Erstes Kapitel Vor dem in dem großen und reichen Oderbruchdorfe Tschechin um Michaeli 20 eröffneten Gasthaus und Materialwarengeschäft von Abel Hradscheck ( so stand auf einem über der Tür angebrachten Schilde ) wurden Säcke , vom Hausflur her , auf einen mit zwei magern Schimmeln bespannten Bauerwagen geladen . Einige von den Säcken waren nicht gut gebunden oder hatten kleine Löcher und Ritzen , und so sah man denn an dem , was herausfiel , daß es Rapssäcke waren . Auf der Straße neben dem Wagen aber stand Abel Hradscheck selbst und sagte zu dem eben vom Rad her auf die Deichsel steigenden Knecht : » Und nun vorwärts , Jakob , und grüße mir Ölmüller Quaas . Und sag ihm , bis Ende der Woche müßt ich das Öl haben , Leist in Wrietzen warte schon . Und wenn Quaas nicht da ist , so bestelle der Frau meinen Gruß und sei hübsch manierlich . Du weißt ja Bescheid . Und weißt auch , Kätzchen hält auf Komplimente . « Der als Jakob Angeredete nickte nur statt aller Antwort , setzte sich auf den vordersten Rapssack und trieb beide Schimmel mit einem schläfrigen » Hüh « an , wenn überhaupt von Antreiben die Rede sein konnte . Und nun klapperte der Wagen nach rechts hin den Fahrweg hinunter , erst auf das Bauer Orthsche Gehöft samt seiner Windmühle ( womit das Dorf nach der Frankfurter Seite hin abschloß ) und dann auf die weiter draußen am Oderbruch-Damm gelegene Ölmühle zu . Hradscheck sah dem Wagen nach , bis er verschwunden war , und trat nun erst in den Hausflur zurück . Dieser war breit und tief und teilte sich in zwei Hälften , die durch ein paar Holzsäulen und zwei dazwischen ausgespannte Hängematten voneinander getrennt waren . Nur in der Mitte hatte man einen Durchgang gelassen . An dem Vorflur lag nach rechts hin das Wohnzimmer , zu dem eine Stufe hinaufführte , nach links hin aber der Laden , in den man durch ein großes , fast die halbe Wand einnehmendes Schiebefenster hineinsehen konnte . Früher war hier die Verkaufsstelle gewesen , bis sich die zum Vornehm tun geneigte Frau Hradscheck das Herumtrampeln auf ihrem Flur verbeten und auf Durchbruch einer richtigen Ladentür , also von der Straße her , gedrungen hatte . Seitdem zeigte dieser Vorflur eine gewisse Herrschaftlichkeit , während der nach dem Garten hinausführende Hinterflur ganz dem Geschäft gehörte . Säcke , Zitronen- und Apfelsinenkisten standen hier an der einen Wand entlang , während an der andern übereinandergeschichtete Fässer lagen , Ölfässer , deren stattliche Reihe nur durch eine zum Keller hinunterführende Falltür unterbrochen war . Ein sorglich vorgelegter Keil hielt nach rechts und links hin die Fässer in Ordnung , so daß die untere Reihe durch den Druck der obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen konnte . So war der Flur . Hradscheck selbst aber , der eben die schmale , zwischen den Kisten und Ölfässern frei gelassene Gasse passierte , schloß , halb ärgerlich , halb lachend , die trotz seines Verbotes mal wieder offenstehende Falltür und sagte : » Dieser Junge , der Ede . Wann wird er seine fünf Sinne beisammen haben ! « Und damit trat er vom Flur her in den Garten . Hier war es schon herbstlich , nur noch Astern und Reseda blühten zwischen den Buchsbaumrabatten , und eine Hummel umsummte den Stamm eines alten Birnbaums , der mitten im Garten hart neben dem breiten Mittelsteige stand . Ein paar Möhrenbeete , die sich , samt einem schmalen , mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen , an eben dieser Stelle durch eine Spargelanlage hinzogen , waren schon wieder umgegraben , eine frische Luft ging , und eine schwarzgelbe , der nebenanwohnenden Witwe Jeschke zugehörige Katze schlich , mutmaßlich auf der Sperlingssuche , durch die schon hoch in Samen stehenden Spargelbeete . Hradscheck aber hatte dessen nicht acht . Er ging vielmehr rechnend und wägend zwischen den Rabatten hin und kam erst zu Betrachtung und Bewußtsein , als er , am Ende des Gartens angekommen , sich umsah und nun die Rückseite seines Hauses vor sich hatte . Da lag es , sauber und freundlich , links die sich von der Straße her bis in den Garten hineinziehende Kegelbahn , rechts der Hof samt dem Küchenhaus , das er erst neuerdings an den Laden angebaut hatte . Der kaum vom Winde bewegte Rauch stieg sonnenbeschienen auf und gab ein Bild von Glück und Frieden . Und das alles war sein ! Aber wie lange noch ? Er sann ängstlich nach und fuhr aus seinem Sinnen erst auf , als er , ein paar Schritte von sich entfernt , eine große , durch ihre Schwere und Reife sich von selbst ablösende Malvasierbirne mit eigentümlich dumpfem Ton aufklatschen hörte . Denn sie war nicht auf den harten Mittelsteig , sondern auf eins der umgegrabenen Möhrenbeete gefallen . Hradscheck ging darauf zu , bückte sich und hatte die Birne kaum aufgehoben , als er sich von der Seite her angerufen hörte : » Dag , Hradscheck . Joa , et wahrd nu Tied . De Malvesieren kümmen all von sülwst . « Er wandte sich bei diesem Anruf und sah , daß seine Nachbarin , die Jeschke , deren kleines , etwas zurückgebautes Haus den Blick auf seinen Garten hatte , von drüben her über den Himbeerzaun kuckte . » Ja , Mutter Jeschke , 's wird Zeit « , sagte Hradscheck . » Aber wer soll die Birnen abnehmen ? Freilich wenn Ihre Line hier wäre , die könnte helfen . Aber man hat ja keinen Menschen und muß alles selbst machen . « » Na , Se hebben joa doch den Jungen , den Ede . « » Ja , den hab ich . Aber der pflückt bloß für sich . « » Dat sall woll sien « , lachte die Alte . » Een in 't Töppken , een in 't Kröppken . « Und damit humpelte sie wieder nach ihrem Hause zurück , während auch Hradscheck wieder vom Garten her in den Flur trat . Hier sah er jetzt nachdenklich auf die Stelle , wo vor einer halben Stunde noch die Rapssäcke gestanden hatten , und in seinem Auge lag etwas , als wünsch er , sie stünden noch am selben Fleck oder es wären neue statt ihrer aus dem Boden gewachsen . Er zählte dann die Fässerreihe , rief , im Vorübergehen , einen kurzen Befehl in den Laden hinein und trat gleich danach in seine gegenübergelegene Wohnstube . Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigentümlichen Eindruck , und zwar , weil alles in ihr um vieles besser und eleganter war , als sich 's für einen Krämer und Dorfmaterialisten schickte . Die zwei kleinen Sofas waren mit einem hellblauen Atlasstoff bezogen , und an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau , weißlackiert und mit Goldleiste . Ja , das in einem Mahagonirahmen über dem kleinen Klavier hängende Bild ( allem Anscheine nach ein Stich nach Claude Lorrain ) war ein Sonnenuntergang mit Tempeltrümmern und antiker Staffage , so daß man sich füglich fragen durfte , wie das alles hierher komme . Passend war eigentlich nur ein Stehpult mit einem Gitteraufsatz und einem Kuckloch darüber , mit Hilfe dessen man , über den Flur weg , auf das große Schiebefenster sehen konnte . Hradscheck legte die Birne vor sich hin und blätterte das Kontobuch durch , das aufgeschlagen auf dem Pulte lag . Um ihn her war alles still , und nur aus der halb offenstehenden Hinterstube vernahm er den Schlag einer Schwarzwälder Uhr . Es war fast , als ob das Ticktack ihn störe , wenigstens ging er auf die Tür zu , anscheinend , um sie zu schließen ; als er indes hineinsah , nahm er überrascht wahr , daß seine Frau in der Hinterstube saß , wie gewöhnlich schwarz , aber sorglich gekleidet , ganz wie jemand , der sich auf Figurmachen und Toilettendinge versteht . Sie flocht eifrig an einem Kranz , während ein zweiter , schon fertiger an einer Stuhllehne hing . » Du hier , Ursel ! Und Kränze ! Wer hat denn Geburtstag ? « » Niemand . Es ist nicht Geburtstag . Es ist bloß Sterbetag , Sterbetag deiner Kinder . Aber du vergißt alles . Bloß dich nicht . « Ach , Ursel , laß doch . Ich habe meinen Kopf voll Wunder . Du mußt mir nicht Vorwürfe machen . Und dann die Kinder . Nun ja , sie sind tot , aber ich kann nicht trauern und klagen , daß sie 's sind . Umgekehrt , es ist ein Glück . « » Ich verstehe dich nicht . « » Und ist nur zu gut zu verstehn . Ich weiß nicht aus noch ein und habe Sorgen über Sorgen . « » Worüber ? Weil du nichts Rechtes zu tun hast und nicht weißt , wie du den Tag hinbringen sollst . Hinbringen , sag ich , denn ich will dich nicht kränken und von Zeit totschlagen sprechen . Aber sage selbst , wenn drüben die Weinstube voll ist , dann fehlt dir nichts . Ach , das verdammte Spiel , das ewige Knöcheln und Tempeln . Und wenn du noch glücklich spieltest ! Ja , Hradscheck , das muß ich dir sagen , wenn du spielen willst , so spiele wenigstens glücklich . Aber ein Wirt , der nicht glücklich spielt , muß davonbleiben , sonst spielt er sich von Haus und Hof . Und dazu das Trinken , immer der schwere Ungar , bis in die Nacht hinein . « Er antwortete nicht , und erst nach einer Weile nahm er den Kranz , der über der Stuhllehne hing , und sagte : » Hübsch . Alles , was du machst , hat Schick . Ach , Ursel , ich wollte , du hättest bessere Tage . « Dabei trat er freundlich an sie heran und streichelte sie mit seiner weißen , fleischigen Hand . Sie ließ ihn auch gewähren , und als sie , wie beschwichtigt durch seine Liebkosungen , von ihrer Arbeit aufsah , sah man , daß es ihrerzeit eine sehr schöne Frau gewesen sein mußte , ja , sie war es beinah noch . Aber man sah auch , daß sie viel erlebt hatte , Glück und Unglück , Lieb und Leid , und durch allerlei schwere Schulen gegangen war . Er und sie machten ein hübsches Paar und waren gleichaltrig , Anfang vierzig , und ihre Sprech- und Verkehrsweise ließ erkennen , daß es eine Neigung gewesen sein mußte , was sie vor länger oder kürzer zusammengeführt hatte . Der herbe Zug , den sie bei Beginn des Gesprächs gezeigt , wich denn auch mehr und mehr , und endlich fragte sie : » Wo drückt es wieder ? Eben hast du den Raps weggeschickt , und wenn Leist das Öl hat , hast du das Geld . Er ist prompt auf die Minute . « » Ja , das ist er . Aber ich habe nichts davon , alles ist bloß Abschlag und Zins . Ich stecke tief drin und leider am tiefsten bei Leist selbst . Und dann kommt die Krakauer Geschichte , der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn . Er kann jeden Tagdasein . « Hradscheck zählte noch anderes auf , aber ohne daß es einen tieferen Eindruck auf seine Frau gemacht hätte . Vielmehr sagte sie langsam und mit gedehnter Stimme : » Ja , Würfelspiel und Vogelstellen ... « » Ach , immer Spiel und wieder Spiel ! Glaube mir , Ursel , es ist nicht so schlimm damit , und jedenfalls mach ich mir nichts draus . Und am wenigsten aus dem Lotto ; 's ist alles Torheit und weggeworfen Geld , ich weiß es , und doch hab ich wieder ein Los genommen . Und warum ? Weil ich heraus will , weil ich her aus muß , weil ich uns retten möchte . « » So , so « , sagte sie , während sie mechanisch an dem Kranze weiterflocht und vor sich hin sah , als überlege sie , was wohl zu tun sei . » Soll ich dich auf den Kirchhof begleiten ? « frug er , als ihn ihr Schweigen zu bedrücken anfing . » Ich tu 's gern , Ursel . « Sie schüttelte den Kopf . » Warum nicht ? « » Weil , wer den Toten einen Kranz bringen will , wenigstens an sie gedacht haben muß . « Und damit erhob sie sich und verließ das Haus , um nach dem Kirchhof zu gehen . Hradscheck sah ihr nach , die Dorfstraße hinauf , auf deren roten Dächern die Herbstsonne flimmerte . Dann trat er wieder an sein Pult und blätterte . Zweites Kapitel Eine Woche war seit jenem Tage vergangen , aber das Spielglück , das sich bei Hradscheck einstellen sollte , blieb aus und das Lottoglück auch . Trotz alledem gab er das Warten nicht auf , und da gerade Lotterie-Ziehzeit war , kam das Viertellos gar nicht mehr von seinem Pult . Es stand hier auf einem Ständerchen , ganz nach Art eines Fetisch , zu dem er nicht müde wurde respektvoll und beinah mit Andacht aufzublicken . Alle Morgen sah er in der Zeitung die Gewinn-Nummern durch , aber die seine fand er nicht , trotzdem sie unter ihren fünf Zahlen drei Sieben hatte und mit sieben dividiert glatt aufging . Seine Frau , die wohl wahrnahm , daß er litt , sprach ihm nach ihrer Art zu , nüchtern , aber nicht unfreundlich , und drang in ihn , » daß er den Lotteriezettel wenigstens vom Ständer herunternehmen möge , das verdrösse den Himmel nur , und wer dergleichen täte , kriege statt Rettung und Hilfe den Teufel und seine Sippschaft ins Haus . Das Los müsse weg . Wenn er wirklich beten wolle , so habe sie was Besseres für ihn , ein Marienbild , das der Bischof von Hildesheim geweiht und ihr bei der Firmelung geschenkt habe . « Davon wollte nun aber der beständig zwischen Aber- und Unglauben hin und her schwankende Hradscheck nichts wissen . » Geh mir doch mit dem Bild , Ursel . Und wenn ich auch wollte , denke nur , welche Bescherung ich hätte , wenn 's einer merkte . Die Bauern würden lachen von einem Dorfende bis ans andere , selbst Orth und Igel , die sonst keine Miene verziehen . Und mit der Pastor-Freundschaft wär 's auch vorbei . Daß er zu dir hält , ist doch bloß , weil er dir den katholischen Unsinn ausgetrieben und einen Platz im Himmel , ja vielleicht an seiner Seite , gewonnen hat . Denn mit meinem Anspruch auf Himmel ist 's nicht weit her . « Und so blieb denn das Los auf dem Ständer , und erst als die Ziehung vorüber war , zerriß es Hradscheck und streute die Schnitzel in den Wind . Er war aber auch jetzt noch , all seinem spöttisch-überlegenen Gerede zum Trotz , so schwach und abergläubisch , daß er den Schnitzeln in ihrem Fluge nachsah , und als er wahrnahm , daß einige die Straße hinauf bis an die Kirche geweht wurden und dort erst niederfielen , war er in seinem Gemüte beruhigt und sagte : » Das bringt Glück . « Zugleich hing er wieder allerlei Gedanken und Vorstellungen nach , wie sie seiner Phantasie jetzt häufiger kamen . Aber er hatte noch Kraft genug , das Netz , das ihm diese Gedanken und Vorstellungen überwerfen wollten , wieder zu zerreißen . » Es geht nicht . « Und als im selben Augenblick das Bild des Reisenden , dessen Anmeldung er jetzt täglich erwarten mußte , vor seine Seele trat , trat er erschreckt zurück und wiederholte nur so vor sich hin : » Es geht nicht . « So war Mitte Oktober herangekommen . Im Laden gab 's viel zu tun , aber mitunter war doch ruhige Zeit , und dann ging Hradscheck abwechselnd in den Hof , um Holz zu spellen , oder in den Garten , um eine gute Sorte Tischkartoffeln aus der Erde zu nehmen . Denn er war ein Feinschmecker . Als aber die Kartoffeln heraus waren , fing er an , den schmalen Streifen Land , darauf sie gestanden , umzugraben . Überhaupt wurde Graben und Gartenarbeit mehr und mehr seine Lust , und die mit dem Spaten in der Hand verbrachten Stunden waren eigentlich seine glücklichsten . Und so beim Graben war er auch heute wieder , als die Jeschke , wie gewöhnlich , an die die beiden Gärten verbindende Heckentür kam und ihm zusah , trotzdem es noch früh am Tage war . » De Tüffeln sinn joa nu rut , Hradscheck . « » Ja , Mutter Jeschke , seit vorgestern . Und war diesmal ' ne wahre Freude ; mitunter zwanzig an einem Busch und alle groß und gesund . « » Joa , joa , wenn een 's Glück hebben sall . Na , Se hebben't , Hradscheck. Se hebben Glück bi de Tüffeln un bi de Malvesieren ook. I , Se möten joa woll 'n Scheffel runnerpflückt hebb 'n . « » O mehr , Mutter Jeschke , viel mehr . « Na , bereden Se't nich , Hradscheck . Nei , nei . Man sall nix bereden . Ook sien Glück nich . « Und damit ließ sie den Nachbar stehn und humpelte wieder auf ihr Haus zu . Hradscheck aber sah ihr ärgerlich und verlegen nach . Und er hatte wohl Grund dazu . War doch die Jeschke , so freundlich und zutulich sie tat , eine schlimme Nachbarschaft und quacksalberte nicht bloß , sondern machte auch sympathetische Kuren , besprach Blut und wußte , wer sterben würde . Sie sah dann die Nacht vorher einen Sarg vor dem Sterbehause stehn . Und es hieß auch , » sie wisse , wie man sich unsichtbar machen könne « , was , als Hradscheck sie seinerzeit danach gefragt hatte , halb von ihr bestritten und dann halb auch wieder zugestanden war . » Sie wisse es nicht ; aber das wisse sie , daß frisch ausgelassenes Lammtalg gut sei , versteht sich , von einem ungeborenen Lamm und als Licht über einen roten Wollfaden gezogen ; am besten aber sei Farnkrautsamen in die Schuhe oder Stiefel geschüttet . « Und dann hatte sie herzlich gelacht , worin Hradscheck natürlich einstimmte . Trotz dieses Lachens aber war ihm jedes Wort , als ob es ein Evangelium wär , in Erinnerung geblieben , vor allem das » ungeborne Lamm « und der » Farnkrautsamen « . Er glaubte nichts davon und auch wieder alles , und wenn er , seiner sonstigen Entschlossenheit unerachtet , schon vorher eine Furcht vor der alten Hexe gehabt hatte , so nach dem Gespräch über das Sich-unsichtbar- Machen noch viel mehr . Und solche Furcht beschlich ihn auch heute wieder , als er sie , nach dem Morgengeplauder über die » Tüffeln « und die » Malvesieren « , in ihrem Hause verschwinden sah . Er wiederholte sich jedes ihrer Worte : » Wenn een's Glück hebben sall . Na , Se hebben't joa , Hradscheck . Awers bereden Se't nich . « Ja , so waren ihre Worte gewesen . Und was war mit dem allem gemeint ? Was sollte dies ewige Reden von Glück und wieder Glück ? War es Neid , oder wußte sie 's besser ? Hatte sie doch vielleicht mit ihrem Hokuspokus ihm in die Karten gekuckt ? Während er noch so sann , nahm er den Spaten wieder zur Hand und begann rüstig weiterzugraben . Er warf dabei ziemlich viel Erde heraus und war keine fünf Schritt mehr von dem alten Birnbaum , auf den der Ackerstreifen zulief , entfernt , als er auf etwas stieß , das unter dem Schnitt des Eisens zerbrach und augenscheinlich weder Wurzel noch Stein war . Er grub also vorsichtig weiter und sah alsbald , daß er auf Arm und Schulter eines hier verscharrten Toten gestoßen war . Auch Zeugreste kamen zutage , zerschlissen und gebräunt , aber immer noch farbig und wohlerhalten genug , um erkennen zu lassen , daß es ein Soldat gewesen sein müsse . Wie kam der hierher ? Hradscheck stützte sich auf die Krücke seines Grabscheits und überlegte . » Soll ich es zur Anzeige bringen ? Nein . Es macht bloß Geklätsch . Und keiner mag einkehren , wo man einen Toten unterm Birnbaum gefunden hat . Also besser nicht . Er kann hier weiter liegen . « Und damit warf er den Armknochen , den er ausgegraben , in die Grube zurück und schüttete diese wieder zu . Während dieses Zuschüttens aber hing er all jenen Gedanken und Vorstellungen nach , wie sie seit Wochen ihm immer häufiger kamen . Kamen und gingen . Heut aber gingen sie nicht , sondern wurden Pläne , die Besitz von ihm nahmen und ihn , ihm selbst zum Trotz , an die Stelle bannten , auf der er stand . Was er hier zu tun hatte , war getan , es gab nichts mehr zu graben und zu schütten , aber immer noch hielt er das Grabscheit in der Hand und sah sich um , als ob er bei böser Tat ertappt worden wäre . Und fast war es so . Denn unheimlich verzerrte Gestalten ( und eine davon er selbst ) umdrängten ihn so faßbar und leibhaftig , daß er sich wohl fragen durfte , ob nicht andere da wären , die diese Gestalten auch sähen . Und er lugte wirklich nach der Zaunstelle hinüber . Gott sei Dank , die Jeschke war nicht da . Aber freilich , wenn sie sich unsichtbar machen und sogar Tote sehen konnte , Tote , die noch nicht tot waren , warum sollte sie nicht die Gestalten sehn , die jetzt vor seiner Seele standen ? Ein Grauen überlief ihn , nicht vor der Tat , nein , aber bei dem Gedanken , daß das , was erst Tat werden sollte , vielleicht in diesem Augenblicke schon erkannt und verraten war . Er zitterte , bis er , sich plötzlich aufraffend , den Spaten wieder in den Boden stieß . » Unsinn . Ein dummes altes Weib , das gerade klug genug ist , noch Dümmere hinters Licht zu führen . Aber ich will mich ihrer schon wehren , ihrer und ihrer ganzen Totenkuckerei . Was ist es denn ? Nichts . Sie sieht einen Sarg an der Tür stehn , und dann stirbt einer . Ja , sie sagt es , aber sagt es immer erst , wenn einer tot ist oder keinen Atem mehr hat oder das Wasser ihm schon ans Herz stößt . Ja , dann kann ich auch prophezein . Alte Hexe , du sollst mir nicht weiter Sorge machen . Aber Ursel ! Wie bring ich 's der bei ? Da liegt der Stein . Und wissen muß sie's . Es müssen zwei sein ... « Und er schwieg . Bald aber fuhr er entschlossen fort : » Ah , bah , es wird sich finden , weil sich's finden muß . Not kennt kein Gebot . Und was sagte sie neulich , als ich das Gespräch mit ihr hatte ? › Nur nicht arm sein ... Armut ist das schlimmste . ‹ Daran halt ich sie ; damit zwing ich sie . Sie muß wollen . « Und so sprechend , ging er , das Grabscheit gewehrüber nehmend , wieder auf das Haus zu . Drittes Kapitel Als Hradscheck bis an den Schwellstein gekommen war , nahm er das Grabscheit von der Schulter , lehnte die Krücke gegen das am Hause sich hinziehende Weinspalier und wusch sich die Hände , saubrer Mann , der er war , in einem Kübel , drin die Dachtraufe mündete . Danach trat er in den Flur und ging auf sein Wohnzimmer zu . Hier traf er Ursel . Diese saß vor einem Nähtisch am Fenster und war , trotz der frühen Stunde , schon wieder in Toilette , ja noch sorglicher und geputzter als an dem Tage , wo sie die Kränze für die Kinder geflochten hatte . Das hochanschließende Kleid , das sie trug , war auch heute schlicht und dunkelfarbig ( sie wußte , daß Schwarz sie kleidete ) , der blanke Ledergürtel aber wurde durch eine Bronzeschnalle von auffälliger Größe zusammengehalten , während in ihren Ohrringen lange birnenförmige Bummeln von venezianischer Perlenmasse hingen . Sie wirkten anspruchsvoll und störten mehr , als sie schmückten . Aber für dergleichen gebrach es ihr an Wahrnehmung , wie denn auch der mit Schildpatt ausgelegte Nähtisch , trotz all seiner Eleganz , zu den beiden hellblauen Atlassofas nicht recht passen wollte . Noch weniger zu dem weißen Trumeau . Links neben ihr , auf dem Fensterbrett , stand ein Arbeitskästchen , darin sie , gerade als Hradscheck eintrat , nach einem Faden suchte . Sie ließ sich dabei nicht stören und sah erst auf , als der Eintretende , halb scherzhaft , aber doch mit einem Anfluge von Tadel , sagte : » Nun , Ursel , schon in Staat ? Und nichts zu tun mehr in der Küche ? « » Weil es fertig werden muß . « » Was ? « » Das hier . « Und dabei hielt sie Hradscheck ein Samtkäppsel hin , an dem sie gerade nähte . » Wenig mit Liebe . « » Für mich ? « » Nein . Dazu bist du nicht fromm und , was du lieber hören wirst , auch nicht alt genug . « » Also für den Pastor ? « » Geraten . « » Für den Pastor . Nun gut . Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft , und die Freundschaft mit einem Pastor kann man doppelt brauchen . Es gibt einem solch Ansehen . Und ich habe mir auch vorgenommen , ihn wieder öfter zu besuchen und mit Ede sonntags umschichtig in die Kirche zu gehen . « » Das tu nur ; er hat sich schon gewundert . « » Und hat auch recht . Denn ich bin ihm eigentlich verschuldet . Und ist noch dazu der einzige , dem ich gern verschuldet bin . Ja , du siehst mich an , Ursel . Aber es ist so . Hat er dich nicht auf den rechten Weg gebracht ? Sage selbst . Wenn Eccelius nicht war , so stecktest du noch in dem alten Unsinn . « » Sprich nicht so . Was weißt du davon ? Ihr habt ja gar keine Religion . Und Eccelius eigentlich auch nicht . Aber er ist ein guter Mann , eine Seele von Mann , und meint es gut mit mir und aller Welt . Und hat mir zum Herzen gesprochen . « » Ja , das versteht er ; das hat er in der Loge gelernt . Er rührt einen zu Tränen . Und nun gar erst die Weiber . « » Und dann halt ich zu ihm « , fuhr Ursel fort , ohne der Unterbrechung zu achten , » weil er ein gebildeter Mann ist . Ein guter Mann , und ein gebildeter Mann . Und offen gestanden , daran bin ich gewöhnt . « Hradscheck lachte . » Gebildet , Ursel , das ist dein drittes Wort . Ich weiß schon . Und dann kommt der Göttinger Student , der dir einen Ring geschenkt hat , als du vierzehn Jahr alt warst ( er wird wohl nicht echt gewesen sein ) , und dann kommt vieles nicht oder doch manches nicht ... verfärbe dich nur nicht gleich wieder ... , und zuletzt kommt der Hildesheimer Bischof . Das ist dein höchster Trumpf , und was Vornehmeres gibt es in der ganzen Welt nicht . Ich weiß es seit lange . Vornehm , vornehm . Ach , ich rede nicht gern davon , aber deine Vornehmheit ist mir teuer zu stehn gekommen . « Ursel legte das Samtkäppsel aus der Hand , steckte die Nadel hinein und sagte , während sie sich mit halber Wendung von ihm ab- und dem Fenster zukehrte : » Höre , Hradscheck , wenn du gute Tage mit mir haben willst , so sprich nicht so . Hast du Sorgen , so will ich sie mittragen , aber du darfst mich nicht dafür verantwortlich machen , daß sie da sind . Was ich dir hundertmal gesagt habe , das muß ich dir wieder sagen . Du bist kein guter Kaufmann , denn du hast das Kaufmännische nicht gelernt , und du bist kein guter Wirt , denn du spielst schlecht oder doch nicht mit Glück und trinkst nebenher deinen eigenen Wein aus . Und was da nach drüben geht , nach Neu-Lewin hin , oder wenigstens gegangen ist « ( und dabei wies sie mit der Hand nach dem Nachbardorfe ) , » davon will ich nicht reden , schon gar nicht , schon lange nicht . Aber das darf ich dir sagen , Hradscheck , so steht es mit dir . Und anstatt dich zu deinem Unrecht zu bekennen , sprichst du von meinen Kindereien und von dem hochwürdigen Bischof , dem du nicht wert bist die Schuhriemen zu lösen . Und wirfst mir dabei meine Bildung vor . « » Nein , Ursel . « » Oder daß ich's ein bißchen hübsch oder , wie du sagst , vornehm haben möchte . « » Ja , das . « » Also doch . Nun aber sage mir , was hab ich getan ? Ich habe mich in den ersten Jahren eingeschränkt und in der Küche gestanden und gebacken und gebraten und des Nachts an der Wiege gesessen . Ich bin nicht aus dem Haus gekommen , so daß die Leute darüber geredet haben , die dumme Gans draußen in der Ölmühle natürlich an der Spitze ( du hast es mir selbst erzählt ) , und habe jeden Abend vor einem leeren Kleiderschrank gestanden und die hölzernen Riegel gezählt . Und so sieben Jahre , bis die Kinder starben , und erst als sie tot waren und ich nichts hatte , daran ich mein Herz hängen konnte , da hab ich gedacht , nun gut , nun will ich es wenigstens hübsch haben und eine Kaufmannsfrau sein , so wie man sich in meiner Gegend eine Kaufmannsfrau vorstellt . Und als dann der Konkurs auf Schloß Hoppenrade kam , da hab ich dich gebeten , dies bißchen hier anzuschaffen , und das hast du getan , und ich habe mich dafür bedankt . Und war auch bloß in der Ordnung . Denn Dank muß sein , und ein gebildeter Mensch weiß es , und wird ihm nicht schwer . Aber all das , worüber jetzt soviel geredet wird , als ob es wunder was wäre , ja , was ist es denn groß ? Eigentlich ist es doch nur altmodisch , und die Seide reißt schon , trotzdem ich sie hüte wie meinen Augapfel . Und wegen dieser paar Sachen stöhnst du und hörst nicht auf zu klagen und verspottest mich wegen meiner Bildung und Feinheit , wie du zu sagen beliebst . Freilich bin ich feiner als die Leute hier , in meiner Gegend ist man feiner . Willst du mir einen Vorwurf daraus machen , daß ich nicht wie die Pute , die Quaas , bin , die › mir ‹ und › mich ‹ verwechselt und eigentlich noch in den Friesrock gehört und Liebschaftenhaben für Bildung hält und sich › Kätzchen ‹ nennen läßt , obschon sie bloß eine Katze ist und eine falsche dazu ? Ja , mein lieber Hradscheck , wenn du mir daraus einen Vorwurf machen willst , dann hättest du mich nicht nehmen sollen , das wäre dann das klügste gewesen . Besinne dich . Ich bin dir nicht nachgelaufen , im Gegenteil , du wolltest mich partout und hast mich beschworen um mein › Ja ‹ . Das kannst du nicht bestreiten . Nein , das kannst du nicht , Hradscheck . Und nun dies ewige › vornehm ‹ und wieder › vornehm ‹ . Und warum ? Bloß weil ich einen Trumeau wollte , den man wollen muß , wenn man ein bißchen auf sich hält . Und für einen Spottpreis ist er fortgegangen . « » Du sagst Spottpreis , Ursel . Ja , was ist Spottpreis ? Auch Spottpreise können zu hoch sein . Ich hatte damals nichts und hab es von geborgtem Gelde kaufen müssen . « » Das hättest du nicht tun sollen , Abel , das hättest du mir sagen müssen . Aber da genierte sich der werte Herr Gemahl und mußte sich auch genieren . Denn warum war kein Geld da ? Wegen der Person drüben . Alte Liebe rostet nicht . Versteht sich . « » Ach Ursel , was soll das ! Es nutzt uns nichts , uns unsere Vergangenheit vorzuwerfen . « » Was meinst du damit ? Was heißt Vergangenheit ? « » Wie kannst du nur fragen ? Aber ich weiß schon , das ist das alte Lied , das ist Weiberart . Ihr streitet eurem eignen Liebhaber die Liebschaft ab . Ursel , ich hätte dich für klüger gehalten . So sei doch nicht so kurz von Gedächtnis . Wie lag es denn ? Wie fand ich dich damals , als du wieder nach Hause kamst , krank und elend und mit dem Stecken in der Hand , und als der Alte dich nicht aufnehmen wollte mit deinem Kind und du dann zufrieden warst mit einer Schütte Stroh unterm Dach ? Ursel , da hab ich dich gesehn , und weil ich Mitleid mit dir hatte , nein , nein , erzürne dich nicht wieder ... weil ich dich liebte , weil ich vernarrt in dich war , da hab ich dich bei der Hand genommen , und wir sind hierher gegangen , und der Alte drüben , dem du das Käppsel da nähst , hat uns zusammengetan . Es tut mir nicht leid , Ursel , denn du weißt , daß ich in meiner Neigung und Liebe zu dir der alte bin , aber du darfst dich auch nicht aufs hohe Pferd setzen , wenn ich vor Sorgen nicht aus noch ein weiß , und darfst mir nicht Vorwürfe machen wegen der Rese drüben in Neu-Lewin . Was da hinging , glaube mir , das war nicht viel und eigentlich nicht der Rede wert . Und nun ist sie lange tot und unter der Erde . Nein , Ursel , daher stammt es nicht , und ich schwöre dir's , das alles hätt ich gekonnt , aber der verdammte Hochmut , daß es mit uns was sein sollte , das hat es gemacht , das ist es . Du wolltest hoch hinaus und was Apartes haben , damit sie sich wundern sollten . Und was haben wir nun davon ? Da stehen die Sachen , und das Bauernvolk lacht uns aus . « » Sie beneiden uns . « » Nun gut , vielleicht , oder wenigstens , solang es vorhält . Aber wenn das alles eines schönen Tages fort ist ? « » Das darf nicht sein . « » Die Gerichte fragen nicht lange . « » Das darf nicht sein , sag ich . Alles andre . Nein , Hradscheck , das darfst du mir nicht antun , da nehm ich mir das Leben und geh in die Oder , gleich auf der Stelle . Was Jammer und Elend ist , das weiß ich , das hab ich erfahren . Aber gerade deshalb , gerade deshalb . Ich bin jetzt aus dem Jammer heraus , Gott sei Dank , und ich will nicht wieder hinein . Du sagst , sie lachen über uns , nein , sie lachen nicht ; aber wenn uns was passierte , dann würden sie lachen . Und daß dann › Kätzchen ‹ ihren Spaß haben und sich über uns lustig machen sollte , oder gar die gute Mietzel , die noch immer in ihrem schwarzen Kopftuch steckt und nicht mal weiß , wie man einen Hut oder eine Haube manierlich aufsetzt , das trüg ich nicht , da möcht ich gleich tot umfallen . Nein , nein , Hradscheck , wie ich dir schon neulich sagte , nur nicht arm . Armut ist das schlimmste , schlimmer als Tod , schlimmer als ... « Er nickte . » So denk ich auch , Ursel . Nur nicht arm . Aber komm in den Garten ! Die Wände hier haben Ohren . « Und so gingen sie hinaus . Draußen aber nahm sie seinen Arm , hing sich , wie zärtlich , an ihn und plauderte , während sie den Mittelsteig des Gartens auf und ab schritten . Er seinerseits schwieg und überlegte , bis er mit einem Male stehenblieb und , das Wort nehmend , auf die wieder zugeschüttete Stelle neben dem Birnbaum wies . Und nun wurden Ursels Augen immer größer , als er rasch und lebhaft alles , was geschehen müsse , herzuzählen und auseinanderzusetzen begann . » Es geht nicht . Schlag es dir aus dem Sinn . Es ist nichts so fein gesponnen ... « Er aber ließ nicht ab , und endlich sah man , daß er ihren Widerstand besiegt hatte . Sie nickte , schwieg , und beide gingen auf das Haus zu . Viertes Kapitel Der Oktober ging auf die Neige , trotzdem aber waren noch schöne warme Tage , so daß man sich im Freien aufhalten und die Hradschecksche Kegelbahn benutzen konnte . Diese war in der ganzen Gegend berühmt , weil sie nicht nur ein gutes waagerechtes Laufbrett , sondern auch ein bequemes Kegelhäuschen und in diesem zwei von aller Welt bewunderte buntglasige Kuckfenster hatte . Das gelbe sah auf den Garten hinaus , das blaue dagegen auf die Dorfstraße samt dem dahinter sich hinziehenden Oderdamm , über den hinweg dann und wann der Fluß selbst aufblitzte . Drüben am andern Ufer aber gewahrte man einen langen Schattenstrich : die neumärkische Heide . Es war halb vier , und die Kugeln rollten schon seit einer Stunde . Der zugleich Kellnerdienste verrichtende Ladenjunge lief hin und her , mal Kaffee , mal einen Kognak bringend , am öftesten aber neugestopfte Tonpfeifen , aus denen die Bauern rauchten und die Wölkchen in die klare Herbstluft hineinbliesen . Es waren ihrer fünf , zwei aus dem benachbarten Kienitz herübergekommen , der Rest echte Tschechiner : Ölmüller Quaas , Bauer Mietzel und Bauer Kunicke . Hradscheck , der , von Berufs wegen , mit dem Schreib- und Rechenwesen am besten Bescheid wußte , saß vor einer großen schwarzen Tafel , die die Form eines Notenpultes hatte . » Kunicke steht wieder am besten . « – » Natürlich , gegen den kann keiner . « – » Dreimal acht um den König . « Und nun begann ein Sich-Überbieten in Kegelwitzen . » Er kann hexen « , hieß es . » Er hockt mit der Jeschke zusammen . « – » Er spielt mit falschen Karten . « – » Wer soviel Glück hat , muß Strafe zahlen . « Der , der das von den » falschen Karten « gesagt hatte , war Bauer Mietzel , des Ölmüllers Nachbar , ein kleines ausgetrocknetes Männchen , das mehr einem Leineweber als einem Bauern glich . War aber doch ein richtiger Bauer , in dessen Familie nur von alter Zeit her der Schwind war . » Wer schiebt ? « » Hradscheck . « Dieser kletterte jetzt von seinem Schreibersitz und wartete gerad auf seine die Lattenrinne langsam herunterkommende Lieblingskugel , als der Landpostbote durch ein auf die Straße führendes Türchen eintrat und einen großen Brief an ihn abgab ; Hradscheck nahm den Brief in die Linke , packte die Kugel mit der Rechten und setzte sie kräftig auf , zugleich mit Spannung dem Lauf derselben folgend . » Sechs ! « schrie der Kegeljunge , verbesserte sich aber sofort , als nach einigem Wackeln und Besinnen noch ein siebenter Kegel umfiel . » Sieben also ! « triumphierte Hradscheck , der sich bei dem Wurf augenscheinlich was gedacht hatte . » Sieben geht « , fuhr er fort . » Sieben ist gut . Kunicke , schiebe für mich und schreib an . Will nur das Porto zahlen . « Und damit nahm er den Briefträger unterm Arm und ging mit ihm von der Gartenseite her ins Haus . Das Kegeln setzte sich mittlerweile fort , wer aber Spiel und Gäste vergessen zu haben schien , war Hradscheck . Kunicke hatte schon zum dritten Male statt seiner geschoben , und so wurde man endlich ungeduldig und riß heftig an einem Klingeldraht , der nach dem Laden hineinführte . Der Junge kam auch . » Hradscheck soll wieder antreten , Ede . Wir warten ja . Mach flink ! « Und sieh , gleich darnach erschien auch der Gerufene , hochrot und aufgeregt , aber , allem Anscheine nach , mehr in heiterer als verdrießlicher Erregung . Er entschuldigte sich kurz , daß er habe warten lassen , und nahm dann ohne weiteres eine Kugel , um zu schieben . » Aber du bist ja gar nicht dran ! « schrie Kunicke . » Himmelwetter , was ist denn los ? Und wie der Kerl aussieht ! Entweder is ihm eine Schwiegermutter gestorben , oder er hat das Große Los gewonnen . « Hradscheck lachte . » Nu , so rede doch . Oder sollst du nach Berlin kommen und ein paar neue Rapspressen einrichten ? Hast ja neulich unserm Quaas erst vorgerechnet , daß er nichts von der Öl-Presse verstünde . « » Hab ich , und ist auch so . Nichts für ungut , ihr Herren , aber der Bauer klebt immer am alten . « » Und die Gastwirte sind immer fürs Neue . Bloß daß nicht viel dabei herauskommt . « » Wer weiß ! « » Wer weiß ? Höre , Hradscheck , ich fange wirklich an zu glauben ... Oder is es 'ne Erbschaft ? « » Is so was . Aber nicht der Rede wert . « » Und von woher denn ? « » Von meiner Frau Schwester . « » Bist doch ein Glückskind . Ewig sind ihm die gebratnen Tauben ins Maul geflogen . Und aus dem Hildesheimschen , sagst du ? « » Ja , da so rum . « » Na , da wird Reetzke drüben froh sein . Er war schon ungeduldig . « » Weiß ; er wollte klagen . Die Neu-Lewiner sind immer ängstlich und Pfennigfuchser und können nicht warten . Aber er wird 's nu wohl lernen und sich anders besinnen . Mehr sag ich nicht und paßt sich auch nicht . Man soll den Mund nicht voll nehmen . Und was ist am Ende solch bißchen Geld ? « » Geld ist nie ein bißchen . Wieviel Nullen hat 's denn ? « » Ach , Kinder , redet doch nicht von Nullen . Das beste ist , daß es nicht viel Wirtschaft macht und daß meine Frau nicht erst nach Hildesheim braucht . Solche weite Reise , da geht ja gleich die Hälfte drauf . Oder vielleicht auch das Ganze . « War es denn schon in dem Brief ? « » I , bewahre . Bloß die Anzeige von meinem Schwager , und daß das Geld in Berlin gehoben werden kann . Ich schicke morgen meine Frau . Sie versauert hier ohnehin . « » Versteht sich « , sagte Mietzel , der sich immer ärgerte , wenn von dem » Versauern « der Frau Hradscheck die Rede war . » Versteht sich , laß sie nur reisen ; Berlin , das ist so was für die Frau Baronin . Und vielleicht bringt sie dir gleich wieder ein Atlassofa mit . Oder 'nen Trumeau . So heißt es ja wohl ? Bei so was Feinem muß unserein immer erst fragen . Der Bauer ist ja zu dumm . « Frau Hradscheck reiste wirklich ab , um die geerbte Summe von Berlin zu holen , was schon im voraus das Gerede der ebenso neidischen wie reichen Bauernfrauen weckte , vor allen der Frau Quaas , die sich , ihrer gekrausten blonden Haare halber , ganz einfach für eine Schönheit hielt und aus dem Umstande , daß sie zwanzig Jahre jünger war als ihr Mann , ihr Recht zu fast ebenso vielen Liebschaften herleitete . Was gut aussah , war ihr ein Dorn im Auge , zumeist aber die Hradscheck , die nicht nur stattlicher und klüger war als sie selbst , sondern zum Überfluß auch noch in Verdacht stand ( wenn auch freilich mit Unrecht ) , den ältesten Kantorssohn – einen wegen Demagogie relegierten Tunichtgut , der nun bei dem Vater auf der Bärenhaut lag – zu Spottversen auf die Tschechiner und ganz besonders auf die gute Frau Quaas angestiftet zu haben . Es war eine lange Reimerei , drin jeder was wegkriegte . Der erste Vers aber lautete : Woytasch hat den Schulzenstock , Kunicke 'nen langen Rock , Mietzel ist ein Hobelspan , Quaas hat keinem was getan , Nicht mal seiner eignen Frau , Kätzchen weiß es ganz genau . Miau , miau . Dergleichen konnte nicht verziehen werden , am wenigsten solcher Bettelperson wie dieser hergelaufenen Frau Hradscheck , die nun mal für die Schuldige galt . Das stand bei Kätzchen fest . » Ich wette « , sagte sie zur Mietzel , als diese denselben Abend noch , an dem die Hradscheck abgereist war , auf der Ölmühle vorsprach , » ich wette , daß sie mit einem Samthut und einer Straußenfeder wiederkommt . Sie kann sich nie genugtun , diese zierige Person , trotz ihrer vierzig . Und alles bloß , weil sie › Swein ‹ sagt und nicht › switzen ‹ kann , auch wenn sie drei Kannen Fliedertee getrunken . Sie sagt aber nicht Fliedertee , sie sagt Holunder . Und das soll denn was sein . Ach , liebe Mietzel , es ist zum Lachen . « » Ja , ja ! « stimmte die Mietzel ein , schien aber geneigt , die größere Schuld auf Hradscheck zu schieben , der sich einbilde , wunder was Feines geheiratet zu haben . Und sei doch bloß 'ne Katholsche gewesen und vielleicht auch 'ne Springerin ; wenigstens habe sie so was munkeln hören . » Und überhaupt , der gute Hradscheck « , fuhr sie fort , » er soll doch nur still sein . In Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm . Die Rese hat er sitzenlassen . Und mit eins war sie weg , und keiner weiß wie und warum . Und war auch von Ausgraben die Rede , bis unser alter Woytasch rüberfuhr und alles wieder still machte . Natürlich , er will keinen Lärm haben und is 'ne Suse . Zu Hause darf er ohnehin nicht reden . Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht ? Sie hat so was . Und ich sage bloß , wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen , so haben wir nächstens auch die Zigeuner hier , und Frau Woytasch kann sich dann nach ' nem Schwiegersohn umsehn . Zeit wird es mit der Rike ; dreißig is sie ja schon . « So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch . Als aber eine halbe Woche später die Hradscheck geradeso wiederkam , wie sie gegangen war , das heißt ohne Samthut und Straußenfeder , und noch ebenso grüßte , ja womöglich noch artiger als vorher , da trat ein Umschlag ein , und man fing an , sie gelten zu lassen und sich einzureden , daß die Erbschaft sie verändert habe . Man sieht doch gleich « , sagte die Quaas , » daß sie jetzt was haben . Sonst sollte das immer was sein , und sie logen einen grausam an , und war eigentlich nicht zum Aushalten . Aber gestern war sie anders und sagte ganz klein und bescheiden , daß es nur wenig sei . « » Wieviel mag es denn wohl sein ? « unterbrach hier die Mietzel . » Ich denke mir so tausend Taler . « » O mehr , viel mehr . Wenn es nicht mehr wäre , wäre sie nicht so ; da zierte sie sich ruhig weiter . Nein , liebe Mietzel , da hat man denn doch so seine Zeichen , und denken Sie sich , als ich sie gestern frug , › ob es ihr nicht ängstlich gewesen wäre , so ganz allein mit dem vielen Geld ‹ , da sagte sie : › Nein , es wär ihr nicht ängstlich gewesen , denn sie habe nur wenig mitgebracht , eigentlich nicht der Rede wert . Das meiste habe sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehenlassen . ‹ Ich weiß ganz bestimmt , sie sagte : das meiste . So wenig kann es also nicht sein . « Unterredungen wie diese wurden ein paar Wochen lang in jedem Tschechiner Hause geführt , ohne daß man mit Hilfe derselben im geringsten weitergekommen wäre , weshalb man sich schließlich hinter den Postboten steckte . Dieser aber war entweder schweigsam oder wußte nichts , und erst Mitte November erfuhr man von ihm , daß er neuerdings einen rekommandierten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe . » Von woher denn ? « » Aus Krakau . « Man überlegte sich's , ob das in irgendeiner Beziehung zur Erbschaft stehen könne , fand aber nichts . Und war auch nichts zu finden . Denn der eingeschriebene Brief lautete : » Krakau , den 9. November 1831 Herrn Abel Hradscheck in Tschechin . Oderbruch Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntnis , daß unser Reisender , Herr Szulski , wie alljährlich so auch in diesem Jahre wieder , in der letzten Novemberwoche bei Ihnen eintreffen und Ihre weitern geneigten Aufträge in Empfang nehmen wird . Zugleich aber gewärtigen wir , daß Sie , hochgeehrter Herr , bei dieser Gelegenheit Veranlassung nehmen wollen , unsre seit drei Jahren anstehende Forderung zu begleichen . Wir rechnen um so bestimmter darauf , als es uns , durch die politischen Verhältnisse des Landes und den Rückschlag derselben auf unser Geschäft , unmöglich gemacht wird , einen ferneren Kredit zu bewilligen . Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit . Olszewski-Goldschmidt & Sohn « Hradscheck , als er diesen Brief empfangen hatte , hatte nicht gesäumt , auch seine Frau mit dem Inhalte desselben bekannt zu machen . Diese blieb anscheinend ruhig , nur um ihre Lippen flog ein nervöses Zittern . » Wo willst du 's hernehmen , Abel ? Und doch muß es geschafft werden . Und ihm eingehändigt werden ... Und zwar vor Zeugen . Willst du's borgen ? « Er schwieg . » Bei Kunicke ? « » Nein . Geht nicht . Das sieht aus nach Verlegenheit . Und die darf es nach der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben . Und gibt 's auch nicht . Ich glaube , daß ich's schaffe . « » Gut . Aber wie ? « » Bis zum 30. hab ich noch die Feuerkassengelder . « » Die reichen nicht . « » Nein . Aber doch beinah . Und den Rest deck ich mit einem kleinen Wechsel . Ein großer geht nicht , aber ein kleiner ist gut und eigentlich besser als bar . « Sie nickte . Dann trennte man sich , ohne daß weiter ein Wort gewechselt worden wäre . Was zwischen ihnen zu sagen war , war gesagt und jedem seine Rolle zugeteilt . Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein , wie schon die nächste Minute zeigen sollte . Hradscheck , voll Beherrschung über sich selbst , ging in den Laden , der gerade voll hübscher Bauernmädchen war , und zupfte hier der einen am Busentuch , während er der andern die Schürzenbänder aufband . Einer Alten aber gab er einen Kuß . » Einen Kuß in Ehren darf niemand wehren – nich wahr , Mutter Schickedanz ? « Mutter Schickedanz lachte . Der Frau Hradscheck aber fehlten die guten Nerven , deren ihr Gatte sich rühmen konnte . Sie ging in ihr Schlafzimmer , sah in den Garten und überschlug ihr Leben . Dabei murmelte sie halb unverständliche Worte vor sich hin und schien , den Bewegungen ihrer Hand nach , einen Rosenkranz abzubeten . Aber es half alles nichts . Ihr Atem blieb schwer , und sie riß endlich das Fenster auf , um die frische Luft einzusaugen . So vergingen Stunden . Und als Mittag kam , kamen nur Hradscheck und Ede zu Tisch . Fünftes Kapitel Es war Ende November , als an einem naßkalten Abende der von der Krakauer Firma angekündigte Reisende vor Hradschecks Gasthof vorfuhr . Er kam von Küstrin und hatte sich um ein paar Stunden verspätet , weil die vom Regen aufgeweichten Bruchwege beinah unpassierbar gewesen waren , am meisten im Dorfe selbst . Noch die letzten dreihundert Schritt von der Orthschen Windmühle her hatten ein gut Stück Zeit gekostet , weil das ermüdete Pferd mitunter stehenblieb und trotz allem Fluchen nicht weiter wollte . Jetzt aber hielt der Reisende vor der Ladentür , durch deren trübe Scheiben ein Lichtschein auf den Damm fiel , und knipste mit der Peitsche . » Hallo ; Wirtschaft ! « Eine Weile verging , ohne daß wer kam . Endlich erschien der Ladenjunge , lief aber , als er den Tritt heruntergeklappt hatte , gleich wieder weg , » weil er den Knecht , den Jakob , rufen wolle . « » Gut , gut . Aber flink ... Is das ein Hundewetter ! « Unter solchen und ähnlichen Ausrufungen schlug der jetzt wieder alleingelassene Reisende das Schutzleder zurück , hing den Zügel in den frei gewordenen Haken und kletterte , halb erstarrt und unter Vermeidung des Tritts , dem er nicht recht zu trauen schien , über das Rad weg auf eine leidlich trockene , grad vor dem Ladeneingange durch Aufschüttung von Müll und Schutt hergerichtete Stelle . Wolfsschur und Pelzmütze hatten ihm Kopf und Leib geschützt , aber die Füße waren wie tot , und er stampfte hin und her , um wieder Leben ins Blut zu bringen . Und jetzt erschien auch Jakob , der den Reisenden schon von früher her kannte . » Jott , Herr Szulski , bi so 'n Wetter ! Un so 'ne Weg ! I , doa kümmt joa keen Düwel nich . « » Aber ich « , lachte Szulski . » Joa , blot Se , Herr Szulski . Na , nu geihen S' man in de Stuw . Un dat Fellisen besorg ick . Un will ook glieks en beten wat inhöten . Ick weet joa : de Giebelstuw , de geele , de noah de Kegelboahn to . « Während er noch so sprach , hatte Jakob den Koffer auf die Schulter genommen und ging , dem Reisenden vorauf , auf die Treppe zu ; als er aber sah , daß Szulski , statt nach links hin in den Laden , nach rechts hin in das Hradschecksche Wohnzimmer eintreten wollte , wandt er sich wieder und sagte : » Nei , nich doa , Herr Szulski . Hradscheck is in de Wienstuw ... Se weeten joa . « » Sind denn Gäste da ? « » Versteiht sich . Wat arme Lüd sinn , na , de bliewen to Huus , awers Oll-Kunicke kümmt , un denn kümmt Orth ook . Un wenn Orth kümmt , denn kümmt ook Quaas un Mietzel . Geihen S' man in . Se tempeln all wedder . « Eine Stunde später war der Reisende , Herr Szulski , der eigentlich ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den National-Polen erst mit dem polnischen Samtrock samt Schnüren und Knebelknöpfen angezogen hatte , der Mittelpunkt der kleinen , auch heute wieder in der Weinstube versammelten Tafelrunde . Das Geschäftliche war in Gegenwart von Quaas und Kunicke rasch abgemacht und die hoch aufgelaurene Schuldsumme , ganz wie gewollt , durch Barzahlung und kleine Wechsel beglichen worden , was dem Pseudo-Polen , der eine so rasche Regulierung kaum erwartet haben mochte , Veranlassung gab , einiges von dem von seiner Firma gelieferten Ruster bringen zu lassen . » Ich kenne die Jahrgänge , meine Herren , und bitt um die Ehr . « Die Bauern stutzten einen Augenblick , sich so zu Gaste geladen zu sehen , aber sich rasch erinnernd , daß einige von ihnen bis ganz vor kurzem noch zu den Kunden der Krakauer Firma gehört hatten , sahen sie das Anerbieten schließlich als einen bloßen Geschäftsakt an , den man sich gefallenlassen könne . Was aber den Ausschlag gab , war , daß man durchaus von dem eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte , von Diebitsch und Paskewitsch , und vor allem , ob es nicht bald wieder losgehe . Szulski , wenn irgendwer , mußte davon wissen . Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte , war es ein paar Wochen vor Ausbruch der Insurrektion gewesen . Alles , was er damals als nahe bevorstehend prophezeit hatte , war eingetroffen und lag jetzt zurück , Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt , welchem Sturme der zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski zum mindesten als Augenzeuge , vielleicht auch als Mitkämpfer ( er ließ dies vorsichtig im Dunkel ) beigewohnt hatte . Das alles traf sich trefflich für unsere Tschechiner , und Szulski , der als guter Weinreisender natürlich auch ein guter Erzähler war , schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen Heldentaten wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten , deren sich die Russen schuldig gemacht hatten . Eine Hauserstürmung in der Dlugastraße , just da , wo diese mit ihren zwei schmalen Ausläufern die Weichsel berührt , war dabei sein Paradepferd . » Wie hieß die Straße ? « fragte Mietzel , der nach Art aller verquienten Leute bei Kriegsgeschichten immer hochrot wurde . Dlugastraße « , wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe . » Dluga , Herr Mietzel . Und das Eckhaus , um das es sich in meiner Geschichte handelt , stand dicht an der Weichsel , der Vorstadt Praga grad gegenüber , und war von unseren Akademikern und Polytechnikern besetzt , das heißt von den wenigen , die von ihnen noch übrig waren , denn die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde . Gleichviel indes , was von ihnen noch lebte , das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen Hause , von Treppe zu Treppe bis unters Dach . Auf dem abgedeckten Dach aber befanden sich Frauen und Kinder , die sich hier hinter Balkenlagen verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten . Als nun die Russen , es war das Regiment Kaluga , bis dicht heran waren , rührten sie die Trommel zum Angriff . Und so stürmten sie dreimal , immer umsonst , immer mit schwerem Verlust , so dicht fiel der Steinhagel auf sie nieder . Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Tür , stießen sie mit Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf . Immer höher zogen sich unsere Tapferen zurück , bis sie zuletzt , mit den Frauen und Kindern und im bunten Durcheinander mit diesen , auf dem abgedeckten Dache standen . Da sah ich jeden einzelnen so deutlich vor mir , wie ich Sie jetzt sehe , Bauer Mietzel « – dieser fuhr zurück – , » denn ich hatte meine Wohnung in dem Hause gegenüber und sah , wie sie die Konfederatka schwenkten , und hörte , wie sie unser Lied sangen : › Noch ist Polen nicht verloren . ‹ Und bei meiner Ehre , hier , an dieser Stelle , hätten sie sich trotz aller Übermacht des Feindes gehalten , wenn nicht plötzlich , von der Seite her , ein Hämmern und Schlagen hörbar geworden wäre , ein Hämmern und Schlagen , sag ich , wie von Äxten und Beilen . « » Wie ? Was ? Von Äxten und Beilen ? « wiederholte Mietzel , dem sein bißchen Haar nachgerade zu Berge stand . » Was war es ? « » Ja , was war es ? Vom Nachbarhause her ging man vor ; jetzt war ein Loch da , jetzt eine Bresche , und durch die Bresche hin drang das russische Regiment auf den Dachboden vor . Was ich da gesehen habe , spottet jeder Beschreibung . Wer einfach niedergeschossen wurde , konnte von Glück sagen , die meisten aber wurden durch einen Bajonettstoß auf die Straße geschleudert . Es war ein Graus , meine Herren . Eine Frau wartete das Massacre , ja , vielleicht Schimpf und Entehrung ( denn dergleichen ist vorgekommen ) , nicht erst ab ; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und stürzte sich mit ihnen in den Fluß . « » Alle Wetter « , sagte Kunicke , » das ist stark ! Ich habe doch auch ein Stück Krieg mitgemacht und weiß wohl , wo man Holz fällt , fallen Späne . So war es bei Möckern , und ich sehe noch unsren alten Krosigk , wie der den Marinekaptän über den Haufen stach , und wie dann das Kolbenschlagen losging , bis alle dalagen . Aber Frauen und Kinder ! Alle Wetter , Szulski , das ist scharf . Is es denn auch wahr ? « » Ob es wahr ist ? Verzeihung , ich bin kein Aufschneider , Herr Kunicke . Kein Pole schneidet auf , das verachtet er . Und ich auch . Aber was ich gesehn habe , das hab ich gesehen , und eine Tatsache bleibt eine Tatsache , sie sei , wie sie sei . Die Dame , die da heruntersprang ( und ich schwör Ihnen , meine Herren , es war eine Dame ) , war eine schöne Frau , keine sechsunddreißig , und so wahr ein Gott im Himmel lebt , ich hätt ihr was Beßres gewünscht als diese naßkalte Weichsel . « Kunicke schmunzelte , während der neben anderen Schwächen und Leiden auch an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin konnte , seiner nervösen Erregtheit plötzlich eine ganz neue Richtung zu geben . Szulski selbst aber war viel zu sehr von sich und seiner Geschichte durchdrungen , um nebenher noch zu Zweideutigkeiten Zeit zu haben , und fuhr , ohne sich stören zu lassen , fort : » Eine schöne Frau , sagt ich , und hingemordet . Und was das schlimmste dabei , nicht hingemordet durch den Feind , nein , durch uns selbst ; hingemordet , weil wir verraten waren . Hätte man uns freie Hand gelassen , kein Russe wäre je über die Weichsel gekommen . Das Volk war gut , Bürger und Bauer waren gut , alles einig , alles da mit Gut und Blut . Aber der Adel ! Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge verschachert , bloß weil er an sein Geld und seine Güter dachte . Und wenn der Mensch erst an sein Geld denkt , ist er verloren . « » Kann ich nicht zugeben « , sagte Kunicke . » Jeder denkt an sein Geld . Alle Wetter , Szulski , das sollt unsrem Hradscheck schon gefallen , wenn der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn alle November hier vorspräch und nie an Geld dächte . Nicht wahr , Hradscheck , da ließe sich bald auf einen grünen Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder Schwägerin zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden . « » Ah , Erbschaft « , wiederholte Szulski . » So , so : daher . Nun , gratuliere . Habe neulich auch einen Brocken geerbt und in Lemberg angelegt . Lemberg ist besser als Krakau . Ja , das muß wahr sein , Erbschaft ist die beste Art , zu Gelde zu kommen , die beste und eigentlich auch die anständigste ... « » Und namentlich , auch die leichteste « , bestätigte Kunicke . » Ja , das liebe Geld . Und wenn 's viel ist , das heißt sehr viel , dann darf man auch dran denken ! Nicht wahr , Szulski ? « » Natürlich « , lachte dieser . » Natürlich , wenn 's viel ist . Aber , Bauer Kunicke , denken und denken ist ein Unterschied . Man muß wissen , daß man's hat , soviel ist richtig , das ist gut und ein angenehmes Gefühl und stört nicht ... « » Nein , nein , stört nicht . « » Aber , meine Herren , ich muß es wiederholen , denken und denken ist ein Unterschied . An Geld immer denken , bei Tag und bei Nacht , das ist soviel wie sich immer drum ängstigen . Und ängstigen soll man sich nicht . Wer auf Reisen ist und immer an seine Frau denkt , der ängstigt sich um seine Frau . « » Freilich « , schrie Kunicke . » Quaas ängstigt sich auch immer . « Alle lachten unbändig , und nur Szulski selbst , der auch darin durchaus Anekdoten- und Geschichtenerzähler von Fach war , daß er sich nicht gern unterbrechen ließ , fuhr mit allem erdenklichen Ernste fort : » Und wie mit der Frau , meine Herren , so mit dem Geld . Nur nicht ängstlich ; haben muß man's , aber man muß nicht ewig daran denken . Oft muß ich lachen , wenn ich so sehe , wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d'hôte mit einem Male nach seiner Brieftasche faßt , › ob er 's auch noch hat ‹ . Und dann atmet er auf und ist ganz rot geworden . Das ist immer lächerlich und schadet bloß . Und auch das Einnähen hilft nichts , das ist ebenso dumm . Ist der Rock weg , ist auch das Geld weg . Aber was man auf seinem Leibe hat , das hat man . All die andern Vorsichten sind Unsinn . « » Recht so « , sagte Hradscheck . » So mach ich 's auch . Aber wir sind bei dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen abgekommen . Ist es denn wahr , Szulski , daß sie Diebitschen vergiftet haben ? « » Versteht sich , es ist wahr . « » Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch ? Auch wahr ? « » Alles wahr « , wiederholte Szulski . » Daran ist kein Zweifel . Und es kam so . Konstantin wollte die Polen ärgern , weil sie gesagt hatten , die Russen fräßen bloß Talg . Und da ließ er , als er eines Tages elf Polen eingeladen hatte , zum Dessert elf Talglichte herumreichen , das zwölfte aber war von Marzipan und natürlich für ihn . Und versteht sich , nahm er immer zuerst , dafür war er Großfürst und Vizekönig . Aber das eine Mal vergriff er sich doch , und da hat er's runterwürgen müssen . « » Wird nicht sehr glatt gegangen sein . « » Gewiß nicht ... Aber , ihr Herren , kennt ihr denn schon das neue Polenlied , das sie jetzt singen ? « » Denkst du daran – – « » Nein , das ist alt . Ein neues . « » Und heißt ? « » Die letzten zehn vom vierten Regiment ... Wollt ihr 's hören ? Soll ich es singen ? « » Freilich . « » Aber ihr müßt einfallen ... « » Versteht sich , versteht sich . « Und nun sang Szulski , nachdem er sich geräuspert hatte : Zu Warschau schwuren tausend auf den Knien : Kein Schuß im heil'gen Kampfe sei getan , Tambour , schlag an , zum Blachfeld laß uns ziehen , Wir greifen nur mit Bajonetten an ! Und ewig kennt das Vaterland und nennt Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment . « » Einfallen ! Chorus . « – » Weiter , Szulski , weiter . « » Ade , ihr Brüder , die zu Tod getroffen An unsrer Seite dort wir stürzen sahn , Wir leben noch , die Wunden stehen offen , Und um die Heimat ewig ist 's getan ; Herr Gott im Himmel , schenk ein gnädig End Uns letzten zehn vom vierten Regiment . « Chorus : » Uns letzten zehn vom vierten Regiment . « Alles jubelte . Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf . » Wenn ihn jetzt seine Frau sähe « , rief Kunicke . » Da hätt er Oberwasser . « » Ja , ja . « Und nun stieß man an und ließ die Polen leben . Nur Kunicke , der an Anno 13 dachte , weigerte sich und trank auf die Russen . Und zuletzt auch auf Quaas und Kätzchen . Mietzel aber war ganz übermütig und halb wie verdreht geworden und sang , als er Kätzchens Namen hörte , mit einem Male : » Nicht mal seiner eignen Frau , Kätzchen weiß es ganz genau . Miau . « Quaas sah verlegen vor sich hin . Niemand indessen dachte mehr an Übelnehmen . Und nun wurde der Ladenjunge gerufen , um neue Flaschen zu bringen . Sechstes Kapitel So ging es bis Mitternacht . Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden , daß Szulski , der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt , so müde sei . Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte länger zurückhalten ; » er müsse morgen um neun in Frankfurt sein « . Und damit nahm er den bereitstehenden Leuchter , um in seine Giebelstube hinaufzusteigen . Nur als er die Türklinke schon in der Hand hatte , wandt er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck : » Also vier Uhr , Hradscheck . Um fünf muß ich weg . Und versteht sich , ein Kaffee . Guten Abend , ihr Herren . Allerseits wohl zu ruhn ! « Auch die Bauern gingen ; ein starker Regen fiel , und alle fluchten über das scheußliche Wetter . Aber keine Stunde mehr , so schlug es um , der Regen ließ nach , und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das Bruch hin . Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute , so daß allerlei Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde , nirgends aber mehr als an dem Hause der alten Jeschke , das grad in dem Windstrome lag , der , von der andern Seite der Straße her , zwischen Kunickes Stall und Scheune mitten durchfuhr . Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten Boden . » Dat 's joa groad , as ob de Bös kümmt « , sagte die Alte und richtete sich in die Höh , wie wenn sie aufstehen wolle . Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien ihr zuviel Mühe zu machen , und so klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiterzuschlafen . Freilich umsonst . Der Lärm draußen und die wachsende Furcht , ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn , ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen , und so stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin , um hier an einem bißchen Aschenglut einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden . Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf , an denen sie nie Mangel litt , seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel , drüben in der neumärkischen Heide , das freiwillige Hinken wegkuriert hatte . Das Licht und die Wärme taten ihr wohl , und als es ein paar Minuten später in dem immer bereitstehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu brodeln anfing , hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem Behagen den Sturm , der draußen heulte . Mit einem Mal aber gab es einen Krach , als bräche was zusammen , ein Baum oder ein Strauchwerk , und so ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und , weil das Licht hier blendete , vom Fenster her in die Küche , wo sie den obern Türladen rasch aufschlug , um zu sehn , was es sei . Richtig , ein Teil des Gartenzauns war umgeworfen , und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte , sah sie , zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch , daß in dem Hradscheckschen Hause noch Licht war . Es flimmerte hin und her , mal hier , mal da , so daß sie nicht recht sehen konnte , woher es kam , ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber gelegenen Fenster der Weinstube . » Mien Jott , supen se noch ? « fragte die Jeschke vor sich hin . » Na , Kunicke is et kumpafel . Un dann seggt he hinnerher , dat Wedder wihr schull un he künn nich anners . « Unter dieser Betrachtung schloß sie den Türladen wieder und ging an ihre Herdstätte zurück . Aber ihr Hang zu spionieren ließ ihr keine Ruh , und trotzdem der Wind immer stärker geworden war , suchte sie doch die Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal , in der Hoffnung , was zu sehen . Eine Weile stand sie so , ohne daß etwas geschehen wäre , bis sie , als sie sich schon zurückziehn wollte , drüben plötzlich die Hradschecksche Gartentür auffliegen und Hradscheck selbst in der Türöffnung erscheinen sah . Etwas Dunkles , das er schon vorher herangeschafft haben mußte , lag neben ihm . Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber . Und dann war's ihr doch wieder , als ob er wolle , daß man ihn sähe . Denn wozu sonst das Licht , in dessen Flackerschein er dastand ? Er hielt es immer noch vor sich , es mit der Hand schützend , und schien zu schwanken , wohin damit . Endlich aber mußt er eine geborgene Stelle gefunden haben , denn das Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da , viel zu schwach , um den nach wie vor in der Türöffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen zu lassen . Was war es ? Eine Truhe ? Nein . Dazu war es nicht lang genug . Oder ein Korb , eine Kiste ? Nein , auch das nicht . » Wat he man hett ? « murmelte sie vor sich hin . Aber ehe sie sich , aus ihren Mutmaßungen heraus , ihre Frage noch beantworten konnte , sah sie , wie der ihr auf Minuten aus dem Auge gekommene Hradscheck von der Tür her in den Garten trat und mit einem Spaten in der Hand rasch auf den Birnbaum zuschritt . Hier grub er eifrig und mit sichtlicher Hast und mußte schon ein gut Teil Erde herausgeworfen haben , als er mit einem Male das Graben aufgab und sich aufs neue nach allen Seiten hin umsah . Aber auch jetzt wieder ( so wenigstens schien es ihr ) mehr in Spannung als in Angst und Sorge . » Wat he man hett ? « wiederholte sie . Dann sah sie , daß er das Loch rasch wieder zuschüttete . Noch einen Augenblick , und die Gartentür schloß sich , und alles war wieder dunkel . » Hm « , brummte die Jeschke . » Dat 's joa binoah , as ob he een abmurkst hett . Na , so dull wahrd et joa woll nich sinn ... Nei , nei , denn wihr dat Licht nich . Awers ick tru em nich . Un ehr tru ick ook nich . « Und damit ging sie wieder bis an ihr Bett und kletterte hinein . Aber ein rechter Schlaf wollt ihr nicht mehr kommen , und in ihrem halbwachen Zustande sah sie beständig das Flimmern im Kellerloch und dann den Lichtschein , der in den Garten fiel , und dann wieder Hradscheck , wie er unter dem Baume stand und grub . Siebentes Kapitel Um vier Uhr stieg der Knecht die Stiege hinauf , um Szulski zu wecken . Er fand aber die Stube verschlossen , weshalb er sich begnügte , zu klopfen und durch das Schlüsselloch hineinzurufen : » Is vier , Herr Szulski ; steihn S' upp . « Er horchte noch eine Weile hinein , und als alles ruhig blieb , riß er an der klapprigen Türklinke hin und her und wiederholte : » Steihn S' upp , Herr Szulski , is Tied ; ick spann nu an . « Und danach ging er wieder treppab und durch den Laden in die Küche , wo die Hradschecksche Magd , eine gutmütige Person mit krausem Haar und vielen Sommersprossen , noch halb verschlafen am Herde stand und Feuer machte . » Na , Maleken , ook all rut ? Wat seggst du dato ? Klock vieren . Is doch Menschenschinnerei . Worümm nich um söss ? Um söss wihr ook noch Tied . Na , nu koch uns man en beten wat mit . « Und damit wollt er von der Küche her in den Hof hinaus . Aber der Wind riß ihm die Tür aus der Hand und schlug sie mit Gekrach wieder zu . » Jott , Jakob , ick hebb mi so verfiert . Dat künn joa 'nen Doden uppwecken . « » Sall ook , Male. He hett joa 'nen Dodensloap . Nu wahrd he woll uppstoahn . « Eine halbe Stunde später hielt der Einspänner vor der Haustür , und Jakob , dem die Hände vom Leinehalten schon ganz klamm waren , sah ungeduldig in den Flur hinein , ob der Reisende noch nicht komme . Der aber war immer noch nicht zu sehen , und statt seiner erschien nur Hradscheck und sagte : » Geh hinauf , Jakob , und sieh nach , was es ist . Er ist am Ende wieder eingeschlafen . Und sag ihm auch , sein Kaffee würde kalt . . . Aber nein , laß nur ; bleib . Er wird schon kommen . « Und richtig , er kam auch und stieg , während Hradscheck so sprach , gerade die nicht allzu hohe Treppe hinunter . Diese lag noch in Dunkel , aber ein Lichtschimmer vom Laden her ließ die Gestalt des Fremden doch einigermaßen deutlich erkennen . Er hielt sich am Geländer fest und ging mit besonderer Langsamkeit und Vorsicht , als ob ihm der große Pelz unbequem und beschwerlich sei . Nun aber war er unten , und Jakob , der alles neugierig verfolgte , was vorging , sah , wie Hradscheck auf ihn zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube hineinkomplimentierte , wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde wartete . » Na , nu wahrd et joa woll wihr 'n « , tröstete sich der draußen immer ungeduldiger Werdende . » Kümmt Tied , kümmt Roat . « Und wirklich , ehe fünf Minuten um waren , erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von diesem her auf die Straße , wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunterließ , während der Reisende , trotzdem ihm die Pelzmütze tief genug im Gesicht saß , auch noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte . » Das ist recht « , sagte Hradscheck . » Besser bewahrt als beklagt . Und nun mach flink , Jakob , und hole den Koffer . « Dieser tat auch , wie befohlen , und als er mit dem Mantelsack wieder unten war , saß der Reisende schon im Wagen und hatte den von ihm als Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt . Ohne was zu sagen , wies er darauf hin und nickte nur , als Jakob sich bedankte . Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand , woran wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten , und fuhr auf das Orthsche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu . Diese ging nicht ; der Wind wehte zu heftig . Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden Fuhrwerk eine Weile nach , sein Kopf war unbedeckt , und sein spärlich blondes Haar flog ihm um die Stirn . Es war aber , als ob die Kühlung ihn erquicke . Als er wieder in den Flur trat , fand er Jakob , der sich das Guldenstück ansah . » Gefällt dir wohl ? Einen Gulden gibt nicht jeder . Ein feiner Herr ! « Dat sall woll sien . Awers worümm he man so still wihr ? He seggte joa keen Wuhrt nich . « » Nein , er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen « , lachte Hradscheck . » Is ja erst fünf . « » Versteiht sich . Klock feiv red ick ook nich veel . « Achtes Kapitel Der Wind hielt an , aber der Himmel klärte sich , und bei hellem Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause vor . Es war der Friedrichsauer Amtsrat ; Trakehner Rapphengste , der Kutscher in Livree . Hradscheck erschien in der Ladentür und grüßte respektvoll , fast devot . » Tag , lieber Hradscheck ; bringen Sie mir einen › Luft ‹ oder lieber gleich zwei ; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben . Nicht wahr , Johann ? Eine wahre Hundekälte . Und dabei diese Sonne . « Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein : » Zwei Pfefferminz , Ede ; rasch ! « und wandte sich dann mit der Frage zurück , womit er sonst noch dienen könne . » Mir mit nichts , lieber Hradscheck , aber andren Leuten . Oder wenigstens der Obrigkeit . Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder , wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt . « » Wo , Herr Amtsrat ? « » Hier gleich . Keine tausend Schritt hinter Orths Mühle . « » Gott im Himmel , ist es möglich ! Aber wollen der Herr Amtsrat nicht bei Schulze Woytasch mit vorfahren ? « » Kann nicht , Hradscheck ; ist mir zu sehr aus der Richt . Der Reitweiner Graf erwartet mich , und habe mich schon verspätet . Und zu helfen ist ohnehin nicht mehr , soviel hab ich gesehn . Aber alles muß doch seinen Schick haben , auch Tod und Unglück . Adieu ... Vorwärts ! « Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter , der seine Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte , trotz der grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen . Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch , während er selbst zu Kunicke hinüberging , der eben seinen Mittagsschlaf hielt . » Stör dich nicht gern um diese Zeit , Kunicke ; Schlaf ist mir allemal heilig , und nun gar deiner ! Aber es hilft nichts , wir müssen hinaus . Der Friedrichsauer Amtsrat war eben da und sagte mir , daß ein Fuhrwerk in der Oder liege . Mein Gott , wenn es Szulski wäre ! « » Wird wohl « , gähnte Kunicke , dem der Schlaf noch in allen Gliedern steckte , » wird wohl . . . Aber er wollte ja nicht hören , als ich ihm gestern abend sagte : › Nicht so früh , Szulski , nicht so früh ... ‹ Denke doch bloß voriges Jahr , wie die Post runterfiel und der arme Kerl von Postillon gleich mausetot . Und der kannte doch unsern Damm ! Und nu solch Pohlscher , solch Bruder Krakauer . Na , wir werden ja sehn . « Inzwischen hatte sich Kunicke zurechtgemacht und war erst in hohe Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock hineingefahren . Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen Pikenstock aus der Ecke . » Komm ! « Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus . Der Wind blies immer stärker , und als beide , so gut es ging , von oben her sich umsahen , sahen sie , daß Schulze Woytasch , der schon anderweitig von dem Unglück gehört haben mußte , die Dorfstraße herunterkam . Er hatte seine Ponies , brillante kleine Traber , einspannen lassen und fuhr , aller Polizeiregel zum Trotz , über den aufgeschütteten Gangweg hin , was er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte . Zudem durft er sich mit Dringlichkeit entschuldigen . Als er dicht an Kunickes Rampe heran war , hielt er und rief beiden zu : » Wollt auch hinaus ? Natürlich . Immer aufsteigen . Aber rasch . « Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter , auf Orths Gehöft und die Mühle zu . Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher , Kunicke neben dem Schulzen . Das war so Regel und Ordnung , denn ein Bauerngut geht vor Gasthaus und Kramladen . Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm ansteigende Schrägung . Oben war der Weg etwas besser , aber immer noch schlecht genug , so daß es sich empfahl , dicht am Dammrand entlangzufahren , wo , wegen des weniger aufgeweichten Bodens , die Räder auch weniger tief einschnitten . » Paß Achtung « , sagte Woytasch , » sonst liegen wir auch unten . « Und der Kutscher , dem selber ängstlich sein mochte , lenkte sofort auf die Mitte des Damms hinüber , trotzdem er hier langsamer fahren mußte . Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab , so war es eine wundervolle Fahrt und das sich weithin darbietende Bild von einer gewissen Großartigkeit . Rechtshin grüne Wintersaat , so weit das Auge reichte , nur mit einzelnen Tümpeln , Häusern und Pappelweiden dazwischen , zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder , mehr ein Haff jetzt als ein Strom . Wütend kam der Südost vom jenseitigen Ufer herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm , daß es wie eine Brandung war . Und in eben dieser Brandung standen gekröpfte Weiden , nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser , während , auf der neumärkischen Seite , der blauschwarze Strich einer Kiefernwaldung in grellem , unheimlichem Sonnenscheine dalag . Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut geworden , jetzt aber sagte Hradscheck , indem er sich zu den beiden hinter ihm Sitzenden umdrehte : » Der Wind wird ihn runtergeweht haben . « » Unsinn ! « lachte Woytasch , » Ihr müßt doch sehn , Hradscheck , der Wind kommt ja von da , von drüben . Wenn der schuld wäre , läg er hier rechts vom Damm und nicht nach links hin in der Oder . . . Aber seht nur , da wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest . Fahr zu , daß wir nicht die letzten sind . « Und eine Minute darauf hielten sie gerad an der Stelle , wo das Unglück sich zugetragen hatte . Wirklich , Orth war schon da , mit ihm ein paar seiner Mühlknechte , desgleichen Mietzel und Quaas , deren ausgebaute Gehöfte ganz in der Nähe lagen . Alles begrüßte sich und kletterte dann gemeinschaftlich den Damm hinunter , um unten genau zu sehen , wie's stünde . Die Böschung war glatt , aber man hielt sich an dem Werft- und Weidengestrüpp , das überall stand . Unten angekommen , sah man bestätigt , was von Anfang an niemand bezweifelt hatte : Szulskis Einspänner lag wie gekentert im Wasser , das Verdeck nach unten , die Räder nach oben ; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hinterteil , während die Schere , darin es eingespannt gewesen , wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte . Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült , und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken . » Er ist nach Kienitz hinweggeschwemmt « , sagte Schulze Woytasch . » Aber weit weg kann er nicht sein ; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm . « Und dabei marschierte man truppweise weiter , von Gestrüpp zu Gestrüpp , und durchsuchte jede Stelle . » Der Pelz muß doch obenauf schwimmen . « » Ja , der Pelz « , lachte Kunicke . » Wenn 's bloß der Pelz wär . Aber der Pohlsche steckt ja drin . « Es war der Kunickesche Trupp , der so plauderte , ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd , während der den andern Trupp führende Hradscheck mit einem Male rief : » Ah , da ist ja seine Mütze ! « Wirklich , Szulskis Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide . » Nun , haben wir die « , fuhr Hradscheck fort , » so werden wir ihn auch selber bald haben . « » Wenn wir nur ein Boot hätten . Aber es kann hier nicht tief sein , und wir müssen immer peilen und Grund suchen . « Und so geschah's auch . Aber alles Messen und Peilen half nichts , und es blieb bei der Mütze , die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte . Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter , so daß Kunicke , der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte , keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte . Schulze Woytasch auch nicht . » Ich werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken « , sagte dieser . » Irgendwo muß er doch antreiben . Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbnis machen . Nicht wahr , Hradscheck ? Die Hälfte kann die Gemeinde geben . « » Und die andre Hälfte geben wir « , setzte Kunicke hinzu . » Denn wir sind doch eigentlich ein bißchen schuld . Oder eigentlich ganz gehörig . Er war gestern abend verdammt fißlig und man bloß noch soso . War er denn wohl katholsch ? « » Natürlich war er « , sagte Woytasch . » Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt , ist er katholsch . Aber das schadt nichts . Ich bin für Aufklärung . Der Alte Fritze war auch für Aufklärung . Jeder nach seiner Façon ... « » Versteht sich « , sagte Kunicke . » Versteht sich . Und dann am Ende , wir wissen auch nicht , das heißt , ich meine , so ganz bestimmt wissen wir nicht , ob er ein Katholscher war oder nich . Un was man nich weiß , macht einen nich heiß . Nicht wahr , Quaas ? « » Nein , nein . Was man nich weiß , macht einen nich heiß . Und Quaasen auch nicht . « Alle lachten , und selbst Hradscheck , der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte , stimmte mit ein . Neuntes Kapitel Der Tote fand sich nicht , der Wagen aber , den man mühevoll aus dem Wasser heraufgeholt hatte , wurde nach dem Dorf geschafft und in Kunickes große Scheune gestellt . Da stand er nun schon zwei Wochen , um entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu werden . Im Dorfe gab es inzwischen viel Gerede , das aller Orten darauf hinauslief : » Es sei was passiert und es stimme nicht mit den Hradschecks . Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen , aber er hab es hinter den Ohren , und was die Frau Hradscheck angehe , die vor Vornehmheit nicht sprechen könne , so wisse jeder , stille Wasser seien tief . Kurzum , es sei beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz woanders liegen als in der Oder . « Zum Überfluß griff auch noch unser Freund , der Kantorssohn , der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte , in die Saiten seiner Leier , und allabendlich , wenn die Knechte , mit denen er auf du und du stand , vom Kruge her durchs Dorf zogen , sangen sie nach bekannter Melodie : » Morgenrot ! Abel schlug den Kain tot . Gestern noch bei vollen Flaschen , Morgens ausgeleerte Taschen Und ein kühles , kühles Gra-ab . « All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren , und wiewohl es nicht viel besser als Klatsch war , dem alles Beweiskräftige fehlte , so sah sich der Vorsitzende des Gerichts , Justizrat Vowinkel , doch veranlaßt , an seinen Duz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks einzuziehen . Das war am 7. Dezember , und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück : » Lieber Bruder . Es ist mir sehr willkommen , in dieser Sache das Wort nehmen und Zeugnis zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können . Man verleumdet sie , weil man sie beneidet , besonders die Frau . Du kennst unsere Brücher ; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum Haß gegen alles , was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt . Aber ad rem . Er , Hradscheck , ist kleiner Leute Kind aus Neu- Lewin und , wie sein Name bezeugt , von böhmischer Extraktion . Du weißt , daß Neu-Lewin in den achtziger Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde . Doch dies beiläufig . Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann , der , nach Art solcher Leute , den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte . Und unser Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in Berlin beschäftigt gewesen sein . Aber es mißfiel ihm , und so fing er , als er vor etwa fünfzehn Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte , mit einem Kramgeschäft an , das ihm auch glückte , bis er , um eines ihm unbequem werdenden › Verhältnisses ‹ willen , den Laden aufgab und den Entschluß faßte , nach Amerika zu gehen . Und zwar über Holland . Er kam aber nur bis ins Hannöversche , wo er , in der Nähe von Hildesheim , also katholische Gegend , in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm . Hier traf es sich , daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt umhergezogene Tochter des Hauses , krank und elend von ihren Fahrten und Abenteuern – sie war mutmaßlich Schauspielerin gewesen – , zurückkam und eine furchtbare Szene mit ihrem Vater hatte , der ihr nicht nur die bösesten Namen gab , sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte . Hradscheck , von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt , ergriff Partei für sie , hielt um ihre Hand an , was dem Vater wie der ganzen Familie nur gelegen kam , und heiratete sie , nachdem er seinen Auswanderungsplan aufgegeben hatte . Bald danach , um Martini herum , übersiedelten beide hierher , nach Tschechin , und schon am ersten Adventssonntage kam die junge Frau zu mir und sagte , daß sie sich zur Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle . Was denn auch geschah und damals ( es geht jetzt ins zehnte Jahr ) einen großen Eindruck auf die Bauern machte . Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in dem Leben beider eine Rolle gespielt hat , ist mir unzweifelhaft , ebenso daß beide seinen Versuchungen unterlegen sind . Auch sonst noch , wie nicht bestritten werden soll , bleiben einige dunkle Punkte , trotzdem es an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat . Aber wie dem auch sein möge , mir liegt es pflichtmäßig ob , zu bezeugen , daß es wohlanständige Leute sind , die , solang ich sie kenne , sich gut gehalten und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben . Einzelnes , was ihm , nach der entgegengesetzten Seite hin , vor längrer oder kürzrer Zeit nachgesagt wurde , mag auf sich beruhn , um so mehr , als mir Sittenstolz und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind . Die Frau hat meine besondere Sympathie . Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen , hat sie mir , wie Du begreifen wirst , von Anfang an lieb und wert gemacht . « Die Wirkung dieses Ecceliusschen Briefes war , daß das Küstriner Gericht die Sache vorläufig fallenließ ; als demselben aber zur Kenntnis kam , » daß Nachtwächter Mewissen , nach neuerdings vor Schulze Woytasch gemachten Aussagen , an jenem Tage , wo das Unglück sich ereignete , so zwischen fünf und sechs ( um die Zeit also , wo das Wetter am tollsten gewesen ) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn haben wollte , ganz so , wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme « da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch wieder so gewachsen , daß das Gericht einzuschreiten beschloß . Aber freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eklats , weshalb Vowinkel an Eccelius , dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete , die folgenden Zeilen richtete : » Habe Dank , lieber Bruder , für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M. , dem ich , soweit er ein Urteil abgibt , in meinem Herzen zustimme . Hradscheck ist ein durchaus netter Kerl , weit über seinen Stand hinaus , und Du wirst Dich entsinnen , daß er letzten Winter sogar in Vorschlag war , und zwar auf meinen speziellen Antrag . Das alles steht fest . Aber zu meinem Bedauern will die Geschichte mit dem Polen nicht aus der Welt , ja , die Verdachtsgründe haben sich gemehrt , seit neuerdings auch euer Mewissen gesprochen hat . Andrerseits freilich ist immer noch zu wenig Substanz da , um ohne weiteres eine Verhaftung eintreten zu lassen , weshalb ich vorhabe , die Hradscheckschen Dienstleute , die doch schließlich alles am besten wissen müssen , zu vernehmen und von ihrer Aussage mein weiteres Tun oder Nichttun abhängig zu machen . Unter allen Umständen aber wollen wir alles , was Aufsehn machen könnte , nach Möglichkeit vermeiden . Ich treffe morgen gegen 2 in Tschechin ein , fahre gleich bei Dir vor und bitte Dich , Sorge zu tragen , daß ich den Knecht Jakob samt den beiden andern Personen , deren Namen ich vergessen , in Deinem Hause vorfinde . « So des Justizrats Brief . Er selbst hielt zu festgesetzter Zeit vor dem Pfarrhaus und trat in den Flur , auf dem die drei vorgeforderten Dienstleute schon standen . Vowinkel grüßte sie , sprach , in der Absicht , ihnen Mut zu machen , ein paar freundliche Worte zu jedem und ging dann , nachdem er sich aus seinem Mantel herausgewickelt , auf Eccelius ' Studierstube zu , darin nicht nur der große schwarze Kachelofen , sondern auch der wohlarrangierte Kaffeetisch jeden Eintretenden überaus anheimelnd berühren mußte . Dies war denn auch bei Vowinkel der Fall . Er wies lachend darauf hin und sagte : » Vortrefflich , Freund . Höchst einladend . Aber ich denke , wir lassen das bis nachher . Erst das Geschäftliche . Das beste wird sein , du stellst die Fragen und ich begnüge mich mit der Beisitzer-Rolle . Sie werden dir unbefangner antworten als mir . «