Erstes Kapitel An dem Schnittpunkte von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße , schräg gegenüber dem » Zoologischen « , befand sich in der Mitte der siebziger Jahre noch eine große , feldeinwärts sich erstreckende Gärtnerei , deren kleines , dreifenstriges , in einem Vorgärtchen um etwa hundert Schritte zurück gelegenes Wohnhaus , trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit , von der vorübergehenden Straße her sehr wohl erkannt werden konnte . Was aber sonst noch zu dem Gesamtgewese der Gärtnerei gehörte , ja die recht eigentliche Hauptsache derselben ausmachte , war durch eben dies kleine Wohnhaus wie durch eine Kulisse versteckt , und nur ein rot und grün gestrichenes Holztürmchen mit einem halb weggebrochenen Zifferblatt unter der Turmspitze ( von Uhr selbst keine Rede ) ließ vermuten , daß hinter dieser Kulisse noch etwas anderes verborgen sein müsse , welche Vermutung denn auch in einer von Zeit zu Zeit aufsteigenden , das Türmchen umschwärmenden Taubenschar und mehr noch in einem gelegentlichen Hundegeblaff ihre Bestätigung fand . Wo dieser Hund eigentlich steckte , das entzog sich freilich der Wahrnehmung , trotzdem die hart an der linken Ecke gelegene , von früh bis spät aufstehende Haustür einen Blick auf ein Stückchen Hofraum gestattete . Überhaupt schien sich nichts mit Absicht verbergen zu wollen , und doch mußte jeder , der zu Beginn unserer Erzählung des Weges kam , sich an dem Anblick des dreifenstrigen Häuschens und einiger im Vorgarten stehenden Obstbäume genügen lassen . Es war die Woche nach Pfingsten , die Zeit der langen Tage , deren blendendes Licht mitunter kein Ende nehmen wollte . Heut aber stand die Sonne schon hinter dem Wilmersdorfer Kirchturm , und statt der Strahlen , die sie den ganzen Tag über herabgeschickt hatte , lagen bereits abendliche Schatten in dem Vorgarten , dessen halb märchenhafte Stille nur noch von der Stille des von der alten Frau Nimptsch und ihrer Pflegetochter Lene mietweise bewohnten Häuschens übertroffen wurde . Frau Nimptsch selbst aber saß wie gewöhnlich an dem großen , kaum fußhohen Herd ihres die ganze Hausfront einnehmenden Vorderzimmers und sah , hockend und vorgebeugt , auf einen rußigen alten Teekessel , dessen Deckel , trotzdem der Wrasen auch vorn aus der Tülle quoll , beständig hin und her klapperte . Dabei hielt die Alte beide Hände gegen die Glut und war so versunken in ihre Betrachtungen und Träumereien , daß sie nicht hörte , wie die nach dem Flur hinausführende Tür aufging und eine robuste Frauensperson ziemlich geräuschvoll eintrat . Erst als diese letztre sich geräuspert und ihre Freundin und Nachbarin , eben unsre Frau Nimptsch , mit einer gewissen Herzlichkeit bei Namen genannt hatte , wandte sich diese nach rückwärts und sagte nun auch ihrerseits freundlich und mit einem Anfluge von Schelmerei : » Na , das is recht , liebe Frau Dörr , daß Sie mal wieder rüberkommen . Und noch dazu von 's › Schloß ‹ . Denn ein Schloß is es und bleibt es . Hat ja 'nen Turm . Un nu setzen Sie sich ... Ihren lieben Mann hab ich eben weggehen sehen . Und muß auch . Is ja heute sein Kegelabend . « Die so freundlich als Frau Dörr Begrüßte war nicht bloß eine robuste , sondern vor allem auch eine sehr stattlich aussehende Frau , die , neben dem Eindruck des Gütigen und Zuverlässigen , zugleich den einer besonderen Beschränktheit machte . Die Nimptsch indessen nahm sichtlich keinen Anstoß daran und wiederholte nur : » Ja , sein Kegelabend . Aber , was ich sagen wollte , liebe Frau Dörr , mit Dörren seinen Hut , das geht nicht mehr . Der is ja schon fuchsblank und eigentlich schimpfierlich . Sie müssen ihn ihm wegnehmen und einen andern hinstellen . Vielleicht merkt er es nich . . . Und nu rücken Sie ran hier , liebe Frau Dörr , oder lieber da drüben auf die Hutsche ... Lene , na Sie wissen ja , is ausgeflogen un hat mich mal wieder in Stich gelassen . « » Er war woll hier ? « » Freilich war er . Und beide sind nu ein bißchen auf Wilmersdorf zu ; den Fußweg lang , da kommt keiner . Aber jeden Augenblick können sie wieder hier sein . « » Na , da will ich doch lieber gehn . « » O nich doch , liebe Frau Dörr . Er bleibt ja nich . Und wenn er auch bliebe , Sie wissen ja , der is nicht so . « » Weiß , weiß . Und wie steht es denn ? « » Ja , wie soll es stehn ? Ich glaube , sie denkt so was , wenn sie 's auch nich wahrhaben will , und bildet sich was ein . « » O du meine Güte « , sagte Frau Dörr , während sie , statt der ihr angebotenen Fußbank , einen etwas höheren Schemel heranschob : » O du meine Güte , denn is es schlimm . Immer wenn das Einbilden anfängt , fängt auch das Schlimme an . Das is wie Amen in der Kirche . Sehen Sie , liebe Frau Nimptsch , mit mir war es ja eigentlich ebenso , man bloß nichts von Einbildung . Und bloß darum war es auch wieder ganz anders . « Frau Nimptsch verstand augenscheinlich nicht recht , was die Dörr meinte , weshalb diese fortfuhr : » Und weil ich mir nie was in 'n Kopp setzte , darum ging es immer ganz glatt und gut und ich habe nu Dörren . Na , viel is es nich , aber es is doch was Anständiges , und man kann sich überall sehen lassen . Und drum bin ich auch in die Kirche mit ihm gefahren und nich bloß Standesamt . Bei Standesamt reden sie immer noch . « Die Nimptsch nickte . Frau Dörr aber wiederholte : » Ja , in die Kirche , in die Matthäikirche un bei Büchseln . Aber was ich eigentlich sagen wollte , sehen Sie , liebe Frau Nimptsch , ich war ja woll eigentlich größer und anziehlicher als die Lene , un wenn ich auch nicht hübscher war ( denn so was kann man nie recht wissen , un die Geschmäcker sind so verschieden ) , so war ich doch so mehr im Vollen , un das mögen manche . Ja , soviel is richtig . Aber wenn ich auch sozusagen fester war un mehr im Gewicht fiel un so was hatte , nu ja , ich hatte so was , so war ich doch immer man ganz einfach un beinah simpel , un was nu er war , mein Graf , mit seine fuffzig auf 'm Puckel , na , der war auch man ganz simpel und bloß immer kreuzfidel un unanständig . Und da reichen ja keine hundert Mal , daß ich ihm gesagt habe : › Ne , ne , Graf , das geht nicht , so was verbitt ich mir ... ‹ Und immer die Alten sind so . Und ich sage bloß , liebe Frau Nimptsch , Sie können sich so was gar nich denken . Gräßlich war es . Und wenn ich mir nu der Lene ihren Baron ansehe , denn schämt es mir immer noch , wenn ich denke , wie meiner war . Und nu gar erst die Lene selber . Jott , ein Engel is sie woll grade auch nich , aber propper und fleißig un kann alles und is für Ordnung un fürs Reelle . Und sehen Sie , liebe Frau Nimptsch , das is grade das Traurige . Was da so rumfliegt , heute hier un morgen da , na , das kommt nicht um , das fällt wie die Katz immer wieder auf die vier Beine , aber so 'n gutes Kind , das alles ernsthaft nimmt und alles aus Liebe tut , ja , das ist schlimm ... Oder vielleicht is es auch nich so schlimm ; Sie haben sie ja bloß angenommen un is nich Ihr eigen Fleisch und Blut , un vielleicht is es eine Prinzessin oder so was . « Frau Nimptsch schüttelte bei dieser Vermutung den Kopf und schien antworten zu wollen . Aber die Dörr war schon aufgestanden und sagte , während sie den Gartensteig hinuntersah : » Gott , da kommen sie . Und bloß in Zivil , un Rock un Hose ganz egal . Aber man sieht es doch ! Und nu sagt er ihr was ins Ohr , und sie lacht so vor sich hin . Aber ganz rot is sie geworden . . . Und nu geht er . Und nu ... wahrhaftig , ich glaube , er dreht noch mal um . Nei , nei , er grüßt bloß noch mal , und sie wirft ihm Kußfinger zu ... Ja , das glaub ich ; so was laß ich mir gefallen ... Nei , so war meiner nich . « Frau Dörr sprach noch weiter , bis Lene kam und die beiden Frauen begrüßte . Zweites Kapitel Andern Vormittags schien die schon ziemlich hoch stehende Sonne auf den Hof der Dörrschen Gärtnerei und beleuchtete hier eine Welt von Baulichkeiten , unter denen auch das » Schloß « war , von dem Frau Nimptsch am Abend vorher mit einem Anfluge von Spott und Schelmerei gesprochen hatte . Ja , dies » Schloß « ! In der Dämmerung hätt es bei seinen großen Umrissen wirklich für etwas Derartiges gelten können , heut aber , in unerbittlich heller Beleuchtung daliegend , sah man nur zu deutlich , daß der ganze , bis hoch hinauf mit gotischen Fenstern bemalte Bau nichts als ein jämmerlicher Holzkasten war , in dessen beide Giebelwände man ein Stück Fachwerk mit Stroh- und Lehmfüllung eingesetzt hatte , welchem vergleichsweise soliden Einsatze zwei Giebelstuben entsprachen . Alles andere war bloße Steindiele , von der aus ein Gewirr von Leitern zunächst auf einen Boden und von diesem höher hinauf in das als Taubenhaus dienende Türmchen führte . Früher , in vordörrscher Zeit , hatte der ganze riesige Holzkasten als bloße Remise zur Aufbewahrung von Bohnenstangen und Gießkannen , vielleicht auch als Kartoffelkeller gedient , seit aber , vor soundso viel Jahren , die Gärtnerei von ihrem gegenwärtigen Besitzer gekauft wor den war , war das eigentliche Wohnhaus an Frau Nimptsch vermietet und der gotisch bemalte Kasten , unter Einfügung der schon erwähnten zwei Giebelstuben , zum Aufenthalt für den damals verwitweten Dörr hergerichtet worden , eine höchst primitive Herrichtung , an der seine bald danach erfolgende Wiederverheiratung nichts geändert hatte . Sommers war diese beinah fensterlose Remise mit ihren Steinfliesen und ihrer Kühle kein übler Aufenthalt , um die Winterzeit aber hätte Dörr und Frau , samt einem aus erster Ehe stammenden zwanzigjährigen , etwas geistesschwachen Sohn , einfach erfrieren müssen , wenn nicht die beiden großen , an der andern Seite des Hofes gelegenen Treibhäuser gewesen wären . In diesen verbrachten alle drei Dörrs die Zeit von November bis März ausschließlich , aber auch in der besseren und sogar in der heißen Jahreszeit spielte sich das Leben der Familie , wenn man nicht gerade vor der Sonne Zuflucht suchte , zu großem Teile vor und in diesen Treibhäusern ab , weil hier alles am bequemsten lag : hier standen die Treppchen und Estraden , auf denen die jeden Morgen aus den Treibhäusern hervorgeholten Blumen ihre frische Luft schöpfen durften , hier war der Stall mit Kuh und Ziege , hier die Hütte mit dem Ziehhund , und von hier aus erstreckte sich auch das wohl fünfzig Schritte lange Doppelmistbeet , mit einem schmalen Gange dazwischen , bis an den großen , weiter zurück gelegenen Gemüsegarten . In diesem sah es nicht sonderlich ordentlich aus , einmal weil Dörr keinen Sinn für Ordnung , außerdem aber eine so große Hühnerpassion hatte , daß er diesen seinen Lieblingen , ohne Rücksicht auf den Schaden , den sie stifteten , überall umherzupicken gestattete . Groß freilich war dieser Schaden nie , da seiner Gärtnerei , die Spargelanlagen abgerechnet , alles Feinere fehlte . Dörr hielt das Gewöhnlichste zugleich für das Vorteilhafteste , zog deshalb Majoran und andere Wurstkräuter , besonders aber Borré , hinsichtlich dessen er der Ansicht lebte , daß der richtige Berliner überhaupt nur drei Dinge brauche : eine Weiße , einen Gilka und Borré . » Bei Borré « , schloß er dann regelmäßig , » ist noch keiner zu kurz gekommen . « Er war überhaupt ein Original , von ganz selbständigen Anschauungen und einer entschiedenen Gleichgiltigkeit gegen das , was über ihn gesagt wurde . Dem entsprach denn auch seine zweite Heirat , eine Neigungsheirat , bei der die Vorstellung von einer besondren Schönheit seiner Frau mitgewirkt und ihr früheres Verhältnis zu dem Grafen , statt ihr schädlich zu sein , gerad umgekehrt den Ausschlag zum Guten hin gegeben und einfach den Vollbeweis ihrer Unwiderstehlichkeit erbracht hatte . Wenn sich dabei mit gutem Grunde von Überschätzung sprechen ließ , so doch freilich nicht von seiten Dörrs in Person , für den die Natur , soweit Äußerlichkeiten in Betracht kamen , ganz ungewöhnlich wenig getan hatte . Mager , mittelgroß und mit fünf grauen Haarsträhnen über Kopf und Stirn , wär er eine vollkommene Trivialerscheinung gewesen , wenn ihm nicht eine zwischen Augenwinkel und linker Schläfe sitzende braune Pocke was Apartes gegeben hätte . Weshalb denn auch seine Frau nicht mit Unrecht und in der ihr eigenen ungenierten Weise zu sagen pflegte : » Schrumplig is er man , aber von links her hat er so was Borsdorfriges . « Damit war er gut getroffen und hätte nach diesem Signalement überall erkannt werden müssen , wenn er nicht tagaus , tagein eine mit einem großen Schirm ausgestattete Leinwandmütze getragen hätte , die , tief ins Gesicht gezogen , sowohl das Alltägliche wie das Besondere seiner Physiognomie verbarg . Und so , die Mütze samt Schirm ins Gesicht gezogen , stand er auch heute wieder , am Tage nach dem zwischen Frau Dörr und Frau Nimptsch geführten Zwiegespräche , vor einer an das vordere Treibhaus sich anlehnenden Blumen-Estrade , verschiedene Goldlack- und Geraniumtöpfe beiseite schiebend , die morgen mit auf den Wochenmarkt sollten . Es waren sämtlich solche , die nicht im Topf gezogen , sondern nur eingesetzt waren , und mit einer besonderen Genugtuung und Freude ließ er sie vor sich aufmarschieren , schon im voraus über die » Madams « lachend , die morgen kommen , ihre herkömmlichen fünf Pfennig abhandeln und schließlich doch die Betrogenen sein würden . Es zählte das zu seinen größten Vergnügungen und war eigentlich das Hauptgeistesleben , das er führte . » Das bißchen Geschimpfe . . . Wenn ich's nur mal mit anhören könnte . « So sprach er noch vor sich hin , als er , vom Garten her , das Gebell eines kleinen Köters und dazwischen das verzweifelte Krähen eines Hahns hörte , ja , wenn nicht alles täuschte , seines Hahns , seines Lieblings mit dem Silbergefieder . Und sein Auge nach dem Garten hin richtend , sah er in der Tat , daß ein Haufen Hühner auseinandergestoben , der Hahn aber auf einen Birnbaum geflogen war , von dem aus er gegen den unten kläffenden Hund unausgesetzt um Hilfe rief . » Himmeldonnerwetter « , schrie Dörr in Wut , » das is wieder Bollmann seiner . . . Wieder durch den Zaun ... I , da soll doch ... « Und den Geraniumtopf , den er eben musterte , rasch aus der Hand setzend , lief er auf die Hundehütte zu , griff nach dem Kettenzwickel und machte den großen Ziehhund los , der nun sofort auch wie ein Rasender auf den Garten zuschoß . Eh dieser jedoch den Birnbaum erreichen konnte , gab » Bollmann seiner « bereits Fersengeld und verschwand unter dem Zaun weg ins Freie – der fuchsgelbe Ziehhund zunächst noch in großen Sätzen nach . Aber das Zaunloch , das für den Affenpinscher grad ausgereicht hatte , verweigerte ihm den Durchgang und zwang ihn , von seiner Verfolgung Abstand zu nehmen . Nicht besser erging es Dörr selber , der inzwischen mit einer Harke herangekommen war und mit seinem Hunde Blicke wechselte . » Ja , Sultan , diesmal war es nichts . « Und dabei trottete Sultan wieder auf seine Hütte zu , langsam und verlegen , wie wenn er einen kleinen Vorwurf herausgehört hätte . Dörr selbst aber sah dem draußen in einer Ackerfurche hinjagenden Affenpinscher nach und sagte nach einer Weile : » Hol mich der Deubel , wenn ich mir nich 'ne Windbüchse anschaffe , bei Mehles oder sonst wo . Un denn pust ich das Biest so stille weg , und kräht nich Huhn , nich Hahn danach . Nich mal meiner . « Von dieser ihm von seiten Dörrs zugemuteten Ruhe schien der letztere jedoch vorläufig nichts wissen zu wollen , machte vielmehr von seiner Stimme nach wie vor den ausgiebigsten Gebrauch . Und dabei warf er den Silberhals so stolz , als ob er den Hühnern zeigen wolle , daß seine Flucht in den Birnbaum hinein ein wohlüberlegter Coup oder eine bloße Laune gewesen sei . Dörr aber sagte : » Jott , so 'n Hahn . Denkt nu auch wunder was er is . Un seine Courage is doch auch man soso . « Und damit ging er wieder auf seine Blumen-Estrade zu . Drittes Kapitel Der ganze Hergang war auch von Frau Dörr , die gerade beim Spargelstechen war , beobachtet , aber nur wenig beachtet worden , weil sich ähnliches jeden dritten Tag wiederholte . Sie fuhr denn auch in ihrer Arbeit fort und gab das Suchen erst auf , als auch die schärfste Musterung der Beete keine » weißen Köppe « mehr ergeben wollte . Nun erst hing sie den Korb an ihren Arm , legte das Stechmesser hinein und ging langsam und ein paar verirrte Küken vor sich her treibend erst auf den Mittelweg des Gartens und dann auf den Hof und die Blumen-Estrade zu , wo Dörr seine Marktarbeit wieder aufgenommen hatte . » Na , Suselchen « , empfing er seine beßre Hälfte , » da bist du ja . Hast du woll gesehn ? Bollmann seiner war wieder da . Höre , der muß dran glauben , un denn brat ich ihn aus ; ein bißchen Fett wird er ja woll haben , un Sultan kann denn die Grieben kriegen ... Und Hundefett , höre , Susel ... « , und er wollte sich augenscheinlich in eine seit einiger Zeit von ihm bevorzugte Gichtbehandlungsmethode vertiefen . In diesem Augenblick aber des Spargelkorbes am Arme seiner Frau gewahr werdend , unterbrach er sich und sagte : » Na , nu zeige mal her . Hat 's denn gefleckt ? « » I nu « , sagte Frau Dörr und hielt ihm den kaum halb gefüllten Korb hin , dessen Inhalt er kopfschüttelnd durch die Finger gleiten ließ . Denn es waren meist dünne Stangen und viel Bruch dazwischen . » Höre , Susel , es bleibt dabei , du hast keine Spargelaugen . « » Oh , ich habe schon . Man bloß hexen kann ich nich . « » Na , wir wollen nich streiten , Susel ; mehr wird es doch nich . Aber zum Verhungern is es . « » I , es denkt nich dran . Laß doch das ewige Gerede , Dörr ; sie stecken ja drin , un ob sie nu heute rauskommen oder morgen , is ja ganz egal . Eine düchtige Husche , so wie die vor Pfingsten , und du sollst mal sehn . Und Regen gibt es . Die Wassertonne riecht schon wieder , un die große Kreuzspinn is in die Ecke gekrochen . Aber du willst jeden Dag alles haben ; das kannst du nich verlangen . « Dörr lachte . » Na , binde man alles gut zusammen . Und den kleinen Murks auch . Und du kannst ja denn auch was ablassen . « » Ach , rede doch nicht so « , unterbrach ihn die sich über seinen Geiz beständig ärgernde Frau , zog ihn aber , was er immer als Zärtlichkeit nahm , auch heute wieder am Ohrzipfel und ging auf das » Schloß « zu , wo sie sich's auf dem Steinfliesenflur bequem machen und die Spargelbündel binden wollte . Kaum aber , daß sie den hier immer bereitstehenden Schemel bis an die Schwelle vorgerückt hatte , so hörte sie , wie schräg gegenüber in dem von der Frau Nimptsch bewohnten dreifenstrigen Häuschen ein Hinterfenster mit einem kräftigen Ruck aufgestoßen und gleich darauf eingehakt wurde . Zugleich sah sie Lene , die , mit einer weiten , lilagemusterten Jacke über den Friesrock und einem Häubchen auf dem aschblonden Haar , freundlich zu ihr hinübergrüßte . Frau Dörr erwiderte den Gruß mit gleicher Freundlichkeit und sagte dann : » Immer Fenster auf ; das ist recht , Lenechen . Und fängt auch schon an , heiß zu werden . Es gibt heute noch was . « » Ja . Und Mutter hat von der Hitze schon ihr Kopfweh , und da will ich doch lieber in der Hinterstube plätten . Is auch hübscher hier ; vorne sieht man ja keinen Menschen . « » Hast recht « , antwortete die Dörr . » Na , da werd ich man ein bißchen ans Fenster rücken . Wenn man so spricht , geht einen alles besser von der Hand . « » Ach , das is lieb und gut von Ihnen , Frau Dörr . Aber hier am Fenster is ja grade die pralle Sonne . « » Schadt nichts , Lene . Da bring ich meinen Marchtschirm mit , altes Ding und lauter Flicken . Aber tut immer noch seine Schuldigkeit . « Und ehe fünf Minuten um waren , hatte die gute Frau Dörr ihren Schemel bis an das Fenster geschleppt und saß nun unter ihrer Schirmstellage so behaglich und selbstbewußt , als ob es auf dem Gensdarmenmarkt gewesen wäre . Drinnen aber hatte Lene das Plättbrett auf zwei dicht ans Fenster gerückte Stühle gelegt und stand nun so nah , daß man sich mit Leichtigkeit die Hand reichen konnte . Dabei ging das Plätteisen emsig hin und her . Und auch Frau Dörr war fleißig beim Aussuchen und Zusammenbinden , und wenn sie dann und wann von ihrer Arbeit auf- und ins Fenster hineinsah , sah sie , wie nach hinten zu der kleine Plättofen glühte , der für neue heiße Bolzen zu sorgen hatte . Du könntest mir mal 'nen Teller geben , Lene , Teller oder Schüssel . « Und als Lene gleich danach brachte , was Frau Dörr gewünscht hatte , tat diese den Bruchspargel hinein , den sie während des Sortierens in ihrer Schürze behalten hatte . » Da , Lene , das gibt 'ne Spargelsuppe . Un is so gut wie das andre . Denn daß es immer die Köppe sein müssen , is ja dummes Zeug . Ebenso wie mit 'n Blumenkohl ; immer Blume , Blume , die reine Einbildung . Der Strunk is eigentlich das Beste , da sitzt die Kraft drin . Und die Kraft is immer die Hauptsache . « » Gott , Sie sind immer so gut , Frau Dörr . Aber was wird nur Ihr Alter sagen ? « » Der ? Ach , Leneken , was der sagt , is ganz egal . Der redt doch . Er will immer , daß ich den Murks mit einbinde , wie wenn's richtige Stangen wären , aber solche Bedrügerei mag ich nich , auch wenn Bruch-und Stückenzeug gradesogut schmeckt wie 's Ganze . Was einer bezahlt , das muß er haben , un ich ärgre mir bloß , daß so 'n Mensch , dem es so zuwächst , so 'n alter Geizkragen is . Aber so sind die Gärtners alle , rapschen und rapschen un können nie genug kriegen . « » Ja « , lachte Lene , » geizig is er und ein bißchen wunderlich . – Aber eigentlich doch ein guter Mann . « » Ja , Leneken , er wäre soweit ganz gut , un auch die Geizerei wäre nich so schlimm un is immer noch besser als die Verbringerei , wenn er man nich so zärtlich wäre . Du glaubst es nich , immer is er da . Un nu sieh ihn dir an . Es is doch eigentlich man ein Jammer mit ihm un dabei richtige sechsundfünfzig , un vielleicht is es noch ein Jahr mehr . Denn lügen tut er auch , wenn 's ihm gerade paßt . Un da hilft auch nichts , gar nichts . Ich erzähl ihm immer von Schlag und Schlag und zeig ihm welche , die so humpeln und einen schiefen Mund haben , aber er lacht bloß immer und glaubt es nich . Es kommt aber doch so . Ja , Leneken , ich glaub es ganz gewiß , daß es so kommt . Und vielleicht balde . Na , verschrieben hat er mir alles , un so sag ich weiter nichts . Wie einer sich legt , so liegt er . Aber was reden wir von Schlag und Dörr , un daß er bloß O-Beine hat . Jott , mein Lenechen , da gibt es ganz andere Leute , die sind so grade gewachsen wie 'ne Tanne . Nich wahr , Lene ? « Lene wurde hierbei noch röter , als sie schon war , und sagte : » Der Bolzen ist kalt geworden . « Und vom Plättbrett zurücktretend , ging sie bis an den eisernen Ofen und schüttete den Bolzen in die Kohlen zurück , um einen neuen herauszunehmen . Alles war das Werk eines Augenblicks . Und nun ließ sie mit einem geschickten Ruck den neuen glühenden Bolzen vom Feuerhaken in das Plätteisen niedergleiten , klappte das Türchen wieder ein und sah nun erst , daß Frau Dörr noch immer auf Antwort wartete . Sicherheitshalber aber stellte die gute Frau die Frage noch mal und setzte gleich hinzu : » Kommt er denn heute ? « » Ja . Wenigstens hat er es versprochen . « » Nu sage mal , Lene « , fuhr Frau Dörr fort , » wie kam es denn eigentlich ? Mutter Nimptsch sagt nie was , un wenn sie was sagt , denn is es auch man immer soso , nich hu un nich hott . Und immer bloß halb un so konfuse . Nu , sage du mal . Is es denn wahr , daß es in Stralau war ? « » Ja , Frau Dörr , in Stralau war es , den zweiten Ostertag , aber schon so warm , als ob Pfingsten wär , und weil Lina Gansauge gern Kahn fahren wollte , nahmen wir einen Kahn , und Rudolf , den Sie ja wohl auch kennen und der ein Bruder von Lina ist , setzte sich ans Steuer . « » Jott , Rudolf . Rudolf is ja noch ein Junge . « » Freilich . Aber er meinte , daß er's verstünde , und sagte bloß immer : › Mächens , ihr müßt stillsitzen ; ihr schunkelt so ‹ , denn er spricht so furchtbar berlinsch . Aber wir dachten gar nicht dran , weil wir gleich sahen , daß es mit seiner ganzen Steuerei nicht weit her sei . Zuletzt aber vergaßen wir 's wieder und ließen uns treiben und neckten uns mit denen , die vorbeikamen und uns mit Wasser bespritzten . Und in dem einen Boote , das mit unsrem dieselbe Richtung hatte , saßen ein paar sehr feine Herren , die beständig grüßten , und in unsrem Übermute grüßten wir wieder , und Lina wehte sogar mit dem Taschentuch und tat , als ob sie die Herren kenne , was aber gar nicht der Fall war , und wollte sich bloß zeigen , weil sie noch so sehr jung ist . Und während wir noch so lachten und scherzten und mit dem Ruder bloß so spielten , sahen wir mit einem Male , daß von Treptow her das Dampfschiff auf uns zukam , und wie Sie sich denken können , liebe Frau Dörr , waren wir auf den Tod erschrocken und riefen in unserer Angst Rudolfen zu , daß er uns heraussteuern solle . Der Junge war aber aus Rand und Band und steuerte bloß so , daß wir uns beständig im Kreise drehten . Und nun schrien wir und wären sicherlich überfahren worden , wenn nicht in eben diesem Augenblicke das andre Boot mit den zwei Herren sich unsrer Not erbarmt hätte . Mit ein paar Schlägen war es neben uns , und während der eine mit einem Bootshaken uns fest und scharf heranzog und an das eigne Boot ankoppelte , ruderte der andre sich und uns aus dem Strudel heraus , und nur einmal war es noch , als ob die große , vom Dampfschiff her auf uns zukommende Welle uns umwerfen wolle . Der Kapitän drohte denn auch wirklich mit dem Finger ( ich sah es inmitten all meiner Angst ) , aber auch das ging vorüber , und eine Minute später waren wir bis an Stralau heran , und die beiden Herren , denen wir unsre Rettung verdankten , sprangen ans Ufer und reichten uns die Hand und waren uns als richtige Kavaliere beim Aussteigen behülflich . Und da standen wir denn nun auf der Landungsbrücke bei Tübbeckes und waren sehr verlegen , und Lina weinte jämmerlich vor sich hin , und bloß Rudolf , der überhaupt ein störrischer und großmäuliger Bengel is und immer gegen 's Militär , bloß Rudolf sah ganz bockig vor sich hin , als ob er sagen wollte : › Dummes Zeug , ich hätt euch auch rausgesteuert . ‹ « » Ja , so is er , ein großmäuliger Bengel ; ich kenn ihn . Aber nu die beiden Herren . Das ist doch die Hauptsache ... « » Nun die bemühten sich erst noch um uns und blieben dann an dem andren Tisch und sahen immer zu uns rüber . Und als wir so gegen sieben , und es schummerte schon , nach Hause wollten , kam der eine und fragte , › ob er und sein Kamerad uns ihre Begleitung anbieten dürften ? ‹ Und da lacht ich übermütig und sagte , › sie hätten uns ja gerettet und einem Retter dürfe man nichts abschlagen . Übrigens sollten sie sich 's noch mal überlegen , denn wir wohnten so gut wie am andern Ende der Welt . Und sei eigentlich eine Reise . ‹ Worauf er verbindlich antwortete : › Desto besser . ‹ Und mittlerweile war auch der andre herangekommen ... Ach , liebe Frau Dörr , es mag wohl nicht recht gewesen sein , gleich so freiweg zu sprechen , aber der eine gefiel mir , und sich zieren und zimperlich tun , das hab ich nie gekonnt . Und so gingen wir denn den weiten Weg , erst an der Spree und dann an dem Kanal hin . « » Und Rudolf ! « » Der ging hinterher , als ob er gar nicht zugehöre , sah aber alles und paßte gut auf . Was auch recht war ; denn die Lina is ja erst achtzehn und noch ein gutes , unschuldiges Kind ! « » Meinst du ? « » Gewiß , Frau Dörr . Sie brauchen sie ja bloß anzusehn . So was sieht man gleich . « » Ja , mehrstens . Aber mitunter auch nich . Und da haben sie euch denn nach Hause gebracht ? « » Ja , Frau Dörr . « » Und nachher ? « » Ja , nachher . Nun Sie wissen ja , wie's nachher kam . Er kam dann den andern Tag und fragte nach . Und seitdem ist er oft gekommen , und ich freue mich immer , wenn er kommt . Gott , man freut sich doch , wenn man mal was erlebt . Es ist oft so einsam hier draußen . Und Sie wissen ja , Frau Dörr , Mutter hat nichts dagegen und sagt immer : › Kind , es schadt nichts . Eh man sich's versieht , is man alt . ‹ « » Ja , ja « , sagte die Dörr , » so was hab ich die Nimptschen auch schon sagen hören . Und hat auch ganz recht . Das heißt , wie man's nehmen will , und nach 'm Katechismus is doch eigentlich immer noch besser und sozusagen überhaupt das beste . Das kannst du mir schon glauben . Aber ich weiß woll , es geht nich immer , und mancher will auch nich . Und wenn einer nich will , na , denn will er nich , un denn muß es auch so gehn und geht auch mehrstens , man bloß , daß man ehrlich is un anständig und Wort hält . Un natürlich , was denn kommt , das muß man aushalten un darf sich nicht wundern . Un wenn man all so was weiß und sich immer wieder zu Gemüte führt , na , denn is es nich so schlimm . Un schlimm is eigentlich man bloß das Einbilden . « » Ach , liebe Frau Dörr « , lachte Lene , » was Sie nur denken . Einbilden ! Ich bilde mir gar nichts ein . Wenn ich einen liebe , dann lieb ich ihn . Und das ist mir genug . Und will weiter gar nichts von ihm , nichts , gar nichts , und daß mir mein Herze so schlägt und ich die Stunden zähle , bis er kommt , und nicht abwarten kann , bis er wieder da ist , das macht mich glücklich , das ist mir genug . « » Ja « , schmunzelte die Dörr vor sich hin , » das is das richtige , so muß es sein . Aber is es denn wahr , Lene , daß er Botho heißt ? So kann doch einer eigentlich nich heißen : das is ja gar kein christlicher Name . « » Doch , Frau Dörr . « Und Lene machte Miene , die Tatsache , daß es solchen Namen gäbe , des weiteren zu bestätigen . Aber ehe sie dazu kommen konnte , schlug Sultan an , und im selben Augenblicke hörte man deutlich vom Hausflur her , daß wer eingetreten sei . Wirklich erschien auch der Briefträger und brachte zwei Bestellkarten für Dörr und einen Brief für Lene . » Gott , Hahnke « , rief die Dörr dem in großen Schweißperlen vor ihr Stehenden zu , » Sie drippen ja man so . Is es denn so ' ne schwebende Hitze ? Un erst halb zehn . Na soviel seh ich woll , Briefträger is auch kein Vergnügen . « Und die gute Frau wollte gehn , um ein Glas frische Milch zu holen . Aber Hahnke dankte . » Habe keine Zeit , Frau Dörr . Ein ander Mal . « Und damit ging er . Lene hatte mittlerweile den Brief erbrochen . » Na , was schreibt er ? « » Er kommt heute nicht , aber morgen . Ach , es ist so lange bis morgen . Ein Glück , daß ich Arbeit habe ; je mehr Arbeit , desto besser . Und ich werde heut nach mittag in Ihren Garten kommen und graben helfen . – Aber Dörr darf nicht dabeisein . « » I Gott bewahre . « Und danach trennte man sich , und Lene ging in das Vorderzimmer , um der Alten das von der Frau Dörr erhaltene Spargelgericht zu bringen . Viertes Kapitel Und nun war der andre Abend da , zu dem Baron Botho sich angemeldet hatte . Lene ging im Vorgarten auf und ab , drinnen aber , in der großen Vorderstube , saß wie gewöhnlich Frau Nimptsch am Herd , um den herum sich auch heute wieder die vollzählig erschienene Familie Dörr gruppiert hatte . Frau Dörr strickte mit großen Holznadeln an einer blauen , für ihren Mann bestimmten Wolljacke , die , vorläufig noch ohne rechte Form , nach Art eines großen Vlieses auf ihrem Schoße lag . Neben ihr , die Beine bequem übereinandergeschlagen , rauchte Dörr aus einer Tonpfeife , während der Sohn in einem dicht am Fenster stehenden Großvaterstuhle saß und seinen Rotkopf an die Stuhlwange lehnte . Jeden Morgen bei Hahnenschrei aus dem Bett , war er auch heute wieder vor Müdigkeit eingeschlafen . Gesprochen wurde wenig , und so hörte man denn nichts als das Klappern der Holznadeln und das Knabbern des Eichhörnchens , das mitunter aus seinem Schilderhäuschen herauskam und sich neugierig umsah . Nur das Herdfeuer und der Widerschein des Abendrots gaben etwas Licht . Frau Dörr saß so , daß sie den Gartensteg hinaufsehen und trotz der Dämmerung erkennen konnte , wer draußen , am Heckenzaun entlang , des Weges kam . » Ah , da kommt er « , sagte sie . » Nu , Dörr , laß mal deine Pfeife ausgehen . Du bist heute wieder wie 'n Schornstein un rauchst und schmookst den ganzen Tag . Un so 'n Knallerballer wie deiner , der is nich für jeden . « Dörr ließ sich solche Rede wenig anfechten , und ehe seine Frau mehr sagen oder ihre Wahrsprüche wiederholen konnte , trat der Baron ein . Er war sichtlich angeheitert , kam er doch von einer Maibowle , die Gegenstand einer Clubwette gewesen war , und sagte , während er Frau Nimptsch die Hand reichte : » Guten Tag , Mutterchen . Hoffentlich gut bei Weg . Ah , und Frau Dörr ; und Herr Dörr , mein alter Freund und Gönner . Hören Sie , Dörr , was sagen Sie zu dem Wetter ? Eigens für Sie bestellt und für mich mit . Meine Wiesen zu Hause , die vier Jahre von fünf immer unter Wasser stehen und nichts bringen als Ranunkeln , die können solch Wetter brauchen . Und Lene kann 's auch brauchen , daß sie mehr draußen ist ; sie wird mir sonst zu blaß . « Lene hatte derweilen einen Holzstuhl neben die Alte gerückt , weil sie wußte , daß Baron Botho hier am liebsten saß ; Frau Dörr aber , in der eine starke Vorstellung davon lebte , daß ein Baron auf einem Ehrenplatz sitzen müsse , war inzwischen aufgestanden und rief , immer das blaue Vlies nachschleppend , ihrem Pflegesohn zu : » Will er woll auf ! Ne , ich sage . Wo 's nich drinsteckt , da kommt es auch nich . « Der arme Junge fuhr blöd und verschlafen in die Höh und wollte den Platz räumen , der Baron litt es aber nicht . » Um 's Himmels willen , liebe Frau Dörr , lassen Sie doch den Jungen . Ich sitz am liebsten auf einem Schemel , wie mein Freund Dörr hier . « Und damit schob er den Holzstuhl , den Lene noch immer in Bereitschaft hatte , neben die Alte und sagte , während er sich setzte : » Hier neben Frau Nimptsch ; das ist der beste Platz . Ich kenne keinen Herd , auf den ich so gern sähe ; immer Feuer , immer Wärme . Ja , Mutterchen , es ist so ; hier ist es am besten . « » Ach , du mein Gott « , sagte die Alte . » Hier am besten ! Hier bei 'ner alten Wasch- und Plättefrau . « » Freilich . Und warum nicht ? Jeder Stand hat seine Ehre . Waschfrau auch . Wissen Sie denn , Mutterchen , daß es hier in Berlin einen berühmten Dichter gegeben hat , der ein Gedicht auf seine alte Waschfrau gemacht hat ? « » Is es möglich ? « » Freilich ist es möglich . Es ist sogar gewiß . Und wissen Sie , was er zum Schluß gesagt hat ? Da hat er gesagt , er möchte so leben und sterben wie die alte Waschfrau . Ja , das hat er gesagt . « Is es möglich ? « simperte die Alte noch einmal vor sich hin . » Und wissen Sie , Mutterchen , um auch das nicht zu vergessen , daß er ganz recht gehabt hat und daß ich ganz dasselbe sage ? Ja , Sie lachen so vor sich hin . Aber sehen Sie sich mal um hier , wie leben Sie ? Wie Gott in Frankreich . Erst haben Sie das Haus und diesen Herd und dann den Garten und dann Frau Dörr . Und dann haben Sie die Lene . Nicht wahr ? Aber wo steckt sie nur ? « Er wollte noch weitersprechen , aber im selben Augenblicke kam Lene mit einem Kaffeebrett zurück , auf dem eine Karaffe mit Wasser samt Apfelwein stand , Apfelwein , für den der Baron , weil er ihm wunderbare Heilkraft zuschrieb , eine sonst schwer begreifliche Vorliebe hatte . » Ach Lene , wie du mich verwöhnst . Aber du darfst es mir nicht so feierlich präsentieren , das ist ja , wie wenn ich im Club wäre . Du mußt es mir aus der Hand bringen , da schmeckt es am besten . Und nun gib mir deine Patsche , daß ich sie streicheln kann . Nein , nein , die Linke , die kommt von Herzen . Und nun setze dich da hin , zwischen Herr und Frau Dörr , dann hab ich dich gegenüber und kann dich immer ansehn . Ich habe mich den ganzen Tag auf diese Stunde gefreut . « Lene lachte . » Du glaubst es wohl nicht ? Ich kann es dir aber beweisen , Lene , denn ich habe dir von der großen Herren- und Damen-fête , die wir gestern hatten , was mitgebracht . Und wenn man was zum Mitbringen hat , dann freut man sich auch auf die , die's kriegen sollen . Nicht wahr , lieber Dörr ? « Dörr schmunzelte , Frau Dörr aber sagte : » Jott , der . Der un mitbringen . Dörr is bloß für rapschen und sparen . So sind die Gärtners . Aber neugierig bin ich doch , was der Herr Baron mitgebracht haben . « » Nun , da will ich nicht lange warten lassen , sonst denkt meine liebe Frau Dörr am Ende , daß es ein goldener Pantoffel ist oder sonst was aus dem Märchen . Es ist aber bloß das . « Und dabei gab er Lenen eine Tüte , daraus , wenn nicht alles täuschte , das gefranzte Papier einiger Knallbonbons hervorguckte . Wirklich , es waren Knallbonbons , und die Tüte ging reihum . » Aber nun müssen wir auch ziehen , Lene ; halt fest und Augen zu . « Frau Dörr war entzückt , als es einen Knall gab , und noch mehr , als Lenes Zeigefinger blutete . » Das tut nich weh , Lene , das kenn ich ; das is , wie wenn sich 'ne Braut in 'n Finger sticht . Ich kannte mal eine , die war so versessen drauf , die stach sich immerzu un lutschte und lutschte , wie wenn es wunder was wäre . « Lene wurde rot . Aber Frau Dörr sah es nicht und fuhr fort : » Und nu den Vers lesen , Herr Baron . « Und dieser las denn auch : » In Liebe selbstvergessen sein Freut Gott und die lieben Engelein . « » Jott « , sagte Frau Dörr und faltete die Hände . » Das is ja wie aus 'n Gesangbuch . Is es denn immer so fromm ? « » I bewahre « , sagte Botho . » Nicht immer . Kommen Sie , liebe Frau Dörr , wir wollen auch mal ziehn und sehn , was dabei herauskommt . « Und nun zog er wieder und las : » Wo Amors Pfeil recht tief getroffen , Da stehen Himmel und Hölle offen . Nun , Frau Dörr , was sagen Sie dazu ? das klingt schon anders ; nicht wahr ? « » Ja « , sagte Frau Dörr , » anders klingt es . Aber es gefällt mir nicht recht . . . Wenn ich einen Knallbonbon ziehe ... « » Nun ? « » Da darf nichts von Hölle vorkommen , da will ich nich hören , daß es so was gibt . « » Ich auch nicht « , lachte Lene . » Frau Dörr hat ganz recht ; sie hat überhaupt immer recht . Aber das ist wahr , wenn man solchen Vers liest , da hat man immer gleich was zum Anfangen , ich meine zum Anfangen mit der Unterhaltung , denn Anfangen is immer das schwerste , gerade wie beim Briefschreiben , und ich kann mir eigentlich keine Vorstellung machen , wie man mit soviel fremden Damen ( und ihr kennt euch doch nicht alle ) so gleich mir nichts , dir nichts ein Gespräch anfangen kann . « » Ach , meine liebe Lene « , sagte Botho , » das ist nicht so schwer , wie du denkst . Es ist sogar ganz leicht . Und wenn du willst , will ich dir gleich eine Tischunterhaltung vormachen . « Frau Dörr und Frau Nimptsch drückten ihre Freude darüber aus , und auch Lene nickte zustimmend . » Nun « , fuhr Baron Botho fort , » denke dir also , du wärst eine kleine Gräfin . Und eben hab ich dich zu Tische geführt und Platz genommen , und nun sind wir beim ersten Löffel Suppe . « » Gut. Gut . Aber nun ? « » Und nun sag ich : Irr ich nicht , meine gnädigste Komtesse , so sah ich Sie gestern in der Flora , Sie und Ihre Frau Mama . Nicht zu verwundern . Das Wetter lockt ja jetzt täglich heraus , und man könnte schon von Reisewetter sprechen . Haben Sie Pläne , Sommerpläne , meine gnädigste Gräfin ? Und nun antwortest du , daß leider noch nichts feststünde , weil der Papa durchaus nach dem Bayrischen wolle , daß aber die Sächsische Schweiz mit dem Königstein und der Bastei dein Herzenswunsch wäre . « » Das ist es auch wirklich « , lachte Lene . » Nun sieh , das trifft sich gut . Und so fahr ich denn fort : Ja , gnädigste Komtesse , da begegnen sich unsere Geschmacksrichtungen . Ich ziehe die Sächsische Schweiz ebenfalls jedem anderen Teile der Welt vor , namentlich auch der eigentlichen Schweiz . Man kann nicht immer große Natur schwelgen , nicht immer klettern und außer Atem sein . Aber Sächsische Schweiz ! Himmlisch , ideal . Da hab ich Dresden ; in einer Viertel- oder halben Stunde bin ich da , da seh ich Bilder , Theater , Großen Garten , Zwinger , Grünes Gewölbe . Versäumen Sie nicht , sich die Kanne mit den törichten Jungfrauen zeigen zu lassen , und vor allem den Kirschkern , auf dem das ganze Vaterunser steht . Alles bloß durch die Lupe zu sehen . « » Und so sprecht ihr ! « » Ganz so , mein Schatz . Und wenn ich mit meiner Nachbarin zur Linken , also mit Komtesse Lene , fertig bin , so wend ich mich zu meiner Nachbarin zur Rechten , also zu Frau Baronin Dörr ... « Die Dörr schlug vor Entzücken mit der Hand aufs Knie , daß es einen lauten Puff gab . . . » Zu Frau Baronin Dörr also . Und spreche nun worüber ? Nun , sagen wir über Morcheln . « » Aber mein Gott , Morcheln . Über Morcheln , Herr Baron , das geht doch nicht . « » O warum nicht , warum soll es nicht gehen , liebe Frau Dörr ? Das ist ein sehr ernstes und lehrreiches Gespräch und hat für manche mehr Bedeutung , als Sie glauben . Ich besuchte mal einen Freund in Polen , Regiments- und Kriegskameraden , der ein großes Schloß bewohnte , rot und mit zwei dicken Türmen , und so furchtbar alt , wie's eigentlich gar nicht mehr vorkommt . Und das letzte Zimmer war sein Wohnzimmer ; denn er war unverheiratet , weil er ein Weiberfeind war ... « » Ist es möglich ? « » Und überall waren morsche , durchgetretene Dielen , und immer , wo ein paar Dielen fehlten , da war ein Morchelbeet , und an all den Morchelbeeten ging ich vorbei , bis ich zuletzt in sein Zimmer kam . « » Ist es möglich ? « wiederholte die Dörr und setzte hinzu : » Morcheln . Aber man kann doch nicht immer von Morcheln sprechen . « » Nein , nicht immer . Aber oft oder wenigstens manchmal , und eigentlich ist es ganz gleich , wovon man spricht . Wenn es nicht Morcheln sind , sind es Champignons , und wenn es nicht das rote polnische Schloß ist , dann ist es Schlößchen Tegel oder Saatwinkel oder Valentinswerder . Oder Italien oder Paris oder die Stadtbahn , oder ob die Panke zugeschüttet werden soll . Es ist alles ganz gleich . Über jedes kann man ja was sagen und ob 's einem gefällt oder nicht . Und › ja ‹ ist geradesoviel wie › nein ‹ . « » Aber « , sagte Lene , » wenn es alles so redensartlich ist , da wundert es mich , daß ihr solche Gesellschaften mitmacht . « » O man sieht doch schöne Damen und Toiletten und mitunter auch Blicke , die , wenn man gut aufpaßt , einem eine ganze Geschichte verraten . Und jedenfalls dauert es nicht lange , so daß man immer noch Zeit hat , im Club alles nachzuholen . Und im Club ist es wirklich reizend , da hören die Redensarten auf , und die Wirklichkeiten fangen an . Ich habe gestern Pitt seine Graditzer Rappstute abgenommen . « » Wer ist Pitt ? « » Ach , das sind so Namen , die wir nebenher führen , und wir nennen uns so , wenn wir unter uns sind . Der Kronprinz sagt auch Vicky , wenn er Victoria meint . Es ist ein wahres Glück , daß es solche Liebes- und Zärtlichkeitsnamen gibt . Aber horch , eben fängt drüben das Konzert an . Können wir nicht die Fenster aufmachen , daß wir's besser hören ? Du wippst ja schon mit der Fußspitze hin und her . Wie wär es , wenn wir anträten und einen Contre versuchten oder eine Française ? Wir sind drei Paare : Vater Dörr und meine gute Frau Nimptsch und dann Frau Dörr und ich ( ich bitte um die Ehre ) , und dann kommt Lene mit Hans . « Frau Dörr war sofort einverstanden , Dörr und Frau Nimptsch aber lehnten ab , diese , weil sie zu alt sei , jener , weil er so was Feines nicht kenne . » Gut , Vater Dörr . Aber dann müssen Sie den Takt schlagen ; Lene , gib ihm das Kaffeebrett und einen Löffel . Und nun antreten , meine Damen . Frau Dörr , Ihren Arm . Und nun Hans , aufwachen , flink , flink . « Und wirklich , beide Paare stellten sich auf , und Frau Dörr wuchs ordentlich noch an Stattlichkeit , als ihr Partner in einem feierlichen Tanzmeister-Französisch anhob : » En avant deux , pas de basque . « Der sommersprossige , leider noch immer verschlafene Gärtnerjunge sah sich maschinenmäßig und ganz nach Art einer Puppe hin und her geschoben , die drei andern aber tanzten wie Leute , die's verstehen , und entzückten den alten Dörr derart , daß er sich von seinem Schemel erhob und statt mit dem Löffel mit seinem Knöchel an das Kaffeebrett schlug . Auch der alten Frau Nimptsch kam die Lust früherer Tage wieder , und weil sie nichts Besseres tun konnte , wühlte sie mit dem Feuerhaken so lang in der Kohlenglut umher , bis die Flamme hoch aufschlug . So ging es , bis die Musik drüben schwieg ; Botho führte Frau Dörr wieder an ihren Platz , und nur Lene stand noch da , weil der ungeschickte Gärtnerjunge nicht wußte , was er mit ihr machen sollte . Das aber paßte Botho gerade , der , als die Musik drüben wieder anhob , mit Lene zu walzen und ihr zuzuflüstern begann , wie reizend sie sei , reizender denn je . Sie waren alle warm geworden , am meisten die gerade jetzt am offenen Fenster stehende Frau Dörr . » Jott , mir schuddert so « , sagte sie mit einem Male , weshalb Botho verbindlich aufsprang , um die Fenster zu schließen . Aber Frau Dörr wollte davon nichts wissen und behauptete : » Was die feinen Leute wären , die wären alle für frische Luft , und manche wären so fürs Frische , daß ihnen im Winter das Deckbett an den Mund fröre . Denn Atem wäre dasselbe wie Wrasen , grade wie der , der aus der Tülle käm . Also die Fenster müßten aufbleiben , davon ließe sie nicht . Aber wenn Lenechen so fürs Innerliche was hätte , so was für Herz und Seele ... « » Gewiß , liebe Frau Dörr ; alles , was Sie wollen . Ich kann einen Tee machen oder einen Punsch , oder noch besser , ich habe ja noch das Kirschwasser , das Sie Mutter Nimptschen und mir letzten Weihnachten zu der großen Mandelstolle geschenkt haben ... « Und ehe sich Frau Dörr zwischen Punsch und Tee entscheiden konnte , war auch die Kirschwasserflasche schon da , mit Gläsern , großen und kleinen , in die sich nun jeder nach Gutdünken hineintat . Und nun ging Lene , den rußigen Herdkessel in der Hand , reihum und goß das kochsprudelnde Wasser ein . » Nicht zuviel , Leneken , nicht zuviel . Immer aufs Ganze . Wasser nimmt die Kraft . « Und im Nu füllte sich der Raum mit dem aufsteigenden Kirschmandelarom . » Ah , das hast du gut gemacht « , sagte Botho , während er aus dem Glase nippte . » Weiß es Gott , ich habe gestern nichts gehabt und heute im Club erst recht nicht , was mir so geschmeckt hätte . Hoch Lene ! Das eigentliche Verdienst in der Sache hat aber doch unsere Freundin , Frau Dörr , › weil 's ihr so geschuddert hat ‹ , und so bring ich denn gleich noch eine zweite Gesundheit aus : Frau Dörr , sie lebe hoch . « » Sie lebe hoch « , riefen alle durcheinander , und der alte Dörr schlug wieder mit seinem Knöchel ans Brett . Alle fanden , daß es ein feines Getränk sei , viel feiner als Punschextrakt , der im Sommer immer nach bittrer Zitrone schmecke , weil es meistens alte Flaschen seien , die schon , von Fastnacht an , im Ladenfenster in der grellen Sonne gestanden hätten . Kirschwasser aber , das sei was Gesundes und nie verdorben , und ehe man sich mit dem Bittermandelgift vergifte , da müßte man doch schon was Ordentliches einnehmen , wenigstens eine Flasche . Diese Bemerkung machte Frau Dörr , und der Alte , der es nicht darauf ankommen lassen wollte , vielleicht weil er diese hervorragendste Passion seiner Frau kannte , drang auf Aufbruch : » Morgen sei auch noch ein Tag . « Botho und Lene redeten zu , doch noch zu bleiben . Aber die gute Frau Dörr , die wohl wußte , » daß man zuzeiten nachgeben müsse , wenn man die Herrschaft behalten wolle « , sagte nur : » Laß , Leneken , ich kenn ihn ; er geht nu mal mit die Hühner zu Bett . « – » Nun « , sagte Botho , » wenn es beschlossen ist , ist es beschlossen . Aber dann begleiten wir die Familie Dörr bis an ihr Haus . « Und damit brachen alle auf und ließen nur die alte Frau Nimptsch zurück , die den Abgehenden freundlich und kopfnickend nachsah und dann aufstand und sich in den Großvaterstuhl setzte . Fünftes Kapitel Vor dem » Schloß « mit dem grün und rot gestrichenen Turme machten Botho und Lene halt und baten Dörr in aller Förmlichkeit um Erlaubnis , noch in den Garten gehn und eine halbe Stunde darin promenieren zu dürfen . Der Abend sei so schön . Vater Dörr brummelte , daß er sein Eigentum in keinem beßren Schutz lassen könne , worauf das junge Paar unter artigen Verbeugungen Abschied nahm und auf den Garten zuschritt . Alles war schon zur Ruh , und nur Sultan , an dem sie vorbei mußten , richtete sich hoch auf und winselte so lange , bis ihn Lene gestreichelt hatte . Dann erst kroch er wieder in seine Hütte zurück . Drinnen im Garten war alles Duft und Frische , denn , den ganzen Hauptweg hinauf , zwischen den Johannis- und Stachelbeersträuchern , standen Levkojen und Reseda , deren feiner Duft sich mit dem kräftigeren der Thymianbeete mischte . Nichts regte sich in den Bäumen , und nur Leuchtkäfer schwirrten durch die Luft . Lene hatte sich in Bothos Arm gehängt und schritt mit ihm auf das Ende des Gartens zu , wo , zwischen zwei Silberpappeln , eine Bank stand . » Wollen wir uns setzen ? « » Nein « , sagte Lene , » nicht jetzt « , und bog in einen Seitenweg ein , dessen hochstehende Himbeerbüsche fast über den Gartenzaun hinauswuchsen . » Ich gehe so gern an deinem Arm . Erzähle mir etwas . Aber etwas recht Hübsches . Oder frage . « » Gut. Ist es dir recht , wenn ich mit den Dörrs anfange ? « » Meinetwegen . « » Ein sonderbares Paar . Und dabei , glaub ich , glücklich . Er muß tun , was sie will , und ist doch um vieles klüger . « » Ja « , sagte Lene , » klüger ist er , aber auch geizig und hartherzig , und das macht ihn gefügig , weil er beständig ein schlechtes Gewissen hat . Sie sieht ihm scharf auf die Finger und leidet es nicht , wenn er jemand übervorteilen will . Und das ist es , wovor er Furcht hat und was ihn nachgiebig macht . « Und weiter nichts ? « » Vielleicht auch noch Liebe , so sonderbar es klingt . Das heißt Liebe von seiner Seite . Denn trotz seiner sechsundfünfzig oder mehr ist er noch wie vernarrt in seine Frau , und bloß weil sie so groß ist . Beide haben mir die wunderlichsten Geständnisse darüber gemacht . Ich bekenne dir offen , mein Geschmack wäre sie nicht . « » Da hast du aber unrecht , Lene ; sie macht eine Figur . « » Ja « , lachte Lene , » sie macht eine Figur , aber sie hat keine . Siehst du denn gar nicht , daß ihr die Hüften eine Handbreit zu hoch sitzen ? Aber so was seht ihr nicht , und › Figur ‹ und › stattlich ‹ ist immer euer drittes Wort , ohne daß sich wer drum kümmert , wo denn die Stattlichkeit eigentlich herkommt . « So plaudernd und neckend blieb sie stehn und bückte sich , um auf einem langen und schmalen Erdbeerbeete , das sich in Front von Zaun und Hecke hinzog , nach einer Früherdbeere zu suchen . Endlich hatte sie , was sie wollte , nahm das Stengelchen eines wahren Prachtexemplares zwischen die Lippen und trat vor ihn hin und sah ihn an . Er war auch nicht säumig , pflückte die Beere von ihrem Munde fort und umarmte sie und küßte sie . » Meine süße Lene , das hast du recht gemacht . Aber höre nur , wie Sultan blafft ; er will bei dir sein : soll ich ihn losmachen ? « » Nein , wenn er hier ist , hab ich dich nur noch halb . Und sprichst du dann gar noch von der stattlichen Frau Dörr , so hab ich dich so gut wie gar nicht mehr . « » Gut « , lachte Botho , » Sultan mag bleiben , wo er ist . Ich bin es zufrieden . Aber von Frau Dörr muß ich noch weiter sprechen . Ist sie wirklich so gut ? « » Ja , das ist sie , trotzdem sie sonderbare Dinge sagt , Dinge , die wie Zweideutigkeiten klingen und es auch sein mögen . Aber sie weiß nichts davon , und in ihrem Tun und Wandel ist nicht das geringste , was an ihre Vergangenheit erinnern könnte . « » Hat sie denn eine ? « » Ja . Wenigstens stand sie jahrelang in einem Verhältnis und › ging mit ihm ‹ , wie sie sich auszudrücken pflegt . Und darüber ist wohl kein Zweifel , daß über dies Verhältnis und natürlich auch über die gute Frau Dörr selbst viel , sehr viel geredet worden ist . Und sie wird auch Anstoß über Anstoß gegeben haben . Nur sie selber hat sich in ihrer Einfalt nie Gedanken darüber gemacht und noch weniger Vorwürfe . Sie spricht davon wie von einem unbequemen Dienst , den sie getreulich und ehrlich erfüllt hat , bloß aus Pflichtgefühl . Du lachst , und es klingt auch sonderbar genug . Aber es läßt sich nicht anders sagen . Und nun lassen wir die Frau Dörr und setzen uns lieber und sehen in die Mondsichel . « Wirklich , der Mond stand drüben über dem Elefantenhause , das in dem niederströmenden Silberlichte noch phantastischer aussah als gewöhnlich . Lene wies darauf hin , zog die Mantelkapuze fester zusammen und barg sich an seine Brust . So vergingen ihr Minuten , schweigend und glücklich , und erst als sie sich wie von einem Traume , der sich doch nicht festhalten ließ , wieder aufrichtete , sagte sie : » Woran hast du gedacht ? Aber du mußt mir die Wahrheit sagen . « » Woran ich dachte , Lene ? Ja , fast schäm ich mich , es zu sagen . Ich hatte sentimentale Gedanken und dachte nach Haus hin an unsren Küchengarten in Schloß Zehden , der genauso daliegt wie dieser Dörrsche , dieselben Salatbeete mit Kirschbäumen dazwischen , und ich möchte wetten , auch ebenso viele Meisenkästen . Und auch die Spargelbeete liefen so hin . Und dazwischen ging ich mit meiner Mutter , und wenn sie guter Laune war , gab sie mir das Messer und erlaubte , daß ich ihr half . Aber weh mir , wenn ich ungeschickt war und die Spargelstange zu lang oder zu kurz abstach . Meine Mutter hatte eine rasche Hand . « » Glaub's . Und mir ist immer , als ob ich Furcht vor ihr haben müßte . « » Furcht ? Wie das ? Warum , Lene ? « Lene lachte herzlich , und doch war eine Spur von Gezwungenheit darin . » Du mußt nicht gleich denken , daß ich vorhabe , mich bei der Gnädigen melden zu lassen , und darfst es nicht anders nehmen , als ob ich gesagt hätte , ich fürchte mich vor der Kaiserin . Würdest du deshalb denken , daß ich zu Hofe wollte ? Nein , ängstige dich nicht ; ich verklage dich nicht . « » Nein , das tust du nicht . Dazu bist du viel zu stolz und eigentlich eine kleine Demokratin und ringst dir jedes freundliche Wort nur so von der Seele . Hab ich recht ? Aber wie 's auch sei , mache dir auf gut Glück hin ein Bild von meiner Mutter . Wie sieht sie aus ? « » Genauso wie du : groß und schlank und blauäugig und blond . « » Arme Lene « ( und das Lachen war diesmal auf seiner Seite ) , » da hast du fehlgeschossen . Meine Mutter ist eine kleine Frau mit lebhaften schwarzen Augen und einer großen Nase . « » Glaub es nicht . Das ist nicht möglich . « » Und ist doch so . Du mußt nämlich bedenken , daß ich auch einen Vater habe . Aber das fällt euch nie ein . Ihr denkt immer , ihr seid die Hauptsache . Und nun sage mir noch etwas über den Charakter meiner Mutter . Aber rate besser . « » Ich denke mir sie sehr besorgt um das Glück ihrer Kinder . « » Getroffen ... « » ... Und daß all ihre Kinder reiche , das heißt sehr reiche Partien machen . Und ich weiß auch , wen sie für dich in Bereitschaft hält . « » Eine Unglückliche , die du ... « » Wie du mich verkennst . Glaube mir , daß ich dich habe , diese Stunde habe , das ist mein Glück . Was daraus wird , das kümmert mich nicht . Eines Tages bist du weggeflogen ... « Er schüttelte den Kopf . » Schüttle nicht den Kopf ; es ist so , wie ich sage . Du liebst mich und bist mir treu , wenigstens bin ich in meiner Liebe kindisch und eitel genug , es mir einzubilden . Aber wegfliegen wirst du , das seh ich klar und gewiß . Du wirst es müssen . Es heißt immer , die Liebe mache blind , aber sie macht auch hell und fernsichtig . « » Ach , Lene , du weißt gar nicht , wie lieb ich dich habe . « » Doch , ich weiß es . Und weiß auch , daß du deine Lene für was Besondres hältst und jeden Tag denkst , › wenn sie doch eine Gräfin wäre ‹ . Damit ist es nun aber zu spät , das bring ich nicht mehr zuwege . Du liebst mich und bist schwach . Daran ist nichts zu ändern . Alle schönen Männer sind schwach , und der Stärkre beherrscht sie ... Und der Stärkre ... ja , wer ist dieser Stärkre ? Nun entweder ist 's deine Mutter oder das Gerede der Menschen oder die Verhältnisse . Oder vielleicht alles drei ... Aber sieh nur . « Und sie wies nach dem » Zoologischen « hinüber , aus dessen Baum- und Blätterdunkel eben eine Rakete zischend in die Luft fuhr und mit einem Puff in zahllose Schwärmer zerstob . Eine zweite folgte der ersten , und so ging es weiter , als ob sie sich jagen und überholen wollten , bis es mit einem Male vorbei war und die Gebüsche drüben in einem grünen und roten Lichte zu glühen anfingen . Ein paar Vögel in ihren Käfigen kreischten dazwischen , und dann fiel nach einer langen Pause die Musik wieder ein . » Weißt du , Botho , wenn ich dich nun so nehmen und mit dir die Lästerallee drüben auf und ab schreiten könnte , so sicher wie hier zwischen den Buchsbaumrabatten , und könnte jedem sagen : › Ja , wundert euch nur , er ist er und ich bin ich , und er liebt mich und ich liebe ihn ‹ – ja , Botho , was glaubst du wohl , was ich dafür gäbe ? Aber rate nicht , du rätst es doch nicht . Ihr kennt ja nur euch und euren Club und euer Leben . Ach , das arme bißchen Leben . « » Sprich nicht so , Lene . « » Warum nicht ? Man muß allem ehrlich ins Gesicht sehn und sich nichts weismachen lassen und vor allem sich selber nichts weismachen . Aber es wird kalt , und drüben ist es auch vorbei . Das ist das Schlußstück , das sie jetzt spielen . Komm , wir wollen uns drin an den Herd setzen , das Feuer wird noch nicht aus sein , und die Alte ist längst zu Bett . « So gingen sie , während sie sich leicht an seine Schulter lehnte , den Gartensteig wieder hinauf . Im » Schloß « brannte kein Licht mehr , und nur Sultan , den Kopf aus seiner Hütte vorstreckend , sah ihnen nach . Aber er rührte sich nicht und hatte bloß mürrische Gedanken . Sechstes Kapitel Es war die Woche darnach , und die Kastanien hatten bereits abgeblüht ; auch in der Bellevuestraße . Hier hatte Baron Botho von Rienäcker eine zwischen einem Front- und einem Gartenbalkon gelegene Parterrewohnung inne : Arbeitszimmer , Eßzimmer , Schlafzimmer , die sich sämtlich durch eine geschmackvolle , seine Mittel ziemlich erheblich übersteigende Einrichtung auszeichneten . In dem Eßzimmer befanden sich zwei Hertelsche Stilleben und dazwischen eine Bärenhatz , wertvolle Kopie nach Rubens , während in dem Arbeitszimmer ein Andreas Achenbachscher » Seesturm « , umgeben von einigen kleineren Bildern desselben Meisters , paradierte . Der › Seesturm ‹ war ihm bei Gelegenheit einer Verlosung zugefallen , und an diesem schönen und wertvollen Besitze hatte er sich zum Kunstkenner und speziell zum Achenbach-Enthusiasten herangebildet . Er scherzte gern darüber und pflegte zu versichern , » daß ihm sein Lotterieglück , weil es ihn zu beständig neuen Ankäufen verführt habe , teuer zu stehn gekommen sei « , hinzusetzend , » daß es vielleicht mit jedem Glücke dasselbe sei « . Vor dem Sofa , dessen Plüsch mit einem persischen Teppich überdeckt war , stand auf einem Malachittischchen das Kaffeegeschirr , während auf dem Sofa selbst allerlei politische Zeitungen umherlagen , unter ihnen auch solche , deren Vorkommen an dieser Stelle ziemlich verwunderlich war und nur aus dem Baron Bothoschen Lieblingssatze » Schnack gehe vor Politik « erklärt werden konnte . Geschichten , die den Stempel der Erfindung an der Stirn trugen , sogenannte » Perlen « , amüsierten ihn am meisten . Ein Kanarienvogel , dessen Bauer während der Frühstückszeit allemal offenstand , flog auch heute wieder auf Hand und Schulter seines ihn nur zu sehr verwöhnenden Herrn , der , anstatt ungeduldig zu werden , das Blatt jedesmal beiseite tat , um den kleinen Liebling zu streicheln . Unterließ er es aber , so drängte sich das Tierchen an Hals und Bart des Lesenden und piepte so lang und eigensinnig , bis ihm der Wille getan war . » Alle Lieblinge sind gleich « , sagte Baron Rienäcker , » und fordern Gehorsam und Unterwerfung . « In diesem Augenblicke ging die Korridorklingel , und der Diener trat ein , um die draußen abgegebenen Briefe zu bringen . Der eine , graues Couvert in Quadrat , war offen und mit einer Dreipfennigmarke frankiert . » Hamburger Lotterielos oder neue Zigarren « , sagte Rienäcker und warf Couvert und Inhalt , ohne weiter nachzusehen , beiseite . » Aber das hier ... Ah , von Lene . Nun , den verspare ich mir bis zuletzt , wenn ihm dieser dritte , gesiegelte , nicht den Rang streitig macht . Ostensches Wappen . Also von Onkel Kurt Anton ; Poststempel › Berlin ‹ , will sagen : schon da . Was wird er nur wollen ? Zehn gegen eins , ich soll mit ihm frühstücken oder einen Sattel kaufen oder ihn zu Renz begleiten , vielleicht auch zu Kroll ; am wahrscheinlichsten das eine tun und das andere nicht lassen . « Und er schnitt das Couvert , auf dem er auch Onkel Ostens Handschrift erkannt hatte , mit einem auf dem Fensterbrett liegenden Messerchen auf und nahm den Brief heraus . Der aber lautete : » Hotel Brandenburg , Nummer 15 . Mein lieber Botho . Vor einer Stunde bin ich hier unter eurer alten Berliner Devise › vor Taschendieben wird gewarnt ‹ auf dem Ostbahnhofe glücklich eingetroffen und habe mich in Hotel Brandenburg einquartiert , will sagen an alter Stelle ; was ein richtiger Konservativer ist , ist es auch in kleinen Dingen . Ich bleibe nur zwei Tage , denn eure Luft drückt mich . Es ist ein stickiges Nest . Alles andre mündlich . Ich erwarte Dich ein Uhr bei Hiller . Dann wollen wir einen Sattel kaufen . Und dann abends zu Renz . Sei pünktlich . Dein alter Onkel Kurt Anton . « Rienäcker lachte . » Dacht ich 's doch ! Und doch eine Neuerung . Früher war es Borchardt , jetzt Hiller . Ei , ei , Onkelchen , was ein richtiger Konservativer ist , ist es auch in kleinen Dingen ... Und nun meine liebe Lene . . . Was Onkel Kurt Anton wohl sagen würde , wenn er wüßte , in welcher Begleitung sein Brief und seine Befehle hier eingetroffen sind . « Und während er so sprach , erbrach er Lenes Billet und las . » Es sind nun schon volle fünf Tage , daß ich Dich nicht gesehen habe . Soll es eine volle Woche werden ? Und ich dachte , Du müßtest den andern Tag wiederkommen , so glücklich war ich den Abend . Und Du warst so lieb und gut . Mutter neckt mich schon und sagt : › Er kommt nicht wieder . ‹ Ach , wie mir das immer einen Stich ins Herz gibt , weil es ja mal so kommen muß und weil ich fühle , daß es jeden Tag kommen kann . Daran wurd ich gestern wieder erinnert . Denn wenn ich Dir eben schrieb , ich hätte Dich fünf Tage lang nicht gesehen , so hab ich nicht die Wahrheit gesagt , ich habe Dich gesehn , gestern , aber heimlich , verstohlen , auf dem Korso . Denke Dir , ich war auch da , natürlich weit zurück in einer Seiten-Alleh , und habe Dich eine Stunde lang auf und ab reiten sehn . Ach , ich freute mich über die Maßen , denn Du warst der stattlichste ( beinah so stattlich wie Frau Dörr , die sich Dir emphelen läßt ) , und ich hatte solchen Stolz , Dich zu sehn , daß ich nicht einmal eifersüchtig wurde . Nur einmal kam es . Wer war denn die schöne Blondine , mit den zwei Schimmeln , die ganz in einer Blumengirrlande gingen ? Und die Blumen so dicht , ganz ohne Blatt und Stiehl . So was Schönes hab ich all mein Lebtag nicht gesehn . Als Kind hätt ich gedacht , es müß eine Prinzessin sein , aber jetzt weiß ich , daß Prinzessinnen nicht immer die schönsten sind . Ja , sie war schön und gefiehl Dir , ich sah es wohl , und Du gefiehlst ihr auch . Aber die Mutter , die neben der schönen Blondine saß , der gefiehlst Du noch besser . Und das ärgerte mich . Einer ganz jungen gönne ich Dich , wenn 's durchaus sein muß . Aber einer alten ! Und nun gar einer Mama ? Nein , nein , die hat ihr Teil . Jedenfalls , mein einziger Botho , siehst Du , daß Du mich wieder gutmachen und beruhigen mußt . Ich erwarte Dich morgen oder übermorgen . Und wenn Du nicht Abend kannst , so komme bei Tag , und wenn es nur eine Minute wäre . Ich habe solche Angst um Dich , das heißt eigentlich um mich . Du verstehst mich schon . Deine Lene . « » Deine Lene « , sprach er , die Briefunterschrift wiederholend , noch einmal vor sich hin , und eine Unruhe bemächtigte sich seiner , weil ihm allerwiderstreitendste Gefühle durchs Herz gingen : Liebe , Sorge , Furcht . Dann durchlas er den Brief noch einmal . An zwei , drei Stellen konnt er sich nicht versagen , ein Strichelchen mit dem silbernen Crayon zu machen , aber nicht aus Schulmeisterei , sondern aus eitel Freude . » Wie gut sie schreibt ! Kalligraphisch gewiß und orthographisch beinah ... Stiehl statt Stiel ... Ja , warum nicht ? Stiehl war eigentlich ein gefürchteter Schulrat , aber , Gott sei Dank , ich bin keiner . Und › emphelen ‹ . Soll ich wegen f und h mit ihr zürnen ? Großer Gott , wer kann › empfehlen ‹ richtig schreiben ? Die ganz jungen Komtessen nicht immer und die ganz alten nie . Also was schadt's ! Wahrhaftig , der Brief ist wie Lene selber , gut , treu , zuverlässig , und die Fehler machen ihn nur noch reizender . « Er lehnte sich in den Stuhl zurück und legte die Hand über Stirn und Augen : » Arme Lene , was soll werden ! Es wär uns beiden besser gewesen , der Ostermontag wäre diesmal ausgefallen . Wozu gibt es auch zwei Feiertage ? Wozu Treptow und Stralau und Wasserfahrten ? Und nun der Onkel ! Entweder kommt er wieder als Abgesandter von meiner Mutter , oder er hat Pläne für mich aus sich selbst , aus eigner Initiative . Nun , ich werde ja sehen . Eine diplomatische Verstellungsschule hat er nicht durchgemacht , und wenn er zehn Eide geschworen hat , zu schweigen , es kommt doch heraus . Ich will 's schon erfahren , trotzdem ich in der Kunst der Intrige gleich nach ihm selber komme . « Dabei zog er ein Fach seines Schreibtisches auf , darin , von einem roten Bändchen umwunden , schon andere Briefe Lenens lagen . Und nun klingelte er nach dem Diener , der ihm beim Ankleiden behilflich sein sollte . » So , Johann , das wäre getan ... Und nun vergiß nicht , die Jalousien herunterzulassen . Und wenn wer kommt und nach mir fragt , bis zwölf bin ich in der Kaserne , nach eins bei Hiller und am Abend bei Renz . Und zieh auch die Jalousien zu rechter Zeit wieder auf , daß ich nicht wieder einen Brütofen vorfinde . Und laß die Lampe vorn brennen . Aber nicht in meinem Schlafzimmer ; die Mücken sind wie toll in diesem Jahr . Verstanden ? « Zu Befehl , Herr Baron . « Und unter diesem Gespräche , das schon halb im Korridor geführt worden war , trat Rienäcker in den Hausflur , ziepte draußen im Vorgarten die dreizehnjährige , sich gerad über den Wagen ihres kleinen Bruders beugende Portiertochter von hinten her am Zopf und empfing einen wütenden , aber im Erkennungsmoment ebenso rasch in Zärtlichkeit übergehenden Blick als Antwort darauf . Und nun erst trat er durch die Gittertür auf die Straße . Hier sah er , unter der grünen Kastanienlaube hin , abwechselnd auf das Tor und dann wieder nach dem Tiergarten zu , wo sich , wie auf einem Camera-obscura-Glase , die Menschen und Fuhrwerke geräuschlos hin und her bewegten . » Wie schön . Es ist doch wohl eine der besten Welten . « Siebentes Kapitel Um zwölf war der Dienst in der Kaserne getan , und Botho von Rienäcker ging die Linden hinunter aufs Tor zu , lediglich in der Absicht , die Stunde bis zum Rendezvous bei Hiller , so gut sich 's tun ließ , auszufüllen . Zwei , drei Bilderläden waren ihm dabei sehr willkommen . Bei Lepke standen ein paar Oswald Achenbachs im Schaufenster , darunter eine palermitanische Straße , schmutzig und sonnig , und von einer geradezu frappierenden Wahrheit des Lebens und Kolorits . » Es gibt doch Dinge , worüber man nie ins reine kommt . So mit den Achenbachs . Bis vor kurzem hab ich auf Andreas geschworen ; aber wenn ich so was sehe wie das hier , so weiß ich nicht , ob ihm der Oswald nicht gleichkommt oder ihn überholt . Jedenfalls ist er bunter und mannigfacher . All dergleichen aber ist mir bloß zu denken erlaubt ; vor den Leuten es aussprechen hieße meinen › Seesturm ‹ ohne Not auf den halben Preis herabsetzen . « Unter solchen Betrachtungen stand er eine Zeitlang vor dem Lepkeschen Schaufenster und ging dann , über den Pariser Platz hin , auf das Tor und die schräg links führende Tiergartenallee zu , bis er vor der Wolffschen Löwengruppe haltmachte . Hier sah er nach der Uhr . » Halb eins . Also Zeit . « Und so wandt er sich wieder , um auf demselben Wege nach den Linden hin zurückzukehren . Vor dem Redernschen Palais sah er Leutnant von Wedell von den Gardedragonern auf sich zukommen . » Wohin , Wedell ? « » In den Club . Und Sie ? « » Zu Hiller . « » Etwas früh . « » Ja . Aber was hilft's ? Ich soll mit einem alten Onkel von mir frühstücken , neumärkisch Blut und just in dem Winkel zu Hause , wo Bentsch , Rentsch , Stentsch liegen – lauter Reimwörter auf Mensch , selbstverständlich ohne weitre Konsequenz oder Verpflichtung . Übrigens hat er , ich meine den Onkel , mal in Ihrem Regiment gestanden . Freilich lange her , erste vierziger Jahre . Baron Osten . « » Der Wietzendorfer ? « » Eben der . « » O den kenn ich , das heißt dem Namen nach . Etwas Verwandtschaft . Meine Großmutter war eine Osten . Ist doch derselbe , der mit Bismarck auf dem Kriegsfuß steht ? « » Derselbe . Wissen Sie was , Wedell , kommen Sie mit . Der Club läuft Ihnen nicht weg und Pitt und Serge auch nicht ; Sie finden sie um drei geradsogut wie um eins . Der Alte schwärmt noch immer für Dragonerblau mit Gold und ist Neumärker genug , um sich über jeden Wedell zu freuen . « » Gut , Rienäcker . Aber auf Ihre Verantwortung . « » Mit Vergnügen . « Unter solchem Gespräche waren sie bei Hiller angelangt , wo der alte Baron bereits an der Glastür stand und ausschaute , denn es war eine Minute nach eins . Er unterließ aber jede Bemerkung und war augenscheinlich erfreut , als Botho vorstellte : » Leutnant von Wedell . « » Ihr Herr Neffe ... « » Nichts von Entschuldigungen , Herr von Wedell , alles , was Wedell heißt , ist mir willkommen , und wenn es diesen Rock trägt , doppelt und dreifach . Kommen Sie , meine Herren , wir wollen uns aus diesem Stuhl- und Tischdefilee herausziehen und , so gut es geht , nach rückwärts hin konzentrieren . Sonst nicht Preußensache ; hier aber ratsam . « Und damit ging er , um gute Plätze zu finden , vorauf und wählte nach Einblick in verschiedene kleine Cabinets schließlich ein mäßig großes , mit einem lederfarbnen Stoff austapeziertes Zimmer , das trotz eines breiten und dreigeteilten Fensters wenig Licht hatte , weil es auf einen engen und dunklen Hof sah . Von einem hier zu vier gedeckten Tisch wurde im Nu das vierte Couvert entfernt , und während die beiden Offiziere Pallasch und Säbel in die Fensterecke stellten , wandte sich der alte Baron an den Oberkellner , der in einiger Entfernung gefolgt war , und befahl einen Hummer und einen weißen Burgunder . » Aber welchen , Botho ? « » Sagen wir Chablis . « » Gut , Chablis . Und frisches Wasser . Aber nicht aus der Leitung ; lieber so , daß die Karaffe beschlägt . Und nun , meine Herren , bitte Platz zu nehmen : lieber Wedell hier , Botho du da . Wenn nur diese Glut , diese verfrühte Hundstagshitze nicht wäre . Luft , meine Herren , Luft . Ihr schönes Berlin , das immer schöner wird ( so versichern einen wenigstens alle , die nichts Besseres kennen ) , Ihr schönes Berlin hat alles , aber keine Luft . « Und dabei riß er die großen Fensterflügel auf und setzte sich so , daß er die breite Mittelöffnung gerade vor sich hatte . Der Hummer war noch nicht gekommen , aber der Chablis stand schon da . Voll Unruhe nahm der alte Osten eins der Brötchen aus dem Korb und schnitt es mit ebensoviel Hast wie Virtuosität in Schrägstücke , bloß um etwas zu tun zu haben . Dann ließ er das Messer wieder fallen und reichte Wedell die Hand . » Ihnen unendlich verbunden , Herr von Wedell , und brillanter Einfall von Botho , Sie dem Club auf ein paar Stunden abspenstig gemacht zu haben . Ich nehm es als eine gute Vorbedeutung , gleich bei meinem ersten Ausgang in Berlin einen Wedell begrüßen zu dürfen . « Und nun begann er einzuschenken , weil er seiner Unruhe nicht länger Herr bleiben konnte , befahl , eine Cliquot kalt zu stellen , und fuhr dann fort : » Eigentlich , lieber Wedell , sind wir verwandt ; es gibt keine Wedells , mit denen wir nicht verwandt wären , und wenn 's auch bloß durch einen Scheffel Erbsen wäre ; neumärkisch Blut ist in allen . Und wenn ich nun gar mein altes Dragonerblau wiedersehe , da schlägt mir das Herz bis in den Hals hinein . Ja , Herr von Wedell , alte Liebe rostet nicht . Aber da kommt der Hummer ... Bitte , hier die große Schere . Die Scheren sind immer das beste . . . Aber , was ich sagen wollte , alte Liebe rostet nicht und der Schneid auch nicht . Und ich setze hinzu , Gott sei Dank . Damals hatten wir noch den alten Dobeneck . Himmelwetter , war das ein Mann ! Ein Mann wie ein Kind . Aber wenn es mal schlecht ging und nicht klappen wollte , wenn er einen dann ansah , den hätt ich sehen wollen , der den Blick ausgehalten hätte . Richtiger alter Ostpreuße noch von Anno 13 und 14 her . Wir fürchteten ihn , aber wir liebten ihn auch . Denn er war wie ein Vater . Und wissen Sie , Herr von Wedell , wer mein Rittmeister war ... ? « In diesem Augenblicke kam auch der Champagner . » Mein Rittmeister war Manteuffel , derselbe , dem wir alles verdanken , der uns die Armee gemacht hat und mit der Armee den Sieg . « Herr von Wedell verbeugte sich , während Botho leichthin sagte : » Gewiß , man kann es sagen . « Aber das war nicht klug und weise von Botho , wie sich gleich herausstellen sollte , denn der ohnehin an Kongestionen leidende alte Baron wurde rot über den ganzen kahlen Kopf weg , und das bißchen krause Haar an seinen Schläfen schien noch krauser werden zu wollen . » Ich verstehe dich nicht , Botho ; was soll dies › Man kann es sagen ‹ , das heißt soviel wie › Man kann es auch nicht sagen ‹ . Und ich weiß auch , worauf das alles hinaus will . Es will andeuten , daß ein gewisser Kürassieroffizier aus der Reserve , der im übrigen mit nichts in Reserve gehalten hat , am wenigsten mit revolutionären Maßnahmen , es will andeuten , sag ich , daß ein gewisser Halberstädter mit schwefelgelbem Kragen eigentlich auch St. Privat allerpersönlichst gestürmt und um Sedan herum den großen Zirkel gezogen habe . Botho , damit darfst du mir nicht kommen . Er war ein Referendar und hat auf der Potsdamer Regierung gearbeitet , sogar unter dem alten Meding , der nie gut auf ihn zu sprechen war , ich weiß das , und hat eigentlich nichts gelernt als Depeschen schreiben . Soviel will ich ihm lassen , das versteht er , oder mit andern Worten , er ist ein Federfuchser . Aber nicht die Federfuchser haben Preußen groß gemacht . War der bei Fehrbellin ein Federfuchser ? War der bei Leuthen ein Federfuchser ? War Blücher ein Federfuchser oder Yorck ? Hier sitzt die preußische Feder . Ich kann diesen Kultus nicht leiden . « » Aber lieber Onkel ... « » Aber , aber , ich dulde kein Aber . Glaube mir , Botho , zu solcher Frage , dazu gehören Jahre ; derlei Dinge versteh ich besser . Wie steht es denn ? Er stößt die Leiter um , drauf er emporgestiegen , und verbietet sogar die Kreuzzeitung , und rundheraus , er ruiniert uns ; er denkt klein von uns , er sagt uns Sottisen , und wenn ihm der Sinn danach steht , verklagt er uns auf Diebstahl oder Unterschlagung und schickt uns auf die Festung . Ach , was sag ich , auf die Festung , Festung ist für anständige Leute , nein , ins Landarmenhaus schickt er uns , um Wolle zu zupfen ... Aber Luft , meine Herren , Luft . Sie haben keine Luft hier . Verdammtes Nest . « Und er erhob sich und riß zu dem bereits offenstehenden Mittelflügel auch noch die beiden Nebenflügel auf , so daß von dem Zuge , der ging , die Gardinen und das Tischtuch ins Wehen kamen . Dann sich wieder setzend , nahm er ein Stück Eis aus dem Champagnerkühler und fuhr sich damit über die Stirn . » Ah « , fuhr er fort , » das Stück Eis hier , das ist das beste vom ganzen Frühstück ... Und nun sagen Sie , Herr von Wedell , hab ich recht oder nicht ? Botho , Hand aufs Herz , hab ich recht ? Ist es nicht so , daß man sich als ein Märkischer von Adel aus reiner Edelmannsempörung einen Hochverratsprozeß auf den Leib reden möchte ? Solchen Mann ... aus unsrer besten Familie ... , vornehmer als die Bismarcks und so viele für Thron und Hohenzollerntum gefallen , daß man eine ganze Leibcompagnie daraus formieren könnte , Leibcompagnie mit Blechmützen , und der Boitzenburger kommandiert sie . Ja , meine Herren . Und solcher Familie solchen Affront . Und warum ? Unterschlagung , Indiskretion , Bruch von Amtsgeheimnis . Ich bitte Sie , fehlt nur noch Kindsmord und Vergehen gegen die Sittlichkeit , und wahrhaftig , es bleibt verwunderlich genug , daß nicht auch das noch herausgedrückt worden ist . Aber die Herren schweigen . Ich bitte Sie , sprechen Sie . Glauben Sie mir , daß ich andre Meinungen hören und ertragen kann ; ich bin nicht wie er ; sprechen Sie , Herr von Wedell , sprechen Sie . « Wedell , in immer wachsender Verlegenheit , suchte nach einem Ausgleichs- und Beruhigungsworte : » Gewiß , Herr Baron , es ist , wie Sie sagen . Aber , Pardon , ich habe damals , als die Sache zum Austrag kam , vielfach aussprechen hören , und die Worte sind mir im Gedächtnis geblieben , daß der Schwächere darauf verzichten müsse , dem Stärkeren die Wege kreuzen zu wollen , das verbiete sich in Leben wie Politik , es sei nun mal so : Macht gehe vor Recht . « » Und kein Widerspruch dagegen , kein Appell ? « » Doch , Herr Baron . Unter Umständen auch ein Appell . Und um nichts zu verschweigen , ich kenne solche Fälle gerechtfertigter Opposition . Was die Schwäche nicht darf , das darf die Reinheit , die Reinheit der Überzeugung , die Lauterkeit der Gesinnung . Die hat das Recht der Auflehnung , sie hat sogar die Pflicht dazu . Wer aber hat diese Lauterkeit ? Hatte sie . . . Doch ich schweige , weil ich weder Sie , Herr Baron , noch die Familie , von der wir sprechen , verletzen möchte . Sie wissen aber , auch ohne daß ich es sage , daß er , der das Wagnis wagte , diese Lauterkeit der Gesinnung nicht hatte . Der bloß Schwächere darf nichts , nur der Reine darf alles . « » Nur der Reine darf alles « , wiederholte der alte Baron mit einem so schlauen Gesicht , daß es zweifelhaft blieb , ob er mehr von der Wahrheit oder der Anfechtbarkeit dieser These durchdrungen sei . » Der Reine darf alles . Kapitaler Satz , den ich mir mit nach Hause nehme . Der wird meinem Pastor gefallen , der letzten Herbst den Kampf mit mir aufgenommen und ein Stück von meinem Acker zurückgefordert hat . Nicht seinetwegen , i Gott bewahre , bloß um des Prinzips und seines Nachfolgers willen , dem er nichts vergeben dürfe . Schlauer Fuchs . Aber der Reine darf alles . « » Du wirst schon nachgeben in der Pfarrackerfrage « , sagte Botho . » Kenn ich doch Schönemann noch von Sellenthins her . « » Ja , da war er noch Hauslehrer und kannte nichts Besseres als die Schulstunden abkürzen und die Spielstunden in die Länge ziehen . Und konnte Reifen spielen wie ein junger Marquis ; wahrhaftig , es war ein Vergnügen , ihm zuzusehen . Aber nun ist er sieben Jahre im Amt , und du würdest den Schönemann , der der gnädigen Frau den Hof machte , nicht wiedererkennen . Eins aber muß ich ihm lassen , er hat beide Frölens gut erzogen und am besten deine Käthe ... « Botho sah den Onkel verlegen an , fast als ob er ihn um Diskretion bitten wolle . Der alte Baron aber , überfroh , das heikle Thema so glücklich beim Schopfe gefaßt zu haben , fuhr in überströmender und immer wachsender guter Laune fort : » Ach laß doch , Botho . Diskretion . Unsinn . Wedell ist Landsmann und wird von der Geschichte so gut wissen wie jeder andere . Weshalb schweigen über solche Dinge . Du bist doch so gut wie gebunden . Und weiß es Gott , Junge , wenn ich so die Frölens Revue passieren lasse , ' ne beßre findest du nicht , Zähne wie Perlen und lacht immer , daß man die ganze Schnur sieht . Eine Flachsblondine zum Küssen , und wenn ich dreißig Jahre jünger wäre , höre ... « Wedell , der Bothos Verlegenheit bemerkte , wollte ihm zu Hilfe kommen und sagte : » Die Sellenthinschen Damen sind alle sehr anmutig , Mutter wie Töchter ; ich war vorigen Sommer mit ihnen in Norderney , charmant , aber ich würde der zweiten den Vorzug geben ... « » Desto besser , Wedell . Da kommt ihr euch nicht in die Quer , und wir können gleich eine Doppelhochzeit feiern . Und Schönemann kann trauen , wenn Kluckhuhn , der wie alle Alten empfindlich ist , es zugibt , und ich will ihm nicht nur das Fuhrwerk stellen , ich will ihm auch das Stück Pfarracker ohne weiteres zedieren , wenn ich solche Hochzeit zwischen heut und einem Jahr erlebe . Sie sind reich , lieber Wedell , und mit Ihnen pressiert es am Ende nicht . Aber sehen Sie sich unsern Freund Botho an . Daß er so wohlgenährt aussieht , das verdankt er nicht seiner Sandbüchse , die , die paar Wiesen abgerechnet , eigentlich nichts als eine Kiefernschonung ist , und noch weniger seinem Muränensee . › Muränensee ‹ , das klingt wundervoll , und man könnte beinah sagen poetisch . Aber das ist auch alles . Man kann von Muränen nicht leben . Ich weiß , du hörst nicht gerne davon , aber da wir mal dabei sind , so muß es heraus . Wie liegt es denn ? Dein Großvater hat die Heide runterschlagen lassen , und dein Vater selig – ein kapitaler Mann , aber ich habe keinen Menschen je so schlecht L' hombre spielen sehn und so hoch dazu – , dein Vater selig , sag ich , hat die fünfhundert Morgen Bruchacker an die Jeseritzer Bauern parzelliert , und was von gutem Boden übriggeblieben ist , ist nicht viel , und die dreißigtausend Taler sind auch längst wieder fort . Wärst du allein , so möcht es gehn , aber du mußt teilen mit deinem Bruder , und vorläufig hat die Mama , meine Frau Schwester Liebden , das Ganze noch in Händen , eine prächtige Frau , klug und gescheit , aber auch nicht auf die sparsame Seite gefallen . Botho , wozu stehst du bei den Kaiserkürassieren , und wozu hast du eine reiche Cousine , die bloß darauf wartet , daß du kommst und in einem regelrechten Antrage das besiegelst und wahr machst , was die Eltern schon verabredet haben , als ihr noch Kinder wart . Wozu noch überlegen ? Höre , wenn ich morgen auf der Rückreise bei deiner Mama mit vorfahren und ihr die Nachricht bringen könnte : › Liebe Josephine , Botho will , alles abgemacht ‹ , höre , Junge , das wäre mal was , das einem alten Onkel , der 's gut mit dir meint , eine Freude machen könnte . Reden Sie zu , Wedell . Es ist Zeit , daß er aus der Garçonschaft herauskommt . Er vertut sonst sein bißchen Vermögen oder verplempert sich wohl gar mit einer kleinen Bourgeoise . Hab ich recht ? Natürlich . Abgemacht . Und darauf müssen wir noch anstoßen . Aber nicht mit diesem Rest ... « Und er drückte auf die Klingel . » Ein Heidsieck . Beste Marke . « Achtes Kapitel Im Club befanden sich um eben diese Zeit zwei junge Kavaliere , der eine , von den Gardes du Corps , schlank , groß und glatt , der andere , von den Pasewalkern abkommandiert , etwas kleiner , mit Vollbart und nur vorschriftsmäßig freiem Kinn . Der weiße Damast des Tisches , dran sie gefrühstückt hatten , war zurückgeschlagen , und an der freigewordenen Hälfte saßen beide beim Piquet . » Sechs Blatt mit 'ner Quart . « » Gut . « » Und du ? « » Vierzehn As , drei Könige , drei Damen ... Und du machst keinen Stich . « Und er legte das Spiel auf den Tisch und schob im nächsten Augenblicke die Karten zusammen , während der andere mischte . » Weißt du schon , Ella verheiratet sich . « » Schade . « » Warum schade ? « » Sie kann dann nicht mehr durch den Reifen springen . « » Unsinn . Je mehr sie sich verheiraten , desto schlanker werden sie . « » Doch mit Ausnahme . Viele Namen aus der Zirkusaristokratie blühen schon in der dritten und vierten Generation , was denn doch einigermaßen auf Wechselzustände von schlank und nicht-schlank oder , wenn du willst , auf Neumond und erstes Viertel etc. hinweist . « » Irrtum . Error in calculo . Du vergißt Adoption . Alle diese Zirkusleute sind heimliche Gichtelianer und vererben nach Plan und Abmachung ihr Vermögen , ihr Ansehen und ihren Namen . Es scheinen dieselben und sind doch andere geworden . Immer frisches Blut. Heb ab ... Übrigens hab ich noch eine zweite Nachricht . Afzelius kommt in den Generalstab . « » Welcher ? « » Der von den Ulanen . « » Unmöglich . « » Moltke hält große Stücke auf ihn , und er soll eine vorzügliche Arbeit gemacht haben . « » Imponiert mir nicht . Alles Bibliotheks- und Abschreibesache . Wer nur ein bißchen findig ist , kann Bücher leisten wie Humboldt oder Ranke . « » Quart. Vierzehn As. « » Quint vom König . « Und während die Stiche gemacht wurden , hörte man in dem Billardzimmer nebenan das Klappen der Bälle und das Fallen der kleinen Boulekegel . Nur sechs oder acht Herren waren alles in allem in den zwei hintern Clubzimmern , die mit ihrer Schmalseite nach einem sonnigen und ziemlich langweiligen Garten hinaussahen , versammelt , alle schweigsam , alle mehr oder weniger in ihr Whist oder Domino vertieft , nicht zum wenigsten die zwei piquetspielenden Herren , die sich eben über Ella und Afzelius unterhalten hatten . Es ging hoch , weshalb beide von ihrem Spiel erst wieder aufsahen , als sie , durch eine offne Rundbogennische , von dem nebenherlaufenden Zimmer her eines neuen Ankömmlings gewahr wurden . Es war Wedell . » Aber Wedell , wenn Sie nicht eine Welt von Neuigkeiten mitbringen , so belegen wir Sie mit dem großen Bann . « » Pardon , Serge , es war keine bestimmte Verabredung . « » Aber doch beinah . Übrigens finden Sie mich persönlich in nachgiebigster Stimmung . Wie Sie sich mit Pitt auseinandersetzen wollen , der eben 150 Points verloren , ist Ihre Sache . « Dabei schoben beide die Karten beiseit , und der von dem herzukommenden Wedell als Serge Begrüßte zog seine Remontoiruhr und sagte : » Drei Uhr fünfzehn . Also Kaffee . Irgend ein Philosoph , und es muß einer der größten gewesen sein , hat einmal gesagt , daß sei das Beste im Kaffee , daß er in jede Situation und Tagesstunde hineinpasse . Wahrhaftig , Wort eines Weisen . Aber wo nehmen wir ihn ? Ich denke , wir setzen uns draußen auf die Terrasse , mitten in die Sonne . Je mehr man das Wetter brüskiert , desto besser fährt man . Also , Pehlecke , drei Tassen . Ich kann das Umfallen der Boulekegel nicht mehr mit anhören , es macht mich nervös ; draußen haben wir freilich auch Lärm , aber doch anders , und hören statt des spitzen Klappertons das Poltern und Donnern unserer unterirdischen Kegelbahn , wobei wir uns einbilden können , am Vesuv oder Ätna zu sitzen . Und warum auch nicht ? Alle Genüsse sind schließlich Einbildung , und wer die beste Phantasie hat , hat den größten Genuß . Nur das Unwirkliche macht den Wert und ist eigentlich das einzig Reale . « » Serge « , sagte der andere , der beim Piquetspielen als Pitt angeredet worden war , » wenn du mit deinen berühmten großen Sätzen so fortfährst , so bestrafst du Wedell härter , als er verdient . Außerdem hast du Rücksicht auf mich zu nehmen , weil ich verloren habe . So , hier wollen wir bleiben , den Lawn im Rücken , diesen Efeu neben uns und eine kahle Wand en vue . Himmlischer Aufenthalt für Seiner Majestät Garde ! Was wohl der alte Fürst Pückler zu diesem Clubgarten gesagt haben würde . Pehlecke ... so , hier den Tisch her , jetzt geht's . Und zum Schluß eine Cuba von Ihrem gelagertsten Lager . Und nun , Wedell , wenn Ihnen verziehen werden soll , schütteln Sie Ihr Gewand , bis ein neuer Krieg herausfällt oder irgendeine andere große Nachricht . Sie sind ja durch Puttkamers mit unserem lieben Herrgott verwandt . Mit welchem , brauch ich nicht erst hinzuzusetzen . Was kocht er wieder ? « » Pitt « , sagte Wedell , » ich beschwöre Sie , nur keine Bismarckfragen . Denn erstlich wissen Sie , daß ich nichts weiß , weil Vettern im 17. Grad nicht gerade zu den Intimen und Vertrauten des Fürsten gehören , zum zweiten aber komme ich , statt vom Fürsten , recte von einem Bolzenschießen her , das sich mit einigen Treffern und vielen , vielen Nichttreffern gegen niemand anders als gegen Seine Durchlaucht richtete . « Und wer war dieser kühne Schütze ? « » Der alte Baron Osten , Rienäckers Onkel .