Zum Alm-Öhi hinauf Vom freundlichen Dorfe Maienfeld führt ein Fußweg durch grüne , baumreiche Fluren bis zum Fuße der Höhen , die von dieser Seite groß und ernst auf das Tal herniederschauen . Wo der Fußweg anfängt , beginnt bald Heideland mit dem kurzen Gras und den kräftigen Bergkräutern dem Kommenden entgegenzuduften , denn der Fußweg geht steil und direkt zu den Alpen hinauf . Auf diesem schmalen Bergpfade stieg am hellen , sonnigen Junimorgen ein großes , kräftig aussehendes Mädchen dieses Berglandes hinan , ein Kind an der Hand führend , dessen Wangen so glühend waren , daß sie selbst die sonnverbrannte , völlig braune Haut des Kindes flammendrot durchleuchteten . Es war auch kein Wunder : das Kind war trotz der heißen Junisonne so verpackt , als hätte es sich eines bitteren Frostes zu erwehren . Das kleine Mädchen mochte kaum fünf Jahre zählen ; was aber seine natürliche Gestalt war , konnte man nicht ersehen , denn es hatte sichtlich zwei , wenn nicht drei Kleider übereinander angezogen und drüberhin ein großes , rotes Baumwollentuch um und um gebunden , so daß die kleine Person eine völlig formlose Figur darstellte , die , in zwei schwere , mit Nägeln beschlagene Bergschuhe gesteckt , sich heiß und mühsam den Berg hinaufarbeitete . Eine Stunde vom Tal aufwärts mochten die beiden gestiegen sein , als sie zu dem Weiler kamen , der auf halber Höhe der Alm liegt und » im Dörfli « heißt . Hier wurden die Wandernden fast von jedem Hause aus angerufen , einmal vom Fenster , einmal von einer Haustür und einmal vom Wege her , denn das Mädchen war in seinem Heimatsort angelangt . Es machte aber nirgends Halt , sondern erwiderte alle zugerufenen Grüße und Fragen im Vorbeigehen , ohne stillzustehen , bis es am Ende des Weilers bei dem letzten der zerstreuten Häuschen angelangt war . Hier rief es aus einer Tür : » Wart einen Augenblick , Dete , ich komme mit , wenn du weiter hinaufgehst . « Die Angeredete stand still ; sofort machte sich das Kind von ihrer Hand los und setzte sich auf den Boden . » Bist du müde , Heidi ? « fragte die Begleiterin . » Nein , es ist mir heiß « , entgegnete das Kind . » Wir sind jetzt gleich oben , du mußt dich nur noch ein wenig anstrengen und große Schritte nehmen , dann sind wir in einer Stunde oben « , ermunterte die Gefährtin . Jetzt trat eine breite , gutmütig aussehende Frau aus der Tür und gesellte sich zu den beiden . Das Kind war aufgestanden und wanderte nun hinter den zwei alten Bekannten her , die sofort in ein lebhaftes Gespräch gerieten über allerlei Bewohner des » Dörfli « und vieler umherliegender Behausungen . » Aber wohin willst du eigentlich mit dem Kinde , Dete ? « fragte jetzt die neu Hinzugekommene . » Es wird wohl deiner Schwester Kind sein , das hinterlassene . « » Das ist es « , erwiderte Dete , » ich will mit ihm hinauf zum Öhi , es muß dort bleiben . « » Was , beim Alm-Öhi soll das Kind bleiben ? Du bist , denk' ich , nicht recht bei Verstand , Dete ! Wie kannst du so etwas tun ! Der Alte wird dich aber schon heimschicken mit deinem Vorhaben ! « » Das kann er nicht , er ist der Großvater , er muß etwas tun , ich habe das Kind bis jetzt gehabt , und das kann ich dir schon sagen , Barbel , daß ich einen Platz , wie ich ihn jetzt haben kann , nicht dahinten lasse um des Kindes willen ; jetzt soll der Großvater das Seinige tun . « » Ja , wenn der wäre wie andere Leute , dann schon « , bestätigte die kleine Barbel eifrig ; » aber du kennst ja den . Was wird der mit einem Kinde anfangen und dann noch einem so kleinen ! Das hält 's nicht aus bei ihm ! Aber wo willst du denn hin ? « » Nach Frankfurt « , erklärte Dete , » da bekomm ' ich einen extraguten Dienst . Die Herrschaft war schon im vorigen Sommer unten im Bad , ich habe ihre Zimmer auf meinem Gang gehabt und sie besorgt , und schon damals wollten sie mich mitnehmen , aber ich konnte nicht fortkommen , und jetzt sind sie wieder da und wollen mich mitnehmen , und ich will auch gehen , da kannst du sicher sein . « » Ich möchte nicht das Kind sein ! « rief die Barbel mit abwehrender Gebärde aus . » Es weiß ja kein Mensch , was mit dem Alten da oben ist ! Mit keinem Menschen will er etwas zu tun haben , jahraus , jahrein setzt er keinen Fuß in eine Kirche , und wenn er mit seinem dicken Stock im Jahr einmal herunterkommt , so weicht ihm alles aus und muß sich vor ihm fürchten . Mit seinen dicken grauen Augenbrauen und dem furchtbaren Bart sieht er auch aus wie ein alter Heide und Indianer , daß man froh ist , wenn man ihm nicht allein begegnet . « » Und wenn auch « , sagte Dete trotzig , » er ist der Großvater und muß für das Kind sorgen , er wird ihm wohl nichts tun , sonst hat er's zu verantworten , nicht ich . « » Ich möchte nur wissen « , sagte die Barbel forschend , » was der Alte auf dem Gewissen hat , daß er solche Augen macht und so mutterseelenallein da droben auf der Alm bleibt und sich fast nie blicken läßt . Man sagt allerhand von ihm ; du weißt doch gewiß auch etwas davon , von deiner Schwester , nicht , Dete ? « » Freilich , aber ich rede nicht ; wenn er's hörte , so käme ich schön an ! « Aber die Barbel hätte schon lange gern gewußt , wie es sich mit dem Alm-Öhi verhalte , daß er so menschenfeindlich aussehe und da oben ganz allein wohne und die Leute immer so mit halben Worten von ihm redeten , als fürchteten sie sich , gegen ihn zu sein , und wollten doch nicht für ihn sein . Auch wußte die Barbel gar nicht , warum der Alte von allen Leuten im Dörfli der Alm-Öhi genannt wurde , er konnte doch nicht der wirkliche Oheim von den sämtlichen Bewohnern sein ; da aber alle ihn so nannten , tat sie es auch und nannte den Alten nie anders als Öhi , was die Aussprache der Gegend für Oheim ist . Die Barbel hatte sich erst vor kurzer Zeit nach dem Dörfli hinauf verheiratet , vorher hatte sie unten im Prättigau gewohnt , und so war sie noch nicht so ganz bekannt mit allen Erlebnissen und besonderen Persönlichkeiten aller Zeiten vom Dörfli und der Umgegend . Die Dete , ihre gute Bekannte , war dagegen vom Dörfli gebürtig und hatte da gelebt mit ihrer Mutter bis vor einem Jahr ; da war diese gestorben , und die Dete war nach dem Bade Ragaz hinübergezogen , wo sie im großen Hotel als Zimmermädchen einen guten Verdienst fand . Sie war auch an diesem Morgen mit dem Kinde von Ragaz hergekommen ; bis Maienfeld hatte sie auf einem Heuwagen fahren können , auf dem ein Bekannter von ihr heimfuhr und sie und das Kind mitnahm . – Die Barbel wollte also diesmal die gute Gelegenheit , etwas zu vernehmen , nicht unbenutzt vorbeigehen lassen ; sie faßte vertraulich die Dete am Arm und sagte : » Von dir kann man doch vernehmen , was wahr ist und was die Leute darüber hinaus sagen ; du weißt , denk' ich , die ganze Geschichte . Sag mir jetzt ein wenig , was mit dem Alten ist und ob der immer so gefürchtet und ein solcher Menschenhasser war . « » Ob er immer so war , kann ich , denk' ich , nicht präzis wissen , ich bin jetzt sechsundzwanzig und er sicher siebzig Jahr' alt ; so hab' ich ihn nicht gesehen , wie er jung war , das wirst du nicht erwarten . Wenn ich aber wüßte , daß es nachher nicht im ganzen Prättigau herumkäme , so könnte ich dir schon allerhand erzählen von ihm ; meine Mutter war aus dem Domleschg und er auch . « » A bah , Dete , was meinst denn ? « gab die Barbel ein wenig beleidigt zurück ; » es geht nicht so streng mit dem Schwatzen im Prättigau , und dann kann ich schon etwas für mich behalten , wenn es sein muß . Erzähl mir 's jetzt , es muß dich nicht gereuen . « » Ja nu , so will ich , aber halt Wort ! « mahnte die Dete . Erst sah sie sich aber um , ob das Kind nicht zu nah sei und alles anhöre , was sie sagen wollte ; aber das Kind war gar nicht zu sehen , es mußte schon seit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt sein , diese hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt . Dete stand still und schaute sich überall um . Der Fußweg machte einige Krümmungen , doch konnte man ihn fast bis zum Dörfli hinunter übersehen , es war aber niemand darauf sichtbar . » Jetzt seh' ich 's « , erklärte die Barbel ; » siehst du dort ? « und sie wies mit dem Zeigefinger weit ab vom Bergpfad . » Es klettert die Abhänge hinauf mit dem Geißenpeter und seinen Geißen . Warum der heut' so spät hinauffährt mit seinen Tieren ? Es ist aber gerad' recht , er kann nun zu dem Kinde sehen , und du kannst mir um so besser erzählen . « » Mit dem Nach- ihm-sehen muß sich der Peter nicht anstrengen « , bemerkte die Dete ; » es ist nicht dumm für seine fünf Jahre , es tut seine Augen auf und sieht , was vorgeht , das hab' ich schon bemerkt an ihm , und es wird ihm einmal zugut ' kommen , denn der Alte hat gar nichts mehr als seine zwei Geißen und die Almhütte . « » Hat er denn einmal mehr gehabt ? « fragte die Barbel . » Der ? Ja , das denk' ich , daß er einmal mehr gehabt hat « , entgegnete eifrig die Dete ; » eins der schönsten Bauerngüter im Domleschg hat er gehabt . Er war der ältere Sohn und hatte nur noch einen Bruder , der war still und ordentlich . Aber der Ältere wollte nichts tun , als den Herrn spielen und im Lande herumfahren und mit bösem Volk zu tun haben , das niemand kannte . Den ganzen Hof hat er verspielt und verzecht , und wie es herauskam , da sind sein Vater und seine Mutter hintereinander gestorben vor lauter Gram , und der Bruder , der nun auch am Bettelstab war , ist vor Verdruß in die Welt hinaus , es weiß kein Mensch wohin , und der Öhi selber , als er nichts mehr hatte als einen bösen Namen , ist auch verschwunden . Erst wußte niemand wohin , dann vernahm man , er sei unter das Militär gegangen nach Neapel , und dann hörte man nichts mehr von ihm zwölf oder fünfzehn Jahre lang . Dann auf einmal erschien er wieder im Domleschg mit einem halberwachsenen Buben und wollte diesen in der Verwandtschaft unterzubringen suchen . Aber es schlossen sich alle Türen vor ihm , und keiner wollte mehr etwas von ihm wissen . Das erbitterte ihn sehr ; er sagte : ins Domleschg setze er keinen Fuß mehr , und dann kam er hierher ins Dörfli und lebte da mit dem Buben . Die Frau muß eine Bündnerin gewesen sein , die er dort unten getroffen und dann bald wieder verloren hatte . Er mußte noch etwas Geld haben , denn er ließ den Buben , den Tobias , ein Handwerk erlernen , Zimmermann , und der war ein ordentlicher Mensch und wohlgelitten bei allen Leuten im Dörfli . Aber dem Alten traute keiner , man sagte auch , er sei von Neapel desertiert , es wäre ihm sonst schlimm gegangen , denn er habe einen erschlagen , natürlich nicht im Krieg , verstehst du , sondern beim Raufhandel . Wir anerkannten aber die Verwandtschaft , da meiner Mutter Großmutter mit seiner Großmutter Geschwisterkind gewesen war . So nannten wir ihn Öhi , und da wir fast mit allen Leuten im Dörfli wieder verwandt sind vom Vater her , so nannten ihn diese alle auch Öhi , und seit er dann auf die Alm hinaufgezogen war , hieß er eben nur noch der › Alm-Öhi ‹ . « Aber wie ist es dann mit dem Tobias gegangen ? « fragte gespannt die Barbel . » Wart nur , das kommt schon , ich kann nicht alles auf einmal sagen « , erklärte Dete . » Also der Tobias war in der Lehre draußen in Mels , und sowie er fertig war , kam er heim ins Dörfli und nahm meine Schwester zur Frau , die Adelheid , denn sie hatten sich schon immer gern gehabt , und auch wie sie nun verheiratet waren , konnten sie 's sehr gut zusammen . Aber es ging nicht lange . Schon zwei Jahre nachher , wie er an einem Hausbau mithalf , fiel ein Balken auf ihn herunter und schlug ihn tot . Und wie man den Mann so entstellt nachhause brachte , da fiel die Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und konnte sich nicht mehr erholen , sie war sonst nicht sehr kräftig und hatte manchmal so eigene Zustände gehabt , daß man nicht recht wußte , schlief sie , oder war sie wach . Nur ein paar Wochen , nachdem der Tobias tot war , begrub man auch die Adelheid . Da sprachen alle Leute weit und breit von dem traurigen Schicksal der beiden , und leise und laut sagten sie , das sei die Strafe , die der Öhi verdient habe für sein gottloses Leben , und ihm selbst wurde es gesagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm ins Gewissen , er sollte doch jetzt Buße tun , aber er wurde nur immer grimmiger und verstockter und redete mit niemandem mehr , es ging ihm auch jeder aus dem Wege . Auf einmal hieß es , der Öhi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht mehr herunter , und seither ist er dort und lebt mit Gott und Menschen im Unfrieden . Das kleine Kind der Adelheid nahmen wir zu uns , die Mutter und ich ; es war ein Jahr alt . Wie nun im letzten Sommer die Mutter starb und ich im Bad drunten etwas verdienen wollte , nahm ich es mit und gab es der alten Ursel oben im Pfäfferserdorf an die Kost . Ich konnte auch im Winter im Bad bleiben , es gab allerhand Arbeit , weil ich zu nähen und flicken verstehe , und früh im Frühling kam die Herrschaft aus Frankfurt wieder , die ich voriges Jahr bedient hatte und die mich mitnehmen will ; übermorgen reisen wir ab , und der Dienst ist gut , das kann ich dir sagen . « » Und dem Alten da droben willst du nun das Kind übergeben ? Es nimmt mich nur wunder , was du denkst , Dete « , sagte die Barbel vorwurfsvoll . » Was meinst du denn ? « gab Dete zurück . » Ich habe das Meinige an dem Kinde getan , und was sollte ich denn mit ihm machen ? Ich denke , ich kann eines , das erst fünf Jahre alt wird , nicht mit nach Frankfurt nehmen . Aber wohin gehst du eigentlich , Barbel , wir sind ja schon halbwegs auf der Alm ? « » Ich bin auch gleich da , wo ich hin muß « , entgegnete die Barbel ; » ich habe mit der Geißenpeterin zu reden , sie spinnt mir im Winter . So leb wohl , Dete ; mit Glück ! « Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen , während diese der kleinen , dunkelbraunen Almhütte zuging , die einige Schritte seitwärts vom Pfad in einer Mulde stand , wo sie vor dem Bergwind ziemlich geschützt war . Die Hütte stand auf der halben Höhe der Alm , vom Dörfli aus gerechnet , und daß sie in einer kleinen Vertiefung des Berges stand , war gut , denn sie sah so baufällig und verfallen aus , daß es auch so noch ein gefährliches Darinwohnen sein mußte , wenn der Föhnwind so mächtig über die Berge strich , daß alles an der Hütte klapperte , Türen und Fenster , und alle die morschen Balken zitterten und krachten . Hätte die Hütte an solchen Tagen oben auf der Alm gestanden , sie wäre unverzüglich ins Tal hinabgeweht worden . Hier wohnte der Geißenpeter , der elfjährige Bube , der jeden Morgen unten im Dörfli die Geißen holte , um sie hoch auf die Alm hinaufzutreiben , um sie da die kurzen kräftigen Kräuter fressen zu lassen bis zum Abend ; dann sprang der Peter mit den leichtfüßigen Tierchen wieder herunter , tat , im Dörfli angekommen , einen schrillen Pfiff durch die Finger , und jeder Besitzer holte seine Geiß auf dem Platz . Meistens kamen kleine Buben und Mädchen , denn die friedlichen Geißen waren nicht zu fürchten , und das war denn den ganzen Sommer durch die einzige Zeit am Tage , da der Peter mit seinesgleichen verkehrte ; sonst lebte er nur mit den Geißen . Er hatte zwar daheim seine Mutter und die blinde Großmutter ; aber da er immer am Morgen sehr früh fort mußte und am Abend vom Dörfli spät heimkam , weil er sich da noch so lange als möglich mit den Kindern unterhalten mußte , so verbrachte er daheim nur gerade so viel Zeit , um am Morgen seine Milch und Brot und am Abend ebendasselbe hinunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu legen und zu schlafen . Sein Vater , der auch schon der Geißenpeter genannt worden war , weil er in früheren Jahren in demselben Berufe gestanden hatte , war vor einigen Jahren beim Holzfällen verunglückt . Seine Mutter , die zwar Brigitte hieß , wurde von jedermann um des Zusammenhangs willen die Geißenpeterin genannt , und die blinde Großmutter kannten weit und breit alt und jung nur unter dem Namen Großmutter . Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und sich nach allen Seiten umgesehen , ob die Kinder mit den Geißen noch nirgends zu sehen seien ; als dies aber nicht der Fall war , so stieg sie noch ein wenig höher , wo sie besser die ganze Alm bis hinunter übersehen konnte , und guckte nun von hier aus bald dahin , bald dorthin mit Zeichen großer Ungeduld auf dem Gesicht und in den Bewegungen . Unterdessen rückten die Kinder auf einem großen Umwege heran , denn der Peter wußte viele Stellen , wo allerhand Gutes an Sträuchern und Gebüschen für seine Geißen zu nagen war ; darum machte er mit seiner Herde vielerlei Wendungen auf dem Wege . Erst war das Kind mühsam nachgeklettert , in seiner schweren Rüstung vor Hitze und Unbequemlichkeit keuchend und alle Kräfte anstrengend . Es sagte kein Wort , blickte aber unverwandt bald auf den Peter , der mit seinen nackten Füßen und leichten Höschen ohne alle Mühe hin- und hersprang , bald auf die Geißen , die mit den dünnen , schlanken Beinchen noch leichter über Busch und Stein und steile Abhänge hinaufkletterten . Auf einmal setzte das Kind sich auf den Boden nieder , zog mit großer Schnelligkeit Schuhe und Strümpfe aus , stand wieder auf , zog sein rotes , dickes Halstuch weg , machte sein Röckchen auf , zog es schnell aus und hatte gleich noch eins auszuhäkeln , denn die Base Dete hatte ihm das Sonntagskleidchen über das Alltagszeug angezogen , um der Kürze willen , damit niemand es tragen müsse . Blitzschnell war auch das Alltagsröcklein weg , und nun stand das Kind im leichten Unterröckchen , die bloßen Arme aus den kurzen Hemdärmelchen vergnüglich in die Luft hinausstreckend . Dann legte es schön alles auf ein Häufchen , und nun sprang und kletterte es hinter den Geißen und neben dem Peter her , so leicht als nur eines aus der ganzen Gesellschaft . Der Peter hatte nicht achtgegeben , was das Kind mache , als es zurückgeblieben war . Wie es nun in der neuen Bekleidung nachgesprungen kam , zog er lustig grinsend das ganze Gesicht auseinander und schaute zurück , und wie er unten das Häuflein Kleider liegen sah , ging sein Gesicht noch ein wenig mehr auseinander , und sein Mund kam fast von einem Ohr bis zum anderen ; er sagte aber nichts . Wie nun das Kind sich so frei und leicht fühlte , fing es ein Gespräch mit dem Peter an , und er fing auch an zu reden und mußte auf vielerlei Fragen antworten , denn das Kind wollte wissen , wie viele Geißen er habe und wohin er mit ihnen gehe und was er dort tue , wo er hinkomme . So langten endlich die Kinder samt den Geißen oben bei der Hütte an und kamen der Base Dete zu Gesicht . Kaum aber hatte diese die herankletternde Gesellschaft erblickt , als sie laut aufschrie : » Heidi , was machst du ? Wie siehst du aus ? Wo hast du deinen Rock und den zweiten und das Halstuch ? Und ganz neue Schuhe habe ich dir gekauft auf den Berg und dir neue Strümpfe gemacht , und alles fort ! alles fort ! Heidi , was machst du , wo hast du alles ? « Das Kind zeigte ruhig den Berg hinunter und sagte : » Dort ! « Die Base folgte seinem Finger . Richtig , dort lag etwas und oben auf war ein roter Punkt , das mußte das Halstuch sein . » Du Unglückstropf ! « rief die Base in großer Aufregung ; » was kommt dir denn in den Sinn , warum hast du alles ausgezogen ? Was soll das sein ? « » Ich brauch' es nicht « , sagte das Kind und sah gar nicht reuevoll aus über seine Tat . » Ach du unglückseliges , vernunftloses Heidi , hast du denn auch noch gar keine Begriffe ? « jammerte und schalt die Base weiter ; » wer sollte nun wieder da hinunter , es ist ja eine halbe Stunde ! Komm , Peter , lauf du mir schnell zurück und hol das Zeug , komm schnell und steh nicht dort und glotze mich an , als wärst du am Boden festgenagelt . « » Ich bin schon zu spät « , sagte Peter langsam und blieb , ohne sich zu rühren , auf demselben Fleck stehen , von dem aus er , beide Hände in die Taschen gesteckt , dem Schreckensausbruch der Base zugehört hatte . » Du stehst ja doch nur und reißest deine Augen auf und kommst , denk' ich , nicht weit auf die Art ! « rief ihm die Base Dete zu ; » komm her , du mußt etwas Schönes haben , siehst du ? « Sie hielt ihm ein neues Fünferchen hin , das glänzte ihm in die Augen . Plötzlich sprang er auf und davon auf dem geradesten Weg die Alm hinunter und kam in ungeheuren Sätzen in kurzer Zeit bei dem Häuflein Kleider an , packte sie auf und erschien damit so schnell , daß ihn die Base rühmen mußte und ihm sogleich sein Fünfrappenstück überreichte . Peter steckte es schnell tief in seine Tasche , und sein Gesicht glänzte und lachte in voller Breite , denn ein solcher Schatz wurde ihm nicht oft zuteil . » Du kannst mir das Zeug noch tragen bis zum Öhi hinauf , du gehst ja auch den Weg « , sagte die Base Dete jetzt , indem sie sich anschickte , den steilen Abhang zu erklimmen , der gleich hinter der Hütte des Geißenpeter emporragte . Willig übernahm dieser den Auftrag und folgte der Voranschreitenden auf dem Fuße nach , den linken Arm um sein Bündel geschlungen , in der Rechten die Geißenrute schwingend . Das Heidi und die Geißen hüpften und sprangen fröhlich neben ihm her . So gelangte der Zug nach drei Viertelstunden auf die Almhöhe , wo frei auf dem Vorsprung des Berges die Hütte des alten Öhi stand , allen Winden ausgesetzt , aber auch jedem Sonnenblick zugänglich und mit der vollen Aussicht weit ins Tal hinab . Hinter der Hütte standen drei alte Tannen mit dichten , langen , unbeschnittenen Ästen . Weiter hinten ging es nochmals bergan bis hoch hinauf in die alten , grauen Felsen , erst noch über schöne , kräuterreiche Höhen , dann in steiniges Gestrüpp und endlich zu den kahlen , steilen Felsen hinan . An die Hütte festgemacht , der Talseite zu , hatte sich der Öhi eine Bank gezimmert . Hier saß er , eine Pfeife im Mund , beide Hände auf seine Knie gelegt und schaute ruhig zu , wie die Kinder , die Geißen und die Base Dete herankletterten , denn die letztere war nach und nach von den anderen überholt worden . Heidi war zuerst oben ; es ging geradeaus auf den Alten zu , streckte ihm die Hand entgegen und sagte : » Guten Abend , Großvater ! « » So , so , wie ist das gemeint ? « fragte der Alte barsch , gab dem Kinde kurz die Hand und schaute es mit einem langen , durchdringenden Blick an unter seinen buschigen Augenbrauen hervor . Heidi gab den langen Blick ausdauernd zurück , ohne nur einmal mit den Augen zu zwinkern , denn der Großvater mit dem langen Bart und den dichten , grauen Augenbrauen , die in der Mitte zusammengewachsen waren und aussahen wie eine Art Gesträuch , war so verwunderlich anzusehen , daß Heidi ihn recht betrachten mußte . Unterdessen war auch die Base herangekommen samt dem Peter , der eine Weile stillestand und zusah , was sich da ereigne . » Ich wünsche Euch guten Tag , Öhi « , sagte die Dete , hinzutretend , » und hier bring' ich Euch das Kind vom Tobias und der Adelheid . Ihr werdet es wohl nicht mehr kennen , denn seit es jährig war , habt Ihr es nie mehr gesehen . « » So , was muß das Kind bei mir ? « fragte der Alte kurz ; » und du dort « , rief er dem Peter zu , » du kannst gehen mit deinen Geißen , du bist nicht zu früh ; nimm meine mit ! « Der Peter gehorchte sofort und verschwand , denn der Öhi hatte ihn angeschaut , daß er schon genug davon hatte . » Es muß eben bei Euch bleiben , Öhi « , gab die Dete auf seine Frage zurück . » Ich habe , denk' ich , das Meinige an ihm getan die vier Jahre durch , es wird jetzt wohl an Euch sein , das Eurige auch einmal zu tun . « » So « , sagte der Alte und warf einen blitzenden Blick auf die Dete . » Und wenn nun das Kind anfängt dir nachzuflennen und zu winseln , wie kleine Unvernünftige tun , was muß ich dann mit ihm anfangen ? « » Das ist dann Eure Sache « , warf die Dete zurück ; » ich meine fast , es habe mir auch kein Mensch gesagt , wie ich es mit dem Kleinen anzufangen habe , als es mir auf den Händen lag , ein einziges Jährchen alt , und ich schon für mich und die Mutter genug zu tun hatte . Jetzt muß ich meinem Verdienst nach , und Ihr seid der Nächste am Kind ; wenn Ihr 's nicht haben könnt , so macht mit ihm , was Ihr wollt , dann habt Ihr's zu verantworten , wenn 's verdirbt , und Ihr werdet wohl nicht nötig haben , noch etwas aufzuladen . « Die Dete hatte kein recht gutes Gewissen bei der Sache , darum war sie so hitzig geworden und hatte mehr gesagt , als sie im Sinn gehabt hatte . Bei ihren letzten Worten war der Öhi aufgestanden ; er schaute sie so an , daß sie einige Schritte zurückwich ; dann streckte er den Arm aus und sagte befehlend : »Mach , daß du hinunterkommst , wo du heraufgekommen bist , und zeig dich nicht so bald wieder ! « Das ließ sich die Dete nicht zweimal sagen . » So lebt wohl , und du auch , Heidi « , sagte sie schnell und lief den Berg hinunter in einem Trab bis ins Dörfli hinab , denn die innere Aufregung trieb sie vorwärts , wie eine wirksame Dampfkraft . Im Dörfli wurde sie diesmal noch viel mehr angerufen , denn es wunderte die Leute , wo das Kind sei ; sie kannten ja alle die Dete genau und wußten , wem das Kind gehörte , und alles , was mit ihm vorgegangen war . Als es nun aus allen Türen und Fenstern tönte : » Wo ist das Kind ? Dete , wo hast du das Kind gelassen ? « rief sie immer unwilliger zurück : » Droben beim Alm-Öhi ! Nun , beim Alm-Öhi , Ihr hört 's ja ! « Sie wurde aber so maßleidig , weil die Frauen von allen Seiten ihr zuriefen : » Wie kannst du so etwas tun ! « und : » Das arme Tröpfli ! « und : » So ein kleines Hilfloses da droben lassen ! « und dann wieder und wieder : » Das arme Tröpfli ! « Die Dete lief , so schnell sie konnte , weiter und war froh , als sie nichts mehr hörte , denn es war ihr nicht wohl bei der Sache ; ihre Mutter hatte ihr beim Sterben das Kind noch übergeben . Aber sie sagte sich zur Beruhigung , sie könne dann ja eher wieder etwas für das Kind tun , wenn sie nun viel Geld verdiene , und so war sie sehr froh , daß sie bald weit von allen Leuten , die ihr dreinredeten , weg- und zu einem schönen Verdienst kommen konnte . Beim Großvater Nachdem die Dete verschwunden war , hatte der Öhi sich wieder auf die Bank hingesetzt und blies nun große Wolken aus seiner Pfeife ; dabei starrte er auf den Boden und sagte kein Wort . Derweilen schaute das Heidi vergnüglich um sich , entdeckte den Geißenstall , der an die Hütte angebaut war , und guckte hinein . Es war nichts drin . Das Kind setzte seine Untersuchungen fort und kam hinter die Hütte zu den alten Tannen . Da blies der Wind durch die Äste so stark , daß es sauste und brauste oben in den Wipfeln . Heidi blieb stehen und hörte zu . Als es ein wenig stiller wurde , ging das Kind um die kommende Ecke der Hütte herum und kam vorn wieder zum Großvater zurück . Als es diesen noch in derselben Stellung erblickte , wie es ihn verlassen hatte , stellte es sich vor ihn hin , legte die Hände auf den Rücken und betrachtete ihn . Der Großvater schaute auf . » Was willst du jetzt tun ? « fragte er , als das Kind immer noch unbeweglich vor ihm stand . » Ich will sehen , was du drinnen hast , in der Hütte « , sagte Heidi . » So komm ! « und der Großvater stand auf und ging voran in die Hütte hinein . Nimm dort dein Bündel Kleider noch mit « , befahl er im Hereintreten . » Das brauch' ich nicht mehr « , erklärte Heidi . Der Alte kehrte sich um und schaute durchdringend auf das Kind , dessen schwarze Augen glühten in Erwartung der Dinge , die da drinnen sein konnten . » Es kann ihm nicht an Verstand fehlen « , sagte er halblaut . » Warum brauchst du 's nicht mehr ? « setzte er laut hinzu . » Ich will am liebsten gehen wie die Geißen , die haben ganz leichte Beinchen . « » So , das kannst du , aber hol das Zeug « , befahl der Großvater , » es kommt in den Kasten . « Heidi gehorchte . Jetzt machte der Alte die Tür auf und Heidi trat hinter ihm her in einen ziemlich großen Raum ein , es war der Umfang der ganzen Hütte . Da stand ein Tisch und ein Stuhl daran ; in einer Ecke war des Großvaters Schlaflager , in einer anderen hing der große Kessel über dem Herd ; auf der anderen Seite war eine große Tür in der Wand , die machte der Großvater auf , es war der Schrank . Da hingen seine Kleider drin und auf einem Gestell lagen ein paar Hemden , Strümpfe und Tücher und auf einem anderen einige Teller und Tassen und Gläser und auf dem obersten ein rundes Brot und geräuchertes Fleisch und Käse , denn in dem Kasten war alles enthalten , was der Alm-Öhi besaß und zu seinem Lebensunterhalt gebrauchte . Wie er nun den Schrank aufgemacht hatte , kam das Heidi schnell heran und stieß sein Zeug hinein , so weit hinter des Großvaters Kleider als möglich , damit es nicht so leicht wiederzufinden sei . Nun sah es sich aufmerksam um in dem Raum und sagte dann : » Wo muß ich schlafen , Großvater ? « » Wo du willst « , gab dieser zur Antwort . Das war dem Heidi eben recht . Nun fuhr es in alle Winkel hinein und schaute jedes Plätzchen aus , wo am schönsten zu schlafen wäre . In der Ecke vorüber des Großvaters Lagerstätte war eine kleine Leiter aufgerichtet ; Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an . Da lag ein frischer , duftender Heuhaufen oben , und durch eine runde Luke sah man weit ins Tal hinab . » Hier will ich schlafen « , rief Heidi hinunter , » hier ist's schön ! Komm und sieh einmal , wie schön es hier ist , Großvater ! « » Weiß schon « , tönte es von unten herauf . » Ich mache jetzt das Bett ! « rief das Kind wieder , indem es oben geschäftig hin- und herfuhr ; » aber du mußt heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen , denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch , und darauf liegt man . « » So , so « , sagte unten der Großvater , und nach einer Weile ging er an den Schrank und kramte ein wenig darin herum ; dann zog er unter seinen Hemden ein langes , grobes Tuch hervor , das mußte so etwas sein wie ein Leintuch . Er kam damit die Leiter herauf . Da war auf dem Heuboden ein ganz artiges Bettlein zugerichtet ; oben , wo der Kopf liegen mußte , war das Heu hoch aufgeschichtet , und das Gesicht kam so zu liegen , daß es gerade auf das offene , runde Loch traf . » Das ist recht gemacht « , sagte der Großvater , » jetzt wird das Tuch kommen , aber wart noch « – damit nahm er einen guten Wisch Heu von dem Haufen und machte das Lager doppelt so dick , damit der harte Boden nicht durchgefühlt werden konnte - ; » so , jetzt komm her damit . « Heidi hatte das Leintuch schnell zuhanden genommen , konnte es aber fast nicht tragen , so schwer war 's ; aber das war sehr gut , denn durch das feste Zeug konnten die spitzen Heuhalme nicht durchstechen . Jetzt breiteten die beiden miteinander das Tuch über das Heu , und wo es zu breit und zu lang war , stopfte Heidi die Enden eilfertig unter das Lager . Nun sah es recht gut und reinlich aus , und Heidi stellte sich davor und betrachtete es nachdenklich . » Wir haben noch etwas vergessen , Großvater « , sagte es dann . » Was denn ? « fragte er . » Eine Decke ; denn wenn man ins Bett geht , kriecht man zwischen das Leintuch und die Decke hinein . « » So , meinst du ? Wenn ich aber keine habe ? « sagte der Alte . » O dann ist's gleich , Großvater « , beruhigte Heidi ; » dann nimmt man wieder Heu zur Decke « , und eilfertig wollte es gleich wieder an den Heustock gehen , aber der Großvater wehrte es ihm . » Wart einen Augenblick « , sagte er , stieg die Leiter hinab und ging an sein Lager hin . Dann kam er wieder und legte einen großen , schweren , leinenen Sack auf den Boden . » Ist das nicht besser als Heu ? « fragte er . Heidi zog aus Leibeskräften an dem Sacke hin und her , um ihn auseinanderzulegen , aber die kleinen Hände konnten das schwere Zeug nicht bewältigen . Der Großvater half , und wie es nun ausgebreitet auf dem Bette lag , da sah alles sehr gut und haltbar aus , und Heidi stand staunend vor seinem neuen Lager und sagte : » Das ist eine prächtige Decke und das ganze Bett ! Jetzt wollt' ich , es wäre schon Nacht , so könnte ich hineinliegen . « » Ich meine , wir könnten erst einmal etwas essen « , sagte der Großvater , » oder was meinst du ? « Heidi hatte über dem Eifer des Bettens alles andere vergessen ; nun ihm aber der Gedanke ans Essen kam , stieg ein großer Hunger in ihm auf , denn es hatte auch heute noch gar nichts bekommen , als früh am Morgen sein Stück Brot und ein paar Schlucke dünnen Kaffees , und nachher hatte es die lange Reise gemacht . So sagte Heidi ganz zustimmend : » Ja , ich mein' es auch . « » So geh hinunter , wenn wir denn einig sind « , sagte der Alte und folgte dem Kind auf dem Fuß nach . Dann ging er zum Kessel hin , schob den großen weg und drehte den kleinen heran , der an der Kette hing , setzte sich auf den hölzernen Dreifuß mit dem runden Sitz davor hin und blies ein helles Feuer an . Im Kessel fing es an zu sieden , und unten hielt der Alte an einer langen Eisengabel ein großes Stück Käse über das Feuer und drehte es hin und her , bis es auf allen Seiten goldgelb war . Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugesehen ; jetzt mußte ihm etwas Neues in den Sinn gekommen sein ; auf einmal sprang es weg und an den Schrank und von da hin und her . Jetzt kam der Großvater mit einem Topf und dem Käsebraten an der Gabel zum Tisch heran ; da lag schon das runde Brot darauf und zwei Teller und zwei Messer , alles schön geordnet , denn das Heidi hatte alles im Schrank gut wahrgenommen und wußte , daß man das alles nun gleich zum Essen brauchen werde . » So , das ist recht , daß du selbst etwas ausdenkst « , sagte der Großvater und legte den Braten auf das Brot als Unterlage ; » aber es fehlt noch etwas auf dem Tisch . « Heidi sah , wie einladend es aus dem Topf hervordampfte , und sprang schnell wieder an den Schrank . Da stand aber nur ein einziges Schüsselchen . Heidi war nicht lang in Verlegenheit , dort hinten standen zwei Gläser ; augenblicklich kam das Kind zurück und stellte Schüsselchen und Glas auf den Tisch . » Recht so ; du weißt dir zu helfen ; aber wo willst du sitzen ? « Auf dem einzigen Stuhl saß der Großvater selbst . Heidi schoß pfeilschnell zum Herd hin , brachte den kleinen Dreifuß zurück und setzte sich drauf . » Einen Sitz hast du wenigstens , das ist wahr , nur ein wenig weit unten « , sagte der Großvater ; » aber von meinem Stuhl wärst auch zu kurz , auf den Tisch zu langen ; jetzt mußt aber einmal etwas haben , so komm ! « Damit stand er auf , füllte das Schüsselchen mit Milch , stellte es auf den Stuhl und rückte den ganz nah an den Dreifuß hin , so daß das Heidi nun einen Tisch vor sich hatte . Der Großvater legte ein großes Stück Brot und ein Stück von dem goldenen Käse darauf und sagte : » Jetzt iß ! « Er selbst setzte sich nun auf die Ecke des Tisches und begann sein Mittagsmahl . Heidi ergriff sein Schüsselchen und trank und trank ohne Aufenthalt , denn der ganze Durst seiner langen Reise war ihm wieder aufgestiegen . Jetzt tat es einen langen Atemzug – denn im Eifer des Trinkens hatte es lange den Atem nicht holen können – und stellte sein Schüsselchen hin . Gefällt dir die Milch ? « fragte der Großvater . » Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken « , antwortete Heidi . » So mußt du mehr haben « , und der Großvater füllte das Schüsselchen noch einmal bis oben hin und stellte es vor das Kind , das vergnüglich in sein Brot biß , nachdem es von dem weichen Käse daraufgestrichen , denn der war , so gebraten , weich wie Butter , und das schmeckte ganz kräftig zusammen , und zwischendurch trank es seine Milch und sah sehr vergnüglich aus . Als nun das Essen zu Ende war , ging der Großvater in den Geißenstall hinaus und hatte da allerhand in Ordnung zu bringen , und Heidi sah ihm aufmerksam zu , wie er erst mit dem Besen säuberte , dann frische Streu legte , daß die Tierchen darauf schlafen konnten ; wie er dann nach dem Schöpfchen ging nebenan und hier runde Stöcke zurechtschnitt und an einem Brett herumhackte und Löcher hineinbohrte und dann die runden Stöcke hineinsteckte und aufstellte ; da war es auf einmal ein Stuhl , wie der vom Großvater , nur viel höher , und Heidi staunte das Werk an , sprachlos vor Verwunderung . » Was ist das , Heidi ? « fragte der Großvater . » Das ist mein Stuhl , weil er so hoch ist ; auf einmal war er fertig « , sagte das Kind , noch in tiefem Erstaunen und Bewunderung . » Es weiß , was es sieht , es hat die Augen am rechten Ort « , bemerkte der Großvater vor sich hin , als er nun um die Hütte herumging und hier einen Nagel einschlug und dort einen und dann an der Tür etwas zu befestigen hatte und so mit Hammer und Nägeln und Holzstücken von einem Ort zum anderen wanderte und immer etwas ausbesserte oder wegschlug , je nach dem Bedürfnis . Heidi ging Schritt für Schritt hinter ihm her und schaute ihm unverwandt mit der größten Aufmerksamkeit zu , und alles , was da vorging , war ihm sehr kurzweilig anzusehen . So kam der Abend heran . Es fing stärker an zu rauschen in den alten Tannen , ein mächtiger Wind fuhr daher und sauste und brauste durch die dichten Wipfel . Das tönte dem Heidi so schön in die Ohren und ins Herz hinein , daß es ganz fröhlich darüber wurde und hüpfte und sprang unter den Tannen umher , als hätte es eine unerhörte Freude erlebt . Der Großvater stand unter der Schopftür und schaute dem Kind zu . Jetzt ertönte ein schriller Pfiff . Heidi hielt an in seinen Sprüngen , der Großvater trat heraus . Von oben herunter kam es gesprungen , Geiß um Geiß , wie eine Jagd , und mitten drin der Peter . Mit einem Freudenruf schoß Heidi mitten in den Rudel hinein und begrüßte die alten Freunde von heute morgen einen um den anderen . Bei der Hütte angekommen , stand alles still , und aus der Herde heraus kamen zwei schöne , schlanke Geißen , eine weiße und eine braune , auf den Großvater zu und leckten seine Hände , denn er hielt ein wenig Salz darin , wie er jeden Abend zum Empfang seiner zwei Tierlein tat . Der Peter verschwand mit seiner Schar . Heidi streichelte zärtlich die eine und dann die andere von den Geißen und sprang um sie herum , um sie von der anderen Seite auch zu streicheln , und war ganz Glück und Freude über die Tierchen . » Sind sie unser , Großvater ? Sind sie beide unser ? Kommen sie in den Stall ? Bleiben sie immer bei uns ? « so fragte Heidi hintereinander in seinem Vergnügen , und der Großvater konnte kaum sein stetiges » Ja , ja ! « zwischen die eine und die andere Frage hineinbringen . Als die Geißen ihr Salz aufgeleckt hatten , sagte der Alte : » Geh und hol dein Schüsselchen heraus und das Brot . « Heidi gehorchte und kam gleich wieder . Nun melkte der Großvater gleich von der Weißen das Schüsselchen voll und schnitt ein Stück Brot ab und sagte : » Nun iß und dann geh hinauf und schlaf ! Die Base Dete hat noch ein Bündelchen abgelegt für dich , da seien Hemdlein und so etwas darin , das liegt unten im Kasten , wenn du's brauchst ; ich muß nun mit den Geißen hinein , so schlaf wohl ! « » Gut' Nacht , Großvater ! Gut' Nacht – wie heißen sie , Großvater , wie heißen sie ? « rief das Kind und lief dem verschwindenden Alten und den Geißen nach . » Die weiße heißt Schwänli und die braune Bärli « , gab der Großvater zurück . » Gut' Nacht , Schwänli , gut' Nacht , Bärli ! « rief nun Heidi noch mit Macht , denn eben verschwanden beide in den Stall hinein . Nun setzte sich Heidi noch auf die Bank und aß sein Brot und trank seine Milch ; aber der starke Wind wehte es fast von seinem Sitz herunter ; so machte es schnell fertig , ging dann hinein und stieg zu seinem Bett hinauf , in dem es auch gleich nachher so fest und herrlich schlief , als nur einer im schönsten Fürstenbett schlafen konnte . Nicht lange nachher , noch eh' es völlig dunkel war , legte auch der Großvater sich auf sein Lager , denn am Morgen war er immer schon mit der Sonne wieder draußen , und die kam sehr früh über die Berge hereingestiegen in dieser Sommerszeit . In der Nacht kam der Wind so gewaltig , daß bei seinen Stößen die ganze Hütte erzitterte und es in allen Balken krachte ; durch den Schornstein heulte und ächzte es wie Jammerstimmen , und in den alten Tannen draußen tobte es mit solcher Wut , daß hier und da ein Ast niederkrachte . Mitten in der Nacht stand der Großvater auf und sagte halblaut vor sich hin : » Es wird sich wohl fürchten . « Er stieg die Leiter hinauf und trat an Heidis Lager heran . Der Mond draußen stand einmal helleuchtend am Himmel , dann fuhren wieder die jagenden Wolken darüber hin und alles wurde dunkel . Jetzt kam der Mondschein eben leuchtend durch die runde Öffnung herein und fiel gerade auf Heidis Lager . Es hatte sich feuerrote Backen erschlafen unter seiner schweren Decke , und ruhig und friedlich lag es auf seinem runden Ärmchen und träumte von etwas Erfreulichem , denn sein Gesichtchen sah ganz wohlgemut aus . Der Großvater schaute so lange auf das friedlich schlafende Kind , bis der Mond wieder hinter die Wolken trat und es dunkel wurde , dann kehrte er auf sein Lager zurück . Auf der Weide Heidi erwachte am frühen Morgen an einem lauten Pfiff , und als es die Augen aufschlug , kam ein goldener Schein durch das runde Loch hereingeflossen auf sein Lager und auf das Heu daneben , daß alles golden leuchtete ringsherum . Heidi schaute erstaunt um sich und wußte durchaus nicht , wo es war . Aber nun hörte es draußen des Großvaters tiefe Stimme , und jetzt kam ihm alles in den Sinn : woher es gekommen war , und daß es nun auf der Alm beim Großvater sei , nicht mehr bei der alten Ursel , die fast nichts mehr hörte und meistens fror , so daß sie immer am Küchenfenster oder am Stubenofen gesessen hatte , wo dann auch Heidi hatte verweilen müssen oder doch ganz in der Nähe , damit die Alte sehen konnte , wo es war , weil sie es nicht hören konnte . Da war es dem Heidi manchmal zu eng drinnen , und es wäre lieber hinausgelaufen . So war es sehr froh , als es in der neuen Behausung erwachte und sich erinnerte , wie viel Neues es gestern gesehen hatte und was es heute wieder alles sehen könnte , vor allem das Schwänli und das Bärli . Heidi sprang eilig aus seinem Bett und hatte in wenig Minuten alles wieder angelegt , was es gestern getragen hatte , denn es war sehr wenig . Nun stieg es die Leiter hinunter und sprang vor die Hütte hinaus . Da stand schon der Geißenpeter mit seiner Schar , und der Großvater brachte eben Schwänli und Bärli aus dem Stall herbei , daß sie sich der Gesellschaft anschlössen . Heidi lief ihm entgegen , um ihm und den Geißen guten Tag zu sagen . » Willst mit auf die Weide ? « fragte der Großvater . Das war dem Heidi eben recht , es hüpfte hoch auf vor Freuden . » Aber erst waschen und sauber sein , sonst lacht einen die Sonne aus , wenn sie so schön glänzt da droben und sieht , daß du schwarz bist ; sieh , dort ist 's für dich gerichtet . « Der Großvater zeigte auf einen großen Zuber voll Wasser , der vor der Tür in der Sonne stand . Heidi sprang hin und patschte und rieb , bis es ganz glänzend war . Unterdessen ging der Großvater in die Hütte hinein und rief dem Peter zu : » Komm hierher , Geißengeneral , und bring deinen Habersack mit . « Verwundert folgte Peter dem Ruf und streckte sein Säcklein hin , in dem er sein mageres Mittagessen bei sich trug . Mach auf « , befahl der Alte und steckte nun ein großes Stück Brot und ein ebenso großes Stück Käse hinein . Der Peter machte vor Erstaunen seine runden Augen so weit auf als nur möglich , denn die beiden Stücke waren wohl die Hälfte so groß wie die zwei , die er als eignes Mittagsmahl drinnen hatte . » So , nun kommt noch das Schüsselchen hinein « , fuhr der Öhi fort , » denn das Kind kann nicht trinken wie du , nur so von der Geiß weg , es kennt das nicht . Du melkst ihm zwei Schüsselchen voll zu Mittag , denn das Kind geht mit dir und bleibt bei dir , bis du wieder herunterkommst ; gib acht , daß es nicht über die Felsen hinunterrällt , hörst du ? « – Nun kam Heidi hereingelaufen . » Kann mich die Sonne jetzt nicht auslachen , Großvater ? « fragte es angelegentlich . Es hatte sich mit dem groben Tuch , das der Großvater neben dem Wasserzuber aufgehängt hatte , Gesicht , Hals und Arme in seinem Schrecken vor der Sonne so erstaunlich gerieben , daß es krebsrot vor dem Großvater stand . Er lachte ein wenig . » Nein , nun hat sie nichts zu lachen « , bestätigte er . » Aber weißt was ? Am Abend , wenn du heimkommst , da gehst du noch ganz hinein in den Zuber , wie ein Fisch ; denn wenn man geht wie die Geißen , da bekommt man schwarze Füße . Jetzt könnt ihr ausziehen . « Nun ging es lustig die Alm hinan . Der Wind hatte in der Nacht das letzte Wölkchen weggeblasen ; dunkelblau schaute der Himmel von allen Seiten hernieder , und mitten drauf stand die leuchtende Sonne und schimmerte auf die grüne Alp , und alle die blauen und gelben Blümchen darauf machten ihre Kelche auf und schauten ihr fröhlich entgegen . Heidi sprang hierhin und dorthin und jauchzte vor Freude , denn da waren ganze Trüppchen feiner , roter Himmelsschlüsselchen bei einander , und dort schimmerte es ganz blau von den schönen Enzianen , und überall lachten und nickten die zartblätterigen , goldenen Cystusröschen in der Sonne . Vor Entzücken über all die flimmernden winkenden Blümchen vergaß Heidi sogar die Geißen und auch den Peter . Es sprang ganze Strecken voran und dann auf die Seite , denn dort funkelte es rot und da gelb und lockte Heidi auf alle Seiten . Und überall brach Heidi ganze Scharen von den Blumen und packte sie in sein Schürzchen ein , denn es wollte sie alle mit heimnehmen und ins Heu stecken in seiner Schlafkammer , daß es dort werde wie hier draußen . – So hatte der Peter heut' nach allen Seiten zu gucken , und seine kugelrunden Augen , die nicht besonders schnell hin- und hergingen , hatten mehr Arbeit , als der Peter gut bewältigen konnte , denn die Geißen machten es wie das Heidi : sie liefen auch dahin und dorthin , und er mußte überallhin pfeifen und rufen und seine Rute schwingen , um wieder alle die verlaufenen zusammenzutreiben . » Wo bist du schon wieder , Heidi ? « rief er jetzt mit ziemlich grimmiger Stimme . Da « , tönte es von irgendwoher zurück . Sehen konnte Peter niemand , denn Heidi saß am Boden hinter einem Hügelchen , das dicht mit duftenden Prünellen besät war ; da war die ganze Luft umher so mit Wohlgeruch erfüllt , daß Heidi noch nie so Liebliches eingeatmet hatte . Es setzte sich in die Blumen hinein und zog den Duft in vollen Zügen ein . » Komm nach ! « rief der Peter wieder . » Du mußt nicht über die Felsen hinunterfallen , der Öhi hat 's verboten . « » Wo sind die Felsen ? « fragte Heidi zurück , bewegte sich aber nicht von der Stelle , denn der süße Duft strömte mit jedem Windhauch dem Kinde lieblicher entgegen . » Dort oben , ganz oben , wir haben noch weit , drum komm jetzt ! Und oben am höchsten sitzt der alte Raubvogel und krächzt . « Das half . Augenblicklich sprang Heidi in die Höhe und rannte mit seiner Schürze voller Blumen dem Peter zu . » Jetzt hast genug « , sagte dieser , als sie wieder zusammen weiter kletterten ; » sonst bleibst du immer stecken , und wenn du alle nimmst , hat's morgen keine mehr . « Der letzte Grund leuchtete Heidi ein , und dann hatte es die Schürze schon so angefüllt , daß da wenig Platz mehr gewesen wäre , und morgen mußten auch noch da sein . So zog es nun mit dem Peter weiter , und die Geißen gingen nun auch geregelter , denn sie rochen die guten Kräuter von dem hohen Weideplatz schon von fern und strebten nun ohne Aufenthalt dahin . Der Weideplatz , wo Peter gewöhnlich Halt machte mit seinen Geißen und sein Quartier für den Tag aufschlug , lag am Fuße der hohen Felsen , die , erst noch von Gebüsch und Tannen bedeckt , zuletzt ganz kahl und schroff zum Himmel hinaufragen . An der einen Seite der Alp ziehen sich Felsenklüfte weit hinunter und der Großvater hatte recht , davor zu warnen . Als nun dieser Punkt der Höhe erreicht war , nahm Peter seinen Sack ab und legte ihn sorgfältig in eine kleine Vertiefung des Bodens hinein , denn der Wind kam manchmal in starken Stößen dahergefahren , und den kannte Peter und wollte seine kostbare Habe nicht den Berg hinunterrollen sehen ; dann streckte er sich lang und breit auf den sonnigen Weideboden hin , denn er mußte sich nun von der Anstrengung des Steigens erholen . Heidi hatte unterdessen sein Schürzchen losgemacht und schön fest zusammengerollt mit den Blumen darin zum Proviantsack in die Vertiefung hineingelegt , und nun setzte es sich neben den ausgestreckten Peter hin und schaute um sich . Das Tal lag weit unten im vollen Morgenglanz ; vor sich sah Heidi ein großes , weites Schneefeld sich erheben , hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf , und links davon stand eine ungeheure Felsenmasse , und zu jeder Seite derselben ragte ein hoher Felsenturm kahl und zackig in die Bläue hinauf und schaute von dort oben ganz ernsthaft auf das Heidi nieder . Das Kind saß mäuschenstill da und schaute ringsum , und weit umher war eine große , tiefe Stille ; nur ganz sanft und leise ging der Wind über die zarten , blauen Glockenblümchen und die goldnen strahlenden Cystusröschen , die überall herumstanden auf ihren dünnen Stengelchen und leise und fröhlich hin- und hernickten . Der Peter war entschlafen nach seiner Anstrengung , und die Geißen kletterten oben an den Büschen umher . Dem Heidi war es so schön zumute , wie in seinem Leben noch nie . Es trank das goldene Sonnenlicht , die frischen Lüfte , den zarten Blumenduft in sich ein und begehrte gar nichts mehr , als so da zu bleiben immerzu . So verging eine gute Zeit und Heidi hatte so oft und so lange zu den hohen Bergstöcken drüben aufgeschaut , daß es nun war , als hätten sie alle auch Gesichter bekommen und schauten ganz bekannt zu ihm hernieder , so wie gute Freunde . Jetzt hörte Heidi über sich ein lautes , scharfes Geschrei und Krächzen ertönen , und wie es aufschaute , kreiste über ihm ein so großer Vogel , wie es nie in seinem Leben gesehen hatte , mit weit ausgebreiteten Schwingen in der Luft umher , und in großen Bogen kehrte er immer wieder zurück und krächzte laut und durchdringend über Heidis Kopf . » Peter ! Peter ! erwache ! « rief Heidi laut . » Sieh , der Raubvogel ist da , sieh ! sieh ! « Peter erhob sich auf den Ruf und schaute mit Heidi dem Vogel nach , der sich nun höher und höher hinaufschwang ins Himmelblau und endlich über grauen Felsen verschwand . Wo ist er jetzt hin ? « fragte Heidi , das mit gespannter Aufmerksamkeit den Vogel verfolgt hatte . » Heim ins Nest « , war Peters Antwort . » Ist er dort oben daheim ? O wie schön so hoch oben ! Warum schreit er so ? « fragte Heidi weiter . » Weil er muß « , erklärte Peter . » Wir wollen doch dort hinaufklettern und sehen , wo er daheim ist « , schlug Heidi vor . » O ! o ! o ! « brach der Peter aus , jeden Ausruf mit verstärkter Mißbilligung hervorstoßend ; » wenn keine Geiß mehr dorthin kann und der Öhi gesagt hat , du dürfest nicht über die Felsen hinunterfallen . « Jetzt begann der Peter mit einemmal ein so gewaltiges Pfeifen und Rufen anzustimmen , daß Heidi gar nicht wußte , was begegnen sollte ; aber die Geißen mußten die Töne verstehen , denn eine nach der anderen kam heruntergesprungen , und nun war die ganze Schar auf der grünen Halde versammelt , die einen fortnagend an den würzigen Halmen , die anderen hin- und herrennend und die dritten ein wenig gegeneinanderstoßend mit ihren Hömem zum Zeirvertreib . Heidi war aufgesprungen und rannte mitten unter den Geißen umher , denn das war ihm ein neuer , unbeschreiblich vergnüglicher Anblick , wie die Tierlein durcheinandersprangen und sich lustig machten , und Heidi sprang von einem zum anderen und machte mit jedem ganz persönliche Bekanntschaft , denn jedes war eine ganz besondere Erscheinung für sich und hatte seine eigenen Manieren . Unterdessen hatte Peter den Sack herbeigeholt und alle vier Stücke , die drin waren , schön auf den Boden hingelegt in ein Viereck , die großen Stücke auf Heidis Seite und die kleinen auf die seinige hin , denn er wußte genau , wie er sie erhalten hatte . Dann nahm er das Schüsselchen und melkte schöne , frische Milch hinein vom Schwänli und stellte das Schüsselchen mitten ins Viereck . Dann rief er Heidi herbei , mußte aber länger rufen , als nach den Geißen , denn das Kind war so in Eifer und Freude über die mannigfaltigen Sprünge und Erlustigungen seiner neuen Spielkameraden , daß es nichts sah und nichts hörte außer diesen . Aber Peter wußte sich verständlich zu machen , er rief , daß es bis in die Felsen hinaufdröhnte , und nun erschien Heidi und die gedeckte Tafel sah so einladend aus , daß es um sie herumhüpfte vor Wohlgefallen . » Hör auf zu hopsen , es ist Zeit zum Essen « , sagte Peter , » jetzt sitz und fang an . « Heidi setzte sich hin . » Ist die Milch mein ? « fragte es , nochmals das schöne Viereck und den Hauptpunkt in der Mitte mit Wohlgefallen betrachtend . » Ja « , erwiderte Peter , » und die zwei großen Stücke zum Essen sind auch dein , und wenn du ausgetrunken hast , bekommst du noch ein Schüsselchen vom Schwänli und dann komm' ich . « » Und von wem bekommst du die Milch ? « wollte Heidi wissen . » Von meiner Geiß , von der Schnecke . Fang einmal zu essen an « , mahnte Peter wieder . Heidi fing bei seiner Milch an , und so wie es sein leeres Schüsselchen hinstellte , stand Peter auf und holte ein zweites herbei . Dazu brach Heidi ein Stück von seinem Brot ab , und das ganze übrige Stück , das immer noch größer war , als Peters eigenes Stück gewesen , das nun schon samt Zubehör fast zu Ende war , reichte es diesem hinüber mit dem ganzen großen Brocken Käse und sagte : » Das kannst du haben , ich habe nun genug . « Peter schaute das Heidi mit sprachloser Verwunderung an , denn noch nie in seinem Leben hätte er so sagen und etwas weggeben können . Er zögerte noch ein wenig , denn er konnte nicht recht glauben , daß es dem Heidi Ernst sei ; aber dieses hielt erst fest seine Stücke hin , und da Peter nicht zugriff , legte sie es ihm aufs Knie . Nun sah er , daß es ernst gemeint sei ; er erfaßte sein Geschenk , nickte in Dank und Zustimmung und hielt nun ein so reichliches Mittagsmahl , wie noch nie in seinem Leben als Geißbub . Heidi schaute derweilen nach den Geißen aus . » Wie heißen sie alle , Peter ? « fragte es . Das wußte dieser nun ganz genau und konnte es um so besser in seinem Kopf behalten , da er daneben wenig darin aufzubewahren hatte . Er fing also an und nannte ohne Anstoß eine nach der anderen , immer je mit dem Finger die betreffende bezeichnend . Heidi hörte mit gespannter Aufmerksamkeit der Unterweisung zu , und es währte gar nicht lange , so konnte es sie alle von einander unterscheiden und jede bei ihrem Namen nennen , denn es hatte eine jede ihre Besonderheiten , die einem gleich im Sinne bleiben mußten ; man mußte nur allem genau zusehen , und das tat Heidi . Da war der große Türk mit den starken Hörnern , der wollte mit diesen immer gegen alle anderen stoßen , und die meisten liefen davon , wenn er kam , und wollten nichts von dem groben Kameraden wissen . Nur der kecke Distelfink , das schlanke , behende Geißchen , wich ihm nicht aus , sondern rannte von sich aus manchmal drei- , viermal hintereinander so rasch und tüchtig gegen ihn an , daß der große Türk öfters ganz erstaunt da stand und nicht mehr angriff , denn der Distelfink stand ganz kriegslustig vor ihm und hatte scharfe Hörnchen . Da war das kleine , weiße Schneehöppli , das immer so eindringlich und flehentlich meckerte , daß Heidi schon mehrmals zu ihm hingelaufen war und es tröstend beim Kopf genommen hatte . Auch jetzt sprang das Kind wieder hin , denn die junge , jammernde Stimme hatte eben wieder flehentlich gerufen . Heidi legte seinen Arm um den Hals des Geißleins und fragte ganz teilnehmend : » Was hast du , Schneehöppli ? Warum rufst du so um Hilfe ? « Das Geißlein schmiegte sich nahe und vertrauensvoll an Heidi an und war jetzt ganz still . Peter rief von seinem Sitz aus , mit einigen Unterbrechungen , denn er hatte immer noch zu beißen und zu schlucken : » Es tut so , weil die Alte nicht mehr mitkommt , sie haben sie verkauft nach Maienfeld vorgestern , nun kommt sie nicht mehr auf die Alm . « » Wer ist die Alte ? « fragte Heidi zurück . » Pah , seine Mutter « , war die Antwort . » Wo ist die Großmutter ? « rief Heidi wieder . » Hat keine . « » Und der Großvater ? « » Hat keinen . « » Du armes Schneehöppli du « , sagte Heidi und drückte das Tierlein zärtlich an sich . » Aber jammere jetzt nur nicht mehr so ; siehst du , ich komme nun jeden Tag mit dir , dann bist du nicht mehr so verlassen , und wenn dir etwas fehlt , kannst du nur zu mir kommen . « Das Schneehöppli rieb ganz vergnügt seinen Kopf an Heidis Schulter und meckerte nicht mehr kläglich . Unterdessen hatte Peter sein Mittagsmahl beendet und kam nun auch wieder zu seiner Herde und zu Heidi heran , das schon wieder allerlei Betrachtungen angestellt hatte . Weitaus die zwei schönsten und saubersten Geißen der ganzen Schar waren Schwänli und Bärli , die sich auch mit einer gewissen Vornehmheit betrugen , meistens ihre eigenen Wege gingen und besonders dem zudringlichen Türk abweisend und verächtlich begegneten . – Die Tierchen hatten nun wieder begonnen , nach den Büschen hinaufzuklettern , und jedes hatte seine eigene Weise dabei , die einen leichtfertig über alles weghüpfend , die anderen bedächtlich die guten Kräutlein suchend unterwegs , der Türk hier und da seine Angriffe probierend . Schwänli und Bärli kletterten hübsch und leicht hinan und fanden oben sogleich die schönsten Büsche , stellten sich geschickt daran auf und nagten sie zierlich ab . Heidi stand mit den Händen auf dem Rücken und schaute dem allen mit der größten Aufmerksamkeit zu . » Peter « , bemerkte es jetzt dem wieder auf dem Boden Liegenden , » die schönsten von allen sind das Schwänli und das Bärli . « » Weiß schon « , war die Antwort . » Der Alm-Öhi putzt und wäscht sie und gibt ihnen Salz und hat den schönsten Stall . « Aber auf einmal sprang Peter auf und setzte in großen Sprüngen den Geißen nach , und das Heidi lief hinterdrein ; da mußte etwas begegnet sein , es konnte da nicht zurückbleiben . Der Peter sprang durch den Geißenrudel durch der Seite der Alm zu , wo die Felsen schroff und kahl weit hinabstiegen und ein unbesonnenes Geißlein , wenn es dorthin ging , leicht hinunterstürzen und alle Beine brechen konnte . Er hatte gesehen , wie der vorwitzige Distelfink nach jener Seite hin gehüpft war , und kam noch gerade recht , denn eben sprang das Geißlein dem Rande des Abgrundes zu . Peter wollte es eben packen , da stürzte er auf den Boden und konnte nur noch im Sturze ein Bein des Tierleins erwischen und es daran festhalten . Der Distelfink meckerte voller Zorn und Überraschung , daß er so am Bein festgehalten und am Fortsetzen seines fröhlichen Streifzuges gehindert war , und strebte eigensinnig vorwärts . Der Peter schrie nach Heidi , daß es ihm beistehe , denn er konnte nicht aufstehen und riß dem Distelfink fast das Bein aus . Heidi war schon da und erkannte gleich die schlimme Lage der beiden . Es riß schnell einige wohlduftende Kräuter aus dem Boden und hielt sie dem Distelfink unter die Nase und sagte begütigend : » Komm , komm , Distelfink , du mußt auch vernünftig sein ! Sieh , da kannst du hinabfallen und ein Bein brechen , das tut dir furchtbar weh . « Das Geißlein hatte sich schnell umgewandt und dem Heidi vergnüglich die Kräuter aus der Hand gefressen . Derweilen war der Peter auf seine Füße ge kommen und hatte den Distelfink an der Schnur erfaßt , an welcher sein Glöckchen um den Hals gebunden war , und Heidi erfaßte diese von der anderen Seite und so führten die beiden den Ausreißer zu der friedlich weidenden Herde zurück . Als ihn aber Peter hier in Sicherheit hatte , erhob er seine Rute und wollte ihn zur Strafe tüchtig durchprügeln , und der Distelfink wich scheu zurück , denn er merkte , was begegnen sollte . Aber Heidi schrie laut auf : » Nein , Peter , nein , du mußt ihn nicht schlagen , sieh , wie er sich fürchtet ! « » Er verdient's « , schnurrte Peter und wollte zuschlagen . Aber Heidi fiel ihm in den Arm und rief ganz entrüstet : » Du darfst ihm nichts tun , es tut ihm weh , laß ihn los ! « Peter schaute erstaunt auf das gebietende Heidi , dessen schwarze Augen ihn so anfunkelten , daß er unwillkürlich seine Rute niederhielt . » So kann er gehen , wenn du mir morgen wieder von deinem Käse gibst « , sagte dann der Peter nachgebend , denn eine Entschädigung wollte er haben für den Schrecken . » Allen kannst du haben , das ganze Stück morgen und alle Tage , ich brauche ihn gar nicht « , sagte Heidi zustimmend , » und Brot gebe ich dir auch ganz viel , wie heute ; aber dann darfst du den Distelfink nie , gar nie schlagen und auch das Schneehöppli nie und gar keine Geiß . « » Es ist mir gleich « , bemerkte Peter , und das war bei ihm so viel als eine Zusage . Jetzt ließ er den Schuldigen los , und der fröhliche Distelfink sprang in hohen Sprüngen auf und davon in die Herde hinein . – So war unvermerkt der Tag vergangen , und schon war die Sonne im Begriff , weit drüben hinter den Bergen hinabzugehen . Heidi saß wieder am Boden und schaute ganz still auf die Blauglöckchen und die Cystusröschen , die im goldenen Abendschein leuchteten , und alles Gras wurde wie golden angehaucht und die Felsen droben fingen an zu schimmern und zu funkeln , und auf einmal sprang Heidi auf und schrie : » Peter ! Peter ! es brennt ! es brennt ! alle Berge brennen und der große Schnee drüben brennt und der Himmel . O sieh ! sieh ! der hohe Felsenberg ist ganz glühend ! O der schöne , feurige Schnee ! Peter , sieh auf , sieh , das Feuer ist auch beim Raubvogel ! sieh doch die Felsen ! sieh die Tannen ! alles , alles ist im Feuer ! « Es war immer so « , sagte jetzt der Peter gemütlich und schälte an seiner Rute fort , » aber es ist kein Feuer . « » Was ist es denn ? « rief Heidi und sprang hierhin und dorthin , daß es überall hin sehe , denn es konnte gar nicht genug bekommen , so schön war 's auf allen Seiten . » Was ist es , Peter , was ist es ? « rief Heidi wieder . » Es kommt von selbst so « , erklärte Peter . » O sieh , sieh « , rief Heidi in großer Aufregung , » auf einmal werden sie rosenrot ! Sieh den mit dem Schnee und den mit den hohen , spitzigen Felsen ! Wie heißen sie , Peter ? « » Berge heißen nicht « , erwiderte dieser . » O wie schön , sieh den rosenroten Schnee ! O , und an den Felsen oben sind viele , viele Rosen ! O , nun werden sie grau ! O ! O ! Nun ist alles ausgelöscht ! Nun ist alles aus , Peter ! « Und Heidi setzte sich auf den Boden und sah so verstört aus , als ginge wirklich alles zu Ende . » Es ist morgen wieder so « , erklärte Peter . » Steh auf , nun müssen wir heim . « Die Geißen wurden herbeigepfiffen und -gerufen und die Heimfahrt angetreten . » Ist's alle Tage wieder so , alle Tage , wenn wir auf der Weide sind ? « fragte Heidi , begierig nach einer bejahenden Versicherung horchend , als es nun neben dem Peter die Alm hinunterstieg . » Meistens « , gab dieser zur Antwort . » Aber gewiß morgen wieder ? « wollte es noch wissen . » Ja , ja , morgen schon ! « versicherte Peter . Nun war Heidi wieder froh und es hatte so viele Eindrücke in sich aufgenommen und so viele Dinge gingen ihm im Sinn herum , daß es nun ganz stillschwieg , bis es bei der Almhütte ankam und den Großvater unter den Tannen sitzen sah , wo er auch eine Bank angebracht hatte und am Abend seine Geißen erwartete , die von dieser Seite herunterkamen . Heidi sprang gleich auf ihn zu und Schwänli und Bärli hinter ihm drein , denn die Geißen kannten ihren Herrn und ihren Stall . Der Peter rief dem Heidi nach : » Komm dann morgen wieder ! Gute Nacht ! « Denn es war ihm sehr daran gelegen , daß das Heidi wiederkomme . Da rannte das Heidi schnell wieder zurück und gab dem Peter die Hand und versicherte ihm , daß es wieder mitkomme , und dann sprang es mitten in die davonziehende Herde hinein und faßte noch einmal das Schneehöppli um den Hals und sagte vertraulich : » Schlaf wohl , Schneehöppli , und denk dran , daß ich morgen wiederkomme und daß du nie mehr so jämmerlich meckern mußt . « Das Schneehöppli schaute ganz freundlich und dankbar zu Heidi auf und sprang dann fröhlich der Herde nach . Heidi kam unter die Tannen zurück . » O Großvater , das war so schön ! « rief es , noch bevor es bei ihm war . » Das Feuer und die Rosen am Felsen und die blauen und gelben Blumen , und sieh , was ich hier bringe ! « Und damit schüttete Heidi seinen ganzen Blumenreichtum aus dem gefalteten Schürzchen vor den Großvater hin . Aber wie sahen die armen Blümchen aus ! Heidi erkannte sie nicht mehr . Es war alles wie Heu , und kein einziges Kelchlein stand mehr offen . » O Großvater , was haben sie ? « rief Heidi ganz erschrocken aus . » So waren sie nicht , warum sehen sie so aus ? « » Die wollen draußen stehen in der Sonne und nicht ins Schürzchen hinein « , sagte der Großvater . Dann will ich gar keine mehr mitnehmen . Aber , Großvater , warum hat der Raubvogel so gekrächzt ? « fragte Heidi nun angelegentlich . » Jetzt gehst du ins Wasser und ich in den Stall und hole Milch , und nachher kommen wir hinein zusammen in die Hütte und essen zu Nacht , dann sag' ich dir's . « So wurde getan , und wie nun später Heidi auf seinem hohen Stuhl saß vor seinem Milchschüsselchen und der Großvater neben ihm , da kam das Kind gleich wieder mit seiner Frage : » Warum krächzt der Raubvogel so und schreit immer so herunter , Großvater ? « » Der höhnt die Leute aus dort unten , daß sie so viele zusammensitzen in den Dörfern und einander bös machen . Da höhnt er hinunter : Würdet ihr auseinandergehen und jedes seinen Weg und auf eine Höhe steigen , wie ich , so wär 's euch wohler ! « Der Großvater sagte diese Worte fast wild , so daß dem Heidi das Gekrächz des Raubvogels dadurch noch eindrücklicher wurde in der Erinnerung . » Warum haben die Berge keinen Namen , Großvater ? « fragte Heidi wieder . » Die haben Namen « , erwiderte dieser , » und wenn du mir einen so beschreiben kannst , daß ich ihn kenne , so sage ich dir , wie er heißt . « Nun beschrieb Heidi den Felsenberg mit den zwei hohen Türmen genau so , wie es ihn gesehen hatte , und der Großvater sagte wohlgefällig : » Recht so , den kenn' ich , der heißt Falknis . Hast du noch einen gesehen ? « Nun beschrieb Heidi den Berg mit dem großen Schneefeld , auf dem der ganze Schnee im Feuer gestanden hatte und dann rosenrot geworden war und dann auf einmal ganz bleich und erloschen dastand . » Den erkenn' ich auch « , sagte der Großvater , » das ist die Schesaplana ; so hat es dir gefallen auf der Weide ? « Nun erzählte Heidi alles vom ganzen Tage , wie schön es gewesen , und besonders von dem Feuer am Abend , und nun sollte der Großvater auch sagen , woher es gekommen war , denn der Peter hätte nichts davon gewußt . » Siehst du « , erklärte der Großvater , » das macht die Sonne , wenn sie den Bergen gute Nacht sagt , dann wirft sie ihnen noch ihre schönsten Strahlen zu , daß sie sie nicht vergessen , bis sie am Morgen wieder kommt . « Das gefiel dem Heidi und es konnte fast nicht erwarten , daß wieder ein Tag komme , da es hinauf konnte auf die Weide und wieder sehen , wie die Sonne den Bergen gute Nacht sagte . Aber erst mußte es nun schlafen gehen , und es schlief auch die ganze Nacht herrlich auf seinem Heulager und träumte von lauter schimmernden Bergen und roten Rosen darauf und mitten drin das Schneehöppli in fröhlichen Sprüngen . Bei der Großmutter Am andern Morgen kam wieder die helle Sonne , und dann kam der Peter und die Geißen , und wieder zogen sie alle miteinander nach der Weide hinauf , und so ging es Tag für Tag , und Heidi wurde bei diesem Weideleben ganz gebräunt und so kräftig und gesund , daß ihm gar nie etwas fehlte , und so froh und glücklich lebte Heidi von einem Tag zum anderen , wie nur die lustigen Vögelein leben auf allen Bäumen im grünen Wald . Wie es nun Herbst wurde und der Wind lauter zu sausen anfing über die Berge hin , dann sagte etwa der Großvater : » Heut ' bleibst du da , Heidi ; ein Kleines , wie du bist , kann der Wind mit einem Ruck über alle Felsen ins Tal hinabwehen . « Wenn aber das am Morgen der Peter vernahm , sah er sehr unglücklich aus , denn er sah lauter Mißgeschick vor sich : einmal wußte er vor Langeweile nun gar nicht mehr was anfangen , wenn Heidi nicht bei ihm war ; dann kam er um sein reichliches Mittagsmahl , und dann waren die Geißen so störrig an diesen Tagen , daß er die doppelte Mühe mit ihnen hatte ; denn die waren nun auch so an Heidis Gesellschaft gewöhnt , daß sie nicht vorwärts wollten , wenn es nicht dabei war , und auf alle Seiten rannten . Heidi wurde niemals unglücklich , denn es sah immer irgend etwas Erfreuliches vor sich . Am liebsten ging es schon mit Hirt und Geißen auf die Weide zu den Blumen und zum Raubvogel hinauf , wo so mannigfaltige Dinge zu erleben waren mit all den verschieden gearteten Geißen ; aber auch das Hämmern und Sägen und Zimmern des Großvaters war sehr unterhaltend für Heidi ; und traf es sich , daß er gerade die schönen runden Geißkäschen zubereitete , wenn es daheimbleiben mußte , so war das ein ganz besonderes Vergnügen , dieser merkwürdigen Tätigkeit zuzuschauen , wobei der Großvater beide Arme bloß machte und damit in dem großen Kessel herumrührte . Aber vor allem anziehend war für das Heidi an solchen Windtagen das Wogen und Rauschen in den drei alten Tannen hinter der Hütte . Da mußte es immer von Zeit zu Zeit hinlaufen von allem anderen weg , was es auch sein mochte , denn so schön und wunderbar war gar nichts , wie dieses tiefe , geheimnisvolle Tosen in den Wipfeln da droben ; da stand Heidi unten und lauschte hinauf und konnte niemals genug bekommen , zu sehen und zu hören , wie das wehte und wogte und rauschte in den Bäumen mit großer Macht . Jetzt gab die Sonne nicht mehr heiß wie im Sommer , und Heidi suchte seine Strümpfe und Schuhe hervor und auch den Rock , denn nun wurde es immer frischer , und wenn das Heidi unter den Tannen stand , wurde es durchblasen wie ein dünnes Blättlein , aber es lief doch immer wieder hin und konnte nicht in der Hütte bleiben , wenn es das Windeswehen vernahm . Dann wurde es kalt , und der Peter hauchte in die Hände , wenn er früh am Morgen heraufkam , aber nicht lange ; denn auf einmal fiel über Nacht ein tiefer Schnee , und am Morgen war die ganze Alm schneeweiß und kein einziges grünes Blättlein mehr zu sehen ringsum und um . Da kam der Geißenpeter nicht mehr mit seiner Herde , und Heidi schaute ganz verwundert durch das kleine Fenster , denn nun fing es wieder zu schneien an , und die dicken Flocken fielen fort und fort , bis der Schnee so hoch wurde , daß er bis ans Fenster hinaufreichte , und dann noch höher , daß man das Fenster gar nicht mehr aufmachen konnte und man ganz verpackt war in dem Häuschen . Das kam dem Heidi so lustig vor , daß es immer von einem Fenster zum anderen rannte , um zu sehen , wie es denn noch werden wollte und ob der Schnee noch die ganze Hütte zudecken wollte , daß man müßte ein Licht anzünden am hellen Tag . Es kam aber nicht so weit , und am anderen Tag ging der Großvater hinaus – denn nun schneite es nicht mehr- und schaufelte ums ganze Haus herum und warf große , große Schneehaufen auf einander , daß es war wie hier ein Berg und dort ein Berg und dort ein Berg um die Hütte herum ; aber nun waren die Fenster wieder frei und auch die Tür , und das war gut , denn als am Nachmittag Heidi und der Großvater am Feuer saßen , jedes auf seinem Dreifuß – denn der Großvater hatte längst auch einen für das Kind gezimmert – , da polterte auf einmal etwas heran und schlug immerzu gegen die Holzschwelle und machte endlich die Tür auf . Es war der Geißenpeter ; er hatte aber nicht aus Unart so gegen die Tür gepoltert , sondern um seinen Schnee von den Schuhen abzuschlagen , die hoch hinauf davon bedeckt waren ; eigentlich der ganze Peter war von Schnee bedeckt , denn er hatte sich durch die hohen Schichten so durchkämpfen müssen , daß ganze Massen an ihm hängen geblieben und auf ihm festgefroren waren , denn es war sehr kalt . Aber er hatte nicht nachgegeben , denn er wollte zu Heidi hinauf , er hatte es jetzt acht Tage lang nicht gesehen . » Guten Abend « , sagte er im Eintreten , stellte sich gleich so nah als möglich ans Feuer heran und sagte weiter nichts mehr ; aber sein ganzes Gesicht lachte vor Vergnügen , daß er da war . Heidi schaute ihn sehr verwundert an , denn nun er so nah am Feuer war , fing es überall an ihm zu tauen an , so daß der ganze Peter anzusehen war wie ein gelinder Wasserfall . » Nun , General , wie steht's ? « sagte jetzt der Großvater . » Nun bist du ohne Armee und mußt am Griffel nagen . « » Warum muß er am Griffel nagen , Großvater ? « fragte Heidi sogleich mit Wißbegierde . » Im Winter muß er in die Schule gehen « , erklärte der Großvater ; » da lernt man lesen und schreiben , und das geht manchmal schwer , da hilft 's ein wenig nach , wenn man am Griffel nagt ; ist 's nicht wahr , General ? « » Ja , 's ist wahr « , bestätigte Peter . Jetzt war Heidis Teilnahme an der Sache wach geworden und es hatte sehr viele Fragen über die Schule und alles , was da begegnete und zu hören und zu sehen war , an den Peter zu richten , und da immer viel Zeit verfloß über einer Unterhaltung , an der Peter teilnehmen mußte , so konnte er derweilen schön trocknen von oben bis unten . Es war immer eine große Anstrengung für ihn , seine Vorstellungen in die Worte zu bringen , die bedeuteten , was er meinte ; aber diesmal hatte er's besonders streng , denn kaum hatte er eine Antwort zustande gebracht , so hatte ihm Heidi schon wieder zwei oder drei unerwartete Fragen zugeworfen und meistens solche , die einen ganzen Satz als Antwort erforderten . Der Großvater hatte sich ganz still verhalten während dieser Unterhaltung , aber es hatte ihm öfter ganz lustig um die Mundwinkel gezuckt , was ein Zeichen war , daß er zuhörte . » So , General , nun warst du im Feuer und brauchst Stärkung , komm , halt mit ! « Damit stand der Großvater auf und holte das Abendessen aus dem Schrank hervor , und Heidi rückte die Stühle zum Tisch . Unter dessen war auch eine Bank an die Wand gezimmert worden vom Großvater ; nun er nicht mehr allein war , hatte er da und dort allerlei Sitze zu zweien eingerichtet , denn Heidi hatte die Art , daß es sich überall nah zum Großvater hielt , wo er ging und stand und saß . So hatten sie alle drei gut Platz zum Sitzen und der Peter tat seine runden Augen ganz weit auf , als er sah , welch ein mächtiges Stück von dem schönen getrockneten Fleisch der Alm-Öhi ihm auf seine dicke Brotschnitte legte . So gut hatte es der Peter lange nicht gehabt . Als nun das vergnügte Mahl zu Ende war , fing es an zu dunkeln , und Peter schickte sich zur Heimkehr an . Als er nun » Gute Nacht « und » Dank Euch Gott « gesagt hatte und schon unter der Tür war , kehrte er sich noch einmal um und sagte : » Am Sonntag komm' ich wieder , heut' über acht Tag ' , und du solltest auch einmal zur Großmutter kommen , hat sie gesagt . « Das war ein ganz neuer Gedanke für Heidi , daß es zu jemandem gehen sollte , aber er faßte auf der Stelle Boden bei ihm , und gleich am folgenden Morgen war sein erstes , daß es erklärte : » Großvater , jetzt muß ich gewiß zu der Großmutter hinunter , sie erwartet mich . « » Es hat zu viel Schnee « , erwiderte der Großvater abwehrend . Aber das Vorhaben saß fest in Heidis Sinn , denn die Großmutter hatte es ja sagen lassen ; so mußte es sein . So verging kein Tag mehr , an dem das Kind nicht fünf- und sechsmal sagte : » Großvater , jetzt muß ich gewiß gehen , die Großmutter wartet ja immer auf mich . « Am vierten Tag , als es draußen knisterte und knarrte vor Kälte bei jedem Schritt und die ganze große Schneedecke ringsum hart gefroren war , aber eine schöne Sonne ins Fenster guckte , gerade auf Heidis hohen Stuhl hin , wo es am Mittagsmahl saß , da begann es wieder sein Sprüchlein : » Heut ' muß ich aber gewiß zur Großmutter gehen , es währt ihr sonst zu lange . « Da stand der Großvater auf vom Mittagstisch , stieg auf den Heuboden hinauf , brachte den dicken Sack herunter , der Heidis Bettdecke war , und sagte : » So komm ! « In großer Freude hüpfte das Kind ihm nach in die glitzernde Schneewelt hinaus . In den alten Tannen war es nun ganz still und auf allen Ästen lag der weiße Schnee und in dem Sonnenschein schimmerte und funkelte es überall von den Bäumen in solcher Pracht , daß Heidi hoch aufsprang vor Entzücken und ein Mal übers andere ausrief : » Komm heraus , Großvater , komm heraus ! Es ist lauter Silber und Gold an den Tannen ! « Denn der Großvater war in den Schopf hineingegangen und kam nun heraus mit einem breiten Stoßschlitten : da war vorn eine Stange angebracht , und von dem flachen Sitz konnte man die Füße nach vorn hinunter halten und gegen den Schneeboden stemmen und der Fahrt die Weisung geben . Hier setzte sich der Großvater hin , nachdem er erst die Tannen ringsum mit Heidi hatte beschauen müssen , nahm das Kind auf seinen Schoß , wickelte es um und um in den Sack ein , damit es hübsch warm bleibe , und drückte es fest mit dem linken Arm an sich , denn das war nötig bei der kommenden Fahrt . Dann umfaßte er mit der rechten Hand die Stange und gab einen Ruck mit beiden Füßen . Da schoß der Schlitten davon die Alm hinab mit einer solchen Schnelligkeit , daß das Heidi meinte , es fliege in der Luft wie ein Vogel , und laut aufjauchzte . Auf einmal stand der Schlitten still , gerade bei der Hütte vom Geißenpeter . Der Großvater stellte das Kind auf den Boden , wickelte es aus seiner Decke heraus und sagte : So , nun geh hinein , und wenn es anfängt dunkel zu werden , dann komm wieder heraus und mach dich auf den Weg . « Dann kehrte er um mit seinem Schlitten und zog ihn den Berg hinauf . Heidi machte die Tür auf und kam in einen kleinen Raum hinein , da sah es schwarz aus , und ein Herd war da und einige Schüsselchen auf einem Gestell , das war die kleine Küche ; dann kam gleich wieder eine Tür , die machte Heidi wieder auf und kam in eine enge Stube hinein , denn das Ganze war nicht eine Sennhütte , wie beim Großvater , wo ein einziger , großer Raum war und oben ein Heuboden , sondern es war ein kleines , uraltes Häuschen , wo alles eng war und schmal und dürftig . Als Heidi in das Stübchen trat , stand es gleich vor dem Tisch , daran saß eine Frau und flickte an Peters Wams , denn dieses erkannte Heidi sogleich . In der Ecke saß ein altes , gekrümmtes Mütterchen und spann . Heidi wußte gleich , woran es war ; es ging geradaus auf das Spinnrad zu und sagte : » Guten Tag , Großmutter , jetzt komme ich zu dir ; hast du gedacht , es währe lang , bis ich komme ? « Die Großmutter erhob den Kopf und suchte die Hand , die gegen sie ausgestreckt war , und als sie diese erfaßt hatte , befühlte sie dieselbe erst eine Weile nachdenklich in der ihrigen , dann sagte sie : » Bist du das Kind droben beim Alm-Öhi , bist du das Heidi ? « » Ja , ja « , bestätigte das Kind , » jetzt gerade bin ich mit dem Großvater im Schlitten heruntergefahren . « » Wie ist das möglich ! Du hast ja eine so warme Hand ! Sag , Brigitte , ist der Alm-Öhi selber mit dem Kind heruntergekommen ? « Peters Mutter , die Brigitte , die am Tisch geflickt hatte , war aufgestanden und betrachtete nun mit Neugierde das Kind von oben bis unten ; dann sagte sie : » Ich weiß nicht , Mutter , ob der Öhi selber heruntergekommen ist mit ihm ; es ist nicht glaublich , das Kind wird 's nicht recht wissen . « Aber das Heidi sah die Frau sehr bestimmt an und gar nicht , als sei es im ungewissen , und sagte : » Ich weiß ganz gut , wer mich in die Bettdecke gewickelt hat und mit mir heruntergeschlittelt ist ; das ist der Großvater . « » Es muß doch etwas daran sein , was der Peter so gesagt hat den Sommer durch vom Alm-Öhi , wenn wir dachten , er wisse es nicht recht « , sagte die Großmutter ; » wer hätte freilich auch glauben können , daß so etwas möglich sei ; ich dachte , das Kind lebte keine drei Wochen da oben . Wie sieht es auch aus , Brigitte ! « Diese hatte das Kind unterdessen so von allen Seiten angesehen , daß sie nun wohl berichten konnte , wie es aussah . Es ist so fein gegliedert , wie die Adelheid war « , gab sie zur Antwort ; » aber es hat die schwarzen Augen und das krause Haar , wie es der Tobias hatte und auch der Alte droben ; ich glaube , es sieht den zweien gleich . « Unterdessen war Heidi nicht müßig geblieben ; es hatte ringsum geguckt und alles genau betrachtet , was da zu sehen war . Jetzt sagte es : » Sieh , Großmutter , dort schlägt es einen Laden immer hin und her , und der Großvater würde auf der Stelle einen Nagel einschlagen , daß er wieder fest hält , sonst schlägt er auch einmal eine Scheibe ein ; sieh , sieh , wie er tut ! « » Ach , du gutes Kind « , sagte die Großmutter , » sehen kann ich es nicht , aber hören kann ich es wohl und noch viel mehr , nicht nur den Laden ; da kracht und klappert es überall , wenn der Wind kommt , und er kann überall hereinblasen ; es hält nichts mehr zusammen , und in der Nacht , wenn sie beide schlafen , ist es mir manchmal so angst und bang , es falle alles über uns zusammen und schlage uns alle drei tot ; ach , und da ist kein Mensch , der etwas ausbessern könnte an der Hütte , der Peter versteht 's nicht . « » Aber warum kannst du denn nicht sehen , wie der Laden tut , Großmutter ? Sieh jetzt wieder , dort , gerade dort . « Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger . » Ach Kind , ich kann ja gar nichts sehen , gar nichts , nicht nur den Laden nicht « , klagte die Großmutter . » Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz aufmache , daß es recht hell wird , kannst du dann sehen , Großmutter ? « » Nein , nein , auch dann nicht , es kann mir niemand mehr hell machen . « Aber wenn du hinausgehst in den ganz weißen Schnee , dann wird es dir gewiß hell ; komm nur mit mir , Großmutter , ich will dir's zeigen . « Heidi nahm die Großmutter bei der Hand und wollte sie fortziehen , denn es fing an , ihm ganz ängstlich zumute zu werden , daß es ihr nirgends hell wurde . » Laß mich nur sitzen , du gutes Kind ; es bleibt doch dunkel bei mir , auch im Schnee und in der Helle , sie dringt nicht mehr in meine Augen . « » Aber dann doch im Sommer , Großmutter « , sagte Heidi , immer ängstlicher nach einem guten Ausweg suchend ; » weißt , wenn dann wieder die Sonne ganz heiß herunterbrennt und dann › gute Nacht ‹ sagt und die Berge alle feuerrot schimmern und alle gelben Blümlein glitzern , dann wird es dir wieder schön hell ? « » Ach Kind , ich kann sie nie mehr sehen , die feurigen Berge und die goldenen Blümlein droben , es wird mir nie mehr hell auf Erden , nie mehr . « Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus . Voller Jammer schluchzte es fortwährend : » Wer kann dir denn wieder hell machen ? Kann es niemand ? Kann es gar niemand ? « Die Großmutter suchte nun das Kind zu trösten , aber es gelang ihr nicht so bald . Heidi weinte fast nie ; wenn es aber einmal anfing , dann konnte es auch fast nicht mehr aus der Betrübnis herauskommen . Die Großmutter hatte schon allerhand probiert , um das Kind zu beschwichtigen , denn es ging ihr zu Herzen , daß es so jämmerlich schluchzen mußte . Jetzt sagte sie : » Komm , du gutes Heidi , komm hier heran , ich will dir etwas sagen . Siehst du , wenn man nichts sehen kann , dann hört man so gern ein freundliches Wort , und ich höre es gern , wenn du redest ; komm , setz dich da nahe zu mir und erzähl mir etwas , was du machst da droben und was der Großvater macht , ich habe ihn früher gut gekannt ; aber jetzt hab' ich seit manchem Jahr nichts mehr gehört von ihm , als durch den Peter , aber der sagt nicht viel . « Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke ; es wischte rasch seine Tränen weg und sagte tröstlich : » Wart nur , Großmutter , ich will alles dem Großvater sagen , er macht dir schon wieder hell und macht , daß die Hütte nicht zusammenfällt , er kann alles wieder in Ordnung machen . « Die Großmutter schwieg stille , und nun fing Heidi an , ihr mit großer Lebendigkeit zu erzählen von seinem Leben mit dem Großvater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Großvater , was er alles aus Holz machen könne , Bänke und Stühle und schöne Krippen , wo man für das Schwänli und Bärli das Heu hineinlegen könnte , und einen neuen großen Wassertrog zum Baden im Sommer , und ein neues Milchschüsselchen und Löffel , und Heidi wurde immer eifriger im Beschreiben all der schönen Sachen , die so auf einmal aus einem Stück Holz herauskommen , und wie es dann neben dem Großvater stehe und ihm zuschaue und wie es das alles auch einmal machen wolle . Die Großmutter hörte mit großer Aufmerksamkeit zu , und von Zeit zu Zeit sagte sie dazwischen : » Hörst du 's auch , Brigitte ? Hörst du , was es vom Öhi sagt ? « Mit einem Mal wurde die Erzählung unterbrochen durch ein großes Gepolter an der Tür , und herein stampfte der Peter , blieb aber sogleich stille stehen und sperrte seine runden Augen ganz erstaunlich weit auf , als er das Heidi erblickte , und schnitt die allerfreundlichste Grimasse , als es ihm sogleich zurief : » Guten Abend , Peter ! « » Ist denn das möglich , daß der schon aus der Schule kommt « , rief die Großmutter ganz verwundert aus ; » so geschwind ist mir seit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen ! Guten Abend , Peterli , wie geht es mit dem Lesen ? « » Gleich « , gab der Peter zur Antwort . » So , so « , sagte die Großmutter ein wenig seufzend , » ich habe gedacht , es gäbe vielleicht eine Änderung auf die Zeit , wenn du dann zwölf Jahre alt wirst gegen den Hornung hin . « » Warum muß es eine Änderung geben , Großmutter ? « fragte Heidi gleich mit Interesse . » Ich meine nur , daß er es etwa noch hätte lernen können « , sagte die Großmutter , » das Lesen mein' ich . Ich habe dort oben auf dem Gestell ein altes Gebetbuch , da sind schöne Lieder drin , die habe ich so lange nicht mehr gehört , und im Gedächtnis habe ich sie auch nicht mehr ; da habe ich gehofft , wenn der Peterli nun lesen lerne , so könne er mir etwa ein gutes Lied lesen ; aber er kann es nicht lernen , es ist ihm zu schwer . « » Ich denke , ich muß Licht machen , es wird ja schon ganz dunkel « , sagte jetzt Peters Mutter , die immer emsig am Wams fortgeflickt hatte ; » der Nachmittag ist mir auch vergangen , ohne daß ich's merkte . « Nun sprang Heidi von seinem Stühlchen auf , streckte eilig seine Hand aus und sagte : » Gut' Nacht , Großmutter , ich muß auf der Stelle heim , wenn es dunkel wird « , und hintereinander bot es dem Peter und seiner Mutter die Hand und ging der Tür zu . Aber die Großmutter rief besorgt : » Wart , wart , Heidi ; so allein mußt du nicht fort , der Peter muß mit dir , hörst du ? Und gib acht auf das Kind , Peterli , daß es nicht umfällt , und steh nicht still mit ihm , daß es nicht friert , hörst du ? Hat es auch ein dickes Halstuch an ? « » Ich habe gar kein Halstuch an « , rief Heidi zurück , » aber ich will schon nicht frieren « ; damit war es zur Tür hinaus und huschte so behend weiter , daß der Peter kaum nachkam . Aber die Großmutter rief jammernd : » Lauf ihm nach , Brigitte , lauf , das Kind muß ja erfrieren , so bei der Nacht , nimm mein Halstuch mit , lauf schnell ! « Die Brigitte gehorchte . Die Kinder hatten aber kaum ein paar Schritte den Berg hinan getan , so sahen sie von oben herunter den Großvater kommen , und mit wenigen rüstigen Schritten stand er vor ihnen . » Recht so , Heidi , Wort gehalten ! « sagte er , packte das Kind wieder fest in seine Decke ein , nahm es auf seinen Arm und stieg den Berg hinauf . Eben hatte die Brigitte noch gesehen , wie der Alte das Kind wohlverpackt auf seinen Arm genommen und den Rückweg angetreten hatte . Sie trat mit dem Peter wieder in die Hütte ein und erzählte der Großmutter mit Verwunderung , was sie gesehen hatte . Auch diese mußte sich sehr verwundern und ein Mal über das andere sagen : » Gott Lob und Dank , daß er so ist mit dem Kind , Gott Lob und Dank ! Wenn er es nur auch wieder zu mir läßt , das Kind hat mir so wohl gemacht ! Was hat es für ein gutes Herz und wie kann es so kurzweilig erzählen ! « Und immer wieder freute sich die Großmutter , und bis sie ins Bett ging , sagte sie immer wieder : » Wenn es nur auch wiederkommt ! Jetzt habe ich doch noch etwas auf der Welt , auf das ich mich freuen kann ! Und die Brigitte stimmte jedesmal ein , wenn die Großmutter wieder dasselbe sagte , und auch der Peter nickte jedesmal zustimmend mit dem Kopf und zog seinen Mund weit auseinander vor Vergnüglichkeit und sagte : » Hab 's schon gewußt . « Unterdessen redete das Heidi in seinem Sack drinnen immerzu an den Großvater heran ; da die Stimme aber nicht durch den achtfachen Umschlag dringen konnte und er daher kein Wort verstand , sagte er : » Wart ein wenig , bis wir daheim sind , dann sag 's . « Sobald er nun , oben angekommen , in seine Hütte eingetreten war und Heidi aus seiner Hülle herausgeschält hatte , sagte es : » Großvater , morgen müssen wir den Hammer und die großen Nägel mitnehmen und den Laden festschlagen bei der Großmutter und sonst noch viele Nägel einschlagen , denn es kracht und klappert alles bei ihr . « » Müssen wir ? So , das müssen wir ? Wer hat dir das gesagt ? « fragte der Großvater . » Das hat mir kein Mensch gesagt , ich weiß es sonst « , entgegnete Heidi , » denn es hält alles nicht mehr fest und es ist der Großmutter angst und bang , wenn sie nicht schlafen kann und es so tut , und sie denkt : › jetzt fällt alles ein und gerade auf unsere Köpfe ‹ ; und der Großmutter kann man gar nicht mehr hell machen , sie weiß gar nicht , wie man es könnte , aber du kannst es schon , Großvater ; denk nur , wie traurig es ist , wenn sie immer im Dunkeln ist und es ihr dann noch angst und bang ist und es kann ihr kein Mensch helfen , als du ! Morgen wollen wir gehen und ihr helfen ; gelt , Großvater , wir wollen ? « Heidi hatte sich an den Großvater angeklammert und schaute mit zweifellosem Vertrauen zu ihm auf . Der Alte schaute eine kleine Weile auf das Kind nieder , dann sagte er : » Ja , Heidi , wir wollen machen , daß es nicht mehr so klappert bei der Großmutter , das können wir ; morgen tun wir 's . « Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hüttenraum herum und rief ein Mal ums andere : » Morgen tun wir's ! Morgen tun wir's ! « Der Großvater hielt Wort . Am folgenden Nachmittag wurde dieselbe Schlittenfahrt ausgeführt . Wie am vorhergehenden Tag stellte der Alte das Kind vor der Tür der Geißenpeter-Hütte nieder und sagte : » Nun geh hinein , und wenn's Nacht wird , komm wieder . « Dann legte er den Sack auf den Schlitten und ging um das Häuschen herum . Kaum hatte Heidi die Tür aufgemacht und war in die Stube hineingesprungen , so rief schon die Großmutter aus der Ecke : » Da kommt das Kind ! Das ist das Kind ! « und ließ vor Freuden den Faden los und das Rädchen stehen und streckte beide Hände nach dem Kinde aus . Heidi lief zu ihr , rückte gleich das niedere Stühlchen ganz nahe an sie heran , setzte sich darauf und hatte der Großmutter schon wieder eine große Menge von Dingen zu erzählen und von ihr zu erfragen . Aber auf einmal ertönten so gewaltige Schläge an das Haus , daß die Großmutter vor Schrecken so zusammenfuhr , daß sie fast das Spinnrad umwarf , und zitternd ausrief : » Ach du mein Gott , jetzt kommt's , es fällt alles zusammen ! « Aber Heidi hielt sie fest um den Arm und sagte tröstend : » Nein , nein , Großmutter , erschrick du nur nicht , das ist der Großvater mit dem Hammer , jetzt macht er alles fest , daß es dir nicht mehr angst und bang wird . « » Ach , ist auch das möglich ! Ist auch so etwas möglich ! So hat uns doch der liebe Gott nicht ganz vergessen ! « rief die Großmutter aus . » Hast du's gehört , Brigitte , was es ist , hörst du's ? Wahrhaftig , es ist ein Hammer ! Geh hinaus , Brigitte , und wenn es der Alm-Öhi ist , so sag ihm , er soll doch dann auch einen Augenblick hereinkommen , daß ich ihm auch danken kann . « Die Brigitte ging hinaus . Eben schlug der Alm-Öhi mit großer Gewalt neue Kloben in die Mauer ; Brigitte trat an ihn heran und sagte : » Ich wünsche Euch guten Abend , Öhi , und die Mutter auch , und wir haben Euch zu danken , daß Ihr uns einen solchen Dienst tut , und die Mutter möchte Euch noch gern eigens danken drinnen ; sicher , es hätte uns das nicht gerad' einer getan , wir wollen Euch auch dran denken , denn sicher – « » Macht's kurz « , unterbrach sie der Alte hier ; » was Ihr vom AlmÖhi haltet , weiß ich schon . Geht nur wieder hinein ; wo 's fehlt , find' ich selber . « Brigitte gehorchte sogleich , denn der Öhi hatte eine Art , der man sich nicht leicht widersetzte . Er klopfte und hämmerte um das ganze Häuschen herum , stieg dann das schmale Treppchen hinauf bis unter das Dach , hämmerte weiter und weiter , bis er auch den letzten Nagel eingeschlagen , den er mitgebracht hatte . Unterdessen war auch schon die Dunkelheit hereingebrochen , und kaum war er heruntergestiegen und hatte seinen Schlitten hinter dem Geißenstall hervorgezogen , als auch schon Heidi aus der Tür trat und vom Großvater wie gestern verpackt auf den Arm genommen und der Schlitten nachgezogen wurde , denn allein da drauf sitzend , wäre die ganze Umhüllung vom Heidi abgefallen , und es wäre fast oder ganz erfroren . Das wußte der Großvater wohl und hielt das Kind ganz warm in seinem Arm . So ging der Winter dahin . In das freudlose Leben der blinden Großmutter war nach langen Jahren eine Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und dunkel , einer wie der andere , denn nun hatte sie immer etwas in Aussicht , nach dem sie verlangen konnte . Vom frühen Morgen an lauschte sie auch schon auf den trippelnden Schritt , und ging dann die Tür auf und das Kind kam wirklich dahergesprungen , dann rief sie jedesmal in lauter Freude : » Gottlob ! da kommt 's wieder ! « Und Heidi setzte sich zu ihr und plauderte und erzählte so lustig von allem , was es wußte , daß es der Großmutter ganz wohl machte und ihr die Stunden dahingingen , sie merkte es nicht , und kein einziges Mal fragte sie mehr so wie früher : » Brigitte , ist der Tag noch nicht um ? « , sondern jedesmal , wenn Heidi die Tür hinter sich schloß , sagte sie : » Wie war doch der Nachmittag so kurz ; ist es nicht wahr , Brigitte ? « Und diese sagte : » Doch sicher , es ist mir , wir haben erst die Teller vom Essen weggestellt . « Und die Großmutter sagte wieder : » Wenn mir nur der Herr Gott das Kind erhält und dem Alm-Öhi den guten Willen ! Sieht es auch gesund aus , Brigitte ? « Und jedesmal erwiderte diese : » Es sieht aus wie ein Erdbeerapfel . « Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte Großmutter , und wenn es ihm wieder in den Sinn kam , daß ihr gar niemand , auch der Großvater nicht mehr hell machen konnte , überkam es immer wieder eine große Betrübnis ; aber die Großmutter sagte ihm immer wieder , daß sie am wenigsten davon leide , wenn es bei ihr sei , und Heidi kam auch an jedem schönen Wintertag heruntergefahren auf seinem Schlitten . Der Großvater hatte , ohne weitere Worte , so fortgefahren , hatte jedesmal den Hammer und allerlei andere Sachen mit aufgeladen und manchen Nachmittag durch an dem Geißenpeter-Häuschen herumgeklopft . Das hatte aber auch seine gute Wirkung ; es krachte und klapperte nicht mehr die ganzen Nächte durch , und die Großmutter sagte , so habe sie manchen Winter lang nicht mehr schlafen können , das wolle sie auch dem Öhi nie vergessen . Es kommt ein Besuch und dann noch einer , der mehr Folgen hat Schnell war der Winter und noch schneller der fröhliche Sommer darauf vergangen , und ein neuer Winter neigte sich schon wieder dem Ende zu . Heidi war glücklich und froh wie die Vöglein des Himmels und freute sich jeden Tag mehr auf die herannahenden Frühlingstage , da der warme Föhn durch die Tannen brausen und den Schnee wegfegen würde und dann die helle Sonne die blauen und gelben Blümlein hervorlocken und die Tage der Weide kommen würden , die für Heidi das Schönste mit sich brachten , was es auf Erden geben konnte . Heidi stand nun in seinem achten Jahre ; es hatte vom Großvater allerlei Kunstgriffe erlernt : mit den Geißen wußte es so gut umzugehen als nur einer , und Schwänli und Bärli liefen ihm nach wie treue Hündlein und meckerten gleich laut vor Freude , wenn sie nur seine Stimme hörten . In diesem Winter hatte Peter schon zweimal vom Schullehrer im Dörfli den Bericht gebracht , der Alm-Öhi solle das Kind , das bei ihm sei , nun in die Schule schicken , es habe schon mehr als das Alter und hätte schon im letzten Winter kommen sollen . Der Öhi hatte beide Male dem Schullehrer sagen lassen , wenn er etwas mit ihm wolle , so sei er daheim , das Kind schicke er nicht in die Schule . Diesen Bericht hatte der Peter richtig überbracht . Als die Märzsonne den Schnee an den Abhängen geschmolzen hatte und überall die weißen Schneeglöckchen hervorguckten im Tal und auf der Alm die Tannen ihre Schneelast abgeschüttelt hatten und die Äste wieder lustig wehten , da rannte Heidi vor Wonne immer hin und her von der Haustür zum Geißenstall und von da unter die Tannen und dann wieder hinein zum Großvater , um ihm zu berichten , wie viel größer das Stück grüner Boden unter den Bäumen wieder geworden sei , und gleich nachher kam es wieder , nachzusehen , denn es konnte nicht erwarten , daß alles wieder grün und der ganze schöne Sommer mit Grün und Blumen wieder auf die Alm gezogen kam . Als Heidi so am sonnigen Märzmorgen hin- und herrannte und jetzt wohl zum zehntenmal über die Türschwelle sprang , wäre es vor Schrecken fast rückwärts wieder hineingefallen , denn auf einmal stand es vor einem schwarzen alten Herrn , der es ganz ernsthaft anblickte . Als er aber seinen Schrecken sah , sagte er freundlich : » Du mußt nicht erschrecken vor mir , die Kinder sind mir lieb . Gib mir die Hand ! du wirst das Heidi sein ; wo ist der Großvater ? « » Er sitzt am Tisch und schnitzt runde Löffel von Holz « , erklärte Heidi und machte nun die Tür wieder auf . Es war der alte Herr Pfarrer aus dem Dörfli , der den Öhi vor Jahren gut gekannt hatte , als er noch unten wohnte und sein Nachbar war . Er trat in die Hütte ein , ging auf den Alten zu , der sich über sein Schnitzwerk hinbeugte , und sagte : » Guten Morgen , Nachbar . « Verwundert schaute dieser in die Höhe , stand dann auf und entgegnete : » Guten Morgen dem Herrn Pfarrer . « Dann stellte er seinen Stuhl vor den Herrn hin und fuhr fort : » Wenn der Herr Pfarrer einen Holzsitz nicht scheut , hier ist einer . « Der Herr Pfarrer setzte sich . » Ich habe Euch lange nicht gesehen , Nachbar « , sagte er dann . » Ich den Herrn Pfarrer auch nicht « , war die Antwort . » Ich komme heut' , um etwas mit Euch zu besprechen « , fing der Herr Pfarrer wieder an ; » ich denke , Ihr könnt schon wissen , was meine Angelegenheit ist , worüber ich mich mit Euch verständigen und hören will , was Ihr im Sinne habt . « Der Herr Pfarrer schwieg und schaute auf Heidi , das an der Tür stand und die neue Erscheinung aufmerksam betrachtete . » Heidi , geh zu den Geißen « , sagte der Großvater . » Kannst ein wenig Salz mitnehmen und bei ihnen bleiben , bis ich auch komme . « Heidi verschwand sofort . » Das Kind hätte schon vor dem Jahr und noch sicherer diesen Winter die Schule besuchen sollen « , sagte nun der Herr Pfarrer ; » der Lehrer hat Euch mahnen lassen , Ihr habt keine Antwort darauf gegeben ; was habt Ihr mit dem Kind im Sinn , Nachbar ? « » Ich habe im Sinn , es nicht in die Schule zu schicken « , war die Antwort . Verwundert schaute der Herr Pfarrer auf den Alten , der mit gekreuzten Armen auf seiner Bank saß und gar nicht nachgiebig aussah . » Was wollt Ihr aus dem Kinde machen ? « fragte jetzt der Herr Pfarrer . » Nichts , es wächst und gedeiht mit den Geißen und den Vögeln ; bei denen ist es ihm wohl und es lernt nichts Böses von ihnen . « » Aber das Kind ist keine Geiß und kein Vogel , es ist ein Menschenkind . Wenn es nichts Böses lernt von diesen seinen Kameraden , so lernt es auch sonst nichts von ihnen ; es soll aber etwas lernen , und die Zeit dazu ist da . Ich bin gekommen , es Euch zeitig zu sagen , Nachbar , damit Ihr Euch besinnen und einrichten könnt den Sommer durch . Dies war der letzte Winter , den das Kind so ohne allen Unterricht zugebracht hat ; nächsten Winter kommt es zur Schule , und zwar jeden Tag . « » Ich tu 's nicht , Herr Pfarrer « , sagte der Alte unentwegt . » Meint Ihr denn wirklich , es gebe kein Mittel , Euch zur Vernunft zu bringen , wenn Ihr so eigensinnig bei Eurem unvernünftigen Tun beharren wollt ? « sagte der Herr Pfarrer jetzt ein wenig eifrig . » Ihr seid weit in der Welt herumgekommen und habt viel gesehen und vieles lernen können , ich hätte Euch mehr Einsicht zugetraut , Nachbar . « » So « , sagte jetzt der Alte und seine Stimme verriet , daß es auch in seinem Innern nicht mehr so ganz ruhig war ; » und meint denn der Herr Pfarrer , ich werde wirklich im nächsten Winter am eisigen Morgen durch Sturm und Schnee ein zartgliedriges Kind den Berg hinunterschicken , zwei Stunden weit , und zur Nacht wieder heraufkommen lassen , wenn 's manchmal tobt und tut , daß unsereiner fast in Wind und Schnee ersticken müßte , und dann ein Kind wie dieses ? Und vielleicht kann sich der Herr Pfarrer auch noch der Mutter erinnern , der Adelheid ; sie war mondsüchtig und hatte Zufälle , soll das Kind auch so etwas holen mit der Anstrengung ? Es soll mir einer kommen und mich zwingen wollen ! Ich gehe vor alle Gerichte mit ihm , und dann wollen wir sehen , wer mich zwingt ! « » Ihr habt ganz recht , Nachbar « , sagte der Herr Pfarrer mit Freundlichkeit ; » es wäre nicht möglich , das Kind von hier aus zur Schule zu schicken . Aber ich kann sehen , das Kind ist Euch lieb ; tut um seinet willen etwas , das Ihr schon lange hättet tun sollen , kommt wieder ins Dörfli herunter und lebt wieder mit den Menschen . Was ist das für ein Leben hier oben , allein und verbittert gegen Gott und Menschen ! Wenn Euch einmal etwas zustoßen würde hier oben , wer würde Euch beistehen ? Ich kann auch gar nicht begreifen , daß Ihr den Winter durch nicht halb erfriert in Eurer Hütte , und wie das zarte Kind es nur aushalten kann ! « » Das Kind hat junges Blut und eine gute Decke , das möchte ich dem Herrn Pfarrer sagen , und dann noch eins : ich weiß , wo es Holz gibt , und auch , wann die gute Zeit ist , es zu holen ; der Herr Pfarrer darf in meinen Schopf hineinsehen , es ist etwas drin , in meiner Hütte geht das Feuer nie aus den Winter durch . Was der Herr Pfarrer mit dem Herunterkommen meint , ist nicht für mich ; die Menschen da unten verachten mich und ich sie auch , wir bleiben voneinander , so ist's beiden wohl . « » Nein , nein , es ist Euch nicht wohl ; ich weiß , was Euch fehlt « , sagte der Herr Pfarrer mit herzlichem Ton . » Mit der Verachtung der Menschen dort unten ist es so schlimm nicht . Glaubt mir , Nachbar : sucht Frieden mit Eurem Gott zu machen , bittet um seine Verzeihung , wo Ihr sie nötig habt , und dann kommt und seht , wie anders Euch die Menschen ansehen und wie wohl es Euch noch werden kann . « Der Herr Pfarrer war aufgestanden , er hielt dem Alten die Hand hin und sagte nochmals mit Herzlichkeit : » Ich zähle darauf , Nachbar , im nächsten Winter seid Ihr wieder unten bei uns und wir sind die alten , guten Nachbarn . Es würde mir großen Kummer machen , wenn ein Zwang gegen Euch müßte angewandt werden ; gebt mir jetzt die Hand darauf , daß Ihr herunterkommt und wieder unter uns leben wollt , ausgesöhnt mit Gott und den Menschen . « Der Alm-Öhi gab dem Herrn Pfarrer die Hand und sagte fest und bestimmt : » Der Herr Pfarrer meint es recht mit mir ; aber was er erwartet , das tu' ich nicht , ich sag' es sicher und ohne Wandel : das Kind schick ' ich nicht , und herunter komm' ich nicht . « » So helf' Euch Gott ! « sagte der Herr Pfarrer und ging traurig zur Tür hinaus und den Berg hinunter . Der Alm-Öhi war verstimmt . Als Heidi am Nachmittag sagte : » Jetzt wollen wir zur Großmutter « , erwiderte er kurz : » Heut ' nicht . « Den ganzen Tag sprach er nicht mehr , und am folgenden Morgen , als Heidi fragte : » Gehen wir heut' zur Großmutter ? « war er noch gleich kurz von Worten wie im Ton und sagte nur : » Wollen sehen . « Aber noch bevor die Schüsselchen vom Mittagessen weggestellt waren , trat schon wieder ein Besuch zur Tür herein , es war die Base Dete . Sie hatte einen schönen Hut auf dem Kopf mit einer Feder darauf und ein Kleid , das alles mitfegte , was am Boden lag , und in der Sennhütte lag da allerlei , das nicht an ein Kleid gehörte . Der Öhi schaute sie an von oben bis unten und sagte kein Wort . Aber die Base Dete hatte im Sinn , ein sehr freundliches Gespräch zu führen , denn sie fing an zu rühmen und sagte , das Heidi sehe so gut aus , sie habe es fast nicht mehr gekannt und man könne schon sehen , daß es ihm nicht schlecht gegangen sei beim Großvater . Sie habe aber gewiß auch immer darauf gedacht , es ihm wieder abzunehmen , denn sie habe ja schon begreifen können , daß ihm das Kleine im Weg sein müsse , aber in jenem Augenblick habe sie es ja nirgends sonst hintun können ; seitdem aber habe sie Tag und Nacht nachgesonnen , wo sie das Kind etwa unterbringen könnte , und deswegen komme sie auch heute , denn auf einmal habe sie etwas vernommen , da könne das Heidi zu einem solchen Glück kommen , daß sie es gar nicht habe glauben wollen . Dann sei sie aber auf der Stelle der Sache nachgegangen , und nun könne sie sagen , es sei alles so gut wie in Richtigkeit , das Heidi komme zu einem Glück , wie unter Hunderttausenden nicht eines . Furchtbar reiche Verwandte von ihrer Herrschaft , die fast im schönsten Haus in ganz Frankfurt wohnen , die haben ein einziges Töchterlein , das müsse immer im Rollstuhl sitzen , denn es sei auf einer Seite lahm und sonst nicht gesund , und so sei es fast immer allein und müsse auch allen Unterricht allein nehmen bei einem Lehrer , und das sei ihm so langweilig , und auch sonst hätte es gern eine Gespielin im Haus , und da haben sie so davon geredet bei ihrer Herrschaft , und wenn man nur so ein Kind finden könnte , wie die Dame beschrieb , die in dem Haus die Wirtschaft führte , denn ihre Herrschaft habe viel Mitgefühl und möchte dem kranken Töchterlein eine gute Gespielin gönnen . Die Wirtschaftsdame hatte nun gesagt , sie wolle so ein recht unverdorbenes , so ein eigenartiges , das nicht sei wie alle , die man so alle Tage sehe . Da habe sie selbst denn auf der Stelle an das Heidi gedacht und sei gleich hingelaufen und habe der Dame alles so beschrieben vom Heidi und so von seinem Charakter , und die Dame habe sogleich zugesagt . Nun könne gar kein Mensch wissen , was dem Heidi alles an Glück und Wohlfahrt bevorstehe , denn wenn es dann einmal dort sei und die Leute es gern mögen und es etwa mit dem eigenen Töchterchen etwas geben sollte – man könne ja nie wissen , es sei doch so schwächlich – , und wenn eben die Leute doch nicht ohne ein Kind bleiben wollten , so könnte ja das unerhörteste Glück – » Bist du bald fertig ? « unterbrach hier der Öhi , der bis dahin kein Wort dazwischengeredet hatte . » Pah « , gab die Dete zurück und warf den Kopf auf , » Ihr tut gerade , wie wenn ich Euch das ordinärste Zeug gesagt hätte , und ist doch durchs ganze Prättigau auf und ab nicht einer , der nicht Gott im Himmel dankte , wenn ich ihm die Nachricht brächte , die ich Euch gebracht habe . « » Bring sie , wem du willst , ich will nichts davon « , sagte der Öhi trocken . Aber jetzt fuhr die Dete auf wie eine Rakete und rief : » Ja , wenn Ihr es so meint , dann so will ich Euch denn schon auch sagen , wie ich es meine : das Kind ist jetzt acht Jahre alt und kann nichts und weiß nichts , und Ihr wollt es nichts lernen lassen ; Ihr wollt es in keine Schule und in keine Kirche schicken , das haben sie mir gesagt unten im Dörfli , und es ist meiner einzigen Schwester Kind ; ich hab' es zu verantworten , wie's mit ihm geht , und wenn ein Kind ein Glück erlangen kann , wie jetzt das Heidi , so kann ihm nur einer davor sein , dem es um alle Leute gleich ist und der keinem etwas Gutes wünscht . Aber ich gebe nicht nach , das sag' ich Euch , und die Leute habe ich alle für mich , es ist kein einziger unten im Dörfli , der nicht mir hilft und gegen Euch ist , und wenn Ihr's etwa wollt vor Gericht kommen lassen , so besinnt Euch wohl , Öhi ; es gibt noch Sachen , die Euch dann könnten aufgewärmt werden , die Ihr nicht gern hörtet , denn wenn man 's einmal mit dem Gericht zu tun hat , so wird noch manches aufgespürt , an das keiner mehr denkt . « Schweig ! « donnerte der Öhi heraus , und seine Augen flammten wie Feuer . » Nimm's und verdirb's ! Komm mir nie mehr vor Augen mit ihm , ich will 's nie sehen mit dem Federhut auf dem Kopf und Worten im Mund , wie dich heut ' ! « Der Öhi ging mit großen Schritten zur Tür hinaus . » Du hast den Großvater bös gemacht « , sagte Heidi und blitzte mit seinen schwarzen Augen die Base wenig freundlich an . » Er wird schon wieder gut , komm jetzt « , drängte die Base ; » wo sind deine Kleider ? « » Ich komme nicht « , sagte Heidi . » Was sagst du ? « fuhr die Base auf ; dann änderte sie den Ton ein wenig und fuhr halb freundlich , halb ärgerlich weiter : » Komm , komm , du verstehst's nicht besser , du wirst es so gut haben , wie du gar nicht weißt . « Dann ging sie an den Schrank , nahm Heidis Sachen hervor und packte sie zusammen : » So , komm jetzt , nimm dort dein Hütchen , es sieht nicht schön aus , aber es ist gleich für einmal , setz es auf und mach , daß wir fortkommen . « » Ich komme nicht « , wiederholte Heidi . » Sei doch nicht so dumm und störrig , wie eine Geiß ; denen hast du 's abgesehen . Begreif doch nur , jetzt ist der Großvater bös , du hast 's ja gehört , daß er gesagt hat , wir sollen ihm nicht mehr vor Augen kommen , er will es nun haben , daß du mit mir gehst , und jetzt mußt du ihn nicht noch böser machen . Du weißt gar nicht , wie schön es ist in Frankfurt und was du alles sehen wirst , und gefällt es dir dann nicht , so kannst du wieder heimgehen ; bis dahin ist der Großvater dann wieder gut . « » Kann ich gerad' wieder umkehren und heimkommen heut ' Abend ? « fragte Heidi . Ach was , komm jetzt ! Ich sag' dir 's ja , du kannst wieder heim , wann du willst . Heut' gehen wir bis nach Maienfeld hinunter und morgen früh sitzen wir in der Eisenbahn , mit der bist du nachher im Augenblick wieder daheim , das geht wie geflogen . « Die Base Dete hatte das Bündelchen Kleider auf den Arm und Heidi an die Hand genommen ; so gingen sie den Berg hinunter . Da es noch nicht Weidezeit war , ging der Peter noch zur Schule ins Dörfli hinunter , oder sollte doch dahin gehen ; aber er machte hier und da einen Tag Ferien , denn er dachte , es nütze nichts , dahin zu gehen , das Lesen brauche man auch nicht , und ein wenig herumfahren und große Ruten suchen , nütze etwas , denn diese könne man brauchen . So kam er eben in der Nähe seiner Hütte von der Seite her mit sichtlichem Erfolg seiner heutigen Bestrebungen , denn er trug ein ungeheures Bündel langer , dicker Haselruten auf der Achsel . Er stand still und starrte die zwei Entgegenkommenden an , bis sie bei ihm ankamen ; dann sagte er : » Wo willst du hin ? « » Ich muß nur geschwind nach Frankfurt mit der Base « , antwortete Heidi , » aber ich will zuerst noch zur Großmutter hinein , sie wartet auf mich . « » Nein , nein , keine Rede , es ist schon viel zu spät « , sagte die Base eilig und hielt das fortstrebende Heidi fest bei der Hand ; » du kannst dann gehen , wenn du wieder heimkommst , komm jetzt ! « Damit zog die Base das Heidi fest weiter und ließ es nicht mehr los , denn sie fürchtete , es könne drinnen dem Kinde wieder in den Sinn kommen , es wolle nicht fort , und die Großmutter könne ihm helfen wollen . Der Peter sprang in die Hütte hinein und schlug mit seinem ganzen Bündel Ruten so furchtbar auf den Tisch los , daß alles erzitterte und die Großmutter vor Schrecken vom Spinnrad aufsprang und laut aufjammerte . Der Peter hatte sich Luft machen müssen . » Was ist 's denn ? was ist's denn ? « rief angstvoll die Großmutter , und die Mutter , die am Tisch gesessen hatte und fast aufgeflogen war bei dem Knall , sagte in angeborener Langmut : » Was hast , Peterli ; warum tust so wüst ? « » Weil sie das Heidi mitgenommen hat « , erklärte Peter . » Wer ? Wer ? Wohin , Peterli , wohin ? « fragte die Großmutter jetzt mit neuer Angst ; sie mußte aber schnell erraten haben , was vorging , die Tochter hatte ihr ja vor kurzem berichtet , sie habe die Dete gesehen zum Alm-Öhi hinaufgehen . Ganz zitternd vor Eile , machte die Großmutter das Fenster auf und rief flehentlich hinaus : » Dete , Dete , nimm uns das Kind nicht weg ! Nimm uns das Heidi nicht ! « Die beiden Laufenden hörten die Stimme , und die Dete mochte wohl ahnen , was sie rief , denn sie faßte das Kind noch fester und lief , was sie konnte . Heidi widerstrebte und sagte : » Die Großmutter hat gerufen , ich will zu ihr . « Aber das wollte die Base gerade nicht und beschwichtigte das Kind , es solle nur schnell kommen jetzt , daß sie nicht noch zu spät kämen , sondern daß sie morgen weiter reisen könnten , es könnte ja dann sehen , wie es ihm gefallen werde in Frankfurt , daß es gar nie mehr fort wolle dort ; und wenn es doch heim wolle , so könne es ja gleich gehen und dann erst noch der Großmutter etwas mit heimbringen , was sie freue . Das war eine Aussicht für Heidi , die ihm gefiel . Es fing an zu laufen ohne Widerstreben . » Was kann ich der Großmutter heimbringen ? « fragte es nach einer Weile . » Etwas Gutes « , sagte die Base , » so schöne , weiche Weißbrötchen , da wird sie Freud' haben daran , sie kann ja doch das harte , schwarze Brot fast nicht mehr essen . « » Ja , sie gibt es immer wieder dem Peter und sagt : › Es ist mir zu hart ‹ ; das habe ich selbst gesehen « , bestätigte das Heidi . » So wollen wir geschwind gehen , Base Dete ; dann kommen wir vielleicht heut' noch nach Frankfurt , daß ich bald wieder da bin mit den Brötchen . « Heidi fing nun so zu rennen an , daß die Base mit ihrem Bündel auf dem Arm fast nicht mehr nachkam . Aber sie war sehr froh , daß es so rasch ging , denn nun kamen sie gleich zu den ersten Häusern vom Dörfli , und da konnte es wieder allerhand Reden und Fragen geben , die das Heidi wieder auf andere Gedanken bringen konnten . So lief sie stracks durch , und das Kind zog dabei noch so stark an ihrer Hand , daß alle Leute es sehen konnten , wie sie um des Kindes willen so pressieren mußte . So rief sie auf alle die Fragen und Anrufungen , die ihr aus allen Fenstern und Türen entgegentönten , nur immer zurück : » Ihr seht 's ja , ich kann jetzt nicht stillstehen , das Kind pressiert und wir haben noch weit . « » Nimmst 's mit ? « » Läuft 's dem Alm-Öhi fort ? « » Es ist nur ein Wunder , daß es noch am Leben ist ! « » Und dazu noch so rotbackig ! « So tönte es von allen Seiten , und die Dete war froh , daß sie ohne Verzug durchkam und keinen Bescheid geben mußte und auch Heidi kein Wort sagte , sondern nur immer vorwärts strebte in großem Eifer . – Von dem Tage an machte der Alm-Öhi , wenn er herunterkam und durchs Dörfli ging , ein böseres Gesicht als je zuvor . Er grüßte keinen Menschen und sah mit seinem Käsereff auf dem Rücken , mit dem ungeheuren Stock in der Hand und den zusammengezogenen dicken Brauen so drohend aus , daß die Frauen zu den kleinen Kindern sagten : » Gib acht ! Geh dem Alm-Öhi aus dem Weg , er könnte dir noch etwas tun ! « Der Alte verkehrte mit keinem Menschen im Dörfli , er ging nur durch und weit ins Tal hinab , wo er seine Käse verhandelte und seine Vorräte an Brot und Fleisch einnahm . Wenn er so vorbeigegangen war im Dörfli , dann standen hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zusammen , und jeder wußte etwas Besonderes , was er am Alm-Öhi gesehen hatte , wie er immer wilder aussehe und daß er jetzt keinem Menschen mehr auch nur einen Gruß abnehme , und alle kamen darin überein , daß es ein großes Glück sei , daß das Kind habe entweichen können , und man habe auch wohl gesehen , wie es fortgedrängt habe , so , als fürchte es , der Alte sei schon hinter ihm drein , um es zurückzuholen . Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt zum Alm-Öhi , und wer zu ihr heraufkam , um bei ihr spinnen zu lassen , oder das Gesponnene zu holen , dem erzählte sie es immer wieder , wie gut und sorgfältig der Alm-Öhi mit dem Kind gewesen sei und was er an ihr und der Tochter getan habe , wie manchen Nachmittag er an ihrem Häuschen herumgeflickt , das ohne seine Hilfe gewiß schon zusammengefallen wäre . So kamen denn auch diese Berichte ins Dörfli herunter ; aber die meisten , die sie vernahmen , sagten dann , die Großmutter sei vielleicht zu alt zum Begreifen , sie werde es wohl nicht recht verstanden haben , sie werde wohl auch nicht mehr gut hören , weil sie nichts mehr sehe . Der Alm-Öhi zeigte sich jetzt nicht mehr bei den Geißenpeters ; es war gut , daß er die Hütte so fest zusammengenagelt hatte , denn sie blieb für lange Zeit ganz unberührt . Jetzt begann die blinde Großmutter ihre Tage wieder mit Seufzen , und nicht einer verstrich , an dem sie nicht klagend sagte : » Ach , mit dem Kind ist alles Gute und alle Freude von uns genommen , und die Tage sind so leer ! Wenn ich nur noch einmal das Heidi hören könnte , eh' ich sterben muß ! « Ein neues Kapitel und lauter neue Dinge Im Hause des Herrn Sesemann in Frankfurt lag das kranke Töchterlein , Klara , in dem bequemen Rollstuhl , in welchem es den ganzen Tag sich aufhielt und von einem Zimmer ins andere gestoßen wurde . Jetzt saß es im sogenannten Studierzimmer , das neben der großen Eßstube lag und wo vielerlei Gerätschaften herumstanden und lagen , die das Zimmer wohnlich machten und zeigten , daß man hier gewöhnlich sich aufhielt . An dem großen , schönen Bücherschrank mit den Glastüren konnte man sehen , woher das Zimmer seinen Namen hatte , und daß es wohl der Raum war , wo dem lahmen Töchterchen der tägliche Unterricht erteilt wurde . Klara hatte ein blasses , schmales Gesichtchen , aus dem zwei milde , blaue Augen herausschauten , die in diesem Augenblick auf die große Wanduhr gerichtet waren , die heute besonders langsam zu gehen schien , denn Klara , die sonst kaum ungeduldig wurde , sagte jetzt mit ziemlicher Ungeduld in der Stimme : » Ist es denn immer noch nicht Zeit , Fräulein Rottenmeier ? « Die letztere saß sehr aufrecht an einem kleinen Arbeitstisch und stickte . Sie hatte eine geheimnisvolle Hülle um sich , einen großen Kragen oder Halbmantel , welcher der Persönlichkeit einen feierlichen Anstrich verlieh , der noch erhöht wurde durch eine Art von hochgebauter Kuppel , die sie auf dem Kopf trug . Fräulein Rottenmeier war schon seit mehreren Jahren , seitdem die Dame des Hauses gestorben war , im Hause Sesemann , führte die Wirtschaft und hatte die Oberaufsicht über das ganze Dienstpersonal . Herr Sesemann war meistens auf Reisen , überließ daher dem Fräulein Rottenmeier das ganze Haus , nur mit der Bedingung , daß sein Töchterlein in allem eine Stimme haben solle und nichts gegen dessen Wunsch geschehen dürfe . Während oben Klara zum zweitenmal mit Zeichen der Ungeduld Fräulein Rottenmeier befragte , ob die Zeit noch nicht da sei , da die Erwarteten erscheinen konnten , stand unten vor der Haustür die Dete mit Heidi an der Hand und fragte den Kutscher Johann , der eben vom Wagen gestiegen war , ob sie wohl Fräulein Rottenmeier so spät noch stören dürfe . » Das ist nicht meine Sache « , brummte der Kutscher ; » klingeln Sie den Sebastian herunter , drinnen im Korridor . « Dete tat , wie ihr geheißen war , und der Bediente des Hauses kam die Treppe herunter mit großen , runden Knöpfen auf seinem Aufwärterrock und fast ebenso großen runden Augen im Kopfe . » Ich wollte fragen , ob ich um diese Zeit Fräulein Rottenmeier noch stören dürfe « , brachte die Dete wie der an . » Das ist nicht meine Sache « , gab der Bediente zurück ; » klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der anderen Klingel « , und ohne weitere Auskunft verschwand der Sebastian . Dete klingelte wieder . Jetzt erschien auf der Treppe die Jungfer Tinette mit einem blendend weißen Deckelchen auf der Mitte des Kopfes und einer spöttischen Miene auf dem Gesicht . » Was ist ? « fragte sie auf der Treppe , ohne herunterzukommen . Dete wiederholte ihr Gesuch . Jungfer Tinette verschwand , kam aber bald wieder und rief von der Treppe herunter : » Sie sind erwartet ! « Jetzt stieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat , der Jungfer Tinette folgend , in das Studierzimmer ein . Hier blieb Dete höflich an der Tür stehen , Heidi immer fest an der Hand haltend , denn sie war gar nicht sicher , was dem Kinde etwa begegnen konnte auf diesem so fremden Boden . Fräulein Rottenmeier erhob sich langsam von ihrem Sitz und kam näher , um die angekommene Gespielin der Tochter des Hauses zu betrachten . Der Anblick schien sie nicht zu befriedigen . Heidi hatte sein einfaches Baumwollröckchen an und sein altes , zerdrücktes Strohhütchen auf dem Kopf . Das Kind guckte sehr harmlos darunter hervor und betrachtete mit unverhehlter Verwunderung den Turmbau auf dem Kopf der Dame . » Wie heißest du ? « fragte Fräulein Rottenmeier , nachdem auch sie einige Minuten lang forschend das Kind angesehen hatte , das kein Auge von ihr verwandte . » Heidi « , antwortete es deutlich und mit klangvoller Stimme . » Wie ? wie ? das soll doch wohl kein christlicher Name sein ? So bist du doch nicht getauft worden . Welchen Namen hast du in der Taufe erhalten ? « fragte Fräulein Rottenmeier weiter . » Das weiß ich jetzt nicht mehr « , entgegnete Heidi . » Ist das eine Antwort ! « bemerkte die Dame mit Kopfschütteln . » Jungfer Dete , ist das Kind einfältig oder schnippisch ? « » Mit Erlaubnis und wenn es die Dame gestattet , so will ich gern reden für das Kind , denn es ist sehr unerfahren « , sagte die Dete , nachdem sie dem Heidi heimlich einen kleinen Stoß gegeben hatte für die unpassende Antwort . » Es ist aber nicht einfältig und auch nicht schnippisch , davon weiß es gar nichts ; es meint alles so , wie es redet . Aber es ist heut' zum erstenmal in einem Herrenhaus und kennt die gute Manier nicht ; aber es ist willig und nicht ungelehrig , wenn die Dame wollte gütige Nachsicht haben . Es ist Adelheid getauft worden , wie seine Mutter , meine Schwester selig . « » Nun wohl , dies ist doch ein Name , den man sagen kann « , bemerkte Fräulein Rottenmeier . » Aber , Jungfer Dete , ich muß Ihnen doch sagen , daß mir das Kind für sein Alter sonderbar vorkommt . Ich habe Ihnen mitgeteilt , die Gespielin für Fräulein Klara müßte in ihrem Alter sein , um denselben Unterricht mit ihr zu verfolgen und überhaupt ihre Beschäftigungen zu teilen . Fräulein Klara hat das zwölfte Jahr zurückgelegt ; wie alt ist das Kind ? « » Mit Erlaubnis der Dame « , fing die Dete wieder beredt an , » es war mir eben selber nicht mehr so ganz gegenwärtig , wie alt es sei ; es ist wirklich ein wenig jünger , viel trifft es nicht an , ich kann's so ganz genau nicht sagen , es wird so um das zehnte Jahr , oder so noch etwas dazu sein , nehm' ich an . « » Jetzt bin ich acht , der Großvater hat's gesagt « , erklärte Heidi . Die Base stieß es wieder an , aber Heidi hatte keine Ahnung , warum , und wurde keineswegs verlegen . » Was , erst acht Jahre alt ? « rief Fräulein Rottenmeier mit einiger Entrüstung aus . » Vier Jahre zu wenig ! Was soll das geben ! Und was hast du denn gelernt ? was hast du für Bücher gehabt bei deinem Unterricht ? « » Keine « , sagte Heidi . » Wie ? Was ? Wie hast du denn lesen gelernt ? « fragte die Dame weiter . » Das hab' ich nicht gelernt und der Peter auch nicht « , berichtete Heidi . » Barmherzigkeit ! du kannst nicht lesen ? du kannst wirklich nicht lesen ! « rief Fräulein Rottenmeier im höchsten Schrecken aus . » Ist es die Möglichkeit , nicht lesen ! Was hast du denn aber gelernt ? « » Nichts « , sagte Heidi der Wahrheit gemäß . » Jungfer Dete « , sagte Fräulein Rottenmeier nach einigen Minuten , in denen sie nach Fassung rang , » es ist alles nicht nach Abrede , wie konnten Sie mir dieses Wesen zuführen ? « Aber die Dete ließ sich nicht so bald einschüchtern ; sie antwortete herzhaft : » Mit Erlaubnis der Dame , das Kind ist gerade , was ich dachte , daß sie haben wolle ; die Dame hat mir beschrieben , wie es sein müsse , so ganz apart und nicht wie die anderen , und so mußte ich das kleine nehmen , denn die größeren sind bei uns dann nicht mehr so apart , und ich dachte , dieses passe wie gemacht auf die Beschreibung . Jetzt muß ich aber gehen , denn meine Herrschaft erwartet mich ; ich will , wenn 's meine Herrschaft erlaubt , bald wieder kommen und nachsehen , wie es geht mit ihm . « Mit einem Knix war die Dete zur Tür hinaus und die Treppe hinunter mit schnellen Schritten . Fräulein Rottenmeier stand einen Augenblick noch da , dann lief sie der Dete nach ; es war ihr wohl in den Sinn gekommen , daß sie noch eine Menge von Dingen mit der Base besprechen wollte , wenn das Kind wirklich dableiben sollte , und da war es doch nun einmal und , wie sie bemerkte , hatte die Base fest im Sinn , es da zu lassen . Heidi stand noch auf demselben Platz an der Tür , wo es von Anfang an gestanden hatte . Bis dahin hatte Klara von ihrem Sessel aus schweigend allem zugesehen . Jetzt winkte sie Heidi : » Komm hierher ! « Heidi trat an den Rollstuhl heran . » Willst du lieber Heidi heißen oder Adelheid ? « fragte Klara . » Ich heiße nur Heidi und sonst nichts « , war Heidis Antwort . » So will ich dich immer so nennen « , sagte Klara ; » der Name gefällt mir für dich , ich habe ihn aber nie gehört , ich habe aber auch nie ein Kind gesehen , das so aussieht wie du . Hast du immer nur so kurzes , krauses Haar gehabt ? « » Ja , ich denk 's « , gab Heidi zur Antwort . Bist du gern nach Frankfurt gekommen ? « fragte Klara weiter . » Nein , aber morgen geh' ich dann wieder heim und bringe der Großmutter weiße Brötchen ! « erklärte Heidi . » Du bist aber ein kurioses Kind ! « fuhr jetzt Klara auf . » Man hat dich ja expreß nach Frankfurt kommen lassen , daß du bei mir bleibest und die Stunden mit mir nehmest , und siehst du , es wird nun ganz lustig , weil du gar nicht lesen kannst , nun kommt etwas ganz Neues in den Stunden vor . Sonst ist es manchmal so schrecklich langweilig und der Morgen will gar nicht zu Ende kommen . Denn siehst du , alle Morgen um zehn Uhr kommt der Herr Kandidat , und dann fangen die Stunden an und dauern bis um zwei Uhr , das ist so lange . Der Herr Kandidat nimmt auch manchmal das Buch ganz nahe ans Gesicht heran , so , als wäre er auf einmal ganz kurzsichtig geworden , aber er gähnt nur furchtbar hinter dem Buch , und Fräulein Rottenmeier nimmt auch von Zeit zu Zeit ihr großes Taschentuch hervor und hält es vor das ganze Gesicht hin , so , als sei sie ganz ergriffen von etwas , das wir lesen ; aber ich weiß recht gut , daß sie nur ganz schrecklich gähnt dahinter , und dann sollte ich auch so stark gähnen und muß es immer hinunterschlucken , denn wenn ich nur ein einziges Mal herausgähne , so holt Fräulein Rottenmeier gleich den Fischtran und sagt , ich sei wieder schwach , und Fischtran nehmen ist das Allerschrecklichste , da will ich noch lieber Gähnen schlucken . Aber nun wird 's viel kurzweiliger , da kann ich dann zuhören , wie du lesen lernst . « Heidi schüttelte ganz bedenklich mit dem Kopf , als es vom Lesenlernen hörte . » Doch , doch , Heidi , natürlich mußt du lesen lernen , alle Menschen müssen , und der Herr Kandidat ist sehr gut , er wird niemals böse , und er erklärt dir dann schon alles . Aber siehst du , wenn er etwas erklärt , dann verstehst du nichts davon ; dann mußt du nur warten und gar nichts sagen , sonst erklärt er dir noch viel mehr und du verstehst es noch weniger . Aber dann nachher , wenn du etwas gelernt hast , und es weißt , dann verstehst du schon , was er gemeint hat . « Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wieder ins Zimmer zurück ; sie hatte Dete nicht mehr zurückrufen können und war sichtlich aufgeregt davon , denn sie hatte dieser eigentlich gar nicht einläßlich sagen können , was alles nicht nach Abrede sei bei dem Kinde , und da sie nicht wußte , was nun zu tun sei , um ihren Schritt rückgängig zu machen , war sie um so aufgeregter , denn sie selbst hatte die ganze Sache angestiftet . Sie lief nun vom Studierzimmer ins Eßzimmer hinüber , und von da wieder zurück , und kehrte dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebastian an , der seine runden Augen eben nachdenklich über den gedeckten Tisch gleiten ließ , um zu sehen , ob sein Werk keinen Mangel habe . Denk' Er morgen Seine großen Gedanken fertig und mach' Er , daß man heut' noch zutische komme . « Mit diesen Worten fuhr Fräulein Rottenmeier an Sebastian vorbei und rief nach der Tinette mit so wenig einladendem Ton , daß die Jungfer Tinette mit noch viel kleineren Schritten herantrippelte als sonst gewöhnlich – und sich mit so spöttischem Gesicht hinstellte , daß selbst Fräulein Rottenmeier nicht wagte , sie anzufahren ; um so mehr schlug ihr die Aufregung nach innen . » Das Zimmer der Angekommenen ist in Ordnung zu bringen , Tinette « , sagte die Dame mit schwer errungener Ruhe ; » es liegt alles bereit , nehmen Sie noch den Staub von den Möbeln weg . « » Es ist der Mühe wert « , spöttelte Tinette und ging . Unterdessen hatte Sebastian die Doppeltüren zum Studierzimmer mit ziemlichem Knall aufgeschlagen , denn er war sehr ergrimmt , aber sich in Antworten Luft zu machen durfte er nicht wagen Fräulein Rottenmeier gegenüber ; dann trat er ganz gelassen ins Studierzimmer , um den Rollstuhl hinüberzustoßen . Während er den Griff hinten am Stuhl , der sich verschoben hatte , zurechtdrehte , stellte sich Heidi vor ihn hin und schaute ihn unverwandt an , was er bemerkte . Auf einmal fuhr er auf . » Na , was ist denn da Besonderes dran ? « schnurrte er Heidi an in einer Weise , wie er es wohl nicht getan , hätte er Fräulein Rottenmeier gesehen , die eben wieder auf der Schwelle stand und gerade hereintrat , als Heidi entgegnete : » Du siehst dem Geißenpeter gleich . « Entsetzt schlug die Dame ihre Hände zusammen . » Ist es die Möglichkeit ! « stöhnte sie halblaut . » Nun duzt sie mir den Bedienten ! Dem Wesen fehlen alle Urbegriffe ! « Der Stuhl kam herangerollt und Klara wurde von Sebastian hinausgeschoben und auf ihren Sessel an den Tisch gesetzt . Fräulein Rottenmeier setzte sich neben sie und winkte Heidi , es sollte den Platz ihr gegenüber einnehmen . Sonst kam niemand zutische , und es war viel Platz da ; die drei saßen auch weit auseinander , so daß Sebastian mit seiner Schüssel zum Anbieten guten Raum fand . Neben Heidis Teller lag ein schönes , weißes Brötchen ; das Kind schaute mit erfreuten Blicken darauf . Die Ähnlichkeit , die Heidi entdeckt hatte , mußte sein ganzes Vertrauen für den Sebastian erweckt haben , denn es saß mäuschenstill und rührte sich nicht , bis er mit der großen Schüssel zu ihm herantrat und ihm die gebratenen Fischchen hinhielt , dann zeigte es auf das Brötchen und fragte : » Kann ich das haben ? « Sebastian nickte und warf dabei einen Seitenblick auf Fräulein Rottenmeier , denn es wunderte ihn , was die Frage für einen Eindruck auf sie mache . Augenblicklich ergriff Heidi sein Brötchen und steckte es in die Tasche . Sebastian machte eine Grimasse , denn das Lachen kam ihn an ; er wußte aber wohl , daß ihm das nicht erlaubt war . Stumm und unbeweglich blieb er immer noch vor Heidi stehen , denn reden durfte er nicht , und weggehen durfte er wieder nicht , bis man sich bedient hatte . Heidi schaute ihm eine Zeit lang verwundert zu , dann fragte es : » Soll ich auch von dem essen ? « Sebastian nickte wieder . » So gib mir « , sagte es und schaute ruhig auf seinen Teller . Sebastians Grimasse wurde sehr bedenklich , und die Schüssel in seinen Händen fing an gefährlich zu zittern . » Er kann die Schüssel auf den Tisch setzen und nachher wiederkommen « , sagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit strengem Gesicht . Sebastian verschwand sogleich . » Dir , Adelheid , muß ich überall die ersten Begriffe beibringen , das sehe ich « , fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort . » Vor allem will ich dir zeigen , wie man sich am Tische bedient « , und nun machte die Dame deutlich und eingehend alles vor , was Heidi zu tun hatte . » Dann « , fuhr sie weiter , » muß ich dir hauptsächlich bemerken , daß du am Tisch nicht mit Sebastian zu sprechen hast , auch sonst nur dann , wenn du einen Auftrag oder eine notwendige Frage an ihn zu richten hast ; dann aber nennst du ihn nie mehr anders , als Sie oder Er , hörst du ? daß ich dich niemals mehr ihn anders nennen höre . Auch Tinette nennst du Sie , Jungfer Tinette . Mich nennst du so , wie du mich von allen nennen hörst ; wie du Klara nennen sollst , wird sie selbst bestimmen . « » Natürlich Klara « , sagte diese . Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsmaßregeln , über Aufstehen und Zubettegehen , über Hereintreten und Hinausgehen , über Ordnunghalten , Türenschließen , und über alledem fielen dem Heidi die Augen zu , denn es war heute vor fünf Uhr aufgestanden und hatte eine lange Reise gemacht . Es lehnte sich an den Sesselrücken und schlief ein . Als dann nach längerer Zeit Fräulein Rottenmeier zu Ende gekommen war mit ihrer Unterweisung , sagte sie : » Nun denke daran , Adelheid ! Hast du alles recht begriffen ? « » Heidi schläft schon lange « , sagte Klara mit ganz belustigtem Gesicht , denn das Abendessen war für sie seit langer Zeit nie so kurzweilig verflossen . » Es ist doch völlig unerhört , was man mit diesem Kind erlebt ! « rief Fräulein Rottenmeier in großem Ärger und klingelte so heftig , daß Tinette und Sebastian miteinander herbeigestürzt kamen ; aber trotz allen Lärms erwachte Heidi nicht , und man hatte die größte Mühe , es so weit zu erwecken , daß es nach seinem Schlafgemach gebracht werden konnte ; erst durch das Studierzimmer , dann durch Klaras Schlafstube , dann durch die Stube von Fräulein Rottenmeier zu dem Eckzimmer , das nun für Heidi eingerichtet war . Fräulein Rottenmeier hat einen unruhigen Tag Als Heidi am ersten Morgen in Frankfurt seine Augen aufschlug , konnte es durchaus nicht begreifen , was es erblickte . Es rieb ganz gewaltig seine Augen , guckte dann wieder auf und sah dasselbe . Es saß auf einem hohen , weißen Bett und vor sich sah es einen großen , weiten Raum , und wo die Helle herkam , hingen lange , lange weiße Vorhänge , und dabei standen zwei Sessel mit großen Blumen darauf , und dann kam ein Sofa an der Wand mit denselben Blumen und ein runder Tisch davor , und in der Ecke stand ein Waschtisch mit Sachen darauf , wie Heidi sie noch gar nie gesehen hatte . Aber nun kam ihm auf einmal in den Sinn , daß es in Frankfurt sei , und der ganze gestrige Tag kam ihm in Erinnerung und zuletzt noch ganz klar die Unterweisungen der Dame , so weit es sie gehört hatte . Heidi sprang nun von seinem Bett herunter und machte sich fertig . Dann ging es an ein Fenster und dann an das andere ; es mußte den Himmel sehen und die Erde draußen , es fühlte sich wie im Käfig hinter den großen Vorhängen . Es konnte diese nicht wegschieben ; so kroch es dahinter , um an ein Fenster zu kommen . Aber dieses war so hoch , daß Heidi nur gerade mit dem Kopf so weit hinaufreichte , daß es durchsehen konnte . Aber Heidi fand nicht , was es suchte . Es lief von einem Fenster zum anderen und dann wieder zum ersten zurück ; aber immer war dasselbe vor seinen Augen , Mauern und Fenster und wieder Mauern und dann wieder Fenster . Es wurde Heidi ganz bange . Noch war es früh am Morgen , denn Heidi war gewöhnt , früh aufzustehen auf der Alm und dann sogleich hinauszulaufen vor die Tür und zu sehen , wie's draußen sei , ob der Himmel blau und die Sonne schon droben sei , ob die Tannen rauschen und die kleinen Blumen schon die Augen offen haben . Wie das Vögelein , das zum erstenmal in seinem schönglänzenden Gefängnis sitzt , hin- und herschießt und bei allen Stäben probiert , ob es nicht zwischen durchschlüpfen und in die Freiheit hinausfliegen könne , so lief Heidi immer von dem einen Fenster zum anderen , um zu probieren , ob es nicht aufgemacht werden könne , denn dann mußte man doch etwas anderes sehen als Mauern und Fenster , da mußte doch unten der Erdboden , das grüne Gras und der letzte , schmelzende Schnee an den Abhängen zum Vorschein kommen , und Heidi sehnte sich , das zu sehen . Aber die Fenster blieben fest verschlossen , wie sehr auch das Kind drehte und zog und von unten suchte , die kleinen Finger unter die Rahmen einzutreiben , damit es Kraft hätte , sie aufzudrücken ; es blieb alles eisenfest aufeinander sitzen . Nach langer Zeit , als Heidi einsah , daß alle Anstrengungen nichts halfen , gab es seinen Plan auf und überdachte nun , wie es wäre , wenn es vor das Haus hinausginge und hintenherum , bis es auf den Grasboden käme , denn es erinnerte sich , daß es gestern Abend vorn am Haus nur über Steine gekommen war . Jetzt klopfte es an seiner Tür und unmittelbar darauf steckte Tinette den Kopf herein und sagte kurz : » Frühstück bereit ! « Heidi verstand keineswegs eine Einladung unter diesen Worten ; auf dem spöttischen Gesicht der Tinette stand viel mehr eine Warnung , ihr nicht zu nah zu kommen , als eine freundliche Einladung geschrieben , und das las Heidi deutlich von dem Gesicht und richtete sich danach . Es nahm den kleinen Schemel unter dem Tisch empor , stellte ihn in eine Ecke , setzte sich darauf und wartete so ganz still ab , was nun kommen würde . Nach einiger Zeit kam etwas mit ziemlichem Geräusch , es war Fräulein Rottenmeier , die schon wieder in Aufregung geraten war und in Heidis Stube hineinrief : » Was ist mit dir , Adelheid ? Begreifst du nicht , was ein Frühstück ist ? Komm herüber ! « Das verstand nun Heidi und folgte sogleich nach . Im Eßzimmer saß Klara schon lang an ihrem Platz und begrüßte Heidi freundlich , machte auch ein viel vergnügteres Gesicht , als sonst gewöhnlich , denn sie sah voraus , daß heute wieder allerlei Neues geschehen würde . Das Frühstück ging nun ohne Störung vor sich ; Heidi aß ganz anständig sein Butterbrot , und wie alles zu Ende war , wurde Klara wieder ins Studierzimmer hinübergerollt und Heidi wurde von Fräulein Rottenmeier angewiesen , nachzufolgen und bei Klara zu bleiben , bis der Herr Kandidat kommen würde , um die Unterrichtsstunden zu beginnen . Als die beiden Kinder allein waren , sagte Heidi sogleich :