Zur zweiten Auflage . Als ich dieser Tage , um die Korrekturen zu machen , die » gute Schule « wieder las , ist es mir seltsam ergangen . Das soll ich einmal gewesen sein ? So hätte ich einst empfunden , so gesprochen ? Es ist noch keine acht Jahre , daß ich sie schrieb , im Winter von 1889 auf 90 , auf der Reise durch Spanien und Marokko . Und damals soll ich so gewesen sein ? So ganz anders als heute , mir selber nicht mehr begreiflich nach kaum acht Jahren ? Wie ist das möglich ? Dies frage ich mich und weiß nicht recht , soll ich mich schämen , wie ich damals war , oder leise bedauern , daß ich es nicht mehr bin . Damals ! Wie nahe ist es mir und doch so fern ! Als ob es gestern gewesen wäre , sehe ich mich noch , nach prächtigeren Schönheiten lüstern , ungeduldig südlich ziehen , in Farben schwelgen und mich an Leidenschaften berauschen ; aber in den Pausen dieses seligen Erlebens sitze ich irgendwo in einer Schenke , vor einer Kirche und zeichne das erste Abenteuer meiner Seele auf . Wie reich bin ich damals gewesen ! Aber die Zeit geht dahin und wir werden so gescheit . Sehne ich mich zurück ? Oder bin ich froh , daß es zur Erinnerung geworden ist ? Ich kann es nicht sagen . Ich weiß nur , daß es mir jetzt so fremd ist . Könnte ich denn das heute noch erleben ? Erleben , ja ! Dieses Ringen um die Kunst und um ein Weib – das kann ich schon noch mitfühlen . Nur jene Sprache habe ich verlernt ; ich würde es heute anders sagen . Dieselben Empfindungen würden mir heute andere Gestalten annehmen . Es könnte mich reizen , jenes Abenteuer noch einmal zu erzählen : auf meine jetzige Art . Dann würde es freilich nicht zweihundertvierzig Seiten geben wie damals , sondern ich denke : fünfzig würden mir jetzt genügen . Mir sagen nämlich die Worte jetzt mehr wie damals , darum habe ich Respekt vor ihnen bekommen . Damals habe ich nur ihren Klang vernommen und ihren Glanz gesehen , jetzt weiß ich erst ihren Wert . Für einen ganzen Zustand ist es mir jetzt genug zu sagen : er war » heiter « . Das eine Wort nennt mir alle Elemente , die zuletzt das Resultat geben , daß man sich heiter fühlt . Damals hätte ich gemeint , sie alle aufzählen zu müssen ; das bloße Wort » heiter « hätte mir nichts gesagt , ich hätte so viele Adjektive aufgewendet , als es Elemente enthält . Durch das Leben mußte ich erst zum Gefühl der Worte kommen . Ist es nur mir so gegangen ? Ich sehe auch die anderen zur einfachen Rede gelangen . Wir sind inne geworden , was die Worte bedeuten ; sie haben uns ihre Geheimnisse aufgethan . Nun sagen wir : Frühling , und das ist uns mehr , als wir durch alle Adjektive sagen könnten ; denn wir haben gelernt , alles zu empfinden , was das eine Wort » Frühling « an Schätzen und an Herrlichkeiten bei sich hat . Aber wir wollen nicht vergessen , daß wir es nicht gelernt hätten ohne jene sonderbare Wut der Adjektive , die wir damals hatten . Unser Unglück war , daß wir unter Worten ohne Wert aufgewachsen waren . Wir hatten lauter Worte um uns , die wir noch nicht erlebt hatten . Als wir sie nun erlebten , kamen sie uns abgenützt vor und wir suchten andere , die noch neu wären . Was wir zum ersten Mal erlebten , dazu wollten wir nun auch Worte , die wir noch niemals gesagt hätten . Wir hatten immer geredet , ohne etwas zu fühlen . Nun fühlten wir zum ersten Male , da konnten wir doch nicht dieselben Worte nehmen , bei denen wir nichts gefühlt hatten . Wir hatten die Sprache vor dem Leben ; nun kam das Leben , und wir mußten uns zum Leben eine andere Sprache erfinden . Bei ihr konnten wir die alte vergessen , und nachdem wir sie vergessen hatten , waren wir erst fähig geworden , sie wieder zu entdecken . Wir hatten in der Schule gelernt , tausend Dinge » schön « zu nennen , bevor wir noch empfunden hatten , daß etwas » schön « ist . Nun geschah es , daß wir das zum ersten Mal empfanden . Aber nun wollten wir es doch auch sagen . Mit welchem Wort ? Mit jenem alten , abgegriffenen » Schön « , das wir tausend Mal gesagt , um gleichgültige Dinge zu nennen ? Nein , das war nicht möglich . Also , weil wir kein Wort hatten , das uns teuer genug gewesen wäre , halfen wir uns anders : wir lösten die große Stimmung des » Schönen « in alle ihre kleinen Momente auf und benannten jedes mit einem Adjektiv und hofften , die Summe dieser vielen Adjektive müßte schon den Namen für unsere ganze große Empfindung geben . Aber später gewahrten wir , daß wir uns getäuscht hatten : das » Schöne « an dem » Schönen « ging verloren , wenn wir es erst , mit so vielen Adjektiven , in seine sämtlichen Elemente zerlegten . Wir hatten dann immer nur Teile und hätten doch so gern das Ganze gehabt . Da blieb uns nichts anderes übrig , als daß wir umkehrten und zu jenem alten Wort zurückgingen , das wir verschmäht hatten , zu jenem geringen » Schön « , das uns nicht gut genug gewesen war . Und als wir es jetzt wiedersahen , erstaunten wir : denn seit wir wußten , wie reich es ist , so daß ihm alle Adjektive nicht nachkommen , da war es uns plötzlich groß und mächtig geworden . Man denke sich einen Menschen , der oft von Liebe gesprochen hat , ohne sie zu kennen ; nun liebe er wirklich , da wird ihm zuerst das verbrauchte Wort zu gemein sein , er wird tausend neue Beteuerungen ersinnen , keine wird ihm genügen , bis er endlich das alte » Ich liebe Dich « verehren lernt : denn die Worte werden immer wieder jung , wenn es nur die Lippen sind . Nein , wir haben es nicht zu bereuen , daß wir an ders geworden sind . Aber wir sollen uns auch nicht schämen , wie wir damals waren . Es ist doch gut gewesen : denn es ist notwendig gewesen . Wir mußten erst versuchen , uns selbst eine neue Sprache zu erfinden ; dann konnten wir den ewigen Sinn jener alten erst entdecken . Heute lächeln wir freilich daß wir uns damals so abgezappelt haben . Aber hätten wir es nicht , so könnten wir heute nicht lächeln . Darum wollen wir nicht stolz werden , sondern unsere Vergangenheiten in Ehren halten . Schliersee , August 1897 . Hermann Bahr . I . Langsam , ganz langsam schlenderte er . Oft stockte er gaffend . Oder er bog auch links , rechts , nach einem Schaufenster , zu einer Drehorgel , hinter einer Dirne . Er schritt nach dem Thore des Gartens . Dann aber , statt ins Gewühl zu tauchen , wich er zurück und ging den Boulevard weiter . Und noch einmal kehrte er sich nach dem Garten . Aber wieder vor dem Thore hielt er an , sah hinauf und hinunter , lange . Der Tag , der wich , ließ seinen blauen Mantel nur zurück , den unten am Saume silberner Nebel stickte ; und die Laternen flimmerten , zwei lange Reihen , wie große Knöpfe aus Messing . Da schaute er hinein , wie sich die Nacht formte . Und wieder auf die andere Seite hinüber nach dem großen Magazin vor dem Panthéon . Da hingen wie blutige Sonnen zwei Ketten roter Schirme aufgespannt , scharlachen , mit dottergelben Erbsen getupft , und rote Taschentücher lagen aus und unter den Schichten purpurner Gewänder schmachtete ein einziges sehr grünes , von einem inbrünstigen , sehnsüchtigen Grün . Der reine Rochegrosse , sagte er ; es gefiel ihm . Er musterte es sehr lange . Er näherte sich und entfernte sich , die Wirkungen zu vergleichen . Aber nein . Er stöberte unter den Büchern gleich daneben , wühlte herum , griff eins heraus , las eine Seite , blätterte , warf 's weg . Er bog um die Ecke zurück , wieder den Boulevard zu verfolgen . Hinab gegen das Wasser . Er schritt sehr langsam , als wäre ihm leid um jeden Tritt . Ersichtlich hätte er gern erfahren , wohin er eigentlich ging . Er suchte eine Bestimmung . An der Ecke , indem er seine kleine Holzpfeife ausklopfte und wieder stopfte , nachdem er sie umständlich gereinigt und den Zug erprobt hatte , wartete er , ob sich nicht was Vergnügliches ereignen wollte ; wenigstens eine Prügelei . Wenn sie von dieser Revolution schon so viel Aufhebens machten , hätte sich 's wohl gebührt , von Staats wegen dergleichen aufzuführen . Das bißchen Beleuchtung – pah ! Daraus machte er sich nicht viel . Er ermüdete und wie das Gewühl wuchs , wurde er ungeduldig . Und dann ärgerte er sich , so verdrossen zu sein und sich selber wieder die Freude zu vergällen . Und dann ärgerte er sich der dummen Laune , überhaupt das Atelier verlassen zu haben . Er wollte zurück . Aber da er nun einmal da war , war es am Ende doch eigentlich gescheiter ... so schwankte sein Wille , so schwankte sein Weg . Vor dem Brunnen auf dem Platze des heiligen Michael starrte er aufs schwere , schwarze Wasser , das ächzend schwoll . Er war sehr mißmutig und in kurzen , hastigen , abgerissenen , spitzigen und schrillen Pfiffen zerhackte er seinen Verdruß unwirsch vor sich hin . Er wußte es , daß er unnütz und in Ärger seine Zeit verthat , wenn er nicht heimkehrte ; aber wenn er heimkehrte , dann war ihm sicher erst recht der ganze Abend verdorben . Er kannte sich , es war ja nicht das erste Mal . Und er war sich wieder sehr zuwider . Schon entflammte sich das Fest , dieses erste in der großen Kirmeß aller Völker , die den anderen Tag begann . Singen und Jauchzen war überall aus Stolz und Freude . Jungen , unter vielem Geschrei , manche in Masken , brannten Magnesiumfäden , deren weiße Streifen grell auflohten , in den langen Alleen gelber Lampen . In ihm wuchs die Trauer mit dem Jubel um ihn ; das Licht that ihm wehe , weil seine Seele finster blieb . Paare schmiegten sich , lachten , küßten ; er sah es neidisch . Aber dann raffte er sich zur Verachtung des gemeinen Glückes auf , das nur den Dummen und Gewöhnlichen sich gewährt . Dieses weckte seinen Stolz und durch einige Beispiele aus der Kunstgeschichte , mit denen er sich verglich , beruhigte er sich . Es befriedigte ihn , daß kein Künstler jemals Zufriedenheit findet . Aber es dauerte nicht lange . Er ging wieder zurück , wieder hinauf , einem Mädchen nach . Sie gefiel ihm , und da auf einmal fuhr es durch ihn , daß er eine Mätresse haben müsse . Eine Mätresse , ja , wie die anderen , gegen die Einsamkeit . Bescheiden , billig , gar nichts Besonderes , nur daß er nicht mehr mit sich allein wäre . Nur daß sie ihm die schwarzen Schmetterlinge wegsinge , die schwarzen Schmetterlinge seiner Grillen und Launen . Da war er immer allein und stöberte sich nur immer im Gehirne und natürlich , da staubte und moderte es dann aus allen Löchern und Winkeln . Da sann er nur immer und sann über Kunst und Leben und je länger er dachte , desto weniger wußte er am Ende und alle Pläne verwirrten sich zuletzt und in nichts mehr that er sich genug . Eine Mätresse – das Hamletische im Künstler verlangt eine Mätresse , unbedingt . Er ließ das Mädchen aber wieder an der Ecke des Germain , weil sie zu eilig in der Freundschaft war . Nein , das liebte er nicht ; er wollte werben und erobern nach bezwungenen Gefahren . Und überhaupt : eine kleine Mätresse that es nicht ; eine große Leidenschaft war's , was er brauchte . Ja , eine große Leidenschaft fehlte ihm – das war es , wie er sich auch mit allerhand Plänen darum herumreden mochte . Eine große Leidenschaft , die seiner Seele einen » Schups « gäbe und das Geheimnis aufrüttelte , das sie so krampfhaft umklammerte – seine alte , ewige Sehnsucht . Das Gewöhnliche erstickte ihn ; er brauchte ein Besonderes , würdig seiner besonderen Natur , ein Ereignis , ja – nicht eine Mätresse , eine Leidenschaft fehlte ihm . Die Stöße und Schauer einer Leidenschaft , wild und ungestüm , sagte er vor sich hin , zweimal mit einer großen , weiten , runden Gebärde , indem er die Pfeife hinausschwang ; und er fühlte , wie ihm die bloße Vorstellung schon das Blut aufwallte und die Seele erweckte , einen Frühling von blühenden Gefühlen . Ja , dieses : durch fremde Gewalt und Erschütterung von außen die Trägheit und den Bann von der Seele zu schütteln , in welchen es schlief , das Unsägliche , drinnen , unten , tief auf dem Grunde – er fühlte es ja so laut , so stürmisch , wie es rauschte und schwoll , hämmerte und pochte , wuchs und rang . Ja , dieses : so einmal vom Glücke aus der Verzauberung befreit , den versunkenen Schatz zu heben , das blieb in Traum und Wachen seine unvergängliche Begierde . Er war nun aber wieder , das zweite Mal , auf dem Platze von Sankt Michael , vor dem großen Brunnen , dessen lustige Sprünge plätscherten . Und immer noch wußte er sich nichts mit diesem verunglückten Abend , keine Spur . Sicherlich , diese öde Wanderung , immer nur hinauf und hinab , von der Brücke bis zum Garten , vom Garten wieder nach der Brücke , zwischen Gaffern und Schwätzern , deren Fülle schwoll – nein , sicherlich , darin konnte er nicht verharren . An Theater war nicht zu denken ; unmöglich , ohne sich eine Stunde lang anzustellen . Die Freunde – ja , das juckte heute alles mit seinen Mätressen herum , zur höheren Ehre von Freiheit , Gleichheit , Brüderlichkeit . Also wieder in den Divan Japonais zum hundertsten Male , um zum hundertsten Male der kleinen Rose Pompon zu klatschen , mit dem schiefen Maul und den verkehrt eingehängten Beinen , und zum hundertsten Male die lahmen Späße des dicken Dondinnet zu dulden , der dort Paulus war ? Heimkehren , heimkehren . Immer die nämliche Geschichte , jedes Fest , gerade weil man um jeden Preis sich vergnügen sollte , vorsätzlich , von vornherein . Für die Schneider mochte das angehen ; mit diesem grimmig zerknirschten Schimpfe meinte er die anderen alle , außer den Malern . Heimkehren , heimkehren – ja , wer es konnte ! Aber dann hätte er sich nicht erst in die Schwärme der Dummköpfe geflüchtet , überhaupt nicht , von allem Anfang an . Zurück in die Folterkammer , die Marter wieder von vorn zu beginnen , noch einmal – lieber gleich ins Wasser ! Ja , langweilig hier – zum Sterben , gewiß . Immerhin ! Aber dort , das war ja der Wahnsinn vor jenem entsetzlichen Fetzen , Wahnsinn und Verzweiflung ohne Erbarmen . Nun hatte er doch einen schmalen Sessel erobert vor dem Café Soufflet , mitten im Geheul , zu einer beschaulichen , nachdenklichen Chartreuse . Da wartete er . Er wußte nicht , was er erwartete , nur daß er nicht heimkonnte , bevor es nicht gekommen – nein , niemals ! Und wie würde es dann mit dem Großen erst werden , wenn er von diesem schon solche Qual litt , von diesem elenden Quark , der doch kaum noch eine erste Annäherung war und nur erst in behutsamer Botschaft verkündigen , melden und vorbereiten sollte , zur Erziehung der leicht scheuen Menge , vorbereiten auf jenen gewaltigen Traum , auf » das Bild « , wie er es hieß , mit einem besonderen heißen Ton , in welchen er mit vollen Backen alle Hoffnung und allen Glauben blies ? Er erschauerte . Ach , der schöne Wahn des ersten jungen Wagemutes ! Der schöne , freudige Wahn , sich in rüstigen Märschen zu nähern von Vorwerk zu Vorwerk , unaufhaltsam an die Wälle , von Sieg zu Sieg bis in das letzte Reduit der großen Kunst ! Und an jedem neuen Triumph gewänne er neues Vertrauen und an dem Ruhme , dem Stolze wüchse ihm die Kraft – die neue Himmelfahrt mit Posaunen und Pauken , in Engelschören mitten in die Sternenglorie hinein ! Ja freilich . Es war eine einzige ewige Fopperei , an der Nase im Kreise herum , von Enttäuschung zu Enttäuschung . Freilich , wenn er begann , jedes mal , nach der ersten Erscheinung des Neuen im jauchzenden Gemüte – aber die Hoffnung hielt niemals , und verächtlich verwarf er das kaum Fertige immer , unwürdig und mißraten . Es waren ja manchmal » ganz schöne Sachen darin « , und neben den Werken der anderen – ja , aber nur an der eigenen Begierde durfte er 's nicht messen , nicht an der eigenen Hoffnung prüfen . Und an jedes Neue , tausendmal enttäuscht , ging er mit kühnerem Mute immer , aus heißerem Rausche , und von jedem Neuen kam ihm nur immer wildere Qual nach tieferem Sturze . Je näher ihm der Geist geriet , desto weiter entfernte sich ihm das Werk von jenem Ziele , und indem Kennen und Können ihm wuchsen , schwand , so schien's , alles Vermögen . Er begriff's nicht , wußte keinen Rat . Jetzt malte er Geringes und Rasches nur noch , das im ersten Taumel geraten mochte , bevor das Fieber wieder verrauchte , damit es ihm nur den Glauben wenigstens versichere , den Glauben an die eigene Kraft , der wankte , und die Zweifel erwürge , die ihm die Seele fraßen . Jetzt malte er nicht mehr Salambo mit der Schlange , von Negerinnen im Bade bedient , mit der Sicht zwischen korinthischen Säulen hinaus auf das weißbesonnte Karthago ; noch im Blute der Albigenser den wilden Simon von Montfort , dampfend , verzerrt , glasiger Augen , schnaubend vor Mordlust und lechzend nach Rache , in den aufgewühlten Eingeweiden sich zu sättigen ; noch die ewigen Toreadoren in ungeheuren Arenen , Pikadoren , Banderilleronen und Espaden zugleich in phantastischen Scenen , gegen zwanzig Stiere auf einmal , in erster Wildheit und schon verblutete und wie der Degen gerade aus der Muleta blitzt . Jetzt malte er nur noch in engem Rahmen bescheidene Farbenprobleme , ganz einfache und schülerhafte : Die Sonne über der hohen Wiese , welche der Wind bauscht , oder femmes de brasserie , zwei Brüste im gelben , qualmigen Lichte und den flackernden Schatten dahinter auf der schmierigen Wand , im Dampfe der Cigaretten . So im Kleinen und Geringen suchte er jetzt Größe und Gewalt . Es ließ sich schon machen , wenn man sich nur verstand , und » seine Idee « , diese Erlösung der ganzen Kunst , brauchte nicht erst verwegener spanischer Flächen . Im kleinsten van Beers konnte sie sich entfalten , freudig und stolz , und blühte hell und fruchtete reich , wenn nämlich nur der rechte Gärtner drüber kam . Da zerbröckelte ihm mählich das Weh , wie nur so sein schweifender und wankender Gedanke endlich wieder an seinen Liebling gelangte , mit dem süß schmeichlerisch zu kosen und zu tändeln oft seine Wollust und immer sein Trost war , in guten und in bösen Stunden , und indem er sich noch eine zweite Chartreuse vergönnte , deren suggestiver Gunst er gerne vertraute , tauchte er unter in Traum , badete sich in Wunsch und , das farbige Gewühl von seidenen Hüten , sammtenen Baretten und bunten Kapotten versunken , sah er im weißen Rauche nichts mehr , als nur noch in das rosige Gold seiner bräutlichen Hoffnung . Was lag denn daran , wenn es auch zehnmal , zwanzig- , hundertmal seiner Werbung entwischte ? Nur zu – endlich bezwang er das Spröde doch . Solcher Drang in der Seele war kein Betrug , und nimmermehr log so freudige Zuversicht des Gefühls . Und es war ja so simpel , so lächerlich simpel , wie immer das Große , und wer es nur einmal hörte , der wunderte sich , daß man es erst zu sagen brauchte , und es klang ihm lange vertraut . So simpel , so einfältig einfach und darum gerade so unwiderstehlich . Wenn er es ihnen darlegte , den Bummlern von Montmartre , oben in der Citadelle der Kultur , beim schwarzen Kater , hinten in der letzten Stube , wo sich der hohe Rat der Moderne versammelt – ja , da gafften sie wohl verdutzt und manchem Schwätzer verschlug's die Rede vor diesem unerbittlichen und überwältigenden Einmaleins , aber Einspruch oder Entgegnung , nein , hatte noch keiner erwidert , wie viele auch kampflustiger Helden waren . Nein , es gab nicht Widerspruch , auf keine Weise , noch Widerstand wider seine Wahrheit . Eins , zwei , unterjochte sie jeden . Eins , Naturalismus – das pfiffen schon die Spatzen als das große Gebot ; aber , zwei , kam denn nicht , wie der Geschmack auch wechselte und neue Forderungen formte , kam denn Malerei nicht immer noch vom Malen , Farbe ewig vor allem anderen ? Also , das war sein kolumbisches Ei . Farbe , schrieen sie hier und mißhandelten die Begierde der Wahrheit ; Wahrheit , schrieen sie dort und mißhandelten die Begierde der Farbe . Farbe und Wahrheit , beides , antwortete er beiden . Nämlich er nannte es » dekorative Musik aus naturalistischen Tönen « . Daß das Ganze sänge , farbige Hymnen und brausende Symphonien in die Augen gösse , das forderte er mit den Koloristen . Aber ein doppeltes Leben lebten diese Klänge , lebendig auch außer dem Rhythmus , weil jeder einzelne aus der wirklichen Welt geholt und im Natürlichen vollzogen sein sollte . In der Rede natürlich verwirrte sich das ; im Pinsel war erst sein Beweis . Sagen ließ es sich schwer : er mußte es ihnen zeigen . Alle Fingerspitzen prickelten ihm ja davon . So dieses , seine Qual jetzt . Wenn das große Unglück nicht gekommen war – aber endlich , der Theorie that das nichts , sie blieb daran begreiflich . Es war der Lyrismus des Roten . Seine ganze Seele gab darin das Rot , alle seine Gefühle , seine Absichten , seine Wünsche , in klagenden und hoffenden Sonetten ; und überhaupt eine völlige Biographie des Roten , was in ihm geschah und nur überhaupt mit ihm geschehen konnte – ja , oder eine Psychologie des Roten , so mochte man 's heißen . Es war ein kräftiges , männliches und thätiges Rot , das seinen Stolz mit Maß und Würde feierlich entfaltete ; aber er führte es zurück bis in das schmachtende Geheimnis der ersten Sehnsucht , und er steigerte es bis zur Brunst und zum Haß – durch alle Schicksale und alle Leidenschaften trieb er es , hastig und unstät . Aber im wirklichen , in den schlichten Tönen des täglichen Lebens vollzog sich dies hohe Lied des Roten , statt in den Hyperbeln der Coloristen . Es war ein großer , wohlgesottener Hummer , in welchem er die Herrschsucht und Gewaltthat des Roten verleibte , sein Schmachten an einem Lachs daneben und das Schelmische und den Frohsinn an vielen Radieschen in heiteren Wechseln . Aber die große , letzte Beichte seiner ganzen Seele hing in einem schwerbauschigen , purpurnen Teppich vom Tische , den Sonne streifte , schmal , aber von desto feurigerer Glut . Ach , wenn er sich erinnerte , wenn er sich der brausenden Herrlichkeit erinnerte , iu der es ihm zuerst erschienen , ein glorreiches Erlösungswunder ohnegleichen . Immer die nämliche Komödie allemal : erst Gnade und Rausch in Fülle , kaum faßlich und über die Kraft , und dann die Zweifel und die Reue und die Angst , und endlich die grimmen Schrecken der Verzweiflung , aufwühlerisch bis in die Eingeweide und blutdürstig ohne Erbarmen . Immer die ewig gleiche Komödie ohne Wechsel . Und immer noch ließ er sich wieder äffen , hundertmal betrogen , hundertmal enttäuscht , hundertmal verhöhnt . Immer bethörte ihn wieder der Wahn , daß es diesesmal endlich wirklich gekommen , das Selige , über den Gläubigen , seine Treue zu lohnen , und daß es diesesmal die Wahrheit sei . Und immer wieder verrauschte das holde Fieber wie ein rascher Traum und war niemals zu halten . Und nun war noch das große Unglück geschehen , ganz nahe schon am Heil , dieses furchtbare Unglück ! Nein , er konnte nicht heim , so konnte er nicht heim , bevor er keinen Trost gefunden . Lieber irren und schweifen die ganze Nacht , über die Brücken , durch die Straßen , wie ein landflüchtiger Bettler , lieber durch Not , Hunger und Schande , alles , alles – nur nicht heim ! Nur nicht zurück in die wahnsinnige Folter ! Und er klammerte sich an den kleinen , runden Marmor mit beiden Fäusten , wie zur Wehre gegen einen tödlichen Feind und blickte wild . Und er entschied sich für eine dritte Chartreuse . Sicher , diesesmal wär' es geglückt : so handgreiflich und lebendig bis in die zarteste Ader hatte er ja noch keines geschaut , kein anderes jemals mit so deutlicher Gewißheit . Es war ja da , fertig und reif , und nur zu heben brauchte er es aus der Tiefe und mit gehorsamem Stifte nur die Züge nachzufahreen , die festen , unabänderlichen Züge in seiner Seele . Aber da war das große Unglück gekommen , das schurkisch verlarvte Unglück . Heimtückisch war es herangekrochen über den Arglosen . Salon , jour du vernissage – er hatte ein Bild dort , einen finsteren Kohlenschipper , lebensgroß , derb , trotzig , mit den Runzeln der Not und den Muskeln des Hasses , wie er gerade ein Butterbrot frühstückte , niedergekauert auf seinem Karren ; gleich links im zweiten Saale neben der hellen Ziege der Elisabeth Gardener . Er hielt selbst nichts davon und spottete : Sudelei , für die Mäcene und Philister – was er den » dummen Bourgeois « hieß ; weil man doch endlich leben will . Überhaupt nur vieux jeu in der ganzen Bude , für die Schafsköpfe und Millionäre . Und so flüchteten sie sich nach raschem Hohn , und wie nur jeder sein Bild aufgesucht und betrachtet hatte , zu Ledoyer hinüber , frühstücken , an einem sehr langen , gegen mutigen Durst wohlgerüsteten Tische , mit entsetzlichem Lärm , damit die akademischen Zöpfe daneben es merkten , daß da die Zukunft war . Und da , ja da , in diesem fröhlichen , hellen , lustigen Bretterverschlag , da traf ihn der Fluch hinterücks , aus einem vortrefflichen , saftigen und sanften Lachs , dem man keine Tücke ansehen konnte , wie er so mit rosigem Schimmer in der üppigen Kräutersauce sich wiegte . Aber diese Sauce gerade , diese grüne Kräutersauce , der Stolz des Koches – ja , die war es gewesen . Die hatte ihn geschlagen . Ähnliches hatte er nie gesehen , niemals zuvor , so lange er sich erinnerte , ein milderes und süßeres Grün , so schmachtend und so freudig zugleich , daß man gleich singen und jauchzen mochte . Das ganze Rokoko war darin , nur noch in einer viel gütigeren , sehnsüchtigeren Note . Es mußte auf sein Bild . Es mußte auf sein Bild , gleich , heute noch , noch in dieser nämlichen Stunde – er zitterte atemlos in kaltem Schweiß , daß ihm nicht einer zuvor käme . Kein Freund begriff seine Hast , sein Fieber , seinen Taumel . Die Rede verschlug's ihm , er stotterte nur und schnaubte – die ganze Welt hätte er umarmen mögen , ohne diese jagende Angst , daß sie es merken könnten , die blinden Thoren . Und so im hellen Wahnsinn stürzte er fort . Und so , jauchzend , fuchtelnd , weinend , stürmte er heim . Der junge Frühling wetterte gerade im ersten Donner und die Wolken brachen sich in wilde Wogen ; einsam waren alle Straßen und kein Wagen fand sich . Er achtete es nicht und rannte . Regen schlug ihn und es peitschte ihn der Sturm mit nassen Hieben . Er rannte nur und rannte . Bis an die Knie watete er im Schlamm und den Hut raubte ihm ein heulender Stoß . Er achtete es nicht und rannte und rannte . Manchmal , indem er einen Augenblick Atem schöpfte , schrie er laut auf , grell und schrill , weil die unbändige Lust nicht mehr zu halten war . Und er klatschte und tanzte und drehte sich im Kreise wie ein besessener Derwisch . Und dann wieder , eilig und blind , rannte er und rannte . Ach , wenn er sich erinnerte ! Er sah nichts als dieses Grün , nur dieses neue Grün , und er hörte es , in jauchzenden Weisen , und er fühlte sein lindes , sammtenes , schmeichlerisches Fleisch . Und von diesem Grün , wie von einem göttlichen Wunder , strahlte in üppigem Segen die neue Kunst und wandelte über die Erde in begeisterten Propheten und warb Priester dieser neuen , schöneren Religion und alle die seligen Völker wallten zu dem gebenedeiten Stifter mit Weihrauch und Gebet , und Messen dampften ihm überall auf der Erde , Messen von ewigem Ruhm und Preis , und unsäglicher Jubel und dankbare Wonne und unerschöpfliche Bewunderung umringten ihn – und er rannte und rannte durch das krumme Gewinkel des lateinischen Viertels , immer hastiger und wilder , daß er es nur nicht versäume , in stürmischen Sprüngen , bis er atemlos , röchelnd , ohne Sinne zusammenbrach , für tot , auf dem Boulevard Arago , vor seiner Werkstatt . Ah , wenn er sich erinnerte , dieser Seligkeit ohnegleichen , dieser jauchzenden , taumelnden Wollust ohne Beispiel ! Noch siedete ihm das Blut und alle Nerven wirbelten sich zum Tanz , wenn er bloß daran dachte . Er hätte gleich wieder laufen mögen wie damals ; es ließ ihn nicht sitzen . Er wanderte wieder den nämlichen Weg wie zuvor . Er wußte nicht wohin , wozu , fragte nicht , träumte nur , träumte von jenem Glücke . Drei Tage hatte das Glück gehalten , drei rasche Tage , und alle Jahre seines anderen Lebens hätte er dafür geben wollen , alle Jahre , sogleich . Drei Tage im Fieber , vom ersten Morgen , wenn 's kaum graute , bis in den letzten Abend , wann ihm endlich die Nacht die Bürste aus der Hand schlug , ohne Rast , keinen Augenblick , nicht einmal für Trank oder Speise , nur an der Staffel , bis es verwandelt war , das alte Bild , nach dem neuen Gedanken , und seiner Hoffnung glich , Thron und Altar jenem Grün . Welche Tage ! Am ersten hatte er das Grün unterjocht , und da er sank , gehorchte es in friedlichem Glanze seinem Dienste. Ah , unvergeßlich , unvergeßlich , ewig ! Er konnte nicht scheiden , nicht ruhen , sich nicht sättigen . Alle Lichter zündete er an , was er an Stümpfen nur auftreiben und ausleihen konnte , umkreiste mit ihnen feierlich das Bild , daß es unter vollen Strahlen war , und rückte das Feldbett gegenüber , es unermüdlich mit zärtlicher Andacht zu betrachten . Und er sann und sann , indem er schaute und schaute , die ganze Nacht . Und es wälzten sich seine Gedanken und seine Hoffnungen rollten immer verwegener und kühner . Und es war eine große Freude und viel Vertrauen in ihm , daß er gleich sich hätte aufschwingen und fortfliegen mögen über die Wolken zur Sonne . Und er fühlte eine seltsame Kraft , der nicht zu widerstehen war , und alles Leibliche schien von ihm gestreift und er wunderte sich nur , daß die Engel noch nicht kamen , mit rosigen Schwingen und ganz feinen , hellgrünen Tupfen am Ansatze , um mit Hosiannah und Kuß seine Himmelfahrt zu grüßen . Er entkleidete sich nicht ; er wich nicht ; er schaute nur und schaute . Es war ihm namenlos gut und als ob er keiner Nahrung und nichts mehr bedürfe , wenn er nur so schauen könnte , ewig , ohne Ende . Es zitterten ihm die Finger , und er erschrak , seine Augen im Spiegel zu sehen , so unheimlich glänzten sie , groß und tief , von einem schwarzen Feuer . Als die Nacht schon sich wendete , hatte er einen eiligen Traum . Es schritt eine helle Fee und warf Sterne auf sein Bild . Da erblühten Rosen in dem Grün und bläuliche Lichte vermischten sich , eine himmlische Wonne , und ein Schauer ging über die Wand , daß alle Farben sich verwandelten , noch tiefer leuchteten und noch heller fangen . Und er stürmte auf nach dem Pinsel , diesen Wechsel des Grüns zu erhaschen , und den anderen Abend , nach zwölfstündiger Lust , da , er begriff's noch kaum und wollte es kaum glauben , da wirklich , ja , war's fertig . Es war fertig . Ah , höhnische Spiegelfechterei der Hölle ! Es war fertig . Wie er damals fortgegangen war , den Boulevard entlang durch den lachenden und jubelnden Frühling , wie ein König stolz , der zu Triumph zieht , selig wie ein Pilger , der von der heiligen Gnade mitbringt – und niemals waren die jungen Blüten so helle gewesen und niemals alle Mädchen so lieblich und küssig und zu den müden Arbeitern , die von der Fabrik kamen , hätte er reden mögen , trostreich , daß jetzt alle Not ein Ende hätte und die Hütten feiern sollten , und von den höchsten Türmen hätte er es verkündigen mögen , daß es fertig war , fertig , fertig , so unfaßlich es war , wirklich fertig ! Er stellte es sich ganz deutlich vor , ganz langsam , wie es gekommen war , in allen Teilen , eines nach dem anderen , damit er jedes einzelne für sich genieße und sich ganz mit seinem köstlichen Geschmacke erfülle . Er mußte lachen , wie er an Ledoyer dachte und die Sauce – übrigens , wenn die Gravitation vom Falle eines Apfels , dann mochte es sich die neue Kunst schon gefallen lassen , vom Glanze einer Sauce zu beginnen . Und dann : sein Grün , wie er es mit dem Hummer und den Radieschen befreundet hatte , unermüdlich mischend bald mit Schatten , bald mit Licht , bis es sich vertrug , und wie er es dann aus jener nächtlichen Erscheinung verwandelt hatte , sein Grün war zudem jetzt ja völlig ein anderes . Und da , plötzlich aus dem Hinterhalte über den Arglosen her , daß es ihm den Atem verschlug , mitten im Glück , hatte ihn dieser furchtbare Schreck überfallen , diese namenlose Angst : ob es denn überhaupt war , sein Grün , irgendwo in der Wirklichkeit , außer seiner Einbildung ! Denn offenbar – ja , dieses war nicht zu leugnen : wenn es in seiner Erfindung bloß lebte , wenn es kein Gleichnis hatte in der Wirklichkeit , auf das es sich berufen konnte , wenn es erlogen und erheuchelt war , aus üppiger Laune , ja , dann – dann , es war ja nicht auszudenken ! Es war ja nicht auszudenken , daß es dann wieder nur höhnischer Betrug gewesen , wieder nur äffender Wahn der Eitelkeit , und daß er wieder die Leinwand zerreißen und den verräterischen Pinsel zerfetzen konnte , um wieder von vorne anzufangen , wieder von Plan zu Plan hilflos zu irren und wieder ohne Rat und Rettung zu verzweifeln . Und seitdem jagte er unstät wie ein Geächteter nach seinem Grün , immer nur nach seinem Grün , ob er es nirgends fände in der Wirklichkeit . Seitdem wanderte er durch alle Straßen , kroch in alle Winkel , lungerte in den Hallen , klomm auf alle Türme und schweifte durch die Dörfer . Und er wußte es nicht zu denken , wie er es denn machen sollte , dieses Leben zu ertragen fürderhin , auch nur noch acht Tage . Wohl redete er es sich vor , dem Zufall zu vertrauen , in Geduld zu harren und in Arbeit zu vergessen . Wohl verhing er das Bild und rüstete eine neue Wand . Aber er hatte die Kraft nicht mehr , sich aufzuraffen und das Leid zu verwinden . Er war ganz erschöpft und seine Seele hatte weggegeben , was sie an Mut , Wille und Entschlossenheit besaß . Wenn es nicht von außen kam , aus Zufall , ohne Zuthun , ein Geschenk – aber es hätte wohl bald sein müssen , wenn 's nicht zu spät werden sollte . Manchmal meinte er , wenn der Tote erst aus dem Hause wäre , wenn er's vernichtete , in Stücke schnitte , verbrännte – ! Er wagte nicht , nach der Mauer zu sehen , wo's lehnte , und es verschnürte ihm die Kehle , so oft er vorüber kam – aber doch wieder , wenn 's nimmer dort hinge , dann war ja überhaupt alles aus , hoffnungslos . Und immer wieder , alle Tage , verschob er den Mord , ob nicht vielleicht doch in der höchsten Not noch irgendwie Hilfe erschiene . Eine Hilfe , eine fremde Gnade , ein Ereignis . Er wußte nicht , was es sein konnte , aber er hoffte mit inbrünstiger Zuversicht , weil er ja anders nicht leben konnte . Freilich , es mußte wohl ganz was Besonderes und Seltsames sein , gar nicht vorzustellen , daß es zugleich mit Leidenschaft ihm das Geheimnis aus der Seele aufrüttle und dennoch auch wieder friedliche Gelassenheit und heitere Ruhe gewähre , zur Ordnung des Wirbels und Hut gegen raschen Betrug : wahrscheinlich , eben , wahrscheinlich konnte es doch nur ein Mädel sein , das kräftige und thätige Wunder . So wanderten seine Gedanken , während er wieder durch die wachsenden Flammen schritt , wieder nach dem Flusse , und maßen Vergangenheit und Zukunft an Wünschen und Hoffnungen . Sie schweiften weit zurück bis in den bescheidenen Frieden seiner ersten Jugend , so fruchtbar an Träumen , an holden und kühnen , da unten weit in seiner kleinen , stillen , niederösterreichischen Heimat . Sie schwelgten in jenen seligen ersten Erfolgen , als sein Name das erste Mal im Wochenblatt stand und er das erste Mal berühmt war . Nur wenn sie sich vorwärts wagten ins Künftige mit büßendem Vorwitz , da scheuten sie gleich , bäumten sich schreckhaft und erbebten , weil da nur Elend und Not überall war , grausamer jeden Tag und immer gefräßiger und – er wußte sich keinen Widerstand mehr , keine Rettung , keine Hilfe . Er schüttelte sich mit rascherem Schritte , um die Gedanken wie lästige Fliegen zu verscheuchen . Ja , vom Denken kam's , das klagte er an , vom Denken nur kam der ewige Fluch , weil er grübelte und sich quälte , statt drein zu leben und drein zu schaffen auf gut Glück wie die anderen . Und wenn er von allen Hoffnungen keine bewährte und von allen Versprechungen keine erfüllte mit allem großen und kühnen Talente , das kein Neid und keine Bosheit ihm leugnete – es war nur die Schuld der Gedanken . Die lähmten und entkräfteten mit Zaudern und Zögern , und indem sie alle Wege links und rechts durchforschten und durchwühlten mit Fragen und Zweifeln , nach allen Richtungen , nimmermehr zufrieden , blieb er unbeweglich nur am nämlichen Flecke ewig und kam nicht vorwärts mit aller Hast , nicht einen Schritt . Sie waren der alte Erbfeind seiner That und nimmermehr konnte er Redliches schaffen , wenn sie nicht gebändigt waren zuvor , erwürgt und erdrosselt , daß sie ihn dem Augenblick überließen , frisch und mutig , rüstig geradeaus ins Dickicht , durchs Gestrüpp über Stock und Stein , wie's gerade kam , nur vorwärts , unentwegt , wenn 's auch vielleicht ein Umweg war – irgendwie fand man sich doch am Ende in der Nähe des Zieles . Er ermahnte sich durch manches Beispiel schon berühmter Freunde , deren Werke er selber nicht tadeln konnte , obwohl sie der Menge gefielen : wie sie die Arbeit herunterrissen , schlecht und recht , wie 's sich gerade fügte , handwerksmäßig , alle Tage ein gemessenes Pensum , Stück für Stück , Gelungenes und Mißratenes durcheinander , ohne Schrullen , ob sie es nicht vielleicht noch besser vermöchten , ohne die blutige Nostalgie der Vollkommenheit , und wenn 's heute nicht gelang , gelang's morgen , und wenn's niemals völlig gelang , es verlor sich nicht , es kamen schon andere später , und wenn die Sehnsucht der Jugendträume nicht Frieden fand , wenigstens am Ende , wenn sie zurücksahen auf das verlaufene Jahr , wenigstens war was vollbracht am Ende und es blieb eine Spur , daß sie gelebt und gewollt . Er beneidete solchen sorglosen Leichtsinn , der sich beschied mit der Gabe des Tages , genügsam , dankbar , hoffend , statt im Titanischen zu verschmachten , dem selbst das Kleine zuletzt versagte , ohne daß es das Große bezwang , trotz aller stürmenden , mörderischen Begierde . Es gelang ihnen alles , und ihm gelang nichts , weil sie nichts dachten , und er dachte an alles . Nichts denken , nichts denken , nur rüstig geschaffen , wie es die launische Stunde gewährt , jetzt verschwenderisch und jetzt spröde . Aber freilich , geraten war billig , und diese Franzosen , ja freilich , hatten leicht singen und tanzen : sie hatten ein Volk und eine Geschichte . Da fand jeder ein reiches und stolzes Werk , die langsame . That aller Ahnen , und die Vorschrift war deutlich für seine Arbeit und Genossen waren mit , rüstig , werkfroh , hilfreich ; da mochte das Kleine genügen , weil es am Großen geschah , und das Unfertige der Gesellen vollendete schon einmal ein Meister ; da bedeutete auch der einzelne , so schwach und gering sein Vermögen , weil er in der kräftigen Gemeinschaft war . Aber die Deutschen ! Tot seit zwei Geschlechtern , tot im Geiste und in der Kunst , zum Scheine nur mit den Körpern lebendig in der Gebärde des Fressens und Saufens – und das mußte wohl die That eines Riesen sein , der die Versäumnis fast eines Jahrhunderts einholte und den Starrkrampf brach mit wuchtigem Streiche ! So verzweifelte er in seiner einsamen Folterkammer daheim und verzweifelte , wenn er sich flüchtete , im Gewühle der Straße und unter den Fröhlichen , wenn er zu Freunden ging , verzweifelte er erst recht und Grimm und Haß und Neid und Schmerz und Sehnsucht , wild durcheinander , fraßen an ihm und es half nichts , als daß er es eben einmal versuchte und irgend ein Weib nahm , nur sich zu beschäftigen und zu betäuben , damit er das Denken vertriebe . Das alles mit der großen Leidenschaft , das war ja dumm . Ein lustiges , frisches und vergnügliches Weibchen – wenn sie nur lachte und lärmte . Ein Weib gegen die einsame Qual , wie man Cigaretten nimmt gegen Zahnschmerz oder Opium , wenn der Schlaf zaudert ; irgend ein beliebiges Weib , welche Sorte ihm just der Zufall zuwarf – es konnte ihm ja nicht fehlen im Quartier , es gab ihrer wahrhaftig gerade genug . Und indem er sich die Manschetten hervorschwippte und den Stock in die Rocktasche schob , daß der schwere silberne Knopf gerade an die Krempe des Seidenhutes zu lehnen kam , rüstete er sich zur Schürzenjagd und versandte werbende Blicke . Schürzenjagd , Mädchenfang , nur immer rein ins Vergnügen , nach dem Beispiel der Bummler und Gaffer da ringsum , nur freilich sub specie aeterni , nicht für das eigene Gelüst , sondern im Dienste der Kunst , daß sein Abenteuer eine Wiedergeburt des Geistes begänne und die Erneuerung der Menschheit . Er musterte , die vorübergingen . Manche konnte gefallen . Einer mit lechzenden Augen – er war für das Heiße , Spanische , gleich mit dem Dolch , und Rasse , Rasse mußte sie haben – folgte er . Er hätte sie wohl anreden mögen . Aber wie er sich auch entschloß , er wußte es nicht einzurichten , und da lächelte sie seiner Verlegenheit und da ließ er sie wieder , weil es ihn verdroß . Nein , schüchtern war er nicht ; aber das mochte er wohl gestehen , daß er eitel war , sehr eitel , heillos , wie nun einmal die Künstler alle , und um keinen Preis hätte er was Gemeines und Tägliches gesagt , wie die anderen begannen , mit der nächsten Albernheit , sondern aufs erste Wort gleich , daß kein Zweifel möglich , müsse sie es gewahren , aber sofort , daß er ein besonderer wäre , einer für sich , anders wie die anderen . Und indem er so nach einer gefälligen und reizenden Einleitung grübelte , munter und wunderlich zugleich , deren sich kein Lustspiel zu schämen brauchte , indem verpaßte er jedesmal die Gelegenheit und verspätete sich . Und es wuchs sein Ärger , daß es in diesem Geringen selbst ihm nimmermehr glücken wollte – Thorheit , daß er erst suchte ; es fehlte ihm doch einmal das Talent zum Glücke . Und dann überhaupt : suchen durfte man nicht , man mußte es finden . Wenn er nur fleißig wanderte , bummlerisch , schlenderisch , geduldig , faul und zuversichtlich , gewiß , dann kam es schon von selber . Und er wanderte wieder . Aber es ward ihm endlich zu dumm . Es sausten ihm die Ohren und die Knie wankten ihm . Nein , das Gewühle , vor Heulen und Drängen , war nicht länger erträglich . Er wollte noch einmal hinunter , den Louvre noch einmal zu sehen und noch einmal seinen geliebten Strom , und dann drüben bei Dreher neben dem Chatelet im Wiener Bier sich mit den nötigen Schoppen gründlich begießen , bis er schwer und voll und dumpfig genug wäre , daß er schläfrig sich heimwagen könnte . Auf der Brücke verweilte er . Er konnte sich nicht sättigen an diesem Bilde , wie in rotem Feuerrahmen die finsteren Türme unserer lieben Frau gespenstisch grauten , hinter einem schwanken , aus silbernen Nebelstreifen gewobenen Schleier , ein köstliches Märchenwunder , schaurig und traulich zugleich . Und grüner , gelber , roter Blitz , in eiligem Wechsel , schoß über das schwarze Wasser , das feindlich stöhnte . Da gewahrte er ein kleines Mädchen , ganz klein , das völlig allein war und stille für sich in dem lauten Schwarm . Offenbar , sie hatte nichts zu thun , sondern schlenderte wie er . Sie trippelte ganz gemächlich , hatte neugierig den Kopf in die Höhe nach allem Schauwürdigen , und lange guckte sie an der Brüstung nach dem rauschenden Strome . Offenbar aber suchte sie auch keine Gesellschaft und war nicht gesonnen , sich eine gefallen zu lassen , sondern wenn sich wer an sie drängte , schaute sie ihn , ohne eine Wort zu erwidern , nur aus großen grauen Augen verwundert an und kehrte ihm den Rücken . Wann aber einem das noch nicht genug war , wie diesem geckischen Gymnasiasten , der seine betreßte Uniform unwiderstehlich glaubte , beschleunigte sie ihren kleinen Schritt ein wenig , indem sie mit hochmütig aufgezogenen Lidern das Köpfchen rückwärts zur Seite neigte , und fing , indem sie ungeduldig mit den Fingern schnappte , daß es schnalzte , leise vor sich zu singen an , daß ihm wohl die Lust vergehen mußte , in so verlorener Werbung zu verharren . Er lachte hell auf , daß es den gravitätischen Gymnasiasten mit den schweren weißen Handschuhen , deren steife Fühler sich stachelig weit über die Fingerspitzen hinaus borsteten , gewaltig verdroß , wie er traurig und nachdenklich , ohne sich's erklären zu können , davonstorchte . Es war so drollig , und keines lieblicheren wußte er sich , es war lange her , zu erinnern , als dieses so ganz kleinwinzigen und so unnahbar hoheitsvollen Fräuleins , das sich kaum herabließ , nur überhaupt diese gemeine Erde zu berühren , wenn sie wie ein spöttisches Hochmutsteufelchen dahin schritt , sondern es war vielmehr , als schwebe und gleite sie bloß durch die Luft und werde von einem verliebten Zauber behutsam und zärtlich getragen , den man nur nicht sehen konnte . Ganz gewiß , das war sein Abenteuer – sonnenklar . Bequeme Musterung von seinem Posten . Sie konnte nichts merken , weil sie nur auf's Wasser sah , wie die grellen Fackeln schossen , und dann wieder in die blauen Wolken , wohin manche prasselnde Rakete schweifte . Aber neben sich auf die Menschen sah sie mit keinem flüchtigen Blicke . Er prüfte scharf – oh , er war ein Kenner ! Nein , Genreuse durchaus nicht , wenigstens von der hohen mondänen Marke nicht , Corylopsis , sondern höchstens von der pudelmäßigen montmartresken allenfalls , Henri Boutet . Mit allen Seufzern konnte er das nicht leugnen : auf Chic nämlich war er versessen und hielt viel auf die richtige » Emballage « der Schönheit , weil sie zum mindesten doch » dekorativ wirken « sollen , die Weiber . Aber es hat diese Sorte dafür den Vorzug , daß sie wenigstens rasch ausgezogen und angezogen ist , ohne lange Geschichten . Ganz klein war sie , zerbrechlich anzuschauen , und ihr schmächtiger Leib war biegsam wie Schilf , aus welchem das zause Lockenzöpfchen unter der hellgrünen Kapotte wie eine gelbe Wasserlilie guckte . Und Gesicht – ja , Gesicht , stellte er fest , hatte sie überhaupt keins : was man so ein rechtschaffenes Gesicht nennen könnte , deutliche Züge , die man merkte und an welchen man sie von den anderen unterschiede ; sondern es war nur eine leere Bühne , auf der noch nichts aufgestellt und noch nicht gespielt worden war , als hätte unter dem schwarzen Schleier , der mit großen Sternen getupft war , ein feiner Pinsel rosenrot hingewischt , ganz eilig , und nur das aufgeschürzte Näschen flatterte heraus wie ein widerspenstiges , in zwei zitternde Fäden ausgefranztes Bändchen . Wenn man sie wiedererkennen wollte , mußte es wohl an den großen grauen Augen geschehen , die aber eigentlich gar nicht grau , sondern vielmehr grün , aber von einem hinter einem silbernen Gewebe verschleierten Grün und in einen schmalen , leuchtenden Reif wie in einen Heiligenschein gefaßt waren – ein schönes , technisches Problem , das herauszukriegen ! Nein , es war doch nicht sein Abenteuer . Freilich , zuletzt war 's Wurst , weil sie ja nur zur Beruhigung der Nerven und ein Instrument für seine Arbeit sein sollte . Aber gar zu weit durfte sie sich doch nicht von der idealen Frau entfernen , von der gewissen idealen Frau – und überhaupt die Blondinen mochte er nicht leiden . In seinen Hoffnungen spielte sie eine sehr große Rolle , diese ideale Frau . Freilich , er lief nicht mehr wie der fünfzehnjährige Knabe weinend über die Wiesen , ganze Tage bis tief in die Mondnächte des Frühlings , in atemloser Hast , unstät nur vorwärts , nur vorwärts , durch den tiefen Wald in die einsamste Schlucht , von stacheliger Begierde gepeitscht , ob ihm die gute Fee nicht begegnete , die jeden Schlaf in seine Träume kam , mit heißen , schwarzen Augen und sehr bleich , so todesbleich . Aber immer noch , jedesmal , wenn er an das Glück dachte , ob es sich ihm wohl jemals beschiede , sah er sie immer vor sich , sehr groß , sehr königlich und den herrschaftlichen Stolz von einer sanften Trauer gemildert , wie von einer langen Sehnsucht nach ihm , in der sie freudlos gewandert war ; für die » schweren Weiber , Pinzgauer Schlag « , wie sein Freund Marius das hieß , als wären sie eben erst vom Sockel heruntergestiegen , kaum zum Leben erweckter Marmor – ja , für solche statuäre Schönheit hohen Stiles hatte er immer eine besondere Schwäche gehabt . Er hatte sie so oft geschaut , so greifbar deutlich , die ideale Frau , daß er sie auf den ersten Blick erkennen mußte , wann er sie endlich fand . Im Detail allerdings hatte sich manches verwandelt : oft war sie eine adelige Fürstin gewesen , die durch seine Wahl ein jauchzendes Volk begnadete , und sehr oft eine wilde Kunstreiterin , wegen der brennenden Reise , oder auch eine sehr lasterhafte , gesunkene Courtisane , welche er durch Liebe zur Tugend bändigte und magdalente . Aber anders immer als die anderen und über das gewöhnliche Maß , seltsam und unfaßlich , daß der Pöbel ehrfürchtig wich und in scheuer Andacht sich neigte , wenn sie sich in breiten Straßen der Bewunderung zeigten – das war er schon seiner Künstlerschaft schuldig . Was ihn reizen konnte allenfalls an dieser Kleinen , das war nur ihre Gangart : dergleichen hatte er nimmermehr geschaut und in jedem Schritte schwelgte er wie in einer sehr sehnsüchtigen , schmachtenden Musik klagender Geigen , in den süßesten und feinsten Strichen . Die schneidige und rauhkantige Bewegung , welche den weiblichen Leib , wenn er ausschreitet , entstellt , vermied sie , und nur an dem Erfolge bloß wurde man es gewahr , daß sie wirklich ging ; aber es schien vielmehr der Boden unter ihr zu gehen , damit er ihr die Mühe erspare , und sie ließ es sich nur ruhig gefallen . Er wußte sich das Rätsel nicht zu erklären , wie sie diesen Schein vollbrachte , und wußte nur , daß es unsäglich hold und anmutig war . Und ganz entschieden auch ihre Augen , ja – auch diese Augen mit ihrer schmerzlich fragenden Sehnsucht , als ob sie Heimweh hätten nach einem unbekannten Lande , und könnten es verwundert nicht begreifen , wo anders als dort zu sein . Also , wenn er es wog : den Abend würdig zu schließen , und weil es drollig sein müßte , wie sie sich anstellen würde – versuchen konnte er es immerhin , weil einmal schließlich keinmal ist bei den Weibern ; morgen früh schied man wieder auf Nimmerwiedersehen . Und wenn sie etwa nicht mitkam , wenigstens war eine Stunde vertrieben . Nur galt es , sich durch das Beispiel des Studenten zu warnen und pfiffiger zu verfahren . Weil dieses schwieriger war , zweifelte er nicht , daß es ihm leichter gelänge , als in den gewöhnlichen Fällen . Und wie ihm eine lächerliche Erinnerung aus einer dummen Operette einfuhr , vertraute er sich diesem Mittel . Er näherte sich mit höflichem Anstand , zog artig den Hut , und mit einer ritterlichen Verbeugung , wie sie in den Komödien der alten Galanterie zu sehen sind , sagte er würdig , wie was Selbstverständliches und Unvermeidliches , das sich gebührte : » Sie würden mich , mein Fräulein , sehr verbinden , diesen Knopf an meinen Rock zu nähen , gütigst , weil er abgerissen und es mein bester Rock ist , sicherlich , ohne welchen ich morgen nicht zur Eröffnung der Ausstellung könnte , wo ich doch ein großes Bild habe , › Bei Vater Lunette ‹ , Nachtscene , in der österreichischen Abteilung , wie Sie an meinem Accent bereits gemerkt haben dürften , im zweiten Saale gleich links , wenn man hineinkommt , den Charlemonts gegenüber , in der Gegend des Hirschl , aber , Gott sei Dank , nicht ganz so galgenmäßig hoch wie dieses unglückliche Genie « – hier ging ihm der Atem aus in seiner hastigen und immer eiligeren Rede , die er sonst vielleicht noch auf allerhand Wissenswertes ausgestreckt hätte . So aber nahm er den Knopf und überreichte ihn , wie kein Page je zierlicher die holdeste Romanze seiner Dame , und war verwundert und stolz zugleich seiner glücklichen Kühnheit . Sie empfing den Knopf , und sachverständig betrachtete sie ihn genau und die Stelle am Rocke , wohin er gehörte , und nachdem sie sich durch so gewissenhafte Probe überzeugt hatte , daß es wahr war , wie er es gesagt , und eine Weile in ihren Taschen gestöbert hatte , sagte sie ernsthaft mit einer kleinen , hellen , warmen Stimme , ganz nur mit dem Sachlichen beschäftigt : » Aber da müßten wir schon zu Ihnen gehen , ich habe weder Nadel noch Faden . « Aha , dachte er sich vergnügt . Aber er erwiderte bloß : » Oh , das macht ja nichts . « Da blickte sie plötzlich mit einem raschen , gelben Schusse aus ihren hellen Katzenaugen zu ihm empor , und indem sie lustig den Knopf weit weg schnippte , mit einem tüchtigen Stüber , daß er geschwind die Brüstung entlang und ins Wasser kollerte , fing sie hell laut zu lachen an . Sie hatte die Finte begriffen . Und gleich wie an einen alten Freund hängte sie sich zutraulich an seinen Arm , und indem sie immer noch kicherte und sich freute , erklärte sie ihm , warum es nicht möglich war , heute : daß die Cousine ohnedies schon wieder wettern würde , dieses Scheusal , aber begleiten durfte er sie bis ans Thor . Und gleich als von höchster Bedeutung erzählte sie ihm ihr ganzes Kreuz mit der Cousine , mit beweiskräftigen Belegen , wie sie ihr jede harmlose und unschuldige Freude neidisch vergällen wolle , aus reiner Bosheit , und daß sie selbst alt und gescheit genug sei , allein über sich zu wachen und schon von selber zu wissen , was sie zu thun und was sie zu lassen hätte , und daß man leicht anderen Vorschriften predigen könne , wenn man selber alle Morgen bis zehn Uhr in den Tag hinein schnarche , faullenzend in den warmen Federn . Er hielt es erst nur für windiges Geziere , bei jüngeren und noch ein wenig schüchternen Semestern schandenhalber beliebt , und ernsthafter , eindringlicher bekräftigte er seine Bitte . Doch fand er , ohne daß sie sich erzürnt hätte , einen so unbeugsam und unabänderlich entschlossenen Widerstand , daß er , sobald er nur der Höflichkeit genügt und sie von seiner redlichen Absicht überzeugt hatte , die vergebliche Mühe ließ . Entweder , sagte er sich , hat sie ein festes Verhältnis , gegen das nicht so leicht aufzukommen ist , oder sie kann heute wirklich nicht , wahrscheinlich ; das gehörte auch zu seinem Pech , an die Weiber zu geraten gerade in den kritischen Tagen . Es war ihm leid , weil es mit diesem heiteren und geschwätzigen Mädchen , das von drolligen Vergleichen und närrischen Einfällen strotzte , eine recht vergnügliche Nacht hätte geben können . Doch war ihm zuletzt nicht gar so darum ; auch fiel ihm gerade ein , daß er wieder versäumt hatte , eine Seife zu kaufen , was er sich seit acht Tagen alle Morgen vorsetzte und alle Abende wieder vergaß – das hätte sie am Ende nur verstimmt und verdrossen , da sie doch mit der Weise der Künstler wenig vertraut schien . Also wie er gutmütig war , begleitete er sie heim , gar nicht weit , und indem er ihr alle schönen Dinge sagte , welche ihm einfielen , sehr feurig , bat er sie um ein Wiedersehen , aus Höflichkeit und um ein gutes Andenken zu lassen ; doch dachte er im Ernste gar nicht daran und wußte auch ganz sicher , daß sie nicht kommen würde . » Ich habe nur Sonntag Zeit , « sagte sie . » Also nächsten Sonntag , wenn's Ihnen recht ist , vier Uhr zum Beispiel . Wieder hier auf der Brücke . Da ist übrigens die Adresse meines Magazins , wo ich arbeite . Dahin könnten Sie mir einen Brief schreiben , das habe ich sehr gern , weil 's die Woche ein bißchen verkürzt . « Sie gab ihm die Adresse auf einem zierlichen , rosenroten Blättchen , fein gestochen , das gut roch , und indem sie die Arme um ihn schlang , sich auf die Zehen hob und das Köpfchen an seiner Brust hinauf schob , küßte sie ihn geschwinde und war mit einem freundlich winkenden Gruße in die schwarze und düstere Rue de l' Arbre-Sec verschwunden : bis ans Thor nämlich durfte er nicht mit , von wegen der bösen Cousine . » Pas de chance « , sagte er , indem er ihr nachguckte . Es war wirklich zu wunderlieb zu schauen , wie sie so schwebte und flatterte . Und er grüßte noch einmal mit der Hand und rief : » Auf Wiedersehen – aber gewiß ! « Schade . Aber wenigstens waren die Grillen fort und er hatte eine liebliche Erscheinung gewonnen , eine holde Wiege der Sinne , und gehörigen Durst dazu , um sich die nötige Bettschwere anzuschoppen – was wollte er denn noch mehr von solchem flüchtigen Abenteuer , das eilig verrauschte wie die braune Woge da unten , wie die gelbe Rakete da oben , wie jeder lächelnde Gruß des Glücks ? II . Aber endlich mußte er , es half nichts , endlich doch aus den Federn . Längst elfe durch . Und zudringlich , ob er sich auch wehrte , und vorwitzigen Übermutes kitzelte ihn die Sonne mit ihren langen goldenen Flaumen , wohin er sich auch in die Kissen vergrub . Er schlief gern , den Tag lieber als die Nacht . Und das besonders war seine Leidenschaft , schon erwacht wieder einzuschlafen , oft drei- , viermal hintereinander , um nur von jenem hastigen und gedrängten Schlafe zu kosten , der einen Augenblick währt und eine Ewigkeit dünkt , sich seiner selbst bewußt und seines Genusses , in welchem Traum und Wachen mit verwischten Grenzen in einander schwimmen und nicht mehr zu sondern sind . Dafür hatte er sich , feinschmeckerisch , einen umständlichen Dienst eigens eingerichtet , indem zuerst , in aller Frühe , nur an die Thüre gepocht ward , daß er schreckhaft emportaumelte , aber , ohne sich recht zu besinnen , gleich wieder versank , und später der Kaffee , den er eilig schlürfte , und endlich , noch eine Stunde später , die Zeitung gebracht wurde , zu welcher nun erst sich behaglich das erste Pfeifchen schmauchte ; nachher , da schmeckte der letzte Traum dann noch einmal so gut . Er dehnte sich lange faul hin und her . Und er betrachtete das Barometer , wie er es hieß . Er forschte mit umständlicher Prüfung , in welcher Stimmung er sich befinde . Schönes Wetter , wolkenlos , wie draußen . Sein Bild ? Mochte es stauben in seinem Verstecke . Später einmal , ja , er kannte das , würde es ihn schon wieder überfallen , eine neue Idee , es zu verwandeln und was Erträgliches draus zu gestalten . Das war immer so . Er hatte immer so in Stößen gearbeitet – Ebbe und Flut . Bis dahin – ich habe die Ehre ! Und er machte eine ehrfürchtige Geberde , mit lustigem Ingrimm . Einstweilen wollte er das Porträt wieder vornehmen . Es war lange genug verbummelt . Es sollte einen Abgeordneten darstellen : Baumwollindustrieller , Radikaler und hauptsächlich Schafskopf , ungeheuer einflußreich natürlich . Eigentlich freilich hatte er im Tierstück geringe Erfahrung , aber , mein Gott , es war ja im Dienste der heiligen Galette ! Und dann , dieses gerade , geistlos , sehr langweilig , drauf los , ohne daß man zu denken braucht , vom Frühling träumen , der seine nackten Blüten an die Scheiben hob , während der Pinsel auf eigene Faust herumwirtschaften mochte – dieses gerade that ihm ja not , nach diesen Stürmen . Das konnte ihn einlullen und sänftigen . Beschlossen und verkündigt . Und er holte den kahlen Schädel des würdigen Ehrenlegionärs aus der Ecke , pustete die Spinnweben herunter und überlegte . In drei Tagen konnte er 's machen : ein wenig herausputzen , die Töne verbinden , ein bißchen aufhellen hie und da , daß er nicht gar wie Limburger Käse gerötet war – peinture aimable halt . Gewiß , es würde ihm gut thun . Er wollte gleich anfangen , gleich morgen . Für heute war dieser Entschluß allein schon Tagewerk genug – und außerdem , Montag , das bringt Unglück , der Lenz lockte zu süß . Das zwitscherte und jauchzte und es war durch die Fenster von den rosigen Kastanien herein ein köstliches Duften . Es schwoll in ihm und ward ihm ein völlig faustisch österlich Gefühl . Allein freilich mopste man sich nur draußen . Schade , daß er die Kleine von gestern nicht haben konnte . Unbeweibt ist die Landschaft immer minder . Es kitzelte angenehm sein Gefühl , indem er , im Lehnstuhl schaukelnd , die Nägel reinigte , sich die Kleine vorzustellen – sie hatte ihm nicht einmal den Namen gesagt – daß sie mit ihm unter den blühenden Äpfeln sich haschte , während ein lauer Wind atmete , oder am Abend , wenn sie heimwärts über das Wasser glitten im engen Boote , den bebenden Leib an seine Brust schmiegte . » Tant pis pour elle , « sagte er , indem er aufstand und die kleine Schere im Bogen nach dem Tische warf . » Nachlaufen werde ich ihr nicht . Es giebt ihrer genug . « Im Grunde war's ein Glück . Gutmütig und wie er keiner Stimmung widerstehen konnte – es wäre höchstens noch eine verwickelte Dummheit daraus geworden . Denn dieses war doch ausgemacht , daß sie ganz sicher nicht sein Stil war . Nein , sie war nicht seine ideale Frau und nicht einmal eine weitläufige Verwandte hundertsten Grades . Wie er jetzt , den Schlafrock abgeworfen , die Beine in der Krätsche über das Kissen gespreizt , sich vor dem Spiegel niederließ , an das Meisterwerk seiner Toilette , die Locken behutsam in träumerische Ringel biegend und die stolze Lanze seines geschmeidigen Spitzbartes ausziehend , lange , sehr lange , mit vielem Brillantin , und sich aufmerksam mit Liebe und Wohlgefallen musternd , da wieder einmal , da stand sie wieder einmal so handgreiflich vor ihm , so kaiserlich und junonisch – und diese scheue , ahnungslose Schwalbe daneben , die reine Psychè des Gérard , ja , wirklich , selbst – er erinnerte sich – die nämlichen » Schneckerln « hatte sie im Haar , vorne , in die Stirne herein . Nein , es war kein Vergleich ; sie mochte ja ganz lieb sein für bescheidene Ansprüche , aber er , leider , war schon vergeben , bedaure sehr . Er verweilte lange in diesen gefälligen Bildern , weil er lange vor dem Spiegel verweilte , nach schlimmer Gewohnheit , bis seine Mähne endlich gebändigt und die umständliche , in bunte Zipfel flatternde Masche kunstgerecht geknotet war . Er mußte lachen , wie er nach der Uhr sah , daß er zwei Stunden wieder einmal vergeudet hatte , sich schön zu machen – wie eine Cocotte , sagten seine Freunde , aber der bringt's Zinsen . Und sie wußten sich nicht genug über seine Eitelkeit . O nein , er war nicht von der gemeinen Eitelkeit , die sie dachten . Ja , er liebte das Kostüm , und wenn er sich anders tragen konnte , wider den Brauch , auffällig und wunderlich , das freute ihn . Ja , er hatte ein kostbares Spitzenhemd mit breitem , weichem , umgeschlagenem Kragen , wonnesam gestickt , daß der alte d' Aurevilly neidisch geworden wäre . Ja , er hatte einen perlgrauen Sombrero mit ungeheurer Krempe , wie nur je der stolzeste andalusische Picador , daß ihn mancher für einen Lastträger hielt , aus den Hallen . Aber es war nicht um den Beifall der Menge und er rechnete nicht , die Blicke der Weiber zu gewinnen . Sondern nur die Begierde quälte ihn , im Äußeren gleich sich von den anderen zu unterscheiden , von denen er sein Inneres so unvergleichlich unterschieden wußte . Er war einmal anders als die anderen , warum sollte er es nicht auch scheinen ? Und er brauchte die Versicherung und Bestätigung , alle Tage , wider aufdringliche Zweifel , daß er wirklich einer für sich und nicht vom Dutzend war . Wie anders , wie konnte er sonst seine Kunst jemals vollbringen ? Nein , allein ging er nicht aufs Land , sondern Marius mußte mit . Er kriegte ihn schon dazu – früher wich er ihm einfach nicht von der Bude . Und alle Fragen der Kunst , die großen und die kleinen , wie verzwickt sie sein mochten , sollten wieder einmal gelöst und die ganze Zukunft der Kultur deutlich vorausbestimmt werden auf zweitausend Jahre . Marius natürlich würde sich wieder gehörig verdrießen , der das nicht leiden konnte . Ein bißchen Philister , der gute dicke Marius ; Verdauung und Ordnung – das war seine Losung ; Regel und Maß betete er an und meißelte nach dem Glockenschlag , Sommer und Winter , Schön und Regen , wie man Semmeln bäckt . » Und nur nicht Kunst reden , nur nicht Kunst denken – Kunst machen , wenn 's möglich ist . « Aber man mußte nur erst mit stacheligen Paradoxen seinen Ärger aufzuzwicken verstehen – dann , gegen allen Vorsatz , verhaspelte er sich doch jedesmal wieder in Fehde . Und merkwürdig , was er so unwillig verschmähte , wenige konnte es schlagfertiger und treffgewisser . » Ich wollte gerade zu Ihnen , « sagte der Bildhauer Marius . » Der Frühling rumort mir in allen Eingeweiden – man muß es sich herauslaufen . Wollen Sie nicht mit aufs Land ? « Aber der Maler , ohne was zu erwidern , geradewegs auf die Büste los , öffnete behutsam die nassen Fetzen , in welche sie geschlagen war , und indem er bald sich näherte , bald sich entfernte und dann wieder langsam herumkreiste , begann er lange Erklärung mit Vorschlägen , Einwürfen und Räten . Wohl eine Stunde schwand , indem der Bildhauer Rechenschaft gab , wie er es sich gedacht hatte , und manchmal die Achsel zuckte , als bedauerte er , es nicht ändern zu können . Nämlich , es war seine Gewohnheit , alle Urteile anzuhören und auf keines zu hören ; nicht aus Hochmut , daß er sich geckisch unfehlbar geglaubt hätte , und verächtlich der anderen , sondern aus Furcht , daß nicht in ihm selber das Kritische erwache , von welchem doch nur Qual und keine Hilfe kam . Doch auch als nichts mehr über die Büste zu sagen und alles erledigt war , manches zweimal sogar , sehr umständlich , stöberte er nur in den Büchern und Skizzen am Boden herum und schnellte von Frage zu Erzählung , immer wieder ein neues an das Gespräch anzustückeln , damit er nur jenem Vorschlage , den er eigentlich selbst hatte thun wollen , nicht zu antworten brauche , als hätte er ihn nicht gehört . Aber Marius , ungeduldig , der wanderfertig war , wiederholte ihn . Da entschuldigte er sich mit Geschäften ohne Aufschub , daß er leider keine Zeit hätte . Und dann auf einmal , als Marius ihn auslachte , mit einem plötzlichen Satze in leidenschaftliche Wallung , brauste er in stürmischen Güssen seine Klagen heraus , sein Leid mit dem Bilde , diesen ganzen verhaltenen Schmerz , der ihn fast um den Verstand brachte , alles Entsetzliche , wie es ihn seit acht Tagen verzweifelte . Und bevor er es nicht überwände und sein Bild nicht gerettet hätte , seine Hoffnung , seinen Stolz , seinen Ruhm , nein , bis dahin sollte man ihn lassen , an die Staffel geschmiedet , auf der sich sein Schicksal entschied . Marius , auf einem Schemel vor der Büste , hörte ihn geduldig an , ohne es viel zu achten . Dann , in einer Pause , als die erste Wut des Malers sich erschöpft hatte , meinte er nur : » Ja , ja . . so geht's , wenn man sich erst ins Suchen einläßt . In zehn Jahren werden Sie sich's auch abgewöhnt haben . Aber wir können davon in Bougival ebenso gut sprechen und besser . « Nun ärgerte sich der Maler erst recht . Er litt die lehrhafte Überlegenheit nicht und mochte die ewige Mahnung nicht , daß der Bildhauer zehn Jahre mehr hatte . » Wenn die zehn Jahre um sind , « – und er spitzte jedes einzelne Wort – » die einen so weise machen , können Sie mich ja abholen ; vorderhand bin ich noch nicht so weit . « Marius sah ihn nur gründlich an mit einem wehmütigen Ta-twam-asi-Blick , als blickte er in seine eigene Jugend ! Wie traut und altbefreundet ihm jede dieser Launen war , aus vielen Leiden , und wie heimisch er sich fühlte in ihrem Weh ! Aber um es nicht noch zu verschlimmern , sagte er kühl : » Wie Sie wollen – mir kann's gleich sein . « Aber er war einmal im Zuge : » Ich lasse mich überhaupt nicht hofmeistern und gängeln , tyrannisch und tantenhaft , was ärger ist . Ich will meine Suppe ganz allein verspeisen , verstehen Sie ? Ganz allein , wie ich mir sie ganz allein einbrocken will , nach meinem eigenen Rezepte . Ich glaube , ich bin alt genug , daß ich nach niemandem zu fragen habe , und jedenfalls schadet's mir allein , was mein souveränes Menschenrecht ist und niemanden was kümmert , gar niemanden auf der ganzen Welt , wenn es mir Spaß macht . « Und durch die hartnäckige , unverbrüchliche Ruhe des Marius erbost , daß sein kriegerischer Sturm nicht einmal der Abwehr gewürdigt wurde : » Sie möchten mein ganzes Leben nach Ihren Grundsätzen einrichten , das wäre Ihnen recht ! Sie mischen sich in alles . Wenn Sie arbeitsmüde sind , soll ich aufs Land , und nächstens werde ich essen müssen , wenn Sie hungert . Und Ihren Schrullen zu Liebe soll ich kein Weib nehmen und einsam bleiben , weil Sie recht gut wissen , wahrscheinlich , daß allein kein Künstler was schafft , sondern nur unnütz verfault , ohne die Liebe . Aber darin wenigstens sollen Sie sich gründlich getäuscht haben . Die neidische Hoffnung war etwas verfrüht , Verehrtester ! « » Aha , « sagte der Bildhauer jetzt . » Kann man sie sehen ? Haben Sie sie schon drüben ? « Dem Maler schmeichelte diese Vermutung . Eine angenehme Vorstellung , sich den Neid und die eifersüchtige Mißgunst der sämtlichen Nachbarn zu denken , wenn er eines Tages mit diesem frischen und fröhlichen Kinde anrücken würde , vor dem sie ihre geschminkten und verfärbten Mätressen verstecken konnten , alle mitsammen . Weil er sich aber besann , vorläufig noch allein zu sein , und gegen diesen Gleichmut nicht aufzukommen war , erwiderte er lieber gar nichts , sondern wandte sich fort . » Wenn Sie die crémaillère aufhängen , bin ich doch hoffentlich geladen ? « rief ihm Marius lustig nach . Aber es kam eine Antwort . Der hatte die Thüre schon zugeworfen . Lange blieb Marius noch in der Werkstatt , und er kraute die roten Zacken seines stacheligen Schnurrbarts und dachte dem Freunde nach und maß Vergangenes ab und hatte Mitleid mit allen Menschen . Es war so traurig , daß jeder erst wieder von vorne anfing , den nämlichen Kreuzweg , unerbittlich eine Station für die andere , und keine Erfahrung der früheren jemals ein Leid den späteren ersparte , auch nicht ein einziges Leid . Wenn es wenigstens den anderen zum Guten gewesen wäre , das Böse , das man selber erduldet ! Aber jeder neue rang und stöhnte aufs neue , in dieser Qual , nicht zu wissen , was er denn wolle , und keiner wollte es glauben , bevor er es selber in Thränen erlebt , daß überhaupt nichts zu wollen ist . Aber er entriß sich dem unnützen und hilflosen Schmerze und nach zärtlichem Abschiede von seinem Werke , in dem das Vergessen war , wanderte er . Er wanderte durch den Frühling , der blühte und zwitscherte , und sonnig schimmerte es in allen Augen . Er wurde sehr froh , weil er es gelernt hatte , längst nichts zu begehren , aber was unvermutet geschenkt ward , irgend woher , dankbar zu genießen als unverdiente Huld . III . Und da war er , eine Stunde seitdem , müßig , einsam auf dem heißen Sofa , der Diener schaffte das Dejeuner . Aber er konnte nicht essen , und er konnte nicht lesen , und er konnte nichts . Kraft und Wille waren ihm weggeschöpft . Und er haderte nur mit sich selbst . Und er bäumte sich wehrhaft gegen den Hader und stopfte die Ohren und verhärtete und verstockte sich mit Fleiß und trotzte der Reue . Möglich , daß es dumm und läppisch gehandelt war und häßlich noch obendrein an dem Freunde . Aber nun war es geschehen und es hatte ihm einmal beliebt . Er würde sich hüten , wieder umständlich Reue und Leid zu erwecken zur eigenen Qual und niemandem zu Nutz . Dieser Wahnsinn war heillos . Er hatte Proben . Und nein – und nein – es war kein Wahnsinn . Die Gerechtigkeit schuldete er sich selbst , daß es Grund und Vernunft hatte , deren er sich nicht zu schämen brauchte . Nur freilich die Wirkung war dumm . Von seiner besten Tugend gerade , ja , das war deutlich , kam 's her , von seinem freien Stolze , ohne den er nimmermehr dieser verwegene Künstler geworden , von seiner einsamen Kühnheit , welche die Art des Pöbels verschmähte , vom freudigen Bewußtsein seiner sicheren Kraft , die außer sich nichts brauchte und darum nichts dulden wollte außer sich . Nein , er hatte sich nicht zu schämen , ob es den anderen auch Narrheit galt , dem Urteile nach dem Scheine . Stolz konnte er sein , vielmehr , und sich loben , und wenn er sich nur recht deutlich wurde und den Zusammenhang erkannte , das war bei weitem vernünftiger , als sich vor sich selber zu verheimlichen und über sich selbst zu belügen aus Gehorsam , bloß gegen das Beispiel der anderen . Er hatte es nicht nötig . Ja , es verlor ihm manchen Freund und oft , viele Stunden schon hatte es ihm verbittert . Immerzu ! So war er einmal beschaffen , so war er es von Geburt , daß er den Zwang nicht vertrug und sich auflehnte gegen das fremde Gebot , fanatisch zugethan der Freiheit . Er war immer so gewesen , so lange er sich erinnerte , unwandelbar ; es war ihm die Freiheit – anders ließ es sich nicht sagen – ein körperliches Bedürfnis , und als körperlichen Schmerz geradezu , als brännte ihn heißes Eisen , empfand er es , fremdem Willen zu begegnen , daß noch etwas da war außer ihm , anders als er und etwa gar feindselig gegen ihn , was er , wenn er es recht überlegte , nimmermehr zu fassen vermochte . Das Fremde , das Andere , was nicht er selbst war , – wie vor einem tödlich Schaurigen und Gespenstigen entsetzte er sich davor , das über die Vernunft und widernatürlich war , und es gab ihm Fieber und Krämpfe . Er konnte es nicht verwinden , mit allen Entschlüssen und Vorsätzen nicht . Einen Trotzkopf deshalb nannten sie schon den Knaben , der Eltern und Lehrern , später manchem Freunde , aber sich selbst immer am meisten , Leid damit anthat , und schalten , daß er eigensinnig sei bis zur Narrheit . Aber nein , sein Wille war gar nicht trotzig , wie sie ihn beschuldigten , unbändig und überwachsen , sondern oft umgekehrt , wenn er sich besann , hatte er sich vielmehr der Schwäche angeklagt , und sichere Kraft seiner Entschlüsse vermißt . Vorsätze auszuführen mißlang ihm häufig , und manche Absicht entbehrte der inneren Gewalt zum Dienste . Erst wenn er einem anderen begegnete , der ihn beugen wollte oder auch nur sich dessen verdächtig machte , dann erst , wie von plötzlichem Stoß und Erschütterung , erwachte sein Wille auf einmal aus so langer Ohnmacht , mit hastiger Begierde nachzuholen , was er in der Lähmung versäumt , und zu ersetzen . Das freilich wuchs dann ohne Maß . Launisch nannten sie ihn . Ja , warum ließen sie ihn denn nicht und mischten sich immer in ihn und kneteten jeder an ihm , und jeder wollte ihn verwandeln und jeder ihn nach seiner Vorschrift zwingen und keinem war er recht ! Da freilich verlor er alle Besinnung zuletzt , von so viel Feindschaft gehetzt , und schlug mit den Flügeln gegen Decke und Boden , wirr im Kreise flatternd mit hastigen Stößen , taumelnd vor Todesangst , wenn ohne Unterlaß so immerfort an allen Stäben des Käfigs getrommelt und gehämmert ward , ein höllisches Toben . Warum ließen sie ihn denn nicht frei ? Das hatte ihn verdorben , dieses allein , ohne seine Schuld , daß der Zwang , nichts als ewig der Zwang , der dumme , rohe , herrische Zwang überall auf ihn lauerte , aus tausend Fallen , bald räuberisch mit offener Gewaltthat , bald tückisch , in schmeichelnden Rat vermummt und mit Güte und Freundschaft geschmückt , aber unnachgiebig in täglichen Fehden ; da war denn am Ende dieser Verfolgungswahn über ihn gekommen , in dem er sich peinigte und die anderen , rastlos , mißtrauisch , argwöhnisch gegen die ganze Welt . Ja , es war ein Wahn , krankhaft und wider die Vernunft , er leugnete es gar nicht . Eben dieses wieder mit dem Bildhauer – das neueste Beispiel ; doch war er um Beispiele nicht verlegen , die alle Tage vorkamen . Übrigens , der würde sich trösten , rasch , es war ihm nicht bange ; der hatte darin schon manche Erfahrung . Immer die nämliche Geschichte , immer dieselbe . Er hatte ja aufs Land gewollt , er selber und er zuerst , und darum allein war er hinüber . Aber da ihm der andere zuvorkam mit diesem nämlichen Vorschlage , mit seinem eigenen Vorschlage , da er seinem Willen in dem anderen begegnete , in diesem Augenblicke – ja , da ... ja , erklären ließ sich das nicht , erklären ließ es sich nicht ; es war ohne Zweifel Wahnsinn , nichts weiter . Aber nur immer : dieses sollte er thun und jenes sollte er lassen , die gleiche Litanei seit der ersten Kindheit , und immer nur » sollte « und » sollte « , und was er wollte , das einzig wurde er niemals gefragt , und so , in dieser entsetzlichen Knechtschaft , war der ungeheure Drang über ihn gekommen , einmal er selbst zu sein , endlich , und die ungeheure Angst , immer ein anderer zu sein , ewig . Nun mochten sie 's tragen , wenn sie davon litten . Ihre Schuld , ihre Schuld allein , ganz allein , der Verschworenen gegen seinen Willen , wenn er kopfscheu und toll geworden , am Ende . Was ließ ihn der Bildhauer nicht seinen Vorschlag thun , geduldig , bis er seinen Willen entfaltete ? Nun wären sie draußen im duftenden und singenden Frühling längst , nach dem er so glühende Sehnsucht trug , unter Blüten und in Scherzen – statt dieser einödigen Pein mit häßlichen und unnützen Gedanken in dem verfluchten Marterloch ! Konnte er nicht warten ? Mußte er ihn gleich mit seiner Absicht überfallen , feindlich über ihn her , daß er verschüchtert , geängstigt , überrumpelt , in dieser großen Not alle Besinnung verlor ? Er wollte aufs Land – ja , er selber , genau wie es der andere vorschlug , gewiß . Aber er wollte aufs Land aus freiem Entschlusse , weil es sein Wille war , und nicht auf fremden Vorschlag , dem anderen zu Liebe und zu Gefallen . Und eher , bevor er fremdem Willen sich beugte , eher verzichtete er noch auf den eigenen lieber ; und übrigens , seit es der andere wollte , da war es ihm verdorben , es selber zu wollen . . Eine Dummheit sicher in diesem Falle ; denn dem Bildhauer fehlte die feindliche Absicht . Eine Dummheit , und verdarb ihm den ganzen Tag mit Verdruß , denn morgen würde es schwer sein , sich gegen Marius zu betragen . Aber er konnte sich einmal nicht , konnte sich nicht erniedrigen , nicht vor dem liebsten Freunde , um keinen Preis , und bevor er sich vergewaltigen ließ – jeden anderen Schimpf wollte er lieber ertragen . Er hätte nur nicht erst mit langen Lügen und umständlichen Vorwänden sich feige ausflüchten sollen , heuchlerisch wie die anderen . Das nächste Mal , er versprach es sich , wollte er es ihm gleich offen erklären , deutlich und ohne Rest , wie es war . Die Freiheit , die Freiheit – ja , das war notwendig , daß er ihm einmal seine ganze Begierde sagte , wie sehnsüchtig er sie liebte mit diesem herrischen Instinkte . Das verdroß ihn am meisten , indem er jetzt überlegte , daß er nun erst recht seinen Willen verloren hatte , durch seine Verteidigung gerade . Nun war er erst recht nicht aufs Land . Nun war ihm durch seinen mannhaften Mut gerade erst recht der Wunsch verstümmelt und erwürgt . Aber so ging 's mit Freunden immer . Marius , trotzdem , war noch von den besten , ganz sicher , weil er selber vieles gelitten ; und auch er beschäftigte sich um sich selbst zu sehr , als daß er die anderen viel achtete . Aber am Ende , wenn man's verglich , waren sie alle gleich , einer wie der andere , und immer zuletzt , früher oder später , einmal erwachte der Tyrann in jedem . Ach , es war nicht zu begreifen , das schaurige , tödliche Rätsel ! Daß sie nicht nebeneinander wohnen konnten , der hier , der dort , für sich jeder in seinem Bezirke , ohne Räuberei über die Grenze des anderen ! Daß jeder nur aus sich heraus in den anderen drängte , rastlos das ganze Leben im anderen sich festzusetzen und über ihn zu herrschen ! Daß man niemals man selbst sein sollte und durfte , nicht eine selige Stunde , sondern ewig nur auf sich verzichten , sich verwandeln , sich zerstückeln , zur Wollust des anderen , immer des anderen ! Nein , er begriff's nicht . Knechtschaft und Dienst – das heischten sie alle und von jedem . Die Lust , in einem anderen sich selber wiederzufinden , den fremden Rest zum Eigentum zu unterjochen und in einem zweiten Leibe dem Willen eine neue Heimat zu schaffen , fremdes Fleisch für die eigene Seele – dieser gierig verschlingende Hunger fraß jede andere Begierde und das hieß Freundschaft ! Und er , der verging vor dieser namenlosen Sehnsucht nach einem wirklichen Freunde , der , statt nur immer nehmen zu wollen , sich ihm ergeben und seine Seele bereichert hätte , statt nur immer zu sengen und zu plündern in ihr , unersättlich vampyrisch ! Einsam , einsam – warum wollten sie einen nicht einsam lassen ? Gab es nicht ohnedem Qual genug , daß einen grausam noch dieses foltern mußte , unbarmherzig das ganze Leben , das blutige Leiden an der Nachbarschaft ? Aber es wühlte und zerfleischte und er sah keine Hoffnung und verzweifelte und selbst die Tiere verdarb es ihm oft und selbst die Dinge und überhaupt alles , was nicht gedacht war . Ja , dazu am Ende hatte es ihn gebracht , alles zu hassen , was nicht seine Vorstellung war . Er konnte es nicht ertragen . Und er erinnerte sich , daß Geringes oft , lächerlich Geringes , Tobsucht und Tollwut in ihm entzäumte , wie ein auf der Straße gepfiffenes Lied , das im Ohre haftete , die eigenen Gedanken verscheuchte und mit allem Vorsatze unvertreiblich nicht wieder hinauszubeuteln war , oder ein erwünschter Brief , der von der Post nicht ankommen wollte , obwohl er in seinem Bewußtsein längst angekommen war , oder wenn an einem Schalter , während sein Geist es schon erledigt hatte , Gewühl ihn aufhielt – alle diese tausendfältigen mörderischen Erinnerungen , jeden Tag , daß er nicht allein , daß er nicht frei war . Es kam dann manchmal über ihn , daß er alles hätte zertrümmern mögen , ringsherum , mit Feuer und Schwert alles Lebendige verwüsten , mordbrennerisch und vandalisch jede fremde Spur zerstampfen , um nur ein Ende zu machen mit dem ewigen an ihm herum kommandieren von Menschen und Dingen , das nicht länger zu ertragen war , und sich die Wüste zu schaffen , die stille , stumme Wüste . Es war die Stimmung des » großen Reinemachens « , wie er es nannte . Nämlich mit seinen Freunden , die ihm zunächst waren , räumte sein Grimm dann auf und die Absagebriefe schwirrten an diesen Tagen , Kündigungen der Freundschaft , mit zornigen Anklagen . Das erleichterte ihn etwas , wenn er so manchen Genossen verbannte , der ihn getäuscht hatte und auch nur ein Mensch war . Allein , allein – hoch oben irgendwo im Eise oder tief auf dem Grunde des schnaubenden Meeres , wohin kein geller Lärm des täglichen Lebens dränge , und verborgen vor den rauhen , kralligen Griffen des anderen ! Die gewöhnlichen und gemeinen – ja , die vielleicht mochten es ertragen , daß ihnen das Ich gestohlen und das Fremde eingeschoben ward : denn sie brauchten das Ich nicht . Aber der Künstler – wie denn , ohne sein Handwerkszeug , wie konnte er denn leben ? Es war der Künstler offenbar , der Künstler in ihm , von dem das Leid kam . Dieses tröstete ihn und erweckte ihm eine beinahe behagliche Vorstellung , in die er sich müde einwickelte , auf dem schweren , breiten , üppigen Divan , über welchem die wilden japanischen Masken höhnisch grinsten , mit ihren struppigen Roßbärten und zerrissenen Maules . Es tröstete ihn , weil es ja gar nicht ein Leid heißen konnte , wenn es ein Zeichen von der Kunst war . Ja , offenbar der Künstler , der Künstler ... er ward nicht müde , es sich durch Wiederholung oftmals zu bekräftigen . Natürlich , die andern hatten nicht dieses Gefühl des Ich , so überschwenglich und maßlos , und diesen grimmigen Trotz , wie ihm was nahen wollte , und nicht atemlos und fieberisch diese Todesangst , es zu verlieren . Ihnen lag nichts daran , ob sie es besaßen , weil sie sich seiner ja doch niemals bedienten , und ohne es zu merken , entbehrten sie es leicht . Sie konnten glücklich sein . Aber der Künstler ! Freilich , ein Trost war es schon , weil es den Stolz befriedigte , aber diese Folge konnte er sich nicht verhehlen , daß deshalb sein Leid unabänderlich war , ohne Hilfe , hoffnungslos , nicht ein Zufall bloß , der wechseln mochte , sondern ein notwendiges , unwandelbares Schicksal , wenn es nicht an der Welt und ihrer Tücke lag , sondern an ihm selbst vielmehr und seiner Kunst . Und das wieder verdroß ihn gewaltig , nicht daß es so war , aber daß er es begriff . Das nahm ihm nur unnütz erst den Mut und alle Kraft zum Wunsche und selbst den fröhlichen Haß der Menschen und der Welt , der doch , mit Klage und Hoffnung gemischt , immerhin wenigstens eine angenehme Bewegung der Seele gewährte . Er konnte , so lange er sich über die Wahrheit betrog , das Glück beschuldigen und der Zukunft trauen . Jetzt umnachtete es sich völlig . Aber das war auch von seinen unseligen Gewohnheiten eine , der er durch keinen beschworenen Entschluß sich jemals entwand , tagelang so auf dem Sofa sich in Gedanken unablässig zu schaukeln , eiliger immer und immer höher bis in reißenden Schwindel , und unnachgiebig sich im Gehirn zu stochern , tiefer und tiefer , an die letzten Wurzeln . Er hatte es von Jugend auf , das neugierige Denken über sich , und es war natürlich auch wieder der Künstler , immer der Künstler , der also sich alle Tage die Beichte abzunehmen und alle Winkel des Gewissens zu erforschen nimmermehr ermüden wollte . Wie anders auch durfte er sonst hoffen , am Ende doch einmal das große Geheimnis zu entdecken , irgendwo tief unten am Grunde der Seele , das schlummerte und nicht erwachte ? Dann forschte er denn und forschte in sich und ging sich mit der Laterne ab , als wäre er 's gar nicht selbst , sondern irgend ein merkwürdiges Ungetüm , über welches ihm Wache befohlen . So horchte er , hielt den Atem an und beugte sich lauschend , ob es sich noch immer nicht regen wollte , jenes Wunder . Und einstweilen wenigstens verzeichnete er eifrig Zug um Zug , was er fand , damit er sich dann vergewissern könnte , daß er wirklich ein besonderer für sich war , superiore Natur und homme d'élite . So stellte er seine Seele vor den Spiegel , kämmte sie durch und scheitelte sie . Er dürstete nach der Wahrheit über sich und mit besonderem Eifer vor allem sammelte er aus allen Verstecken das Seltsame gerade , welches ihn von den Gewöhnlichen schied . Er bestimmte es und betrachtete es lange , wie es ihm stünde , und immer wieder versicherte er sich , daß es noch da wäre in seinem Winkel , indem er jeden Augenblick besorgt danach griff . So bewahrte er ängstlich vor allem Wandel seinen Charakter und bekräftigte ihn auf diese Weise , indem Flüchtiges und Vergängliches allmählich unauslöschlich und beharrlich ward durch diese so häufige Wiederholung . So stärkte und festigte er künstlich seine Natur und vielleicht bereicherte er sie sogar . Diese unablässige Gewohnheit war am Ende dahin gelangt , ihn mitten auseinander zu spalten , in zwei , einen der wahrnahm , empfand und schuf , eben jenen Extramenschen höherer Ordnung , und einen , der alle Empfindung und Schöpfung des anderen mit seiner Neugier begleitete und sich gar nicht genug verwundern konnte , einen Durchschnittsverstand mittlerer Güte – in einen Schauspieler und einen Zuschauer . Ja , wirklich , es war das reine Theater : der andere folgte nur müßig in seinem Stuhle den Schicksalen des Darstellers , manchmal bewegt , von Mitgefühlen ergriffen , hingerissen , als wäre er es selbst und geschähe es in ihm , mit Thränen und Rührung , manchmal auch wieder kritisch , ärgerlich , geschüttelten Kopfes , mit Zischen und Oho . Oft selbst verlor er jedes Bewußtsein , daß es im Grunde zuletzt doch nur er selbst war , den er betrachtete , und so fremd und völlig unverträglich mit der eigenen Weise erschien er ihm , daß solche Menschenart ihm völlig unbegreiflich wurde . Es war zwischen dem vor ihm Handelnden und dem über ihn Denkenden keine Gemeinschaft mehr . Wenn er sich mit zwei Leibern gefunden hätte eines Tages , es hätte ihn keineswegs überrascht , weil es das Natürliche gewesen wäre . Darum wußte er über sich , was drin geschah wie kaum jemals einer Bescheid und konnte sich Rechnung legen jeden Tag über die geheimsten Finten , die eiligsten Anwandlungen , und wie das alles zusammenhing , eines aus dem anderen stammte und auf das andere wirkte , erfahrener Maschinenmeister seiner Seele . Aber er hatte von dieser Wissenschaft nichts als nur desto schlimmeres Herzeleid , ewig . Er konnte sich keiner Freude mehr freuen , weil er in jeder das Trügerische und das Vergängliche gleich und die Keime des Schmerzes aufsuchte , der schon wieder sich vorbereitete , und geflissentlich beschwerte er jeden Kummer , indem er sich ihn als notwendig und ewig bewies , unabhängig von dem äußeren Ereignis und unzertrennlich von seiner Natur . So empfand er in jedem augenblicklichen Verdruß , in welchem wie in einer Probe er die ganze Gattung kostete , seine ewige Verdrießlichkeit nur , und in langer Freude empfand er nur einen flüchtigen Betrug , von dem er sich nicht äffen ließ , und dieses einzige bloß , was er nicht begriff , war wunderbar und völlig über den Verstand , woher er denn überhaupt bei alledem nur noch den Mut zum Leben nahm . Das Denken , ja , das Denken über sich selbst – hundertmal sagte er sich's vor : das Denken war der Anker des Verderbs . Ja , wenn er es vermocht hätte , sich von dem Drange des Gefühles tragen zu lassen , blind der Laune zu gehorchen und mit der Bosheit des Augenblicks zu hadern , der ihm das Glück versagte , wenn er es vermocht hätte , sich gegen den Bildhauer zu erzürnen , seine Tücke anzuklagen , seine Freundschaft zu verdächtigen ! Aber auf ihn selbst , auf den eigenen Stolz , auf die eigene Willkür , auf die eigene Herrschsucht wendeten Überlegung , Prüfung und Vergleich mit Erinnerungen immer zuletzt den Groll auf seine Künstlerschaft allein , und alle Hoffnung zerstörten sie ihm so , sich jemals vom Unglück zu befreien , welches aus seinem einzigen Glück kam . Und so , durch das Denken gerade , das gepriesene Denken , war er zur ewigen Qual verdammt , wie – ja , da stockte er feige , aber warum sich denn täuschen und betrügen ? – wie jedes Genie ! Er konnte wählen . Möglich vielleicht , daß er durch beharrlich verfolgten Entschluß das Leid überwand , aber dann , in der nämlichen Zeit , überwand er zugleich sein Talent und glücklich konnte er schon werden wie die anderen , die Furcht vor dem Schmerze brauchte ihn dann nicht mehr zu quälen : aber er mußte freilich auch der Hoffnung entsagen , der Hoffnung auf sein Werk . Dazwischen lag die Entscheidung ; er war frei , nur durfte er sich dann nimmer beklagen . Deshalb , jedesmal , sobald er sich nur besann , nahm er eilig die Absicht , sich zu bessern , des Grübelns zu entwöhnen und glücklich zu werden , mit Reue zurück und verharrte in der Gewohnheit . Schmerz , Ekel , Verzweiflung – was lag daran , wenn es für seine Kunst war ? Litten die anderen von ihm und litt er selbst , das war einmal das ewige Martyrium der Künstler , und » korrekte Charaktere « , mit sich selbst zufrieden und geachtet von der Welt , mochten die Philister sein , die nichts anderes zu thun haben . Ja , wer wie Marius schaffen konnte , mit vollem Dampf drauf los und nicht rechts und nicht links geschaut und immer zufrieden , wohin ihn die tolle Fahrt auch brachte ! Wer schaffen konnte , wie er es fand , ohne zu suchen – Maschine , Maschine der augenblicklichen Stimmung , läuft jetzt fünf Stunden und dann darf 's rasten und wird mit Wein und Lustbarkeit geschmiert ! Ja , diese Künstler – aber das waren ja gar keine Künstler . Gutes und erfreuliches Gelingen mochte ihnen schon begegnen , aber das Große , das Ewige , die hohen Weihen der Kunst blieben ihnen verschlossen . Man mochte sie manchmal in Anfällen der Entmutigung beneiden um ihre gefaßte , heiter wirkende Geduld , weil sie es wenigstens wachsen sahen um sich , gering , in Stücken , erbärmlich – aber es wuchs , es wuchs doch und gedieh . Aber die heißen Schauer dafür , die wollüstigen Taumel der Kunst , wenn 's plötzlich kommt , nach so viel schmachtender Not , in brausenden Verkündigungen , dieses Göttliche empfanden sie nie . Und was ohne sie , was war denn sonst das Leben ? Freilich , wenn man Marius hörte , der schimpfte sie gerade das allerverderblichste Gift , diese schaurigen Wonnen , welches das Mark zerfraß und die Adern verpestete . » Die ganz Großen « – er predigte es alle Tage – » die ganz Großen , vielleicht , mag sein , ich weiß es nicht , daß es denen glückt , aus ihnen zu gestalten . Uns höhlt's nur aus , entkräftet und macht stumpf . Im Rausche , so lange der Schwindel währt , ist nicht zu schaffen , und nachher , im Kater , erst recht nicht . Sie werden's schon selber erfahren . Raten hilft nichts . « » Sie werden's schon selber erfahren . « Ja , weil sie ihn alle für Ihresgleichen hielten , ohnmächtig und gering wie sie und zu Niedrigem geboren ! Aber wie denn , wenn er am Ende , trotz alledem , wenn er doch von den Großen wäre , von diesen ganz Großen gerade , der eine Auserwählte für die Gnade unter den tausend unselig Verschmachtenden ? Wenn er es war ! Und nein , was mit so glühender Verheißung die Seele schwoll , das war nimmer Lüge und Trug . Vier Uhr ! Sein Spleen war wahrhaftig die beste Gesellschaft , mit keinem vertrieb sich behaglicher die Zeit , und so lehrreich ! Antworten freilich gab er keine , aber verschwenderisch versorgte er einen mit Fragen . Es war ja zu blöde . Andere , wenn sie faullenzten , vergnügten sich wenigstens , oder wenn sie litten , so war es , daß ihr Werk gedieh . Aber zu faullenzen und zu leiden zugleich und Wohlsein und Arbeit gleichermaßen zu verderben – darauf , das mußte man ihm lassen , hatte er das ausschließliche Patent . Er geriet in Lustigkeit über sich selber . Er verhöhnte sich mit derbem Spotte : seine Don-Quixoterei , seinen geckischen Größenwahn , die ganze would-be-hamletische Komödie . So entschädigte sich oft der andere in ihm für die Ausschweifungen des einen im Pathetischen . Es war zu spät , vor dem Diner noch etwas zu beginnen . Lesen . Zoten und Betisen . Kannte er auswendig . Auf und ab , hin und her . Rauchen , rauchen . Der Tabak wenigstens hielt sein Versprechen , der war noch rechtschaffen und treu – rauchen , rauchen . Und wieder von vorne anfangen , die schnaufende Wanderung der Gedanken ? Aber mußte , mußte denn immer gedacht sein ? Da draußen , die Rosenknospen dachten nichts . Darum konnten sie duften und würden blühen . Ein Weib , ein Weib ! Was auch Marius sagen mochte . Er hatte gut Cocotten predigen , jede Nacht eine andere , keine zweimal – ja , wenn man erst einmal so weit war wie er ! Aber er war noch nicht so weit . Gott sei Dank ... leider . Ein Weib , ein Weib ! Das wäre Friede , das wäre Rast . Das wäre das Glück , das Glück ! Arbeit , so lange die Stimmung floß . Wenn 's stockte , flugs den Kasten zugeklappt und mit dem Weibchen hinaus , hinaus , heute ins Grün , morgen zu Tanz , immer ins Vergessen . Er war manchmal so müde der ewigen Kämpfe und so satt der ewigen Begierden . Er sehnte sich nach einem stillen , freundlichen , bescheidenen Glücke . Auch waren seine Strümpfe meist zerrissen . Das Glück , das Glück ! Nur das Anfangen , bis es im Geleise rollt ; suchen , herumlaufen , Umstände machen , schwanken , sich entscheiden und wieder anders entschließen . Es war auch zu dumm , daß sie nicht mitgekommen war . Aber acht Tage zu warten , um zu dem Wiedersehen zu rennen , das vielleicht sie heute schon vergessen hatte – ja freilich , einen Narren ! Aber schreiben – das überfiel ihn – schreiben wollte er ihr , wie er es versprochen . Einen langen und ausführlichen Brief , der die Stunde bis zum Absynth erschlüge . Einen verrückten Liebesbrief . Ob er 's noch konnte ? Aber man verlernt das Lügen nicht so leicht . Es machte ihm Spaß . Er suchte die köstlichsten Beteuerungen und wählte die edelsten Steine der Sprache . Aus diesen setzte er ein so flehentliches Gebet an die Schutzheilige zusammen , von solcher Demut und Inbrunst , daß ihn , als er es überlas , das Weinen ankam vor Rührung und Erbarmen mit sich selber . Das sollte ihm einer nachmachen von den Romanschreibern , die doch dafür bezahlt wurden . Er hatte es großartig los , freilich nur auf dem Papier . Ins Gesicht war er linkisch und verlegen , weil es ihn störte , daß sie nicht stille hielten und ihn nicht in den richtigen Schwung ließen , langsam , allmählich , von einem Satz in den anderen hinüber . Es war in diesem Briefe viel Schmeichelei und Leidenschaft . Er schilderte , wie sie ihm jetzt erschien , in der Sehnsucht seiner Einsamkeit , das erste freundliche und lockende Bild an diesem mürrischen , verdrießlichen Tage , wie eine himmlische Fee . Und er war , als er sich die Worte noch einmal vorsagte , langsam ihren Feingeschmack kostend , ganz verwundert , daß sie so schön war und er sie so gern hatte , was er jetzt erst bemerkte . IV . Natürlich ging er hin , den nächsten Sonntag . Die ganze Woche hatte er sich gesträubt . Unsinn , da sie ja doch nicht kam , sicher nicht . Wo würde sie denn kommen – lächerlich , er kannte doch seine Pariserinnen : wenn man ihnen gefällt , machen sie erst keine Geschichten , und acht Tage fasten , wenn schon serviert ist , aus reinem Übermut – ja freilich ! Und sie war nicht einmal seine Nummer . Er konnte sie doch nicht gebrauchen . Sie hatte nichts von seinen pathetischen Weibern . Aber immerhin – endlich heiratete man sich ja nicht . Warum denn nicht , en attendant mieux ! Bis auf die große Leidenschaft , die er nun doch einmal nicht von den Bäumen beuteln konnte , sondern geduldig erwarten mußte . Als Zeitvertreib und Grillenscheuche , den Platz zu halten , daß keiner für seine Krisen bliebe . Und auch – es ist eine alte Erfahrung : wenn man nur erst eine hat , dann kommen die anderen von selber und es angelt sich besser . Und in der Woche sagte er sich : wie er sich auch entschlösse , er blieb ja immer frei , im letzten Augenblick zu thun und zu lassen , wie es ihm gerade belieben würde . Und am Sonntag sagte er sich : wenn er auch hinginge , aus Neugierde bloß , ob sie käme , er blieb ja immer frei , sich im letzten Augenblick noch zu drücken , bevor sie ihn bemerken würde . Und schon auf der Brücke sagte er sich : wenn er auch heute mit ihr schliefe , er blieb ja immer frei , sie morgen wieder heimzuschicken , auf Nimmerwiedersehen , wenn er es genug haben würde . Es war zwei Stunden lang in Küssen und in Scherzen eine fröhliche Fahrt durch das Wäldchen , bis die Sonne sank , und dann in heiteren Reden und schönen Plänen ein freudiges Diner . Es vergnügte ihn besonders , daß viele Blicke , wie sie durch die Straßen schlenderten , an ihrem Glücke hafteten und ihre Anmut von manchem Neide bemerkt ward . Nur , neun Uhr vorbei , auf einmal das alte Spiel von neulich wieder , mit den nämlichen Entschuldigungen von der Cousine und daß es ihr heute nicht möglich sei , durchaus nicht heute , aber ganz gewiß das nächste Mal . Jetzt ärgerte er sich aber ernsthaft . Was wollte sie denn eigentlich und wie stellte sie sich denn das überhaupt vor ? An der Seine zu spazieren und den Fraß bei Duval zu verschlingen , wenn das alles war – dazu , wahrhaftig , brauchte man nicht erst umständlich und feierlich eine Geliebte ! Er sagte es ihr ganz unverblümt heraus , daß er zu dem Wiedersehen nur gekommen war , um mit ihr zu schlafen , wie sie es neulich versprochen . Wenn er ihr nicht gefiel , könnte sie 's bleiben lassen . Doch sagte man das dann offen und äffte nicht die Leute an der Nase herum und verdarb ihnen nicht unnütz und boshaft die Zeit – wenn sie auf dem Boulevard Arago draußen wohnen , eine Stunde zu laufen , noch dazu . So sagte er es ihr ins Gesicht ohne Schonung . Er mochte einmal die » unklaren Verhältnisse « nicht leiden und solche » Spreizerei « , wie seine wienerische Kurzgebundenheit es hieß , war ihm verhaßt . Sie war ganz verdutzt und zerknirscht und hielt das Köpfchen scheu gesenkt , daß der Sturm darüber weg brause , mit einem reuig flehentlichen Blicke vor sich hin , der kaum einmal schief nach der Seite blinzelte , wie ein Kind , das Unfug angestellt hat , und es weiß wohl , daß es Strafe verdient , aber schön wär' es doch , vielleicht noch einmal mit dem bloßen Schrecken davon zu kommen . Nur , trotzdem , blieb sie unabänderlich und fest , daß es unmöglich sei , heute , und es käme ihr selber hart genug an , weshalb er ihr doch verzeihen sollte und nicht noch das Herz schwer machen durch seinen Verdruß . Und sie klammerte sich wieder an die Cousine , die alte Geschichte von neulich noch einmal von vorne , die ihm schon recht langweilig war . Er war wild , weil er es nicht begriff . Eigentlich hatte er ja gar keine Absicht auf sie , durchaus nicht , als höchstens für eine rasche Nacht , und die Enttäuschung war darum leicht verschmerzt . Aber daß es da ein Rätsel gab , welches er sich nicht erklären konnte , ein seinem Verstande verschlossenes Geheimnis , dieses brachte ihn in Aufruhr und Empörung . Die Geliebte eines anderen ? Der würde sich hüten , sie die Sonntage frei zu lassen . Und umgekehrt gerade : dann wäre sie sicher mit ihm , wenn er ihr gefiel , erst recht , und nur Wiedersehen , Zusammenkunft , Briefwechsel hätte sie verweigert . Oder gefiel er ihr nicht ? Diese verzwickten Gehirnchen des launischen Geschlechtes hatten schon manchmal verwünscht unverständliche Mucken ! Aber warum denn , wenn er nicht ihr Geschmack war , warum war sie denn überhaupt gekammen ? Und wahrhaftig , wie sie seine Liebkosungen erwiderte , nein , spröde und abgeneigt war das durchaus nicht . Scheu und Scham ? Ach , das zweite Mal auch noch , da man sich doch schon kannte , das ging denn doch übers Maß einer Pariserin ! Und dann , in diesem Falle hätte sie sich mit Würde gesträubt und mit Entrüstung ihre Ehrbarkeit beteuert , daß sie nicht » eine solche « sei – man kannte die Tonart ja auch ! Aber nein , keine Spur , sondern sie behandelte es wie er als selbstverständlich und natürlich , daß sie mitsammen schliefen . Nur » diesesmal gerade « war es nicht möglich , jedesmal . Jedesmal : denn ebenso wieder den dritten Sonntag und darauf , als sie ihm erlaubt hatte , sie vom Magazine zu holen und auf dem Heimwege zu begleiten , Abend für Abend , den ganzen Monat hindurch , regelmäßig von neun bis zehn , wiederholte sich unabänderlich , wie nach ewiger , unwandelbarer Vorschrift , aus den nämlichen Anfängen durch den nämlichen Verlauf nach dem nämlichen Schlusse die nämliche Geschichte ohne Wechsel , mit der nämlichen Antwort immer auf die nämliche Bitte . Freilich schwor er es sich mit heiligeren Eiden jeden Morgen , unverbrüchlich diesesmal , daß es gestern zum letzten gewesen und jetzt zu Ende sei mit der läppischen Affenkomödie , die ihn verhöhnte , unwiderruflich zu Ende . Aber jeden Abend trotz alledem , wenn er auch um sechs das mannhafte Wort noch einmal feierlich bekräftigte , jeden Abend wieder , wie nur draußen kaum die Nacht die ersten Märchen süß zu flüstern anhub , in grünen Nebel tief vermummt , da scheuchte es ihn hinaus ins Rauschen und Raunen , ein Unwiderstehliches , gegen das alle Wehrkraft vergeblich war , und rastlos lief er in Angst und Hoffnung und lief , wollüstig den blauen Atem schlürfend , welchen die Sterne versandten , und lief , ohne daß er es gewahr ward , bis er sich wieder an der Ecke fand , alle Abende wieder , an der Ecke der St. Eustache unter der ächzenden Laterne , an welcher aus der düsteren Montmartre heraus der rauhe Stoß des Windes brach , dem braunen Schlund der Hallen gegenüber ; nämlich , sie arbeitete in der Turbigo . Es war nicht – sagte er sich – es war nicht Liebe , die ihn verfolgte ; Neugierde war's , was ihn jagte . Er kam nicht mit dem küssedurstigen Fieber des Troubadour ; er kam mit der zähen Forscherwut des Gelehrten . Dem psychologischen Problem lief er nach , schlaflos , bevor sich die Rechnung nicht aufgelöst hätte – das war es , nicht das thörichte Gänschen . Er brütete und brütete , und womit er sich auch zerstreuen wollte , seine Gedanken waren festgeleimt an dieser Sorge . Es beleidigte seine Eitelkeit , daß etwas geschehen konnte , ohne daß er es begriff . Es machte ihn ganz krank am Ende , sich so schwach und gering zu fühlen , so ohnmächtigen , unwirksamen und wehrlosen Verstandes . Doch blieben dieses Leid , dieser Aufruhr , diese wachsende Begierde innerhalb des Gehirns . Das Herz wurde nicht beteiligt . Und wie ein Schachspieler mit unnachgiebiger Erbitterung , die sich nicht abschrecken läßt , versuchte er grüblerisch Zug um Zug , unerschöpflich in Listen . Immer wieder , alle Tage und manche Nacht , zergliederte er sein Problem , trennte die Nähte auf , schälte die Haut , wog seine Elemente , maß ihre Verhältnisse , prüfte ihre Triebe , verglich ihre Wirkung , mischte sie anders und anders , überhitzte und erkältete sie , gesellte sie nach allen Methoden , um sie nach allen Methoden zu scheiden , und wenn er sie wieder zusammengefügt , zersetzte er sie von neuem . Und niemals , trotz alledem , wie in empörter Ehre und herausgefordertem Hochmut er auch sann und rang und brütete und sich verbiß und eingrub , mit Grimm bald , bald mit Schmeichelei , niemals , in aller Hoffnung und Wut bis zu mörderischen Launen des Wahnsinns , niemals gelang es . Ja , er hätte sie bezechen können mit gemischtem Weine – es gab dienstbare Wirte – bis daß ihr Widerstand taumelte und stürzte , und dann im Winkel über sie her ; oder wenn sie im Wagen fuhren , hinterrücks auf sie , und mit Knebeln und Zwicken und Kratzen . Oft erwog er diesen Plan , bereitete ihn vor , rüstete ihn mit Fleiß , besorgte alle Anstalt , leitete ihn ein . Aber dann immer wieder zuletzt , lahm , schwank , feig – weil es ja nicht ihr Leib , sondern die Seele war , was er begehrte , was sie verwehrte ! Nein , das half ihm nichts , das brachte sein Problem nicht vorwärts . Gewalt , statt zu fördern , konnte nur höchstens verderben . List , List und Witz ! Ah , welche Wollust , wenn sie gesiegt haben würde , welche Wonne , welch jauchzender Triumph ! Die bloße Hoffnung schon , alle Tage trotz aller Niederlage mit neuem Mute – welche Wollust , welch bange , bebende , betäubende Wollust schon die bloße Hoffnung ! Und nein , sie war , wenn er nur im Verharren nicht strauchelte und nicht wankte im Vertrauen , nein , sie war kein Wahn . Alle Mittel der Reihe nach : Sinne , Mitleid , Habgier . Er stürmte auf sie mit taumelnder , fletschender , heulender Brunst . Irres Lallen toller Krämpfe , Röcheln aus geschnürter Kehle , und sein Atem sengte . Was in heißen Nächten oft , wenn er sich wälzte , an schaurigem Spuk das Fieber der Begierde aus ihm brütete , was an schwarzen Dämpfen aus seiner kochenden Geilheit tauchte , und die wilde Unzucht verirrter Dichtungen , die ihn beschwichtigen sollten , braute und verschmolz er zu einem brennenden Gifte , daß es ihr die Kraft auszehre und die Adern verpeste . Aber sie , wenn er sie so mit wahnsinniger Leidenschaft anfiel , lächelte nur hell und , indem sie mit weichen Fingern seine feuchte Hand streichelte , sagte sie nur leise : » Aber ich auch , ich liebe Dich ja auch . « Er drohte Selbstmord . Er weinte in stoßendem Schluchzen wie ein Kind , dem Laune versagt wird . Er raufte sich das Haar . Ob sie denn das wirklich wollte , daß er verzweifelte , verdürbe , stürbe ? Aber sie blieb nur immer bei dem beschworenen Troste : » Das nächste Mal , ganz gewiß , das nächste Mal ! « Er gelobte ihr Berge und Wunder . In ein Märchen würde er sie bringen , in dem ihr Wunsch Gesetz und Kaiserin ihre Laune , in einen blühenden Hymnus üppiger Wonnen . Schon nahte er sich dem Ruhme und dem Reichtum ; dann badete er sie in Gold und in diamantene Vließe , von Rosen und Vergißmeinnicht gebrämt , welche Rubine und Saphire wären , wollte er sie kleiden und auf dem hohen italischen Schlosse , weit über die schimmernde Loire hinaus , von der die Sehnsucht alter Rüstern winkend zu ihr herüber grüßte , dienten in wetteifernder Priesterschaft ihrer Schönheit aus allen Völkern die schönsten Sklavinnen dann , knisternde vom Süd und nordisch bleiche , daß unten die stampfenden Hengste selbst in demütiger Liebe ihre Wildheit verlernten . In diesem Stile – Schwur auf Schwur , immer toller . Er begehrte sie nicht zu eiliger Umarmung , in einer vergänglichen Laune . Sie wollten sich nimmermehr trennen , das ganze Leben ! Ewig umschlungen , ewig , er konnte ja nicht sein ohne sie ! Aber , obwohl ihr dieses alles sehr gut gefiel , beharrte sie doch : » Nur heute , weißt Du , geht's wirklich nicht ... Nämlich , hör' zu : Die Cousine ... « Ah , er hätte sie erwürgen mögen , die vermaledeite Cousine ! Und wenigstens – flehentlich , da er am Erfolge verzweifelte , beschwor er sie darum – wenigstens den Grund sollte sie ihm sagen , daß er es begreifen könnte . Wenigstens den Grund – er war ja mit jedem zufrieden und fand sich willig in alles . Aber den Grund , daß er sich die Zweifel und Skrupel erledigen könnte , die fraßen . Warum ? Warum ? Aber sie bat ihn nur sanft , daß er sich nur ein ganz klein wenig noch gedulde und sie ein bißchen lieb behalte , einstweilen ; dann würde alles bald ganz sicher noch sehr gut , ganz gewiß das nächste Mal . Anderes war nicht aus ihr zu bringen . Und dann wußte sie wieder , daß er oft den Harm vergaß und fröhlich lauschte , so allerliebst zu plaudern , von ihren kleinen , aber wichtigen Sorgen , den Abenteuern im Geschäfte und mancher bedenklichen Geschichte , wie sie den Mädchen in der großen Stadt begegnen , wenn sie jung und schön und lustig sind , und wußte zum Abschied kundige Küsse , die verhießen . Dies währte durch den ganzen Monat bis in die letzte Woche . V . Als aber die letzte Woche um war , an ihrem letzten Tage , da geschah etwas . Da ereignete es sich , daß er sie vergeblich erwartete , an der Ecke , unter der schiefen Laterne , im Winde . Sie kam nicht , und auch nicht den anderen , noch den dritten Tag . Da , an dieser namenlosen Angst , ob sie krank oder untreu , und wie dieser vulkanische Brief aus seiner zerrissenen Seele ausbrach , da ward er es gewahr , daß es nicht um das Problem , sondern daß es Liebe war . Es kam aber keine Antwort auf den Brief . In ihrem Magazine wußten sie nichts : » Das Fräulein ist nicht mehr bei uns . « Am vierten Tage in der zehnten Morgenstunde , als er im Bette sich mit wüsten Träumen schlug , klopfte es ganz leise wie ein verschämter Bettler oder ein Modell , das Arbeit sucht , an seiner Thüre , und dann noch einmal , und nachdem er unwirsch seinen grunzenden Ruf wiederholt hatte , bereits zu grober Abfertigung bereit , da nach einer Weile trat sie herein , trippelte an sein Bett , indem ihr verwunderter Blick neugierig über den Wirrwarr verschlissener Bibelots stolperte , und nachdem sie ihn herzhaft geküßt , setzte sie sich an den Rand und sagte , ein wenig ängstlich und niedergeschlagen : » Nämlich , ich bin von der Cousine fort , weil ich ohne Dich nicht leben kann ... das war das Gescheiteste ... seit Samstag . « Da heulte er auf wie ein hungriges Raubtier , endlich über der Beute , und riß sie an sich und warf sich auf sie und wälzte sich mit ihr , jauchzend in kurzen , schrillen , heiseren Pfiffen , und verwundete sie mit bissigen Küssen am ganzen Leibe , als wollte er sie zerfleischen . Sie aber entwand sich . Denn sie hatte den neuen Hut aus schwarzen Spitzen und mit Rosen und Anemonen in einem leichten Zweige rückwärts hinunter , sehr zerdrücklich und zerbrechlich . Und vor dem Spiegel , indem sie sich glättete und aufsteckte : » Du hast immer aufs Land wollen ... und schau nur , heute die Sonne ! « Er ermannte sich und ließ sie . Er überlegte , daß er nur ja nichts an dem Glücke verdürbe , das endlich gekommen . Es galt jetzt , sein Talent fürs Glück beweisen , indem er es nicht in groben Brocken mit Hast verschlang , sondern seine süßen Beeren über den Gaumen , langsam und mit Bedacht und in alle Poren spülte , neidisch um jeden Tropfen , kein Stäubchen von seinem vollen Feingeschmacke zu verlieren . Er wollte planmäßig und mit einer » systematischen Kultur « des Glückes verfahren , üppige Frucht zu ernten . Er wollte es sich vorstellen , den ganzen Tag , den ganzen langsamen Sommertag vorstellen und das ganze Bewußtsein ausfüllen mit recht deutlichen Begriffen . Sie nahmen den Wagen nach Sèvres , weil's , sagen die Maler , dort am lieblichsten lenzt . Die kerzengerade Straße , wo einst die Fischweiber zogen ; an den jungen Ahornen , so knospenfroh und blütengierig wie ihr Glück . Und dann die graue und traurige Wüste , in Armut , der Raffaëlischen Gestalten . Nur manchmal , jäh , der schrille Allarm der heiseren Warnpfeife , sonst löste sich aus dem ewigen schwarzen Seufzer der Räder und der Schienen kein Ton . Aber plötzlich , die Stadt versunken , vom Hügel herunter sangen die Lerchen . Und sie schrie , wie sie unter die Blüten gingen , die weißen Blüten – aber da sie die holdere Schwester grüßten , deswegen , sagte er , erröteten sie vor Freude – sie schrie aus unbändigem Jubel empor , weil es Ranunkel und Gänseblümchen gab . Und er mußte es ihr alles erklären , was das war , und neugierig neigte sie sich über jeden Kelch und schmeichelte jedem Halm und koste die Gräser und pries alle Wunder dieser neuen Welt . Und dieses alles wuchs , ganz still und einsam und ganz von selbst , so prächtig und unsäglich süß , schöner als selbst Theater , wie von einer guten Fee , und obendrein noch ganz umsonst , und man wußte gar nichts davon , aus keiner Zeitung , und sterben hätte man können , ohne es je , jemals zu schauen ! Sie wandelten in Küssen . Er zeigte ihr das Moos und zeigte ihr den Tau und alles Köstliche . Und dann wieder zwischen den Zweigen durch sahen sie nach dem besonnten Strom . Es war ihr wie im Traum . Und dieses alles , alles das gehörte jedem , wer nur kam , wer nur wollte – jeder , alle Tage , konnte es haben , so viel Glück ! Sie setzten sich auf den Stein , ganz allein , vor dem Teiche , der wie ein junger Mond im Rasen lag , und sie schauten nach dem toten Schlosse . Aber Strauch in hellen Keimen stieg aus den schwarzen Trümmern , und in zerbröckeltem Gesimse huschten Schwalben . Kastanien träumten im leisen Winde , die Zipfel der grünen Kappen tief hereingezogen . Da erzählte sie es ihm , wie es gekommen war . Die Cousine hatte seine Briefe gefunden und seine Photographie . Also natürlich Tra-Tra durch das ganze Haus , und daß sie ein schlechtes Mädchen sei und noch dazu mit einem Ausländer . Und als es ihr zu dumm wurde , hatte sie es ihr kurz erklärt , daß sie ihn liebe , basta . Weil sie aber noch immer keine Ruhe gab und nicht aufhörte , ihr die Ohren abzutrommeln , da hatte sie ihr Bündel gemacht und war davon . Erst wollte sie nur gleich zu ihm laufen , aber dann auf dem Wege war Scham gekommen , was er sich denn denken würde , und so nahm sie sich denn lieber ein kleines Zimmer , Rue de la Harpe , und den nächsten Tag war sie bis auf den Arago und lange herum , ob sie ihm nicht vielleicht begegne , aber dann doch wieder zurück , aber die letzte Nacht hatte sie elend geschlafen und sich gefürchtet , in dem fremden Hause ganz allein , und nur immer an ihn gedacht , bis sie es nicht mehr aushielt – er brauche sie aber nicht zu behalten , weil sie eine eigene Wohnung hätte , und wenn sie auch in der Turbigo nicht mehr arbeiten könnte bei der Freundin der Cousine , sie würde sich schon was anderes finden , hinlänglich erfahren im Commerce . Er warf gegen den Atem des Abends den Mantel über sie , und sie hüllten sich eines in das andere und verwuchsen Leib in Leib . Er hatte den Arm um ihren Nacken und fühlte die warmen Knospen ihrer Brust . Und was sie sagte , jedes Wort klang ihm wie himmlische Musik von frohen Engeln , und er war sehr verwundert , es zum ersten Male zu gewahren , was der Frühling ist . Auf dem Steine hätte er bleiben mögen und sterben . An das Problem , wunderbar , dachte er gar nicht mehr . Langsam dann , ganz langsam , nach dem Mahle in dem Gärtchen am Strome – zwischen Knospen , und eine Nachtigall schlug – langsam die Seine hinauf kehrten sie heim , durch die bunten Flammen der Ausstellung . Es war viel schöner noch , als er sich es erwartet hatte . Langsam schritten sie den Boulevard nach der Wohnung . Er entzündete das Licht , sie band die Blumen zu einem großen Strauß und gab ihnen Wasser . Er rauchte noch eins , während sie sich entkleidete , und trank den Atem der Blüten und ihres Fleisches . Sie redeten kein Wort , sondern leise nur summte sie vor dem Spiegel , indem sie sich die Flechten löste , eine alte auvergnatische Weise . Dann , als wären sie es lange gewohnt , gingen sie zu Bett . Und das war mit einem jähen Überfall von Schreck und fast Entsetzen , wie er es gewahrte , daß er eine Jungfrau umarmt hatte . Und stotternd und stammelnd , wirr und bestürzt , indem er sich in den Knieen aufrichtete : » Ja , Du ... wie denn ... Davon hast Du ja gar nichts gesagt ... ist es denn ... kann es denn wirklich ... ? « Sie setzte sich auf , indem sie das Hemd wieder knüpfte , und starren , weit hinausgestielten Blickes , wie um Hilfe vor einer unglaublichen Gefahr , und mit zuckenden Lippen : » Für eine solche hast Du mich genommen ! « Und sie drehte sich nach der Wand und weinte , weinte bitterlich . Aber bald erbarmte sich der Schlaf . Er aber , in Aufruhr und Fieber , fand keinen Frieden . Er warf und wälzte sich und wendete die schwülen Kissen . Ihm brannte der Schlund . Er sprang heraus , gierig um Wasser , und schlürfte und netzte sich die Augen und tauchte unter ins Becken , und in einem großen Meere hätte er schwimmen mögen , daß nur dieser lechzende , würgende Durst gekühlt würde . Und dann die Vorhänge zu , sie nicht zu wecken , und Licht gemacht , wanderte er und wanderte atemlos , und über Berge hätte er wandern mögen , steil ins Eis , daß er nur irgendwo sich entliefe . Und er fragte sich , was denn das wäre . Ja , das war das Glück , aus dem Verstande ließ es sich beweisen . Es war das Glück , das große Glück . Er hatte nur noch nicht die Gewohnheit . Es konnte ganz gewiß nichts anderes sein als das Glück . Nur seltsam freilich war es , sehr verwunderlich , wie er es empfand . Er hatte sich das Gefühl eigentlich anders gedacht , wenn es endlich käme , das große Glück . Nämlich weil es so jäh und botenlos gekommen war – ja , offenbar deshalb ! Wenn er sich hätte vorbereiten und rüsten können , es zu empfangen – aber wie mochte er das auch denken ! Ganz außer dem Programm , unvermutet auf einmal war es da . Er stellte es sich in kräftigen Gründen eindringlich vor , wie glücklich er zu sein hätte . Er machte sich darauf aufmerksam , was dieses bedeutete , jungfräulichen Leib und jungfräuliches Herz gewonnen zu haben , und führte es sich zu Gemüte , von welchem Umfang und von welchem Inhalt dieser seltene Genuß war , der die Sinne und die Sehnsucht und auch zugleich die Eitelkeit befriedigen konnte . So , durch deutliche Begriffe , verbesserte er sein Gefühl . So stimmte er sich . Dann , gewissenhaft , Punkt für Punkt , wiederholte er im Geiste die erste Liebe , die sie ihm gewährt hatte . Und jetzt , wie er es jetzt empfand , war es schon sehr schön und angenehm . Draußen graute der Morgen , und die Bäume schüttelten sich . Leise schlug er den Vorhang zurück . Sie atmete sanft . Er kniete nieder , und inbrünstig küßte er die rosige Sohle ihres Fußes , der aus der Decke sah . Und so in der Haltung des Betenden entschlief er . VI . Er erzählt gern , unter den Freunden , wenn vom Weibe verhandelt wird , mit Schmähung meist und sehr verächtlich – dann erzählte er seitdem immer wieder den » Fall Fifi « als einen beweiskräftigen für die Gewalt der Liebe : wie sie sich ihm , nur einmal deutlich ihres Dranges , schlicht und einfältig hingegeben , ohne erkünstelte Scham , ohne falsche Zier , ohne marktschreierisch erst ihren Wert anzukündigen , in einem ganzen , vollen und echten Gefühl ; so , bei aller natürlichen Verworfenheit , vermag die Frau reines und selbstloses Opfer , wenn sie nur liebt ; aber dieses freilich ist wenigen Männern gegeben , Leidenschaft zu wecken , weil dazu eine besondere , große und kühne Natur gehört , und dann statt ihre eigene Ohnmacht und Erbärmlichkeit klagen sie die armen Dinger an , die doch ganz unschuldig sind , im Grunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den hätte sie gut zugerichtet , vor vier Wochen , damals , als sie ihn kennen lernte , – aber schon gehörig mit Hohn und Entrüstung , wenn es ihr einer voraussagte . Eine von diesen werden , verloren und verächtlich – nicht für ein Schloß ! Nein , darin verstand sie keinen Spaß . Heiraten – anders gab's mit ihr kein Geschäft . Da mochte sich einer auf den Kopf stellen , noch so schön . Durchaus nicht . Liebe ? Ja , und dann sitzt eine da mit der Schande auf dem Buckel und vielleicht gar einem Bankert noch obendrein , womöglich . Nein , nein – verlorene Mühe . Durchaus nicht . Und schon gar nicht – wie einer nur so dumm sein konnte , sich das einzubilden ! – So einen Maler ... auf welche gar kein Verlaß ist , bekanntlich ... und dermaßen verdreht ... und ein Ausländer auch noch . Das hätte schon ein ganz anderer Prinz sein müssen , der sie versuchen konnte – wie man 's in den Märchen liest , was Feines . Aber dieses schlottrige Gestell – und wie er erst angezogen war , schauderhaft , aus aller Mode , Faschingsdienstag . Und auch dieses , man sah es gleich : überhaupt kein ernsthafter Mensch . Er war so furchtbar komisch – was er oft für Meinungen hatte , und auch sein Accent und halt überhaupt das Ganze und wenn er gar erst mit dem Zärtlichen anfing – na , wenn sie da unten alle so waren , da unten an der Donau , bei Rußland – . Aber es mochte wohl noch ein sehr wildes Land sein . Nein , mit ihm hatte es keine Gefahr . Das wenigstens war sicher . Und gerade deshalb . Gerade deshalb gab sie ihm Antwort , gab ihm Wiedersehen , Woche um Woche , Tag für Tag . Gar keine Gefahr und so viel Vergnügen . Denn wenn er keiner zum Heiraten war , zur Unterhaltung , dafür , ja , war er ganz vorzüglich . Und sauer genug , wahrhaftig , durch vierzehn Stunden alle Tage , atemlos in den Nebel hinaus , kaum noch die Röcke eilig gebunden , daß es nur gerade über die Straße hielt , und die Schuhe richtig zu knöpfen war schon gar nicht zu denken , sondern nur den ersten und den letzten und einen in der Mitte , und das Frühstück noch kaum hinunter geschlungen und nur gelaufen , mit dieser diebischen Angst , denn vom Lohne fraß jede Verspätung , und dann ohne Rast die Leitern hinauf und hinab , tausendmal , zwischen den Kisten und Kasten , im Staube , und immer gehorsam und demütig und dankbar immer , als wär 's noch weiß Gott welche Gnade , sich so schinden zu dürfen für diese dreißig Hungerfranken , und kein Mensch fragte , ob man auch heute g'rad' aufgelegt war , und jetzt einem Handschuhe anpassen , der die Finger nicht spreizen will , und der andere suchte zwei Stunden die schönste Krawatte und am Ende war sie zu teuer , und alle machten das dümmste Gesicht und keinem sollte man 's sagen – ah , redlich genug , wahrhaftig , und manchmal wollte es schon gar nicht mehr Abend werden und gar nimmer neune schlagen , redlich und sauer genug , mein lieber Gott , verdiente sich das bißchen Vergnügen , das Plaudern und das Lachen die Viertelstunde am Abend . Lachen , ja . Wenn sie nicht lachte , lebte sie nicht . Sonst hatte man ja nichts . Darin badete sie Verdruß und Kummer weg . Es kam ihr gleich das Weinen an , wenn sie nicht lachen durfte . Lachen , lachen – und das war mit ihm in tausend immer neuen Neckereien ein Lachen ohne Ende , unermüdlich , unerschöpflich , aus dem Zwerchfell und bis zu Thränen . Komischeren Menschen konnte man sich nicht denken , so pudelnärrisch und verwurstelt , mit seinen Einfällen und Geschichten . Und wenn er gar erst die ernste Note schlug , dann wollte sie platzen , wenn er den Feierlichen und Großartigen machte . Und das war es , was sie brauchte , so etwas . Sonst lieber gleich in die Seine . Wirklich , manchmal dachte sie es ernstlich . Die Cousine trieb 's zu arg , das Scheusal . Nämlich gerade solche boshafte Sachen . Ohne Sinn , nur einen zu quälen und mutwillig jede Laune zu verderben , ganz überflüssig , als ob es nicht ohnedies schon notwendigen Verdruß genug gäbe , unvermeidlichen . Und nur immer an einem herumgepenzt , mit Lehre und Vorschrift , bis man ganz dumm wurde davon , und nichts war recht und das Keifen rastete niemals . Und » ein wohlerzogenes Mädchen läßt den Kamm nicht auf dem Kamin , alle Haare daran « – als ob das jemandem was geschadet hätte , die paar Goldfäden ! – und » ein wohlerzogenes Mädchen wirft nicht Mantel und Hut aufs Bett und den nassen Schirm über den Tisch , daß ein ganzer See davon wird « – wär' sie nur einmal drin ersoffen ! – und sicher , wie einen was vergnügte , was es nur sein mochte , gleich , ganz gewiß , » schickte sich das nicht und lauter solche Dummheiten , die keinen was angingen , da man doch in der Republik war , wo jeder thut , was ihn freut ; und » wohlerzogen « , das ist recht schön , wenn man Geld genug und sonst nichts zu thun hat , da kann man sich die Zeit damit vertreiben . Und nur ja keine Freude jemals , als wäre das gleich das schlimmste Verbrechen , einmal heiter und froh zu sein , mit Springen und mit Tanzen . Das reine Kloster – aber da faulenzen sie sich wenigstens gehörig aus . Und nur arbeiten , arbeiten immerfort wie ein Karrenhund und nichts als arbeiten ohne Hoffnung , als ob man dazu allein nur auf der Welt wäre . Und da weinte sie manchmal aus Mitleid mit sich selber , in der Nacht , wenn sie jäh erwachte , weil es ihr einfiel , daß sie doch eigentlich gar nichts hatte vom Leben und recht zu bedauern war . Und immer gleich sollte das so fort gehen , Tag für Tag , ein Jahr wie das andere , bis ihre ganze Jugend verpaßt wäre , und sie wußte sich gar keine Hilfe – denn wo heiratet denn heute einer noch ein armes Mädchen ! Oh , ihr Gewissen war in schönster Ordnung . Besseres fand man nicht leicht . Sie wußte ganz genau die Grenze , die das gute Recht von unerlaubten Launen scheidet . Da brauchte man keine Angst zu haben . Wenn ihr nicht gerade die Cousine die Ohren anbimmelte wie eine Roßfliege , daß ihr der Verstand scheu ausriß vor lauter Verdruß und sie am liebsten nur gleich dreinhauen wollte . Dann freilich stand sie für nichts – da war alles möglich . Sie wollte sicher nichts Schlechtes. Ah , wenn sie Schlechtes gewollt hätte , daran fehlt 's einem wahrhaftig nicht in der großen Stadt , wenn man jung und hübsch , und dann ist auf einmal gleich alles da , Geld und Glück und was man sich nur wünscht , man braucht sich 's nur zu wählen – wenn man schlecht sein wollte . Da hat man's wahrhaftig nicht nötig , sich vierzehn Stunden Arbeit lang zu rackern , sondern ein kleines Hotel und vierspännig mit einem Mohren und Spargel das ganze Jahr , sogar im Winter . Aber nein ! Lieber gestorben . Keinem mehr ehrlich ins Auge schauen können , denn das merkt sich ja doch gleich ; und freilich , das ist schon wahr , freilich stehen sie im Gil Blas , hochberühmt und wunderschön beschrieben , unter lauter Gräfinnen , aber die Polizei geniert das gar nicht ; und zuletzt – man war doch nicht von heute , sondern vieles lernte sich im Magazin – das schmutzige Krankenhaus , zerfressene Nase und den Gaumen ganz verfault . Niemals , niemals ! Nein , sie hörte nicht auf die Versuchung . Sie blieb brav . Sie hielt was auf sich . Sie fuhr fort zu arbeiten , bescheiden und geduldig , immer ergeben , ohne Murren , bis in die Nacht , im schwülen Gase , das Schwindel gab , bis ihr die Kniee brachen , bis ihr die Kehle erstickte , bis sie das Fieber warf . Brav bleiben – ja , das wollte sie . Wenn es auch manchmal hart ankommt , es ist doch das gescheiteste zuletzt . Brav bleiben , mutig und zähe . Nicht nachgeben , wenn man manchmal auch alles hinwerfen möchte . Es geht schon wieder vorüber . Und sie sind auch gar zu schauderhaft häßlich , glatzköpfig und alt meistens , die einem das Aushalten antragen – nein , brav bleiben , arbeiten , hoffen . Aber wenn sie ihre Pflicht that , dann , dafür , verlangte sie auch ihr Recht und das ließ sie sich nimmermehr einreden , daß die einen nur immer sich rackern sollten und die anderen nur immer sich vergnügen . Schöne Gerechtigkeit ! Man war doch endlich sozusagen auch ein Mensch , und rechtschaffenes Fest nach rechtschaffener Arbeit , das war nur billig . Soll sie brummen , die Cousine . Aufs Jahr war sie ohnedies einundzwanzig . Dann – empfehle ich mich ergebenst ! Aufs Jahr , aufs Jahr ! Durchbrennen – manchmal dachte sie daran – hätte sie freilich auch schon können . Wer findet einen denn in der großen Stadt und überanstrengt hätte sie sich mit dem Suchen ohnedies nicht . Aber nur , das war es , dann mußte sie aus ihrem Platz weg und wie , bis sie einen neuen fände , ja wovon einstweilen sollte sie leben ? Ja , das war es . Das überfiel sie , auf diesen hastigen Wanderungen , wenn der Zorn sie hinaus jagte , nachts , mit Verwünschungen , ohne Ziel , wie die Zigeunerinnen laufen , wenn das Blut in ihnen ruft , nur vorwärts , blind vorwärts , nimmermehr zurück , durch das enge und schwarze Gegasse der alten Stadt , zwischen gierigen Blicken und schmutzigen Anträgen und lüsternen Griffen , von den Händlerinnen verfolgt und von den Zuhältern bedroht – diese entsetzliche Angst des Hungers und der Schande fiel über sie , drosselte ihr die Kehle und schleifte sie wieder zurück , immer wieder , trotz allen Schwüren , immer wieder zurück in den nadeligen Hohn der Cousine . Ah , das verfluchte Geld , das verfluchte Geld ! Bleiben , ausharren . Mit verbissenen Zähnen . Aufs Jahr , aufs Jahr ! Aber gefallen ließ sie sich nichts mehr , nichts mehr dreinreden . Mochte sie belfern ! Zum einen Ohr hinein und zum andern wieder hinaus – und sie that , was ihr gefiel , und wenn sich vor Kummer und Schmerz alle Cousinen der Welt erhängten . Punktum ! Ihr Recht ließ sie sich einmal nicht verkümmern , das giebt 's nicht – man wäre schön dumm . Und es war ihr Recht und nichts als ihr Recht , was sie begehrte : das bißchen , das lächerlich bißchen Vergnügen . Und sie würde es schon durchsetzen , das wollte sie doch sehen , wenn sie nur zähe und unnachgiebig und unerbittlich blieb . Sie würde sich die Cousine schon erziehen , warte nur , mit der Zeit – sind ganz andere schon mürbe geworden . Durch Zank und Fehde , wenn 's nicht anders ging – man mußte ihr nur die Haare auf den Zähnen zeigen . Mit dem Gutmütigen kommt man nicht durch heutzutage . Kampf , hartnäckig und unverdrossen , heimlichen , meuchlerischen , listig schleichenden Kampf , alle Tage , vom Morgen zum Abend , Kampf um die Freude ! Aber es dauerte nicht lange , da ward ihr der Kampf selbst eine Freude , unverhofft und von seltsamem Reize aller Sinne , aller Nerven , und gierig , wie einen herben tropischen Geruch , schmeckte sie die Wollust , wehe zu thun und Wunden zu stechen , mit tückischen , verstohlenen Griffen , hinterrücks , während die Lippen Freundschaft grinsten . Und sie fing an – ah , sie kannte ja die Cousine , » als ob sie sie gemacht hätte « – mit dickem Blaustift große , breite Ringe in die Augenlieder zu kreisen , weil die Cousine das » schauderhaft Cocotte « fand . Und sie fing an , jedem Zudringlichen Neigung zu heucheln und einen Liebesbrief abzubetteln , weil vor diesen gewaltsamen und ungestümen Männerschriften , welche die Begierde aufblies , die Cousine bei jeder neuen Post vor Klage und Verdruß ganz aus dem Häuschen kam . Und sie fing an , unschuldig von Miene wie ein herziges Lämmchen , indem sie die Äuglein ganz winzig kniff , in den abscheulichsten Worten , wie sie sie unter den Packträgern des Magazins zusammenkehrte , von den abscheulichsten Dingen zu schwatzen , vor denen sie selber lieber gleich davongelaufen wäre , als von etwas Natürlichem und Selbstverständlichem , wie schon das Leben einmal ist , und ganz verwundert , daß eines so altmodisch sein könnte , sich daran zu stoßen – nur die Cousine zu erbosen , zu verbittern , zu empören . Sie sollte es nur auch einmal sehen , wie das ist . Und wie sie das prickelte , kalt und warm zugleich , vom Nacken hinunter über den ganzen Leib , wenn sie dann endlich aufklappte wie ein Federmesser , vor Wut , die dürre Cousine , als wollte sie ihr ins Gesicht springen und gleich die Nase wegbeißen ! Sie sollte es nur probieren ! Dann konnte sie sich aber ihre Perrücke suchen , drei Wochen lang , und in allen Winkeln die Fetzen zusammenklauben ! Zwicken , stechen , kratzen – warte nur , Du sollst es schon spüren .