Rückblick Man ist es gewöhnt , preisend oder spottend , die altsassische Landschaft zwischen Weser und Rhein , die wir unter dem Namen Westfalen zusammenfassen , als eine Provinz strenger , steifer Erhaltung darzustellen . Und in der Tat , so wechselnd die Physiognomie ihres Bodens von den Marschen des Meeres , vorzeiten » das deutsche « geheißen , durch Dünen und Heiden , Moorstich und Sumpf , durch umwallte Korn- und Wiesenbreiten aufwärts zu rauhen Felsengipfeln und wieder abwärts in die Täler des romantischen Waldgebirges , in welchem am frühesten der deutsche Name zu Ehren gebracht worden ist , und so mannigfaltig mit diesem Wechsel des Bodens der Charakter seiner Bewohner uns entgegentritt , vom träumerischen Norden bis zum tatkräftigen Süden : die ursprünglich germanische Art und Bildung hat sich unter der ländlichen Bevölkerung dieser Gegenden unverwischt und unvermischt erhalten wie in keinem andern umfänglichen Gebiete unseres Vaterlandes . Ja , schon ehe wir gen Morgen die breite Wasserscheide überschreiten und durch das Felsentor der letzten Berge die eigentliche Rote Erde betreten , da wo das baumreiche Schaumburger Ländchen in die westfälische Vorebene übergeht , bewundern wir an Männern wie Frauen die deutsche Kraft und Schönheit der Gestalten und stoßen nicht selten auf einen Kunstjünger östlicher wie westlicher Akademien , der unter diesen urwüchsigen Bäumen und Menschen nach einem Vorwurf sucht . Wer jene Bauern hinter ihren stattlichen Gespannen aus den Waldgehegen treten sieht , unter deren Eichen und Buchen die noch immer mit Vorliebe gezüchteten Sauenherden weiden , wer sie sieht mit schwerfälligem Gerät , langsam , harttrittig die Furche durch ihre Korn- und Flachsfelder ziehen , oder die Weiber , den Wocken im Rockgurt , selber im Gehen unermüdlich , aber gelassen die Spindel drehen , wer im umwallten Kamp ihre Höfe sieht , vereinzelt , dunkel aus Eichenholz nach unvordenklicher Weise aufgerichtet , Mundart , Hausbrauch , Hausrecht , Erbrecht , Tracht und Kost , Sitte und Unsitte unerschütterlich nach Vätertreiben ; wer sie beobachtet in ihrer schweigsamen Stetigkeit , selten , aber unzähmbar von auflodernder Jachheit durchbrochen , der vermag ohne Anstrengung sich in die Anfänge unserer nationalen Kultur zurückzuversetzen , er glaubt die nämlichen alten Sassen zu finden , die vor einem Jahrtausend dem Christentum gegen einen Carolus Magnus widerstanden , deren trotzige Treue aber das widerwillig angenommene Evangelium am zähesten vielleicht unter den deutschen Stämmen gegen ein modernes Heidentum verteidigen würde . Er konnte sie finden mindestens vor einem Menschenalter noch . Seitdem hat die Neuzeit ihr wechselndes Gepräge auch dieser Landschaft aufgedrückt , Boden wie Köpfe nach lange brachliegenden Schätzen durchwühlend , fördernd , schmelzend , bildend und zerstörend ; den Hauch der heimischen Heimlichkeit verwehend . – Ein Merkmal dieses umwandelnden Geistes durfte schon vor länger denn dreißig Jahren der Wanderer auf dem nördlichen Heerwege an einem ländlichen Hause wahrnehmen , das in neusächsischer Gestalt , von Bruchsteinen aufgerichtet , hellfarbig getüncht , mit Ziegeln gedeckt und die räumlichen Fenster durch grüne Läden geschützt , seine breite , glatte Flucht der Straßenseite zukehrte . Eine Schenke , ein Krug , mitten zwischen der östlichen Grenze und der ersten namhaften preußischen Stadt , eine Viertelstunde abseit von den Nachbargehöften , bildete es den Schluß eines sich lang am waldigen Bergkamm hinziehenden Dorfes und hieß , wie manche andere des Landes , » die Klus « . Die Insassen jenes Dorfes hatten seit Menschengedenken nach abendlicher Rast auf der Klus ihren Krug geleert , oder rückkehrend vom städtischen Markte , selten mit Maß , sich am heimischen Wacholdergeiste erlabt , die Burschen und Dirnen der Umgegend sich festtägig im » Papen van Istrum « geschwenkt , unbehelligt von dem Qualme des mächtigen Schlotfanges in der Giebeltenne , die zugleich Küche , Räucherkammer und Wohngelaß war und in welche aus den nachbarlichen Koben Pferde , Rinder und Sauen neugierig , oder verdrießlich , oder gleichgültig wie die menschlichen Zuschauer ihre Köpfe streckten . Denn die Klus war ein Bauerngehöft wie alle anderen des Landes , und wie in allen anderen wurden Viehzucht und Feldbestellung als Hauptzweck , das Schenkwesen aber nur als ein von den Altvordern überkommenes Nebenrecht beiläufig und lässig betrieben . Eines Tages brannte die alte Eichenklus ab – wie die Sage geht , durch das Zünden des ersten Schwefelholzes , das ein ketzerischer Wandergesell gleich einem Koboldspuk in die Gegend getragen ; der kinderlos verwitwete Kluswirt starb infolge seiner Brandwunden , und das wohlgeordnete Anwesen fiel seinem Bruder zu , der , obgleich sein Vatererbe freies Eigentum war , sich als jüngerer Sohn willig mit einer schmalen Abfindung begnügt hatte . Ein noch bartloses Bürschchen , war der Frobeljobst der neuentfalteten , in anderthalb Jahrhunderten allmählich seiner Gegend eingewöhnten preußischen Fahne gefolgt , just da der Haß gegen das deutschnapoleonische und die Erhebung gegen das welschnapoleonische Regiment hoch im Schwange gingen ; er hatte in Deutschland und Frankreich wacker mitgekämpft , nach dem Frieden den schmucken Soldatenrock dem seiner harren den Knechtskittel vorgezogen , bis er , als Sergeant einem sächsischen Regiment zugeteilt , Herz und Hand eines munteren thüringischen Wirtstöchterchens erobert und teil an ihrem väterlichen Schenkengeschäfte genommen . Wohlgemut , den Himmel voller Geigen , wie er ihn in fremden Landen schauen gelernt , kehrte er jetzt , da das zerstörende Element ihn so unerwartet zum Erben befördert , in die alte , neugewordene Heimat zurück und baute die Brandstätte wieder auf in dem mitteldeutschen Geschmack , der ihm bequem geworden , so wie wir sie im Vorübergehen angeschaut . Scheuern und Ställe umfaßten zu beiden Seiten den durch das stattliche Vorderhaus abgeschlossenen Hof , hinter welchem , bis zu der Berglehne des Gemeindewaldes , die dunklen Eichen und Rüstern des Kampes einem Obst- und Gemüsegarten Platz machten . Zur Rechten wie Linken setzte der Kamp , das heißt die eingehegte , dem Hofe eignende Flurmark sich fort . Diesseits bis zum nächsten Anwesen die breite Flucht der Felder ; jenseits eine Forstparzelle , die , mit der Zeit gerodet , sich in einen Triftanger verwandelte . Den Raum zwischen Straße und Vorderhaus beschattete eine reinliche Laube von Ligusterhecken , und über der Tür flatterte das Schenkenzeichen des sächsischen Rautenkranzes . Also sein Heimwesen ausstaffiert , taufte der Frobeljobst den Jahrhunderte alten Krug zu einem Wirtshause um , stolz auf die neumodische Art , die er in sich aufgenommen , leider freilich ohne die altväterische Unart in sich auszumerzen . Denn bei Wesen wie in Zeiten , die sich umbilden , gewahren wir häufig das angeborene Schlimme länger haften als das Schätzenswerte , ja wohl auch das fremde Verwerfliche leichter eindringen als das Treffliche ; daher denn alle Übergangszeiten wie Mischrassen eine unbehagliche Periode haben , bis der Neuerungsprozeß vollzogen ist . Der Frobeljobst hatte jenseits des Rheins und der Elbe singen und springen , diskutieren und disputieren , seine Gäste unterhalten und manierlich bedienen lernen , er hatte aber nicht verlernt , dem heimatlichen Unholde des Wacholdergeistes huldigend zuzusprechen , der denn über seine flotte Schenkenlaune eine weit entzündlichere Herrschaft übte , als über die der bedachtsam , schrittmäßig schaffenden und rastenden Nachbarkunden . Und diese Nachbarkunden , unter denen seit unvordenklichen Zeiten die Klus-Frobel zu den ersten und besten gezählt , weit davon entfernt , sich von der neuen Herrlichkeit blenden zu lassen , sahen auf das laute , fremde Wesen mit höhnendem Mißwollen herab . Von vornherein kehrten sie ihm den Rücken . Die Alten tranken , die Jungen tanzten in einem abgelegeneren Krug , bis dann allmählich der Platz , auf welchem schon die Altvorderen sich gelabt und geschwenkt , seine Macht behauptete und die widerborstigen Gäste einen um den andern an sich lockte . Sie kehrten zurück . Der » Steinhäger « Ein vorzüglicher Wacholderbranntwein des Landes . mundete , ob auch die Würze des Schinkenbrodems im Schornstein , wie das Publikum der braven Vierfüßler vermißt wurde ; die Burschen drehten , die Dirnen ließen sich drehen , ohne sich durch blankgescheuerte Dielen und buntbekleisterte Wände die Lust vergällen zu lassen . – Wenn man aber der alten Gewöhnung zuliebe sich die neue Einrichtung gefallen ließ , die neuen Menschen , die sie aufgedrängt , ließ man sich nicht gefallen . Der » Sachsenwirt « war keiner der Ihrigen mehr , und das schwarzäugige Sachsenröschen würde es niemals geworden sein , auch wenn es nicht eine luthersche Ketzerin gewesen wäre . Sie rateten und tateten in der Gemeine ohne den Frobeljobst , keiner warnte ihn , keiner half ihm , keiner lud ihn zu Hochzeitsschmaus und Kindelbier , hinter keinem Leichenzuge sah man den Sachsen oder seine Sippe . Und so überlustig der Frobeljobst sich anstellen mochte , von dem leeren Platze unter seinesgleichen kroch es ihm zu Herzen wie nagendes Gewürm , sooft er die heimliche Galle mit brennenden Tropfen hinunterspülte , immer von neuem wirbelte sie ihm ätzend zu Kopf . Am liebsten hätte er der Acht einen Bann entgegengesetzt und alles , was Bauer und Nachbar hieß , von seiner Schwelle gejagt . Wollten sie ihn nicht neben sich , so wollte er über sie hinaus . Er baute einen Stock auf seine neue Klus und ließ das Wirtshaus zu einem Gasthof in die Höhe steigen . Kärrner und Vorspänner kehrten bei ihm ein ; Lohnkutschen , Extraposten selbst herbergten zur Nacht in der reinlichen , wohlgelegenen Wirtschaft , Spaziergänger aus der Stadt priesen Kaffee und Kuchenwerk , das kein Zuckerbäcker so meisterlich wie das Sachsenröschen zu bereiten verstand . Der Sachsenwirt triumphierte . Er hielt sich zu den Fremden , je vornehmer desto lieber ; er bediente sie halb umsonst , tischte auf nach Noten , traktierte extra , schenkte auf Rechnung , die niemals oder nur gegen teure Advokatensporteln bezahlt wurde ; er kleidete sich herrschaftlich , er kannegießerte , späßelte , schwänzelte hin und her , führte neumodische Tanzweisen auf , krähte wie ein Hahn und stelzte wie ein Storch seinen Gästen zum Pläsier ; er trank Punsch und Grog auf ihr Wohlergehn ; war er aber allein und von den Weiterziehenden verlassen , dann stürzte er Rum und Steinhäger ohne wässerigen Zusatz die Gurgel hinab , um seinen Grimm und Groll zu versengen . Als Schlimmstes des Schlimmen aber stellte es sich heraus , daß der behende , lustige Schenkwirt ein gar schwerfälliger , unlustiger Landwirt geworden war und daß die sächsische Küchenmeisterin glücklicher in der Speisekammer als in Rauch- und Milchkammer zu hantieren verstand . Die fremden Gespanne wurden mit Kraft und Saft , die eignen Stallinsassen mit Trebern gefüttert , die Felder unregelmäßig bestellt , Korn-und Heuböden selten kontrolliert . Das gefällige Wirtspaar schenkte und zechte , backte und brodelte bis in die Nacht und träumte bis in den Tag hinein ; die Tagelöhner , Knechte und Mägde , denen keiner auf die Finger sah , hielten Maulaffen feil oder schafften für den eignen Sack – die Klusschenke florierte , während der Klushof verkam . Aber was scherte die Bauernwirtschaft den Herrenwirt ? Er schenkte – sich selber am ersten und vollsten ! – , verschlief seinen Rausch , wachte gähnend auf und warf die Kontobücher in die Ecke , wenn Kredit und Debet nicht stimmen wollten . Hatten andere kein Geld , so hatte er's , und hatte er selber kein Geld , so hatte er Pfand – überflüssiges Geschirr , faules Vieh in Schuppen und Stall , nutzlose Baumriesen und halbreife Ernten in seinem Kamp . Der brachliegende Acker trug seine Last . Allmählich löste sich Scholle um Scholle hinüber in fremde Hand , und ihre kernschweren Ähren nickten höhnend auf die dürren , nachbarlichen Klushalme herab . Der Sachsenwirt saß zwischen den Ligusterhecken , zechte und lachte mit den Fremden . Und das Sachsenröschen lachte nicht weniger , seufzte wohl auch ein » daß Gott erbarm ! « und weinte ein Zährchen , wenn wieder eine Milchkuh vom Hofe getrieben ward oder mit den Jahren ihr Eheliebster auch gar zu toll und töricht ins Poltern geriet ; bald aber rührte sie ihren Fladen ein , tunkte ein Schälchen , trällerte ein Stückchen , band eine weiße Schürze vor , rückte die bunte Bänderhaube zurecht , neckte sich , schwatzte und lachte mit den Fremden . Der Hoferbe aber , Mosjö Gust oder » der junge Herr « , wie er sich titulieren ließ , des Sachsenpaares einziger Sohn , ei , der lachte und jubelte erst recht . Heute aus Herzenslust mit offner Hand , morgen im Ärger mit geballter Faust , am häufigsten aus Schabernack mit einem Schnippchen und fingerndem Nasendrehn . Er lachte über die Säufer von Bauern , die seinen Saufaus von Vater über die Achsel » bekiekten « ; er lachte über den Saufaus von Vater , der ein Bauer war und den Herren zuliebe sein Bauernerbe durch die Gurgel rennen ließ ; und er lachte über das Bauernerbe und den Fremdenschank , über Hausgenossen und Gäste , über Gott und die Welt . Frobel , der Jüngere , wäre er unter Zucht und Beispiel wie die heimischen in jenem südlicheren , beweglicheren Landesteile aufgeschossen , den man das Irland der Roten Erde nennen dürfte , so würde sich für seine Spielart nicht unschwer eine Klasse haben finden lassen . In dem schweren , langsamen Boden des Nordens war er seinerzeit eine Pflanze ohnegleichen . Ein Hälmchen , von jedem Lufthauche hin und her geweht , seicht auf Sande wurzelnd , diesen Augenblick zu Boden knickend und im nächsten wie ein Stehauf emporgeschnellt ; buntscheckig und früh erschlossen seine Blüte , von berauschendem Hauch ; wen ihr Samenstaub berührte , dem juckte die Haut . Windhafer und Taumellolch nannte schon der Schulmeister den fahrigen Schüler , und die Nachbarn warnten ihre Buben vor dem Tollkraut und Teufelsgarn auf der Sachsenklus . Das Sachsenröschen aber hätschelte und tätschelte ihr Wunderhold , und dem Sachsenwirte wirbelte es zu Kopfe wie ein Kitzel der Nieswurz bei seines Sprossen absonderlichem Gebaren . Lernen – Kinderspiel , arbeiten – Unsinn , aber faulenzen , ei beileibe ! Er bekleckste Papier und Wände , kratzte die Geige und krächzte zur Gitarre , er radebrechte alle Mundarten und spielte alle Rollen , die er im Fluge von seinen Gästen aufgeschnappt , er studierte die » Weistümer « seines Landes nicht in langweiliger Chronika , sondern in Ritter- und Räuberromanen , welche einer bereits abgelebten Generation die anmutigen Schauer einer Gänsehaut erregt ; er war ein Reimeschmied aus dem Stegreife , immer im Rausch und niemals betrunken . Das gab ein Juchhei auf der Sachsenklus , als der Hoferbe in die Jahre kam , wo die Nachbarsöhne Wirte und Männer wurden ! Schauspieler , Bereiter , Seiltänzer , Bänkelsänger und ihre Wahlverwandten , das waren die Einkehrer , seitdem das junge Genie unter dem Rautenkranze aufgeblüht . Mit ihnen wurde gezecht daheim oder in den Herbergen der Stadt – nicht in grobem , gebranntem Geist wie die Alten – in reinem , goldnem Wein , in perlendem , schäumendem Wein . Mit ihnen kreuz und quer gezogen und wieder eingesprungen , war der Säckel leer ; mit ihnen gekartelt , gewürfelt , im Inland und Ausland ins Lotto gesetzt ; denn Geld war die Losung , Geld ohne Müh und Hoffnung auf Geld ! Einmal nach der städtischen Jubilatemesse blieb das junge Herrchen aus ; Monate vergingen , und er war fort ohne Spur . Die Mutter weinte ihre Augen wund , der Vater wurde selten mehr nüchtern aus Kummer und Angst . Urplötzlich wie er verschwunden , kehrte er heim , ein dralles Weibsbildchen in die Elternarme führend , das während der Messe im kurzen Röckchen , auf schwankem Seil als Mademoiselle Sylvia gefeiert worden war und jetzt hinter dem Schenktisch als Madame Frobel gefeiert ward . Ein munterer Zeisig Dame Sylvia , des Wanderns müde und wohlgeneigt , im Käfig Zuckerbrot zu naschen ! Kläglich , daß sie , schon ehe der Frühling wiederkam und kaum daß ein armes , nacktes Vögelchen in das Nest gesetzt worden war , unter die dunkle Erde ducken mußte . Der junge Witmann zerschlug sich die Brust und zerraufte seine Locken , er reimte und deklamierte Trauerhymnen voll Schmerz und Herz , schweifte am Tage in Schlucht und Wald und lag um Mitternacht auf seiner Schönen Grabe – eine Woche lang ! Dann tröstete er sich , schäkerte , kartelte , knöchelte , zechte und lachte mit den Fremden querköpfiger denn je zuvor . Der Sachsenwirt lachte hinter seiner Flasche , die Sachsenwirtin hinter ihrem Herd , der Sachsenerbe lachte hinter dem Würfelbrett , die Knechte lachten in volle Töpfe und Säckel , die Fremden lachten sich in den Bart und die Nachbarn in die Faust , alles lachte auf der Sachsenklus . Nur eine lachte nicht : Judith , die Sachsentochter , erst auf dem heimischen Hofe dem Bruder nachgeboren und in jenen Tagen des Übermuts fast noch ein Kind . Schweigend und wenig beachtet , stand sie abseits , blickte , eine Falte zwischen den ernsthaften Augen , mahnend , ja richtend auf den Verfall ihres Vatererbes , und als die Stunde seines Zusammenbruchs ausgehoben , da streckte sie die kräftige Hand , um es zu stützen . Mehr als ein Vierteljahrhundert mochte vergangen sein , seitdem der Frobeljobst mit fremden Sitten in die alte Heimat zurückgekehrt . Der Sachsenwirt war begraben und vergessen , das Sachsenröschen lahm und grau vor der Zeit , der tolle Erbe verschollen überm Meer . Dampfende Rosse hatten den Verkehr auf der Landstraße verschlungen , neue Verbindungswege , Schenken und Gasthäuser sich geöffnet . Der Rautenkranz über der Klustür war verschwunden , die Sachsenwirtschaft keine Herberge mehr , nur noch ein einsames , stilles Gehöft , das seinen Namen , die Klus ( Klause ) mit Recht verdiente und allmählich wiedergewann . Die Neuerung im landschaftlichen Verkehr war mit dem argen Ende , das der Frobeljobst genommen , fast gleichzeitig zusammengefallen ; stillschweigend war das Schenkenzeichen eingezogen worden , fand sich der Bier- und Branntweinkeller in einen Milchkeller , der Tanzboden in einen Fruchtboden , die große Gaststube zum stillen Wohn- und Schlafgelaß umgewandelt . Man hantierte nach Bauernart auf den Feldern , die dem Hofe gerettet oder mit der Zeit wieder zugefügt worden waren . Man wirtschaftete knapp , emsig , stumm und streng nach Urväter Brauch mit einem einzigen Knecht und einer einzigen Magd . Von dem fremden Wesen war nur die Sauberkeit und hin und wieder ein fördernder Kunstgriff beibehalten worden . Wechsellos , klanglos , festlos gingen die Tage hin unter dem Regimente der jungen Wirtin , die zu innerlich ihres Landes Kind geblieben , um nicht zu fühlen , daß nur in dieser schweigenden , nachhaltigen Weise die Ehre ihres Standes und Hauses wiederhergestellt , die eigne Ehre unberührt von dem Moder der Vergangenheit bewahrt werden konnte . Seine Eignerin aber verkehrte mit keinem und sprach mit keinem ein Wort ohne Not . Nur in der Kirche wurde sie allfesttägig gesehen , wenngleich die Gemeinde ohne Ausnahme dem katholischen Glauben angehörte , die Kluswirtin aber auf den mütterlichen protestantischen Glauben getauft und ihm treu geblieben war , sich auch jedes Jahr am Karfreitag samt der kranken Mutter in ihrem Zimmer das heilige Nachtmahl von einem städtischen , protestantischen Geistlichen reichen ließ . Ihren Bruderssohn , der ihr als Pflegling zurückgeblieben , ließ sie hingegen in dem väterlichen katholischen Glauben unterrichten , anfänglich bei dem Lehrer und Pfarrer der Gemeinde , später , da des Knaben stillsinnendes Wesen in einen Lern- und Büchereifer umschlug , der einen geistigen Beruf bekundete , als Kostgänger bei einem Gymnasialprofessor in der Stadt . An den Mitteln für gegenwärtigen wie künftigen Studienaufwand gebrach es bei dem Gedeihen der Wirtschaft und bei dem ledigen Stande der Pflegerin nicht . Denn kein Werber oder Freiersmann hatte sich der Kluswirtin seit der Zeit ihrer Selbstherrschaft zu nahen gewagt , obschon sie ansehnlich von Gestalt und noch lange in den Jahren war , wo eine bäuerliche Jungfrau oder Witfrau begehrenswert gefunden wird ; dazu wohlberufen , unabhängig und eine Hofbesitzerin , freilich eine Ketzerin . Aber wenn auch ihre eigenen Gemeindegenossen der andern Kirche eigneten , so war die Bevölkerung der nördlichen Umgegend doch eine nach Kirchspielen gemischte , und selbst für einen protestantischen Stadtbürger , ja Beamten würde sie nach Bildung und Sitte eine anständige Genossin gewesen sein . Daß die schöne Kluswirtin unnahbar , gleichsam eine Mauer um sich aufgerichtet , das deutete auf einen tiefen , heimlichen Grund . Und ein tiefer Grund , ein Abgrund ist es ja , über welchem das Gewässer sich am stillsten bewegt , bis jäh ein Wettersturm die in der Tiefe verborgenen Schätze oder Schrecken zutage wirbelt . Vorboten Jahr um Jahr war auch über dieser neuesten Wandlung des Klushofes hingegangen , die Maienzeit wiedergekehrt ; die Natur hatte in lachenden Festgewändern ihre Schaffensfreude ausgestrahlt . Die ersten gelblichen Sprossen sprengten die glänzend braunen Blatthülsen des Eichenforstes , die Apfelbäume im Garten strotzten in Blütenübermut , vor dem Hause blähten sich Tulpen und Kaiserkronen über die bescheiden am Boden verduftenden Frühlingskinder ; das Auge ruhte mit Erquickung auf dem saftigen Grün der unübersehbaren Feldgebreite . – Die Nacht hatte die vorzeitige Sommerschwüle der vergangenen Tage kaum abgekühlt , und die Sonne , ohne Taufrische niedersengend , erst den weißen , dann den purpurnen Nebelschleier in die Höhe gezogen , in die sie sich gehüllt ; kein Atemzug bewegte die Luft , selbst die Hausvögel schwiegen beklommen . Nur der Finke in der Buchenhecke zirpte sein Regenlied , und die Maikäfer schwirrten in schläfrigem Taumel von Baum zu Baum . » Sturm , Sturm ! « surrten sie den Schmetterlingen zu . Die leichtfalterigen Luftgesellen aber saugten sich an die Kelche und lispelten : » Lasset uns nippen und naschen , denn morgen sind wir tot ! « Es war Werkeltag , aber eine sabbatliche Stille rings um das Klusgehöft . Kein Dreschflegel oder Seihrad in der Scheuer , nicht Pflug noch Spaten in Garten und Acker regten sich . Die Tiere des Hofes , nach Wirtschaftsbrauch zeitweise ihrer Stallhaft entlassen , weideten im abgeschlossenen Gehege der Waldwiese , die einstmals Forst gewesen war und jetzt ausschließlich » der Kamp « geheißen ward . Oben am Tränkquell lagerte das stattliche Roßgespann . Aber auch unter diesen Freigelassenen kein munterer Laut , schlendernd und gläsernen Auges duckten sie sich zu Boden und kauten mit Gier unter dem bleiernen Drucke der Luft . Und auch im Hause keine hörbare Bewegung . Durch die blanken Scheiben des Wohnzimmers schimmerte die Frühsonne , die weiße Sandschicht am Boden übersilbernd ; nicht ein Fleckchen oder Stäubchen längs der hellgetünchten Wände und des glänzend gebohnten Eichengeräts , das ihr scharfer Strahl entdeckt ; alles stand einfach , streng geordnet an seiner Stelle , nichts Überflüssiges oder Städtisches , nichts , was an die ehemalige Schenkenzeit erinnerte , aber freilich noch weit weniger an die Tage der alten Eichenklus , der die Mehrzahl der übrigen Dorfgehöfte zur Stunde selbst auf ein Titelchen ähnlich sieht . In einem Lehnstuhle am Fenster , die steifen Glieder in weiße Wollendecken gehüllt , die schwarze Witwenhaube auf dem zur Brust hinabgesunkenen Kopfe , ruhte die alte , kranke Sachsenwirtin , die nach schweren nächtlichen Gebresten erst gegen Morgen in einen sanften Schlaf gesunken war . Sei's , daß die Sonnenwärme dem absterbenden Leib oder daß ein Traum der halberloschenen Seele ein flüchtiges Behagen zurückgab , sie lächelte im Schlummer wie ein glückgewohntes Kind , und in dieser Erquickung des Ausruhens , unter dem Hauche , welchen das Frühlicht auf die noch immer rundlichen Wangen gemalt , hätte einer wohl heute noch das Sachsenröschen wiedererkannt , das einst lachend in diesen Räumen gehaust : gutherzig , treuherzig , geschickt und tätig für einen angemessenen Betrieb . Aber in diesem leichten Gliederbau , der engen , zurückstrebenden Flucht der Stirn , dem schmalen , spitzen Näschen und seidenweichen , weißgebleichten Haar würde er auch die Anzeichen mangelnder Kraft gegen Drang und Last entdeckt und ihren Anteil an dem bösen Umschlag der Zeiten entschuldigt haben . Der Knabe , ihr Enkel , der , etwa fünfzehnjährig , im dunklen städtischen Schüleranzuge am zweiten Fenster ihr gegenübersitzt und so früh am Tage schon emsig über seinen Heften brütet , zeigt sich von nicht minder zartem , aber bleicherem und tieferem Gepräge ; kein Bauern- oder Landeskind , ein geborner Kopfarbeiter offenbar ; dahingegen uns mit einem Blicke durch die nach der Küche halb geöffnete Tür die kraftvolle Natur der Tochter in ihrem ländlichen Ursprunge und Zusammenhange , wenn auch keineswegs im Alltagsausdrucke , vor Augen tritt und gar das sonntägig ausstaffierte Gesindepaar als Musterstücke urwüchsiger Leibes- und Arbeitskraft aufgestellt werden können . Der Knecht im weißen , rotwollengefütterten , blankgeknöpften Leinenkittel und steifen Kniestiefeln , trotz der durch ein prasselndes Herdfeuer just nicht gemäßigten Schwüle die fuchsverbrämte Pudelmütze auf dem flachshaarigen Kopfe ; die Magd im buntgesäumten Scharlachrock , das schwarzweiße Nackentuch über dem kurzen Mieder , die dicke Bernsteinkette um den Hals geschnürt und das Haar bis zur Stirn herab in die schwarze Kapselmütze eingepreßt , so sehen wir beide an dem Küchentische sich gegenübersitzen und mit einer rascheren Bewegung als wohl sonst die dunkeln Brotpflocken in die Schüssel schneiden , über welche die Wirtin die kochende Milch zur Morgensuppe schüttet , darauf aber , während jene taktmäßig Löffel um Löffel den mächtigen Napf bis auf den letzten Tropfen leeren , zwei pfundschwere Speck- und Pumpernickelscheiben , reinlich in Papier gewickelt , vor eines jeden Platze niederlegt . Keines redet ein Wort ; Geschäft wie Genuß wird gelassen , aber ohne Aufenthalt vollzogen . Ein Stilleben friedlich einladend also von außen her überschaut . Wer aber mit feineren Spürfäden in seinen Mittelpunkt gedrungen wäre , der hätte gleichsam in der Luft – nicht in der Schwüle der äußern Luft , welche die willenlosen Geschöpfe beklemmte , – eine Bangigkeit spüren müssen , er hätte einen Schemen ahnen müssen , der wolkengleich Licht und Laut in diesen Räumen umschleierte . Der mahnende Geist entschwundener Tage , von wem schwebte er aus ? Von jener greisen , zusammengesunkenen Gestalt , die jetzt im Traume nur frohen Erinnerungen nachzulächeln scheint ? Von der schuldlosen Stirn dieses Knaben , der mit frühreifem Ernst sich auf die Pflichten der Zukunft vorbereitet ? Oder gar aus den kindischen Blicken der Mietlinge , die Arbeit , Ruhe und Genuß nicht über den Tag hinaus in ihre Betrachtung ziehn ? – Nein ; die nachzehrende Vergangenheit steht in den Zügen jenes Mädchens geschrieben , das jung noch an Jahren , wenn auch nicht jugendlich , streng , stetig und besonnen , in redlichem Schaffen sie zu sühnen trachtet ; sie spielt hervor aus den Schatten unter dem großen Auge , aus der Bleiche der Haut , der Furche inmitten der fast trotzig gewölbten Stirn , aus den fest geschlossenen Lippen , welche das Lächeln nicht gekannt zu haben scheinen , aus den Trauerkleidern selbst , die streng und züchtig die markige Gestalt umhüllen . Denn auch in der Tracht , wie in der gesamten häuslichen Einrichtung , hatte Judith , die Kluswirtin , die Landessitte ihrem eigentümlichen Wesen angepaßt . Der schwarze Wollenrock fiel in reichlichen Falten auf die Knöchel hinab ; das Mieder , bis zur Nackenbiegung erhöht und durch die blendendweiße Hemdkrause geschlossen , machte das einengende Brusttuch entbehrlich , und das mattblonde Haar legte sich ohne Hülle , sauber gewunden gleich einer Krone , um das stolz und stark gebaute Haupt . Sie öffnet den Mund zu einer kurzen Anordnung , und horch ! sie redet nicht in der landesläufigen , niederdeutschen Mundart , auch nicht mit den gemütlich unklaren Lauten , welche die Mutter aus der Heimat beibehalten , sie spricht das Hochdeutsch der Kanzel und Schule , das wir selber in gebildeteren Gesellschaftsschichten selten so lauter und richtig vernehmen wie da , wo es außerhalb des täglichen Verkehrs , gleichsam als Fremd- oder Festsprache , angewendet wird , und da sie nur das Erforderliche und mit tiefem , klangvollem Laut jederzeit bedachtsam spricht , erscheint es in ihrem Munde so rein , fest und voll , wie die Schriftzüge ihrer Hand auf jener Anweisung , die sie dem Knechte zur Besorgung an ihren städtischen Weber übergibt . Denn es ist heute Markttag und zugleich der Schluß der Jubilatemeßwoche in der Stadt , und damit erklärt sich der Ferienbesuch des Schülers wie die Feierstille auf dem Hof und der festliche Schmuck des Gesindepaares , das , mit der Mehrzahl von Knechten und Mägden der Umgegend , der Lust eines freien Meßtages als einem zuständigen Rechte entgegenharrt . Zum ersten Male , seit sie der Kluswirtin dienen , sollen sie die Wanderung gemeinschaftlich antreten , und die Vorfreude einer darob erhöhten Erwartung malt sich auf den breiten , glänzenden Kindergesichtern , während wir die um eine Linie tiefer gezogene Falte zwischen den dunklen Brauen der Herrin dahin deuten , daß sie nur widerwillig einer unaufschieblichen Arbeitsnötigung im Laufe der Woche nachgegeben und in ein Abweichen von der Regel des Einzelnbesuchs gewilligt hat . Schweigend schnürt sie das Wintergespinst des Haushalts , das der Knecht bei dieser Gelegenheit an den Weber befördern soll , zu einem Bündel , und indem sie es ihm nebst jener schriftlichen Anweisung einhändigt , legt sie den üblichen Marktpfennig vor ihm auf den Tisch mit den Worten : » Zehn Mariengroschen mehr als ausbedungen , aber keinen Tropfen , Klaas , hörst du , keinen Tropfen ! « Klaas strich die Münze ein mit einer Miene , in welcher die Befriedigung über die gewohnt gewordene , von Messe zu Messe um einen Groschen sich steigernde Zulage mit dem Verdruß über das ebenso gewohnte , aber nie ohne Ärger empfundene Verbot eines kräftigen Meßtrunkes schwankte . » Jubilatemarkt , Wirtin ! « knurrte er , den Löffel zwischen den Zähnen ; » einmal im Jahre , Wirtin ! « – » Niemals , Klaas ! « versetzte sie ruhig . » Weder auf dem Hofe noch auswärts . Du bist auf den Verspruch gedingt : Branntwein niemals ! « – » Der Pfarr nimmt 's nicht so genau wie die Wirtin , « murmelte der Knecht , indem er sich beeiferte , mit dem Löffel nachzuholen , was er durch den unnützen Widerspruch in der Suppenschüssel eingebüßt . – Die Wirtin wußte , daß ohne ausdrücklichen , an jedem freien Tage vergeblich angestrebten Erlaß ihr Verbot nicht übertreten werden würde , sie sparte daher jedes fernere Wort und wendete sich zu dem blankgereiften Zuber , in welchem die Magd die Vorräte des Hofes zu Markt tragen sollte : Klusbutter , Klushonig , Klusspargel und Lattichsprossen , sorgfältig zwischen rein gespülte Kohlblätter geschichtet , obenauf ein dichtes Straußbündel von Frühlingsblumen werden eine gar willkommene Marktware liefern . Die Magd , die ihre Mahlzeit beendet , blickte schmunzelnd auf die ihres Hauptes harrende Zier , wischte die runden Kirschlippen mit der flachen Hand , steckte den blauen Strickstrumpf zu gelegentlicher Verwendung für den eignen Nutzen in den Schürzenbund , schwenkte den Zuber auf den Kopf und streckte die Finger nach dem Marktpfennig aus , den ihr die Wirtin noch nicht gereicht hatte . Sie empfing die nämliche Gabe und Zulage wie der Knecht und , wie dieser das Verbot des Branntweins , mit gleich knappen Worten den Befehl : bei Sonnenuntergang auf dem Hofe zurück zu sein . Auch an diese Hausregel war man seit Jahren gewöhnt , schien aber nach dem Zugeständnis der gemeinsamen Wanderung heute auf eine weitergehende Freiheit gezählt zu haben , denn die Dirne glotzte betreten zu dem Burschen hinüber , dem eine jähe Röte bis unter die Pudelmütze den apfelrunden Kopf überflog . Schon die Klinke in der Hand , kehrte er bei dieser Weisung zu einem Einwande in die Küche zurück . » Vor Abend heim ? Jubilatemarkt , Wirtin ! « sagte er rascher und lauter denn gewohnt . – » Vor Sonnenuntergang auf dem Hof , « wiederholte die Gestrenge . – » Markttag , Wirtin ! Das Pläsier geht erst los , wenn 's dunkel wird , Wirtin . « – » Du kannst bleiben bis Mitternacht , Klaas , die Christine ist pünktlich bei Sonnenuntergang auf dem Hof . « – » Der Hof ist versorgt , wenn die Wirtin daheim ist . « – » Es ist nicht um den Hof , es ist um die Zucht . Eine Klusmagd darf nicht bei Nacht gleich einer Landstreicherin gesehen werden . « – » Ich bin bei ihr , Wirtin , ich ! « – » Desto schlimmer ! « Es lag ein Gewitter in der Luft , und ungewohnte Rede , Widerrede zumal , erhitzt ; vergällte Hoffnung aber ist ein gewaltiger Blasebalg ; dieses eisige » desto schlimmer « schnellte den gelassenen Burschen in einen trotzigen Zorn . – » Und wenn eine eines Schatz ist ? « stieß er heraus , indem er mit der geballten Faust auf den Tisch schlug . – Die Wirtin stutzte einen Augenblick , die puterrote Dirne mit einem scharfen Blicke musternd , sagte aber darauf so ruhig wie bisher : » Zu Peter Paul ist Ziehzeit . Vier Wochen Kündigung . Ihr verlaßt den Hof . « Die Magd , die offenen Mundes vor Wunder über ihres Kameraden Kühnheit unter der Tür gelehnt , ließ bei diesem harten Entscheid einen kurzen , bellenden Schrei vernehmen . Sie stützte mit einer Hand den schwankenden Zuber und führte mit der andern die Schürze vor die Augen in Erwartung der Tränen , die ihr gottlob nicht geläufig waren . Der Klaas hingegen fühlte es gleich einer wilden Hummel durch seinen Hirnkasten brausen ; die Adern fingerdick auf der zornroten Stirn geschwollen , schleuderte er die Mütze in die Herdecke und stampfte den Boden , daß Schüssel und Löffel auf dem Tisch aneinander klappten . Er war jählings ein anderer , als er sein Lebtage gewesen und voraussichtlich sein Lebtage wieder sein wird . » Gesagt ist gesagt ! « brüllte er mit einer Stimme , die er seinem Bullen abgelauscht zu haben schien . » Gesagt ist gesagt ! Wir ziehen ! Ja , heule nicht , Christine ! Wer auf dem Klushofe futtern und buttern gelernt hat , braucht nicht Hungerpfoten zu saugen . Nein ! Heule nicht , sage ich . Du bist mein Schatz , und ich bin dein Schatz . Ja ! Denn warum ? Ein Mensch ist ein Mensch , und ein Mensch hat ein Herz so gut wie das liebe Gottesvieh . Allein aber die Wirtin – « » Schweig und geh ! « unterbrach Judith den Sinnlosen , mit einer unwilligen Gebärde auf die Haustür deutend , nachdem sie die , welche nach dem Wohnzimmer führte , schon während des vorangegangenen Zwiegesprächs vorsichtig geschlossen hatte . Die Magd schluchzte und heulte nun wirklich ; der Knecht aber fühlte blitzartig die Wehr des getretenen Insekts in seiner Brust . Ja , er hatte Stachel und Gift , und es war ein tückischer Blick , den er zu der unerbittlichen Herrin hinüberschoß . – » Heule nicht , Christine ! « schrie er , ohne sich von der Stelle zu rühren . » Heule nicht , sag ich ! Du hast dein Erspartes , und ich habe mein Erspartes . Und dienen ist gut , ja , aber eigen Haus haben ist besser . Ja ! Und Schwein und Ziege im Stall ! Ja ! Und zum Quatember kommt 's zur Subhaste , das im Walde drüben . Denn warum ? Es verfällt , und fünf Jahre hat er noch zu sitzen . Und keiner will 's nicht , nein ! Aber ich will's , ich ! Und ich kauf 's des Quellensimon ... « Bei dem Namen des Quellensimon deutete die Magd mit einer Gebärde des Entsetzens auf die Wirtin , die plötzlich zusammenzuckte , als wäre ihr ein Messer in das Herz gestoßen worden . Die Einrede war erstickt ; starr und steif ließ sie den nachströmenden Schwall wie im Traume an sich vorüberrauschen . Die Leidenschaft hatte die Sinne des blöden Klaas gestachelt ; mit trotziger Schadenfreude bemerkte er die Wucht seines Streiches und hieb und stieß darauflos , bis sein Mütchen gekühlt . Er focht wie beim Dreschen oder Mähen mit den Armen in der Luft , trat taktmäßig einen Schritt vor und einen zurück , um das ungeübte Räderwerk im Gange zu erhalten , und begleitete jeden seiner Sätze mit einer der beiden gewichtigen Silben , auf welche sich seine Willensäußerung bis heute möglichst beschränkt . Im Flusse der Rede dämpfte das Rachegeköch sich ab , die Zornesadern senkten sich allmählich , die Truthahnsröte schwand , und die blauen Augen glotzten harmlos wie allezeit ; aber das Ventil war einmal geöffnet , und das Gefäß strömte über bis auf den letzten Tropfen , den das arme Hirn ihm zuzuführen imstande war . » Des Quellensimon Haus ! « wiederholte er . » Du denkst dir was dabei , Christine , ja , und die Wirtin denkt sich was dabei , ja , und die Leute denken sich was dabei , ja ! Denn warum ? Spuk ist Spuk , und wenn einer ist totgeschlagen worden , geht er um und sucht seinen Mörder ! Und der Papiermüller ist totgeschlagen worden , ja ! Und der Quellensimon ist wegen Totschlag gesetzt worden , ja ! Und keiner darf reden von dem Papiermüller auf der Klus , keiner nicht , nein , und von dem Quellensimon darf einer auch nicht reden , nein ! Denn warum ? Der Papiermüller ist der Wirtin ihr Freiersmann gewesen , und die Wirtin hat gegen den Quellensimon ausgesagt , vor Amt und Zeugen hat sie gegen ihn ausgesagt , und derhalben dürfen wir nicht davon reden ! Heule nicht , Christine ! Ich will davon reden , denn fort muß ich doch ! Und du denkst dir was bei dem Hause , Christine , ja ! Aber ich kann mir nichts dabei denken , nein ! Denn warum ? Zehn Jahre ist 's her , heuer zum Jubilatemarkte zehn Jahr . Und im Hause oben ist 's nicht geschehen , aber unten in der Stadt , und wenn einer umgeht , geht er unten um , am Damm , und nicht hier oben vor dem Wald . Und wenn 's der Simon getan hat , hat er 's getan , ja . Aber er hat 's auch wieder nicht getan , nein . Denn warum ? Der Simon hatte einen Rausch ! › Ich hatte einen Rausch ‹ , hat der Quellensimon gesagt , und weiter kein Wort nicht , nein . Vor Amt und Zeugen hat er's gesagt : › Ich hatte einen Rausch ! ‹ Und die Wirtin gesteht keinen Tropfen zu , nein ! Nicht einmal zur Kirchweih und zu Jubilate , nein ! Denn warum ? Die Wirtin ist wie ein Mann , ja . Aber sie ist doch kein Mann nicht , nein ! Und ein Mann verlangt seinen Tropfen , und wenn ein Mann seinen Tropfen hat , da hat er seine Courage , und er hat sein Pläsier . Außerdem ein Tropfen zuviel , und mit seiner Wissenschaft ist's aus . Und der Quellensimon war ein Mensch wie ein Lamm . Nicht eine Sau konnte er schlachten sehn , da wurde er weiß . Und ich habe mit ihm gedient bei der Kompagnie , da die Untat geschah , und der Hauptmann , der anjetzo der Oberste im Zuchthause ist , der hat auf den Simon gehalten wie auf sein Fleisch und Blut und hat sich verschworen Stein und Bein , daß der Quellensimon es nicht getan . Denn der Quellensimon war ein Mensch wie ein Lamm . Und bloß von wegen seinem Rausch . Und das Messer , das in dem Papiermüller seinem Leibe gesteckt , ist nicht des Quellensimon sein Messer gewesen , denn warum ? Der Simon hatte sein eigen Messer zugeklappt in der Hosentasche . Und der Hieb , der dem Papiermüller den Hirnkasten eingeschlagen , der ist auch nicht mit des Quellensimon Stocke geführt gewesen , denn des Quellensimon Stock hat fünfzig Schritte davon am Damme gelegen und eine erbärmliche Haselrute mit einer Krücke , weiter nichts . Allein aber der Totschlägerstock , das muß ein fremder Stock gewesen sein , oben darauf mit einem bleiernen Knopf . Und in der nämlichen Nacht ist der junge Sachsenwirt davongegangen auf der Eisenbahn übers Meer , und keine Seele hat wieder ein Sterbenswort von dem jungen Sachsenwirt gehört , und diese Jubilatemesse sind 's just zehn Jahre . « – Wie das Streiflicht eines Blitzes über eine Leiche , so zuckte es bei dem letzten Satze über die Gestalt der Wirtin ; nur ein einziger Augenblick , im nächsten stand sie so unbelebt wie zuvor . Der Redner bemerkte es nicht ; der Zorn war längst von seinem Siedepunkte gesunken , der Trotz des Ungehorsams gestillt , auch die Eitelkeit ward nicht gestachelt , denn die eine seiner Zuhörerinnen stand schier wie taub , und die andere fragte den Kuckuck nach dem Quellensimon und seiner Missetat , nur nach des Quellensimon verrufenem Haus , dessen Notdurft sie gegen den reichlichen Hofedienst vertauschen sollte . Der Klaas hielt bei dem verpönten Gegenstande daher nur noch aus , weil er einmal im Zuge war und zu seinem eignen Wunder eine denkwürdige Erinnerung aus einem Winkel seiner Seele in die Höhe tauchte . Der an Ordnung Gewöhnte machte bloß reinen Tisch , indem er die letzten Brocken aus seinem Gedächtnisse zusammenstrich . » Und von wegen des Messers , « so fuhr er nach einem kräftigen Atemzuge fort , » und von wegen des Stockes und von wegen etwelchem anderem , das nicht hotte noch hü passen getan im Verhör , hätten sie dem Quellensimon nichts anhaben können vor dem Amt , nur ganz allein , daß der Quellensimon gesagt : › Ich hatte einen Rausch , ich kann 's getan haben , und ich will 's getan haben ‹ , hat er gesagt . Allein aber an Leib und Seele sind sie dem Quellensimon nicht gegangen vor dem Amt , denn warum ? Der Quellensimon lebt , und ich habe ihn gesehen , und wenn er nicht lebte , hätte ich ihn nicht gesehen , und wenn sie ihm ans Leben gegangen wären , da lebte er nicht , nein ! Und er hatte nicht mehr ein Ansehen wie Milch und Blut , wie damals unter der Kompagnie , aber wie pure Milch und hager wie ein Stecken , und weiße Haare auf dem Kopf . Aber gekannt habe ich ihn auf den ersten Blick , denn der Simon hatte eine Art , die setzt sich einem ins Herz , und der Simon , das war ein Mensch wie ein Lamm . Und die Züchtlinge karrten Pflastersteine im Hof , und graue Hosen hatten sie an und Jacken von Zwilch , und der Simon hatte auch eine Hose und Jacke an von Zwilch , aber gekarrt hat er nicht . Mit den Buben vom Hauptmann hat er im Hofe gespielt , der anjetzo der Oberste im Zuchthause ist , und Klötzchen von Holz hat er den Buben geschnitzt , und der Hauptmann hat dabei gestanden und dem Quellensimon auf die Schulter geklopft . Und das Zuchthaustor stand auf , und ich habe am Tore gelehnt und es mit meinen leiblichen Augen gesehn . Und es war , wie ich die Blesse zu dem Schlächter treiben tat , und – und – und – « Der Schwätzer stockte ; er hatte noch Atem , aber der Stoff war ihm ausgegangen . Er focht ein paarmal mit den Armen in der Luft , trat von dem rechten Beine aufs linke und von dem linken aufs rechte , aber einen frischen Satz fand er nicht . – » Und damit gut , ja ! « sagte er , suchte die Pudelmütze hinter dem Herdwinkel vor , faßte mit der einen Hand das Garnbündel und mit der andern das eingewickelte Morgenbrot , das er vorhin mit einer Miene , als ob er Speckscheiben und Pumpernickel niemals wieder seiner Labung würdig halten werde , auf den Tisch geschleudert , und verließ , gefolgt von seiner Schönen , die Küche . Keine Fiber hatte an dem Leibe der Kluswirtin gezuckt ; die Hände an den Tischrand geklammert , den Kopf zur Brust herab gesunken , aschfarbig , stieren Auges , so stand sie wie im Krampfe gebunden , und erst als die Tür hinter dem sich entfernenden Paare in das Schloß fiel , schreckte sie , wie erwachend , zusammen . Eine Minute – und sie richtet sich in die Höhe , die Hände sinken schlaff am Leibe herab , mit scheuen Blicken durchspäht sie den Raum . Hat sie ein Traum genarrt , ein böser Traum , wie so oft in der Nacht ? Ein verhaßter Traum , über den sie keine Herrschaft hat wie mit offnem Auge im Tageslicht ? Sie sieht durch das Fenster die breiten Sonnenstrahlen und das Hantieren der Leute auf dem Hofe . Nein , es ist Wirklichkeit . Das Schauerbild ihrer Jugend ist vor ihren Augen entrollt worden , mit groben Zügen , mit plumper Hand – aber doch das Bild ! Die Satzung des Hauses ist gebrochen , der Name genannt , das Schicksal heraufbeschworen worden , die in der Stille ihres Hauses und Herzens wie in einem Grabe geruht . Sie schaudert . Es gemahnt sie , als ob der Geist des Schicksals einen Vorboten entsendet habe . Aber Judith , die Kluswirtin , ist keine Träumerin und Geisterseherin von Natur . Dreimal atmet sie bis auf den Grund , schlägt mit den geballten Händen dröhnend gegen die Brust , als ob sie den Deckel über einem Sarge verschließe , und sie fühlt sich wieder klar , fest , zum Kampfe gerüstet , wie sie sich vor wenigen Minuten gefühlt . Sie lauscht eine Weile an der Stubentür . Alles still ! Die da drinnen haben nichts von dem Ärgernis vernommen . Sie sinnt einen Augenblick und schreitet dann entschlossen in den Hof hinaus . – Auch der Knecht ist wieder der alte Klaas , von dem seltsamen Eifer nichts zurückgeblieben als gezeitigter Appetit . Er sitzt auf dem Garnbündel , das er über den Kornsack auf seinen Schiebkarren geladen , und verzehrt die Brot- und Speckscheiben , die ohne die vorherige Anstrengung nicht unter etlichen Stunden an die Reihe gekommen sein würden . Die einzige Unberuhigte von den dreien scheint allenfalls die Magd , denn sie steht vor ihrem Auserkorenen mit geballter Faust und pufft auf den Kornsack unter dem Protest : » Und ich will nicht in das Mörderhaus , und ich gebe der Wirtin ein gut Wort , und ich will nicht in des Quellensimon Haus ! « Ehren-Klaas hat genugsam geschwätzt für lange Zeit , er läßt sich auf Erwiderungen nicht ein . So wenig er sich bei des Quellensimon Haus hat denken können , so wenig hat er im Ernste an das abgelegene , verrufene , verfallene Waldhaus gedacht , ja in hausväterliche Absichten überhaupt sich erst in der Galle über einen vereitelten Meßtanz hineingeredet . Er weiß , daß Knechtsbrot sicherer zu verdienen ist als Heierlingsbrot , und wie herzhaft es mundet , das glaubt er noch niemals so empfunden zu haben , wie über den saftigen Speckscheiben , die er in langsamen Bissen schnalzend zwischen seiner Zunge zerdrückt . Freilich in keinem Dienste so herzhaft als in dem zur Vergütung ihrer strengen Enthaltsamkeitsverbote reichlich lohnenden und köstigenden Kluswirtin . Indessen da der Zungenteufel ihn einmal aus dem gelobten Lande geritten , wird der Klaas sich auch an einem mageren Platze genügen lassen und noch am heutigen Tage unter den Marktgästen nach einer schicklichen Gelegenheit Umfrage halten . Mit diesem Kern- und Schlußpunkte seiner stummen Erwägungen war der Knecht bei dem letzten Bissen des Pumpernickels angelangt , als die Wirtin ihm unerwartet gegenüberstand . » Klaas , Christine , « sagte sie so ruhig , als ob das kürzliche Zwischenspiel nicht stattgehabt , » ich dulde keine Liebesleute auf dem Hofe , ihr wißt's . Aber werdet Mann und Frau , so mögt ihr bleiben . Dort oben das Gelaß im Gartengiebel richte ich euch her . Im übrigen bleibts beim alten . Künftigen Sonntag das Aufgebot . Soll 's so sein ? « – Der Klaas bat dem Gottseibeiuns sein sträfliches Mißtrauen ab ; er hätte an eine Wiederholung des Pfingstwunders glauben mögen , des wunderlichsten Wunders , das er den Pfarrer von der Kanzel verkündigen hören ; der trockene Bissen stockte in seiner Kehle ; der Christine aber flimmerte es vor den Augen , so als ob mitten in der Nacht ein Goldregen sich auf die Erde niedergelassen . » Es soll so sein , Wirtin , « sagten sie beide einmündig , nachdem sie ihrer Geister wieder Herr geworden . Damit zog der eine seinen Karren an , die andere ihren Strickstrumpf aus dem Schürzenbund , und beide bewegten sich dem Hoftore entgegen . Die Wirtin folgte ihnen . Bevor sie den Ausgang überschritten , trat sie noch einmal zwischen sie , legte eine Hand auf eines jeden Schulter und sagte leiser und weniger zuversichtlich denn vorhin : » Über die Dinge von – damals keine Silbe wieder , Leute ! « – » Keine Silbe wieder und keinen Tropfen , Wirtin ! « – » Heim vor Nacht und keine Silbe , Wirtin ! « beteuerten die Neugeworbenen , indem sie in die ausgestreckte Hand der Wirtin schlugen . Ohne ein Wort miteinander zu wechseln , setzten sie ihre Straße fort . Die Braut strickte an ihrem Hochzeitsstrumpf , will's Gott ; in dem Bräutigam dämmerte eine Weisheit , welche der Welt vor ihm schon mehr als einmal nach einem Sturme aufgegangen . Die Weisheit nämlich , daß ein unrechtes Wort zu rechter Zeit gelegentlich einen Treffer zieht . Möglich , aber schwerlich , daß Ehren-Klaas im Verlaufe seines Lebens auch zu der weiteren Erkenntnis gelangt , nach welcher ein rechtes Wort zu unrechter Zeit allemal eine Niete ist . Gesichte Judith schloß das Tor und ging nach dem Hofe zurück . Sie würde nicht die planvolle Hausregentin gewesen sein , die sie war , wenn sie den Widerspruch mit ihren wirtschaftlichen Grundsätzen , in die sie durch die getroffene Entscheidung geraten , ohne Mißmut hätte empfinden sollen . Sie hatte die Ordnung des Gebietens und Gehorchens , welche ihr Werk bis heute getragen , durchbrochen , sie hatte nachgegeben und wußte , daß sie aufgeben , neue Opfer bringen , neue Anstrengungen über sich nehmen müsse . Zu keiner Zeit hatte man verheiratete Dienstleute auf dem Klushofe gekannt . Mit einem Liebeshandel und seinen Folgen war es indessen erst unter dem gegenwärtigen spröden Regimente genau genommen worden . Wo alles noch so eng mit dem Natürlichsten zusammenhängt , in diesem nach außen ungeselligen In- und Miteinander menschlicher und tierischer Hausgenossen , der gemeinsamen , selber nächtlichen Arbeit , ist die geschlechtliche Sitte des Landes – den träumerischen , nördlichen Bischofsbezirk etwa ausgenommen – vor der Ehe eine leichte , und unter dem Schenkenzeichen des gutwilligen Sachsenröschens war sie leichter noch als in der übrigen Gegend gehandhabt worden . Wer aber eben mühsam einen Moderflecken von seinem Spiegel getilgt , der hütet ihn ängstlich vor dem ersten trübenden Hauch ; und Judiths Spiegel war ihr Hof . Der Schande , dem üblen Leumund hatte sie durch ihre Entschließung vorgebeugt , der Zucht eine neue , um so festere Schranke gezogen , wenn auch voraussichtlich manche Ungehörigkeit , manchen störenden Zwischenfall in den Kauf genommen . Indessen war sie durch die sittlichen Erwägungen doch erst in zweiter Reihe getrieben worden . Weit obenan stand das Bedürfnis der Grabesruhe über jenem Namen , jenem Schicksal , die sie in ihrem Bereiche zum Gesetz erhoben und auf diese Weise am leichtesten gesichert glaubte . Mochten dieser Name , dieses Schicksal zur Stunde in dem schweigseligen Lande verklungen sein , ein Unberechenbares konnte sie gleich einer alten Sage wieder aufleben lassen ; mochten ihre Abgeschlossenheit und der Bann ihres Willens sie vor Berührungen schützen – schon die Erneuerung dieses Bannes über fremde , wechselnde Hausgenossen , die Möglichkeit einer Wiederholung des eben Erlebten erfüllten sie mit Grauen . Sie kam daher zu dem Abschluß , daß sie für eine unvermeidliche Herzensunruhe das leichtere Teil äußerer Belastung eingetauscht , dem ihre Kräfte wie Mittel gewachsen waren , drängte die demütigenden Hintergedanken zurück , und rasch , auch zu widerstrebenden Ausführungen , säumte sie nicht , das dem künftigen Ehepaare überwiesene Wohngelaß prüfend in Augenschein zu nehmen . Die Giebelstube im Seitenbau bildete den Schluß einer Reihe kleiner Zimmer , welche zu Gasthofszeiten der Klus geringen Leuten als Herberge gedient . Ihr Bruder hatte sich den freundlichen , in das Grün des Gartens blickenden Raum seit seinen Ehetagen zur eignen Einkehr eingerichtet , und noch stand alles unverrückt , wie er es in der letzten Stunde verlassen : das Bett ungemacht , das Gerät verschoben und mit wertlosen Tändeleien beladen , vertragene Kleidungsstücke in der geöffneten Lade , im Winkel die zerbrochene Gitarre , zerlesene Scharteken wirr durcheinander auf dem Regal . Die Wand war mit bunten Klecksereien bemalt und beklebt ; dort hing Sylvias Schattenriß und daneben in Lebensgröße das eigne Konterfei des verkommenen Erben , mit welchem ein Kunstbruder dereinst seine Zeche bezahlt . So gröblich die Leistung , das blitzende Augenpaar , die langflatterigen hellgelben Locken , wie das gewichste Stutzbärtchen über den lachenden Lippen und dem kurzabgeschlossenen Kinn , der stutzerhafte Schlafrocksstaat hätten einem Freunde allenfalls das Andenken Mosjö Gusts zurückrufen können . – Die Schwester hatte an jenem Morgen das Zimmer abgeschlossen und seitdem nicht wieder geöffnet . Nun aber , da sie plötzlich auch diesen Bann überschritten , wurde sie von allen Seiten in das Damals zurückgedrängt , dessen letzte Spur sie in ihrer Klus zu löschen gedachte , indem sie den gemiedenen Raum einem nützlichen Zwecke übergab . » Und in dieser Nacht ging der junge Sachsenwirt übers Meer , und keine Seele hat wieder ein Wort von dem jungen Sachsenwirte gehört ! « Mit dieser Erinnerung aus ihres Knechtes Rede kehrte sie nach dem Wohnhause zurück . Die alte Frau schlummerte , der Knabe memorierte noch wie vorhin ; die außerhäuslichen Geschäfte ruhten während des heutigen Meßtages , die häuslichen waren bis zur Bereitung der Mittagskost gerüstet ; die unermüdliche Wirtin durfte rasten und sinnen . Aber selber die Gegenwart der beiden achtlosen Zeugen im Wohnzimmer störte sie ; sie trug das Rad in die Küche , schloß die Tür , setzte sich und spann . Der Sagenglaube des Landes sieht die Urmutter der Natur , ein Vorbild des Fleißes , spinnend vor der Himmelstür ; wer aber dieses Mädchen beobachtet hätte unter dem düsteren Rauchfang , in welchem der letzte Rest des Eichenklobens verkohlte , die kräftige trauerverhüllte Gestalt mit den reinen , festen Zügen , die wohl an ein Vor- und Urbild gemahnen durften , wie sie so unveränderlich , die ernsten Augen gleichsam nach innen gekehrt , zurücksann und dabei taktmäßig das Rad bewegte und den Faden zog : nicht an die heiterzeugende Perchta , an eine jener Schicksalsspinnerinnen würde er erinnert worden sein , welche die Gerechtigkeit einst dem Gotte des Himmels geboren , daß sie unwandelbar , unerbittlich Lohn und Strafe in einem Lebensfaden zusammendrehen . Ja , eine Parze . Aber wehe dem sterblichen Kind , dem im engen Bezirk das Amt dieser Himmlischen zuteil geworden , Liebe und Lust entweichen seiner Bahn . Denn mitten durchs Herz bohrt die Achse , deren Erdenpol Ehre heißt und der gen Himmel deutet – das Gewissen . – So saß sie still in sich verloren unter dem leisen Surren des Rades und merkte eine lange Weile nicht , daß das Schweigen im Nebengelaß unterbrochen worden war . Die alte Frau erwachte , das Lächeln des Traumes noch auf den Lippen und über den Wangen den jugendlichen Schlummerhauch . Sie dehnte sich behaglich im wärmenden Sonnenschein , schaute in die saftgrüne Aue hinaus , grüßte nickend durch die Scheiben , als sähe sie statt der Tulpen im Beet die alten bekannten Gesichter in der Ligusterlaube . Die Lippen bewegten sich anfänglich lautlos ; dann , mit schlafgestärkter Kinderstimme hoben sie eine Trällerweise an , erst leise und immer frischer und frischer : » Tanzt mit mir , tanzt mit mir , trallala , hopsasa ! « Der Knabe , welcher die Großmutter nur stumpf und für die drängendsten leiblichen Bedürfnisse empfänglich gekannt , sie vor ihrem Morgenschlummer noch in schwerem Atmungskampfe gesehen , ließ erschrocken das Buch aus den Händen fallen , und dieses Geräusch lenkte das Auge der Alten zu ihm hinüber . Sein Anblick schien sie zu erfreuen , denn sie lachte hell auf und nickte noch herzlicher denn zuvor . – » Gotts Wunder ! « rief sie , mühsam die steifen Hände aneinander klappend . » Schon aus den Federn , Gust ? Die Dithel wieder den Wasserkrug über den Ratzen gegossen , gelt ? Der Frühauf , die Dithel , ja , die Dithel ! Und gleich über der Scharteke ? Dummes Zeug , Gust ! ' naus , 'naus ! Eine Wonne draußen , Gust , purer Balsam die Luft und die Musik , die Musik ! Horch , wie sie locken und stimmen ! Versteck deine Kratzfiedel , Stümperchen , die kleinen Pieplerchen droben hutzen dich aus . – Na , wird 's bald , Mosjö ? Klapp zu das Buch . Ein Wirtssohn muß Beine haben ! Der Alte zapft Bier . Trag ihm den Stummel ' nunter , Gust . Das Morgenschälchen mundet nicht außerdem . Nur nicht gleich nüchtern einen Schluck , Frobelchen ! Nur erst was Warmes gegen den Dunst , alter Jobst ! Willst nicht ? Schon wieder rackerig bei so tagfrüher Zeit ! Herr meines Lebens , der Wacholder , der Wacholder ! « – Die Alte seufzte ; kaum eine Minute jedoch und der Schatten war verweht , lustig wie zuvor kicherte und blinkerte sie zu dem Knaben hinüber . » Guck , Gustel , guck , « rief sie , » wie die Bienen sich tummeln in der Kufdemath Sächsischer Provinzialism für Flieder . , holterte , polterte in die Kelche hinein ! Haben sich beizeiten einen Spitz gezippt ! So 'n Bienchen , so'n Bienchen ! Ja , wenn 's der Mensch ebenso gut haben tät ! Nur immer zippen und nippen , und das Haus wird voll ! « – Der Enkel , der allmählich begriffen hatte , daß ein wacher Traum die Ahne weit zurück in seines Vaters Knabenzeit geführt , vermochte , seiner natürlichen Ernsthaftigkeit zum Trotz , ein leises Kichern nicht zu unterdrücken . Die Alte drohte , selber lachend , mit dem Finger . » Sachtchen , sachtchen , Goldsohn ! « flüsterte sie , » der Alte ist rabiat , fuchswild , sag ich dir . Zetert und poltert in der Kammer drinnen . Nächtens der Punsch , ja der Punsch , daß Gott erbarm ! – Aber pfui doch , Gust , « fuhr sie nach einer Pause ernsthafter fort , » mußt nicht so lästerliche Reden führen wider dein eigen Fleisch und Blut . Du sollst nicht aufdecken deines Vaters Scham ! Denk an den Noah , Gust . Eine Seele von einem Mann , wie Vater Noah , mein Jobst , kein Neidhammel und Geizkragen nicht , Gott bewahre mich . Das Land ist schuld , nur allein das Land ! Ein garstig Land hiesig , mein Lämmchen . Kein Thüringen nicht , du liebe Zeit ! und kein Kanaan nicht , wo der Weinstock wächst und Milch und Honig herniederfleußt . Nur der Wacholder im Sande , und der Wacholder macht so 'nen schweren Dunst ! – Lachst immer noch , Gust ? Höre , du Nasenweiß , höre ! Der Noah , der hatte drei Söhne , die hießen , die hießen – ei du weißt ja , wie sie heißen taten , Gust , hast's gelernt in der Kinderlehre – ach , großer Gott , in deine Hände , nein ! Bist ein Katholischer , armer Sohn , darfst dich nicht stärken im Bibelbuch , armer Sohn , armer Sohn ! « Der Knabe fuhr bei dieser Wendung in die Höhe , als hätte er eine Gotteslästerung vernommen ; er war kreideblaß geworden und blickte ängstlich nach der Tür , wie um zu flüchten oder Hülfe anzurufen . Die Gedanken der alten Frau hüpften indessen noch eine Weile kraus durcheinander zwischen Freud und Leid ihrer Vergangenheit , bis sie endlich erschöpft in die Lehne zurücksank und die Augen wieder schloß . Der Enkel stand unschlüssig ; er hätte die Muhme suchen mögen , die er außer dem Hause beschäftigt glaubte , und scheute sich doch auch wieder , die Großmutter allein zu lassen . Jetzt , da er sah , daß sie schlummerte , schlich er auf seinen Platz zurück , schmiegte sich in die Ecke und lauschte ängstlich zu ihr hinüber . Eine Weile blieb alles stumm . Die Augen der Greisin waren halb geöffnet , ruhige Atemzüge , ein Lächeln , ein sanftes Wiegen des Haupts . Allmählich regten sich die Lippen , lautlos von Anfang , dann lispelnd , endlich frisch und deutlich wie vorhin . Sie bemerkte den Enkel nicht , und es war ein anderes Traumbild als das des Sohnes , das ihren Sinnen vorschwebte . » Simonchen , Simonchen ! « rief sie beglückt und breitete ihre Arme aus , als ob sie einen Daherstürmenden auffangen wollte . » Kind , Kind , welche Hast ! Außer Atem wie ein Blasebalg , ei du gottloses Weiheengelchen ! Setz die Kappe auf , Simon ! Und da , hurtig ein Tränchen gegen den Verschlag ! Ei , du Zipphan , du verstehst's ! Gelt , das tut gut ? Aber so weiß und timide , Simon ! Hast Hunger , bist noch nüchtern gar , armer Schelm ? Keine Mutter im Haus , und nichts Warmes im Topf ! Warte , warte , habe was für dich ! Speckfladen warm aus dem Ofen , mein Goldsöhnchen , Kümmel drauf und Zwiebeln und ein Eierguß . Das mundet , gelt ? Verstehen's nicht , hierzuland , dummes Volk hierzuland ! Der Speck saftig von der Eichelmäste und würzhaft vom Holderrauch , aber die Kunst , Simon , die Kunst ! Nur grober Pumpernickel , schmählich dummes Volk hierzulande ! Bist satt , Simon , dick und voll wie genudelt , he ? Setz ein Gläschen drauf zur Verdauung ! Schüttelst ? Dummlack , wächst doch ! Mannsen wie Bäume hierzuland , und das Bullchen allwegs im Sack ! – Zur Schule willst du ? Nur zu . Die Dithel lauert schon , Simon . Aber der Gust ? Ja wo der steckt , der Sausewind ! Rate mal , Bürschchen . Vorn auf dem Bock beim Postillion , zur Messe in die Stadt , schetteretäng , hui , hast du nicht gesehn ! Na , nicht so kleinlaut , Simon . Kann ja schon schreiben und lesen , mein Gust , ist ein Hofesohn und der Kluswirt dermaleinst . Nur hübsch manierlich , Gustel , einen Kopfnicker hier , einen Kratzfuß da , und die Worte fein gesetzt , ein Wirtssohn muß zu leben wissen . – Hat die Exempel nicht gerechnet , der Gust , ei was , ein andermal ist auch noch Zeit ! Mach zu , mach zu , Simon , die Dithel lauert in der Gartenhütte . Hat schon die Waben geschnitten , die Dithel . Das ist eine Bescherung , die du ihr angerichtet mit dem Bienenhaus mitten in der Kufdemath . Ist auch so'n Bienchen , die Dithel , lustig draußen im Klee und eifrig im Haus . Aber einen Stachel hat sie , die Dithel , daß dich , komm ihr keiner zu nah ! Na , na , laß den Kopf nicht hängen , Simonchen , dich sticht sie nicht , dich nicht . Hast sie schon still gemacht , da sie noch in der Boje lag , du Weiheengelchen , und alleweile noch ; vor dir ist sie still , eitel Wachs und Honigseim vor dir . Ich will dir was sagen , Simon , sachtchen , sachtchen , daß es keiner nicht hört ! Und wenn du groß wirst , sprich : › Die Sachsenwirtin hat's gesagt . ‹ Bist nur ein armer Kiekinsland , Simon , und die Dithel ist eine Hofetochter und hoffärtig wie eine , aber die Dithel nimmt einstens doch keinen anderen als – « » Haltet ein , Mutter ! « unterbrach eine zitternde Stimme die gemütliche Plauderei , und Judith , wie an dem Faden dieser letzten Erinnerungen herbeigezogen , faßte krampfhaft schüttelnd der Alten Arm . Auch der Knabe schlich aus seinem Versteck hervor , mit bänglichem Zweifel von seiner Pflegerin auf die Ahne und von dieser auf die Pflegerin blickend . Der friedliche Traum war unter dem Griffe von der Tochter Hand , unter ihrem gellenden Gebot entflohn ; die alte Frau starrte zu ihr hinauf , wand die gefaltenen Hände und schauerte wie im Fieberfrost . » Dithel ! « rief sie scheu , » was willst du , Dithel ? Was hast du , Dithel ? Komm zu mir , Gust , ganz nahe , Gust , hierher , hierher , Gust ! « – » Euer Geist wandert , Mutter , « sagte Judith schon wieder gefaßt . » Das ist nicht Euer Sohn , es ist Euer Enkel , der Sylv . « – » Sylvian , Sylv ? « murmelte die Alte , mit leeren Blicken den Kopf schüttelnd . Judith stand ratlos . Woher dieses auflodernde Leben in dem lange abgestumpften Hirn ? Ihr ahnete das Letzte ; sie hätte nach Arzt und Seelsorger schicken mögen . » Sylv , Sylv ! « flüsterte die Mutter noch immer in sich hinein . » Sylvchen , ja Sylvchen hieß sie , Sylvia – « Und plötzlich , wie sich besinnend , schrie sie auf : » Die im bunten Rock , da oben am Kirchenknopf ! Herr Jesus , sie schwankt , halt auf , halt auf ! – Bringst sie , Gust , willkommen , Gust ! Gottloses Kind , gutes Kind ! Murre nicht , Dithel ! Gib ihr die Hand , Dithel , – sie ist – « – Judith gab dem Knaben ein gebieterisches Zeichen , sich zu entfernen , die Alte aber rief beklommen , indem sie die zitternden Arme nach ihm ausstreckte : » Bleibe bei mir , Gust ! Laß dich nicht von mir treiben , Gust ! Die See ist tief , tief , und so weit , so weit ! Bleibe im Lande , Gust , ersäufst Leib und Seele , Gust , bleibe bei mir , Gust ! « – Sylvian kniete erschüttert neben ihrem Stuhle nieder und faßte ihre beiden Hände in die seinen . Die Angst löste sich nach und nach unter dieser leisen , warmen Berührung , der Kopf sank zurück , die Lider fielen zu , nur die Lippen flüsterten noch ein paarmal : » Sylvchen , Sylv ! « – dann ruhten auch sie . Die Tochter , die rasch in der Küche den braunen Labetrank der Mutter aufgebrüht , stand schon eine Weile sorgenvoll lauschend unter der Tür , ehe jene die Augen wieder aufschlug . Sie schauderte wie vor einem Gespenst , als sie die Tochter , die Tasse in der Hand , auf sich zutreten sah ; sie riß ihre Hände aus denen des Enkels und wehrte in Todesangst die Gabe von sich ab . » Warum fürchtet sie sich vor dir ? « flüsterte Sylvian , erstaunt zu der Muhme aufblickend , die er kindlich verehrte und deren geduldige Pflege er oft mit Bewunderung beobachtet hatte . Sie antwortete nicht , aber der Schatten eines unsagbaren Wehs glitt über ihr Gesicht . » Es ist Kaffee , Mutter , « sprach sie sanft , indem sie noch einmal den Versuch machte , ihr die Tasse zu reichen . – » Gift , Gift ! « kreischte die Alte auf . » Hast wieder Gift gebraut , Dithel ? Nur nüchtern nicht , Dithel , nur heute nicht , Dithel ! Siehst nicht , wie er sich wehrt ? Siehst nicht , wie er schwach wird ? Es ist dein Erzeuger , Kind , hab Erbarmen , hab Erbarmen , Dithel ! « – Sylvian sprang in die Höhe und starrte entsetzt der einen und der anderen in das Gesicht . » Was tatest du , Muhme ? « fragte er zitternd . – » Ich tat , was recht war , Sylvian , « – entgegnete Judith mit erzwungener Ruhe und gab ihm die Tasse , sie der Großmutter zu reichen . Mit einer heftigen Bewegung schlug sie dieselbe aus seiner Hand . » Du auch , Gust ? « schrie sie auf , » du auch ? « Dann , in eine flehende Weise übergehend , fuhr sie , die Hände windend , fort : » Höre nicht auf den Doktor , Gust , trau dem Pfaffen nicht , es ist ein Katholischer . Was fragen sie nach dem Fremden ? Das Stümpfchen Lebenslicht , was schiert es die Fremden ? Aber dein Vater , Dithel ! Laß ihn leben , Dithel , nur leben ! Siehst nicht , wie es ihn widert ? Siehst nicht , wie er schmachtet ? Nur einen Löffel voll ohne Gift , nur einen Bissen ohne Gift ! Möchtest den Geist wieder aufbringen , Dithel , ihm die Ehre wiedergeben ? Ach , Dithel , Dithel , hin ist hin . Vergibst den Leib , ladest Missetat auf dein Herz , hin ist hin ! « Tränen rannen über die alten , je mehr und mehr erbleichenden Wangen ; auch Sylvian weinte , ergriffen von ihren Jammerlauten , und Judith stand vernichtet . Und jählings durchzuckte die Alte ein elektrischer Schlag . » Herr Jesus , wie er weiß wird ! « schrie sie . » Laßt mich nicht allein mit ihm ! Einen Wermut , Mann ! Es schüttelt ihn , er nimmt ihn nicht . Erbarme dich , erbarme dich ! Wie er sich bäumt ! Da , da – er jappst nur noch – tot , tot ! « Die Greisin glich dem Leichengesichte , das ihr vor Augen stand , die zitternden Lippen und Nasenflügel wurden weiß ; kalt und schweißbedeckt klappten die krampfhaft zuckenden Glieder gegeneinander . Die Tochter stützte sie mit kräftigem Arm . Sie kannte die Todesboten , zählte nicht mehr auf Tröstung und Hülfe , aber sie wollte allein mit der Sterbenden sein , den letzten Kampf ohne Zeugen mit ihr durchringen . » Sattle , Sylvian ! « raunte sie dem Knaben zu , » in die Stadt zum Arzt ! « Doch Sylvian hörte nicht , er rührte sich nicht ; auch er sah das Ende ; er lag auf seinen Knieen und murmelte Kredo und Paternoster . Die alte Frau schlug die Augen nicht wieder auf , aber ihr Kampf war noch nicht zu Ende . Ein harter Kampf und wohl der erste ernstliche im Leben , unter welchem das friedselige Sachsenröschen von hinnen schied . Sie ächzte in Pausen , in denen sie bänglich um Atem rang , ein und das andere Mal schrie sie auf in wildem Schmerz und lächelte dann wieder wie getröstet in sich hinein . Gegen das Ende steigerten sich die Gesichte zu einer Leidenschaft , die ihr im Leben fremd gewesen . » Ich komme , Mann , ich komme ! « rief sie freudig . » Halt deine Arme auf , Frobeljobst , ich komme ; wollen wieder anfangen miteinander vor Gottes Thron . Hast keinem Menschen ein Leids getan , da du drunten warst . Bist kein Neidhammel und Geizkragen gewesen , hast keine Mördergrube aus deinem Herzen gemacht . Nur deinen eignen Leib hast du verbrannt , armer Mann , und der Leib bleibt drunten für das Gewürm , aber das Herze fliegt hinauf , und unser Herrgott heilt und labt . Gelt , kein Fegefeuer drüben , alter Jobst ? Bringe dir Botschaft , Väterchen , Post aus dem Klushofe , gute Post ! Alles still , still , auf der Klus . Kein Leumund mehr über den Saufaus , den Sachsenwirt , der sein Vatererbe hinuntergegurgelt , Tropfen um Tropfen , und dann Tropfen um Tropfen an dem Gifte verschmachten mußte . Die Dithel hat's wiederhergestellt ; die Dithel hat 's still gemacht auf der Sachsenklus . Die Dithel versteht's ! – Wie es schwarz wird ! Nacht , Nacht ! Ich komme , Frobeljobst , ich komme ! « Judith sank zu Boden und umklammerte die Kniee der alten Frau . Sie wähnte sie geschieden , denn das Haupt war schlaff auf die Brust hinabgesunken . Noch aber flog der Atem , und das Herz klopfte gleich einem Hammer . Und plötzlich schnellt sie in die Höhe ; in dem welken Marke ist ein Lebensfunken aufgewacht ; sie steht aufrecht , die Blicke rollen wie vor einem greulichen Gesicht . » Wo dein Sohn ist , Mann ? Dithel , Dithel ! « kreischt sie auf , indem sie die Tochter mit beiden Armen rüttelt . » Hörst du nicht , Dithel , wie er um seinen Erstgeborenen ächzt ? Munkelt ihr , zwinkert ihr , ich hör's , ich schau's ! – Da drüben am Wasser – der in seinem Blut – der , der – der Simon , sagen sie , der jetzt der Quellensimon heißt ? Unser Weiheengel ? Erbarme dich , erbarme dich ! Fort , fort , du Unglückskind , fort übers Meer ! – Nein , nein , hört nicht auf ihn , den Klusengel – den Friedenbringer ! O du Lamm Gottes , das der Welt Sünde trägt ! Nicht er , nicht er ! Fort , fort ! Der ihn erschlug , ist – « – » Hinaus , Sylvian ! « schrie Judith mit gesträubtem Haar . » Stopfe deine Ohren zu , Sylvian , sie rast ! « – Die alte Sachsenwirtin nannte den mörderischen Namen nicht . » Hilf Gott , hilf Gott ! « röchelte sie und stürzte tot zu Boden in der Tochter Arme . Erweckung So still war es noch zu keiner Zeit in der stillen Klus gewesen als während der Stunden , welche diesem Schreckensende folgten . Ja , Totenstille ! Kein Laut der Klage oder des Trostes zwischen den beiden Lebendigen , kein Seufzerhauch ; nicht ein Fußtritt hörbar , die Handhabung leise wie von Geisterhänden ! Wenige Minuten besinnungslosen Entsetzens , und die Tochter erhob sich vom Boden neben der Hingeschiedenen , richtete sie in die Höhe und trug sie auf ihren Armen in die Nebenkammer . Sie drückte ihre Augen zu , netzte und kleidete sie , bettete sie auf dem gewohnten , mit frischen Linnen verhüllten Lager ; alles sonder Zeugen oder Hülfe . Der Knabe saß regungslos im Zimmer , betete und brütete über das Unbegreifliche . Und da liegt sie nun , die Frau mit dem guten Herzen , in ihrem Nachtmahlsstaate , die Hände gefaltet über dem Bibelbuch auf ihrer Brust , und die Tochter sitzt neben ihr auf dem Bettrande und starrt trocknen Auges mit einem Blick des Neids , jawohl des Neids , in den Frieden , das milde Entzücken der Züge , die manchen von uns auf einem Totenantlitz zwischen den Stunden der Erlösung und Erstarrung mit Himmelreichsahnung getröstet haben . Ohne eine Muskel zu regen , ohne deutliches Fühlen und Denken , nur einen sengenden Punkt im Herzen , saß sie lange , sie wußte nicht wie lange , als die Tür leise geöffnet ward und Sylvian in die Kammer geschlichen kam . Bleich und bebend beugte er sich über die tote Gestalt , Mund und Hände mit seinen Küssen und strömenden Tränen bedeckend . Erst dieser kindlichen Rührung gegenüber erwachte die Tochter zu dem Gefühl ihrer Verwaisung . Wohl hatte sie Mutterwillen , Mutterlehre und Schutz wenig gekannt und mütterliche Zusprache selber schon lange eingebüßt , damals , als nach der Sterbestunde des Sachsenwirts , unter mächtig andrängenden häuslichen Wirrnissen ein jäher Schlag den Geist der schwachen Frau gelähmt . Sie hatte nur den Leib noch gepflegt wie den eines kranken , hülflosen Kindes . Auch der Leib war jetzt dahin , Band und Pflicht für die Vergangenheit gelöst . Nein , nicht die Pflicht , solange die tote Gestalt noch über der Erde ruhte . Der letzte Gang ist ein Ehrengang und Vieles , Schweres herzurichten , was ihr jetzt erst klar vor die Augen tritt . Und sie entbohrte jeder helfenden Hand . Sie würde ihrer entbehrt haben , auch wenn Knecht oder Magd nicht zufällig von dem Hofe entfernt und ihr Bruderssohn älter und erfahrener gewesen wäre . Sie , das Kind dieses Bodens , war eine Fremde unter seinen Bewohnern ; sie hatte keinen Blutsfreund , keinen Glaubensgenossen in der Gemeinde , sie mußte sich selbst zu dem schweren Wege rüsten , den sie zehn Jahre lang gemieden und dessen qualvolle Eindrücke sie nach dem erschütternden Erlebnisse mit verdoppelter Schärfe im voraus fühlte . Aber sie schwankte und zögerte nicht . Entschlossen stand sie auf und verließ die Totenkammer . Sylvian folgte ihr . Zaghaft faßte er ihre Hand und fragte mit niedergeschlagenen Augen und kaum hörbarer Stimme : » Was die Großmutter im Sterben sah , Muhme Judith , was sie sagte , das Schreckliche – « – Sie ließ ihn nicht zu Ende reden . » Ein Wahn des Todeskampfes , « fiel sie ein . » Aber frage nicht weiter , Sylvian , nicht heute und morgen , da sie noch über der Erde ruht . Später . « Sie gab ihm darauf einige häusliche Anweisungen für die Stunden ihrer Abwesenheit und machte sich ohne Aufenthalt für den Gang bereit . Sie hatte nicht erst Trauerkleider anzulegen , nur ihren Anzug säuberlich herzustellen und Kopf und Nacken gegen den Sonnenbrand durch ein weißes Linnentuch zu schützen , das ihr das Ansehen einer Nonne gab . Schon ruhte ihre Hand auf dem Drücker der Haustür , als Sylvian noch einmal hinter ihr stand . » Nur eines , « so flehte er mit aufgehobenen Händen , » eines , Muhme Judith , sage mir , – daß ich Ruhe finde . Ist eine Missetat in diesem Hause geschehen , – oder – von denen meines Bluts , – für die ich zum Heiland um seine Barmherzigkeit bitten muß ? « – Ihr Blick ruhte düster am Boden , die Antwort kostete ihr einen Kampf . Nach einer Pause sagte sie mit ungewohnt hastigem und schneidendem Klang : » Bete , Sylvian , bete ! Irrtum und Schmach sind reichlich in diesem Hause abzusühnen . Auch für einen Missetäter bete , – aber – nicht für einen – deines Bluts . « Sie schlug die Tür in die Angel und stürzte über den Hof , getrieben von einem bösen , ihre Worte strafenden Gesichte . Das Gesicht ihrer Mutter im Todeskampfe , das ihrer eignen Träume und tiefvergrabenen , als Frevel gebannten , nächtlichen Gedanken ! Draußen im Freien atmete sie auf . Sie stand eine Weile gewaltsam mit sich selber ringend und nahm dann raschen Schrittes die Richtung nicht nach der Stadt , sondern innerhalb ihrer eignen Flur den dörflichen Feldweg entlang . Gewohnt , wie sie war , sich zu dem Nächstliegenden zusammenzufassen , stand ihr auch heute die Reihenfolge ihrer Obliegenheiten klar vor Augen . Zuvörderst die Anmeldung bei dem Gemeindepfarrer und die Unterhandlung hinsichtlich der Begräbnisfeier . Solange sie zurückzudenken vermochte , war kein Andersgläubiger in dem katholischen Kirchspiele zur Ruhe getragen worden ; sie kannte Person und Sinnesweise des Pfarrers , der seit etlichen Jahren das Gemeindeamt versah , nur von der Kanzel und aus den Lehren , welche Sylvian vom Schulunterrichte heimgetragen . Predigt wie Lehre waren die mildesten ; aber Judith , die Kluswirtin , hätte auch das Herz dazu gehabt , allenfalls gegen harten Widerstand die letzte Pflicht gegen ihre Mutter – ehrendes Grabgeläut , Segen und Trauerrede eines Geistlichen ihrer eignen Kirche durchzusetzen . Denn so harmlos treuherzig wir uns die alte Sachsenwirtin im nahen wie fernen Verkehr mit Andersgläubigen vorstellen dürfen und so zutätig sie in ihrer guten Zeit den vormaligen Gemeindepfarrer mit dem Besten ihres Haushaltes bedient , sooft er als Seelsorger von Mann und Sohn auf dem Klushofe eingesprochen , nicht um die Welt würde sie dem Meßopfer in einer päpstlichen Kirche beigewohnt , ihr Knie vor einem Tabernakel gebeugt haben , unter einer Gemeinde zumal , in welcher sie um ihres reinen Bibelglaubens willen mißachtet , wohl gar , heimlich und laut , ihr , der Ketzerin , der Verfall des Erbes und der Familie zur Last gelegt worden war . Es gibt einen Punkt , auf welchem auch der Schwache unbeugsam ist , und je schwächer häufig , desto mehr . Aber auch die freier denkende , stärkere Tochter war entschlossen , nicht von einem innerlichen Rechts- und Ehrenpunkte abzulassen , und so fühlte sie sich denn keineswegs im Unklaren überrascht , als ihr , in die Dorfstraße einbiegend , der , welchen sie aufzusuchen im Begriffe stand , scheinbar lustwandelnd entgegentrat . Vielmehr kam es ihr erwünscht , die möglicher weise peinliche Angelegenheit ohne zufällige Zeugen und , wo es ihr jederzeit am wohlsten war , unter dem freien Himmel ihres eignen Reviers abzusprechen . Sie trat zur Seite und neigte sich ehrerbietig , wie sie es jederzeit auf dem Kirchwege , den rechtmäßigen Pfarrkindern gleich , getan , redete ihn darauf in bescheidener Fassung an , indem sie das Abscheiden der Mutter meldete und um ein Begräbnis nach dem Brauche ihrer protestantischen Religionsgenossen auf dem Gemeindekirchhofe bat . Der geistliche Herr , dem Alter näher als der Jugend , aber nach Farbe , Gestalt , Ausdruck und Habitus unverkennbar ein Sohn jenes nördlichen Gebiets der Roten Erde , dessen Lüfte den Traum der Kindheit auf dem Antlitze festzubannen scheinen , war einer der Begnadigten seines Standes , deren geistiges und leibliches Wohlgefühl ungesucht sich spröden oder zagenden Herzen mitzuteilen pflegt . Schon daß er bedächtig , in Pausen , mit den getrennten provinziellen Zischlauten redete , heimelte die rein und fließend , gleich einer Hochgeborenen sich äußernde Bäuerin vertraulich an , und der warm sich in den ihren senkende Blick des großen , ein wenig vorliegenden , hellblauen Kinderauges gab ihr die Beruhigung einer ernstgemeinten Teilnahme , ohne das Mißbehagen lästiger Neugier zu erwecken , das lebhaftere , nicht minder wohlwollende Naturen selten vermeiden , wenn sie uns fragend und forschend gegenübertreten . » Das sächsische Mutterchen heimgeschieden , o weh ! « sagte er , der Bittstellerin herzlich die Hand drückend . » Nun , Gott der Herr bereit ' ihr eine gesegnete Urständ ! – Euch aber , brave Tochter , fülle Er in Liebe die leere Stelle . Denn , wenn ihr unsterblich Teil auch lange vor dem sterblichen in Schlummer gefallen ist , es war doch immer noch das Mutterleben , gelt ? und ein gut 's End eigen Leben , ich weiß , ich weiß ! – reißt mit dem alten Faden ab . – Und mein Sylv , mein Sylv ! « so fuhr er nach einer Stille fort , in welcher Judith die ersten Tränen um ihre Verwaisung getrocknet , – » der noch niemalen ein Auge brechen sehen , ja , ja , ein Gebet mit seinem alten Lehrer tut dem frommen Herzchen gut . Ist 's Euch genehm , Jungfer Wirtin , so wandeln wir den Weg nach Eurer Klus zurück und ratschlagen mitsammen hier unter Gottes Himmel , was in Eurer Angelegenheit zu beschaffen ist . « – So gingen sie denn zwischen den Hecken des Feldstiegs , der katholisch Geweihte und die ketzerische Gemeindetochter hart an seiner Seite ; denn als die letztere bescheidentlich einige Schritte zurückbleiben wollte , winkte er sie zu sich heran und rief : » Hübsch hier neben mich , liebes Kind ! Die Worte fließen noch einmal so leicht , wenn eines dem anderen dabei in das Antlitz schaut . « Es entspann sich darauf das folgende Zwiegespräch . » Das selige Mutterchen war von Geburt – nun das versteht sich ja – ein Sachsenkind ! Ich meine : sie war von Herzensgrunde eine Luthersche ? « hob der Pfarrherr an , indem er nach Art seiner landsmännischen Glaubensbrüder die erste Silbe des Wortes lutherisch betonte . – » Von Geburt und Herzensgrunde , ja , Herr Pfarrer « , antwortete Judith . » Und hat die heilige Zehrung , so wie die Euren sie darreichen , mit auf den Weg genommen ? « – » Am Karfreitage zum letztenmal , Herr Pfarrer . « – » Und Ihr mit ihr , Jungfer Wirtin ? « – » Ich allein mit ihr in meinem Zimmer , wie alle Jahre . « – » Wie soll ich mir es aber auslegen , liebes Kind , daß ich Euch , seitdem ich diesem Amte diene , andächtig und regelmäßig an Sonn- und Festtagen , – außer denen , die wir Katholischen vor Euch voraus haben freilich , – in unserer Gemeinde wahrgenommen ? « – » Herr Pfarrer , ich bete in der Christengemeinde , in die ich von Gott mit meinem Vätererbe eingestellt worden bin , und habe allezeit durch des Herrn Pfarrers Lehren mich in meiner eignen Heilsordnung gestärkt gefunden . « – » Und ist niemalen eine Anwandlung , ich meine so ein Spüren heimlicher Sehnsucht über Euch gekommen , Euch auch mit dem Bekenntnisse in Eure Vätergemeinde einzustellen ? « fragte der Priester ein wenig eifriger , und das Mädchen antwortete ein wenig trotziger denn bisher : » Herr Pfarrer , ich bin dem Bekenntnisse meiner Mutter nach dem Landesgesetze vor Taufstein und Altar zugeschworen . « – » Aber der Sylv , Euer Bruderskind , bei dem Ihr Elternstelle vertretet ? « forschte jener mit einem bedenklichen Seitenblick . – » Der Sohn meines Bruders steht mit dem nämlichen Rechte auf des Vaters Seite und wird ohne Anfechtung in seiner Väter Glauben herangezogen « , versetzte die Kluswirtin , ein kaum merkliches Lächeln auf den Lippen . Nachdem der geistliche Herr auf diese Weise sein Gewissen beruhigt , gab er nach einigen weiteren ähnlichen Fragen seinen endgültigen Bescheid in den nachfolgenden , mildheiteren Worten : » Nun denn , liebe Tochter , so ladet Euren lutherischen Beichtiger ein , dem alten Mutterchen die letzte Erdenklus nach seinem Glauben einzusegnen ; und weil Euer Bruderskind seinen leiblichen Vater nicht zur Stelle hat , so will ich , als sein geistlicher Vater , dem Verwaisten an die Gruft seiner Ahne das Geleite geben . « – Judiths Augen hatten sich gefüllt und die bleichen Wangen gefärbt . » Ich danke Ihnen , ich danke Ihnen « , sagte sie leise , indem sie sich niederbückte , um seine Hand zu küssen . Ja , sie war einen Augenblick versucht , das Knie vor ihm zu beugen , denn das verschlossene Herz begriff in diesem Augenblicke , wie die Beichte vor einem wahrhaften Gottverkünder eine belastete Menschenseele zu erlösen vermöge . – » Laß gut sein , laß gut sein , Kind ! « rief der Pfarrer , seine Hand zurück ziehend und sie freundlich auf die Schulter klopfend . » An welcher Stätte sollen Christenmenschen sich denn vertragen lernen , wenn 's nicht einmal an einer Grabesstätte ist ? « Er ließ hiermit den leidvollen Gegenstand fallen und bemühte sich , die Vorstellungen seiner Begleiterin in eine erheiternde Bahn zu lenken , indem er , als ein sachverständiger Bauernsohn , wie er sich nannte , den vor allen andern wohlbestellten Stand der Klusflur , zwischen welcher sie wandelten , lobpries . » Der Tausend , wie ist nur das Schenkentöchterchen zu dieser Bauernwissenschaft gekommen ? « rief er aus . – » Es hat mir im Blut gelegen , Herr Pfarrer , « versetzte Judith , » und unser Herrgott gab das Gedeihen . « – » Unser Herrgott – nun freilich , freilich ! Indessen zwischen eines Menschen Neigung und dem Segen von oben liegt noch ein Spatium , das – . « – » Ich hatte meinen Kopf darauf gesetzt , Herr Pfarrer . « – Der geistliche Herr lachte . » Lutherscher Dickkopp ! « sagte er , mit dem Finger drohend . » Aber nichts für ungut , Kind . Weiß gar wohl , daß Doktor Luther nicht der Töpfer gewesen für diesen Ton . Rote Erde heißt Eisenerde und gibt fest Gefäß . Nur nicht allzu fest , Jüngferchen ! Dem Topfe ein Deckelchen aufgesetzt , daß das Beste nicht überläuft oder heimlich verdampft . « – » Ich verstehe den Herrn Pfarrer nicht . « – » Ei nun , ei nun , das Mütterchen hinüber , Haus und Herze leer , wie wär 's mit einem Herrn , einem Oberherrn ? « – » Heiraten , meinen der Herr Pfarrer ? « – » Heiraten , nun freilich , heiraten , Jungfer Wirtin . « – » Ich werde niemals heiraten , niemals ! « – » Halt , halt ! Nichts verreden , Kind . Verreden heißt : nicht wollen wollen . Annoch ist man in den Jahren , da das Herz seine Stimme führt . Und wenn nun Gott der Herr im Herzen spricht : ich will ? « – » Gott will es nicht , Herr Pfarrer « , entgegnete das Mädchen mit finsterer Stirn , aber so überzeugendem Klang , daß der fromme Mann auch diesen Gegenstand fallen ließ . » Das schöne Anwesen , « meinte er weiterhin , » so hübsch rund beieinander ! Wir Bauern bei der Arbeit denken an unsern Erben . Euer Bruder , wenn er eines Tages zurückkehrt – . « – » Er wird schwerlich zurückkehren , Herr Pfarrer . « – » Hat er so gar nichts von sich hören lassen , seitdem er von Euch geschieden ? « – » Niemals ein Wort . « – » Und der Sylv ist Euer einziger Blutsverwandter hierzuland ? « – » Mein einziger . « – » Der Tausend , Mosjö Sylv ! Wächst die Klus so fort , wirst du ein Herrenleben führen deiner Zeit ! « rief der Pfarrer , sich vergnügt die Hände reibend ; aber seine Begleiterin stimmte ihn herab , indem sie trocken entgegnete : » Sylvian wird keinerzeit der Kluswirt werden , Herr Pfarrer . « – » Anjetzo bin ich's , der Euch nicht versteht , Jungfer Wirtin . « – » Er hat nicht Bauernsinn und Geschick , und wenn er es hätte – ich will es nicht . Er soll studieren . « – » Geistlich werden ? « fragte der Pfarrer , merklich belebt . – » Wenn er seine Reife hat und das Herz ihn dahin treibt , meinethalben . Vorderhand soll er lernen und freie Wahl haben . « – » Lutherscher Dickkopp ! « schalt der Pfarrer von neuem mit gutmütigem Lachen . » Aber warum seid Ihr so widerhaarig gegen ein Bauernleben , Jüngferchen , da Ihr doch selber von Herzen eine Bäuerin scheint ? Mit dem Handwerk heißt das , mit dem Mundwerk ei bewahre ! « Judith zögerte eine Weile , ehe sie eine Antwort gab . Indessen schien sie zu fühlen , daß der geistliche Herr ein Anrecht zu der das Wohl seines Pfarrkindes betreffenden Frage gehabt , und so erklärte sie sich , anfänglich stockend und mit niedergeschlagenen Augen , in eingänglicherer Weise als bisher über diesen peinlichen Punkt . » Um seines – Vaters willen , Herr Pfarrer , « sagte sie , » und um seiner Mutter willen , die als eine – Gaukelspielerin im Lande bekannt gewesen . Schon sein Name mahnt an die Fremde , und daß er ein dunkles , schwächliches Ansehn trägt , und dann – wer kann wissen – ? Nein , nein , Herr Pfarrer , die Nachbarn würden ihn nicht als ihresgleichen schätzen lernen . Es braucht einer einen harten Kopf , um als ein Fremder unter Bauern fortzukommen . Ich habe es erlebt an Vater und Mutter . Ein jeder Stand hat seine Ehre , Herr Pfarrer , und der Bauer hält auf reines Blut . Höher hinauf soll 's anders sein in der Welt . Da fragen sie nicht woher , aber wohinaus ? und wenn einer was hat und was kann , vergönnen sie ihm seinen Platz . « Wie , wenn nur die erste harte Eisschicht durchbrochen , Welle für Welle das Bachwasser seinen Lauf nimmt , so mit dem lange verschlossenen Quell der Gedanken , dem Schicksal oder Anteil den ersten Tropfen entlockt haben . Ein halbschmerzliches Lächeln spielte um die Lippen der schweigsamen Wirtin , als sie nach diesem Erguß die verwunderten Blicke ihres Begleiters bemerkte . » Woher ich das genommen habe , Herr Pfarrer ? « sagte sie ; » die Klus war ein Wirtshaus ihrer Zeit , darin sich manches lernt , Gutes und Schlimmes ; jetzt ist sie wie eine Klause , und Klausner kommen auf vielerlei Gedanken . Der Sylvian soll hinaus und mit etwas Neuem einen Anfang machen . « – » Und Ihr derweile , seltsames Mädchen ? « fragte der Pfarrer . – » Ich helfe ihm zum Anfang , Herr Pfarrer , « antwortete sie , » und ich schaffe , was eines Tages Eignen oder Fremden zugute kommen wird . Ein anrüchiges Haus bringt keinen Segen . « Beide sprachen kein Wort weiter , bis sie das Hoftor erreichten ; schweigend , mit gesenkten Blicken gingen sie nebeneinander her . In dem geistlichen Herrn kämpfte ein weiterforschendes Verlangen sichtlich mit rücksichtsvoller Schonung , und auch das Mädchen rang zwischen Trieb und Scheu einer tiefer schneidenden Mitteilung ; beider Gedanken steuerten , ohne daß sie es ahneten , nach dem nämlichen Ziel . Unter dem Tore hielt sie plötzlich still , indem sie krampfhaft nach dem Herzen faßte , brach aber ab , schüttelte heftig den Kopf und ging voran . – Der freundliche Gast lehnte es ab , als ihm die Wirtin das Geleit in die Räume ihres Hauses geben wollte ; ein Gewitter ziehe sich zusammen , meinte er , und es sei gut , die Sache in der Stadt so bald als möglich zum Abschluß zu bringen . Als Judith aber , seinem Rate folgend , ihre Schritte nach dem Tore zurücklenkte , munterte er sie auf , den duftigen Waldweg im Schatten der Bergwand der sonnenglühenden Landstraße vorzuziehn . Sie zögerte und blickte mit einem Ausdruck zwischen Verlangen und Grauen nach der Gegend des Forstes . Ein Zufall entschied . Wirbelnde Staubwolken und der Lärm truppweise zum Markte ziehenden Volks drangen von der Straße herüber ; rasch entschlossen schlug sie durch Garten und Kamp die heimlich einsame Richtung ein . Seltsame Widersprüche kreuzten sich in ihrer Brust . Der lang gemiedene Pfad schreckte und lockte sie zu gleicher Zeit ; sie fühlte ihr Herz im Schmelzen und hätte es umpanzern mögen vor den Eindrücken , die ihrer harrten ; sie wollte keine Zeugen und spürte doch wieder nahezu ein Bangen nach dem tröstenden Menschen , der sie soeben verlassen . In dieser Unruhe hörte sie einen nachfolgenden Schritt , und als ob das Schicksal ihr die ausgleichende Bahn bezeichnen wolle , sah sie , kaum daß sie den Kamp betreten , den ersehnten Tröster wieder an ihrer Seite stehn . Auch er vermochte einen Anflug von Verlegenheit nicht zu verbergen , da er sich noch einmal unerwartet in diesem zweiten Gehege der Kluswirtschaft einführte ; er habe , so sagte er , von der Straße aus oft mit Herzenslust den kräftigen Wiesenhang angeschaut und nehme nun die Gelegenheit wahr , sich die künstliche Berieselung , durch welche eine wüstliegende Rodung so nutzbringend verwertet worden , ein wenig in der Nähe zu betrachten . Und in der Tat , einem Liebhaber ländlichen Wesens mochte die Waldwiese , die sie jetzt nebeneinander durchwandelten , eine anmutende Augenschau gewähren von der Berglehne im Rücken weit hinab über die Aue bis zum Flussesufer . Schmale Gerinne , aus einem Quelle am Forstsaume sickernd , befeuchteten den Grund für einen Gras- und Kleewuchs , der eben im frischesten Maiensafte stand ; die Linnengewebe des vergangenen Jahres lagen , bei der sprichwörtlichen Treue der Gegend , Tag wie Nacht ohne Wächter zum Bleichen ausgebreitet ; in besonderer Umhegung , von welcher ein sich absenkender Pfad nach der Tränkquelle leitete , lagerten die heute freigelassenen Tiere des Hofes , Musterstücke ihrer Art vom ostfriesischen Rind bis zum landestümlichen Borstenvieh ; ein Weidengebüsch am Rande der Wassergrube , mit den niederhangenden , frühbelaubten hellen Zweigen sich gar angenehm gegen den bräunlichen Waldeshintergrund abhebend , hielt die Sonnenstrahlen fern und die Quellenkühle fest ; eine also umschattete Rasenbank hätte nicht an einem einladenderen Platze der Gegend angebracht werden können . Keine dieser Wahrnehmungen entging dem geistlichen Herrn , und für keine mangelte ihm ein anerkennendes Wort . Er klopfte über den Plankenzaun hinweg die glänzenden Weichen der Rinder , verhieß lächelnd , den Sylv zum Benetzen des Linnens anzuhalten , wenn nicht in Bälde der Himmel selber diesen Dienst übernehmen werde ; vor allem aber pries er die geschickte Anlage des Borns an einer Senkung , wo die absickernden Bergwässer , statt eingeschlossen zu versumpfen , den mäßigen Quell verstärkten , und endlich , einer hinter diesem heitern Bezeigen lauernden Absicht nachgebend , fragte er mit einem raschen Blick auf seine Begleiterin : » Die Anlage rührt von dem Quellensimon , gelt ? « Das war nun zum drittenmal an diesem Tage , daß der Name des Quellensimon unerwartet wie ein Blitz in des Mädchens Seele schlug ; aber wie weit weniger heftig war die Erschütterung , seitdem das Herz sich einem milden Vertrauensbedürfnis geöffnet hatte . Nur einen Moment stand sie regungslos ; dann neigte sie bejahend den Kopf , und auf die weitere Frage , ob sie den Simon gekannt , antwortete sie schon gefaßt und mit bedeutungsvollem Ausdruck : » Ja , ich kannte ihn . « » Schau , schau , wie weißschäumend diese Bläschen in die Höhe perlen « , hob nach einer Pause der geistliche Herr wieder an , indem er sich auf die Rasenbank niederließ und in den Brunnen zu seinen Füßen blickte . » Der Quell muß tief liegen , aber trefflich , trefflich , diese Leitung ! Ich habe ähnliche in der Gegend gesehen , sämtlich nach des Simon Angabe . Das Volk nennt ihn einen Quellenfinder , schreibt ihm einen leiblichen Blick in die Tiefe zu , Zauberkünste wohl gar , eine Haselrute und dergleichen . Das Volk hierzulande hat noch mehr , als man denken sollte , von seinem alten Heidenglauben festgehalten . Was achtet Ihr , die Ihr ihn gekannt , wie Ihr sagt , von dieser seltsamen Gabe , liebe Tochter ? « – Der Frager hatte seinen Zweck erreicht , die Befragte sich während seiner Auslassung zu erwünschter Ruhe gesammelt . Aufrecht ihm gegenüberstehend ging sie mit Besonnenheit , ja mit einem Zuge von Befriedigung auf die Erklärung ein , von welcher er Schritt für Schritt seinem Ziele näher zu kommen hoffte . » Der Simon Lauter « , so sagte Judith , » lachte schon damals über den Aberglauben der Leute , schalt wohl auch über das , was er eine Lästerung nannte . Sie versuchen's nur nicht , meinte er . Weil von alters her kein Born an der Stelle geflossen , wo er not tut , soll und kann kein Wasser in der Tiefe sein . Zehnmal mißlingt der Versuch , glückt er aber das elfte Mal , da schreien sie über Zauberkünste . Vom Arzte gilt das nämliche . Sterben die Kranken , ist 's ihnen von oben beschert gewesen , kommt einer durch , heißt der Doktor ein Wundermann . Als ob das Gute , durch Menschenfleiß und Kraft hervorgebracht , nicht erst recht eine Bescherung von oben wäre ! – Schon sein Vater , der von Bergleuten aus der Fremde abgestammt , hatte dem Simon manche natürliche Kenntnis beigebracht . Im übrigen , sagte er , sei der Wald sein Lehrmeister gewesen . Das Erdreich unter den tiefliegenden Wurzeln der Eichen , die er schon als Knabe roden half , der Stand der Kräuter und Moose , das Verhalten der Tiere selber leitete ihn auf richtige Spuren . Ihm zuerst ist es aufgefallen , als er in seinen Soldatenjahren längere Zeit jenseit auf einem Hofe in Quartier lag , daß die Sauen , die sich täglich mehrmals mit Gier in einer Lache wälzten , ein vorzugsweise kräftiges Ansehn trugen . Der Schlamm wurde untersucht , und heute soll ein mächtiges Salzwerk über dem Sauenpfuhle aufgerichtet stehen . Und schon vor jener Zeit fiel ihm in ähnlicher Weise die Entdeckung der warmen Quelle zu , in welcher jetzt so viele unserer Bauern sich nach der Ernte von Fluß und Gliederreißen heil baden . Der Simon behauptete , ein Walnußbaum , der vereinzelt auf dem Wiesengrunde gewachsen und weit üppigeres Laub und größere Früchte getragen , als die sonst spärlich in unseren Gärten gedeihen , ein Trupp blauer Glockenblumen darunter , die er sonst nirgendwo wild aufschießen sehen , haben ihn auf den Gedanken des heißen Untergrundes geführt . Das mag wahr sein , Herr Pfarrer . Aber warum hatte keiner vor ihm sich über die kräftigen Früchte oder die seltene Blume verwundert ? Einen besonderen Blick hatte er doch . « » Ja , der Blick , der Blick ! « rief der Pfarrer mit der begeisterten Freude eines Menschen , dem sein liebster Gedanke von einem andern bestätigt wird , – » der heimliche Sinn in die Tiefe , der die Beobachtung bannt und jedweder Kenntnis die Bahn bricht ! Und nicht im sichtbaren Naturreiche allein . In der Wissenschaft von Gott heißt dieser Blick der Glaube , fällt er aber in ein Menschenherz , so nennen wir ihn Liebe . Was alle nicht sehen , sieht der Liebende , und nur der Liebende sieht recht . – Und auch Ihr , meine Tochter , « fuhr er nach einer Pause zu seinem Zwecke zurücklenkend fort , » auch Ihr scheint mit einem Blick in die Tiefe gesegnet , da Ihr in so liebreicher Weise die Gaben eines Unglücklichen ausdeutet , der schweres Herzeleid über Euch verhängt . Seine Missetat an Eurem Bräutigam – . « – » An meinem Bräutigam ? « fuhr Judith auf ; » mein Bräutigam , wer sagt das ? « – » Euer Liebster denn oder Freiersmann , der mit der Zeit – . « – » Nimmer , nimmer ! Ich verabscheute den Mann , ich haßte ihn ! « – » Ihr haßtet ihn ? « rief der Pfarrer mit unverhehltem Staunen , » ihn , den Gemordeten , bei dessen Leiche Ihr als Zeugin – . « – » Ich zeugte die Wahrheit , « unterbrach ihn Judith stammelnd , » die Wahrheit , – wie meine leiblichen Augen sie geschaut , – mein Herz war – für nichts in der Sache . « Sie hatte sich geisterbleich verfärbt , die Züge waren entstellt , der innerlichste Wehepunkt aufgerüttelt ; ihre Füße schwankten , sie klammerte sich an einen Weidenstamm . Der geistliche Herr , mitergriffen von dem Ausdruck einer Qual , deren Ursprung ihn je mehr und mehr verwirrte , erhob sich von seinem Sitze und faßte des Mädchens Hand . – » Ich habe diese grausamen Erinnerungen nicht aus müßiger Neugier in Euch wachgerufen , meine Tochter , « sagte er ; » ich bekenne Euch im Gegenteil , daß ich lediglich um dieser Erinnerungen willen heute morgen den Weg nach Eurem Hause eingeschlagen . Indessen , da ich Eure Trauerbotschaft vernommen , war es meine Absicht , mein Anliegen auf eine gelegenere Stunde zu verschieben und zurzeit nur Euren Sinn für eine zutrauliche Aussprache vorzubereiten . Habe ich Euch wehe getan , so glaubt , es war eine christliche Absicht , die ich im Herzen trug . « – Er wendete sich zu gehen . Als er aber Judith , wie um ihn zu halten , beide Arme nach ihm ausstrecken sah , kehrte er zurück , nahm ihre Hände noch einmal in die seinen und schaute in ihre düstern Augen wie in ein Rätsel . » Ich kann es hören , « flüsterte sie , sich allmählich belebend , » alles hören , – was verlangen Sie von mir ? « – Noch stand er eine Weile in zweifelndem Sinnen unter ihrem drängenden Blick , und da er sich endlich zur Rede entschloß , war es nicht in dem gemütlichen Tonfall des Alltagumgangs , sondern mit dem reinen Laut und der eindringlichen Weihe des Priesters , der sein Amt erfüllt . » Ihr wollt es , « so hob er an , » nun denn : ich fordere Euch auf zu einer wahrheitsgetreuen Darstellung dessen , was Euch von des Simon Lauter Gemütsart und Lebensweise vor seinem Unglück bekannt geworden . Die schwerste Missetat kann schon hienieden eine Sühnung finden , und Gnade für den Reuigen ist nicht Gottes Amt allein . Der Vorsteher der Strafanstalt , welcher schon vor Jahren den Simon Lauter als militärischen Untergebenen schätzen lernte , und der dem eignen Eingeständnisse zum Trotz noch heute an seine Unschuld glaubt , findet kein Ziel , des Gefangenen gesittetes Verhalten , seinen sänftigenden , ja veredelnden Einfluß auf die rohen Mitsträflinge anzupreisen ; des Fleißes , der Kunstfertigkeit nicht einmal zu gedenken , durch welche er , neben dem Aufwande für seinen eigenen Unterhalt , manchem hülflos entlassenen Bruder eine Wohltat erweist . Kaum daß seine Anstrengung der Fülle der Bestellungen von nah und fern genugzutun vermag . Man lohnt ihn reichlich , und da er von Hause aus nicht ohne Vermögen ist , hat man ihm vergönnt , die erworbene Sparsumme in jenem gütigen Sinne anzuwenden . Schaut hier dieses Heilandshaupt , das ich mir neulich bei einem Besuche des Gefängnisses unter seinen Schnitzereien ausgewählt und dessen Anblick mich jede Stunde an den unglücklichen Büßer mahnt . Betrachtet diesen Frieden , dieses himmlische Entzücken in dem Antlitze dessen , der um der Gerechtigkeit willen sein Leben dahingegeben . Und das in rohem Holz ! Meine Tochter , die Hand , die dieses Bildnis meißelte , mag einen Menschen getötet haben im Wahn , im Rausch – vielleicht ; aber einer , der im Geiste den Tod in solcher Herrlichkeit geschaut , glaubt es mir : nun und nimmer ist er ein Mörder von Herzensgrund . « Judith , selber einem gemeißelten Bilde ähnlich , blickte mit starrem Auge auf das kaum handgroße , in weißem Holz geschnitzte Medaillon , das der Pfarrer aus seiner Brusttasche gezogen und in ihre Hände gelegt hatte . Auch ein minder empfängliches Gemüt als das des frommen Mannes würde von der warmen , tiefen Empfindung , von dem feinen Kunstsinn der bescheidenen Gefangenenarbeit gerührt worden sein ; – ob Judith etwas anderes sah als die im Innersten aufgeregten Gesichte , der geistliche Mahner erriet es nicht . » Der Vorsteher der Anstalt « , fuhr er fort , » bereitet mit preiswürdigem Eifer ein Gnadengesuch für seinen Schützling vor , dessen Erfolg dem Unglücklichen fünf schwere Jahre seiner Haft erlassen würde ; fünf Jahre nach zehn , meine Tochter ! Meine Befürwortung seines früheren Wandels dürfte nicht ohne Wirksamkeit sein , zumal ich , da der Gefangene dem lutherischen Bekenntnisse angehört , meine Stimme als Parteiloser für ihn erheben würde . Nun bin ich aber erst Jahre nach jener unseligen Tat in mein hiesiges Amt eingetreten , und mir fehlt die Berechtigung , mich eingänglich über des Gefangenen Seelenstimmung zu unterrichten . Zwar sah und sprach ich ihn während jenes Besuches der Anstalt ; aber bei seinem Anblicke sank mir das Herz für eine tiefer schneidende Berührung des Vergangenen . Der so wenig mit Mördersinn gearbeitet hat , er blickte und redete noch weniger mit dem Sinn eines Mörders . Die Stimme tönt und das Auge strahlt im Frieden der Heiligung . › Ich bin nicht unglücklich ‹ , sagte er lächelnd . Meine Tochter , so spricht kein Schuldbewußter oder ein Heuchler , wie es nie einen gegeben . Und doch bekennt er sich zu der Tat heute wie damals mit den nämlichen Worten . Hier ist ein Dunkel , eine Heimlichkeit , und es verfolgt mich Tag und Nacht , dieselbe zu lichten . Die Forschungen in der Gegend führten auf keine deutliche Spur . Die Älteren haben nur den Quellenfinder in ihm geschätzt oder geschmäht , die Jüngeren nicht auf ihn geachtet oder ihn vergessen . Er war ein Fremder , ohne Angehörige in der Gegend , dazu ein Andersgläubiger . Die einzigen verfolgbaren Fäden ziehen sich nach der Klus . « Der Geistliche machte eine Pause , griff noch einmal nach des Mädchens Hand und schloß dann seine Rede mit einer warmen Ermahnung : » Ich habe Euch nur diese einzige Stunde gesehen und sprechen hören , liebe Tochter , aber ich weiß es , daß Ihr auch im Eifer , nicht Euch selber zuliebe und keinem Feinde zuleide , ein anderes als die Wahrheit sagen werdet ; desselbigengleichen als Ihr vorhin gestandet : › Ihr habet ihn gekannt ‹ – da spürte ich 's an Eurem Blick und Ton , daß es ein Kennen von Grund aus war , nicht nach Ansehn und Hörensagen wie die anderen , auch nicht mit deren Wahn und Aberglauben . Ihr kanntet ihn , das heißt : Ihr schautet in sein Tiefstes . Darum prüfet Euch mit dem Blick auf dieses Bild der Barmherzigkeit , das Ihr zum Angedenken dieser Stunde bewahren sollt . Sinnet zurück , sammelt , was die Zeit zerstreut , klärt , was durch erlittenes Weh getrübt ; und an dem Morgen , wo wir von dem Grabgange Eurer seligen Mutter heimkehren werden , da öffnet mir Euer Herz um Gottes willen , zum Frommen einer christlichen und menschlichen Liebespflicht . « – Er trat nach diesen Worten rasch und ohne umzublicken den Rückweg an , hatte aber den Ausgang nach dem Garten kaum erreicht , als er einen hastigen Schritt sich folgen hörte und ein fester Griff seinen Arm von der Heckenpforte zurückzog . Judith stand hinter ihm mit fieberischem Auge und glühendem Gesicht , von einer Leidenschaft durchrüttelt , die ihm das Rätsel in ein neues Rätsel verwandelte . » Nicht morgen oder später « , sagte sie kaum hörbar und mit fliegender Brust . » Zur Stunde , gleich jetzt hören Sie mich an , gleich jetzt . Ich weiß nicht , ob das , was ich zu bekennen habe , ein Licht über jene Tat ergießen wird . Ich glaube es nicht . Aber mir , mir wird es das Herz erlösen von einer Last , die es zehn Jahre lang gepreßt . Es soll so sein , ja , ja ! Dreimal ist die Mahnung an mich ergangen , heute , wo es zehn Jahre ist , daß diese Tat geschah . Dem blöden Knechte löste sich die Zunge bei der Erinnerung an diese Tat , die er zehn Jahre lang vergessen . Das Sterbegesicht der alten Frau war diese Tat , von der sie nichts vernommen , noch verstanden . Und zum dritten , da kommt ein Fremder , ein Gottesbote , mit der Mahnung an diese Tat . Und seit er das erste gute Wort gesprochen , da treibt es mich : rede , rede zu ihm von dieser Tat ! Und diese Quellen , die jener aus dem Erdengrunde gelockt , sie raunen mir zu : rede , rede über diese Tat ! Ja , ich kannte ihn ; keiner kannte ihn wie ich – und doch , doch – ! Ich habe ihn – ich war – drei Jahre lang war ich – später – später ! – Ich habe nicht zurückzusinnen . Hier , « sie schlug mit der Hand an ihre Brust , » hier innen , da steht 's wie mit Lettern , ewig , ewig ! Ich habe auch keine Missetat zu bekennen , ich bin mir keiner Schuld bewußt , und doch , – und doch – ! – Setzen Sie sich , Herr Pfarrer , hier im Schatten auf die Rasenbank . Da unten der Quell . Das Wasser ist ein Heiligtum im Evangelium . Sitzen Sie , als wär 's in der Beichte . Knien darf ich nicht , aber stehen will ich vor Ihnen und mein Herz ausgießen , ausgießen , als wär 's vor Gott ! « – Sie beugte sich nach diesen Worten zu dem Born herab und netzte ihre Schläfe und Pulse in seiner Kühle ; als sie sich wieder erhob , blickte sie ruhiger , und als der Pfarrer mit väterlicher Milde über ihre Wangen strich , löste sich die Brust in einem Tränenstrom . » So sei es denn , mein Kind , « sagte jener ; » zur Stunde sei es , da das Herz Euch treibt . Aber keinen Aufenthalt an dieser Stelle . Schaut , wie der Himmel sich umzieht , kaum , daß Ihr die Stadt vor dem Unwetter erreichen werdet . Der Waldpfad ist menschenleer . Ich begleite Euch . Redet ohne Scheu , als ob Ihr neben Eurem Vater ginget . « – Sie gehorchte ohne Widerspruch , schritt voran und zog den Pflock von der Heckentür , die nach dem Forste führte . Ihr Begleiter blieb mit Absicht etliche Schritte zurück , indem er sich bückte , die am Wege stehenden Maienglocken zu pflücken . Nach einigen stummen Minuten hob die Kluswirtin gesammelt und mit sicherer Stimme ihre Mitteilung an . Enthüllung » Schon ehe ich auf der Welt war , ist Simon Lauter auf dem Klushofe heimisch gewesen wie ein eignes Kind . Sein Vater , der von Bergleuten aus dem Schwabenlande abstammte und seines Zeichens ein Uhrmacher war , hatte über dem Meere sein Glück zu suchen gedacht , als , des Weges ziehend , seine Frau hier vor dem Kamp von einem Fieber geschüttelt zusammenbrach . Der Mann trug sie in das Haus , sein kaum dreijähriger Bube lief ihm weinend voran . Es war just der Tag , an welchem der neue Bau eingeweiht werden sollte , und der kleine Simon , der ein holdseliges Kind gewesen sein soll , wurde das › Weiheengelchen ‹ genannt , weil er als erster Einkehrer in die Wirtschaft getreten ist . Daß es unter Tränen und mit einem Hülferuf geschah , darin hat in dem hoffnungsvollen Jubel jener Zeit keiner eine Vorbedeutung gefunden . Der Name blieb ihm , und meine Mutter hat noch in ihrem letzten Augenblick den , der ihr Liebling war , bei ihm genannt . Keine guttätigere Hand , als die meiner Mutter , Herr Pfarrer . Sie verpflegte die fremde Frau , bis ihr letztes Stündlein geschlagen , und sorgte für Mann und Kind , bis ihre Einrichtung getroffen . Der Winter war hereingebrochen , die Fahrt übers Meer mußte bis zum Frühjahr verschoben werden . Vater Lauter fand während der Zeit für seinen Uhrenkram , mit dem er jenseits zu beginnen gedacht , hier in der Gegend lohnenden Absatz , und da er nicht wußte , wie er sich ohne Frau mit seinem Kleinen in der Neuen Welt behelfen solle , gab er den Plan in die Weite auf , kaufte für sein Reisegeld das Häuschen des Waldhegers , der vor kurzem gestorben war , und übernahm neben seinem Uhrengeschäft die Hütung des Gemeindeforstes , für welche ein Aufseher fehlte . Der kleine Simon aber , ohne Mutter im Haus , der Vater Tag für Tag im Wald oder hausierend und ausbessernd über Land , hielt sich mit Leib und Seele an die Klus , in welcher alle das Weiheengelchen gern sahen , Eltern , Bruder , Gesinde und Gäste , vor allen aber ich , die ich in dem nämlichen Jahre geboren wurde . Ja , Herr Pfarrer , solange ich von meinem Leben weiß , habe ich den Simon liebgehabt , lieber als die meines eignen Bluts . Das laute Schenkenwesen widerstand mir von Natur , und ebenso natürlich zog es mich hinaus in Garten und Acker ; der kleine Simon aber , als ich noch nicht laufen konnte , trug und führte mich ins Freie , suchte Kräuter und Blumen mit mir , lehrte mich spielend ihre Namen , die er alle schon kannte , ich weiß nicht woher , sie auch wohl spielend aus dem Stegreife nach Gestalt und Farbe erfand , wie er denn auch die erste Kenntnis des Bodens und seiner Bebauung in mir erweckte in jener späteren Zeit , wo wir beide allein , von keiner Seele vermißt oder bemerkt , wie flinke Vögel bis zur sinkenden Nacht die Gegend durchschwärmten . Denn der Simon war von Kind an wie ein Vertrauter der heimlichen Säfte , die aus dem Erdengrunde treiben , und mit der Kenntnis , die er mir eingeflößt , wuchs die Liebe , wuchsen mir auch Kraft und Geschick für die Behandlung der Scholle , so daß ich sagen muß , der Simon hat es bewirkt , wenn ich im Heranreifen den Verfall des Erbes früher und deutlicher spürte als die , welche mit Lust und Hoffnung darin hausten , und in der Zuversicht , daß mein verunreintes Heimwesen nur durch den stillen Segen der Scholle wieder zu Ehren gebracht werden könne , späterhin handelte , wie es mich trieb . Als nun die Schulzeit diesem kindischen Schwärmen ein Ziel setzte , da wurde der Simon erst recht ein Klusgeselle , denn er holte allmorgendlich meinen Bruder zum Schulgange ab , kehrte mit ihm zurück , arbeitete mit und nach seiner gutmütigen Art wohl auch für den Flatterling , der ohne sein Zureden nimmer in eine Regel zu zwingen gewesen wäre und über welchen zu keiner Zeit ein Mensch eine stetige Herrschaft ausgeübt , als der liebreiche Simon ganz allein , nur , Gott sei's geklagt , da jenem die Flügel wuchsen , nicht Herrschaft genug gegen den Schwarm . Wieder etliche Jahre weiter , und ich ging mit den beiden des nämlichen Wegs und strengte mich an , alles das nachzulernen , was der emsige Simon mir vorausgelernt ; und wenn mir eine rasche Rechnung und deutliche Handschrift in meinem Hauswesen zugute kommen , ich auch die Schriften verstehe und liebe , die von dem Naturreiche handeln , – das heißt liebte , Herr Pfarrer , jetzt habe ich lange schon keine Stille in mir für ein Buch , – so muß ich also wiederum sagen : das hat der Simon an mir getan und keiner sonst . – Nach etlichen Jahren aber ging ich mit ihm allein zur Katechismuslehre in die Stadt , und daß wir beide die einzigen Kinder in der Gemeinde waren , die sich zu dem fremden Bekenntnisse hielten , das stiftete abermals eine Verwandtschaft zwischen uns . Alles in allem : wir zwei waren wie eines , verkehrten mit keinem Gespielen und gewöhnten uns darum auch nicht an die Mundart des Landes ; alles bezog ich auf den Simon , und ich vermag es nicht mit Worten auszudrücken , wie mir zumute war , als die letzten Gedanken der alten Frau mich heute morgen an jene kindischen Zeiten gemahnten , damals , da , ohne zu ahnen was heiraten sei , wir uns lachend oder in Tränen die Treue verlobten und zueinander sagten : › Noch ein zehn , zwölf Jahre , dann heiraten wir uns , und dann sind wir Mann und Frau , und alles ist gut . ‹ So war es denn ich vor allen andern , die den Knaben in unsere Klus und , Gott sei's geklagt , – in sein Verderben lockte . Denn solch eine Schenkenwirtschaft ist eine mächtige Verführung , für einen zumal , dem ein wohlbestelltes Heimwesen gebricht , wie dem Simon . Nicht um der losen Gesellschaft willen , die er traf , nein , sein Auge und Ohr blieben ein Kinderauge und Ohr auch in den Zeiten , da er reif geworden . Der blöde Knecht heute morgen , er sagte : › Der Simon war fromm wie ein Lamm ‹ , und die Mutter mit ihrem letzten Wort pries ihn als einen himmlischen Friedensboten . Ja , ja , Herr Pfarrer , das einfältige Auge und der brechende Blick , sie sahen recht : der Simon war ein Mensch nach Gottes Ebenbilde , und nur ein einziger Flecken hat an ihm gehaftet , der ihm auf der Klus ins Blut geimpft worden ist gleich einem Gift . Wenn der arme Junge im Winter , nichts Warmes auf dem Leibe und nichts darin , steif gefroren aus dem Walde zurückkehrte , da hieß es : › Hurtig einen Tropfen für die erstarrten Glieder ! ‹ und wenn er in der Sommerhitze verlechzt und schweißtriefend gerannt kam , da hieß es wieder : › Einen Tropfen gegen den Verschlag ! ‹ Aber ein Tropfen zieht den andern an , aus der Gewöhnung wird ein Bedürfen und aus dem Bedürfen ein Laster ; in diesem Lande vornehmlich und in einer Schenke , in welcher die hitzigen Getränke ohne Obhut stehen und einer dem andern ein Prosit zutrinkt und an dem Ärgernis sein Gefallen findet . Ich aber , daß ich's von vornherein offenbare , was erst weiter hinaus in mein Bekenntnis gehört , ich fühlte vor keinem Laster solch ein Grauen wie vor dem des Trunks . In einer Wirtschaft gleich der unsrigen kehrt nicht nur die Tugend ein . Mein Bruder wurde ein Spieler unter den wüsten Gesellen , und die er seine Frau nannte , die war – sie ist tot , Herr Pfarrer , und Sylvians Mutter , darum still über sie , still ! – Das sind schlimme Sitten , schlimmere vielleicht als der Trunk – ! « » Dem eignen Herzen wie dem des Nächsten verderblichere , ja gewiß , gewiß ! « schaltete der Pfarrer ein . – » Aber keine , die Gottes Ebenbild mehr entstellen , wie das Trinken , Herr Pfarrer « , versetzte Judith rasch . » Und daß jene schlimmen Sitten frech in unserm Hause schalten durften , wessen war die Schuld als des Übermaßes , das meinem Vater die Herrschaft über sich selbst , wie über Hof und Kind geraubt ? Darum haßte ich den Trunk , Herr Pfarrer , und darum , darum wieder habe ich späterhin gehandelt , wie es mich trieb . « – Die Erzählerin machte eine Pause , welche der Zuhörer nicht unterbrach . Nachdem sie die Wallung niedergekämpft , die während der letzten Bemerkungen in ihr aufgestiegen , und ihre Gedanken zu einer Folge geordnet , fuhr sie fort . » Die Liebe zu den Gebildnissen des Grund und Bodens , wie die Erinnerung an seine Vorfahren hatte von Kindesbeinen ab in dem Simon einen Trieb zum Bergwesen angezündet , und wenn ich von klein auf sagte : › Ich will eine Bauerfrau werden , wie meine Großmutter selig gewesen ist , und weiter nichts ‹ , so sagte der Simon : › Ich will ein Bergmann werden , wie mein Großvater selig gewesen ist , und weiter nichts . ‹ – Da nun aber die Schulzeit zu Ende ging , so wollte Vater Lauter , der ein harter und karger Mann war , wenn er auch mancherlei Kenntnis und Geschicklichkeit aufzuweisen vermochte , von seines Sohnes Lust am Bergwesen nichts vernehmen . Er hatte ein paar hübsche Flecken Rodung rund um das Waldhaus für ein billiges an sich gebracht und sie durch Rajolen und rieselnde Wasserfäden in treffliches Ackerland umgewandelt , er simulierte auf mehr und immer mehr . Der Uhren vermochte er in seiner freien Zeit kaum hinlänglich für den Anspruch im Lande herzustellen , zumal seitdem sein Sohn die kunstfertigen Rahmen und Gehäuse darum schnitzelte , die sie von allen ihresgleichen auf unsern Höfen unterscheiden . Denn die feine , bildnerische Hand , die war auch eine der Gaben , welche dem Simon , wie man zu sagen pflegt , in der Wiege eingebunden worden sind . Damals freilich , als das junge Herz sich so mächtig von dem toten Holze ins grüne sehnte , da ahnete er nicht , daß des Vaters Härte den Grund zu eigner und fremder Wohltat für lange , nächtige Jahre legen sollte . Widerstand war nicht des Simons Sache , am wenigsten seinem Vater gegenüber . Er drückte die heimlichen Lockungen herzhaft hinunter , wurde des Alten Gehülfe in seinen mancherlei Hantierungen , blieb aber auch in diesen Jahren dem Klushofe ein Angehöriger wie zuvor . War der Vater über Land , so trug der Simon sein Werkzeug zu uns hinunter , und einmal hielt er sich wochenlang unablässig dort beschäftigt , als er die Wasserspeisung in dem gerodeten Kampe ausgetüftelt und lediglich mit seinem Ersparten vollführt , zum Dank und Denkmal genossener Wohltat , wie er sich äußerte . Es war das erste Unternehmen in dieser Art , das ihm geglückt ; von allen Seiten wurde er um Ähnliches angesprochen , reichlich gelohnt und so jung noch an Jahren schier als ein Wundertäter angesehn . Als er einige Zeit später das heiße Schwefelwasser unter der Wiese aufgespürt , nannte man das Badhäuschen , das darüber aufgerichtet wurde , › die Simonsquelle ‹ , und der Simon hieß seit der Zeit im Lande nicht anders als › der Quellensimon ‹ oder › Simon der Quellenfinder ‹ . Und auch in jenen halbwüchsigen Jahren gingen er und ich miteinander um wie zueinander gehörig oder füreinander bestimmt , wenn wir auch nicht mehr wie als Kinder von Heirat zusammen redeten . Ich war in dem Alter , wo ein Mädchen sich vor solchem Gedanken schämt , aber den Trieb , ihn wahr zu machen , noch nicht kennt , und einiglich , sonder Begehr hielt auch der Simon Schritt mit meinem Sinn , so daß ich die drei Jahre Unterschied zwischen uns nicht gewahr worden bin . Aber eine weit mächtigere Menschenfreundlichkeit wohnte in dem Simon als in mir . Es war just die Zeit , wo die Sylvia auf der Klus ihr Wesen trieb und meines Vaters tobsüchtige Krankheit ihren Anfang nahm . Sanftmütigkeit war nie mein Ding , – nein , nein , Herr Pfarrer , sie war nie mein Ding ! « wiederholte sie mit Heftigkeit , einem Einwande ihres Begleiters vorbeugend , » nicht meine Gabe und auch nicht mein Los . Ich hatte Geduld bei der Arbeit , aber keine Duldung für die Menschen ; das rohe Wesen erweckte mir Ekel , vor der Sünde schwoll mir die Galle , und mit der Schande habe ich noch heute kein Erbarmen . Zu jener Zeit würde ich von Hof und Haus und als Magd in die weite Welt gelaufen , wenn nicht gar einer Missetat an mir selber schuldig geworden sein , hätte nicht der Simon mit dem Troste des Friedfertigen neben mir gestanden , bis meine Vernunft zur Reife und der Entschluß , die Unehre meines Erbes abzuwaschen , zur Oberherrschaft in mir gekommen wäre . Als der Simon neunzehn Jahre geworden , « nahm die Kluswirtin nach einer Weile gelassen wie zuvor den Faden der Geschichte wieder auf , » starb sein Vater jählings auf einem Gange durchs Land , und der Sohn , nachdem die ersten heißen Waisentränen getrocknet , konnte es nicht anders empfinden , als ob ihn ein Zwingherr freigelassen . Die heimliche Liebe zum Bergwesen seiner Altvordern wachte wieder auf , und er zauderte nicht , sie zur Tat zu machen . Im Grunde dachte er sich bei der Sache wohl etwas anderes , als den Stollen zu befahren und im Schachte Kohlen und Erze loszuschlagen ; er meinte , das Geheime unter der Erde kennen zu lernen , wie er sich denn auch nicht minder freudig mit dem über der Erde befaßt haben und ein Kräutersammler geworden sein würde oder dergleichen mehr . Mit einem Worte , es trieb ihn , das Naturreich mit dem Kopf zu ergründen , nur etwa das Tierreich ausgenommen , für das er keine Neigung verspürte , – ich glaube , weil man es nicht ohne Tötung in seinem Innersten zu erforschen vermag . Da er aber über das Wie und Wo keine Kenntnis besaß , hielt er dafür , es zuvörderst mit den Händen anzugreifen . Ein weiteres Feld würde sich auftun , vertraute er . Und es würde sich aufgetan haben , Herr Pfarrer . Schon daß ihm sein Vater an zeitlichem Segen weit mehr , als einer erwarten durfte , hinterlassen , daß Aufseher und Beamte schnell ein Herz zu ihm faßten , daß der Fund des heißen Quells seinen Namen in der Gegend verbreitet , alles öffnete ihm Weg und Steg . Ach , Herr Pfarrer , so frohselig habe ich einen Menschen mein Lebtage nicht gesehen wie den Simon in den paar Wochen , die er drüben im Kohlenschachte arbeiten half ; aber leider war die Freude kurz . Sein Vater hatte in dem verwichenen Jahre , mit welchen Mitteln weiß Gott , denn der Simon war ein Riese und heil und gesund wie ein Fisch , bei der Aushebungsbehörde seine Zurückstellung durchgesetzt und der Simon nach seiner vertrauenden Gemütsart nicht anders gedacht , als für alle Zeit seiner Soldatenpflicht ledig zu sein . Da traf ihn denn die plötzliche Berufung für einen Vordermann , der übers Meer entkommen war , gleich einem Wetterschlag . Kein Mensch kann voraussagen , Herr Pfarrer , welchen Sinn der Eifer in einem hervorlockt , daher mag es wohl sein , daß in einer Zeit der Drangsal , aus Liebe zum Land und seinem Herrn auch der Simon seinen Abscheu vor Blut überwunden und freiwillig zu Wehr und Waffen gegriffen haben würde . Bei ruhigem Sinnen aber vermochte er nicht auf ein Kaninchen loszudrücken , und mit dem Dohnenstrich , der ihm als Waldheger zustand , hat er sich niemals befaßt , so übermächtig war sein Grauen , ein Lebendiges zu Tode zu bringen . « – » O Schicksal , Schicksal ! « rief der Pfarrherr seufzend , » und sitzt nun zehn Jahre hinter Mauern und Riegel um einen Mord ! « – Auch Judith ließ den Kopf zur Brust herabsinken und schloß die Augen , wie um diesen unheimlichen Widerspruch auszudenken . Es dauerte eine Weile , ehe sie ihre Mitteilung wieder aufzugreifen vermochte . » Aber in Zeiten der Ruhe , « so fuhr sie fort , » drei Jahre lang im pressenden Rock , mit Hunderten fremder Gesellen in der Kaserne eingepfercht , die Waffen rühren lernen , die ihm so herzlich widerstanden , er , der sich gewöhnt , einsam mit seinen Gedanken in Wald und Werkstatt zu hausen und nur der stillen Gebildnisse auf Gottes Erdboden zu achten , der eben erst in Wonne und Hoffnung , frei wie ein flügger Vogel , aus dem Neste gelugt , er war wie zerschlagen , und zum erstenmal ward ich inne , daß ich aus einem andern Blute entsprossen sei als der , welchen ich bisher wie einen Teil des eignen Lebens empfunden ; ja , wäre es angegangen , ich würde mit Freuden für ihn in seine Pflicht eingetreten sein . « – » Glaub's , glaub's ! « sagte der geistliche Herr mit gutmütigem Spott , indem er das Mädchen auf die Schulter klopfte ; » die Jungfer Kluswirtin wär schon so eine , die's mit dem Mannsvolke aufnähm auch im Waffenspiel . « – » Warum nicht , Herr Pfarrer ? « versetzte Judith ernsthaft . » Wenn Drang und Schande vom Boden abzuwälzen wäre ? In alten Landesbüchern ist's zu lesen , daß die Weiber mit den Männern wider den Feind gezogen sind , und mein Vater hat eine gekannt , die gegen den Napoleon im Kampfe gefallen ist , und das war nur eine Magd , Herr Pfarrer , nicht von Haus und Hof , über welche ihre Altvordern als Herren geboten haben . « Die stolze , trotzige Kraft des Mädchens stand bei diesen Worten so deutlich in dem festen , ruhigen Blicke ihres Auges geschrieben , daß der Pfarrherr halblaut zu sich selber sagte : » Gott halte in Gnaden die Tage fern , wo solche Weibertugend dem Vaterlande ein Wall werden muß ! « – Doch mahnte ihn ein Blick zum Himmel , seiner beschaulichen Neigung Einhalt zu tun . Die Sonne war hinter einen Wolkendamm zurückgetreten , die Atmosphäre drückte immer tiefer mit der bleiernen Ruhe , welche dem Kampfe vorausgeht . Er forderte daher seine Begleiterin zur unverzüglichen Fortsetzung ihrer dem Ziele noch fern scheinenden Mitteilung auf , indem er sagte : » Also der Simon scheute sich vor dem Kriegshandwerk nach seiner friedfertigen Naturanlage und vor der Vorbereitung zu derselben , weil sie einen mehrjährigen Aufschub in dem erwählten , Berufe mit sich brachte ? « – Judith neigte zustimmend den Kopf und beschleunigte nach einem schweren Atemzuge ihre Rede , indem sie die Einleitung abschloß und mit der nachfolgenden Szene in die eigentliche Handlung ihrer Geschichte überging . » Am Abend vor seiner Einkleidung kam der Simon nach der Klus gleich einem halbtoten Mann . Mich verdroß dieses verzagte Wesen , und es war das erstemal , daß mich etwas an diesem Menschen verdroß . Im Hause war just Widerwärtiges zu schlichten , ich gönnte dem Simon knapp das Wort , und er ging in die Schenkstube , wo mein Bruder in wüster Gesellschaft um den Punschnapf saß . Sie qualmten , lachten , tobten , zeterten , sangen Schelmenlieder kraus durcheinander . Der Simon setzte sich unter sie , ohne den Mund zu rühren ; aber sooft ich von ungefähr in das Zimmer trat , sah ich ihn ein Glas von dem hitzigen Gebräu auf einen Zug hinunterstürzen . Ich hatte niemals ein Übermaß und selber nicht ein Wohlbehagen am Trunk bei ihm wahrgenommen ; jetzt , da sich sein Gesicht immer fahler und fahler dehnte , stieg eine furchtbare Mutmaßung mir zu Kopf . Ich kam eben von meinem Vater , den ich in tobsüchtigem Taumel in seine Kammer eingeschlossen , ich bebte noch vor verhaltenem Grimm , und bei jedem Becher , den der Simon zu Munde führte , zuckte mir ein Messerstich durch das Herz . Da saß er kreideweiß , stierte in einen Winkel und merkte es nicht einmal , daß ich die Stube nicht mehr verließ und meine Augen kaum von ihm verwendete . Als ich ihn nach dem Punsch gar noch ein Glas reinen Branntweins an die Lippen führen sah , hielt ich mich nicht länger , flog an ihn heran , riß ihm das Glas aus der Hand und sagte heftig : › Keinen Tropfen mehr ! ‹ Die Kumpane lachten überlaut , der Simon aber sprang einer Leiche ähnlich in die Höh und stürzte stumm , mit wirren Blicken aus der Tür . Ich folgte ihm , sobald ich mich von den höhnenden Gesellen losgemacht . Es war im vollen Mond , die Luft klar wie bei Tageslicht . Hier oben am Kampborn erreichte ich ihn ; er lag stöhnend am Boden , das Gesicht auf die Rasenbank gepreßt . › Simon ! ‹ rief ich ihn an . – Er richtete sich auf , sein Auge war ruhig wie sonst . › Sei gut , Judith ‹ , bat er mit der sanften Stimme aller Tage und bot mir seine Hand . – Ich zog die meine zurück . › Simon , ‹ fragte ich jetzt , › hast du 's schon öfters getrieben wie diesen Abend ? ‹ – › Ich habe noch nie einen Rausch gehabt , ‹ antwortete er , › und ich habe auch heute keinen . ‹ Und in Wahrheit , einen Rausch hatte er nicht ; aber just , daß er keinen hatte nach dem , was er zu sich genommen , machte mir so schwere Gedanken . Er mußte an ein reichliches Maß gewöhnt sein . › Aber du trinkst , Simon , du trinkst ! ‹ sagte ich . – › Dann und wann auf der Klus , du hast es alle Tage gesehen . ‹ – › Ich habe es niemals gesehen , und du sollst , du darfst nicht trinken , Simon . ‹ Er setzte sich auf die Bank und blickte ohne Erwiderung in den Born . › Höre , Simon , ‹ hob ich nach einer Stille wieder an , › du trittst in das Soldatenwesen und in eine arge Verführung , wenn einer nicht von Grund aus einen Damm dagegen zieht . Gelobe es mir , Simon , gelobe es dir selber hier vor dem reinen Quell , den dein Blick aus dem Verborgenen gelockt , daß du deinen Leib in Ehren halten wirst . Nie einen Tropfen , Simon , niemals , niemals ! ‹ – › Nie einen Tropfen ? ‹ wiederholte der Simon traurig , nachdem er eine Weile gesonnen . › Ich darf nicht geloben , was ich leichtlich nicht halten könnte unter den vielen , die es anders treiben , oder wenn der Leib ernüchtert zusammenbricht und das Herz gar – ach , Judith , Judith ! ‹ stöhnte er . Da ich mich aber unwillig von ihm wendete , faßte er sich , indem er mit Gewalt meine Hand ergriff , und sprach in heiligem Ernst : › Was ich dir aber gelobe , Judith , ist , daß ich nie bei einem wüsten Gelag wie diese Nacht und nimmer einen Tropfen zuviel trinken will . Bei diesem reinen Wasser , Judith , nimmer ! Und wenn ich 's nicht halte , sollst du mich nicht deiner wert achten und mich nicht mehr liebhaben wie bisher . Also sei's , Judith . Ich sage nicht : keinen Tropfen , aber keinen Tropfen zuviel , um deiner Liebe willen . ‹ Ich legte nun freiwillig meine Hand in die seine und setzte mich in Ruhe an seine Seite . Denn ich traute seinen Worten , als wären es Gottes Worte , und ahnete nicht , daß das Böse Macht habe über einen guten Menschen gegen seinen Willen und gegen seinen Schwur . Wir saßen lange Hand in Hand und redeten kein Wort . Es lag eine warme Feuchte in der Luft ; ringsum kein Laut , kein Hauch , nur der Born tröpfelte sacht wie ein Sang aus dem untern Bereich . Und wie wir so saßen und die Tränen aus Simons Augen auf meine Hände niederträufelten , da war es , als ob ein neues Leben aus seinem Herzen in meines zöge ; mich überlief es heiß und wieder kalt ; es drängte mich zu ihm , und ich rückte doch von ihm fort . Aber jählings schlingt er seinen Arm um meinen Leib und drückt mich an sich . › Daß ich dich lassen soll , Judith , ‹ murmelt er wie erstickt , › daß ich von dir soll , das ist's , das ist's ! ‹ – Ich zitterte wie ein Rohr im Sturm , aber ich riß mich von ihm los , preßte meinen Aufruhr hinunter und redete ihm zu . › Du gehst nicht aus dem Lande , Simon . ‹ – › Aber von dir , von dir ! ‹ – › Wir werden zueinander halten wie bisher . ‹ – › Aber nicht mehr beieinander sein , in Ruhe , alle Tage , Aug in Auge , Hand in Hand . Nur selten , selten im Fluge . Dich nicht mehr sehen , Judith , dich nicht mehr haben , alles andere – aber das ! Ach Judith , wie hatte ich es mir ausgemalt ! Jetzt lernst du was , hatte ich gedacht , und wirst etwas , daß der fremde Mietling mit Ehren um die Hoftochter werben kann . Und wenn du was kannst und was bist – Judith , als wir Kinder waren und manchmal traurig , da trösteten wir uns , daß wir groß werden und uns heiraten , und alles war gut . Und so dachte ich wieder , daß es geschehen soll , seit mein Vater tot ist ; jegliche Stunde hab ich's gedacht , im Wachen und im Traum . ‹ › Und warum heute nicht mehr , Simon ? ‹ fragte ich , denn ich war plötzlich fest und klar geworden in mir selbst und wußte , daß wir uns liebhätten wie Mann und Weib . › Drei Jahre Frist , was tut's , wenn einer dem andern traut ? ‹ – › Wahr , Judith , wahr ! ‹ rief er mit frischem Leben und zog mich noch einmal an sich , und diesmal ließ ich es geschehen ohne Scheu . › Du willst harren und mein sein , Judith , wahr , wahr ? ‹ – › Ich will harren , daß ich dein sei , Simon , und wäre es zehnmal drei Jahre . ‹ – Er loderte wie in Flammen , er sprach Worte , Worte , hier drinnen stehen sie mit Lettern , er – er – . « – Das Mädchen flüsterte nur noch ; der Schauer einer seligen Erinnerung durchbebte sie . So schritt sie eine lange Weile in sich versunken ; sie schien ihren Begleiter vergessen zu haben , der ihr mit gesenkten Blicken folgte und sie endlich durch ein Räuspern an ihre Aufgabe erinnerte . Sie errötete , besann sich und fuhr fort : » Seine Zweifel wachten wieder auf . › Drei Jahre , ‹ klagte er , › und du bist siebenzehn , Judith ; die Männer sehen dich an mit Blicken – du merkst es nicht , aber ich , ich – diese Nacht der Papiermüller – ! ‹ – › Was verschlägt's ? ‹ sagte ich , verdrossen über derlei Anwandlungen . – › Er ist ein Reicher , ein Stadtbürger , und du bist eine Hoftochter , Judith ! ‹ – › Was verschlägt's ? ‹ fragte ich noch einmal . – › Die Wirtschaft liegt im argen ; einer , der Geld hat , ist ein Fund . Sie werden dich zwingen , dein Bruder mit Spott , die Mutter mit Tränen , der Vater mit Zorn . ‹ – › Ich lasse mich nicht zwingen ‹ , sagte ich . Und das ist wahr ; Herr Pfarrer , ich hätte mich nicht zwingen lassen , weder mit Spott und Zorn , noch auch mit Tränen , nicht von dem einen weg und noch weniger dem andern zu . Ich hätte mich nicht zwingen lassen , auch wenn der Simon wirklich nur ein armer Mietling und ich selber noch eine Hoftochter gewesen wäre , wie sie zu Väterzeiten auf der Klus geworben worden sind . « – » Glaub's , glaub 's « , murmelte der geistliche Herr . – Das Mädchen aber fuhr , ohne der Unterbrechung zu achten , fort : » › Ich lasse mich nicht zwingen ‹ , erklärte ich , und der Simon beruhigte sich , und wir saßen noch lange beieinander oben am Born wie Bräutigam und Braut . Dann ging der Simon fort , die letzte Nacht in seinem Hause zu schlafen – und das sind kommenden September dreizehn Jahre . « Wieder ging Judith eine Weile schweigend voran , und der Pfarrer folgte ihr in kaum geringerer Bewegung als sie selbst . Die Zeichnung des Simon stimmte zu seinen Voraussetzungen ; aber wie verändert , wie verwirrend die Lage ! Wo er tödliche Kränkung , Haß , Rachegefühl wohl gar vermutet , fand er Liebe , Liebe so tief haftend , wie er sie in seinem Stilleben nimmer in einem Weiberherzen geschaut . Das Mädchen war des Mörders Braut , nicht des Gemordeten . Der fromme Mann begriff , wie der Verdacht gegen seinen Schützling unter diesem neuen Lichte wuchs , wenn die Triebfeder der Eifersucht weiteren Raum gewinnen sollte , und so hörte er mit einer fast kindlichen Spannung dem Lauf der Entwicklung zu . » Mit dem Tage , an welchem der Simon die Nachbarschaft verlassen , « erzählte Judith , » da schien es , als ob ein guter Geist vom Klushofe gewichen sei , der die letzten Spuren von Ordnung und Frieden darin gebannt . Mein Bruder , der seinen einzigen redlichen Anhalt verloren , wirrte sich immer dichter in Teufels Garn , beim Vater kam die Krankheit zum Ausbruch , die man mit Grund einen Wahnsinn nennt ; mich aber , Herr Pfarrer , mich wurmte die überschwellende Schande um so tiefer , seitdem ich einen braven Menschen mein eigen nannte , auf den sie durch die meines Blutes überging . Mein Herz verhärtete sich gegen Vater und Bruder , seitdem sein Sänftiger fortgezogen war ; nur gegen die Mutter , die unschuldsvoll vertrauend , lachend diese Minute und die nächste weinend , inmitten des wüsten Getriebes stand , gegen sie steifte es sich wohl nicht ; aber das Leidwesen , mit welchem ich auf die gute Frau herniederschaute , wie auf ein Kind , das keiner in seinen Nöten um Hülfe anspricht , das lag von der Härtigkeit nicht weit entfernt . « » Eine Frage , mein Kind « , schaltete an dieser Stelle der Pfarrherr ein . » Wußten die Eurigen um das Verlöbnis mit dem Simon ? « – » Nein , Herr Pfarrer « , antwortete Judith . » Ich würde es nicht verhehlt haben , hätte einer darauf gemerkt und danach gefragt ; aber freiwillig bekannt habe ich es auch nicht bei der Verfassung im Haus und viele Jahre vor der Zeit , da es galt . Ich ging meinen Weg für mich , und der Weg war rauh . – Der Arzt meines Vaters , von Ihrem Vorgänger im Amt , Herr Pfarrer , unterstützt , brachte eine Behandlung in Vorschlag , die einzige , wie man sagt , die einen ausgearteten Trinker auf Maß und Vernunft zurückzuführen vermag . « – » Speise und Trank mit Branntwein zu versetzen , gelt ? « fragte der Begleiter . » Ja , Herr Pfarrer , nicht ein Tropfen und Bissen unvermischt . Eine grausame Verordnung und gefahrvoll , wenn der Leib erst verbrannt , dann verekelt , nicht allmählich eine nüchterne Kost ertragen lernt . Auch stemmte die Mutter sich mit ihren letzten Kräften gegen das Unternehmen , das sie eine Vergebung nannte ; mein Bruder , gleichgültig oder schwankend , ließ mir freie Hand , und der Simon mißbilligte es zwar nicht , aber ich spürte gar wohl , daß ihm das Herz gefehlt haben würde , es gegen den Widerwillen und die wachsende Schwäche des Kranken , wie gegen Vorwürfe und Tränen der Mutter durchzusetzen . Ich hatte dieses Herz , Herr Pfarrer . Ich allein bereitete und reichte dem sich Sträubenden die ekle Nahrung , ich überwachte und wehrte es , wenn die Mutter einen unvermischten Tropfen oder Bissen unterzuschieben versuchte ; ich dachte eine Seele zu retten auf Kosten und Gefahr eines halbzerstörten Leibes – und ich habe mich keiner Sünde angeklagt , als die Probe mißlang . Nein , nein ! Das Mädchen blickte düster , und ihre Stimme klang herb bei dieser Rechtfertigung . Ihr Begleiter suchte vergebens nach einem tröstenden Zuspruch , aber sein Auge feuchtete sich in jenem tiefsten Erbarmen , das uns erfüllt , wenn wir den Frieden des Herzens einem gerechten Willen zum Opfer fallen sehen . » Kaum daß die Augen meines Vaters sich geschlossen , « fuhr sie fort , » als auch die zeitweiligen Notstützen des Hauses jach und schnöde zusammenbrachen . Die Feindseligkeiten der alten Nachbarn gegen das fremde Wesen traten mit Schadenfreude zutage , – nein , Herr Pfarrer , nimmer dürfte der Sylvian in dieser Gemeinde als Bauer hantieren ! – Die neuen Freunde zeigten nur Mißtrauen gegen den verrufenen Erben , den sie selber erst in Verruf gebracht . Von keiner Seite eine helfende Hand . Drohung jagte die Drohung , Klage die Klage , Pfand das Pfand – und der Leichnam ruhte noch über der Erde . Leib und Seele der Mutter , schon durch das Krankenbett im Grunde erschüttert , brachen zusammen in diesem Sturm , den Bruder wirbelte er hierhin und dorthin wie ein mürbes Blatt , – am Ende übers Meer ; ich , ich steifte mich , ich trotzte ihm , Herr Pfarrer , und ich habe ihm standgehalten . Ich hätte jetzt gehen , die alte Frau und den Knaben zu mir nehmen und still mit ihnen leben können bis zur Vereinigung mit dem Simon , die mir als Ziel Tag und Nacht vor Augen stand . Ich arbeitete gern und besaß ein mäßiges Erbteil , das eine sächsische Muhme um meines protestantischen Glaubens und des durch ihre Patenschaft mir zugefallenen Namens willen für mich hinterlassen ; ich war auf die Verwendung eines treumeinenden Anwalts in der Stadt , der die Verhältnisse durchschaute und mir auch späterhin redlich geraten hat , vor der Zeit von den Gerichten mündig gesprochen worden ; kurzum , ich konnte gehen . Aber mein Sinn stand anders . Ich hatte ein Recht , auf dem Hofe zu bleiben , und ich blieb . Freilich ohne Unterlaß in Kämpfen mit meinem Bruder , in häßlichen Kämpfen , Herr Pfarrer , denn es galt das Mein und Dein zwischen Erben eines Bluts . Zuvörderst um den Nachlaß der Muhme , mit dem er sich zu retten gedachte und welchen der Pläneschmied , der nie einen sichern Untergrund gefühlt , früher noch als sein Vatererbe in eiteln Luftschlössern verschwindelt haben würde . Dann aber um die Werbung des reichen Müllers , des einzigen der windigen Kumpane , die bei ihm standgehalten , weil er sein Auge auf mich geworfen und auf unsere Not seine Hoffnung baute . Aber ich wehrte mich , Herr Pfarrer .