit kein Vertrauen zu einem Beamtenprotokoll . « » Ich auch nicht , « versetzte der Landwirth trocken . » Wir stehen unter einem kleinen Landesherrn , aber er ist fern , wir sind von fremdem Gebiet umschlossen . Bei Hofe habe ich nichts zu thun , es vergehen Jahre , ehe ich nach unsrer Residenz komme ; die Regierung plagt uns nicht übermäßig und in meinem Bezirk leite ich die Polizei . Wenn meine Regierung Ihren Wünschen Wichtigkeit beilegte , so würde sie wahrscheinlich von mir einen Bericht einfordern , und das würde mir einen Bogen Papier und eine Stunde Schreiberei kosten . Vielleicht , wenn Sie laut zu trommeln verstehen , sendet sie mir auch eine Commission in das Haus . Die meldet sich bei mir zum Mittagsessen und ich führe sie nach Tisch in die Keller , sie pocht der Form wegen ein wenig an die Wände und ich lasse unterdeß einige Flaschen aufkorken . Zuletzt wird schnell ein Papier beschrieben und die Sache ist wieder abgemacht . Ich bin Ihnen dankbar , daß Sie diesen Weg nicht eingeschlagen haben ; im übrigen vertrete ich mein Hausrecht auch gegen den Landesherrn . « Es ist , so scheint mir , vergeblich , zu Ihnen von dem Werth zu sprechen , den die Handschrift haben würde , « warf der Professor ihm finster entgegen . » Es wäre verlorene Mühe , « sagte der Landwirth . » Ob eine solche Seltenheit , auch wenn sie in meinem Eigenthume zu Tage käme , für mich selbst einen wesentlichen Werth hätte , ist fraglich . Und den Werth für Ihre Wissenschaft kenne ich nur aus Ihrer Versicherung . Aber für mich und für Sie rühre ich keinen Finger , weil ich nicht glaube , daß ein solcher Schatz auf meinem Eigenthum verborgen ist , und weil ich nicht den Willen habe , um etwas Unwahrscheinliches ein Opfer zu bringen . Dies , Herr Professor , ist meine Antwort . « Der Professor trat wieder schweigend an das Fenster . Fritz , der sich in stiller Empörung zurückgehalten hatte , empfand , daß es Zeit war , dieser Unterredung ein Ende zu machen , er erhob sich zum Aufbruch : » Und Sie haben uns wirklich Ihre letzte Meinung gesagt ? « » Ich bedaure , Ihnen keinen andern Bescheid geben zu können , « versetzte der Landwirth und sah mit einer Art Mitleid auf die beiden Fremden . » Es thut mir in der That leid , daß Sie den Umweg zu mir gemacht haben . Verlangen Sie meine Wirthschaft zu sehen , jede Thür soll Ihnen geöffnet sein . Die Mauern meines Hauses öffne ich Niemandem . Ich bin übrigens bereit , Ihre Mittheilung als Geheimniß zu bewahren , um so lieber , da dies auch in meinem Interesse liegt . « » Ihre Weigerung , irgendwelche Nachforschungen auf Ihrem Eigenthume anzustellen , macht ein ferneres Geheimhalten dieser Nachricht unnöthig , « entgegnete der Doctor , » meinem Freunde bleibt jetzt nichts übrig , als seine Entdeckung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu berichten , er hat dann seine Pflicht gethan , vielleicht daß Andere Ihnen gegenüber glücklicher sind als wir . « Der Landwirth fuhr auf . » Donnerwetter , Herr , sind Sie des Teufels ? Sie wollen die Geschichte in der Zeitung Ihren Collegen erzählen ? Wahrscheinlich werden diese ebenso denken wie Sie . « » Zuverlässig werden Hunderte die Sache genau so ansehen wie wir , und Ihre Weigerung ebenso verurtheilen wie wir , « rief der Doctor . » Herr , wie Sie mich beurtheilen , ist mir ganz gleichgültig , ich muß Sie bitten , mich so schwarz zu schildern , als Ihre Wahrheitsliebe irgend zuläßt , « rief der Landwirth unwillig . » Aber ich sehe voraus , daß das alles nichts helfen wird . Verwünscht seien die Mönche und ihr Schatz ! Jetzt habe ich jeden Sonntag und jede Stunde Ihrer Ferien einen Besuch wie den Ihren zu erwarten , fremde Gesichter mit Brillen und Regenschirmen , welche den Anspruch erheben , unter das Holzgestell meines Milchkellers zu kriechen und in der Schlafstube meiner Kinder an der Decke herumzuklettern . Zum Teufel mit diesem Tacitus ! « Der Professor ergriff seinen Hut : » Wir empfehlen uns Ihnen , « und ging nach der Thür . » Halt , meine Herren , « rief der Wirth unruhig , » nicht so schnell . Lieber will ich noch mit Ihnen beiden zu thun haben , als mit einer unablässigen Wallfahrt Ihrer Collegen . Weilen Sie noch einen Augenblick , ich mache Ihnen einen Vorschlag . Sie selbst sollen durch mein Haus gehen , Sie mögen den alten Bau vom Boden bis zum Keller untersuchen . Es ist eine harte Zumuthung für mich und meine Hausgenossen , ich will das Opfer bringen . Finden Sie eine Stelle , die Ihnen Verdacht einflößt , so reden wir darüber . Dagegen versprechen Sie mir , daß Sie gegen meine Hausleute von dem Zweck Ihres Hierseins schweigen . Meine Arbeiter sind ohnedies aufgeregt ; wenn Sie dem unseligen Gerücht neue Nahrung geben , so kann ich nicht dafür stehen , daß nicht meine eigenen Leute auf den Einfall kommen , mir an einer Ecke des Hauses die Grundmauer durchzustoßen . Mein Haus ist Ihnen den ganzen Tag geöffnet , so lange sind Sie meine Gäste . Dann aber , wenn Sie mündlich oder schriftlich über die Sache reden , fordere ich den Zusatz , es sei von Ihnen das Mögliche geschehen , mein Haus durchsucht , aber nichts gefunden worden . Wollen Sie diesen Vertrag mit mir eingehen ? « Der Doctor sah zweifelnd auf den Professor , ob der Stolz des Freundes sich solcher Bedingung beugen werde . Wider Erwarten flog ein Strahl von Freude über das Antlitz des Gelehrten , und er erwiederte artig : » Sie haben uns in einem Punkt mißverstanden . Nicht wir beanspruchen die verborgene Handschrift aus Ihrem Eigenthum herauszuholen , sondern wir sind nur gekommen , um Sie selbst für den Versuch zu gewinnen . Daß wir in einem fremden Hause , unbekannt mit den Räumen und ungeübt in dieser Art Nachforschung , nichts finden werden , ist uns sehr deutlich . Wenn wir dennoch die lächerliche Lage , in welche Sie uns versetzen , nicht vermeiden und Ihr Anerbieten annehmen , so thun wir dies nur in der Hoffnung , daß uns in den Stunden unseres Hierseins gelingen wird , Ihnen selbst ein größeres Interesse an dem möglichen Funde beizubringen . « Der Landwirth bewegte abweisend das Haupt auf den hohen Schultern . » Ich habe nur das Interesse , die Sache so schnell als möglich in Vergessenheit zu bringen . Sie mögen thun , was Sie für Pflicht halten . – Meine Geschäfte verhindern mich , Sie zu begleiten , ich übergebe Sie meiner Tochter . « Er öffnete die Thür des Nebenzimmers und rief : » Ilse ! « » Hier , Vater , « antwortete eine klangvolle Altstimme . Der Landwirth ging in das Nebenzimmer . » Komm hervor , Ilse , ich habe heut einen besondern Auftrag für dich . Da drin sind zwei fremde Herren von einer Universität . Sie suchen ein Buch , das vor alten Zeiten in unserm Hause versteckt sein soll . Führe sie durch das Haus , schließ ihnen alle Räume auf . « » Aber Vater – « unterbrach ihn die Tochter . » Thut nichts , « fuhr der Landwirth fort , » es muß sein . « Er trat näher an sie und sprach leiser : » Es sind zwei Gelehrte , sie haben einen Sparren – « er wies nach dem Kopfe . » Was sie sich einbilden , ist verrückt , und ich gebe ihnen nur nach , um in Zukunft Ruhe zu haben . Sei vorsichtig , Ilse , ich kenne die Leute nicht . Ich muß auf's Vorwerk , dem Hofverwalter will ich sagen , daß er sich in der Nähe des Hauses hält . Sie scheinen mir zwei ehrliche Narren , aber der Teufel mag trauen . « » Ich fürchte mich nicht , Vater , « erwiederte die Tochter , » das Haus ist voll Menschen , wir werden schon mit ihnen fertig werden . « » Sorge dafür , daß die Mägde nicht herumstehen , während die Fremden an den Wänden klopfen und messen . Sie sehen mir übrigens nicht aus , als ob sie viel finden würden , wenn auch alle Wände aus Büchern gemauert wären . Aber daß sie irgendwo einschlagen oder die Wand beschädigen , das leidest du nicht . « » Recht , Vater , « sagte die Tochter . » Bleiben sie über Mittag ? « » Jawohl , dein Dienst geht bis zum Abend . In der Molkerei wird dich die Mamsell vertreten . « Durch die Thür hörten die Freunde Bruchstücke der Unterredung , sie gingen nach den ersten Worten der Anweisung schnell an das Fenster und sprachen laut miteinander über eine große Strohanhäufung am First der Scheuer , die nach der Behauptung des Doctors ein Storchnest war , während der Professor die Ansicht vertrat , daß Störche nicht auf solchen Höhen nisteten . Dazwischen sagte der Professor leise : » Es ist unbequem , in dieser demüthigen Lage auszudauern . Aber wir vermögen nur durch unser Beharren den Hauswirth zu überzeugen . « » Vielleicht entdecken wir doch etwas , « antwortete der Doctor . » Ich habe einige Erfahrung in Maurerarbeit , als Knabe fand ich beim Bau unseres Hauses Gelegenheit , schöne Kenntnisse in Statik und Balkenklettern zu erwerben . Gut , daß der Tyrann uns allein läßt . Unterhalte du die Tochter , ich will derweile an den Wänden klopfen . « Wer jemals einer undeutlichen Spur nachgegangen ist , der weiß , wie schwierig in der Nähe erscheint , was in der Ferne so leicht dünkt . Während zuerst die trügende Göttin Hoffnung alle guten Möglichkeiten mit hellen Farben malt , regt die Arbeit des Suchens selbst jeden Zweifel auf . Die lockenden Bilder verbleichen , Kleinmuth und Ermüdung werfen ihre Schatten . Zuletzt wird pflichtmäßige Ausdauer , was im Anfange ein frisches Wagen war . 4. Das alte Haus . Der Landwirth trat ein , die Reitgerte in der Hand , hinter ihm die hohe Gestalt vom Friedhof . » Hier meine Tochter Elise , sie wird meine Stelle vertreten . « Die Freunde verneigten sich . Es war dasselbe schöne Antlitz , aber statt der hohen Rührung lag jetzt eine geschäftliche Würde in ihren Zügen , sie grüßte ruhig und lud die Herren zum Frühstück in das Nebenzimmer . Was sie sprach , waren einfache Worte , aber wieder lauschten die Freunde verwundert auf die tiefen Töne ihrer melodischen Stimme . » Bevor Sie sich hier umsehen , müssen Sie an meinem Tisch niedersitzen , das ist bei uns Brauch , « sagte der Landwirth in besserer Laune als er bis dahin gezeigt , auch auf ihn übte die Gegenwart der Tochter besänftigenden Einfluß . » Wiedersehen zu Mittag . « Damit ging er zur Thür hinaus . Die Freunde folgten in den Nebenraum , ein großes Speisezimmer ; Stühle standen längs der Wand , in der Mitte eine lange Tafel , an deren oberem Ende drei Plätze gedeckt waren . Das Mädchen setzte sich zwischen die Herren und bot die kalten Speisen . » Als ich Sie auf dem Friedhof sah , dachte ich , daß Sie den Vater besuchen würden , der Tisch wartet schon eine Weile auf Sie . « Die Freunde aßen ein wenig und dankten für mehr . » Ich bedaure , daß unser Kommen auch Ihre Zeit in Anspruch nehmen soll , « sagte der Professor ernst . » Meine Aufgabe ist leicht , « antwortete das Mädchen , » ich fürchte , die Ihre wird Ihnen mehr Mühe machen . Das Haus hat viele Stuben , und dann die Kammern und die Verschläge auf dem Boden . « » Ich habe bereits Ihrem Herrn Vater gesagt , « erwiederte der Professor lächelnd , » daß wir keinen Werth darauf legen , wie Maurer das Gebäude zu untersuchen . Betrachten Sie uns als Neugierige , welche das merkwürdige Haus nur soweit sehen wollen , als es sich sonst einem Gaste öffnet . « » Das Haus mag wohl für Fremde merkwürdig sein , « sagte Ilse , » uns ist es lieb , denn es ist warm und geräumig . Als der Vater das Gut einige Jahr besaß und zu Kräften gekommen war , hat er meiner seligen Mutter zu Liebe Alles bequem eingerichtet ; denn wir brauchen großen Raum , es sind sechs jüngere Geschwister , und es ist ein großes Gut ; die Herren von der Wirthschaft essen bei uns , dann der Hauslehrer und die Mamsell und in der Gesindestube auch zwanzig Leute . « Der Doctor sah seine Nachbarin enttäuscht an . Wo war die Seherin geblieben ? Sie sprach verständig und sehr bürgerlich , mit ihr konnte man wohl auskommen . » Da wir nun einmal auf hohle Räume ausgehen , « begann er schlau , » so würden wir uns am liebsten Ihrer Leitung anvertrauen , wenn Sie uns sagen wollten , ob man in der Wand oder auf dem Boden oder irgendwo hier im Hause von Stellen weiß , welche beim Klopfen eine Höhlung verrathen . « » O , daran fehlt es nicht , « erwiederte Ilse . » Wenn man in meiner Stube an die Hinterwand des kleinen Wandschrankes pocht , so merkt man , daß dahinter ein leerer Raum ist , und dann ist die Steinplatte unter der Treppe und mehre Platten in der Küche und noch viele andere Stellen im Hause . Und bei allen haben die Leute ihre Vermuthung . « Der Doctor hatte seine Brieftafel herausgezogen und schrieb die verdächtigen Orte nieder . Die Betrachtung des Hauses begann . Es war ein prachtvolles altes Haus , die Mauer des Unterstocks so dick , daß der Doctor mit gespannten Armen nicht die ganze Tiefe der Fensternischen einfassen konnte . Eifrig übernahm er das Klopfen und Messen der Wände . Die Keller waren zum Theil in den Felsen gesprengt , an einzelnen Stellen ragte das ungeglättete Gestein noch in die Räume und man erkannte , wo die Mauer auf dem Stein gelagert war . Es waren mächtige Gewölbe , die kleinen Fenster in der Höhe durch starke Eisenstäbe geschützt , in alter Zeit bei feindlichem Anlauf eine feste Zuflucht wider Geschosse und Feuer . Und Alles war schön trocken und hohl . Denn das Haus war ganz nach den Ansichten gebaut , welche der Doctor schon früher über alte Gebäude so verständig ausgesprochen hatte : Mauer von außen und von innen , dazwischen Schutt und Steinbrocken . Natürlich klangen die Wände deshalb an vielen Orten hohl wie ein Kürbis . Der Doctor pochte und notirte fleißig , die Knöchel seiner Hand wurden weiß und aufgetrieben , aber die Fülle guter Möglichkeiten machte ihn kleinlaut . Aus dem Keller traten sie in den Unterstock . In der Küche brodelten große Kessel und Töpfe , und neugierig sahen die arbeitenden Frauen auf das Benehmen der Fremden , denn der Doctor klopfte wieder mit den Absätzen auf den steinernen Fußboden und faßte die geschwärzte Seitenwand des Herdes mit den Händen an . Dahinter kamen Wirthschaftsräume und die Gaststuben . In einer derselben fanden sie eine Frau in Trauerkleidung beschäftigt , die Betten in ein neues Gewand zu hüllen . Es war die Mutter vom Friedhofe . Sie trat an die fremden Herren und bedankte sich , weil sie geholfen hätten , ihrem Kinde die letzte Ehre zu erweisen . Die Freunde sprachen ihr freundlich zu , sie wischte mit der Schürze die Augen und ging wieder an ihre Arbeit . » Ich bat sie , heut zu Haus zu bleiben , « sagte Ilse , » aber sie wollte nicht . Ihr wäre gut , wenn sie etwas zu schaffen hätte , und wir würden ihre Arbeit brauchen , weil Sie doch zu uns kämen . « Es that den Gelehrten wohl , daß sie wenigstens von den weiblichen Mitgliedern des Hauses als berechtigte Gäste aufgefaßt wurden . Sie betraten die andere Seite des Unterstocks und betrachteten noch einmal die einfachen Zimmer , die sich zuerst den Ankommenden geöffnet hatten . Dahinter lag das Arbeitszimmer des Gutsherrn , ein kleiner schmuckloser Raum , darin ein Schrank mit Jagdgeräth und Reitzeug , ein Bretergestell für Acten und einige Bücher , über dem Bett Säbel und Pistolen , auf dem Schreibtisch das kleine Modell einer Maschine und Proben von Getreide und Sämerei in kleinen Säckchen ; an der Wand aber standen in militärischer Ordnung der riesige Wasserstiefel , der Juchtenstiefel , der Reitstiefel mit Stulpen , an der äußersten Ecke auch Zwerge von Kalbleder , wie sie gewöhnliche Menschen tragen . In dem Nebenzimmer hörten sie eine Männerstimme und kindliche Antworten in regelmäßigem Wechsel . » Das ist die Schulstube , « sagte Ilse lächelnd . Als die Thür geöffnet ward , schwiegen Solo und Chorstimmen , dem Gruß der Eintretenden antwortete aufstehend der Lehrer , ein Seminarist von verständigem Gesicht . Verwundert starrten die Kinder in die unerwartete Störung . An zwei Tischen saßen drei Knaben und drei Mädchen , ein kräftiges blondhaariges Geschlecht . » Das ist Clara , Luise , Riekchen , Hans , Ernst und Franz . « Die vierzehnjährige Clara , fast erwachsen und ein verjüngtes Abbild der Schwester , erhob sich mit einem Knix , Hans , ein derber Bursch von zwölf Jahren , machte den unbedeutenden Versuch eines Bücklings , die andern blieben stramm stehen , sahen unverwandt auf die Fremden und tauchten , nachdem sie einer lästigen Pflicht genügt hatten , wieder auf ihre Plätze nieder . Nur der kleine Franz , ein rothbäckiger Krauskopf von sieben Jahren , blieb in der Pein seiner Aufgabe grimmig sitzen und benutzte die Unterbrechung , um für die nächsten Antworten noch schnell etwas aus seinem Buche einzusammeln . Ilse strich ihm über das Haar und frug den Lehrer : » Wie geht 's heut mit ihm ? « – » Er hat gelernt . «