Auch Einer von denjenigen nemlich — — — kurz , man versteht mich . Wer es darf , hebe den ersten Stein gegen ihn auf ! Ich meinestheils gedenke es nicht zu thun . Ich traf ihn auf dem Dampfboot , mit dem ich auf einer Schweizerreise über den Zuger See fuhr . In der bunt zusammengewürfelten Gesellschaft , die sich auf dem Verdeck umtrieb , hätte ich ihn schwerlich bemerkt , wenn nicht ein besonderer Umstand mein Auge auf ihn gelenkt hätte . Es befand sich unter den Passagieren ein junger Mensch , jeder Zoll ein Geschäftsreisender in Baumwolle , Cigarren oder Rothwein , der sich durch sein vorlautes und eitles Wesen lästig machte . Er schien gekommen , um über Alles zu spotten , was er sah und genoß ; bald gieng es über den Mittagstisch her , von dem er kam , bald über die Einrichtung des Boots , bald über den Schweizerdialekt , den er mit den halb gestoßenen , halb verschwommenen Lauten des eigenen Idioms unglücklich genug nachzuahmen suchte ; die Berge waren ihm nicht hoch , der See war ihm nicht breit genug , er vergliech sie zu ihrem Schaden mit skandinavischen , irischen , amerikanischen , und die ganze Gesellschaft mußte hören , wie weit er in der Welt gewesen sei . Er spielte den Kunstkenner , sprach von Tinten , Lasuren , Clair-obscur , Konturen , versicherte übrigens , die „ Schanga-Malachai “ sei mehr sein „ Pangschang “ , als die Landschaftmalerei . Dabei wandte er sich öfters an einen ernsten Mann , den ich schon an der Wirthstafel in Zug bemerkt , der mit uns das Dampfschiff bestiegen hatte und der dem Lästigen ein beharrliches Schweigen entgegenhielt . Durch diesen Kontrast wurde meine Aufmerksamkeit auf die Erscheinung des stillen Fremdlings hingezogen . Man konnte seine Züge nicht eben interessant nennen , aber es war jenes Etwas darin , das man nicht eben häufig findet und das Wenige zu bemerken pflegen , — jenes Etwas , wozu man sagen möchte : wieder einmal ein Mensch . Allerdings lag auch eine Art von Beschattung , etwas wie ein dunkler Flor darüber . Wenn sein Blick an den waldigen Ufern , am Rücken und steilen Gipfel des Rigi aufstieg , oder über die schimmernde Fläche des hellgrünen Sees hinlief , so meinte ich ihn öfters mit einem gewissen müden Ausdruck von seiner Bahn zurückkehren zu sehen , als wollte er sagen : das Alles könnte schön sein , wenn nur — Was dem Wenn in seiner Seele folgte , war freilich aus dem Blicke nicht zu lesen . Der unbescheidene junge Mensch schien es auf den Schweigenden gemünzt zu haben und ließ einmal ziemlich hörbar etwas von catonischer Würde fallen , als derselbe einem erneuerten Versuch , ihn in's Gespräch zu ziehen , mit der gewohnten Stummheit begegnete und ihm etwas auffallend den Rücken kehrte . In Immensee stieg ich in den Postomnibus , der damals nach Küßnacht führte , ein Theil der Dampfbootgesellschaft fand sich hier wieder zusammen , darunter der Geschwätzige , der dem Stummen gegenüber zu sitzen kam . Als wir durch die hohle Gasse fuhren , ließ er einige frivole Witze los , deren Wiederholung dem Leser billig erlassen wird , machte sich hierauf an die Telltradition , spielte sich als historischen Kritiker auf , indem er einige unverdaute Brocken von „ bloßer Sage “ vorbrachte , erklärte die Sage für eine pure Erfindung der schweizerischen Selbstgefälligkeit , kam von da auf die nächste politische Vergangenheit zu sprechen , spottete über die kriegerischen Rüstungen , die im Jahr 1856 die preußische Drohung hervorrief , und ergoß sich nun in einen Schwall von höhnischen und prahlerischen Reden , der mir solchen Widerwillen erregte , daß ich im Begriff war , den Schwätzer mit heftigem Wort anzulassen . Dieser aber wandte sich plötzlich an den stillen Mann gegenüber und fragte ihn frech : „ Nun , was sagen Sie dazu ? “ Ueber dessen Gesicht war schon eine Zornröthe gefahren , die Augen funkelten , er erhob sich und mit mächtiger Stimme rief er : „ Was ich dazu sage ? Daß Sie nicht unter gebildete Menschen gehören , daß es gemein ist und Ekel erregt , ein ehrwürdiges Heldenbild , woran seit Jahrhunderten ein braves Volk hinaufschaut , mit Schmutz zu bespritzen ; die verkehrte Politik eines an Macht überlegenen Staates um ein Nichts “ — hier , mitten im Zug , Schwung und kräftigen Schall seiner Rede überfiel ihn plötzlich ein krampfhafter Hustenreiz , die Stimme überschlug sich in lächerliche Fisteltöne , knirschend vor Aerger fuhr er in die Höhe , rieß den Wagenschlag auf , sprang hinaus , blieb am Tritt , hängen und fiel zu Boden in den dichten Staub des Weges . Die langsame Bewegung des Wagens aus einer Steigung des Wegs ließ unserem Geschäftsreisenden Zeit , den Kopf aus dem Fenster zu strecken und dem so peinlich unterbrochenen Gegner ein schallendes Hohngelächter nachzusenden , die Mitfahrenden , obwohl sichtbar theilnahmvoll für Letzteren gestimmt , konnten des Lachens sich doch auch nicht ganz erwehren , und ich selbst , im Stillen schnell sein Freund geworden , betroffen und stutzend und für ihn beschämt , konnte ein Zucken der Lachmuskel nicht unterdrücken . Der Gefallene aber hatte sich schnell aufgerafft , über und über mit Staub bedeckt stand er und rief uns mit vernehmlicher Stimme nach : „ Amplificatio , Ignoranten , amplificatio ! “ — Der Kondukteur hatte inzwischen halten lassen , er winkte ihm , weiter zu fahren , dann sah ich ihn umkehren und in entgegengesetzter Richtung forteilen . Das Wort gab mir zu denken ; der nächste Sinn war unschwer zu finden , allein es schien auf einen Zusammenhang sonderbarer Art , auf eine Klassifikation , auf ein System zu deuten , gab zu rathen , was für ein System das denn sein möchte , und von da weiter zu rathen über den ganzen Mann , der mir so würdig und ernst erschienen war , den jetzt ein lächerliches Mißgeschick ereilt , der dessen offenbar schon viel erlebt hatte und dem das Erlebte längst ein Anreiz zu seltsamem Denken geworden sein mußte . Völliges Licht über den Zuruf sollte mir freilich erst in sehr später Zeit werden . Inzwischen gab sich der Ungezogene ganz dem Genusse seines unverdienten Triumphes hin , unter gellendem Gelächter machte er sich in frechen Reden lustig über den unglücklichen Gegner . „ Wo mag er nun wohl stecken ? Ob er nun wohl seine Rede als Monolog hält , schreibt und herausgibt ? “ In diesem Tone ging es fort . Rasch hatte in mir über den augenblicklichen Lachreiz die Theilnahme den Sieg gewonnen , die Geduld gieng mir aus und ich fuhr den Menschen an : „ Herr ! nun ist es genug ! “ Alsbald bekam ich Beistand von der Gesellschaft , ein Erster , Zweiter , Dritter stimmte ein , und als das Subjekt widerbellte , erklärte man ihm , daß es länger nicht im Wagen geduldet werde . Da nun wenig Aussicht vorhanden war , daß der Bedrohte freiwillig dieser Einladung oder eigentlich Ausladung folgen werde , so stand offenbar Geringeres nicht bevor , als jener thätliche Akt , den man mit dem Ausdruck „ an die Luft setzen “ zu bezeichnen pflegt . Unterdessen hatte der Kondukteur vom Bock aus , wo er neben dem Postknecht saß , längst unwillige Blicke durch das offene Wagenfenster hereingeworfen , er ließ plötzlich wieder halten , sprang vom Bock , öffnete den Wagen , rief dem Friedensstörer zu , seine Vorschrift befehle ihm , ungesittete Personen , welche die Fahrgesellschaft beleidigen , aus solcher auszuweisen ; er habe auch über die Schweiz gespottet und sei „ einen unverschamten Mansch “ . Da nun der „ Mansch “ nicht zweifeln konnte , daß der ehrsame Schirrmeister , wenn seinem Befehl nicht freiwillig Folge geleistet würde , in handgreiflichem Einwirken hinreichende Unterstützung bei der Gesellschaft fände , so blieb ihm keine Wahl , als weichen . Er stieg aus , der Kondukteur nahm , einige Worte vor sich hinmurmelnd , aus denen ich das minder gewählte „ Lausbub “ herauszuhören glaubte , seinen Platz auf dem Bock wieder ein und bald waren wir in Küßnacht , wo ich das Dampfboot bestieg , um nach Luzern zu fahren und dort zu übernachten . Der See funkelte im Feuer der Abendsonne , die Thürme der Stadt leuchteten in ihrem Golde , eine Rosenwolke kränzte das Haupt des Pilatus . Ich vergaß das halb ärgerliche , halb lächerliche Abenteuer des Reisetags zugleich mit allen Dornen und Nesseln der menschlichen Lebensreise . Am andern Morgen fuhr ich mit dem Dampfer ab , der nach Flüelen führte ; meine Absicht war , den herrlichen See in seiner Ausdehnung zu beschauen , dann weiter zu Fuß bis zur Teufelsbrücke oder bis Andermatt zu gehen , um ruhig die vielgepriesene wilde Schönheit des Gotthardpasses zu betrachten . Halb und halb gedachte ich , schon in Brunnen auszusteigen und auf der kürzlich vollendeten Axenstraße nach Flüelen zu wandern . Eine der Stationen des Dampfschiffes ist , wie Jeder weiß , der den See befahren oder seinen Bädeker studirt hat , Weggis am rechten Ufer . Ich stand am Geländer und sah zu , wie die Einen aus- , die Andern einstiegen . Da gewahrte ich unter den Letzteren meinen Mann , den Mann der Tragödie von gestern . Er sah heute ungleich heiterer aus ; mit rüstigen Schritten betrat er das Verdeck und grüßte mich ganz unbefangen , als er mir von ungefähr in's Gesicht sah und den Mitreisenden vom vorigen Tag erkannte . Dieß ermuthigte mich , ihn zu fragen , woher er komme . „ Vom Rigi herunter , “ war die Antwort . „ Wie ? in der kurzen Zeit ? “ — „ Will nicht viel heißen ; gestern Abend hinauf , in der schönen Mondnacht herunter . “ — „ Wie war's ? Schön , nicht wahr ? Es war ja ein prächtiger Abend . — „ Wohl , wohl ! Nur viel Bildungsvolk oben ! Werden die Berge bald vollends wegätzen . Fehlt ein Abschreckungs-Bädeker , daß es wieder einsam würde und stille Menschen ein vertrautes Wort mit der Natur reden könnten oder von ihr anhören . Wollte auch Morgens den Kerl nicht erleben , der in alter Schweizertracht den Kuhreigen bläst zum Sonnenaufgang , dann im Gasthof sein Trinkgeld einzieht ; daher ab , fort , weg noch in der Nacht ! “ Damit wandte er sich , flüchtig grüßend , von mir und hielt sich seitab wie Einer , der allein sein will . Er war nun wieder der trüb-ernste Mann und saß so versunken in sich wie gestern . Am Tisch auf dem Verdeck entspann sich ein lebhaftes Gespräch über eine Umgestaltung des Rütli , die damals im Plane war ; es handelte sich darum , saubere Wege anzulegen , die drei Quellen in irgend einer Weise zu fassen , und die Meinungen giengen darüber auseinander , ob es passender sei , nur mit schonender Hand die gegebene Natur einigermaßen zu regeln oder bei Fassung der Quellen architektonische Kunstformen anzuwenden , und wenn dieß , in welchem Styl , klassisch , Renaissance , romanisch oder gothisch . Mein Mann wurde aufmerksam , blieb stehen und hörte mit sichtbarem Interesse dem wachsenden Eifer zu , womit die verschiednen Ansichten sich aussprachen , wobei Schweizer und Deutsche , Herren und Damen in bunter Mischung sich betheiligten . Er nahm Platz am Tische , ließ sich sogar ein Glas Wein kommen , zündete eine Cigarre an und man konnte sehen , daß er sich anschickte , sich lebhaft in's Gespräch zu mischen . Einer der Herrn erklärte sich soeben für die Wahl klassischer Formen , für eine Säulenhalle . Jetzt begann der Ankömmling von Weggis : „ Bitte , mein Herr , verzeihen Sie — Klassisch ? ei , das wäre ja der reine “ — Der Herr fiel ihm in's Wort , diesem ein Zweiter , dem Zweiten eine Frau , es gab ein krauses Durcheinander von Stimmen ; eine augenblickliche Pause schien wieder Luft zu gewähren , er setzte wieder an , das Wort wurde ihm wieder aus dem Munde geschnellt , so noch ein drittes Mal , dann fuhr er auf , mit einigen starken Schritten auf mich los , faßte mich ziemlich derb am Arm , zog mich hinweg und sagte : „ Da haben wir wieder das Menschenvolk ! Und darunter sind erst noch Schweizer , Republikaner ! Selbstregierung bei Menschen , die nicht einmal warten können , bis ein Mitmensch ausgeredet hat ? Reif für Tyrannenstock ! Und Sie sind gewiß so klar , nicht zu meinen , ich sei bös um meinetwillen ; ich empöre mich ganz gleich für Jeden , der plump unterbrochen wird . Durch alle Nationen , durch alle Stände geht die Unart ! Wenn die Schwätzschüssel aufgesetzt ist : wie junge Hunde sind sie , die mit den Pfoten in den Milchnapf tappen ! Wie könnten solche Wesen je einen vernünftigen Staat bilden ! Blindes , wirres Pack die ganze Menschenheerde ! Der Freiheit unwürdig ! “ Während ich ihn befremdet , nach einer Antwort suchend , ansah , schien sein Zorn schnell wieder dem stärkeren Interesse am Gegenstand des Gesprächs zu weichen . „ Was sagen Sie zur Sache ? “ fuhr er nach kurzer Pause fort . Ich gestand , nicht darüber nachgedacht , mir keine Ansicht gebildet zu haben . Dieß Wort versetzte ihn sichtbar in eine lehrhafte Stimmung . Mit dem Ausdruck und Ton , womit man zu gründlicher Behandlung eines Themas auszuholen pflegt , begann er : „ Sie haben mir Zutrauen eingeflößt “ — Ich bewegte die Lippen zu einer Erwiderung , er schien zu merken , daß ich etwas von redlicher Theilnahme bei dem gestrigen Vorfall anzudeuten im Begriff war , und sagte kurz und scharf : „ Lassen wir das , “ dann knüpfte er an seine vorigen Worte wieder an : „ Die vorliegende Frage ist eigentlich ohne Belang ; ich meine im Grund auch , man sollte das Rütli lassen wie es ist ; da aber doch einmal Hand daran gelegt werden soll , so drängt sich die Stylfrage auf ; ich beschäftige mich gern mit Kunstgeschichte , insbesondere Geschichte der Architektur ; sie liegt noch ganz im Argen ; man hat den Begriff des Wesens der historischen Hauptstyle noch nicht entdeckt , und wie will man einen neuen finden , wenn man solchen nicht aus dem rechten Grunde des Begriffes schöpft ? Ich erlaube mir , Ihnen meine Idee vorzutragen ; es macht eben Jeder gern Propaganda für seine Gedanken , seine Entdeckungen . Ich unterscheide den rein katarrhalischen Baustyl : dieß ist der klassische ; ferner den gemischt katarrhalischen oder den Katarrhund Frostbeulenstyl : dieß ist der gothische , mit einer Vorstufe , dem romanischen , mit dessen Ergründung und schärferer Begriffsbestimmung ich noch beschäftigt bin ; der Renaissancestyl , wie er aus dem römischen hervorgegangen , gehört einerseits noch zur rein katarrhalischen Form — schon wegen seiner Vorliebe zu Hallen und Loggien — , enthält aber andererseits Keime , um aus ihm den Zukunftsstyl , den einzig richtigen , den absoluten Styl , das heißt den reinen Segensstyl zu entwickeln . “ Ich starrte den eifrig Vortragenden in großer Verblüffung an ; ich mochte unbeschreiblich dumm aussehen . Er ließ sich nicht stören , sondern fuhr sehr ernst fort : „ Sie erkennen doch , daß im klassischen , das heißt rein griechischen Styl Alles auf den Ausdruck des Satzes angelegt ist : hier , auf diesem windigen Peribolos , hier in diesen zugigen Säulenhallen , hier in diesem kühlen , lichtlosen oder ( wenn der Tempel ein hypäthrischer ist ) erst doppelt zugigen Heiligthum wirst du , mußt du — wenigstens gewiß , wenn du ein Nordländer bist — dich verkälten ! — Glauben Sie mir , verehrter Herr , der Anblick solcher Räume in einem Gemälde kann allein schon gefährlich werden . Als ich in Paris zum ersten Mal die Hochzeit zu Cana von Paolo Veronese sah , als ich nur in Gedanken mit dieser glänzenden Gesellschaft in der offenen , luftdurchzognen Halle verweilte , habe ich mir einen meiner bösesten Schnupfen geholt . Wo soll man die Stimmung herbringen , ein solches Gemälde froh zu betrachten , zu bewundern ? — Was wir dagegen aus dem klassischen Baustyl allerdings entlehnen , wie das Entlehnte echt symbolisch weiterbilden sollen , darüber nachher , wenn ich in meiner Auseinandersetzung zum wahren Ideal- oder Segensstyl gelange . Um nun zum gemischt katarrhalischen oder Katarrh- und Frostbeulenstyl überzugehen — er ist für Nordländer geschaffen in einer Zeit der Rohheit , da man nicht wußte , daß das Geschlossene noch nicht genügt , so — “ Er hatte schon bei den letzten Sätzen begonnen , langsamer , unterbrochener , zerstreuter zu reden , die Stimme sank , die Züge verfinsterten sich und es fiel mir seltsam auf , daß er stark einwärts schielend auf seine Nasenspitze hernieder sah . Bei den letztgenannten Worten hielt er plötzlich inne und sagte in gedehntem , tiefem , dumpfem , eigentlich tragischem Tone vor sich hin , als wisse er nicht mehr , daß er im Gespräch mit einem Andern begriffen sei : „ Sie glänzt . “ Er lief plötzlich weg , ließ mich ohne alle Entschuldigung stehen und wandte sich dem fast leeren Platz zweiter Klasse zu . Hier sah ich ihn heftig auf und ab gehen , dunkle Worte vor sich hinmurmelnd , von denen ich , behutsam mich nähernd , doch einmal deutlich den Satz heraushörte : „ Den haben mir die Ungeheuer , die Kellner auf Rigi-Kulm hingelaufen ; — also jetzt zum alten und halbalten ein neuer ! “ — Ich konnte keinen Versuch machen , mit dem Manne noch einmal anzuknüpfen ; Alles sah darnach aus , daß ich heftig abgewiesen würde . Was der gemischt katarrhalische Baustyl , was der reine Segensstyl sei , das sollte mir im Schooß des ewigen Dunkels verborgen bleiben , wenn nicht ein glücklicher Zufall mir noch zum Lichte verhalf . Ich stieg in Brunnen aus , um einen ruhigen Abend in dem freundlichen Dorfe zuzubringen , das in die Verengung des Sees so reizend sich einschmiegt , und entschloß mich nun gleichzeitig , den andern Tag bis Flüelen auf der neuen Axenstraße zu gehen , nahm ein Zimmer im nächsten Wirthshaus und suchte schnell wieder das Freie , um von der Landungsstätte den großen Blick aufwärts und abwärts über den See , über die wilden und doch am Fuße so anmuthig bekränzten Ufer zu gewinnen . Auf der Bank vor dem Hause saß mein Mann ; ich hatte nicht bemerkt , daß er mit mir ausgestiegen war . Er schien alles Leid vergessen zu haben , denn er spielte wie ein Kind mit zwei jungen Hunden , deren Hanswurstpossen ihm sichtbar ein volles , ungetheiltes Vergnügen bereiteten . Ich blieb stehen und hatte meinen Spaß an dem Anblick . „ Sind Sie auch ein Hundsfreund ? “ fragte er ganz heiter ; ich bejahte es , er ergieng sich in Bemerkungen über die Rasse der drolligen Gesellen , die von mehr als gewöhnlicher Kennerschaft zeugten , er zeigte mir an beiden eine Reflexbewegung , von der er behauptete , sie komme fast ohne Ausnahme bei allen Hunden vor ; er kratzte nämlich scharf an einer Stelle der Brust , worauf alsbald der eine Hinterfuß in ein heftiges , unwillkürliches Scharren gerieth ; ich meinte , es sei dieß keine bloß physiologische Action , der Hund meine , scharren zu müssen , weil er durch das Kratzen gekitzelt werde ; er bestritt es heftig als eine „ seicht rationalistische “ Deutung , und ich bemerke gelegentlich , daß ich nach vielen seither gemachten Beobachtungen diesem Gelehrten Recht geben muß ; wir plauderten dieß und das über den ehrlichen Gespielen , Diener , Wächter des Menschen , und mein Mitfreund des wackeren Geschlechts bedauerte schließlich lebhaft , daß er ein prächtiges Paar , einen großen Hatzrüd und einen Rattenfänger habe zu Haus lassen müssen ; der erste sei „ ganz ein Charakter , der zweite Charakter mit Frechheit und Humor “ . Ich fragte , ob ich ihn nicht zu einem kleinen Spaziergang einladen dürfe , die Abendbeleuchtung sei so schön ; er schüttelte lächelnd den Kopf und sah mit erklärendem Blick auf seine zwei Hunde . Ich gieng allein . Später , beim Abendessen , sah ich den seltsamen Kauz nicht ; als ich aber nachher im Vorbeigehen einen Blick in die allgemeine Wirthsstube warf , entdeckte ich ihn mitten unter breitschulterigen Bürgersleuten , größ tentheils in Hemdärmeln ; er lauschte mit glänzenden Augen den rauhen Rachentönen des lauten Gesprächs und den wiehernden Jodlern , die es unterbrachen , und das Durcheinander der Stimmen schien ihn dießmal durchaus nicht zu belästigen . Das Bild erschien mir so heiter naiv , daß ich fast bedauerte , nicht dasselbe Theil erwählt zu haben , denn ich war langweilig genug unter einigen steifen Theegesichtern in der „ salle à manger “ gesessen , wozu ich das früher einfache Landwirthshaus emporgeschraubt finden mußte . Ich konnte lang nicht einschlafen , hörte meinen Wandnachbar in sein Zimmer treten , sich auskleiden und zu Bett legen . Das Haus war so hörsam , daß selbst das Nagen einer Maus im Nebenzimmer meinem Ohre nicht entgieng . Den unbekannten Bewohner desselben hielt ich für längst eingeschlafen , als ich die Worte vernahm : „ Ach , es fängt an . “ Es war die Stimme meines armen Verkälteten . Was denn auch wirklich anfieng , war ein scharfes Husten und häufiges starkes Räuspern und Spucken , das , von tiefen Seufzern unterbrochen , zu meiner eigenen Qual wohl eine Stunde dauerte , dann aber einem fürchterlichen Schnarchen Platz machte , das im ganzen Register einer Orgel sich hin und her bewegte , oft von stoßenden , plötzlich abschnappenden Tönen und bangen Pausen unterbrochen , worin der musikalische Schläfer nach Athem zu ringen schien . Ich hätte ernstlich für seine Lunge gefürchtet , wenn nicht seine Gesichtsfarbe , gewölbte Brust , Energie der Bewegungen , wie ich sie während des Tags beobachtet hatte , eine ausdauernde Widerstandskraft verbürgt hätten . Endlich schlief ich doch selbst ein , freilich nur , um sehr früh geweckt zu werden und zwar durch ein Auf- und Abgehen meines Nachbars , das mit Geräuschen wechselte , aus denen ich auf ein ungeduldiges Suchen in Schubladen , auf Tischen , in allen Geräthen des Zimmers schließen mußte . Das Laufen , Stöbern wurde immer heftiger , ein Selbstgespräch , das diese wilden Bewegungen zuerst leis begleitete , wurde lauter und lauter und gieng dann in wüthende Ausrufungen , endlich in einen Hagel von Flüchen über , die in der That nicht christlich , vielmehr türkisch , ja heidnisch zu nennen waren und von einem wüthenden Stampfen und Wettern begleitet wurden . Ich hielt es nicht mehr aus , der Mensch schien mir rein toll geworden , ich kleidete mich flüchtig an , klopfte an seiner Thüre und trat , in meiner Aufregung die Form vernachlässigend , in's Zimmer , ohne auf das „ Herein “ zu warten . Mit zornsprühenden Augen , hochroth im Gesicht , fuhr der Bewohner auf mich zu , er schien mich an der Kehle packen zu wollen ; plötzlich aber faßte er sich , stand unbewegt vor mir , sah mich mit durchdringendem Blick an und sagte ruhig streng : „ Mein Herr , Sie führt ein Bildungsbedürfniß hierherein . “ Das schlechte Gewissen , das ich über meine Formverletzung hatte , machte mich wehrlos , ganz kleinlaut sagte ich : „ Ja , “ und fragte nun , was er denn aber um's Himmels willen eigentlich habe . A. E. — so wollen wir meinen Reisebekannten von nun an der Kürze halber nennen — fiel jetzt wieder in seinen Wuthzustand und schrie mit Donnerlaut : „ Meine Brille , meine Brille ! Die Canaille hat sich ja wieder einmal verkrochen , — vom Schlüssel , dem kleinen Teufel , vorerst nicht zu reden ! “ „ Also Ihre Brille suchen Sie ? Ist dieß Objekt es werth , in solche Wuth zu gerathen ? Kennen Sie denn auch gar keine Geduld ? “ Er wollte gegen mich auffahren , faßte sich aber auch dießmal wieder , sah mich an und sagte : „ Schraubenschlüssel ? Pfropfzieher ? “ „ Was soll das ? “ „ Nun , neulich träumte mir schrecklicherweise , ich habe eine Frau ; ich lachte sie aus , daß sie die Zeitung unaufgeschnitten lese und jahrelang eine Schublade dulde , die nicht geht . Hierauf hielt sie mir eine Geduldpredigt und verlangte , ich solle zur Uebung dieser Tugend an meinem Rock statt Knopflöcher und Knöpfe Schrauben und Schraubenmüder tragen , die sich ja ganz elegant von blau angelaufenem Metall herstellen ließen , oder auch Pfröpfe , und ich könne jedesmal , wenn ich den Rock öffnen wolle , jene mit einem Schraubenschlüssel , diese mit einem Pfropfzieher aufmachen . — O was ! ein Weib ist fähig , über einen Schrank einen Teppich so zu legen , daß er über die oberste Schublade überhängt und so oft diese gezogen und geschlossen wird , sich einklemmt ! Mein Herr , das Weib hat Zeit für den Kampf mit dem Racker Objekt , sie lebt in diesem Kampf , er ist ihr Element ; ein Mann darf und soll keine Zeit hiefür haben , er braucht seine Geduld auf für das , was der Geduld werth ist . Ueber die Zumuthung , Beides zu verwenden gegen das Unwerthe , kann , darf , soll er wüthen ! Sie können doch wissen , daß die elenden Objekte , diese Igel , diese Nickel , sich nie lieber einhaken , als wenn wir die höchste Eile haben , etwas fertig zu bringen , was nöthig und vernünftig ist ! Elender Bettel , nichtswürdiger Knopf oder Knäuel eines Bändels , Lorgnettenschnur , die sich um meinen Westenknopf wickelt , just wenn es auf der Eisenbahn auf's Aeußerste eilt , einen klein gedruckten Fahrplan nachzusehen , ich hab' ja keine Zeit , keine Zeit für euch ! Und wenn ich tausend Blutigel an die Ewigkeit setze , sie ziehen mir nicht eine Sekunde Zeit für euch heraus ! “ „ Was nützt aber die Wuth ? “ „ O , geistlos ! Hat es Luther nichts genützt — falls von Nutzen die Rede sein soll — , wenn er den Teufel fortschalt ? Wißt ihr denn nichts von Entlastung der armen Seele ? Von der köstlichen Arznei , die im Fluchen liegt ? “ Der böse Geist kam mit neuer Gewalt über ihn , er schoß wüthend im Zimmer hin und her und ergoß eine Flut von Schimpfwörtern auf die arme Brille . Ich suchte inzwischen am Boden herum ; ich hob ein paar Hemden weg , die blank , aber zerzaust umherlagen , und mein Blick fiel auf ein Mausloch in einem Bretterspalt ; ich glaubte darin etwas schimmern zu sehen , strengte meine Augen an , die sich einer guten Sehkraft erfreuen , und die Entdeckung war gemacht ; ich nahm den schwergeärgerten Mann leicht am Arm und deutete schweigend auf die Stelle . Er stierte hin , erkannte die vermißten Gläser und begann : „ Sehen Sie recht hin ! Bemerken Sie den Hohn , die teuflische Schadenfreude in diesem rein dämonischen Glasblick ? Heraus mit dem ertappten Ungeheuer ! “ Es war nicht leicht , die Brille aus dem Loch zu ziehen , die Mühe stand wirklich in Mißverhältniß zum Werthe des Gegenstands , endlich war es gelungen , er hielt sie in die Höhe , ließ sie von da fallen , rief mit feierlicher Stimme : „ Todesurtheil ! Supplicium ! “ hob den Fuß und zertrat sie mit dem Absatz , daß das Glas in kleinen Splittern und Staub umherflog . „ Ja , jetzt haben Sie aber ja keine Brille , “ sagte ich nach einer Pause des Staunens . „ Wird sich finden , diese Teufelsbestie wenigstens hat ihre Strafe für jahrelange unbeschreibliche Bosheit . Kommen Sie , da , sehen Sie ! “ Er zog seine Uhr heraus ; es war eines der ordinärsten , in der That gemeinsten Produkte der horologischen Industrie , ganz Zwiebel . „ Statt dieses redlichen , treuen Wesens , “ fuhr er fort , „ fungirte früher eine goldene Repetiruhr , die , ich kann es sagen , ihr Stück Geld gekostet hatte ; sie vergalt dieses Opfer jahraus jahrein mit Tücken jeder Art , gieng nie recht , benützte arglistig jede Gelegenheit , zu fallen , sich zu verstecken , Gläser zerbrachen so viele , daß es mich bald an den Bettelstab gebracht hätte , endlich setzte sie sich mit dem Haken der goldenen Uhrenkette in Einverständniß , in Verschwörung . Mit den Haken , mein Herr , hat es nämlich eine eigene Bewandtniß . Das Tendenziöse , was im Objekt überhaupt liegt — darüber wäre Einiges zu sagen , mein Herr , aber das ist von langer Hand — das Tendenziöse spricht sich so offenkundig in der Galgenphysiognomie der Haken aus , daß man im Umgang mit diesen hämischen Gesichtern leicht unvorsichtig wird ; man denkt : dich kenne ich ja , dich verräth deine griffige , vor sich selbst warnende Bildung , du wirst mich nicht überlisten ; eben darüber wird man im Gegentheil fahrlässig . Ganz umgekehrt verhält es sich bei so manchen anderen Objekten . Wer sollte zum Beispiel einem simplen Knopf seine Verruchtheit ansehen ? Aber ein solcher Racker hat mir neulich folgenden Possen gespielt . Ich ließ mich gegen alle meine Grundsätze zur Theilnahme an einem Hochzeitsschmaus verleiten ; eine große silberne Platte , bedeckt mit mehrerlei Zuspeisen , kam vor mich zu stehen ; ich bemerkte nicht , daß sie sich etwas über den Tischrand heraus gegen meine Brust hergeschoben hatte ; einer Dame , meiner Nachbarin , fällt die Gabel zu Boden , ich will sie aufheben , ein Knopf meines Rockes hatte sich mit teufelischer List unter den Rand der Platte gemacht , hebt sie , wie ich schnell aufstehe , jäh empor , der ganze Plunder , den sie trug , Saucen , Eingemachtes aller Art , zum Theil dunkelrothe Flüssigkeit , rollt , rumpelt , fließt , schießt über den Tisch , ich will noch retten , schmeiße eine Weinflasche um , sie strömt ihren Inhalt über das weiße Hochzeitkleid der Braut zu meiner Linken , trete der Nachbarin rechts heftig auf die Zehen , ein Anderer , der helfend eingreifen will , stößt eine Gemüseschüssel , ein Dritter sein Glas um — o , es war ein Hallo , ein ganzes Donnerwetter , kurz ein echt tragischer Fall : die zerbrechliche Welt alles Endlichen überhaupt schien in Scherben gehen zu wollen ; mich ergreift die Stimmung des Erhabenen , ich fasse zunächst eine Champagnerflasche , trete an's Fenster , öffne es , schwinge sie empor , der Bräutigam fällt mir in den Arm , ich erzürne mich , es gibt bös Blut , die Braut war ohnedieß halb ohnmächtig , kurz , — ich mag nicht weiter erzählen , denn nun wurde die Sache komisch . “ — „ Ernst , wollen Sie sagen ? “ Er staunte mich an wie einen Menschen , der alle gesunden Begriffe verwirrt ; ich verzichtete auf weiteres Eingehen und bat ihn , das Trauerspiel von Haken und Uhr zu vollenden . „ Ja , so , ja , also : der Haken schliech in einer Nacht über das Tischchen , worauf ich die Uhr achtsam gelegt , leise hinüber nach dem Bett , nestelte sich in eine Naht des Kissenüberzugs ein , das Kissen war mir überflüssig , ich hob es rasch und warf es an das Fußende des Bettes , die Uhr nun natürlich mit ; in einem prächtigen Bogen schwang sie sich an die Wand und fiel mit zersplittertem Glase nieder . Es war genug . Ich zertrat sie feierlich wie diese Verbrecherin von Brille , der Kobold gab dabei einen Ton von sich , einen Pfiff wie eine verfolgte Maus , ich kann schwören , daß es ein Laut war , der nicht im Umfang der physikalischen Natur liegt . Nun , dann habe ich mir hier diese bescheidene Zeigerin der Zeit um niederträchtig geringes Geld gekauft ; betrachten Sie die Gute : bemerken Sie den Ausdruck von Biederkeit in diesen schlichten Zügen ; seit zwanzig Jahren dient sie mir — unberufen , unberufen ! — treu und ehrlich , ja ich kann sagen , nicht Einen Verdruß hat sie mir bereitet . Die goldene Uhrenkette hat jetzt mein Bedienter , der Haken wurde zu schmachvollem Tod in der Kloake verdammt und ich trage meine redliche Zwiebel an dieser sanftgearteten seidenen Schnur ; Johann , der muntre Seifensieder . “ A. E. war während dieser Darstellung , in deren Breite er sich zu gefallen schien , ganz ruhig geworden und fuhr gelassen fort : „ Jetzt das Uebrige ! Die übrige Geschichte dieser schwarzen Morgenstunde ! „ Zuerst springen an drei Hemden die Knöpfchen ab , da ich sie anziehen will . Ja , ja , so ein Hemdknopf ! Ein Bär stellt sich ehrlich zum Kampf ; ich weiß , was ich zu thun , wie ich meine Waffe anzuwenden habe ; einen hundertjährigen Eichbaum kann ich mit Kraft und Ausdauer umhauen ; aber der Knirps ! Ich soll Kraft anwenden , denn die Bestie will absolut nicht durch's Knopfloch , und ich soll sie zugleich ebenso sehr gar nicht anwenden , sondern ganz fein und leicht mit den Fingerspitzen arbeiten , und indem ich mich placke , schinde , abrackere , foltere , tödte , das Widersprechende zu leisten , — o lustig ! springt die Schmachcanaille erst recht ab ! Die Teufel nehmen Besitz vom Weibe , uns dieß Scheusliche zu bereiten . Ich habe es von glaubwürdigen , wahrheitliebenden und besonnenen Ehemännern : wegen der Hemdknöpfchen heirathet man und dann ist es erst recht nichts damit . — Weiter ! — Nur im Vorbeigehen will ich anführen , daß mich zuerst beim Ankleiden ein höchst ränkesüchtiges Armloch gute fünf Minuten lang insultirt hat , — dabei blieb ich aber noch ganz ruhig — denn ich kann mich beherrschen , mein Herr ! Nun aber sehen Sie diesen Schlüssel “ — er zog einen kleinen Schlüssel hervor , der wohl zu seiner Reisetasche gehörte , — „ und sodann diesen Leuchter ! “ — er hielt mir den metallenen Leuchter umgekehrt vor 's Auge , so daß ich in die Höhlung seines Fußes sah ; — „ was glauben , was denken , was sagen Sie ? “ „ Ja , was weiß denn ich ? “ „ Stark eine halbe Stunde lang habe ich heute Morgen diesen Schlüssel gesucht , — es war zum Rasendwerden , da finde ich ihn endlich , sehen Sie , so ! “ Er legte den Schlüssel auf das Tischchen am Bett , stellte den Leuchter darauf ; der Schlüssel fand just , wie ausgemessen , Platz unter dem Leuchterfuß . „ Wer kann nun daran denken , wer auf die Vermuthung kommen , wer so übermenschliche Vorsicht üben , solche Tücke des Objekts zu vermeiden ! Und dazu lebe ich ! An solches hündische Suchen muß ich meine arme , kostbare Zeit verschwenden ! Suchen , suchen , und wieder suchen ! Man sollte nicht sagen : so und so lang hat A. oder B. gelebt , nein : gesucht ! — Und ich bin sehr , sehr pünktlich , glauben Sie mir das ! “ — Ja wohl ist das Leben ein Suchen , sagte ich mit einem Seufzer , der scheinen konnte den Mühen des Lebens zu gelten , während er in Wahrheit von der Langenweile ausgepreßt war , da die breite Beschäftigung mit dem Bagatell mich denn doch zu ermüden begann . Daher denn auch die flache Bemer kung selbst , die nur um jeden Preis nach einem Inhalt abzulenken suchte . Ich kam schlecht an . „ So , mein Herr , symbolisch ? “ sagte er . „ Und das soll dann tiefer sein ! Ah , Oh ! “ „ Nun , was denn ? “ „ Sehen Sie , mein Herr , suchen im bildlichen Sinn , darüber , daß das Leben so ein Suchen ist , darüber klage ich nicht , darüber sollen Sie nicht seufzen . Das Moralische versteht sich immer von selbst . Ein rechter Kerl sucht , strebt und beschwert sich nicht darüber , sondern ist glücklich in diesem Unglück der aufsteigenden und nie anlangenden Linie des Lebens . Das ist unser oberes Stockwerk . Aber die Zugabe , die Hundenoth gleichzeitig im untern Stockwerk des Lebens , — davon ist die Rede . Da ist also zum Beispiel das Suchen , das so toll , so nervös , so wahnsinnig macht . Man verfällt ja dabei immer in den Theismus . Der liebe Gott , der oben herunterschaut , der die Haare auf unserem Haupte zählt , der mich nun stundenlang meine Brille suchen sieht , — er sieht ja auch die Brille , weiß recht gut , wo sie liegt , — ist es zum Ertragen , nun denken zu müssen , wie er lachen muß ? — Allgütiges Wesen ! Meinen Sie , ein solches würde ferner den Katarrh zulassen ? Leben — Suchen — Spucken ! Da sagen die thörichten Menschen von einem Ausgedienten , von einem Erlösten , von dem sie meinen , er gehe als Geist um , er spucke ! Dummes Zeug , aus hat er gespuckt ! O , wir sind geboren , zu suchen , Knoten aufzudröseln , die Welt mit Hühneraugen anzusehen , und ach ! zu niesen , zu husten und zu spucken ! Der Mensch mit seines Hauptes gewölbter Welt , mit dem strahlenden Auge , dem Geist , der in die Tiefen und Weiten blitzt , mit dem Fühlen , das mit Silberschwingen zum Himmel aufsteigt , mit der Phantasie , die ihres Feuers goldene Ströme ausgießt über Berg und Thal und sterblich Menschenbild zum Gott verklärt , mit dem Willen , dem blanken Schwert in der Hand , zu schlichten , zu richten , zu bezwingen , mit der frommen Geduld , zu pflanzen , zu pflegen , zu wachen , daß der Baum des Lebens wachse , gedeihe und Himmelsfrucht jeder sanften Bildung trage , der Mensch mit der Engelsgestalt des ewig Schönen im ahnenden , sehnenden Busen — ja , dieser Mensch verwandelt in einen schleimigen Mollusken , zur klebrigen Auster erniedrigt , ein Magazin , ein Schandschlauch für vergährenden Drüsensaft , eine Schnäuzmaschine , im Hals ein zackig Kratzeisen , ein Nest von Teufeln , die mit feinen Nadeln nächtelang am Kehlkopf kitzeln , die Augen trübe , das Hirn dumpf , stumpf , verstört , der Nerv giftig gereizt und dabei erst nicht als Kranker geltend , noch geschont — und da soll es einen Gott — ! “ Hier gerieth mein Gottesleugner in ein Niesen und Husten so theilnahmwerther Art , daß ich eine Bemerkung , die mir auf der Zunge lag : der Ka tarrh sei denn doch nicht der gewöhnliche Zustand des Menschen , gern unterdrückte ; ich konnte freilich ohnedieß ahnen , daß ich schlecht damit gefahren wäre . Dagegen wollte ich mich doch nicht enthalten , als der Paroxismus zu Ende war , vorzubringen : „ Aber was machen Sie denn , wenn Sie ernstlich , schwer krank sind ? “ A. E. war inzwischen daran , sich reisefertig zu machen , wurde über einem Hinderniß , das sich an der Rückseite seiner Beinkleider zu befinden schien , noch einmal sichtlich aufgeregt , trat plötzlich hart vor mich , machte straff wie ein Soldat Rechtsumkehrt und schrie sehr laut und schroff : „ Hier ! “ Ganz verdutzt , als ich nun so breit seinen Rücken vor mir hatte , dachte ich , ob denn dieß der Anfang des versprochenen Bildungsunterrichts sein solle ; er ließ mir ziemlich Zeit zur Betrachtung , bis der Aufschluß kam : „ Sehen Sie die Lappen am Hüftgurt ? sind fünfmal , sage fünfmal beim Schneider gewesen vor der Abreise ; zuerst zu lang oder zu weit , dann wieder zu kurz oder zu eng , dann Beides noch einmal so — nun ? wie steht 's mit der Theologie ? “ Ich verstand jetzt , daß ich sehen sollte , wie die Lappen einander zu nah angenäht waren , die Gürtung also nicht genug angezogen werden konnte ; er war zufrieden , als ich mein Verständniß kund gab , und nun schien der Sturm ausgetobt zu haben . Meine vorige Bemerkung fiel ihm jetzt wieder ein . „ Was haben Sie von recht Kranksein gesagt ? Nun , das ist ja Geduld werth . Das Moralische versteht sich immer von selbst . “ Er hatte inzwischen seine Reisetasche gepackt , wobei er , wie ich bemerkte , sehr geschickt zu Werke gieng ; es galt , viele Kleinigkeiten in kleinen Raum zusammenzufügen , und er brachte es ganz nett zu Stande ; Ungeschicklichkeit , das sah ich , konnte nicht die Ursache des Kriegszustandes sein , in dem er mit dem Bagatell sich befand . Er sagte mir nun , er wolle seine Reise auf der Axenstraße am See zu Fuß fortsetzen . Leicht konnte er sich denken , daß ich wahrscheinlich ebendasselbe vorhabe ; der Gedanke eines Zusammenwanderns lag , da wir denn doch schon Bekannte waren , nahe genug , aber es fiel ihm nicht ein , auch nur einen Wink zu geben , der entfernt einer Einladung gleichgesehen hätte . Ich dachte , er erwarte , daß ich mich ihm erst vorstelle , und begann : „ Erlauben Sie , es ist doch wohl Zeit , daß ich mich Ihnen — “ Er unterbrach mich : „ Bitte , danke , lieber nicht , — verzeihen Sie , es ist nicht Maske , nicht Geheimthuerei von mir , gewiß nicht , liebe aber , auf der Reise wenigstens , Alles klar , frei . Name und Stand macht Nebengedanken , führt auf Namen-Etymologie und dergleichen , wir sind eben Jeder ein Ich , eine Person oder , wie Fischart sagt , seelhaftes Lebwesen ; wir befinden uns besser so . “ Ich war nun schon im Zuge , dem wunderlichen Kauz nichts übel zu nehmen , und da , wie ich gestehe , meine Neugierde nach Namen und Stand eben auch nicht groß ist , so ließ ich mir's unschwer gefallen , daß ich auch nicht erfahren sollte , wen ich eigentlich vor mir habe . Ich reichte auf der Schwelle die Hand zum Abschied und A. E. wollte sie eben nehmen , als ihm einfiel , daß er doch erst frühstücken sollte ; dieses Werk wenigstens noch gemeinsam zu verrichten , dagegen schien er denn doch nichts zu haben und so stieg ich mit ihm in die „ salle à manger “ hinab . Beim Eintreten bemerkte ich , daß er einen ängstlich suchenden Blick nach den vier Ecken des Saales , und zwar auf den Fußboden , warf ; der Blick kehrte beruhigt zurück , als er in der vierten ein kleines Geräthe bemerkte , das hustenden Menschen erwünscht sein mag ; mit höchst gemüthlichem Tone sagte er : „ Der Saal ist doch ganz ordentlich möblirt , “ und von da schien eine erträglich gute Laune bei ihm einzutreten . Das Frühstück stand nach Art der Schweizer-Gasthöfe in diesen Frühstunden stets bereit und A. E. — nachdem er Honig und Butter heftig weggeschoben hatte — griff rüstig zu , ich deßgleichen . Wir waren allein im Saale , doch bald trat ein dritter Reisender ein . Es war ein Mann von gesetzten Jahren , er trug ein Staubhemd von ungebleichter Leinwand mit einem kleinen , über die Schultern hängenden Kragen und auf dem Rücken einen nicht ungewichtigen Leinwandtornister , auf seiner Stirne lag ein bemerklicher Wanderschweiß , man sah , er hatte diesen Morgen schon einige Stunden zurückgelegt ; er legte seine Last ab , stellte den soliden , bauschigen Regenschirm in eine Ecke , nicht ohne ihn mit einem Blick zu betrachten , der eine innere Zufriedenheit mit dem gediegenen und nützlichen Geräth aufdrückte , begab sich rasch an den Tisch , setzte sich an sein anderes Ende , rückte sich den Stuhl recht nahe , zog eine Brille hervor , besah sich , was aufgesetzt war , schien mit der Vollständigkeit der Dinge , die zu einem englischen Frühstück gehören , sehr einverstanden und begann mit dem vollen Ausdruck einer Seele , die sich bewußt ist , daß ihr Leib sein Frühstück redlich verdient habe , die genußverheißende Arbeit des Schneidens und Butterstreichens . Es war leicht zu ersehen , daß der Mann dem Gelehrtenstande angehören mußte , und seine etwas bleiche Gesichtsfarbe legte den Schluß nahe , daß er zu jener Gattung der Gebirgsreisenden gehören möge , die durch starke Fußmärsche in Ferien einzubringen suchen , was sie durch sitzende Lebensart das Jahr hindurch ihrem Organismus Leides zufügen müssen . A. E. , der inzwischen die Eßlust gestillt , schien zum Abmarsch keine besondere Eile zu haben , steckte sich gemächlich eine Cigarre an und begann zu mir : „ Sie geben also zu , daß die Physik eigentlich Meta physik ist , Lehre vom Geisterreich . Das heißt , ich vermuthe , daß Sie es zugeben , wiewohl ich es Ihnen philosophisch eigentlich noch nicht begründet habe , denn was Sie sicherlich bereits erkannt haben , das ist die allgemeine Tendenziosität , ja Animosität des Objekts , des sogenannten Körpers , was die bisherige Physik geistlos mit Namen wie : Gesetz der Schwere , Statik und dergleichen bezeichnet hat , während es vielmehr aus Einwohnung böser Geister herzuleiten ist . “ Der Fremde hatte inzwischen einen länglichen Brodlaib höchst kunstgerecht , wie man es wohl im „ Kurmärker und die Picarde “ vom preußischen Landwehrmann verrichten sieht , der Länge nach entzweigeschnitten und war eben beschäftigt , die Butter schön und glatt wie mit einem Modellirholz aufzustreichen ; er hielt bei diesen Worten einen Augenblick inne , warf unter den buschigen Brauen einen sonderbaren Blick nach uns herüber und fuhr dann nachdenklich in seinem plastischen Geschäfte fort , indem er öfters mit einem Ausdruck von Staunen und Ironie den Kopf hin und her wiegte . Es kam mir der Gedanke , ob A. E. auf ihn berechne . Es schien entschieden nicht . Er hatte auf den Eintretenden nur einen raschen Blick geworfen , freilich einen scharf erfassenden , denn sein Auge pflegte zu blicken , als wäre eine fest greifende Hand darin , doch nicht ein Zeichen ließ vermuthen , daß er sich weiter um den Unbekannten kümmere . „ Animos , “ fuhr er fort , — „ haben Sie denn auch nur schon beobachtet , wie das fallende Papierblatt uns verhöhnt ? Sind sie nicht wahrhaft graziös , die Spottbewegungen , womit es hin und her flattert ? Sagt nicht jeder Zug mit blasirt eleganter Frivolität : doch noch gewonnen !? O , das Objekt lauert . Ich setze mich nach dem Frühstück frisch , wohlgemuth an die Arbeit , ahne den Feind nicht . Ich tunke ein , zu schreiben , schreibe : ein Härchen in der Feder , damit beginnt es . Der Teufel will nicht heraus , ich beflecke die Finger mit Tinte , ein Flecken kommt auf's Papier , — dann muß ich ein Blatt suchen , dann ein Buch und so weiter , und so weiter , kurz , der schöne Morgen ist hin . Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht , so lang irgend ein Mensch um den Weg ist , denkt das Objekt auf Unarten , auf Tücke . Man muß mit ihm umgehen wie der Thierbändiger mit der Bestie , wenn er sich in ihren Käfig gewagt hat ; er läßt keinen Blick von ihrem Blick und die Bestie keinen von seinem ; was man da von der moralischen Gewalt des Menschenblickes vorbringt , ist nichts , ist Märchen ; nein , der starre Blick sagt dem Vieh nur , daß der Mensch wacht , auf seiner Hut ist , und Blick gegen Blick , gleich fix gespannt , lauert es denn , ob er sich einen Augenblick vergesse . So lauert alles Objekt , Bleistift , Feder , Tintenfaß , Papier , Cigarre , Glas , Lampe — Alles , Alles auf den Augenblick , wo man nicht Acht gibt . Aber um Gottes willen , wer kann 's durchführen ? Wer hat Zeit ? Und wie der Tiger im ersten Moment , wo er sich unbeobachtet sieht , mit Wuthsprung auf den Unglücklichen stürzt , so das verfluchte Objekt : plumper oder feiner , wie es kommt , diabolisch fein zum Beispiel das Eisenfeilstäubchen , das mir in's Auge flog am Morgen , als ich eine Fußreise antreten wollte , auf die ich mich lange gefreut , und das mich um's Auge zu bringen drohte — o , überhaupt : glauben Sie , wenn ein ordentlicher Mensch reisen will , halten die Teufel ein ökumenisches Konzil , — Vorschläge — Anträge — Amendements — zum Exempel : Antrag : Hühnerauge , Amendement : unter dem Nagel ; oder Antrag : Grimmen auf der Eisenbahn , Amendement : in Gesellschaft einer Dame ; Antrag : schlecht Wetter , Amendement : zerrissene Schuhe und die neuen zu eng . Doch nicht immer waltet aggressive Form . Das Objekt liebt in seinem Teufelshumor namentlich das Verschlupfspiel . Wie die gute , sorgende , schützende Natur einige Thiere dem Boden gleich färbt , bildet , auf dem sie leben , sich nähren , damit sie der Feind schwerer entdecke — Raupe , Schmetterling der Baumrinde , dem Baumblatt , Hase der Erde gleich — , so verfahren auch gern die Dämonen : zum Beispiel rothbraunes Brillenfutteral versteckt sich auf rothbraunem Möbel ; doch Haupttücke des Objekts ist , an den Rand kriechen und sich da von der Höhe fallen lassen , aus der Hand gleiten , — du vergißest dich kaum einen Augenblick und ratsch — “ Wir hörten in diesem Augenblick ein kleines Geräusch von der Seite des dritten Gastes her , sahen ihn hastig unter den Tisch fahren und mit einem Körper in der Hand wieder auftauchen , den er mit großem Schrecken und darauf folgender tiefer Wehmuth betrachtete . Es war sein zuerst mit Butter , dann mit Honig ebenso korrekt gestrichenes , als korrekt geschnittenes Brod , und dasselbe war — „ natürlich “ würde A. E. sagen — auf die gestrichene Seite gefallen . Ich unterdrückte nur nothdürftig einen mächtigen Lachreiz , denn es war doch auch gerade , als ob das „ Ratsch “ und das Fallen des Brodes in einem geisterhaften Kausalitätsverhältniß gestanden wären . A. E. sah ganz ernst hinüber und nickte sanft mit dem Kopfe , ohne einen Zug des Spottes , ja eher mit einem Zug der Theilnahme , als wollte er sagen : das kennen wir armen Sterblichen . Der Fremde schoß jetzt nicht nur einen , sondern eine Batterie von Blicken , grimmigen , auf uns herüber und machte sich höchst verdrießlich an das Geschäft , dem unheilbaren Schnitten einen entsprechenden Nachfolger hervorzubringen . A. E. fuhr ruhig fort : „ Dann ist es überhaupt so eine Sache mit dem Ding da , den zwei Dingern , was Kant die reinen apriorischen Anschauungsformen nannte . “ „ Raum und Zeit ? “ „ Eben . Was ist der Raum denn Anderes , als die unverschämte Einrichtung , vermöge deren ich , um den Körper a hieherzusetzen (— er zeigte es an Tassen , Kannen , Körbchen , Flaschen , Gläsern , die etwas dicht auf dem Tische standen — ) , vorher b dort weg , um Platz für b zu bekommen , wieder c da hinweg stellen muß und so mit Grazie in infinitum — ? Und die Zeit ? Das ist dasjenige , was man dazu doch nicht hat . Denn Donnerwetter und alle tausend Teufel , leben wir dazu , um zehn Griffe nöthig zu haben zu dem , was kaum Eines Griffs werth ist ! “ Der Unbekannte bewegte jetzt stärker und ärgerlich lachend den Kopf hin und her und eine sichtbare Unruhe kam ihm in die Beine . A. E. war nun gut im Zuge . „ Ein andermal , “ fuhr er fort , „ sind die Nickel unverschämt in entgegengesetzter Richtung . Jetzt will zusammen , was nicht zusammengehört . Kennen Sie eine der verfluchtesten Formen : das Mitgehen ? Wenn so ein liebenswürdiges Blatt , das zum Aktenstoß Y gehört , beim Ordnen , Aufbewahren zu unterst an Fascikel Z hinkriecht und mit hinein in das Schubfach schlüpft und sich über Tag , Woche oder Jahr nicht finden , sich suchen läßt unter Verzweiflung , Wuth , Rennen bis zum Wahnsinn ? Dagegen ist so was , wie das bekannte , ewige Unterschlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des Nachbars nur ein kleiner , zierlich pikanter Spaß des teufelbesessenen Objekts , doch interessant als allein schon hinreichend , unsere dumme Physik zu stürzen , denn wer könnte so etwas mechanisch erklären ? “ Jetzt fuhr der Fremde auf mit dem Ruf : „ Es wird zuviel ! “ stieg mit straffen Schritten auf uns los , pflanzte sich vor A. E. auf und mit Zornblick rief er : „ Mein Herr ! Wissen Sie , ich bin Professor der Physik ! Sie haben mir aber auch gleichsam mein Butterbrod hinuntergeworfen ! “ A. E. verweilte auf dem Mann mit einem ganz gelassenen , ganz kontemplativen Blick und schwieg . Was werden sollte , wer konnte es wissen ? Plötzlich stieg ihm eine flammende Röthe in's Gesicht , seine Augen funkelten , er fuhr auf und ich , da ich meinen Mann eben doch noch nicht so ganz kannte , wurde schon für den Frieden besorgt , als er mit Sturmschritten , ja mit Sätzen wie ein Panther quer über das Zimmer nach einer Ecke schoß , wo das oben zart erwähnte Geräthe stand , und nun gieng ein Husten , Niesen mit untermischtem Schlucken , seltsamen , wilden Gurgelund Schnapptönen , ein so schreckliches Glucksen , Kollern , Fauchen , Raspeln , Schnarren , Stöhnen , schußartiges Bellen los , als hörte man die rasende Musik eines Chors von Höllengeistern . Es dauerte ziemlich lange , bis diese furchtbare Naturerscheinung vorüber war , dann richtete sich der leidende Mann matt in die Höhe , griff nach Hut , Tasche , Stab und sagte im Abgehen zu mir mit jammernswerth fistulirender Stimme : „ Bitte , haben Sie die Güte , den Herrn zu beruhigen ! Guten Tag beiderseits . “ Der Herr war im Schrecken zur Seite getaumelt , als A. E. so rapid in die Höhe fuhr : dann sah und hörte er mit starrem Staunen den Evolutionen des erschrecklichen Gewitters zu und schickte dem Abgehenden einen langen , verwirrten Blick nach . Endlich wandte er sich gegen mich , zwinkerte mich mit den Augen an und deutete mit dem Finger auf seine Stirn . Ich zuckte die Achseln . Er schien dieß für volle Bejahung zu nehmen , war nun wirklich beruhigt und schritt mit frischem Eifer an die Erneuerung seines Frühstückwerks . Ich mochte dem Vorangegangenen nicht so schnelle folgen ; es hätte scheinen können , als wolle ich mich aufdrängen . Ich war doch etwas ungehalten , daß er so rücksichtslos davongelaufen ; indem ich mich besann , was ich beginnen solle , um meinen Abmarsch ein halbes Stündchen noch hinzuziehen , fiel mir ein : Halt , gefunden ! Grobian , deine Strafe soll nicht ausbleiben , du sollst beschrieben werden ! Ich gieng gleich an die Vorarbeit , machte mir eine Reihe von Notizen in mein Tagebuch und brach auf , als ich annehmen konnte , mein wunderlicher Held habe nun genügenden Vorsprung . Ich schritt geruhig meines Wegs , beschaute mir See , Fels und hohe Bergeshäupter , nicht eben zu gehobener Naturempfindung gestimmt , der Himmel war bedeckt , die Spitzen des Nieder- und Oberbauen , des Uri-Rothstocks verhüllt , ein schweres Grau lag auf allen Höhen , Tiefen und Flächen . Dennoch war die Landschaft nicht tonlos . Eine eigenthümliche Unruhe schien im See sich zu rühren , der doch kaum von einem Windhauch bewegt wurde : kleine Wellen hoben sich da und dort , als brennte ein Feuer unter dem großen Becken und das Wasser käme in's Kochen ; das gedämpfte Rauschen mußte ich mit dem Knistern einer leis anwachsenden Feuersbrunst vergleichen . Seltsam blitzte da und dort ein scharfer Lichtstreifen aus dem Wasserspiegel auf wie ein zorniger Blick aus einem Auge schießt . Es war etwas Geheimnißvolles , dumpf Verhülltes rings umher , wiewohl alle bestimmten Anzeichen nahen Unwetters fehlten . Das verschleiert Drohende , das sich dunkel zu fühlen gab , führte mir doch die Sturmbilder aus Schiller's Tell vor die Phantasie . Versenkt in diese innere Anschauung gieng ich meines Wegs und hatte einen Lärm , der in mäßiger Entfernung sich hören ließ , mit dem körperlichen Ohre wohl längst aufgenommen , ehe mir die Sinnesempfindung zum Bewußtsein kam . Es war heftiges , zorniges Geschrei von Männerstimmen , Hundegebell dazwischen . Jetzt erschollen die wilden Laute schon ganz nahe und wie ich um eine Ecke bog , sah ich eine Szene höchst unerwarteter Art , eine Gruppe , die mich in leidiger Wirklichkeit an die zwei Ringer , die berühmte und doch unerfreuliche Antike in Florenz , erinnerte . Am Boden wälzte sich , ankämpfend gegen meinen Reisebekannten , ein Mensch , der offenbar zu dem Handwägelchen gehörte , welches daneben stand . Es war ein gedrungener , breitschultriger Kerl von offenbar nicht geringer Körperkraft , aber die Vortheile , die er vorübergehend im Raufen gewann , halfen ihm nichts ; A. E. war ihm an Stärke gewachsen , an Gewandtheit überlegen , drückte ihn mit gewaltiger Faust zur Erde , kniete über ihm und schrie dem Ueberwundenen wüthende Worte zu : „ Willst du , Thierschinder , mir jetzt zugeben , daß es ebenso grausam als dumm ist , Hunde einzuspannen ? Willst du begreifen , daß ein Pfotenthier nicht zum Ziehen gebaut ist , weil ihm der Huf fehlt , in den Boden zu greifen ? Daß es das Sechsfache der Kraft aufwenden muß , die ein Hufthier braucht ? Daß der gute arme Hund in seinem Diensteifer dieß Sechsfache noch überbietet , während ihr Henkersknechte diesen Eifer dazu mißbraucht , noch aufzusitzen , ja , das keuchende Geschöpf mit der Peitsche in Trab hetzt ? Weißt du nicht , daß nach einem Vierteljahr solchen Qualdienstes der beste Hund struppirt ist , lahm im Kreuz und Sprunggelenk ? “ Der Unterworfene remonstrirte in rauhen Gurgeltönen mit Fluchen und Schimpfwörtern , aus denen ich nur das sonst schon gelegentlich vernommene „ Kaib “ heraushörte . A. E. holte zu einer Ohrfeige aus , der eingespannte Hund in rührender Treue versuchte unter rasendem Gebell seinem Dränger und Quäler beizustehen , vergeblich , denn ihn hinderten die Riemen des Geschirrs ; im tollen Durcheinander besann ich mich rasch , daß ich nicht in tadelnswerther Unthätigkeit des Staunens verharren dürfe , rieß mit vieler Mühe die Raufenden auseinander , half den wüthenden Fuhrmann , der , befreit , alsbald die Fäuste brauchen wollte , festhalten , und nach langem , langem Reden gelang es mir , so viel Ruhe herzustellen , daß ein vernünftiges Wort gesprochen werden konnte . Es ergab sich , daß A. E. den Fuhrmann in der vorhin von ihm verurtheilten Situation getroffen hatte : der Hund im Trab , der Mann mit geschwungener Geißel auf dem Wagen stehend , der eigentlich dazu eingerichtet war , daß er mit dem Hunde ziehen sollte . A. E. hatte ihn angehalten , vernünftig zu belehren versucht , der rohe Treiber hatte ihm alsbald mit Hieben gedroht und so hatte sich die Szene entsponnen , zu deren Ablauf ich gekommen war . Ich mußte nun A. E. Recht geben ; der Bote erklärte , er wolle klagen ; da er aber begreifen mußte , daß er seinem gewaltthätigen Humanitätslehrer die Nennung seines Namens nicht abzwingen konnte , und da ich ihm auseinandersetzte , daß durch die Drohung mit Schlägen das erste strafwür dige Unrecht auf seine Seite gefallen sei , verlor sich sein Schimpfen allmälig in ein Brummen , dann in Schweigen . A. E. war ganz ruhig geworden und sagte mit einem Tone voll Gutmüthigkeit : „ Wollt Ihr mir versprechen , einen Esel statt des Hundes anzuschaffen , wenn ich ihn zahle ? “ Der Bote schwieg und sah ihn mit einem Blick an , der zu sagen schien : Dummer Mensch , wie wolltest du mich kontroliren , wenn ich's verspräche und nicht thäte ? „ Hört einmal , “ sagte er , „ Ihr seid kein reicher Mann , sonst würdet Ihr nicht Botenfahren — “ Der Fuhrmann betheuerte , er komme schwer aus und sei Vater von vier Kindern . „ Nun , “ fuhr A. E. fort , „ so will ich Euch einen Vorschlag machen . Schafft einen Esel an , versprecht mir , wenn es mit dem Thier gut geht , daß ihr in der Nachbarschaft bei den Boten herum — “ — „ O , die lachen mich aus ! “ fiel der abgeneigte Mann ein . „ Ah bah ! man muß das nur nicht fürchten , man wird immer ausgelacht , wenn man was gutes Neues einführt ; nun also , lobt es den Andern , helft , daß sie's nachmachen ! Im Frühling komm' ich wieder des Wegs und sehe nach Euch , da steht am Wagen Euer Name und Ortschaft angeschrieben , ich werde Euch finden , und wenn Ihr dann einen Esel habt , bekommt Ihr das Doppelte , und wenn Ihr einen , auch nur Einen Nachbar persuadirt habt , es nachzuthun , das Dreifache von dem da . “ Er zog einige Goldstücke heraus und zeigte sie dem Boten . „ Wollt Ihr mir Euer Wort geben ? “ Der Mann schlug ein und die Goldmünzen glitten in seine rauhe Hand . Gerührt dankte er mit einem zweiten , herzlichen Handschlag und nahm Abschied . Er fuhr langsam weiter , neben dem Hund ordentlich ziehend , und wir sahen noch , wie er das Gold wieder aus der Tasche zog , betrachtete und wieder einsteckte . „ In der Schweiz , “ sagte nun mein Begleiter , „ empört mich der Anblick dieser Rohheit doppelt . Ich bin nicht zum ersten Mal in diesem glücklichen Land . Manches hat mich da gefreut , am meisten die Schonung des Thiers ; Pferd und Rind wird menschlicher behandelt als irgendwo , und gerade da muß nun dieser Unfug der Hundefuhren herrschen , eine der allerschnödesten Formen der Barbarei . — Ach , Herr , ich komm' halt noch in's Zuchthaus , Sie werden's sehen , denn ich lang' eben doch noch einmal einen Thierschinder mit dem Stutzen vom Bock herunter — schießen kann ich . “ — Ich gieng neben ihm fort ; eine Einladung zum Anschluß glaubte ich nach dem Vorgefallenen und dieser einläßlichen Gesprächseröffnung nicht erst erwarten zu müssen . Wir zogen eine gute Weile schweigend weiter . „ Es ist heute sehr schön Wetter , “ fieng A. E. endlich an . Ich mochte nichts einwenden , wiewohl das Wetter war , wie ich es vorhin geschildert habe , also eben nicht schön zu nennen . „ Warmkaltlaukühl . Ganz schwacher Nordwest mit oberem Föhn , beide noch nicht im Kampf . Heut' wird's noch halten ; morgen steh' ich für nichts , ich denke , er wird herunterkommen . “ Ich kannte den Namen Föhn für Scirocco , wußte aber nichts von Ober und Unter , und ließ mir gern auseinandersetzen , daß die elektrisch warme , zu uns von Süden kommende Luft häufig in der höheren Schichte erkennbar herrscht , während in der unteren sogar Ost- und Nordwind gehen kann . „ Sie sind ja ordentlich . Draußen — und der Föhn ist ja doch überall , in Deutschland , in ganz Europa , wie hier — draußen glaubt mir's Niemand , so muß ich immer davon reden und gelte als Narr . Dem Spott nur etwas vorzukommen , habe ich selbst mir den Namen Föhn-Phänomenoman aufgetrieben . — Sind Sie auch so ein Freund vom anspruchlosen grauen Wetter ? “ Ich konnte es glücklicherweise ziemlich bejahen . „ Nicht wahr ? Doch besser , als bei Prachtwetter sitzen wie ein armer Teufel an reicher Wirthstafel , dem das Herz bebt , wenn er an die Zeche denkt ? Vollends , wenn es föhnhell ist ! O , das ist ein bildschönes , wälsches Weib , die Föhnklarheit , wenn sie da ist , ein Weib , das mit der rechten Hand schmeichelt und die linke auf dem Rücken hält mit einem Dolch ; — da meinen die Menschen , wenn so ein unheimlich schöner Sonntagmittag herunterstrahlt , es sei gut Wetter , und laufen und strömen hinaus dem Vergnügen nach , und ich , Kassandra , steh' am Fenster und weiß , daß sie wie gebadete Mäuse Abends heimkriechen . “ „ Ach , lassen Sie ihnen die Täuschung , “ erwiderte ich , „ sie bringt den guten Tröpfen doch ein paar vergnügte Stunden . “ „ Ja , ja ! das ist auch wahr ! Machen wir's nur auch so , genießen wir dieß philosophische Wetter , obwohl wissend , daß morgen der dumme Lebtag in der Luft angehen wird , — haben Sie schon im Schopenhauer gelesen ? “ Der Philosoph des Nihilismus und Pessimismus war damals noch sehr wenig bekannt . Ich wußte ungefähr von ihm , nichts aus ihm , hatte seine Werke nie zur Hand gehabt . „ Müssen doch hineinsehen und genau . — Geistreich , aber doch eigentlich nur geistreich . Eben doch nichtig . Sonderbar : Freude , meint er , sei nur im Anschauen der Ideen , in der Kunst . Aber er muß doch sein Buch selbst gemacht haben und das war Arbeit . Hat er denn da nicht spüren müssen , daß auch Arbeit froh macht ? Der alte Knabe Salomo war doch nicht dumm , der sagt : Nichts besser , denn daß der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit , denn das ist sein Theil . Dienst , mein Herr , Dienst ! Dort liegt's ! Das Moralprinzip müßte lauten : du sollst dienen ! Aber wer kann das begreifen , der bloß Gattungen der Einzelwesen sieht und hinter ihnen gleich das Nichts ? Der nicht merkt , daß das Thun und Treiben der Vielen etwas herausgearbeitet hat , das über ihnen steht , ein oberes Stockwerk , bleibende Ordnungen , ewige Gesetze , denen zu dienen reine Lust ist , weil dieß Dienen den Diener in's Zeitlose hinaufhebt ? Möchte sonst immer schimpfen , was das Zeug hält , über die Qual im unteren Stockwerk ! Schwätzt immer von jenen Uebeln , gegen die es doch der Mühe werth ist den Willen aufzubieten , weiß nichts von reiner Lust in reinem Kampf — das Moralische versteht sich doch immer von selbst — , kennt dagegen die Uebel erst recht nicht , die ihm gerade Wasser auf seine Mühle wären . Meint , ein dummer Teufel ( sogenannter Wille ) habe die Welt gemacht , und er möchte das immerhin , wenn er nur begriffe , wie dann ein Lichtgott darüber gekommen ist , der nur mit der Vasallenschaar des Teufels , mit den Dämonen , nicht mehr ganz hat fertig werden können ; weiß nicht , wo die Dämonen eigentlich sitzen , die den Menschen auf den Tod hassen dafür , daß er die Liebe und die vernünftige Arbeit in die Welt gebracht hat und ihnen damit das Spiel verderbt , kennt nicht , weiß nicht aufzuzählen all' ihren Schabernack , ihre nickelhaften Teufeleien . “ — Wir waren inzwischen an der Stelle angekommen , wo man zur Tellsplatte hinabsteigt , ich machte ihn aufmerksam und führte ihn die Stufen hinunter . Wir standen bei der Kapelle und sahen uns das Felsriff an . „ So ? Ist das da das , wo der Schiller die dumme Komödie drüber geschrieben hat ? “ „ Aber , bitte , Sie haben doch vorgestern den frivolen Spötter im Omnibus — “ „ Nun ja , natürlich ! Der Wicht hatte ja den inneren Werth der Sage mitverhöhnt — das Moralische versteht sich doch immer von selbst , da soll mir Keiner den Schiller antasten , aber wenn man's als Geschichte vorstellt — als ob's geschehen wäre — geschehen könnte — und weiß es nun nicht zum wahrhaft , zum allein Tragischen zu wenden , weiß nicht , was die bösen Geister treiben , in Wirklichkeit hindern , was sie gegen das Kühne , Große und Gute vermögen und wie darauf , darauf allein die echte Tragödie zu bauen wäre , darauf , auf den Grund der Wahrheit ! “ „ Aber ich bitte , was wäre denn hier die Wahrheit ? “ „ Nun , das sollte doch klar sein ! Was anders , als daß , wenn man mit der Sage annimmt , Wilhelm Tell sei aus dem Schiff auf die Platte gesprungen , man nothwendig auch annehmen muß , daß er ausrutschte und in's Wasser plumpte . Und nachher vollends mit einem Fußtritt das Schiff vom Ufer zurück stoßen ? Im Sturm ? Ich bitte ! Das ist keine Kunst , sogenannte Tragödien , Dramen des hohen Styls zu dichten , wenn man den Zuschauern Sand in die Augen streut ! Das ist leichter Idealismus , so hoch daherfahren . Sehen Sie , was ich doch aber auch nicht ausstehen kann , das ist , wenn man die Dinge ungenau nimmt . Die Sage ist naiv , sie weiß nicht , wie sie das höhere Gesetz umgeht , der Dichter soll bewußt handeln , nicht blind , leichtsinnig über den Punkt weghuschen , wo das wahrhaft Tragische ruht . Das aber ist der Krieg des Menschen mit den Geistern , dort werden die wahrhaft erhabenen Schlachten und Wunden geschlagen , dort erfolgen die furchtbaren Niederlagen , aus deren Schauern das tragische Grundgefühl , das heißt das ganze Gefühl unserer Endlichkeit emporsteigt , “ „ Ja , wie würden Sie denn nun aber die Tellsage behandeln , wenn Sie glauben , daß sie überhaupt behandelt werden könne ? “ A. E. schien nur auf diese Einladung gewartet zu haben , es schien ihm sehr zu gefallen , daß ich mich so läßlich und eingehend zu ihm verhielt . „ Was vorgeht bis zur Einschiffung Tell's mit Geßler und Gefolge , “ so begann er , „ das mag im Wesentlichen stehen bleiben , wiewohl zum Styl , zur ganzen Behandlung viel und Wesentliches zu bemerken wäre . Jener Realismus , welcher überhaupt allein der echte Idealismus ist , müßte ja natürlich im Ganzen walten ; diese Hirten sind zu allgemein , zu griechisch gehalten , sind lauter gebildete Redner und das Gute , das Muthige gelingt ihnen nur so , als ob es keine Kobolde gäbe . Doch das sei , ich muß zugeben , daß der Dichter die Ueberfahrt des Baumgarten und den Pfeilschuß gelingen lassen muß , um da anzukommen , wo er das erhaben tragische Mißlingen soll eintreten lassen . Die Szene des Tellsprungs dürfte nun keineswegs nur erzählt , müßte dargestellt werden , und mit unseren theatralischen Mitteln wäre das möglich . Also : Tell springt , gleitet aus , fällt in's Wasser . Wird herausgefischt , trotz allem Sträuben in den Kahn gezogen . Geßler ruft mit teuflischem Tone : ‚ So , jetzt verklabastert ihm den Sitztheil recht tüchtig ! ‘ Es geschieht , und zwar um so wirksamer , da Tell's Hosen bereits durch die Nässe gespannt sind . Erlauben Sie hier eine kleine Abschweifung . Ich trage mich mit der Idee , den antiken Chor in die Tragödie hohen Styls wieder einzuführen , so auch hier . Der Chor spricht bekanntlich allgemeine Betrachtungen aus und könnte zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse verschiedener Art benützt werden . Hier nun , an dieser Stelle , hätte ein am Lande befindlicher Chor von Kunstfreunden aus Geßler's Umgebung — ein Anachronismus , ich gebe es zu , doch ein poetisch erlaubter — einige Sätze über die Bedeutung der sogenannten nassen Gewänder in der Skulptur vorzutragen . “ Ein ganz leichtes Zucken lief hier über seine Züge , so schwach und so blitzschnell , daß ich schlechtweg keine Zeit fand , einen deutlichen Schluß darauf zu gründen . Er fuhr fort : „ Nun aber macht die Exekution den armen Heros so wüthend , daß er mit der Kraft der Verzweiflung sich losreißt und trotz dem Sturm in's Wasser springt . In höchster Spannung erwartet der Zuschauer , ob es ihm gelingen wird , sich zu retten . Der Dichter darf es annehmen ; Tell kann gut schwimmen und eine flache Uferstelle erreichen . Darnach ist nun in der ersten Szene des vierten Akts die Erzählung abzuändern , worin Tell dem Fischer seine Rettung berichtet . Folgen die Auftritte wie bei Schiller , auch der Monolog in der hohlen Gasse und das Weitere bis zu den Worten : ‚ Ein neu Gesetz will ich dem Lande geben , ich will —‘ ; hier unterbricht sich Geßler , aber nicht mit den Worten : ‚ Gott sei mir gnädig ,‘ denn ihn hat kein Pfeil getroffen ; vielmehr hört man nur eine Bogensehne schwirren , gleichzeitig ein ungemein starkes Niesen in einem Busch und die Worte : ‚ Verfluchter Zufall , List und Trug der Hölle ! ‘ Dieß kann nicht mißverstanden werden . Tell hat sich ja natürlich verkältet und verniest seinen Schuß ; Geßler ruft : ‚ Das ist das Niesen Tell's , verfolget ihn . ‘ Allein Tell hat noch Zeit , sich aus dem Staube zu machen . Nun muß ich Ihnen eine Notiz mittheilen . Ich habe vor ein paar Jahren in Wien auf dem Schild eines Tischlers den Namen Tell mit eigenen Augen gelesen . Das gibt uns den richtigen , den wahrhaft tragischen Schluß an die Hand : echte , höhere Ironie des Schicksals : Tell gelangt auf seiner Flucht nach Wien , nimmt einen falschen Namen an , erinnert sich an seine Geschicklichkeit in Holzarbeiten , wird Schreiner , zieht seine Familie nach und überläßt es den Enkeln , im Verlauf der Zeit den richtigen Namen wieder zu schreiben . Die Schlußszene gäbe ein herrliches , herzlich rührendes Tableau : der gerettete , wehmüthig zufriedene Tell mit Weib und Kind in seiner Werkstätte . “ „ Und Geßler ? Und die Schweiz ? “ „ Nun , Donnerwetter , die Schweizer in Masse schlagen das Luder todt , das ist doch gewiß besser als ein Mord , und ich finde es dumm genug , daß sich die guten Leute so um ihren Tell wehren , um den Einzigen , da sie Tausende von Tellen gehabt haben . Doch weiß ich nicht , ob ich das darstellen würde , das Moralische versteht sich immer von selbst . “ Ich war nur halb aufgelegt , über diesen erhabenen Entwurf zu lachen ; es grub und bohrte doch etwas in mir wie ein feiner Dorn , oder eigentlich stachen zwei Dorne in entgegengesetzter Richtung . Es war dort bei der Stelle vom Chor und den nassen Gewändern und bei dem flüchtigen Zucken um A. E. 's Mundwinkel doch etwas in mir vorgegangen , was zum Bewußtsein heraufdringen wollte . Sollte das nicht am Ende ein Kapitalschelm sein , der dich zum Narren hat , wie er ja wohl auch den guten Professor der Physik zum Narren gehabt hat ? Dem widersprach nun freilich so Vieles , daß der Verdacht , kaum geboren , wieder erstickt wurde ; stellte ich mich aber auf diese andere Seite , so meldete sich in mir ein Aerger , ein Verdruß über solches Pflegen und Hegen des Peinlichen , das am Ende doch krankhaft , weichlich , wohl auch selbstgefällig zu nennen war . Da nun mein Begleiter durch seinen Idealentwurf für eine bessere Tragödie Wilhelm Tell wieder auf das leidige Katarrhthema kam und daran fortnörgelte , so steigerte sich dieses zweite Gefühl allgemach zur Entrüstung . In der That wurde er nun entsetzlich langweilig , unleidlich ermüdend . Er klagte die Geschichtsschreibung an , daß sie , die doch nichts Großes und nichts Kleines im Gang der Weltgeschichte zu verstehen , zu würdigen vermöge , ohne die Katarrhe , die dabei mitgespielt haben , in ihrem Wesen , Verlauf und ihrer Individualität gründlich zu kennen , ihre Pflicht versäume , er fragte mit Pathos : „ Ist auch je Einer in seiner Genesis , Verwicklung , Ablauf exakt — was doch allein historisch — zur Darstellung gelangt ? Mein vorletzter zum Beispiel domizilirte zuerst acht Tage lang im linken Nasenloch , ich hoffte bereits — “ Ich bat ihn um Gottes willen , abzustehen , ich wolle ja gern Alles glauben , aber er verzichtete nur , um nun auf's Minutiöseste auszumalen , wie sich just , wenn man keine Hand frei habe , zum Beispiel einen Kupferstich mit beiden halte , ein heißes Tröpfchen an der Nase sammle und dann natürlich mitten auf das Kunstwerk falle ; er verbreitete sich des Näheren und Nächsten speziell über den krampfartigen Hustenreiz , der gerade nach Lösung eines Katarrhs zurückbleibe ; eine Reihe von Bildern : Kitzeln mit einer feinen Nadel , einem Roßhaar , Zusammenschnüren mit einem Pechfaden und dergleichen , wurden verwendet , — und so schien es sich in's Unendliche ziehen zu wollen . Wir waren jetzt in einen der Tunnels eingetreten , die so kühn durch die Felswände des Axenbergs gesprengt sind ; A. E. verstummte im Dunkel , während in mir der angesammelte Verdruß zum Zorn anschwoll . Als wir heraustraten und mein Begleiter alsbald seinen Pechfaden wieder aufnahm , als ich hinabsah nach dem See , wie er am Fuß des senkrechten Felsabsturzes anschlug , so war mir , als sei mein Grimm mit diesem Gestein und dieser grollenden Flut Ein Ding und müsse ich auch so trutzig sein wie der jähe Fels und so brandig wie der Gischt der anprallenden Woge aufschäumen , ich stand plötzlich still und sagte in hartem Ton : „ Herr , jetzt ist Heu genug hunten ! “ Ich wollte rasch fortfahren , A. E. hätte mich fast aus dem Konzepte gebracht , er legte mir bei diesen Worten die Hand auf den Arm und fiel schnell und munter ein : Hunten , Gegensatz von drunten , das ist gut , gutes Wort , kannte es noch nicht , versteh' es aber ; “ jedoch , einmal im Zuge , fuhr ich fort : „ Sie glauben interessant zu reden und reden nur langweilig ; Sie gefallen sich darin , die Wahrheit des Lebens auf den Kopf zu stellen ; Sie haben einen Palast vor sich und nehmen zum Standpunkt für Ihr Urtheil die Hinterseite mit dem , was sie verbirgt ; was man vergessen soll , bei dem halten Sie sich auf , was des Denkens nicht werth ist , darüber studieren Sie , daraus machen Sie ein System ! Was keiner Zeit werth ist , dem widmen Sie Ihre beste Zeit , was winzig ist , treiben Sie auf und vergrößern Sie , um recht närrisch zürnen zu können . Nicht aufgespart , sondern aufgezehrt wird auf diesem Wege die Kraft des Widerstandes gegen die großen und ernsten Uebel des Lebens ! “ A. E. besah während dieser Worte nachläßig seine Cigarre , die dem Ende zuneigte ; dieß reizte mich , noch hinzuzusetzen : „ Uebrigens rauchen Sie auch zu viel ! Lassen Sie das , und es wird mit den Katarrhen besser werden ! “ Er hatte eben den Cigarrenstumpf aus der Meerschaumspitze geblasen , dieser blieb an dem anklebenden Ende des aufgerollten Deckblattes hängen ; er ließ den Klunker hin und her baumeln und sah diesen Pendelschwingungen ein paar Sekunden zu , schickte dann einen geruhigen Blick auf mich herüber und sagte : „ So ? Tetem ? Adjes ! “ Er zog den Hut , eilte hinweg und überließ mich der vergeblichen Anstrengung , in dem freilich sehr schwachen Vorrath meiner Sprachkenntnisse eine Erklärung des nie gehörten Wortes zu suchen . Es schien mir orientalisch und ich mußte den Versuch aufgeben , da mein Wissen an dem Gebiete der Sprachen des Morgenlandes rein aufhört . Ein Spott mußte jedenfalls dahinter stecken . Dazu kam das „ Adjes “ . Ich verlangte nicht , daß er Adieu hätte sagen sollen , aber wenigstens : Adje ; das s war grob . — Ich suchte mir den schroffen Abbruch aus dem Sinn zu schlagen , um mir die Reiselaune nicht zu verderben . Flüelen war erreicht , A. E. aus meinen Augen verschwunden . Ich schlenderte erst an der Schifflände , es unterhielt mich , dem Treiben des Wasserverkehrs zuzusehen . Ein abgehendes Dampfboot nahm Reisende auf , die mit der Post über den Gotthard gekommen waren , darunter drei Jesuiten , die , kaum eingestiegen , ihr Brevier hervorzogen und , auf dem Verdeck wandelnd , ihre Gebete halblaut ablasen ; die Ankunft eines großen Rachens , der eine als englisch oder schottisch leicht erkennbare Familie an's Land setzte , zog mich ab und befreite mich von dem widerlichen Anblick . Ein würdiger älterer Herr , eine anmuthvolle Frau , aus deren Schalten mit zwei schönen Knaben zu entnehmen war , daß sie ihre Mutter sein mußte , während ihre ganze Erscheinung zu jenen gehörte , die sich in die reiferen Jahre das Gepräge der Jugendlichkeit , der Jungfräulichkeit bewahren ; eine ältere Dame mit langem , welkem Gesicht und gestrengen , essigsauren , puritanischen Zügen , offenbar Gouvernante . Alle waren in Schwarz gekleidet ; eigenthümlich wohl stand jener edlen Gestalt die ernste Farbe , ihr Wuchs war von der reinsten Schlankheit , es war , als biege sich eine junge Weide , wenn sie sich zu den Knaben niederneigte . Ihre Gesichtsbildung war nicht eben regelmäßig schön , aber durchdrungen und belebt von einem Ausdruck der rührendsten Güte und Offenheit . Die Gesichtshaut war blaß ohne Anschein von Kränklichkeit , überhaucht von jenem Dufte , der an den weichsten Pfirsichflaum erinnert , und vollkommen gestimmt zu dem glanzlosen Aschblond der anspruchslos glatt gescheitelten Haare . Man hätte zu dieser Farbe blaue oder graue Augen erwartet , sie waren aber braun , dunkel , südlich , doch ohne einen Funken der Leidenschaftlichkeit , die oft aus solchen Augen blitzt , vielmehr lag darüber jenes Etwas , das durch den Ausdruck : beflort , beschleiert nur mangelhaft bezeichnet wird . Es war das nicht bloß ein Zug von Trauer , wozu man die Erklärung in ihrem schwarzen Anzug finden konnte , es waren die langen Wimpern und ihre beschattende Wirkung , die großen Augenlider , es war der mandelförmige Schnitt des ganzen Auges , was jene Art träumerischer Verhüllung bewirkte , wie man sie wohl bei umbrisch-italienischen Frauenaugen trifft , aber bei angelsächsischem Blute nicht zu finden gewohnt ist . Die Lippen waren nicht zurückgekniffen , wie man es bei Mann und Weib im englischen Volke so häufig bemerkt und aus der Gewöhnung dieses Organs bei der Aussprache des W sich leicht erklärt , sondern gesund , voll , blühend , athmend , umspielt von einem Zuge , der mir vor die Seele führte , was der Edelmann im König Lear zu Herzog Kent von Cordelia sagt und ihren „ reifen “ Lippen . Schwer rieß ich mich von dem Anblick los , der mich mehr und mehr gefangen nahm . Aber mein Reiseplan stand fest , ich mußte vorwärts , denn ich wollte heute noch Amsteg erreichen , dort übernachten , morgen den Gotthardpaß in seinen wilden Hauptstellen mit Muße beschauen , etwa bis Andermatt gelangen und von da die Rückreise antreten , denn meine Zeit war kurz bemessen ; Alles zu Fuß , um ganz unabhängig der Betrachtung mich hingeben zu können . Mittag wollte ich in Bürglen machen , im Schächenthal ; ich hatte mir den kleinen Abstecher vorgenommen , um doch auch einmal die Stätte zu sehen , wohin die Sage Tell's Heimat verlegt und die durch Uhland's Gedicht über seinen Tod gefeiert ist . Ich gieng rasch durch Flüelen , nachdem ich noch gesehen hatte , wie die englische Familie sich im ausgeworfenen Netz eines Heeres von Kutschern verstrickte , wobei die steife ältere Dame die Rolle der Dolmetscherin in den Unterhandlungen um den Fahrpreis zu spielen schien . In Altorf wollte ich erst kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen . Wie ich da einem Wirthshause zugehe , führt mich der Weg an einem Trödlerkram vorüber , mein Blick fällt durch 's niedrige Fenster in die Stube und wen erkenne ich da drin ? Meinen A. E. , eben eine Brille prüfend , gegen das Fenster haltend ; der Trödler , sichtbar zum Kaufe zuredend , stand neben ihm . Ich blickte schnell wieder weg , hatte aber doch Zeit gehabt , zu bemerken , daß es eine Brille von gediegen altmodischer Gestalt war , und mich an die Zwiebel zu erinnern , die mir in Brunnen als redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt worden war . Zugleich meinte ich , so flüchtig mein Blick auch gewesen , doch beobachtet zu haben , daß A. E. mich erkannte und sich umdrehte . Ich weiß nicht , welche Rührung in diesem Momente über mich kam . Während der Anblick doch eigentlich komisch war , fiel mir Alles ein , was mich an den Mann angezogen , ja , ich muß gestehen , mir imponirt , mich sogar in ein gewisses Verhältniß nicht drückender Unselbständigkeit zu ihm gesetzt hatte ; seine Schwächen und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen , sondern Theilnahme ein . Es kam mir klarer zum Bewußtsein , was es doch eigentlich war , das diesen Menschen so peinvoll empfindlich , so schaallos gegen die kleinen Uebel des Lebens machte . Ja , ich war jetzt sogar geneigt , den Ausdruck : Vernunftwuth , den er einmal von seiner durchdachten Leidenschaft gegen diese Dinge gebraucht hatte , zu verstehen , zurechtzulegen . Kurz , ich fieng an , zu bereuen , daß ich ihm unfreundlich begegnet war , und es tröstete mich noch ein wenig , daß ich ein noch härteres Wort , das mir dort am Axentunnel auf der Zunge lag , unterdrückt hatte , nemlich : alter Kindskopf ! Doch , das half nicht viel ; ich verzehrte in der That mit mehr Hunger als Frohheit meine paar Schinkenschnitten und Eier und nahm ziemlich verdrossen , mit wenig Sinn für große und kleine Windgelle und Bristenstock , meinen Weg unter die Füße . Ein Wagen fuhr an mir vorüber , ich erkannte gleich an einem der Knaben , der neben dem Kutscher auf dem Bocke saß , die fremde Familie wieder , ich traute meinen Augen kaum , als mir schien , ich entdecke im Innern neben der anmuthigen Britin oder Schottin meinen A. E. Das Fahren an sich schon war es , was mich an ihm wunderte , denn er hatte auf der Axenstraße , als ein Reisewagen an uns vorüberfuhr , gesagt : „ Da hocken sie wieder drin im Kasten , der nach Leder riecht , und haben nicht ein Fleckchen Raum , um nur auszuspucken , “ wobei er , seiner Freiheit froh , in stolzem , kühnem Bogen die hiemit bezeichnete That verrichtete ; er hatte ferner bei derselben Gelegenheit das Fahren für die unter allen Umständen unbequemste , dummste und anstrengendste Art der Fortbewegung erklärt . „ Was haben doch die Menschen für Begriffe von Freiheit , “ rief er aus , „ da meinen sie , frei zu sein , weil sie die Beine nicht rühren ! “ So nahe es nun lag , den Widerspruch , in welchen der leidenschaftliche Freund freier Bewegung sich dießmal begeben , aus einer Bekanntschaft mit der Familie zu erklären , der Zustand meines Gewissens raunte statt dessen mir ein , er werde sich zur Fahrt entschlossen haben , um mit gutem Schick an mir vorüberzukommen ; eine Vorstellung , die eben nicht geeignet war , meine Laune zu verbessern . Daß mein Reiseziel der Gotthard sei , hatte ich A. E. gesagt ; daß auch er dahin strebe , war keine Frage ; es schien mir so die Hoffnung genommen , noch einmal mit ihm zusammenzutreffen und eine Aussöhnung zu suchen . Da ich nun doch einmal zum Nachzügler geworden , blieb ich um so mehr bei meinem Vorhaben , die kurze Seitenwendung von der Hauptstraße ab nach Bürglen zu nehmen . Der Kellner im Gasthof zum „ Wilhelm Tell “ sagte mir , wie ich eintrat , ich könne sogleich am Mittagstisch Platz nehmen , das Essen habe begonnen , er werde mir nachserviren . Ich lege ab , lasse meinen Anzug säubern , trete ein und mein erster Blick begegnet dem verlorenen Reisegenossen . Er saß mitten unter der englischen Familie , dem Alten gegenüber , zu seiner Rechten die junge Frau oder vielmehr sichtlich Wittwe , zu seiner Linken die Gouvernante . Die Tafel war außerdem von Fremden so besetzt , daß für mich nur Ein Platz blieb , und zwar neben dem älteren Herrn und den zwei Knaben , dem Meidenden und Gemiedenen schief gegenüber . Er grüßte nicht unfreundlich , doch formell . Er war im Gespräche mit der Mißeß begriffen . Sie sprachen italienisch , wohl in der Voraussetzung , daß Wenige der Tischgäste dieser Sprache kundig seien . Ohne zu horchen konnte ich wohl vernehmen , daß einige Fragen A. E. 's sich auf einen Todesfall beziehen mußten , dessen Einzelheiten ihm wohl unterwegs schon erzählt worden waren . Ich hörte den Namen Erik . Aus Ton und Mienen der Dame ließ sich erkennen , daß das Gespräch sich auf den verlorenen Gatten beziehen mußte ; es war der Ausdruck gehaltenen Schmerzes einer Seele , die mit der Kraft der Sanftmuth schweres Leiden beherrscht . Tief bewegt hörte A. E. ihr zu , man sah , daß er diesen Kummer im tiefsten Gemüthe theilte und ebensosehr die Schönheit des Schmerzes in dieser anmuthvollen Erscheinung bewunderte . Mit Blicken wie Blicke der Andacht schaute er zu ihr auf und wirklich mußte ich mir nun sagen , daß mir nicht umsonst Cordelia in den Sinn gekommen war , denn niemals wird Wehmuth und ein gewisses Lächeln , wie es auf den Lippen , in den Wangengrübchen wohlwollender Seelen zum bleibenden Zuge wird , sich schöner auf einem Angesicht verschwistern . Nicht minder herzgewinnend war die sanfte Stimme und der Klang des Italienischen in diesem Munde . Sie sprach es nicht völlig rein ; der Vokal a nahm eine Färbung gegen ae an , aber nur eine ganz leise , weit entfernt von der Quetschung , die dieser reine Laut in der englischen Aussprache sonst erfahren muß . Alle übrigen Buchstaben kamen ganz lauter und richtig , nur viel milder , als aus südlichen Organen ; es war eine Süßigkeit , Zartheit , Keuschheit in dieser Mischung , in diesem dämpfenden Lispeln , wobei doch der Bestimmtheit und Klarheit der Laute ihre Geltung blieb , daß ich mir sagen mußte , man könnte nicht nur lingua toscana in bocca romana rühmen , sondern auch lingua toscana in bocca inglese . Die ältliche Dame hatte inzwischen mit dem alten Herrn ein Gespräch über Volk und Natur der Schweiz begonnen , soviel sie auf dieser Reise bis dahin gesehen , und wandte sich jetzt an A. E. mit der Aufforderung , auch seine Meinung zu sagen . Das Volk fand sie etwas viereckig und derb . Sie war bei dieser Anrede vom Englischen in's Deutsche übergegangen und schien gerne zu zeigen , daß sie dieser Sprache mächtig sei , deren Töne in ihrem Mund allerdings stark angelsächsische Trübung annahmen . Die Unterbrechung war ihm sichtbar lästig , es zuckte auf seinem Gesicht und er diente nun der Fragerin mit einer Vergleichung der schottischen Hochländer und der Schweizer , die offenbar zu Gunsten der Letzteren gemünzt war , deren Inhalt ich aber kaum verfolgen konnte , da sein sonderbares Lippenspiel meine ganze Aufmerksamkeit anzog . Er lenkte nämlich das Gespräch wieder in's Englische und sichtbar trieb ihn der Aerger , die englische Aussprache zu karikiren . Er zog zum Beispiel bei den Sylben , wo w und a zusammentreffen , wie bei what , die Mundwinkel um ein Gutes weiter zurück , als üblich , und brachte so eine Reihe froschähnlich quackender Laute hervor , welche die beiden Knaben mit offenem Munde und sichtbar gegen Lachreiz ankämpfend bestaunten , und mir gieng es nicht besser . Jetzt kam die säuerliche Dame , die das in ihrem Eifer nicht merkte , auf die Landschaft zu sprechen und dehnte ihre Vergleichung auch auf Norwegen aus . A. E. wurde dabei sichtbar unruhig und als sie die Schönheit der Wasserfälle rühmte , den Rjukanfoß als den mächtigsten , den Ovsthusfoß als den eigenthümlichsten erwähnte , fuhr A. E. sichtbar zusammen , erbleichte und das Messer entfiel seiner Hand . Jetzt wendete sich die aschblonde junge Frau zu ihm her , näherte ihm mit unaussprechlich sanfter Beugung — Johannes auf Leonardo's da Vinci Abendmahl fiel mir ein — ihr liebliches Haupt und begann zu flüstern . Ich konnte vernehmen , daß es nicht englisch und nicht italienisch war , was sie jetzt sprach ; es mußte , wie ich aus einigen Lauten schloß , norwegischdänisch sein . Der ernste alte Herr hatte inzwischen mit seinen Enkeln — denn das mußten die Knaben ja sein — ein Gespräch über Wilhelm Tell begonnen . „ Laßt sehen , sagte er , „ was ihr von Miß Alton gelernt habt , “ und ich erkannte jetzt , was die steife Dame bei der Familie zu thun habe . Sie war Lehrerin der Knaben im Deutschen und zugleich Reisemarschallin in deutsch redendem Land . Diese zeigten sich nicht nur in der Sage , sondern auch in Schiller's Drama wohl bewandert und die Sprachmeisterin nahm nun Anlaß , in volleres Licht zu setzen , wie weit sie es in ihrem Unterricht gebracht habe , sie forderte den älteren , etwa dreizehnjährigen , auf , auch Schiller'sche Verse in antikem Metrum vorzutragen . Er wählte das schöne Distichon auf das Distichon , und begann , unterstützt von der mitskandirenden Lehrerin : „ Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule — “ So weit kam er . Die Geschichte ist eine strenge Wissenschaft . Sie kennt nur die Wahrheit . Die Schicklichkeit wird sie beobachten , so lang es thunlich , ohne ein wesentliches Stück der Wahrheit zu unterdrücken . Würde diese leiden , wenn sie jener sich fügte : sie wird , wenn auch mit Wehmuth , unerbittlich ihre Bahn verfolgen . Zarte Gemüther , denen diese Strenge unerträglich : sie sind frei , sie können die ernsten Blätter der Geschichte zuklappen , sie können weiter lesen — nach Belieben . Es hatte mir geschienen , A. E. sei des lästigen Uebels , das ihn auf der Reise befallen , ungewöhnlich schnell los geworden ; doch das war Täuschung . Ein Niesreiz just bei jenen Worten — schnelle Seitenwendung von der schönen Nachbarin ab — Taschentuch — vorsichtige Applikation — trotzdem — der Ueberraschte schien im Drang des Augenblicks versäumt zu haben , eine doppelte Ringmauer von Leinwandfalten um den kleinen Geyser der Nase zu bilden , — eine ganz dünne Fontäne steigt in zierlichem Bogen und fällt nieder in den soeben mit Kappernsauce frisch versehenen Teller der gestrengen Dame zur Linken . Diese zuckt zusammen und rückt mit dem Stuhl . Die Freundin zur Rechten bemerkt den Vorgang nicht , wohl aber der Alte , der ein Lächeln unterdrückt , und sehr wohl die zwei Knaben , die ein helles Lachen nicht unterdrücken , und nicht minder der Kellner , ein Subjekt mit einem jener Gesichter , die man als ohrfeigenwürdig bezeichnen möchte ; er sprach einen abgeriebenen rheinischen Dialekt und war offenbar nur für die Sommersaison herbeschrieben , A. E. hatte ihm ab und zu einen Blick voll Widerwillen zugeworfen ; dieser nahm grinsend den Teller schnell weg und schob einen neuen hin . A. E. war verschwunden , als hätte ihn die Erde verschlungen . Beklommen suchte ich eine Unterhaltung mit der schönen Frau einzuleiten , vermochte aber in meiner Beunruhigung nicht , sie fortzuführen , und brach auf , ehe der Nachtisch kam . Ich erledigte meine Zeche und war unten im Hausflur angekommen , als A. E. die Treppe herabgerasselt kam , hinter ihm der Kellner , der ihm nachrief , er bekomme noch heraus . A. E. hörte nicht , wollte an mir vorüberstürzen , blieb aber plötzlich stehen , faßte mich am Arm und zeigte auf eine Katze , die mit ihrem Jungen auf einem Strohstuhl schlief . Es war ein schönes Thier , von dem seltenen dreifarbigen Schlage , schwarz , rothgelb , weiß , und sie hatte beide Vorderfüße um ihr gleichfarbiges Junges gelegt : eine wirklich rührende Gruppe . „ O , sehen Sie , “ rief A. E. , „ aber auch wie eine Raphaelische Madonna ! “ — Das war Sache eines Moments ; im nächsten sieht A. E. den Kellner vor sich stehen , der ihm , noch dasselbe Grinsen auf dem Gesicht , womit er vorhin den Teller der Gouvernante gewechselt und dadurch die leidige Ungeschicklichkeit markirt hatte , nun das übrige Geld hinhält . Ihm versetzt A. E. , die Faust ballend , mit dem Gelenk des Mittelfingers einen Stoß unter das Kinn und stürmt aus dem Hause . Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hingestürzt , richtete sich auf , stand zuerst sprachlos und brach dann in heftiges Schelten aus . Ich konnte mich nicht enthalten , dem Menschen zu sagen , ihm geschehe recht ; jetzt fährt er wild gegen mich auf , in verspäteter , fehlgehender Rache hebt er die Faust und ich versetze ihm eine Ohrfeige . Es stand nun bedenklich , denn am Thürpfosten lehnte der Hausknecht und der doppelt Geschlagene rief ihn zu Hülfe ; dieser jedoch verharrte in seinem Phlegma und sagte zu mir : „ Schad't nichts , der Herr ist immer naseweiß gewesen , gehört ihm schon lang eins hinter die Ohren . “ So konnte ich denn ohne weitere Fährlichkeit abziehen und fragte nicht nach den Schimpfworten , die mir der Bestrafte nachrief . So war ich denn wieder allein . Wohl sagte mir nun mein Gefühl , daß hier im Grunde etwas Trauriges vorgegangen sei ; mußte an sich schon ein so peinlicher Zufall einen Mann , wie ich A. E. kannte , höchst empfindlich treffen , so waren hier überdieß offenbar Beziehungen zerrissen , deren Tiefe und Zartheit ich gar wohl ahnen konnte . Allein das Mitleid blieb ganz im Hintergrund , ich verspürte zunächst keine Nachwirkung in mir , als eine unbezwingliche Lachlust , mehr allerdings über die Prügelszene am Schluß , als über die Katastrophe bei Tisch . Ja es wollte mir kaum gelingen , angesichts der Begegnenden auf der Straße die Erscheinung der Menschenwürde nothdürftig aufrecht zu erhalten ; einmal , als eben ein paar rothbackige Bauernmädchen vorübergiengen , konnte ich mich so wenig beherrschen , lachte so laut auf , daß ich die eine hinter mir sagen hörte : „ Was hat auch der Herr , es ist ja noh niht Suserzit . “ Der trotzige Ernst der furchtbaren Steinpyramiden , Stöcke , Kuppen , der schroffen Wände , die mir näher und näher entgegenstarrten , als ich wieder in das Thal der Reuß eingetreten war , sie vermochten nicht , mein muthwilliges Herz zu bändigen ; als ich bei sinkendem Abend in der Nähe von Klus dem eilenden Bergfluß näher trat und sein Rauschen mir stärker und stärker in das Ohr drang , wurde mein Zustand statt ernster nur närrischer . Das dumme , unsinnnige Wort Tetem kam mir in's Gedächtniß und es war mir angethan , daß ich den blöden Laut nicht mehr los wurde . Ein begegnender Bauer grüßte mich und ich antwortete : „ Tetem “ . Ich blieb öfters stehen und starrte in die dunkel murrende , dem schroffen Felsblock auf gehemmter Bahn entgegengrollende Flut , ich wollte an diesem Bilde mich zum Ernste zwingen , aber es half nichts : als hätte ich die kindische Wortform in den Strudeln gelesen , zöge sie als Resultat meiner Betrachtung aus der wilden Woge , mußte ich denken , sagen : „ Richtig , ja , Tetem ! “ Die Felshäupter , Zacken , Zinken , Ecken hatten Mäuler , nickten und blöckten : „ Tetem ! “ , „ Tetem ! “ brummte der Bristenstock , „ Tetem ! “ kicherte der schroffe Gitschen , „ Tetem ! “ gellten die Windgellen . Ich wurde mir selbst zum Abscheu und fieng das Laufen an , um mir zu entspringen ; was half es ? Nun schlug meine Umhängetasche mit rhythmischen Schlägen mir an die Hüfte : „ Tetem ! Tetem ! “ Ich rieß sie von der Schulter , es erschien mir als das einzig Rationelle , sie hoch in der Luft zu schwingen und zur Strafe sammt ihrem Inhalt an einem Felsen abzuschlagen ; der Inhalt fiel heraus , und während ich mich bückte , die sieben Sachen aufzulesen , erschrack ich über mich selbst in der Tiefe meiner Seele : „ Um Gottes willen , “ rief es in mir , „ der Mensch hat dich angesteckt , du wirst verrückt ! “ Es zogen mir Wolken , Wallungen über das Gehirn her , und als ich in die Wirbel sah , in denen das Wasser zwischen den Granitblöcken sich dreht , um dann schäumend vor- und hinabzustürzen , so wurde mir , als wirble und schäume es mir gerade so in meinem armen Kopfe . Ja , ja ! es ist nicht anders , der Mensch hat dir's angethan ! Aber während ich innerlich so sprach : der Mensch ! stellte sich freiwillig die Vernunft ein : der Mensch ! O ja , ein Mensch ! ein menschlicher Mensch ! Die Stimmung kam wieder , in welcher ich Bürglen zugewandert war : Reue über mein hartes Anlassen dort auf der Axenstraße , Rührung , Mitleid , Liebe , und hinter und über der Liebe Achtung , und je mehr Achtung , um so mehr wieder Mitleid ; kreuzweise durchbohrt von all' den widersprechenden Gefühlen , aufgeregt im Grunde der Seele und niedergeschlagen zugleich langte ich in Amsteg an und nur die Ermüdung brachte mir den erwünschten Schlaf , tief und traumlos , wie er nach tüchtigem Marsch den Wanderer erquickt . Ich stand früh auf und gieng rüstig meiner Straße . Mein A. E. schien dießmal wenigstens keine WetterKassandra gewesen zu sein . Die Luft war hell ; der Bristenstock stieg rein gezeichnet in die Höhe und gönnte dem Auge , mit Wohlgefallen an seinem Kegel emporund an dem sanft geschwungenen Sattel seiner linken Abdachung niederzusteigen . Steiler und wilder starrten die näheren Felsen aus dem bewaldeten Fuße hinan und schauten ernst auf die sanften Matten , die friedlichen Dörfer herab . Bald offener fließend , bald in tiefe Schluchten eingewühlt , dumpf tosend und trommelnd wälzte die Reuß ihre milchig hellgraublauen Wogen . Manche Stellen nah' am Wege erzählten eine grause Geschichte von Zertrümmerung der Felswelt des Hochgebirges . Da lagen ganze Haufen wild übereinandergeworfener Steinmassen , in allen Richtungen der Stellung verworren hingeschüttet und aufgethürmt ; hier und da aber ragte ein vereinzelter Felsblock von ungeheurer Größe , bemoost und etwa von kleinen Tannen bewachsen , die mit den seltsam verkrümmten Wurzeln in die Spalten hineinsuchten , um kümmerliche Nahrung zu finden . Schaute man nach den Gebirgswänden auf , so konnte man bei dem einen und andern dieser niedergestürzten Riesen noch die Stelle entdecken , wo er einst oben hieng , da sich die Gleichheit seiner Form mit den Umrissen einer Kluft in dem Felsenkörper , zu dem er gehört haben mußte , klar erkennen ließ . Mit welchem Donner mögen einst diese Lasten , Alles rings zerschmetternd , nieder in's Thal gesprungen sein ! In der Nähe von Wasen fand ich einen solchen Block am Wege , wohl fünfzehn Ellen hoch , dem das Alles bezwingende Geschick eine seltsame Verknüpfung des Furchtbaren mit dem Komischen beschieden hatte : er trug ein Kartoffeläckerchen auf seinem Rücken . Ich mußte geradezu lachen ; der Gegenstand schien mir so sehr bedürftig , poetisch behandelt zu werden , daß ich in Wasen , wo ich eine Erfrischung einnahm , trotz allem herzlichen Verzicht auf den Anspruch , ein Dichter zu sein , ein paar Verse darauf schmieden mußte . Der Leser wird erfahren , warum ich so unbescheiden bin , dieß anzuführen . Als ich weiter gieng , fühlte ich mich über Erwarten müde . Ich hatte doch erst dritthalb Stunden gemacht . Es war eine Schwüle gekommen , die Luft wurde dunstig ohne Wolken , der Dunst nahm einen strohähnlich fahlgelben Ton an , verdünnte sich aber allmälig und wiech einer neuen , sonderbaren , unheimlichen Helle , da von den Massen im Mittel- und Hintergrund ganz jener bläuliche Duft hinwegschwand , welcher doch eigentlich allein der Landschaft den malerischen Schein verleiht , der sie vom Stoffartigen entlastet , zugleich aber die Entfernungsgrade klar unterscheidet und dadurch unser Raumgefühl ausweitend lüftet und beglückt . Zufrieden aber , daß man doch deutlich sehen konnte , drang ich vorwärts , denn meiner wartete noch das Größte : die starrste Felswelt und der wildeste Kampf zwischen Wasser und Fels auf der Strecke von Göschenen bis zum Urner-Loch , die schauerliche Schlucht , die den Namen der Schöllenen trägt . „ Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg ? “ sang es in mir , als ich in die Biegung eintrat , welche die Straße bei dem genannten Dorf links nimmt , — „ in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut — es stürzt der Fels und über ihn die Flut . “ — Die Phantasie läßt sich den Zwang nicht anthun , sich die Art , wie sich einst das Wasser diesen Weg bahnte , als einen Jahrhunderte , Jahrtausende dauernd langsamen Gang vorzustellen , sie muß sich den Durchbruch wie einen fürchterlichen stürmischen Gewaltakt denken , sie wirft sich selbst in's unwiderstehliche Element hinein , stürzt sich tobend mit ihm auf die trotzenden Riesen , zertrümmert sie , schleudert sich ihre ungeheuren Blöcke in den Weg und schäumt zornig zischend , brausend , brüllend über das selbstbereitete Hinderniß dahin . Bei einer der Windungen des Weges bekam ich plötzlich einen Stoß , der mich fast zu Boden geworfen hätte . Auf Geiersittigen war jetzt der Föhn über das Joch herabgeschossen und schrie wüthend auf , da er sie an den stahlharten Felswänden zerstieß . Zwischen sein Aechzen , Pfeifen , Kreischen , Heulen mischten die klagenden , grollenden Wasser ihr Weinen , ihr Schelten , ihren Donner ; es war , als sei die Hölle losgelassen . Die Sinne wurden betäubt , die Augen brannten in ihren Höhlen , es war , als siedete es mir in den Ohren , als wäre mir höllischer Schwefelbrodem durch alle Poren der Haut in den Leib gepeitscht , glühte mir den Schlund herauf und hauchte Flammen aus meinen heißen Lippen , meine Schritte taumelten und schwankten , als wäre ich betrunken . Und jetzt , — halt , was sehe ich ? Täuscht es mir der Schwindel vor ? Auf dem Vorsprung eines der granitenen Felsungeheuer eine Gestalt — ist es möglich ? kann ein Mensch dort hinaufgelangen ? — und die Gestalt : ich erkenne sie — A. E ! Den Rücken an die Felswand gestemmt , einen Fuß vorgestellt , die Faust himmelwärts geballt — der Sturm wühlt in seinen Locken — den leichten Mantel , den er auf der Wanderung gerollt über die Schulter getragen , hat er umgenommen , er flattert in den Stößen und Wirbeln der Windsbraut , und sie zaust und zaust , bis er ihm vom Leibe gezerrt ist , dort fliegt er , bleibt an einem Dornbusch hoch an der Felswand wie eine gespießte Fledermaus hängen — aber A. E. selbst — man sieht : er spricht laut — man kann nicht hören — Ich suchte näher zu kommen , es gelang mir mit schwierigem Klettern so weit , daß ich einige zusammenhängende Worte wenigstens in den Augenblicken vernahm , wo der Sturm , in seinem Anprall an die Hindernisse der Felsschlucht wechselsweise nach allen Richtungen stoßend , von der Stelle , wo A. E. stand , nach meiner Seite her blies . Ich suche diese Bruchstücke wiederzugeben . Die Gedankenstriche , die ich da zwischen setze , sollen die Stellen anzeigen , wo das Getöse des Windes und das Rauschen der stürzenden , schäumenden Wasser mir das wilde Selbstgespräch in Stücke rieß . Ich habe bisher versäumt , die Erscheinung des Mannes näher zu schildern . Es war mir vom ersten Moment an eine Aehnlichkeit mit Hölderlin aufgefallen ; der Leser kennt wohl das Titelkupfer in der Ausgabe der Gedichte von 1843 ; der unglückliche Dichter ist hier im hohen Alter abgebildet ; dieses hat nicht vermocht , dem fast regelmäßigen Profil seinen Adel zu nehmen , aber es hat im Bunde mit dem Wahnsinn die hohe Stirn , die feinen Züge tragisch zerfurcht ; man verjünge diese Züge zu etwa fünfzig Jahren , denke sie sich überhaupt markiger , die Stirne etwas weniger steil , doch hoch , weniger gefaltet , doch nicht ohne einige Furchen über der Nasenwurzel , man öffne die Augen etwas weiter , lasse sie aber gleich tiefliegend unter starkem Augenknochen , man ziehe die Mundwinkel um's Kennen weniger herab , so wenig nur , daß ein Gepräge von Gewohnheit bitteren Betrachtens nicht ganz aus dieser Linie verschwindet , halte aber im Ganzen das wohlgebildete Profil fest , man setze diesen Kopf auf eine muskulöse Gestalt : so kann man sich eine Vorstellung von dem seltsamen Reisefreund machen , um den mich meine Härte gebracht hatte ; ich muß beifügen , daß mir die Rückführung erleichtert war , da ich Hölderlin schon zu einer Zeit gesehen habe , wo jene zwei Feinde seine Erscheinung noch nicht so sehr zermürbt und gebrochen hatten . Leicht erkennt der Leser aus dem Bisherigen , daß der Ausgangspunkt der Seltsamkeiten , die er an unserem Manne kennen gelernt hat , in einer Grundstimmung , einer Ideenrichtung liegen mußte , die dem Geiste des früh verdunkelten Dichters verwandt war , aber ebenso leicht , daß der stärkeren Männlichkeit in der Erscheinung des Ersteren etwas im Innern entsprach , was dem Zweiten ganz fremd war . Hölderlin war humorlos ; ich kann mir nicht denken , daß der unglückliche Dichter aus dem Ernste jemals in solche Derbheit hätte umspringen können , wie A. E. es liebte . Eben an diese Derbheiten , an diese Stöße des Zorns und gröblichen Witze hatte ich schon bisher den tröstlichen Gedanken geknüpft , A. E. könne nicht der Verzweiflung , nicht dem Wahnsinn verfallen , wie der wehrlose schwäbische Sänger . Solche Umsprünge , ja Cynismen wird man nun auch mitten aus den Worten des tiefsten Seelenwehs in diesem verzweifelten Selbstgespräch heraushören und ich gestehe , daß sie in jenen todesbangen Momenten mir doch eine gewisse Beruhigung gaben , es werde nichts Aeußerstes geschehen ; so betröstete ich mich wenigstens bis zu dem Augenblick , wo — Doch es ist Zeit , den rasenden Redner zu vernehmen , so weit das Brüllen des Sturmwinds , das Donnern der Wasser es uns vergönnt . „ Apollo — deine Kinder — Söhne des Lichts — warum nicht — leichten , rhythmischen Aetherschwingungen — — nicht sterben dürfen an deinen tödtlichen Göttergeschossen — oder warum nicht — Drachen Python — warum — mit Nadeln todtstechen — Ameisenhaufen — zu Tode kitzeln — Niesen — Husten — Schnäuzen — Qualle — Kaulquappe — widerliche Schnecke — — Und Gott sprach : es werde ! und der Katarrh ward — “ Täuschte ich mich nicht , so konnte ich in diesem Moment von all' den umgebenden furchtbaren Geräuschen ein ungeheures Räuspern unterscheiden . „ Welt — eine Erkältung des Absoluten — in der Einsamkeit — spuckte aus und die Welt war — Die Welt vom Ewigen gehustet , geräuspert — Schandgallert — Brütnest der Plagteufel — Trichinen des Daseins — “ Jetzt ballte er wieder die Faust gegen einen der Felsriesen , die ihm gegenüberstanden . „— — verhöhnst du mich ? Urkerl — Schöpfungstagen — immer gleich — undurchbohrbar — Urlümmel — Schweig ! — selbst ein alter Rotzler — Triefnase — — Mensch doch wenigstens Schnupftuch — “ Er gebrauchte es mächtig . „ Warum — warum , ewiger Gott , der du nicht bist — dieß tiefe , starke Bewußtsein der Zwecke — Zusammenhangs — daß Etwas , auch nur Etwas ganz sei — Durchkreuzung — herrliche Gefühle — Kröten — über den Weg laufen — Beinstellen — uns , deren Adlersonnenblick — Ganzes — Harmonie — Freude — einmal — einmal — Blütenkelch — Feldwanze darin — Gespenster-Angst , Tag und Nacht — Herzensbangigkeit , tiefe — unsichtbaren Feind — Furcht ? — Nie , — vor keinem sichtbaren — Will endlich frei sein — frei — Angstband zerreißen — in Fetzen vor deine Füße ! — Ha ! Wie ? Du auch da unten im Wasserstrudel , Nixe mit den Fischaugen ? Kennst mich noch ? Glotzst herauf ? Soll ich kommen ? Fort ! fort ! Nicht zu dir , nicht dir zulieb ! — — Suwarow — weiß , — Gebrüll der Schlacht — wie so wohl , so frei — Gebeine im wüthenden Wasserstrudel bleichen — “ Er that auf der Spanne Raums über dem Abgrund einen Schritt — eine kupferroth glühende Wolke war über der Schlucht aufgezogen , auf deren Grunde sich dunkel die wilde Gestalt abhob , über ihm flatterte , gegen die Sturmwirbel mit rudernden Schwingen anstrebend und zappelnd , ein Rabe — tödtliche Angst um den Unglücklichen malte mir im Nu das Bild vor , wie er zerschellt in der Tiefe liege , ein Schmaus den Vögeln des Himmels , ich mußte ihn retten , suchte weiter aufzuklettern , gelangte mit äußerster Noth langsam um ein paar Schritte vorwärts , aber jetzt wackelte unter meiner Fußspitze das schmale , kaum zollbreit ausgeladene Felsstückchen und unter der greifenden Hand der kleine Zacken — ein Angstschrei — ich fiel , ich verlor das Bewußtsein . Ich erwachte und fand mich in A. E. 's Armen liegend hart am steilen Ufer der tosenden Reuß , nahe der Teufelsbrücke . Er goß mir mit der hohlen Hand eiskaltes Wasser über das Haupt . „ Wie steht's ? “ Ich tastete an mir herum . „ Suchen Sie sich zu bewegen ! “ Ich konnte es , nur in der rechten Hüfte und linken Schulter fühlte ich scharfe Schmerzen ; er untersuchte und fand nur starke Schürfungen . Inzwischen sah ich , daß ihm selbst aus einem großen Riß im Rockärmel das Blut hervorschoß . Er zog den Rock aus , streifte den Hemdärmel auf und es zeigte sich eine lange Wunde , von einem großen Dorn oder scharfen Felszacken gerissen . Er wusch sich den Arm mit der niedertriefenden Gletschermilch einer Runse , an der wir uns befanden , und sagte : „ Es ist nur eine Fleischwunde , aber verbinden ! “ Er stöberte in seinen Taschen und ich mußte in allem Elend einen Augenblick lächeln , als neben zwei gebrauchten zwei ungegebrauchte feine Leinwandnastücher zum Vorschein kamen . Ich half ihm den Verband anlegen und freute mich , des Gebrauchs meiner Hände fähig zu sein . Bei dieser Arbeit bemerkte ich eine lange große Narbe , welche , durchkreuzt von der frischen Wunde , schief über den rechten Oberarm lief . „ Was ist denn aber das ? “ fragte ich . — „ Ach , “ sagte er , „ der Lümmel , der dänische Dragoner bei Krusau — still davon ! Das Moralische versteht sich immer von selbst ! “ Ich richtete mich langsam auf , that ein paar Schritte und fand , daß ich auch leidlich gehen konnte . „ Wir schleichen nach Göschenen hinunter , “ sagte er , „ kommen Sie . “ — „ Warum nicht lieber vorwärts nach Andermatt ? “ — „ Nein , nein ! dort sitzt es voll von Fremden ; drunten ist 's still ! “ Mit unendlicher Mühe wurden die Hindernisse bis zur Teufelsbrücke überwunden ; er schob , zog , hielt mich , während ich weniger kletterte , als auf allen Vieren kroch . Endlich war die geebnete Straße erreicht , er gab mir den gesunden Arm und mit langsamen Schritten begann die nun etwas leichtere , doch immer noch schwierige Wanderung . „ Aber wie ist 's denn gegangen ? “ fragte ich . „ Nun , ich hab' Sie auf einmal gesehen , wie Sie hiengen , dann vorwärts klettern wollten . Wie ich herabgelangt bin , das weiß der Himmel , ich nicht mehr . — Sehen Sie dort ! “ — Er zeigte nach der Stelle . „ Nicht ein Pfad , nur ein Ritzenzug im Fels , der mir für Gemsen zu ungangbar schien , — es gelang mir , just noch im rechten Augenblick unter Sie zu kommen , — Sie schreien — gleiten mir an die Schulter , ich packe Sie , — und nun , dann sind wir eben miteinander heruntergerumpelt , wie's zugieng , weiß ich eben auch nicht mehr — es ist ja recht gnädig abgelaufen — nicht immer können die Geister doch das Gute stören . Frau von Vorsehung , geborene Zufall , hat sich dießmal doch ganz ordentlich gehalten . “ Wir schwiegen lang , dann fieng er , in den Anblick der stürzenden Wasser vertieft , an : „ Wissen Sie , wo die Schönheit liegt in dem Vers : ‚ Es stürzt der Fels und über ihn die Flut’ ? Gar nicht bloß im Klang der Vokale und Konsonanten und nicht bloß im Kraftstoß der einsylbigen Wörter ; nein , hauptsächlich in der Cäsur , die mitten in das Wort ‚ über ‘ fällt . Wie die Woge da — sehen Sie hin — über den glatt gespülten Felsblock rinnt , so das Wort über den Vers-Einschnitt . Eine solche lehrhafte Bemerkung in solcher Stunde wollte mir im ersten Augenblick schulmeisterhaft erscheinen , aber schnell besann ich mich , daß ich darin vielmehr ein Zeugniß sokratischer Geisteskraft zu achten hatte ; ich fand die Reflexion fein und richtig und die heilsame Kühle wissenschaftlichen Denkens drang mir beruhigend in die erschütterte Seele , ja ich meinte zu fühlen , daß sie von innen auf die zerstoßene , brennende Haut herausdringe . Ich wollte eben meine Zustimmung aussprechen , als uns ein italienisches Fuhrwerk begegnete , gezogen von einem Maulthier , das ganz nach der wälschen Art aufgeschirrt war : rother Federbusch , roth gesäumter Pelzbesatz an den Scheuledern , um den Hals ein klingelndes Schellenband . Wir freuten uns des Anblicks . „ Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg , “ zitirte ich . „ Ja , wie wir Alle , “ sagte er , „ nur stolpert es weniger . “ Wir verfielen wieder in langes Schweigen , Jeder in sich vertieft und bei der Mühe unserer Bewegung doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt . Die Straße war jetzt ganz menschenleer . Indem wir so dahinschliechen , begegneten uns ein paar Kerle , verlumpte Gestalten , als Landstreicher leicht zu erkennen , gaben sich ein Zeichen , als sie uns sahen , und bettelten uns dann mit einem Tone an , der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die derben Stöcke , die sie führten , nicht mißzuverstehen war . Plötzlich war A. E. ganz verändert ; bolzgerad aufgerichtet , nicht mehr ein Hölderlin , sondern ganz Bild des persongewordenen Befehls , herrschte er die Strolche an , verhörte sie wie ihr gesetzlicher Richter nach Namen , Herkunft , Stand , kanzelte sie dann als Lumpen ab und schloß mit der Drohung , sie arretieren zu lassen , wenn sie ihm noch einmal unter Augen kämen . Sie standen überrascht und verschüchtert , doch zaudernd . Jetzt kommandirte A. E. mit lautem und straffem Stoß der Stimme : „ Links um ! Vorwärts marsch ! “ Es fuhr ihnen wie ein Blitz in die Beine und sie gehorchten . Ich sah recht , was die Persönlichkeit allein , auch ohne Machtmittel , durch das Gewicht des einfachen Im ponirens erreichen kann . „ Sie können herrschen , “ sagte ich . — „ Es lernt sich ein wenig , “ war die Antwort , „ über Subjekte immerhin , dagegen über Objekt — kaum , — nicht — nie . — Uebrigens hatte ich den Kerlen am Gang angesehen , daß sie Soldaten gewesen sein müssen . “ Darauf ruhten wir kurze Zeit an einer Stelle aus , wo wir auf einen der reißendsten Wasserstrudel hinabsahen . Wie wir uns schweigend das Schauspiel betrachteten , kam ein Gegenstand hergeschwommen , in welchem wir , als er näher war , A. E. 's vom Sturm geraubten breiten Hut erkannten , obwohl er sich allerdings in sehr erschüttertem Zustande befand . Die arme Filzgestalt trieb dem quirlenden Kessel hart an einem der Abstürze zu und spielte hier eine Weile im Kreise . „ Was mag nun der Filz wohl denken , daß das für ein rasendes Zeug sei , was ihn da umwirbelt ? “ sagte ich . „ Und was die wilde Reuß , “ setzte er hinzu , „ daß das wohl für ein Ding sei , das ihr da aufgepackt ist ? “ — „ Nun , was neulich der Mutz im Berner Bärengraben dachte ; als ein Hut hinunterfiel , hob er ihn auf , sah ihn lang an , drehte ihn zwischen den Tatzen um , zerarbeitete ihn gründlich und fraß ihn dann auf — geben Sie Acht , sie wird's gleich ebenso machen ! “ — Im selben Moment war das Artefact vom Stromsturz ergriffen und verschwand . „ Doch den Jüngling sah Niemand wieder “ — oder auch : „ Denn die Elemente hassen das Gebild der Menschen hand , “ zitirte A. E. und setzte lachend hinzu : „ Und so hätten wir uns denn in aller Trübsal doch noch mit unsern zwei Klassikern beschäftigt . “ Ich hatte bis dahin vergessen , daß er barhaupt war , und suchte ihm vergeblich meinen Hutaufzunöthigen , den ich , in eine Felsspalte geklemmt , wieder gefunden hatte . Die ruhiger gewordene Luft spielte mit seinem feinen , auf dem Scheitel etwas sparsam gewordenen , nur um Stirne und Hinterhaupt reichlicheren Haare . Es wurde mir eigenthümlich weich zu Muthe , als ich dem so zusah . — Wir erreichten nun Göschenen . Das Dorf kannte noch nicht die Unruhe , die da herrscht , seit man den Tunnel gräbt , wir traten in ein ländlich solides Wirthshaus ein , machten dem freundlich und mitleidig fragenden Wirth etwas von einem unglücklichen Kletterversuch vor und A. E. zwang mich nun in's Bett , verschwand auf kurze Zeit , kam dann mit einem nassen , ausgewundenen Leintuch , wickelte mich kunstgerecht und sagte : „ So , jetzt ruhen Sie , schlafen ein Stündchen , ich will inzwischen nach einem Bader umschauen . “ Bald meldete sich , als er hinweg war , der Schlummer bei mir , nur schickte er sich , ehe er eintrat , eine Reihe todbanger Traumbilder voraus ; ich glaubte von Fels zu Fels in's Unendliche zu stürzen ; so müßte es einem Wasserfall zu Muthe sein , wenn er fühlen könnte ; ich zerschellte tausendmal in einer Minute zu Staub ; ich war der Filzhut , den wir treiben gesehen , ich war zu gleich auch sein Träger ; das Becken der Reuß , auf dem ich schwamm , erschien mir als Suppenteller , und ich wurde für seine Entweihung verurtheilt , mit den jäh abstürzenden Wogen in die Tiefe geschleudert zu werden ; ich war ein Leichnam , Raben zerhackten mich , ein Geier schlug seine Krallen in meine linke Schulter , ein Adler seinen Schnabel in die rechte Hüfte , ein Felsblock fiel mir auf die Brust , das tosende Wasser schwemmte ihn weg , fuhr mir zischend in alle Röhren des Leibes , mein ganzes Inneres fieng an zu rauschen , zu schäumen , ich wurde selbst zum rasenden Strudel , löste mich in Schaum auf , im Schaum zerstob der Traum und ich sank in das reine Dunkel des ganzen Schlafes . Ich mochte ein paar Stündchen geschlafen haben , als ich , die Augen aufschlagend , meinen Retter neben mir sitzen sah . Ich erkannte ihn nicht sogleich , denn er hatte eine Pelzkappe auf dem Kopf . Er merkte es , zeigte sie mir her und erzählte , das Glück habe ihn an einen ländlichen Kleiderkram geführt , wo er sie gefunden . Sie stand ihm wirklich ganz gut zu Gesichte . „ Nun , “ fieng er dann an , „ Sie sehen ja ganz frisch aus , jetzt aus der Wickel ! und da ist der Herr Obermedizinalrath von Göschenen . “ Ein echtes Charakterbild von ländlichem Chirurgen sah ich jetzt erst drüben am Tisch stehen und Pflaster streichen . „ Es wird dem Herrn gut thun , wie Ihnen , “ sagte der ehrsame Künstler , legte mir zwei große Pflaster auf und half mich dann ankleiden . Doch ich hätte der Hülfe nicht mehr bedurft ; ich fühlte mich ganz leicht und stark , die tobende Musik im Kopfe war verstummt ; mich drängte es , meinem Schicksalsbruder an den Hals zu fallen und Laute des Dankes zu stammeln , aber ich hütete mich wohl , diesem Gefühle zu folgen ; ich wußte , wie es mir gegangen wäre : ein Pah ! und ein paar Sprachspiele von gerettetem Retter und rettendem Gerettetem wären sicher nachgefolgt , ja bei einer leidigen Neigung zum schlechten Witz , die ich schon an ihm kannte , hätte er nicht geruht , bis ein gegabelter Retter-Rettig zum Vorschein gekommen wäre , und so hätte er die rührende Szene in eine Lachszene verkehrt . „ Appetit ? “ „ Ja wohl , ja freilich ! “ „ Schon besorgt , kommen Sie zu Tisch ! “ Der Bader wurde , zufrieden mit seiner Belohnung , entlassen , wir Zwei traten in ein etwas niedriges Zimmer , das aber mit seiner Täfelung und reinlichen Gardinen einen ganz heimelichen Eindruck machte , der Wirth erschien und hinter ihm ein Mädchen mit der Suppenschüssel . Ich bemerkte , daß A. E. sie in's Aug faßete . „ Ein Töchterchen ? “ fragte er den Wirth . „ Eine Nichte , “ war die Antwort . „ Ein hübsches Kind , “ sagte ich , als Beide hinaus waren . „ Ich weiß nicht ; halb hübsch oder so oder — halt ! so ist 's : sie sieht aus , als hätte sie eine schöne Schwester . “ Ich nahm mir keine Zeit zum Nachdenken über gemischte hälftige Schönheit und über Schließbarkeit auf eine schönere Hälfte , denn der Hunger war groß und ebenso ergieng es sichtlich meinem Tischkameraden . Es begann nach Stillung des ersten Bedürfnisses ein wachsend heiteres , belebtes Gespräch . Ich sah ihn zum ersten Mal eigentlich hell in seiner Stimmung . Seine Athmungsorgane erschienen mir unbelästigt , das starke Ereignis ; hatte wohl eine gute Krisis mit sich geführt . Er fieng wie dort am Axen vom Wetter an : „ Der Föhn legt sich , will sehen , wann der Regen kommt ; ich glaube , viel wird 's nicht sein , er wird wohl dießmal die Hauptmasse des Feuchten drüben überm Bodensee hinunterschütten . Können Sie denn den Wind ausstehen ? “ Ich hütete mich wie billig , von der physikalischen Nothwendigkeit der Luftbewegung anzufangen , und A. E. fuhr auch fort , ohne Antwort abzuwarten : „ Geduld bei allem andern übeln Wetter , aber der Wind ist spezifisch unverschämt , betäubt die feinsten Sinne , Auge und Ohr , macht durch den unnöthigen Lärm das Hirn trunken , wild , ist wie ein Kerl , der mich mit Ohrfeigenregen begleitet , mir auf Tritt und Schritt vorheult , der Teufel sei los , kurz , kann mich geradezu ganz wüthig machen . “ Dieß war die einzige Andeutung , das einzige , entfernte , sehr nur mittelbare Geständniß ; der Unvernunft der Szene , dir er am Fels aufgeführt . Der Wink war mir wenigstens hinreichend , um zu schließen , was übrigens auch sonst der Augenschein zeigte : daß eine gewisse Befreiung eingetreten sei . Nur nehme der Leser die Befreiung nicht für wirkliche Besserung : er würde sich täuschen , wie sich bald finden wird . Er hatte gestern den Föhn mit einem bösen schönen Weibe verglichen , jetzt führte ihn das Föhngespräch auf dieselbe , aber umgekehrte Vergleichung : „ Dämonisch reizvolle Weiber sind doch wie der Föhn ; sie machen warm , warm , aber schwül , nicht Sonnenwärme , — elektrisch , bang , — Schönheit des Tigers — geben die Seele nicht , haben keine — wurzelt nichts — Liebe und Katarrh wurzelt im Mann tiefer als im Weib , — aber , aber , mein Herr— “ Hier begannen seine Augen zu funkeln und er fuhr mit der Stimme heraus , als spräche er mit einem Feind — „ es gibt Kuren — wenn erst ein rechter Katarrh dazu kommt — wild — scheuslich — “ Er brach ab , erbleichte , versank in ein Brüten und sprach mit plötzlich erweichtem Tone vor sich hin : „ O keine Kuren — Heilung erst vom Himmel — vom Lichtgeist — dann ein gesunder Säbelhieb — “ Er faßte sich schnell , und als wäre ihm mit den letzten Worten das Stichwort von außen gegeben , auf ein anderes Thema einzugehen , nahm er die deutsche Frage auf und trug durch einen sichtbar künstlichen Akt der Seele seine Erregung auf diesen ganz anderen , sächlichen Inhalt über : eine Gewaltsamkeit , die ihm doch so völlig gelang , daß die Kunst zur Natur wurde und nun die ganz ungeheuchelte Leidenschaft eines echten Patrioten zum Vorschein kam . Er brach in bittere Klage aus über die Verachtung , die noch auf der Nation laste . „ Fast gleichen wir ja , “ rief er aus , „ den Juden , die auf Kohlen sitzen , wo das Gespräch auf ihr Volk führt . Ich hab's Ihnen nicht erzählen mögen , “ sagte er ; „ vorgestern Nacht in Brunnen — ich saß eigentlich gern unter den Schwyzer-Mannen , obwohl ich sonst das Schreien nicht leiden kann ; Luftstimmen , voces non subactae , aber Bruststimmen , Metall , Korn ! Da kommen die Kerle auf die Dinge zwischen Preußen und Oesterreich “ — ( wir sind im Spätsommer 1865 ) — „ fängt einer an : ‚ ja , die Dütschen ! 's ist nüt und wird nüt ' ; ich fahr' auf , weis' ihn zurecht , man droht mir , aber da sie sahen , daß ich keinen Teufel fürchte , haben sie mich in Ruhe gelassen . — Inzwischen , es kommt jetzt anders , Sie werden sehen , aus diesem Wirrwarr entsteht etwas . — So gewiß glaub' ich 's , meine es schon zu sehen , daß mir schon vor den nächsten Folgen bang ist , wenn das deutsche Reich aufgebaut sein wird . “ „ Da sind Sie doch mehr als eine Wetter-Kassandra ! Was für Folgen ? “ „ Sehen Sie , die Deutschen können das Glück und die Größe nicht recht vertragen . Ihre Art Idealität ruht auf Sehnsucht . Wenn sie 's einmal haben — vielleicht erleben wir's , geben Sie Acht , — und nun nichts mehr zu sehnen ist , so werden sie frivol werden , die Hände reiben und sagen : unsere Heere haben 's ja besorgt , seien wir jetzt recht gemeine Genuß- und Geldhunde mit ausgestreckter Zunge — “ Ich erschrack , wollte es nicht glauben , und erschrack doch . Und an dieser Stelle angelangt , erlaube mir der Leser eine kurze Unterbrechung . Seit es nach und nach kam , wie es nun gekommen , seit Unehrlichkeit , Betrug , Fälschung , Fäulniß so mancher Art tiefer und tiefer in das Blut unserer Nation sich einfrißt , muß ich täglich dieser Prophetenworte gedenken . Ja ich bekenne , vielleicht hätte ich trotz meinem Vorsatz es doch unterlassen , den unbequemen Sonderling zu schildern , wenn nicht diese Weissagung zu melden wäre , die so leidig eingetroffen ist . A. E. legte mir , den er sehr nachdenklich sah , jetzt die Hand auf den Arm und sagte : „ Nehmen wir 's auch nicht zu schwer ; eine anständige Minorität wird bleiben , eine Nation kann so was überdauern ; es bedarf dann ein großes Unglück und das wird kommen in einem neuen Krieg , dann werden wir uns aufraffen müssen , die letzte Faser daran setzen und dann wird 's wieder besser und recht werden . “ Ob auch dieß in Erfüllung gehen wird ? A. E. wurde , als dieser schwer lastende Ernst heraus war , wirklich munter , er gerieth , redselig auf gelegt wie er war , in sein altes Fahrwasser und sein Schiff fuhr so mit vollen Segeln , daß ich in meinem Zuhörerkahne daneben von ganzen Sturzwellen übergossen wurde . Wie sollte ich dieses Sturzbad schildern können ! Nur einige Wellen mögen ausgehoben werden . Die Politik brachte ihn auf die Geschichtsschreibung und nun gieng 's an , nun legte er wieder mit seinen Marotten los . Er fordere Gründlichkeit und die Frucht werde sein : Billigkeit , Gerechtigkeit , Mitgefühl , Toleranz , wahre Humanität . Der Geschichtsforscher müsse vor Allem eine richtige metaphysische Vorbildung genießen , müsse sich gute Kenntnisse in der Urgeschichte erwerben . Ich bekam bei dieser Gelegenheit etwas mehr vom philosophischen System oder vielmehr eigentlich der Mythologie des sonderbaren Denkers zu hören , als ich bisher wußte . Die Natur sei das Produkt eines Urwesens weiblichen Geschlechts . Dieses höchst geniale , reizvolle , höchst gütige und zugleich höchst leichtsinnige und dämonische , höchst grausame Weib habe sich mit Legionen böser Geister verbündet , die sich im Urschlamm erzeugten . Man solle zusehen , ob nicht alles Thun und Hervorbringen der Natur weib-artig sei . So leicht , als die Weiber empfangen , schaffe sie ; so ohne alles Nachdenken , wie ein begabtes Weib geistvolle Gedanken und Plane entwickle , quellen aus ihrer Hand die unendlichen Formen hervor ; so geschmackvoll und eitel als das Weib sich aufputze , schmücke sie ihre Wesen ; man solle doch nur zum Beispiel die Toilette der Vögel sehen , die Büsche , Hauben , Klunker , Krägen , Schweife in allen Formen , namentlich in solchen , die sich zu Prachträdern aufschlagen : man werde doch nicht meinen , diese Dinge seien gemacht , damit Niemand sie sehe , es liege ja auf der flachen Hand , daß das von einer genialen Urkokette stamme ; dieß Weib sei wohl auch gut : sie nähre , pflege , sorge , heile , wie nur ein Weib es könne ; dann aber sei sie plötzlich total gedankenlos , absolut vergeßlich , ganz so dumm , wie oft das geistreichste Weib , ja eine reine Gans . „ Von der Sie auch gelegt sind , “ fiel ich ein . „ Ja wohl , ja leider wohl , “ sagte er und fuhr ungestört fort : „ So vergißt sie , daß sie einen Frühling voll Blüthenherrlichkeit hat sprossen lassen , macht den ganzen Spaß mit einem Nachtfrost hin , vertilgt ihre eigenen Produkte , läßt ihre geliebten Kinder verhungern , verschmachten , verfrieren ; sie flößt der Thiermutter die zärtlichste Liebe für ihre Jungen ein und leitet den Bärenvater , den Kater an , sie zu fressen ; sie gibt dem besten aller Thiere , dem sehr philosophischen Thiere , wie Plato es nennt : dem Hunde die Hundswuth zur Mitgift und macht ihn zum Scheuel und Greuel der Menschen , die er liebt und die ihn lieben ; sie ist mißlaunisch , widerwärtig just wie die Weiber und wirft neben ihre Künstlergebilde das Warzenschwein , die Kröte , den Bandwurm , die Läuse , Flöhe , die Wanzen . Kann dieß Alles noch aus purem Dusel und Unwirschsein erklärt werden , so ist sie nun aber auch recht eigentlich grausam , so grausam als gütig , und hier nun erst gleicht sie ganz dem dämonischen Weibe oder vielmehr hier am deutlichsten liegt der Beweis , daß dieses Alles nur von einem Weibe herkommen kann , nämlich einem genial boshaften . Ich habe diesen Zug oft am Weibe bewundert . Macht das Weib eine rechte Teufelei und man hält es ihr nun vor , so pflegt sie zu sagen , es sei nicht mit Ueberlegung geschehen . Das ist denn auch ganz wahr : eine Bosheit , so raffinirt , wie sie der Mann nur mit angestrengtem Denken ersinnen könnte , bringt das Weib ohne alles Nachdenken im Augenblick fertig , satanisch schuldhaft ganz unschuldig ; das Weib führt ein Gift , das ein moralisches und doch ebenso sehr ein pures Naturgift ist , genau wie die Nattern , Skorpionen , Taranteln ; ich habe schon Briefe gelesen von erbosten Weibern geschrieben : kein Mann , so lang er auch grübelte , könnte ein solches Arsenal von Nadeln mit vergifteten Widerhaken zu Stande bringen ; den Stich fühlt man oft im Anfang kaum , dann fängt er an zu brennen und nach und nach empfindet man sein ganzes Wesen bis in's Herz hinein vom höllischen Schierling durchträufelt , durchsickert , durchbeizt . Doch weiter im Text : inzwischen nun hatten sich im Urschlamm infusorisch , unabhängig vom Fortpflanzungs system der persönlichen Urgottheit , nämlich eben jenes Weibs , in der tropischen Hitze der Urwelt Legionen von bösen Geistern erzeugt , sie boten sich ihr als Gehülfen an und mit ihrer Assistenz erst ist nun das Ganze aller Scheuslichkeiten , die ganze Welt raffinirter Grausamkeit fertig geworden , welche die Natur aufweist , die ganze wurstgiftige Wurst des Daseins . Es ist viel zu mild , die Natur ein allgemeines Wechselmordsystem zu nennen , man soll bedenken , wie die Thiere ihr Opfer nicht einfach morden , sondern zum Ueberfluß , zur reinen Wollust stundenlang , tagelang martern ; wissen Sie , daß die Raben einen feineren Leckerbissen nicht kennen , als die Augen eines jungen Hasen ? — es ist mir gelungen , einmal einen solchen armen kleinen Tropfen zu retten , hinter dem sie schon her waren . In Norwegen sah ich in einem Fjord einen Walfisch stundenlang wie toll aus dem Wasser emporschnellen , ich erzählte es einem Schiffer , der fragte mich , ob ich nicht an seiner Brust zwei schwarze Körper bemerkt habe , ich solle Acht geben , wenn ich diese Erscheinung wieder beobachte ; es sei eine Art kleinerer Haye , die immer paarweise schwimmen , denen die Brüste des weiblichen Walfisches die höchste Delikatesse seien , die sich darin festbeißen und nicht ablassen , bis das ganze weiche Organ aus seinem tiefsten Sitz herausgenagt sei ; das könne taglang , nachtlang dauern und da springe denn das wehrlose Thier vor wüthen dem Schmerz aus der Fluth empor , bis es ermatte und verende . Und da soll man singen : Wie groß ist des Allmächt'gen Güte !? Nein , nein , das freilich ist klar , daß dieß ebenso pein- als freudenreiche Ganze , dieß kunst- und pracht- und teufeleivolle System nur von einem höchst intelligenten persönlichen Wesen hervorgebracht sein kann , aber nicht minder klar , daß dieses Wesen ebenso blind , als weise , ebenso bös , als gut ist , kurz , daß es nur ein geniales Weib sein kann . Uebrigens erhellt dieß auch daraus , daß die Natur schlechterdings nicht mit sich reden läßt , daß man mit Gründen absolut nichts bei ihr ausrichtet , just wie die Weiber , die sagen : drum eben , wenn man sie stundenlang widerlegt hat . “ „ Zu was brauchen Sie aber noch die Geister ? “ „ Bitte , mich nicht zu unterbrechen . Der Natur war etwas Ausnehmendes gelungen : sie hatte endlich den Menschen gebildet . Mit Hülfe der Geister wurde er die grausamste aller Bestien , denn ihm diente der Verstand zur Erfindung ausgesuchter Qualen für Thiere und seines Gleichen . Allein es geschah ein Strich durch die Rechnung . Derselbe Mensch erfand , geführt von einer zweiten , höheren Gottheit , einer männlichen , einem Lichtgeist , von dem wir ein andermal noch sprechen , nach und nach Dinge , auf welche das Urweib und die Geister nicht gefaßt waren : das Recht , den Staat , die Wissenschaft , die begierdelose Liebe und die Künste . Das Weib war mehr nur verwundert , die Natur ist ja gut und bös , bös und gut durcheinander ; sie hatte es in unachtsamen Stunden werden lassen und machte nun große Augen , wie es da war . Aber die Geister , das Schandschlammprodukt , wütheten und beschlossen furchtbare Rache . Sie schlüpften in die Objekte . — Das Weitere wissen Sie , wissen , wie der Mensch nun geschunden wird , was Alles ihm über den Weg rennt , wenn er mitten im besten , im vernünftigsten , im zweckmäßigsten Thun begriffen ist , wissen , wie er in Allem tückisch durchkreuzt , durchbrochen , das Hackbrett ist , worauf kichernd , hohnlachend die bösen Geister spielen . Es ist nur noch beizubringen , daß es ungenau gesprochen ist , wenn man das besessene Objekt anschuldigt , statt den besitzenden Dämon . Dieß ist nur sprach- und phantasiegemäß ; man kann nicht allemal zwei nennen . “ „ Aber Sie waren eigentlich an der Geschichte . “ „ Ja so , ja ! Billigkeit , Gerechtigkeit , Mitleid , Humanität — wenn sie gründlich geschrieben würde . Wenn ein braver , wenn ein gescheuter , wenn ein großer Mann unsinnig , zweckwidrig , unrecht handelt , schwächlich unterläßt , wenn ein Redner , wenn ein Denker sich in unbegreifliche Widersprüche verwickelt : wissen wir denn , ob ihm nicht ein Knopf an den Hosen gerissen war ? Wer kann Vernunft bewahren in diesem Zustand ? Ob ihm nicht der Katarrh ein teuflisches Haarseil durch den Schlund zog , sein Ge hirn trübte , bewölkte , versimpelte und nichts ihm zu denken mehr übrig ließ , als Unsinn , Unrecht , Widersinn ? Brannte nicht vielleicht ein Hühnerauge , gab ihm glühende Dolchstiche von der Zehe aufwärts bis in's Herz und Mark ? O Menschheit , erkenne dieß , werde klar und du wirst verzeihender , wohlwollender , edler werden ! Menschheit , habe Religion ! Ein Held kann über einen Strohhalm stolpern ! Ein Halbgott an einer Gräte ersticken ! Und das ist noch nicht das Schlimmste , aber ein Vernünftiger , ein Braver kann zum Fex , zum Troddel , zum Kinderspott , zum bösen Nickel , zum Schmutzigel , ja zum Verbrecher , zum Scheusal werden . Kurz der Wahnsinn beherrscht das Geschehen : die Schuld der Geister , die Schuld der Teufelsrotte . Und aber trotzdem : sie können die Menschheit placken und schinden , aber nicht mehr unterkriegen , den Oberbau : Gesetz , Staat , Liebe , Kunst nicht mehr einstürzen , wir müssen streben , ringen , kämpfen , als ob sie nicht wären . Ja die Geister selbst und ihre bösen Werke , obwohl wir sie nicht hindern können , müssen uns dienen : wir erkennen sie , wir verwenden sie , namentlich in der Kunst . “ Ich erschrack , weil ich mir denken konnte , nun werde er erst recht in's Zeug gehen . Denn er war immer aufgeräumter geworden , ließ sich nicht im geringsten verstimmen durch die schwierige Aufgabe , die uns ein Theil des gediegenen Mittagessens stellte : alles Fleisch war hart , wie man es dort zu Lande liebt , aber A. E. arbeitete mit guten Kieferwaffen munter zu und half kräftig mit dem feurigen Veltliner nach , der uns gar wohl that nach unserem Abenteuer . Ich durfte ihn nicht stören in seinen Tischreden und hörte denn geduldig weiter . Er bewegte sich durch das Gebiet der verschiedenen Künste . Zunächst kam die Poesie daran und zwar das Drama , die Tragödie . Schiller's Tell fiel ihm wieder ein und er sagte : „ Wollen Sie dagegen eine wahre Tragödie , das heißt eine solche , die den Konflikt der Konflikte , den des Menschen mit den Geistern , behandelt ? Eine Tragödie , die aus der Menschengeschichte den wahren Inhalt destillirt hat ? Eine Tragödie , aus der wir die echte Lehre vom Mitgefühl mit dem armen Sterblichen entnehmen , die echte Humanität schöpfen sollen ? Eine Tragödie , deren wahre Bedeutung doch bis heute noch gröblich verkannt ist ? Ich kenne , darf ich sagen , die ganze Literatur über Shakespeare's Othello . Nirgends auch die blasse Spur von Ahnung der eigentlichen Intention des tiefsinnigen Dichters , zu deren Verständniß er uns doch einen so deutlichen Wink gegeben hat ! Was sagt denn Othello im vierten Auftritt des dritten Akts zu Desdemona ? ‚ Ich fühle Schmerz an meiner Stirne hier' und wie erläutert er dieß deutlicher im vierten ? ‚ Mich plagt ein widerwärt'ger böser Schnupfen . ‘ Beiher ist hier zu bemerken , wie erbärmlich die Uebersetzer verflachen : ‚ Widerwärt ' ger ! ‘ Salt sagt Shakespeare : salzig ; o , Shakespeare ist konkret , nie abstrakt allgemein ! o , der kennt es ! — Nun meinen die seichten Köpfe , das sei bloß Vorwand von Othello , um herauszubringen , ob Desdemona das Schnupftuch noch habe . Schnupftuch ! Handkerchief ! Worüber die gemeinen Seelen noch lachen ! Als ob Shakespeare nicht leicht sonst ein Tuch hätte setzen können , wenn nicht tiefere Absicht gerade dieß verlangt hätte ! Meint man denn , eine Wuth , eine That wie des Othello sei aus moralischer Verfinsterung allein zu erklären ? Nimmermehr ! Der Schauspieler , der sich ganz in die Tiefe des Dichtergeistes versetzt , wird schon im zweiten Akte bei der Ankunft auf Cypern durch eine gewisse Dumpfheit , eine nasale Färbung des Tons fein andeuten , daß sich Othello auf der stürmischen Seefahrt bedenklich verkältet hat ; nun erwäge man , daß es ihm , schon angeschnupft , wie er ist , unmöglich gut sein kann , daß er bei dem nächtlichen Skandal auf der Wache schnell das Bett verlassen muß ; der darstellende Künstler wird also vom dritten Akt an die Symptome etwas steigern , etwa auch durch Auftragung von etwas Roth auf dem Nasenzipfel — ( hier fühlte A. E. nachdenklich an seinen eigenen ) — oder , als Mohr , — von etwas Dunkelblau — oder Grün ? — er wird beim ersten Ausbruch von Heftigkeit gegen Desdemona durch scharfes , trockenes Husten dem Zuhörer die Ueberzeugung einflößen , daß der Katarrh jetzt in den Hals getreten ist und allda wie mit einer Nadelspitze kratzt , kitzelt und krabbelt . Jetzt tritt das eigentliche Katarrhfieber ein , das Hirn ist eingenommen , giftig gereizt , alles Blut im Kopf , nicht nur die Nase ist roth oder blau , auch die Ohren sind es — Sie wissen , mein Herr , wie wüthend und blutdürstig der Mensch ist , wenn er heiße , rothe Ohren hat — ; mit Jago's Scheinbeweisen , stets erneuten Einflüsterungen steigt in gleichem Schritte dieser traurige Zustand , die Ohnmacht im vierten Akt , aus bloßer Phantasieaufregung denn doch nicht erklärlich , ist Beweis einer radikalen innern Verpfropfung , das Uebel ist offenbar in den Magen niedergestiegen , ist ganz zur höllischen Grippe geworden ; von nun an begleite Räuspern , Husten , unendliches Schnäuzen jeden Schritt des Unglücklichen ! So gelangen wir zur Mordszene ; hier leiste der Künstler das Höchste ! Othello ist jetzt auf dem Gipfel seines Leidens ; nicht in kleinlich naturalistischer Weise , nein , ganz im furchtbar hohen Styl werde dieses Aeußerste des tragischen Zustands dargestellt , es seien Hustenanfälle erhabener Art , die wie Kanonenschüsse explodiren , endlich wird der Unselige blauroth-grünschwarz im ganzen Gesicht , er kann mit aller verzweifelten Anstrengung die im Halse sitzenden zähen , schmählichen Hindernisse nicht herauswürgen , er kann durch den Mund nicht genug athmen und die ganz verschwollene Nase versagt völlig den Luftdurchgang ; er ist am Ersticken ; da , in der Wuth , in diesem Krampf des Lebens , diesem rasenden Sieden des Gehirns wird er zum Teufel : soll ich ersticken , so sollst du es auch , so denkt er ; das Schnupftuch ! das Schnupftuch ! Dieser Ausruf — ( er hat das seinige offenbar verlegt ) — zeigt an , mit welchen Objekten seine tollgewordene Phantasie sich einzig noch beschäftigt , und jetzt — erwürgt er Desdemona . In diesem Sinn und in diesem allein richtig aufgefaßt , haben wir im Othello die Tragödie aller Tragödien , die erste , vollkommenste , ergreifendste Dichtung aller Zeiten . Da erst muß jedes Herz klopfen , jede Lippe seufzen : o , was ist Menschengröße , Menschenruhm ! O , sehen Sie , “ fuhr er heftiger fort , — „ ich selbst — an wie viel Gutem haben mich die Katarrh-Teufel verhindert , aber zum Bösen , zum Grauenhaften — ja dazu — damals — damals — o man bedarf Nachsicht — “ Er stockte , besann und faßte sich und fuhr ganz nüchtern fort , es falle ihm übrigens nicht ein , irgend Jemand zu vergöttern . Von den bekannten Flecken Shakespeare's — Absurditäten , Rohheiten — wolle er jetzt nicht reden , sondern nur bemerken , daß es ihm widerfahren könne , gerade in dem Punkte zu fehlen , worin doch seine wahre Größe bestehe . Er mache auf eine schwere Unterlassung im König Lear auf merksam . Der brave Kent lange nach scharfem Ritt in Cornwall's Schloß an , überreiche den Brief von Lear , werde alsbald beordert , Cornwall und Regan nach Gloster's Schloß zu folgen , und zwar Nachts , erhitze sich hierauf wieder sehr stark in der herrlichen Schimpf- und Prügelszene mit Oswald , werde dann von Cornwall in den Block gespannt , liege nun da , die Füße eingeklemmt , den Leib auf der feuchten Erde , schlafe sogar in dieser Lage und — kriege bei solcher Verkältung keinen Katarrh . Nun wäre es aber sehr geistlos , zu meinen , dieß stehe in keinem Zusammenhang mit dem sittlichen Gehalte der Tragödie . Dieser Kent , dieses wackere , herzstärkende Mannesbild , vergelte seines Königs Ungerechtigkeit mit rührender Dienertreue in freiwilligem Stand der Erniedrigung , werde für ihn beleidigt , schmählich bestraft , aber das größte , das erhabenste aller Opfer , daß er für ihn einen Schnupfen , einen Katarrh auf sich nehme : das sei vergessen , dieses Prachtmotiv nicht entwickelt . Von da an sprang er zu der Skulptur über . Auch hier äußerte er sich leidenschaftlich gegen das , was er falschen Idealismus nannte , um das Prädikat des wahren Idealismus dem entsetzlichen Naturalismus vorzubehalten , den er predigte , von dem er sich aber vorstellte , daß er mit allen hohen Zügen des klassischen , hohen Styls vereinbar sei . So rief er unter Anderem aus : „ Da stellen uns die Zuckerlecker die drei Grazien dar in holder , marzipansüßer Umschlingung ! Es ist leicht , es ist wohlfeil , mit so butterweichem Symbole lügen , das Leben verlaufe sich in ungebrochenen Wellenlinien ! Man stelle die Wahrheit dar , allerdings in mythischem Gewand , in großartiger , geisterhafter Personifikation ! Drei furchtbare Weiber , schön und entsetzlich , grauenhaft schön , bilden , sich umarmend , eine Gruppe , ein Symplegma ! — : der Schnupfen , der Katarrh oder Pfnüssel ( dieß Wort hatte er , wie er er mir sagte , in der Schweiz aufgefangen ; er unterbrach hier den Zug seiner Rede , verbreitete sich über dessen onomato-poetischen Werth und behauptete mit komischer Heftigkeit , das Wort sei keltischen Ursprungs , was ich ihm doch nicht bestritt , obwohl ich es für gut deutsch hielt ) — der Pfnüssel — und die Grippe ! Ziel , des edelsten Künstlers würdig ! Hauptaufgabe : die Nüancen , die Stufen richtig zu geben , abzutonen ! Es bedarf dabei keiner gemeinen Naturwahrheit , man kann ganz ideal und doch ganz wahr sein , der Ausdruck in Stirne , Augen , Lippen , Haltung und Bewegung des ganzen Leibes genügt , wenn er mit zartem Verständniß behandelt wird , vollständig , die verschiedenen Grundzustände , die Stimmung , die Verdüsterungsgrade der Nerven , des Gehirns höchst überzeugend auszuprägen ; haben doch die Griechen selbst uns den Weg gezeigt , indem sie die Meduse — vielleicht selbst ursprünglich eine Personifikation des Katarrhs — ( er drohte , die Hypothese durch eine mythologische Untersuchung zu beweisen , doch glückte es mir , dieß wenigstens abzuschneiden , ) — die Meduse früher als scheusliche Fratze , endlich aber in jenem Wunderwerk aus Palast Rondanini als ein Weib darstellten , das den Reiz hoher Schönheit mit den hippokratischen Zügen und dem Ausdruck dämonischer Bosheit so schaurig entzückend und entzückend schaurig in sich vereinigt ! “ Bei den Griechen angekommen , verfiel er auf die Architektur . Das Räthsel des „ reinen Segensstyls “ , von dem er auf dem Bierwaldstättersee gesprochen , sollte mir jetzt gelöst werden . Allein meine Aufmerksamkeit war denn doch an der Linie der Ermüdung angekommen , um so mehr , da ich mit Prämissen jetzt reichlich genug versehen war , um mir eigentlich selbst vorstellen zu können , was folgen werde . Dazu kam aber noch ein besonderer Umstand , den ich angeben werde ; zuerst sei bloß flüchtig gesagt , daß ich nur obenhin einige Bemerkungen vernahm , wie in den neuen Styl aus der klassischen Architektur ein System von kannelirten Pilastern für die Dekoration der Schauseite , ebenso zu dem Kranzgesimse wesentlich die Hängeplatte mit den kleinen Zäpfchen an den mutuli ‚ genannt guttae oder Tropfen herüberzunehmen seien , am Sockel dann eine Reihe schön und entgegenkommend ausgebreiteter Nastücher auszumeißeln wäre , und so weiter und so weiter ; kurz , alle Formen müssen aussprechen : hier tritt nur ein , hier soll dir's bequem gemacht werden , hier darfst du dir normalen „ Verlauf “ versprechen und unbehinderte Pflege . — Ich weiß nicht mehr , wie es sich gab , daß er noch einmal auf die Poesie zurücksprang . Es summt mir noch halbdeutlich im Ohre nach , daß er weiterhin auf das Epos zu sprechen kam und sich rühmte , sein System könne es wieder beleben , da es eine neue , tiefe , herrliche Mythologie darbiete , und daß er hierauf noch einmal zum Drama , zu seinem Shakespeare übergieng . Er war eben beim Hamlet angekommen und eifrig beschäftigt , auszuführen , wie es doch wieder ein Beleg der Seichtigkeit aller bisherigen Erklärung sei , daß noch Niemand die Grundursache aller Ursachen seines Zauderns , Stockens , seiner geistigen Obstruktion als eine physiologische erkannt habe ; alle Hauptstellen in diesem unsterblichen Drama verkünden doch mit Flammenschrift : jeder Zoll ein Hämorrhodarius ! Er machte nun Anstalt , das Gesammtbild der Konstitution des Helden in breiter Ausführung aus den Worten der Königin zu entwickeln : „ Hamlet ist fett und kurz von Athem “ , dieß Alles war eben im Zuge , als das psychologische Ereigniß in mir eintrat , das ich zu melden habe . Der Tisch war fast voll besetzt mit Schüsseln , Nebenschüsseln , Töpfchen , Flaschen , Gläsern ; ein alter , steinerner Krug solider Gestalt enthielt das Wasser ; ich hatte ihn wohl bald zehnmal anders gestellt ; er wollte nirgends recht Platz finden : auch A. E. , wie ich wohl bemerkt hatte , war schon lang von ihm belästigt . Was kann gleichgültiger , nennensunwerther sein ? Aber — auf unbewußten Stufen vorbereitet — sprang plötzlich ein Etwas in mir empor , eine gewisse Art von zweitem Gesicht , oder wie soll ich es nennen ? Der Krug war mir kein Krug mehr , sondern ein beseeltes , unverschämtes Wesen , ein Geisterlümmel oder Lümmelgeist ; seine Schnauze war ein unverschämtes Maul , der erhöhte zinnerne Deckel ein freches Gesicht , der Griff ein trotzig eingestemmter Arm , dieses Wesen kroch von Stelle zu Stelle immer dahin , wo es für uns unbequem stand . Und das Schlimmste war , daß ich über diesen unseligen neuen Sinn , der mir angehext war , nicht einmal erschrack , wie gestern über die andern bedenklichen Symptome , sondern ganz mit mir eins , ganz sicher war und voll Begierde , das unzweifelhaft schuldvolle Wesen nach Recht und Gerechtigkeit zu behandeln : ein Beweis , daß der Prozeß der Ansteckung sich gänzlich in mir vollzogen hatte . Ich fuhr auf , ergriff den Sünder , stürzte an's Fenster , rieß es auf , — aber schnell fiel A. E. mir in den Arm : „ Noch nicht , mein Lieber ! Ich weiß schon , daß Sie schöne Fortschritte gemacht haben in der Bildung , aber es ist noch nicht ganz reif , vielleicht sogar noch etwas Schmeichelei dahinter . Warten Sie ! Wenn es Zeit , werde ich das Zeichen geben ! “ Wir waren beim Nachtisch angekommen und bei den aufgetragenen Früchten erinnerte sich A. E. des verkohlten Obstes , das er kürzlich unter den Funden aus der Pfahldorfzeit gesehen hatte , welche in besonders reicher Sammlung die Stadt Zürich bewahrt ; wir sprachen vom Kulturzustande der Steinperiode , wie er sich aus den Resten ergibt , die man nicht lang vorher in überraschender Menge da und dort im Grunde des Bodensees und der Schweizerseen ausgegraben hatte , von den Fortschritten der Technik , die doch schon gemacht waren , als das Metall noch unbekannt war , von Ackerbau , Brod , Webekunst , Schnitz- und Töpferarbeit . Der Wirth hatte auf unser Gespräch gemerkt und sagte : „ Ich hab' so etwas , ich bringe Ihnen zum Nachtisch ein extrafeines Messer . “ Wirklich erschien mit den Dessertbrocken ein derber Meißel aus Nephrit , sehr geschickt in einen Hirschhorngriff eingefügt , einer der werthvolleren Funde , da man begreiflicherweise Klinge und Griff selten mehr vereinigt findet ; A. E. , der auf das Thema mit lebhaftem Interesse eingegangen war , zeigte große Freude an dem Geräth und der Wirth ließ es sich abkaufen . „ Ich kann es gut für meine Novelle brauchen , “ sagte er , als der Verkäufer aus der Thüre war . Er schien einen Moment in Verlegenheit , daß ihm das Wort entflogen , ergab sich aber schnell in das einmal Geschehene und fuhr fort : „ Eine Pfahldorfgeschichte . — Die kann ordentlich werden . “ „ Ja , sind Sie denn auch ein Dichter ? “ „ Nun , das will ich doch glauben ! Wen anders werden denn die Geister so placken und schinden , als einen Dichter ? “ Pause . Dann sagte er mit einem Ausdruck von großer Freundlichkeit , ja wahrer Herzlichkeit : „ Sie sollen sie haben , bald vollends ist sie fertig , das Manuskript hab' ich im Koffer mit , der nach Airolo vorausgeschickt ist . Wenn die Arbeit vollendet ist , sollen Sie eine Abschrift bekommen aus Italien . “ Bei dem Anlaß fiel mir ein , daß ich selbst ein wenig in Poesie gepfuscht hatte . Ich erzählte ihm von dem kartoffelnährenden Felsblock , zog mein Blatt heraus und schickte mich an , ihm meine Verse vorzulesen , nicht ohne erst versichert zu haben , daß ich mich sehr bescheide , mich als Kollege in Apollo aufspielen zu wollen . Er unterbrach mich bei den ersten Worten mit der Frage , ob ich auch die Haufwerke angesehen habe . Ich erfuhr von ihm , daß man so die wild übereinander gestürzten Felstrümmermassen nennt . „ Wissen Sie auch , “ sagte er , „ wie sie das Volk hier zu Lande heißt ? “ Ich verneinte . „ Dolmen , “ sagte er , „ das ist keltisch und bedeutet Opfertisch — Sie wissen doch von den uralten , geheimnißvollen Steinmalen in der Bretagne , Skandinavien , England — Dolmen sollten nur die Gruppen heißen , wo ein Felsblock wagrecht über senkrecht stehende hergestürzt ist , das Gebirgsvolk hier hat das Wort noch , versteht es nicht und wendet es auf das ganze Haufwerk an . — Nun haben Sie die Güte , zu lesen . “ So las ich denn : Aus des Felsblocks rauhen Spalten Tönt ein Aechzen , tönt ein Knurren . „ Das zu bieten einem Alten ! “ Hör' ich eine Stimme murren . Soll der Sohn so hoher Ahnen , Zeuge von der Urzeit Tagen , Soll der Sprosse der Titanen Einen Grundbirnacker tragen ? Wild und frei emporgehoben An des Hochgebirges Wangen Bin ich einst — schaut hin , dort oben ! Stolzes Riesenkind gehangen . O die Zeit , da um beeiste Zacken noch der Sturmwind sauste , Um mein Haupt der Adler kreiste , Meinen Fuß ein Meer umbrauste ! Hätt' ich , als herabgewettert Nieder in das Thal ich krachte , Deine Hütten gleich zerschmettert , Menschenvolk , bei dem ich schmachte ! Lieber Staub und Splitter werden , Träg' als Lehm am Boden liegen , Als so schmählichen Beschwerden Länger mich als Dienstmann fügen ! Und so hebt er an , zu drücken , Ihn durchzuckt ein Krampf , ein Schüttern , Daß auf seinem breiten Rücken Die Kartoffelblüten zittern . Laß das Klagen , laß das Knacken , Das wird Alles nichts mehr nützen , Laß geruhig dir im Nacken Den bescheid'nen Acker sitzen ! Denke nur : auch die Kartoffel Ist ein Kind der Erdenmutter Und — erlaub' mir , alter Stoffel — Schmackhaft namentlich mit Butter . Mußt dich gar so sehr nicht schämen , Mußt dich , dicker Trotzkopf , eben Auch dem Praktischen bequemen , Das ist Losung jetzt im Leben . Siehst du , so wird jener , dieser Wildfang im gesetztern Alter Noch ein brauchbarer Acciser Oder Kameralverwalter . Meine Leistung wollte mir doch wirklich im Vorlesen gar nicht so übel vorkommen und der wartende Blick , den ich auf A. E. richtete , mochte ziemlich selbstzufrieden aussehen . „ Nun , das ist ja ganz nett , “ sagte er heiter , „ aber bitte , werden Sie mir nicht böse , wenn ich sage : eigentlich nur unter heiteren Freunden beim Weinglas ostensibel . Die ironischen Abschnappungen einer poetischen Anschauung , diese prosaisch negativen Schlüsse sind mehr nur ein Studentenspaß , als Poesie , wobei ich nur nebenbei bemerke , daß das Wort Stoffel doch etwas zu hemdärmelig ist . Ich will Ihnen damit ja nicht weh thun , wenn ich sage : Heine hat 's angefangen und dann in's Giftige getrieben . Und was Sie von mir lesen werden , kann sich auch nicht hoch rühmen , man wird es zur ironischen , ja vielleicht zur satirischen Gattung stellen , mein Talent geht nicht weit , ich hab' da vorhin im Eifer etwas dick gethan . Inzwischen bitte ich Sie doch , geben Sie ein bischen Achtung , ob Sie nicht doch auch Positives , ich meine : so etwas , was man “ — „ Was man Poesie nennt “ half ich nach . — „ Nun ja , falls Sie so etwas finden , da und dort wenigstens , so dürfen Sie den Spaß drucken lassen , wenn ich einmal ausgehustet habe . Mir ist immer vor , es währe nicht mehr lang bis dahin . “ Das Schlußwort seiner Rede packte mich so , daß ich , hätte ich überhaupt über seine Kritik empfindlich sein können , mich und mein Werk ganz vergaß . Ich drückte ihm dankbar für sein Vertrauen und wehmüthig die Hand und glaubte billig jetzt wenigstens den Augenblick gekommen , daß wir einander uns endlich vorstellten . Ich griff nach meiner Brieftasche , um ihm meine Karte zu geben , und hoffte auf die seinige . „ Bitte , bitte , “ sagte er , „ lassen wir's lieber ! Kommt es Ihnen denn nicht auch hübsch vor , einmal im Leben nur Mensch zu Mensch ? “ Ich verstand und darf sagen : mir that wohl , was ich entnahm . Eine feurige Freundschaftserklärung hätte mir so viel , so Schönes nicht gesagt . Von einem Andern geübt , hätte die Abwehr und Versagung alles Wissens um Stand und Namen gesucht und eitel erscheinen können ; hier wäre nur eine stumpfe Seele einer solchen Auffassung fähig gewesen . „ Aber wie bekommen ? “ „ Bitte um eine Chiffre und Wohnort . “ Ich schrieb und die Sache war abgemacht , worauf A. E. noch so weit auf sein Opus eingieng , daß er sich sehr lebhaft der Originalität seiner Erfindung annahm , ja dafür verwehrte , als hätte ich sie bezweifelt . Das Pfahldorf- und Steinzeitthema war damals in Karikatur und Schrift schon zu mancherlei Scherzen verwendet worden . Mit einer Leidenschaft , als handelte es sich um einen wichtigen Ehrenpunkt , rief mein Freund — so darf ich ihn nun nennen , nachdem er mir Menschenwerth ohne Rücksicht auf Namen und gesellschaftliche Stellung zuerkannt hatte — rief mein Freund aus : „ Glauben Sie mir , ich bin darin neu und ganz selbstständig ! Sie werden sehen , die ganze Dichtung geht tiefsinnig von einer Entdeckung , die nur mir gehört , von einer Idee über den wahren , noch immer nicht erforschten Grund aus , warum diese Menschen auf Seen wohnten ; denn Sicherheit gegen wilde Thiere und Feinde ? Ist ja nichts ! Fror ja im Winter zu ! “ Der Nachtisch war inzwischen vorüber und der Wirth brachte Licht zum Cigarrenanzünden . Als A. E. das Handleuchterchen gefaßt hatte , hielt er es mir hin mit den Worten : „ Da , sehen Sie : ist das nicht wieder , um sich auf's Tiefste zu empören ! “ Er zeigte mir , daß dem Geräthe das flache Blättchen am Griffe fehlte , worauf man den Daumen setzen muß , um es sicher zu halten ; das Metall hatte an dieser Stelle eine runde Biegung , die so wenig Halt bot , daß es in jedem Moment vorn überzurutschen drohte . Wie ich ihn kannte , ließ ich mich durch das Maß seines Zorns über diese Kleinigkeit nicht befremden ; ja , es schien mir einen belehrenden Blick in das Innere dieses Menschen zu öffnen . Wer über so etwas ergrimmen kann , in dem muß das Gefühl der Zweckmäßigkeit von ungewöhnlicher Schärfe sein . — Uebrigens setzte er noch hinzu , ein solches Produkt sei ein wahres Bild unserer deutschen Industrie , deren Haupt bestreben es ja doch sei , Alles zweckwidrig zu machen . Man sollte meinen , sagte er , was Einer fachgemäß treibt , das müsse er doch verstehen ; ja , ja , hübsch umgekehrt ! Der Schneider kann erst recht nicht schneiden , der Sattler nicht polstern , der Schreiner erst recht keinen Stuhl bauen ! Der Erste schneidet einen Kasten statt eines Rocks , der Zweite bauscht Matraze und Sitz so , daß du nicht liegen , nicht sitzen kannst , der Dritte baut den Sessel so , daß du dich mit den Füßen anstemmen mußt , um nicht unter den Tisch zu rutschen . Inzwischen war ihm über Eis und Winter das Ziel seiner Reise , Italien , wieder eingefallen . „ Und nun will ich ’s also eben wieder dort probiren , “ sagte er , „ bei meinen lieben Zugteufeln ! Denn Teufel sind sie im Zugmachen ; Fenster und Thüren auf ! anders thun sie 's nicht ! Und die verruchten steinernen Böden ! Aber mein Doktor hat doch Recht : er bleibt dort zwar nicht aus , aber verläuft milder , unschädlicher . Und eben dann noch etwas ! “ „ Was denn ? “ „ Wissen Sie — es eckelt Einem eben oft am Menschen , zumeist in der nordischen Kulturwelt , die so Vieles so ängstlich verbirgt , — Accent durch Gegensatz : Sie wissen , Sie wissen ! Dort aber : naturalia non sunt turpia . Also weniger Eckel . “ Er zog nun eine Landkarte hervor , um mir seinen Reiseplan darauf zu zeigen . Es war nicht Raum auf dem Tisch , um sie ganz auszubreiten , die Karte war aufgezogen , er öffnete die Blätter zunächst so weit , als der Tisch Platz bot , aber die weitere Verfolgung der Reiselinie forderte , daß nach und nach die anderen Abtheilungen aufgeschlagen wurden , und nun gieng ein Umstellen , ein Aufräumen mit den mancherlei Geräthen an , womit die Fläche besetzt war . Der Wirth schien gern zu zeigen , daß er einen reichhaltigen und schmucken Service besitze , und hatte daher manches entbehrlich gewordene Gefäß nicht abgetragen ; auf einem zweiten Tisch und einer Kommode standen Blumenvasen , Tassen und Anderes , in derselben Art wie jener mit Goldrand und farbigen Mustern verziert , umher ; wollten wir auf dem Speistisch abräumen , so mußte erst auf einem dieser Möbel dieselbe Arbeit vorgenommen werden , dazu bot aber wieder nur der Speistisch Raum , den man doch eben leeren wollte , und so entstand ein Kreislauf höchst verwirrender und bemühender Art , der endlich in ein leidenschaftlich wirbelndes Hin und Her übergieng und kein Ende zu nehmen drohte . Ein Gott schien uns mit Blindheit geschlagen zu haben , daß uns das einfachste Mittel nicht einfiel , nemlich abtragen zu lassen . Plötzlich hielt A. E. inne , während ich in diesem Geschäfte noch fortfuhr . Daß er bei diesem Kreisen der Objekte soeben noch selbst mitthätig gewesen , schien er rein vergessen zu haben . Mit Stentorstimme rief er : „ Auch gar noch Fandango ? Es ist genug ! “