Erstes Kapitel Jetzt nur noch die Speisekammer , rief Adele , von der Küche aus eine schmale , niedrige Thür nach einem winzigen Gelaß öffnend , das durch ein viereckiges , vergittertes Fensterchen spärlich erhellt wurde . Bewunderungswürdig , sagte Klotilde mit einem gelangweilten Blick über die Schulter der Freundin . Nicht wahr ? erwiderte Adele , sich so schnell wendend , daß Klotilde eben nur noch ihr Gähnen verbergen konnte . Zwölf Fuß im Quadrat – nicht mehr – Elimar hat es ausgemessen . Und alles darin untergebracht – selbst die zwanzig Einmachebüchsen , die mir die gute Mama gestern geschickt hat ! Aber Eure Berliner Baumeister habe ich doch auf dem Strich . Alles für den äußeren Schein : Keine Spur von einem Verständnis für das , was eine Hausfrau braucht . Na ! nun wollen wir wieder nach vorn gehen . Das heißt , erst mußt Du mein Kleid für heute abend sehen . Bei der Gelegenheit kann ich Dir gleich auch noch unser Schlafzimmer zeigen . Elimar mag das zwar nicht . Er findet es undelikat . Ich weiß nicht , warum . Dabei ist doch nichts Schlimmes . Meinst Du nicht auch ? Gewiß nicht , sagte Klotilde , honni soit qui mal y pense . Nicht wahr ? Besonders wenn wir Frauen unter uns sind . Und nun gar wir beide ! Lieber Gott , wir haben doch keine Geheimnisse vor einander ! Ach , Klotilde , wenn ich Dich nicht hier hätte in diesem gräßlichen Berlin ! Freust Du Dich nicht auch , daß wir nun wieder beisammen sind ? Ob ich mich freue ! Also das ist Euer Schlafzimmer ? Das ist unser Schlafzimmer ! Klein , aber furchtbar nett . Findest Du nicht ? Und Morgensonne , sagt der Wirt , haben wir auch . Na , in den acht Tagen , daß wir hier sind , hat noch keine geschienen ; und Elimar ist zweifelhaft , ob sie , wenn sie mal scheint , bis zu uns kommt – im Hochsommer , meint er , wäre es möglich . Abwarten , sage ich . Na , wie findest Du es ? Das Kleid , meine ich . Dein Brautkleid ! Also doch ! Also was ? Ich dachte , Du würdest es nicht wiedererkennen . Ich habe es nämlich während der zwei Jahre schon sechsmal angehabt – zuletzt auf dem Kommandanturball – und jedesmal ein bißchen verändert . Das heißt : diesmal nicht – ich hatte keine Zeit . Meinst Du , daß es noch geht ? Die Damen standen vor dem Bett , über welches das Kleid gebreitet war . Das heißt : es muß gehen , fuhr Adele eifrig fort , während Klotilde hier und da einen Zipfel musternd aufhob ; ich habe kein anderes . Dann ist die Sache ja erledigt , sagte Klotilde lächelnd . Ganz meine Ansicht ! rief Adele . Mein Gott , von einer armen Hauptmannsfrau kann man doch nicht verlangen , daß sie wie eine Prinzessin ausstaffiert ist , besonders wenn man eben einen kostspieligen Umzug durchgemacht hat . Ich deutete so etwas gegen Frau Sudenburg an , und weißt Du , was sie erwiderte : Die Tochter meiner besten Freundin ist mir in jedem Kleide willkommen . War das nicht furchtbar nett von ihr . Was wirst Du denn anziehen ? Meine Auswahl ist nicht viel größer , als Deine : arme Hauptmanns- und arme Assessorenfrauen – c'est toute la même chose . Ich denke , Dein Viktor steht dicht vor dem Regierungsrat ? Dann haben wir was Rechtes . Aber Kind , es ist Zeit , daß ich nach Hause komme . Eile doch nicht so ! Ich habe mich die ganzen gräßlichen acht Tage auf diese Stunde gefreut . Und bin Dir so dankbar , daß Du gleich heute morgen angetreten bist , nach der langen Nachtfahrt . Es war nicht so schlimm , bloß schauderhaft langweilig . Habt Ihr Euch gut amüsiert ? Amüsiert ? In dem miserablen Ostseenest ? Vier Wochen lang dieselben Alltagsgesichter : shopkeepers , Weiber aus Berlin O. , und , wenn es hoch kam , eine pommersche oder mecklenburgische dicke Gutsbesitzerfrau . Das wird für Viktor auch nicht gerade etwas gewesen sein . Viktor ? Er hat mich bloß hingebracht und wieder abgeholt . Die ganze übrige Zeit in Kopenhagen , Stockholm , und ich weiß nicht wo . Du kennst ihn doch . Die Rosinen in dem Kuchen kommen immer auf sein Teil . Aber den Kindern ist es doch gut bekommen ? Hoffentlich . Ich freue mich so furchtbar darauf , sie endlich einmal zu sehen . Nach den Photographien , die Du mir geschickt hast , müssen es wahre Engel sein . Ich kann es nicht finden . Du wirst Dich ja morgen überzeugen . Ich muß jetzt wirklich fort . Viktor kommt um vier Uhr aus dem Amt . Elimar schon um Drei . Er muß gleich hier sein . Er wird mir es nicht vergeben , wenn ich Dich fortgelassen habe – seine alte Flamme ! Warum hat er dann Dich geheiratet ? Du hattest es gar so eilig , unter die Haube zu kommen . Weißt Du übrigens , daß Kurt Platow nun doch die Comtesse Gardewitz heiraten wird ? Ich wüßte nichts , was mir gleichgültiger wäre . Hast recht , Schatz ! Schwamm drüber ! Ganz meine Maxime . Wenn mir irgend was gegen den Strich gegangen ist – Schwamm drüber ! Das konserviert die gute Laune . Und die glänzenden Augen und die rosigen Backen . Sieh mich einmal an ! Wahrhaftig , ich sehe zehn Jahre älter aus als Du . Sie standen vor dem hohen Stellspiegel – dem einzigen , einigermaßen prunkhaften Möbel in dem sonst bis zur Nüchternheit bescheidenen Gemach – und betrachteten prüfend ihre Bilder : Klotilde ernst , mit einem Fältchen zwischen den dunklen , scharf gezeichneten Brauen ; Adele lachend , daß die weißen Zähne durch die vollen , roten Lippen blitzten . Zehnmal vornehmer , ja ! rief sie . Kunststück ! Du mit Deiner hohen , schlanken Gestalt ! Ich glaube , Du bist in der Ehe noch gewachsen ! Beinahe einen Kopf größer als ich ! Sag' mal , Schatz ! Du richtest wohl jetzt noch fürchterlichere Verwüstungen in der Männerwelt an , als schon damals ? Du bist nicht gescheit ! sagte Klotilde , den Arm , welchen die andere um ihre schlanke Taille gelegt hatte , zurückschiebend . Ich habe es nicht bös gemeint . Und ich es Dir nicht übelgenommen . Komm ! Meine Sachen liegen , glaube ich , in Deinem Zimmer . Die Damen waren nach Adelens Zimmer zurückgekehrt ; Adele half Klotilden in den Paletot . Es ist kalt draußen ? Für den ersten Oktober schauderhaft . Zieh' Dich nur heute abend warm an ! Weißt Du , Klotilde , ich fürchte mich ordentlich vor heute abend . Du nicht noch zur rechten Zeit gekommen wärest , ich glaube , ich hätte noch in der letzten Stunde abgesagt . Als ob es die erste Gesellschaft wäre , die Du mitmachst ! Aber die erste in Berlin ! Wo es genau so ist , wie in Magdeburg und überall : Assessoren , Regierungsräte , Geheimräte und so weiter ; Lieutenants , Hauptleute , Obristen und so weiter – immer dieselben stereotypen Gesichter ; immer dieselben stereotypen Redensarten . Es ist zum Verrücktwerden . Was machst Du so ein kleines , dümmliches Gesicht ? Daß ich Dich so reden höre ! Und ich denke , Du schwimmst hier in Glück ! Um Klotildens feine Lippen zuckte ein bittres Lächeln . Sei Du erst vier Jahre verheiratet , sagte sie , Adelens volle Wange leicht berührend , dann wollen wir uns wieder sprechen . Und wenn wir hundert Jahre verheiratet wären , würden wir höchstens noch hundertmal glücklicher sein ; bloß daß es nicht möglich ist . Ja , Du und Dein Elimar ! Du meinst , wir könnten nicht die Ansprüche machen ? Das habe ich weder gesagt , noch gedacht . Es wäre auch sehr dumm , wenn ich es gedacht hätte . Ich wüßte nicht , welche Ansprüche ich vor Dir voraus geltend machen könnte , oder Viktor vor Deinem Manne ; besonders jetzt , wo er in das Kriegsministerium berufen ist und zweifellos eine glänzende Carriere machen wird . Die Damen standen in der geöffneten Thür , Klotilde bereits halb auf dem schmalen , dunklen Flur . Aber sie machte keine Anstalt zum Gehen , sondern blieb unbeweglich , nachdenklich vor sich nieder blickend . In Adelens Herzen regte sich eine peinliche Empfindung . Sie hatte nie anders geglaubt , als daß ihre Cousine in der glücklichsten Ehe lebte . Aber ihre letzten Worte klangen nicht danach ; ihre düstre Miene war nicht danach – schon während des ganzen Besuches und nun eben jetzt ! Nicht , als ob wir , Elimar und ich , immer d' accord wären , sagte sie gutmütig schnell . Gar nicht ! Wir zanken uns oft ganz fürchterlich . Das ist in der Ehe mal so . Nicht wahr ? Je nachdem , erwiderte Klotilde mit demselben starren , nachdenklichen Blick . Viktor und ich zanken uns nie . Na , da siehst Du es ! rief Adele triumphierend . Aus einem sehr triftigen Grunde , fuhr Klotilde fort , die Augen langsam erhebend , aber an Adele vorüber in das Zimmer sehend : er geht seinen Weg ; ich gehe den meinen . Da ist denn dafür gesorgt , daß wir nicht karambolieren . Das ist doch nicht Dein Ernst , sagte Adele ganz verblüfft . Weshalb nicht ? erwiderte Klotilde . Du glaubst gar nicht , wie gut es sich lebt , wenn jeder seine Interessen verfolgt . Was ja nicht ausschließt , daß die Interessen gelegentlich zusammenfallen . Im Gegenteil ! Ich habe zum Beispiel ein großes Interesse daran , daß Viktor in seiner Carriere schnell vorwärts kommt , und helfe ihm dabei , wo und wie ich kann . Aber was kann man dabei groß helfen ? fragte Adele verwundert . Klotilde wurde die Antwort erspart . In der Flurthür wurde ein Schlüssel gedreht ; eine hohe männliche Gestalt trat schnell herein und kam mit langen Schritten auf die Damen zu . Elimar ! rief Adele , ihrem Gatten entgegenlaufend . Rate , wer mich besucht ! Da ist nicht groß zu raten , Närrchen ; erwiderte Elimar , an Klotilden herantretend und die Hand , die sie ihm reichte , küssend . Aber blieb , sehr lieb ist es von Ihnen , daß Sie so schnell gekommen sind , sich meiner Kleinen in ihren tausend Nöten anzunehmen . Wollen wir nicht in das Zimmer treten ? Die wichtigen Dinge , welche die Damen zwischen Thür und Angel zu erledigen pflegen , müßten da freilich vertagt werden . Nur einen Augenblick , sagte Klotilde ; nur um mich zu überzeugen , ob es wahr ist , daß der Mensch mit seinen größern Zwecken wächst . Das sollte mir bei meinen sechs Fuß und darüber doch schwer werden , erwiderte der Hauptmann lächelnd . Aber Klotilde ist noch gewachsen , rief Adele . Jetzt sehe ich er erst recht , wo Ihr nebeneinander steht . Findest Du nicht auch ? Ich finde Deine Cousine nur so schön und schlank und elegant wie immer , seitdem ich das Glück habe , sie zu kennen . Mit welchem Kompliment ich mich denn ganz gehorsamst verabschieden will , sagte Klotilde , sich ironisch tief verbeugend . Also , adieu , Schatz , bis heute abend ! Au revoir , Herr Hauptmann ! Und , wenn ich Ihnen raten darf , gehen Sie heute abend mit Ihren Galanterien etwas sparsamer um : die Konkurrenz ist zu groß . Wenn alle Damen mir durch ihre Liebenswürdigkeit die Galanterie so leicht machten ! Adele , Dein Mann ist positiv gemeingefährlich . Du mußt ihn kürzer in den Zügel nehmen ! Ist schlechterdings unmöglich , gnädige Frau . So sagt Ihr Männer stets . Übrigens das » gnädige Frau « darf ich mir wohl verbitten . Ich denke , wir nennen uns einfach bei unsern Vornamen , wenn wir unter uns , und meinetwegen : lieber Cousin und liebe Cousine , wenn wir unter Leuten sind . Seien Sie versichert , daß ich diese Erlaubnis wie einen höchsten Orden tragen werde . Nun mach aber , daß Du fortkommst ! rief Adele , Du verdrehst mir ihm ja völlig den Kopf . Aber Schatz , von Zeit zu Zeit einem Manne den Kopf zu verdrehen , das ist doch noch der einzige Spaß , den wir im Leben haben . Sie war zur Flurthür hinausgeschlüpft , Adele hatte sich in den Arm ihres Gatten gehängt , während sie über den dunklen Korridor nach dem Wohnzimmer gingen . Sie meint es gewiß nicht so , sagte Adele , den untergefaßten Arm zärtlich drückend . Ich weiß nicht , erwiderte Elimar ; ihre Augen schienen mir das Programm zu bestätigen . Ja , was ist das nur mit ihren Augen ? rief Adele . Es ist mir auch aufgefallen . Die sind gar nicht mehr wie vor vier Jahren . Hast Du nicht auch die Empfindung , daß sie in ihrer Ehe nicht glücklich ist ? Möglich wäre es schon . In der Ehe , wie überall , stoßen gleichnamige Pole einander ab . Was heißt das : gleichnamige Pole ? Das heißt erstens , daß Du mein höchst ungleichnamiger Pol bist ; und zweitens , daß ich in Ohnmacht falle , wenn nicht in fünf Minuten die Suppe auf dem Tisch steht . Mit Dir ist doch kein vernünftiges Wort zu sprechen , Du Ungeheuer ! Wenn ich nur wüßte , weshalb ich Schaf das Ungeheuer so lieb habe ! Sie hatte , sich auf die Zehen stellend , Elimar ein paar herzhafte Küsse auf die Lippen gedrückt und war zu Thür hinaus . Elimar war aus dem Wohnzimmer in sein kleines Arbeitskabinett nebenan getreten , legte die Mütze und eine dünne schwarze Mappe , die er noch immer unter dem linken Arme geklemmt hielt , auf den Tisch , schnallte seinen Säbel ab , den er in die Ecke stellte , und begann , langsam die Handschuhe ausziehend , nachdenklich auf und ab zu gehen . Ja , ich habe sie sehr geliebt , das schöne , schlanke , braunäugige Mädchen . Und sie hat es gewußt ! Wann wüßte ein Mädchen das nicht ! Aber damals spielte die Geschichte mit Baron Platow , der dann abschnappte . Und dann heiratet man Hals über Kopf den ersten Besten , der einem in den Weg läuft und macht sich Zeit seines Lebens unglücklich . – Pah ! Er warf die ausgezogenen Handschuhe in die Mütze . Unglücklich ! Wer ist denn glücklich ? Wer zu resignieren gelernt hat . Niemand sonst ! Elimar ! rief Adelens helle Stimme aus dem Speisezimmerchen neben der Wohnstube . Ich komme , Kind ! rief Elimar zurück . Zweites Kapitel Klotilde schritt die Mauerstraße , in welcher die Wohnung der Meerheims lag , nach der Leipziger Straße zu . In dem Putzladen an der Ecke hatte sie nach einem Fächer zu fragen , der repariert werden sollte . Der Fächer war noch nicht fertig . Während sie vor dem Ladentische wartend saß und eine der Verkäuferinnen die gnädige Frau zu unterhalten sich bemühte , dachte sie an Adelens Kleid für heute abend . Sie hätte ihr doch eigentlich sagen sollen , daß das Kleid für die große Gesellschaft unmöglich war . Sie wird darum doch riesig gefallen . Ich kenne das . Eine neue Erscheinung – danach schnappen sie alle . Und die lachenden Augen , die weißen Zähne , die frischen , roten Lippen – Furore wird sie machen . Daß in dem kleinen , hohlen Schädel auch nicht ein einziger Gedanke steckt – was thut denn das ? Wer fragt danach ? Der Fächer wurde gebracht . Klotilde griff nach dem Portemonnaie . Aber gnädige Frau , lassen Sie doch ! sagte die Verkäuferin . Wir schreiben es zu dem übrigen . Wie Sie wollen . Der Pferdebahnwagen nach dem Lützowplatz kam nicht gleich . An der Ecke standen nur Droschken zweiter Klasse , die sie grundsätzlich nicht benutzte . So fing sie an , die Leipziger Straße hinabzugehen , die im Laden angesponnene Gedankenkette weiter spinnend . Wie er sie nur hat heiraten können ! Ein so geistvoller Mensch ! Darüber ist doch nur eine Stimme . Sie hätten ihn auch sicher sonst nicht in das Kriegsministerium genommen ! Und dieses Gänschen ! Diese richtige Gans ! Ihre paar Groschen können es auch nicht gewesen sein – die hätte er bei mir ebenfalls gehabt . Und was kann ihm der Schwiegerpapa-Oberst a. D. für seine Carriere nützen ? Also das hübsche Mäskchen und die Langweile – die grauenhafte Magdeburger Langeweile ! Ein bißchen amüsanter ist es hier doch . Doch wenigstens die Möglichkeit einer interessanten Begegnung , eines pikanten Zufalls . Klotilde war bis zur nächsten Haltestelle , gekommen , gerade als der erwartete Wagen sie einholte . Sie stieg ein . Der Wagen war nur mäßig besetzt , was sie durchaus in der Ordnung fand : ein sehr gefüllter erschien ihr stets als eine persönliche Beleidigung . Wer mag denn mit Krethi und Plethi in dem engen Kasten eingepfercht sein ! Nichtsdestoweniger musterten ihre scharfen Augen gewohnheitsmäßig die Insassen und blieben auf einem Herrn in der entferntesten Ecke der gegenüberstehenden Bank haften . Da war ja so etwas von einem pikanten Zufall ! Wenigstens begegnete einem ein so hübscher Mann nicht alle Tage . Man hätte ihn vielleicht sogar schön nennen können , mit seiner geraden Nase und dem offenbar sorgfältig gepflegten , rötlichen Vollbart . Ein Offizier in Civil ? Möglich ! Nur daß der Anzug dafür vielleicht zu elegant war und vor allem zu gut saß . Auch pflegen Offiziere unterwegs nicht in einem Buche zu lesen . Wenn er doch mit dem dummen Lesen aufhören wollte , daß man wenigstens seine Augen sehen könnte ! In dem Momente senkte der Herr das zusammengeklappte Buch zwischen den behandschuhten Händen auf die Kniee ; steckte es dann in die Seitentasche seines Paletots ; ließ seine Blicke durch den Wagen schweifen und sah mit der Miene eines , der sich tödlich langweilt , seitwärts zum Wagenfenster hinaus auf die Straße . Klotilde war empört . Sie hatte , als der Herr sie erhob , seine Augen sehr deutlich gesehen : ganz ungewöhnlich große , ausdrucksvolle , blaue Augen ; und förmlich körperlich gefühlt , daß diese Augen , im Vorüberstreifen des Blicks , ein paar Sekunden auf ihr geruht hatten . Und konnten jetzt durch das Fenster nach der wimmelnden Menge auf dem Trottoir starren , als ob es hier im Wagen schlechterdings nichts zu sehen gäbe ! Ich habe mich geirrt , sagte sie bei sich ; er gehört nicht zur Gesellschaft . Während der Wagen in vollem Fahren war , hatte sich ein Herr auf den Hinterperron geschwungen , einen Blick in den Wagen geworfen , mit freudig erregter Miene vor Klotilde tief den Hut gezogen und stand jetzt , die Thür eilig aufschiebend , vor ihr , auf den leeren Sitz neben ihr deutend . Darf ich , gnädige Frau ? Aber , lieber Fernau , was könnte mir angenehmer sein ? Sie sind die Güte selbst , rief der junge Mann , Klotildens dargebotene Hand feurig drückend , während er ihr zur Seite Platz nahm . Seitdem ich weiß , daß gnädige Frau Pferdebahn fahren , werde ich mich nie eines andern , als dieses mir so verhaßten Vehikels bedienen . Ja , lieber Freund , wir armen Assessorenfrauen – Wer denkt an arme Assessorenfrauen , wenn er Sie sieht ! Wer kann Sie sich anders vorstellen , als in einem goldnen , von Tauben gezogenen Wagen ! Den ich mir sofort anschaffen werde , sobald ich Ihnen in einem Muschelkahn begegnet bin , vor den ein Schwan gespannt ist . Gnädige Frau waren gestern im Lohengrin ? Ich habe mit Bedauern bemerkt , daß Sie fehlten . Sehr gütig ! Aber , offen gestanden , seit ich im Sommer in Baireuth die Musteraufführung gesehen habe , kann ich mich nicht entschließen , mir den kolossalen Eindruck durch unsern landläufigen Schlendrian hier zu verleiden . Aber ein Schwanenritter im seidenen Wams , das denke ich mir schrecklich . Ich versichere , gnädige Frau – das heißt : ich war auch stupéfait ; aber nur im ersten Augenblick . Dann ging mir sofort das rechte Licht auf . Und nun gar Sie , mit Ihrer für alles Großartige so empfänglichen Seele – Sie würden entzückt sein . Klotilde hatte das leise Gespräch mit ihrem Bewunderer eifriger geführt , als sie es sonst vielleicht gethan hätte ; aber ihre Absicht , die Aufmerksamkeit des Herrn da drüben zu erwecken , erreichte sie nicht : er blickte jetzt zwar nicht mehr zum Fenster hinaus , aber gerade vor sich nieder , nach dem ernsten Ausdruck seiner Miene in wenig erfreuliche Gedanken versunken . Kennen Sie den Herrn dort ? fragte Klotilde , ihren eifrigen Begleiter mitten in einem angefangenen Satze unterbrechend . Welchen Herrn ? Klotilde winkte mit den Augen nach dem Nachdenklichen in der Ecke . Legationsrat von Fernau klemmte das Lorgnon in das Auge , blickte in die von der Dame angedeutete Richtung und erwiderte : Nein . Warum ? Wofür halten Sie den Herrn ? Das Lorgnon , welches bereits fallen gelassen war , mußte abermals seine Dienste thun , diesmal länger als das erste Mal . Nun ? Für einen Plebejer , der sich furchtbare Mühe giebt , wie ein Gentleman zu erscheinen . Der pure Brotneid ! Aber gnädige Frau , Sie können doch unmöglich anderer Meinung sein ! Vielleicht doch ! Dann werde ich mir von morgen an einen Vollbart stehen lassen und mir Mühe geben , wie ein Schulmeister auszusehen . Und das wäre kein Brotneid ? Ja , bei Gott , er ist es ; furchtbarer Neid auf jeden , der nur an den Saum Ihres Kleides rührt ; nur in Ihre Nähe kommt ; nur – Bitte , halten ! sagte Klotilde zu dem Schaffner , der eben gerade durch den Wagen ging . Gleich , meine Dame , sagte der Schaffner . Klotilde saß in ihre Ecke zurückgelehnt ; ihr Gesicht war lebhaft gerötet . Fernau erschrak ; offenbar war er zu weit gegangen und hatte die schöne Frau ernsthaft beleidigt . Aber das war es nicht . Es war nur , daß gerade in dem Moment , als der junge Mann , soweit es die Schicklichkeit irgend erlaubte , sich zu ihr hinabbeugend , leidenschaftlich hastig die letzten Worte flüsterte , der Herr drüben den Kopf gewandt und sie , wie ihr schien , scharf ins Auge gefaßt hatte . Sie sagte sich sofort , daß es nur zufällig gewesen sein könne ; überdies hatte sie vom ersten Augenblick etwas der Art gewünscht , die kleine Komödie wesentlich deshalb gespielt und fühlte sich jetzt beschämt wie ein Schulmädchen , das der Lehrer an der Straßenecke im têtê-à-tête mit dem hübschen Primaner ertappt . Sie zürnen mir , gnädige Frau , sagte der junge Mann bedrückt . Ach , lieber Freund , da hätte man viel zu thun , wenn man Euch Kindern so oft zürnen wollte , wie Ihr es verdient . Wir sehen uns doch heute abend bei Sudenburgs ? Gewiß , gnädige Frau . Dann also au revoir ! Darf ich bitten , mich dem Herrn Gemahl zu empfehlen ? Wenn ich 's nicht vergesse ! Der Wagen hielt . Fernau wäre für sein Leben gern mit der schönen Frau ausgestiegen ; aber er wagte es nicht . Dafür warf er , während der Wagen weiter fuhr , dem Herrn in der Ecke mehr als einen wütenden Blick zu , welchen dieser , der wieder vor sich nieder sah , glücklicherweise nicht bemerkte . Das ist doch seltsam , sagte Klotilde bei sich , während sie in der Querstraße auf ihre Wohnung zuschritt . Was war das nur eigentlich mit dem Herrn ? Er war nicht einmal so schön wie Fernau ; und Fernau hatte recht : trotz seiner Eleganz sah er doch eigentlich wie ein Spießbürger aus . Dennoch – wunderlich ! ich glaube wahrhaftig , das Herz hat mir ordentlich geschlagen . Es ist nur die wahnsinnige Langweile . Es ist nur , weil – Sie brach ihr Selbstgespräch jäh ab . Auf der andern Seite der Straße , um ein weniges ihr voraus , ging ihr Mann . Sie hätte ihn mit ein paar Schritten einholen , auf der fast menschenleeren Straße leichtlich mit einem halblauten : Viktor ! abrufen können . Wozu ? Er würde sich nicht freuen , sie zu sehen ; und sie brannte nicht darauf , sein gleichgültiges : Ach , sieh da , Klotilde ! zu hören . Wenn ihr doch ein Mensch sagen könnte , weshalb sie diesen , gerade diesen geheiratet hatte ! Und weshalb Menschen , die sich nicht mehr lieben , vielleicht einander nie geliebt haben , nun so miteinander weiter leben müssen ! Ein bittres Lächeln zuckte um ihre Lippen . Wie hatte sie zu Adele gesagt : er geht seinen Weg , ich den meinen ! Nun ja : da ging er ; und sie ging hier ! Viktor war an dem Hause angelangt . Er hatte geschellt , blickte , auf das Öffnen der Thür wartend , sich zufällig um und sah seine Frau über den Straßendamm kommen . Ach , sieh da , Klotilde ! Aus der Stadt ? Ja . Ich muß an Dir vorübergefahren sein . Drittes Kapitel Die schönen Räume der Wohnung des Ministerialdirektors Sudenburg hatten seit einer halben Stunde angefangen , sich mit den eingeladenen Gästen zu füllen . Die ersten waren , wie stets , die jungen , unverheirateten Offiziere gewesen , die mit dem Glockenschlage acht sich einfanden – Kameraden , zumeist der beiden älteren Söhne des Hauses , Fritz und Franz , Sekondelieutenants : Fritz in der Artillerie , Franz in der Infanterie . Zum Glück für Stephanie , die kaum noch wußte , was sie mit dem uniformierten , wenig ausgiebigen Schwarm beginnen sollte , waren dann auch bald , beinahe gleichzeitig , ihre liebste Freundin Klotilde mit Viktor , und Adele mit ihrem Gatten gekommen , und sie mußte vorerst einmal Adele , welche ganz neu in diesen Kreis trat , » ein wenig lancieren « . Adele hatte es ihr nicht schwer gemacht . Von der Furcht , die sie heute vormittag angesichts ihres Debüts in der Berliner Gesellschaft gehabt haben wollte , war schlechterdings nichts zu bemerken . Jeder der ihr Vorgestellten , gleichviel , ob Herr oder Dame , schien für sie eine intime Bekanntschaft zu sein , deren Anfang bis in ihre Kinderjahre zurück datierte . Eine entzückende kleine Person , sagte Hauptmann von Luckow zu ein paar jüngeren Kameraden . Diese lachen den , blauen Augen , diese lustig blitzenden , weißen Zähne , dies fröhliche Geplauder – wahrhaftig , das wirkt wie eine Oase auf den verschmachtenden Wanderer in der Wüste . Das Wort machte die Runde . Es dauerte nicht lange , bis – mindestens unter den jüngeren Herren – keiner von Adele anders , als von der » Oase « sprach . Inzwischen hatte sich Elimar ebenfalls sein Terrain erobert , ohne daß man von ihm , so wenig wie von Adele , sagen konnte , er habe es darauf abgesehen gehabt . Aber seine gehaltene , gegen Höher- und Niedrigerstehende gleich liebenswürdige Freundlichkeit ; seine große Unterhaltungsgabe , der jedes Thema genehm , und die doch niemals nach Beifall und Bewunderung zu haschen schien ; die Melodie selbst seiner immer nur halblauten und immer gleich verständlichen Stimme – es wäre nicht erst nötig gewesen , daß der Kriegsminister , der eben erschienen war , ihn , sobald er nur erst die Wirte begrüßt , sofort durch ein längeres , augenscheinlich sehr intimes Gespräch auszeichnete , um die Gesellschaft von der Bedeutenheit des Mannes zu überzeugen . Die Gesellschaft war jetzt beinahe vollzählig ; es schien sogar ein wenig an Raum zu fehlen , aber nur , weil in der langen Flucht der Zimmer einige so gut wie leer blieben , während die Herrschaften sich in einigen wenigen zusammendrängten . Mama hat gut reden , sagte Fritz zu Franz , sich heimlich den Schweiß von der Stirn wischend ; ich kann sie nicht auseinander bringen ; sie stehen wie die Mauern . Wenn man die kleine Meerheim da loseisen könnte ! Es laufen dann gleich ein Dutzend nach . Wird sich kaum noch der Mühe verlohnen . Endlich müssen wir doch einmal zum Souper kommen . Bist Du mit der Tischordnung fertig ? Hat sich was mit Tischordnung , wenn Stephanie mir die ganze Geschichte wieder umkrempelt . Sagt , ich hätte lauter dummes Zeug gemacht ! Wirst Du auch , alter Sohn ! Meinetwegen . Ich bekümmere mich nicht mehr darum . – An einen Schwarm von Herren , der Klotilde umringte , trat Viktor eilfertig heran . Verzeihung , Ihr Herren ! Ich möchte meiner Frau – Bitte ! bitte ! Was giebt's ? fragte Klotilde . Hast Du mit Excellenz schon gesprochen ? Welcher ? Es sind ein halbes Dutzend hier . Mein Gott , mit unsrer natürlich . Ich weiß noch gar nicht , daß sie hier sind . Schon seit einer Viertelstunde . Er ist allein da und hat mich schon nach Dir gefragt . Bitte , komm' gleich mit ! Er hatte ihr den Arm geboten , den sie ihm willig reichte . Excellenz war einer ihrer wärmsten Verehrer , und von Excellenz allein hing es ab , ob Viktors Ernennung zum Regierungsrat bereits zu Neujahr , oder erst zu Ostern erfolgte . Du kannst ihm auch sagen , flüsterte Viktor , während sie sich durch die Menge drängten , daß ich die halben Nächte über den Akten sitze . Laß mich nur machen , flüsterte Klotilde zurück , und bei sich sagte sie : meinetwegen die ganzen . Es mußte für diesmal bei ihrem guten Willen bleiben . Als sie endlich bis in die Nähe des allmächtigen Mannes gelangten , fanden sie ihn in einer , wie es schien , sehr eifrigen Unterhaltung mit dem Kollegen vom Kriegsministerium , einem andern hohen Offizier und dem Wirt des Hauses . Für den Augenblick war an eine Annäherung nicht zu denken . Dann aber unter allen Umständen nach Tisch , sagte Viktor ärgerlich . Wirst Du tanzen ? Sonderbare Frage ! Ich wollte nur sagen : richte es so ein , daß Du für einen , oder ein paar Tänze frei bleibst . Nach Tisch ist er immer am zugänglichsten . Nachgerade weiß ich wirklich , was ich zu thun habe . Ich wäre der Letzte , der daran zweifelte . Also ! – Wollten Sie etwas von mir , liebe Stephanie ? Etwas sehr Dringendes . Bitte , Herr von Sorbitz ! Viktor war mit einer Verbeugung zurückgetreten ; Stephanie hatte die Freundin unter den Arm gefaßt und ein paar Schritte seitwärts aus dem Schwarm in eine leere Fensternische geführt . Um was handelt es sich ? fragte Klotilde . Liebes Herz , Du kannst mir aus einer großen Verlegenheit helfen . Wie ich eben die Tische revidiere , sehe ich , daß Franz neben anderm Unsinn – man kann dem Jungen wirklich nichts überlassen – einen Gast , den wir heute zum erstenmale hier haben , ganz falsch placiert hat . Meinen Cousin Meerheim ? Den habe ich für mich genommen . Nein ! Aber Klotilde , nun kannst Du einmal wirklich zeigen , daß Du mich lieb hast . Mein Gott , das klingt ja ganz feierlich . Feierliches ist nun schon gar nicht dabei . Aber Franz hatte Dir Fernau gegeben , und ich weiß , daß Du ihn gern hast . In allen Ehren . Aber , Schatz , das versteht sich doch von selbst ! Er soll jetzt Deine Cousine führen . Ich habe eben Franz zu ihm geschickt : er habe Euch beide verwechselt . Fernau wird entzückt sein . Das gerade nicht , obgleich die kleine Dame wirklich ganz allerliebst ist , trotz ihres mindestens dreimal neu garnierten Kleides . Für Dich nur , Du armes Opferlamm – Ich bin auf alles gefaßt . Das heißt : so schrecklich ist er gar nicht – im Gegenteil ! ich kann mir denken , daß es Damen giebt , die für ihn schwärmen , ebenso wie seine Jungen . Gott sei Dank ! nun ist es heraus ! Es ist also der Ordinarius von Oskars Klasse , der sich Oskars sehr annimmt . Und Papa , der sehr große Stücke auf ihn hält – was Du ja schon daraus sehen kannst , daß er heute abend eingeladen ist – hat mir auf die Seele gebunden , ihn auf irgend eine Weise auszuzeichnen . Nun , Schatz , wie könnte ich das besser , als wenn Du die kolossale Liebenswürdigkeit hättest – Ich habe die kolossale Liebenswürdigkeit . Her mit dem Mann ! Wo ist er ? Er ist eben erst gekommen – diese Leute denken , es ist vornehm , wenn man spät kommt – und spricht – oder sprach vorhin nebenan mit Mama . Ich hole ihn Dir . Noch eins ! Wie heißt er ? Winter . Doktor Winter , oder Professor . Ich weiß nicht . Finde ich Dich hier wieder ? Stephanie war davongeeilt . Adieu ! te quitter c'est mourir , sagte hinter Klotilde , nicht eben weit von ihrem Ohr , eine leise Stimme . Aber es muß doch nicht gleich sein , rief Klotilde , sich lachend wendend . Auf der Stelle , erwiderte Fernau . Hélas , madame ! – un présage terrible Doit livrer mon coeur à l' effroi : J' ai cru voir dans un songe horrible Un échafaud dressé pour moi . Sollte das nicht etwas zu spät kommen ? Mir scheint , Sie haben Ihren Kopf bereits verloren . Wer ihn über gewisse Dinge nicht verliert , hat keinen zu verlieren . Also : Adieu , charmant pays de France ! Adieu , Sie Unverbesserlicher ! Sie – Klotilde kam nicht weiter ; die Stimme versagte ihr und das Blut schoß ihr in die Wangen : neben ihr stand Stephanie mit einem Herrn , der sich eben tief verbeugte , und in welchem sie trotz der veränderten Kleidung und der andern Beleuchtung sofort jenen Passagier in der entgegengesetzten Ecke des Pferdebahnwagens erkannte . Hier , liebe Klotilde , bringe ich Dir Herrn Professor Albrecht Winter , der glücklich ist , Deine Bekanntschaft zu machen . Herr Professor Winter – Herr Legationsrat von Fernau . Ich habe die Reisebriefe des Herrn Legationsrats durch die südlichen Provinzen Frankreichs mit Entzücken gelesen , sagte Albrecht verbindlich . Sehr obligiert , Herr Professor . Die Tage des seligen Thümnel mit ihrem sentimentalen Posthornschall und lustigem Peitschenknall sind leider vorüber . Was wir an Sentimentalität und Humor verloren , haben wir an der scharfen Beobachtung von Land und Leuten reichlich gewonnen . Und so weiter – nach Tisch ! rief Stephanie . Herr Professor , Sie wissen , daß Ihnen das große Los zugefallen ist , die gnädige Frau zu führen . Da kommen die älteren Herrschaften schon . Schließen Sie sich , bitte , hernach an ! Machen Sie , daß Sie zu Ihrer Dame gelangen , Herr von Fernau ! Ich muß auch nach meinem Herrn sehen . Stephanie hatte Fernau mit sich genommen . Da das große Los nun einmal auf mich Unwürdigen gefallen – sagte Albrecht , Klotilde den Arm bietend . Ich glaube , ich bin verrückt , sagte Klotilde bei sich , als sie fühlte , daß die Hand , die sie auf ihres Begleiters Arm legte , zitterte . Sie hörte auch kaum etwas von dem , was der Professor sagte , während sie so auf den Moment warteten , wo sie sich dem paarweisen Zuge , der aus den Nebenzimmern nach dem Speisesaale strömte , anschließen konnten . Das Geschwirr der Stimmen , welches vorhin die Räume sinnverwirrend erfüllt hatte , konnte nicht schuld daran sein : es herrschte eben jetzt eine fast lautlose Stille . Aber auf ihrer Seele lag es wie eine Betäubung , die ihr sonst völlig fremd war , und für die sie vergebens nach einer Erklärung suchte . Diese so unerwartete Wiederbegegnung noch an demselben Tage war ja überraschend , nur daß sie für Überraschungen eine große Vorliebe hatte ; und die verblüffte Miene von Fernau bei der Vorstellung dessen , der ihn aus dem » charmant pays « verdrängte – das war eigentlich furchtbar komisch gewesen . Weshalb dann also dies alberne Herzklopfen und diese bängliche Empfindung , wie vor einer hereindrohenden Gefahr ? Es war positiv lächerlich , und der Herr Professor mußte wirklich glauben , sie sei ein Gänschen von Buchenau , das zum erstenmal von Sterne und sentimental yourney reden hörte . Sie wollte , wenn sie erst einmal saßen , schnell ein Glas Sekt trinken . Das würde ihr den Kopf schon wieder in Ordnung bringen . Als die letzten der jüngeren Herrschaften , zu denen Klotilde und ihr Begleiter gehörten , den Speisesaal betraten , hatten die älteren bereits in dessen kleinerem , nur durch ein paar Säulen von dem größeren vorderen getrennten Teil ihre Plätze eingenommen . Der gewaltige , von dem blendenden Licht der Kronenleuchter und der zahlreichen Wandkandelaber durchflutete Raum bot einen zauberhaften Anblick , zumal als alle nun in ihren schmucken Uniformen , tadellosen Gesellschaftstoiletten , lichten Gewändern , um die vielen , reich servierten , blumengeschmückten Tische gruppiert , lachend und plaudernd saßen , und die Menge der Diener in schmuckhaften Livreen lautlos geschäftig die Schüsseln präsentierte und die Gläser füllte . Albrechts Herz schwoll . Da war doch einmal einer seiner Träume zur Wirklichkeit geworden ! Er in diesem fürstlichen Saal , inmitten der besten Gesellschaft der Residenz , an der Seite einer schönen Frau ! Da würden ja vielleicht auch die andern nicht immer Träume bleiben ! sich ihm die Pforten des königlichen Schauspielhauses öffnen , an die er nun bereits seit zwei Jahren vergebens ungeduldig pochte ! Und die kaiserliche Loge , in die ihn der General-Intendant führte , huldreiche Worte über sein gelungenes Werk aus allerhöchstem Munde zu vernehmen ! Evoe , Bakche ! evoe ! rief es in ihm , während er den Schaum von seinem Champagnerglase schlürfte und dabei in die prachtvollen Augen seiner reizenden Nachbarin blickte . Viertes Kapitel Klotilde hatte gefürchtet , sie würde mit dem Herrn Professor ein schauderhaft gelehrtes Gespräch zu führen haben , und sah sich aufs angenehmste überrascht , als ihr diese Pein durchaus erspart blieb . Nicht , daß von den Lippen des Herrn nicht hin und wieder eine Anspielung auf irgend einen wissenschaftlichen Gegenstand , oder etwas , das ihr wenigstens so erschien , gekommen wäre ! Aber immer doch nur eine Anspielung , die seiner Unterhaltung sogar einen gewissen originellen Reiz gab und ihr schmeichelte , da er doch jedenfalls annahm , daß sie für diese Winke nach höheren Regionen das volle Verständnis besaß . Im übrigen war , was er vorbrachte – und er brachte viel , sehr viel vor – er schien unerschöpflich – doch nur eine Plauderei , die ihr allerdings um einen beträchtlichen Grad geistreicher schien als die , an welche sie in ihrer Gesellschaft gewöhnt war . Zu der er , wollte sie ihn nur nach seinen Manieren und seinem Aeußeren beurteilen , am Ende auch gehörte . Einer eleganteren Toilette konnte sich keiner der Herren in Civil rühmen ; Frack und Weste waren nach dem neuesten Schnitt , das feine Vorhemd von blendender Weiße , die Krawatte saß tadellos . War ihr doch schon heute nachmittag in dem Pferdebahnwagen die Sorgfalt , mit der er sich kleidete , aufgefallen ! Und jetzt in seiner unmittelbaren Nähe konnte sie sich überzeugen , daß sie auch sonst seine Erscheinung richtig taxiert hatte . Mit seinen regelmäßigen Zügen , der feingewölbten Stirn , den großen , ausdrucksvollen blauen Augen , dem prächtigen blonden Vollbart , der stattlichen , breitschulterigen , hochbrustigen Figur , mußte sie ihn wirklich für einen schönen Mann gelten lassen , trotzdem sie eigentlich an Blondins nicht leicht Geschmack fand , und in Fernau mit seinem blauschwarzen Haar und Bart und dem südlichen Oliventeint ihr Ideal sah . Das Einzige , was ihr an dem schönen Manne unangenehm auffiel , waren seine großen , knochigen , allzu roten Hände . In den Augen der Dame aus uralt freiherrlichem Geschlecht durfte ein Mann , den sie als ihresgleichen nehmen sollte , solche Hände nicht haben . Las der Mann in ihren heimlichen Gedanken ? Sie waren auf die landwirtschaftlichen Reize der deutschen Mittelgebirge , zuletzt auf die des Harzes zu sprechen gekommen . Aber Sie kennen den Harz wohl nicht ? sagte sie , als sie bemerkte , daß er stiller geworden war und sie schließlich nur noch allein sprach . Meine Heimat ! erwiderte er mit einem melancholischen Lächeln . Da wären wir ja Landsleute ! rief Klotilde und nannte das Städtchen am Fuß eines der Ausläufer des Gebirges , in dessen Nähe das Stammgut ihrer Familie lag . Ich bin in der Wahl meines Geburtsortes weniger vorsichtig gewesen , sagte er mit demselben trüben Ausdruck . Es ist ein armseliges , hoch oben zwischen kahlen Bergen eingeklemmtes Dorf . Meine Eltern waren blutarme Bergleute . Der Vater wurde , als ich sechs Jahre zählte , in einem zusammenstürzenden Schacht verschüttet ; meine Mutter starb ein Jahr darauf . Die Gemeinde , der ich zur Last gefallen war , machte mich zu ihrem Gänsejungen , von dem ich zum Schafhirten avancierte ; und ich hätte es sicher bei meiner entschiedenen Veranlagung zu dem Berufe noch zum Kuhhirten gebracht , nur daß sich der alte , kinderlose Pastor unseres Dorfes meiner annahm . Er hatte in der Konfirmationsstunde Wohlgefallen an mir gefunden ; glaubte ein zukünftiges Kirchenlicht entdeckt zu haben ; ließ mich studieren , adoptierte mich später sogar und vermachte mir , als er starb , sein bißchen Hab und Gut . Nun , ich Undankbarer habe die Hoffnungen des guten Mannes nicht erfüllt ; es nicht einmal über den Schafhirten hinausgebracht , als der sich so ein armseliger Schulmeister , wenn die Jungen einmal wieder durchaus nichts begreifen können , oft genug vorkommt . Die kleine , in halb elegischem , halb satirischen Ton vorgetragene Geschichte , hatte einen starken Eindruck auf Klotilde gemacht ; und während der Professor mit seinem Gegenüber , dem Hauptmann von Luckow , in ein Gespräch geraten war , hatte sie Muße , sich diesen Eindruck zurecht zu legen . Ein Gänsejunge da oben auf den Bergen , der es immerhin so weit bringt – das war doch einmal etwas anderes als das ewige Einerlei der Offizier- und Beamtencarriere ; das war doch sehr interessant , sehr romantisch ! Und wie hübsch von ihm , daß er sich frank und frei zu seiner plebejischen Herkunft bekannte , die Leute der Art sonst nach Möglichkeit zu verschleiern suchen ! Und je tiefer er geboren war , um so großartiger war es doch von ihr , wenn sie sich zu ihm herabließ ! Adieu , plaisant pays de France ! Maria Stuart und Rizzio ! Gewiß war Rizzio auch ein armer Junge gewesen , der sich von den sonnigen Gassen irgend einer italienischen Stadt bis nach Schottland und in die königlichen Hallen und in das Herz der schönen Königin gesungen hatte . Mein Gott , so ein bißchen unschuldige Liebelei muß doch einer gelangweilten Königin erlaubt sein , wenn auch Graf Boswell-Fernau drüben am dritten Tische fortwährend wütende Blicke herüberschleudert . Das macht die Geschichte nur pikanter . Welche denn ? Eine Episode , die ein paar Abendstunden währt und dann definitiv zu Ende geht , ist doch noch lange keine Geschichte , wie sie das Verhältnis mit Fernau allerdings bereits zu werden drohte . Hier war nach keiner Seite auch nur die mindeste Gefahr . Und während diese Gedanken durch ihr erregtes Gehirn zuckten , überlegte sie schon , wie es wohl aufzufangen sein möchte , daß die Episode keine Episode bliebe ; wie der interessante Mann wohl in ihren Kreis einzuführen , in ihrem Kreise festzuhalten wäre . Viktor mit seiner hochmütigen Verachtung alles Plebejischen und aller Plebejer mußte schon aus der Rechnung fallen . Aber das wäre nicht das erste Mal gewesen ! Adele ! sie war so grundgutmütig und hing an ihrer Schleppe . Es würde ihr ein Leichtes sein , Adele für den Professor zu begeistern . Und Elimar – natürlich ! Er war ein halber Gelehrter . Wie sollte der nicht Geschmack an ihm finden ! Und Luckow da drüben , der eben in seiner Eigenschaft als Lehrer an der Kadettenschule ihn seinen Kollegen nannte ! Der Hauptmann war freilich Junggesell , aber , als Intimer des Kreises , immerhin ein Stein mehr im Brett . Hier im Hause erschien der Professor , so wie so , völlig akkreditiert . Die Sache würde sich machen , mußte sich machen . Sie hatte schon schwierigere Dinge siegreich zustande gebracht . Da , in dem Moment , als der Professor sich aus der Unterhaltung mit Luckow wieder zu ihr wandte , wurde die Tafel aufgehoben . Bereits kamen die Excellenzen und andere Hochwürdenträger mit ihren Damen durch den Saal ; die jüngeren Herrschaften standen nur noch an ihren Plätzen , jene vorüberzulassen und sich ihnen dann anzuschließen . Der Professor hatte ihr wieder den Arm gereicht . Ihre Hand zitterte jetzt nicht mehr ; eine freudig sieghafte Empfindung füllte ihr Herz und ließ sie mit einem ihrer vollen Blicke , deren Gewalt über Männerherzen sie nun schon so oft erprobt hatte , zu ihrem Begleiter aufschauen und die Lider nicht senken vor dem Feuer der Bewunderung , das aus seinen großen Augen auf sie herabflammte . Gott segne Sie , gnädige Frau , für die selige Stunde , die Sie einem Unglücklichen bereitet haben ; sagte er so leise , daß nur eben sie es verstehen konnte . Es war eben auch für mich eine liebe Stunde , gab sie ebenso leise zurück . Und Sie thun unrecht , mir die freundliche Erinnerung durch solche schmerzlichen Worte zu trüben . Wenn ich das Glück hätte , näher von Ihnen gekannt zu sein , würden Sie in Ihrem schönen Herzen nicht mehr den Mut finden , mir den Titel eines Unglücklichen zu bestreiten . Es klang in dem Flüstertone so herzbeklemmend – Klotilde mußte nun doch die Wimpern niederschlagen , aber nur , weil sie fühlte , daß ihre Augen brannten , und fürchtete , sie könnte die unsägliche Thorheit begehen und in Thränen ausbrechen . Ich bin positiv verrückt , sagte sie bei sich . Man war in die Vorderzimmer gelangt . Er hatte sich mit einer tiefen Verbeugung von ihr verabschiedet und war alsbald in dem Gedränge verschwunden , das jetzt noch größer war als vor Tisch . In dem Lärm der durcheinander schwirrenden , weinlauten Stimmen konnte man das eigene Wort kaum noch verstehen . Klotilde kam es gelegen ; sie war sich bewußt , zu den Herren , die sie umringten und alle zugleich auf sie einsprachen , ganz tolles Zeug zu reden . Denn urplötzlich hatte sie im stärksten Grade eine jener übermütigen Launen gepackt , die man an ihr kannte und in diesen Kreisen entzückend fand . In witzigen und neckischen Wendungen verteidigte sie gegen den Ansturm von einem halben Dutzend Aspiranten die beiden freien Tänze , die sie noch auf ihrer Karte hatte . Sie habe , während man diese Tänze tanze , eine hohe diplomatische Mission zu erfüllen ; sie müsse unterdessen den Staat retten . Dabei war ihre freudige Hoffnung , die » Courschneiderei « bei Excellenz , zu der sie ihr Mann verpflichtet , werde nur ein paar Minuten dauern und sie so wenigstens einen Tanz für den Professor herausbringen , der ja unmittelbar vor dem Souper gekommen war , und sich sicher in diesem ihm fremden Kreise nicht engagiert hatte . Vorausgesetzt , daß er überhaupt tanzte . Aber warum sollte er nicht ? Er tanzte sogar zweifellos vorzüglich . Ein lustiges Wort , das sie eben dem Hauptmann von Luckow erwidern wollte , erstarb ihr auf den Lippen . Sie sah den Professor auf sich zukommen mit einer Dame am Arm , die sie nicht kannte – einer kleinen untersetzten Dame , deren unmodische Frisur und einfache dunkle Toilette so gar nicht in diesen Kreis paßten , daß ihr erster Gedanke war : » wie um Himmelswillen kommt denn die hierher ? « Zu einem zweiten Gedanken blieb ihr keine Zeit , denn jetzt war , während die anderen Herren etwas zurückwichen , der Professor an sie herangetreten und sagte , die Dame vom Arm lassend : Ich wollte nicht aus der Gesellschaft scheiden , ohne der gnädigen Frau meine Frau vorgestellt zu haben . Klotilde war aufs heftigste erschrocken ; kaum daß sie die etwas linkische Verneigung der Frau Professor mit dem nötigen gesellschaftlichen Anstand erwidern konnte . Das Blut mußte ihr aus den Wangen geschwunden sein – sie fühlte es deutlich , und wie es im nächsten Moment gewaltsam zurückschoß . Dann aber hatte sie die angewohnte Selbstbeherrschung zurückgewonnen . Aber wie unrecht , gnädige Frau , sagte sie mit einem Lächeln , das vielleicht noch etwas gewaltsam war ; so spät kommen und die Gesellschaft dann , wenn ich Ihren Herrn Gemahl recht verstanden habe , so früh verlassen wollen ! Ich habe drei Kinder zu Haus , erwiderte die Dame , und das jüngste ist erst acht Wochen alt . Da hat man nicht viel Zeit für Gesellschaften übrig . Nein , gewiß nicht , sagte Klotilde höflich . Besonders wenn man selbst stillt , fügte die Dame hinzu . Dann besonders nicht , sagte Klotilde . Ihr Blick hatte unwillkürlich den Professor gestreift ; sie hätte beinahe laut aufgelacht . Welch ein verlegen albernes Gesicht der Mann machte ! Er mochte es selber empfinden , denn er sagte mit hörbarer Ungeduld : Wir dürfen die gnädige Frau der Gesellschaft nicht länger entziehen , liebe Klara . Gnädige Frau , meine gehorsamste Empfehlung . Es hat mich sehr gefreut , sagte Klotilde , der Frau Professor die Hand reichend , während der Professor sich mit einem gnädigen Kpofnicken begnügen mußte . Dann hatte sie sich schnell zu den andern Herren gewandt , die sofort wieder herangetreten waren , die meisten mit lächelnden Mienen . Um Himmelswillen , gnädige Frau , rief der Lieutenant von Sperber ; wer war denn diese höchst eigentümliche Erscheinung ? Darüber kann ich genaue Auskunft geben , erwiderte anstatt Klotildes der Assessor von Visselbach . Mir ward die völlig unverdiente Ehre , die Dame zu Tisch zu führen . Bei Gott ! nach zehn Minuten hätte ich glauben können , mich in einer Kleinkinderbewahranstalt zu befinden . Schade ! sagte der Hauptmann von Luckow . Der Professor ist wirklich ein sehr unterrichteter , sehr charmanter Mann. Habe ich nicht recht , gnädige Frau ? Klotilde brauchte nicht zu antworten : Viktor kam , sie zu seinem hohen Chef zu führen , der aufbrechen wollte . Es war keine Minute zu verlieren . Sie hätte nicht sagen können , was sie dann mit seiner Excellenz gesprochen . Aber sie mußte wohl das Rechte getroffen haben ; Excellenz waren die Liebenswürdigkeit und Güte selbst gewesen ; Viktor , der in decenter Nähe dabei gestanden , hatte wiederholt zufrieden gelächelt und sagte , als die Unterredung zu Ende war , ihren Arm in den seinen nehmend und ordentlich zärtlich drückend : Das hast Du einmal wieder superb gedeichselt , Klotilde ! In so etwas ist Dir doch keine über . – Und in allem andern auch nicht , hatte er mit schneller Höflichkeit hinzugefügt . Frau Ministerial-Direktor war gewohnt , daß man ihre Gesellschaften reizend fand . So oft wie an diesem Abend war es ihr noch nicht gesagt worden . Es war nur eine Stimme darüber . Und ebenso über das zweite , daß die Königin des Festes die entzückende Frau von Sorbitz sei . Einige wollten freilich die Fahne der neuesten Acquisition aufwerfen ; aber wenn auch jetzt noch » die Oase « nicht nur gelten ließ , sondern sie » ganz charmant « fand , und daß sie » ein fideler Kamerad « und ein » höllisch netter Käfer « sei , – gegen ihre prachtvolle Cousine komme sie doch nicht auf , und sie ihr gar vorziehen wollen , sei » einfach lachhaft « . Er wurde für Klotilde in ihrem an Triumphen derart nicht armen Leben der glänzendste , den sie bis jetzt gefeiert hatte . Unter der Menge der Bettler um eine Extratour kam es manchmal fast zu unliebsamen Scenen ; in dem Blumenwalzer häuften sich die Bouquets um sie zu Bergen . Und mit vollen Zügen sog sie den berauschenden Duft dieser Huldigungen ein . Ihre großen , blaugrauen Augen strahlten , während um die halbgeöffneten feinen Lippen beständig ein Lächeln schwebte , das , wie zauberhaft immer , doch stolz , ja hochmütig war und sagen zu wollen schien : dies alles kommt mir von rechtswegen zu ! mir , eurer Königin ! Als die unermüdlichen Wirte ihre Intimen , die sie nach dem Balle noch zu einem Plauderstündchen beisammen behalten hatten , endlich entließen und Viktor mit Klotilden nach Hause fahren konnte , war es drei Uhr geworden . Viktor war über den Sieg seiner Gattin so entzückt , als hätte er ihn selbst erfochten . Mit leuchtenden Farben malte er sich ihre beiderseitige Zukunft aus . Mit einer solchen Frau zur Seite , rief er , in einer Aufwallung von Stolz und Zärtlichkeit den Arm um ihre Schulter legend . Und wenn man selbst so Hervorragendes leistet , sekundierte Klotilde gefällig . Müßte es doch sonderbar zugehen – Brächte man es nicht zum Minister . Seit manchen Wochen war die Einigkeit zwischen den beiden Gatten nicht so groß gewesen . Fünftes Kapitel Für Albrecht Winter rollten die nächsten Tage in dem gewohnten ausgefahrenen Geleise eben so fort . Lektionen abhalten , griechische , lateinische Exercitia , deutsche Aufsätze korrigieren , sich von seinen Sekundanern anstaunen lassen , mit den Kollegen in den Zwischenviertelstunden und in den Konferenzen » fachsimpeln « – die alte Leier , deren hohler Ton ihn manchmal zur Verzweiflung bringen wollte , mochte er andern noch so wohlgefällig in das anspruchslose Ohr klingen ! An den Abend bei dem Ministerial-Direktor dachte er mit sehr gemischten Gefühlen . Wenn er es recht überlegte , waren die Hoffnungen , in denen er sich während jener paar Stunden gewiegt , bunte Seifenblasen gewesen . Weshalb hatte man ihn eingeladen ? Doch um seiner selbst willen wahrhaftig nicht . Doch nur , damit er sich des faulen Schlingels , des Oskar Sudenburg , annehme , der , die richtige Berliner Treibhauspflanze , eines Mentors freilich auch sehr dringend bedurfte . Man würde ihn sich in derselben Absicht noch ein- oder zweimal kommen lassen – natürlich nur zu den großen routs , wo er in der Menge verschwinden konnte – bis er den Jungen nach Prima gelotst hatte , wo denn anstatt seiner der Kollege in Prima an die Reihe kam . Was war man denn diesen Aristokraten anderes als ein Werkzeug ! Hatte es seinen Dienst gethan , warf man es zu dem alten Eisen . Die Socialdemokraten hatten ganz recht : jedes Zugeständnis , das sie unsereinem machen , wird ihnen durch die Not und die Furcht abgepreßt . Ganz vergebene Mühe , ihnen zu schmeicheln , um ihre Gunst zu buhlen ! Den Fuß muß man ihnen auf den steifen Nacken setzen ; ihre Herrlichkeit vor die Füße werfen – ihre freche , zusammengelogene und gestohlene , brutale Herrlichkeit ! Ah , ein Luther ! ein Luther ! Nicht der Reformator der Kirche , die doch zerbröckelt und an der nichts mehr zu halten ist ! Nein , der die eisernen Fessel sprengt , mit denen die Junker und ihre Spießgesellen ein mündig gewordenes Volk noch immer einzwängen ! die schandbaren Fessel , an welchen sie in den Bauernkriegen schon gerüttelt haben , die Armen und Elenden – meine Ahnen ! Deren Söhnen einzig und allein noch frisches , kraftvolles Blut durch die Adern rollt ! einzig und allein noch der Funke der Freiheit die Herzen erglühen macht ! Und während Albrecht so in der Phantasie die Welt in Trümmer schlug , raunte ihm eine leise Stimme ins Ohr : möchte sie doch bestehen und bleiben , wie sie ist , könntest Du einmal , nur einmal von ihren Lippen die Worte hören : ich liebe Dich ! Er durfte sich sagen , und sagte es sich diese Tage wieder und wieder , daß er es für seine Verhältnisse erfreulich weit in seinem Berufe gebracht habe , und nach menschlicher Berechnung noch ein gut Stück weiter bringen werde . Und hatte sich auch der Lorbeer des Dichters noch immer nicht auf seine Stirn senken wollen , über kurz oder lang mußte es doch geschehen : nannte man die besten Namen , würde man auch den seinen nennen . Aber die Anerkennung des Gelehrten , den Ruhm des Dichters und alles hätte er freudig hingegeben für die Erfüllung des großen Traumes seines Lebens : geliebt zu werden von einer Frau , wie – wie – nun ja , beim Himmel ! wie die , an deren Seite er an jenem Abend gesessen hatte ! Das wäre sein Adelsdiplom gewesen ! Die Bürgschaft dafür , daß er , der arme Bergmannssohn , ebenbürtig war den Hoch- und Höchstgeborenen ! Daß nicht , was er mit andern teilte : sein bißchen Wissen und Können , ihm zum Siege verholfen bei des Lebens olympischen Spielen , sondern das Beste , was der Mensch ist und hat und das er mit niemand teilen kann und worauf er für sein Teil deshalb von jeher den höchsten , ja , einzig und allein Wert gelegt hatte : seine Persönlichkeit . Eine Stunde lang hatte er sich in diesem holden Traum gewiegt . Sein Ideal , das nur immer , eine goldene Morgen- und Abendwolke , in unerreichbarer Ferne vor seines Geistes Aug ' dahingeschwebt war – hier hatte es in wonnesamster Leibhaftigkeit vor ihm gestanden : die hohe , schlanke Gestalt , die feinen , aristokratischen Züge , die großen , stolzen Augen , das reiche , weiche , dunkle Haar , der königliche Anstand , die lässige Anmut jeder , auch der kleinsten Bewegung , die etwas tiefe , metallische Stimme selbst – er hatte sich in jener seligen Stunde immer wieder gefragt : ist es denn möglich ? kann es denn sein ? hat denn wirklich endlich der Himmel Barmherzigkeit geübt und will den brennenden Durst löschen des Verschmachtenden in der Wüste ? Und er hatte an dem labenden Quell getrunken mit vollen , gierigen Zügen ! ihr holdseliges Wesen in sich gesogen mit dem süßen Duft , der von ihrem Haar auszuströmen schien und sie umwitterte wie eine köstliche Sommergartenblume ! ihr hoheitsvolles Bild eingegraben in sein Gedächtnis , daß es dastand in leuchtender Schöne , wie von eines Raphael , eines Tizian Hand gemalt , tagsüber , wo er ging und stand , im Dunkel der Nacht selbst , wenn er das schlummerlose tief in die Kissen drückte , damit Klara , die nebenan mit den Kindern schlief , sein verzweifeltes Stöhnen nicht hörte ! Die gute Klara , die nicht ahnte , was Furchtbares das unselige Weib in seinem Herzen angerichtet hatte ! Und daß , wenn er sich von dem Graus lösen konnte – und er war jetzt sicher , er zu können – er es ihr und ihr allein verdankte ! Denn an dem Empfang , den die hochmütige Aristokratin seiner Gattin zu bereiten gewagt hatte , war er zur Besinnung gekommen . Ah ! dies verächtliche Zucken der Nasenflügel ! Dies hohnvolle Lächeln ! Diese demütigende Herablassung , mit der sie der Ärmsten dann schließlich doch die Hand gereicht – oder waren es nur ein paar Finger ? – Wenn er ihr das vergaß – und daß er selbst in dem Moment für sie Luft gewesen – verflucht wollte er sein in diesem Leben und in jenem , wenn es eines gab ! Nun ja , er hätte die Vorstellung unterlassen können . Wenn er es nicht gethan , die sich Sträubende fast zu dem Schritt gezwungen hatte , so war es doch aus einem Gefühl heraus gewesen , dessen er sich nicht zu schämen brauchte . Er wollte durch diese Gesellschaft nicht als ein Komödiant gegangen sein , der , mit einer Frau hinter sich , die Rolle des flotten Junggesellen spielt . Und ihr , der er gesagt hatte , daß er ärmster Bergleute Sohn sei , weshalb ihr die Dorfschulmeistertochter unterschlagen , mit der er da oben auf den Bergen gespielt und Vogelnester gesucht und sich verlobt , als er auf die Universität ging ; und der er Treue bewahrt die langen , langen Jahre unendlicher Arbeit durch Hunger und Kummer , bis er sie endlich als sein eheliches Weib heimführen konnte . Hatte er es denn je zu bereuen gehabt ? Nein , und tausendmal nein ! Wie einfach und unscheinbar sie sein mochte , – das war für ihn Axiom : es gab keine bravere Frau , keine sorgsamere Mutter ; keine , die ihn inniger liebte , es so treu und ehrlich mit ihm meinte , wenn auch manchmal ihre Formen zu wünschen ließen und ihre Rede hätte gewählter sein können . Was brauchte sie , der es stets ernst war mit dem , was sie sagte , Worten nachzujagen ? Traf sie darum nicht doch immer den Nagel auf den Kopf ? Hatte sie es nicht wieder diesmal gethan , als sie für sich die Einladung zu dem Ball nicht annehmen wollte und sagte : wenn Du es den Leuten schuldig zu sein glaubst und Du Dir etwas von dem Verkehr in dem Hause versprichst , – obgleich ich nicht recht sehen kann , was , und mit großen Herren ein für allemal schlecht Kirchen pflücken ist – nun , so gehe in Gottes Namen hin ; aber mich laß zu Haus ! Ich passe nicht dahin . Wenn Du eine Frau wolltest , mit der Du Staat machen konntest , hättest Du eine andere heiraten müssen . Ich gehöre ins Haus und in die Kinderstube . Unter all den feinen und geputzten Leuten werde ich eine traurige Rolle spielen und Dir nur im Wege stehen , wenn Du auch meinst , Du könntest mich so mit durchschleppen , und man würde mich Dir Deinethalben abnehmen . Ja , das hatte er gemeint , wenn er sich auch weislich gehütet hatte , es zu sagen . Er hatte gemeint : man wird es Dir in den Kreisen zur Ehre anrechnen , daß Du , der Du zu ganz andern Ansprüchen berechtigt bist , treu zu der kleinen , unscheinbaren Frau hältst . Es ist wahr : während der Stunde bei Tisch hatte er sie in dem Taumel seines Entzückens vergessen , bis die Rede auf seine Abstammung kam , er vielmehr die Rede darauf brachte , um nun von seinem bescheidenen Lehrerhaushalt zu sprechen und dem Vivitur parvo bene des Horaz und seiner guten , kleinen Frau . Und gerade da mußte die Tafel aufgehoben werden ! Gerade in dem Moment , als das aristokratische Eisen zu glühen begann , es nur vielleicht noch eines geschickten Schlages bedurft hätte , daß der Funke heraussprang : ich muß Ihre Frau kennen lernen ! Die Frau eines Mannes , wie Sie , kann nicht anders als eine Elite-Natur sein , die ich zu meiner Freundin machen , die ich lieben werde ! O , des Thoren , der er gewesen war ! des jämmerlichen Thoren , der sich eine volle Stunde lang am Narrenseil hatte führen lassen , um – dahin geschickt zu werden , wohin die Narren gehören ! Gut ! es war ihm eine Lehre gewesen , die er nicht wieder vergessen würde . Von Stund an wollte er nur seinem Berufe leben . Und wenn er auch das Träumen nicht würde lassen können – wer kann dem Seidenwurm verbieten zu spinnen ! – er wollte fürder nie wieder in diese Schwäche verfallen ; sich immer bewußt bleiben , daß die Wirklichkeit Wirklichkeit ist und die Träume Träume sind ! Und nur ein unklarer Kopf beide durcheinander mischt ! Er war kein unklarer Kopf – er nicht ! – Es war inmitten eines solcher Selbstgespräche , die Albrecht in diesen Tagen endlos hielt , daß Auguste , der Familie Mädchen für alles , ihm ein Briefchen brachte , dessen Aufschrift von unbekannter , offenbar weiblicher Hand sein Herz schlagen machte . Bereute sie die kalte Grausamkeit , mit der sie ihn verabschiedet hatte ? wollte sie Abbitte leisten ? Sollte er ihr verzeihen ? Mit bebenden Händen erbrach er das Billet , hastig nach der Unterschrift blickend : Stephanie Sudenburg ! Also nur eine neue Einladung ! Mit Dank abgelehnt ! Selbstverständlich ! Nur daß der Brief für eine bloße Einladung ein wenig lang war ! Was also will man von mir ? Hochgeehrter Herr Professor ! Darf eine Gesellschaft junger Leute , die eben in strengster Heimlichkeit unter meinem Vorsitz bei uns tagt , sich in ihrer Rat- und Hilflosigkeit an Ihre bewährte Güte wenden und Sie bitten , Ihren Geist über ihr leuchten zu lassen ! Ich will Sie und mich nicht lange mit der Vorrede aufhalten und gleich zur Sache kommen . Heute über vierzehn Tage ist Papas – nebenbei sechzigster – Geburtstag . Es ist der lebhafteste Wunsch von uns Kindern und unsern Freunden , den Tag durch eine Festlichkeit zu feiern , von der wir annehmen dürfen , daß sie Papa ein Vergnügen bereiten wird . So weit sind wir alle einig ; aber es scheint , wir kommen ohne die Beihilfe eines superioren Geistes darüber nicht hinaus . Deshalb unser – wiederum einmütiger und einstimmiger – Appell an Sie . Raten Sie , helfen Sie uns ! Daß Sie es können , wissen wir alle ; daß Sie es wollen , daran zweifelt niemand . Wir geben uns ganz in Ihre Hand ; Sie werden an uns eine willige , gehorsame Gefolgschaft finden . Noch eines ! Da der liebe Papa in seiner grenzenlosen Bescheidenheit dergleiche Ovationen – so sehr er sich nachträglich daran freut – grundsätzlich ablehnt , sind wir willens , vielmehr gezwungen , wenigstens so lange als möglich unser Vorhaben vor ihm geheim zu halten . Ein häufiges Zusammenkommen der Verschworenen – das doch jedenfalls nötig sein wird , und ja auch eigentlich der Hauptspaß bei der Sache ist – würde ihm zweifellos auffallen . In dieser Verlegenheit hat sich Frau Hauptmann von Meerheim ( Mauerstraße 8 part. ) freundlichst erboten , uns bei sich aufzunehmen . Wie ich von der liebenswürdigen Dame erfahre , haben Sie , hochgeehrter Herr Professor , so wohl ihre als auch des Herrn Hauptmanns , wenn auch nur flüchtige , Bekanntschaft neulich auf unserm rout gemacht . Sie beide freuen sich sehr , Sie bei sich zu sehen und bitten mich , Ihnen ausdrücklich zu sagen , daß Sie von einer vorhergehenden Visite dispensiert sind . Wie hochwillkommen uns Ihre verehrte Frau Gemahlin wäre , im Falle sie an unsern Kindereien Geschmack fände , bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung . Unsere nächste Zusammenkunft ist auf morgen ( Sonnabend ) , 8 Uhr , abends anberaumt . Wir hoffen zuversichtlich auf Ihr gütiges Erscheinen ; speciell bitte ich um eine möglich umgehende Zeile , die uns unsere Zuversicht bestätigt . Die ich mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung und Bitte um Empfehlung an Ihre verehrte Frau Gemahlin bin Ihre ergebenste Stephanie Sudenburg . P. S. Frau von Sorbitz , die mir fortwährend über die Schulter sieht , verlangt die Hinzufügung , daß sie mit dem Inhalt dieser Kritzelei nicht nur völlig einverstanden sei , sondern das Verdienst beansprucht , als die erste in unserer Versammlung Ihren Namen genannt uns auf die absolute Notwendigkeit , uns Ihrer Hilfe zu versichern , hingewiesen zu haben . Als ob das nötig gewesen wäre ! Indessen will ich hiermit der Schmeichlerin , da sie gar so schön bittet , den Gefallen gethan haben . D.O . Albrecht hatte den in einer zierlichen Handschrift geschriebenen Brief in atemloser Hast durchflogen , bei dem Postskript hatten die Hände , die den Brief hielten , heftig gezittert . Also doch ! Er ließ das Blatt auf den Odyssee-Kommentar fallen , in welchem er , als das Mädchen eintrat , eine Notiz für die Lektion heute gesucht hatte ; sprang auf ; fing an , mit großen Schritten in dem kleinen Zimmer hin und her zu gehen ; blieb vor dem Spiegel stehen , um ein paar Momente höchst aufmerksam sein Gesicht zu betrachten und dann abermals seine Wanderung zu beginnen . Also doch ! Keine bunten Seifenblasen ! keine täuschenden Träume ! Was er in den großen stolzen Augen zu sehen geglaubt hatte , es war wirklich der Wiederschein des Feuers gewesen , das in seiner Seele brannte ! Denn von ihr allein ging dies aus – die Nachschrift , die köstliche Nachschrift bewies es ja deutlich ! Nicht für ein Königreich hätte er diese Nachschrift hingegeben ! Kein Mensch würde an ihn gedacht haben ; aber sie , sie hatte mit ihrer schönen , kühlen , weißen Hand die Gelegenheit bei der Stirnlocke ergriffen – die Gelegenheit , mit ihm wieder zusammen zu kommen , mit ihm wieder beisammen zu sein , nicht einmal ! wiederholt , eine vorläufig unabsehbare Reihe von Malen – man weiß ja , wie es bei dergleichen herzugehen pflegt ! wie unersättlich die Leute nach Proben und immer wieder Proben sind ! Eine kleine , weinende Stimme , die aus dem zweiten Zimmer neben dem seinen kam , ließ ihn den schon erhobenen Fuß wieder niedersetzen und verstört um sich blicken . Klara ! Wie sollte er ihr das beibringen ? plausibel machen ! Sie würde ihn auslachen ! Nein , auslachen nicht ! Sie nahm ja alles ernsthaft – Gott sei es geklagt ! Aber um so schlimmer ! Die gründliche Beweisführung , daß er ein Narr sei , wenn er sich darauf einließ , und den vornehmen Herrschaften abermals nach der Pfeife tanzte ! Er konnte ihr doch nicht sagen : nein , Schatz , diesmal liegt die Sache anders . Diesmal handelt es sich um – ja , großer Gott , um was denn ? Ja , um das ! Um das einzig und allein ! Darum , mir den Beweis zu führen , daß ich kein thörichter Knabe bin , der sich durch ein paar heuchlerisch gütige Blicke aus schönen Augen , ein paar schmeichelhafte Worte von Sirenenlippen um sein bißchen Verstand bringen läßt . Ja , Du tapferer Griechenheld , Du sollst mein Vorbild sein ! Würden die Menschen noch heute von Dir singen und sagen , wärest Du daheim in Deinem kleinen Ithaka geblieben , mit dem Vater Laertes Reben planzend und dem göttlichen Sauhirten Wirtschaftsfragen erörternd , anstatt Dich durch die Welt zu schlagen , vieler Menschen Städte und Sinn kennen lernend , ja , und auch viele Leiden erduldend in Deiner Seele ? Die vor allem ! Ohne Leiden keine Leidenschaft ! Ohne Leidenschaft keine Größe ! keine Erfolge ! kein Ruhm bei dem kommenden Geschlecht ! Jacta est alea ! Er setzte sich an den Arbeitstisch , schob den Odyssee-Kommentar auf die Seite und schrieb mit fliegender Feder an Stephanie , daß er es sich zur Ehre schätze , dem verehrten Sudenburgschen Hause seine schwache Kraft zur Verfügung zu stellen . Zu der auf morgen abend anberaumten Zusammenkunft werde er sich pünktlich einfinden . Sollte er Klara gleich jetzt von der Sache benachrichtigen ? Es war besser , wenn er ihr mit einem fait accompli gegenüber trat . Mochte sie dann ihre Philippika halten ; an der Sache war nichts mehr zu ändern . Er mußte in die Schule . Angezogen war er bereits – nur noch den Überzieher und Hut und Handschuh . Noch heute morgen hatte er sich in seiner zerknirschten Stimmung gesagt , daß mit dem neuen Leben , welches er beginnen wolle , auch der Kleiderluxus – der einzige freilich , dessen er sich schuldig machte – aufhören müsse . Nun kam ihm doch die gewohnte Sorgfalt seiner Toilette zu statten . Er konnte nach dem Schluß der Schule um zwei Uhr , wie er ging und stand , seinen Besuch bei den Meerheims machen . Der Besuch war ihm freilich erlassen . Aber diesen Aristokraten gegenüber muß man in der Beobachtung der Form lieber ein wenig zu viel thun als zu wenig . Als er das Haus verließ , sah er , noch einmal emporblickend , Klara mit dem Baby am Fenster stehen . Er winkte mit der Hand hinauf ; Klara ließ zur Antwort Baby auf dem Arm tanzen . Sechstes Kapitel Ich komme Dir zu früh , sagte Klotilde , als sie in der Dämmerstunde des nächsten Abends bei Adele eintrat . Niemals , rief Adele , ihrer Cousine Hut und Mantel abnehmend . Gott , Herz , was für ein reizendes Kleid ! natürlich funkelnagelneu ! Funkelnagelneu aus einem Ausverkauf bei Gerson . Und wie das sitzt ! rief Adele , Klotilden wie eine Modellpuppe herumdrehend . Ja , wer so gewachsen ist ! Kunststück ! Du , was hat denn das gekostet ? Wenn ich es Dir sage , ist es mit Deiner Bewunderung vorbei . So lächerlich billig ! Aber kann ich Dir nicht helfen ? Ich bin eigens deshalb gekommen . In dem Kleide ? das fehlte noch ! Übrigens bin ich gleich fertig . Viel Umstände werden bei uns nicht gemacht , weißt Du . Das war die Bedingung . Was ich fragen wollte : wird die Frau Professor Winter auch kommen ? Er hat in seiner Antwort an Stephanie nur von sich gesprochen . Hier ist sein Brief , sagte Adele , an ihren kleinen Schreibtisch laufend und in einem Kasten kramend . Er hat uns gestern mittag doch seinen Besuch gemacht . Elimar war zufällig zu Hause . Die Herren führten eine schauderhaft gelehrte Unterhaltung , von der ich kein Wort verstanden habe . Er sagte , er könne noch nichts über seine Frau bestimmen ; wollte heute – na , wo ist denn – da ! Lies selbst ! das heißt : ich kann es Dir in drei Worten sagen : sie kommt nicht – die Kinder nehmen sie zu sehr in Anspruch – und so weiter ! Sie hatte den Brief wieder in den offen gebliebenen Kasten geworfen und sich zu Klotilden gewandt . Na , ehrlich gestanden , ich habe die Frau Professor nur ganz flüchtig gesehen – würde sie auf der Straße nicht einmal wieder kennen – aber ich glaube , viel verlieren wir nicht an ihr . Oder , glaubst Du ? Nein , keineswegs . Aber es wäre vielleicht doch gut gewesen – um des Professors willen . Ach , weißt Du , der sieht mir gar nicht so aus , als ob er an der Schürze seiner Frau besonders fest hängt . Er gefällt Dir nicht ? Nicht besonders . Ich mag diese geschniegelten Männer nicht . Nur – Nur was ? Warum hast Du eigentlich darauf bestanden , daß er eingeladen wurde ? Wir wissen doch noch gar nicht , was wir wollen . Das soll er uns eben sagen . Aber dazu hatten wir doch schon die beiden Künstler . Gott sei es geklagt . Was haben sie denn bisher gethan , als sich zanken ? Das werden sie heute wieder thun . Damit kommen wir nicht weiter . Meinetwegen . Mir ist alles recht . Aber Herz , nun mußt Du mich wirklich für ein paar Minuten entschuldigen . Du siehst , ich bin noch in der Küchenschürze . Nur ein paar Minuten ! Mach' es Dir unterdessen bequem ! Hab' keine Sorge ! Und übereile Dich nicht ! Adele war aus dem Zimmer ; Klotilde hatte sich in einen Fauteuil sinken lassen und richtete sich wieder auf , als Adele den Kopf zur Thür hereinsteckte . Du , kommt Viktor nicht ? Nein . Er bittet um Entschuldigung . Hat zu viel zu thun . Diese Männer sind schrecklich . Die Thür wurde abermals geschlossen ; Klotilde lehnte sich wieder zurück , richtete sich von neuem auf , horchte nach dem Geräusch , welches über den Flur von der Küche her zu kommen schien , erhob sich und war mit ein paar schnellen Schritten an Adelens Schreibtisch . Ich muß doch sehen , wie er schreibt , murmelte sie . Sie hatte den Brief aus dem Kasten genommen ; auf dem Schreibtisch brannten bereits die beiden Lichter ; sie konnte bequem lesen . Es gab nicht viel zu lesen : fünf Zeilen . Und es stand auch nichts darin , als was sie durch Adele bereits wußte . Dennoch starrte sie mit zusammengezogenen Brauen auf das Blatt , als gäbe es da ein Geheimnis zu entziffern . Die Hand , in der sie es hielt , fing an zu zittern . Ärgerlich ließ sie es in den Kasten fallen . Ich weiß nicht , was das ist , murmelte sie . Das ist mir im Leben noch nicht begegnet . Im Leben hat mich noch nicht nach einem Menschen so gedürstet . Es ist positiv lächerlich . Aber sie lachte nicht . Die Brauen zogen sich nur noch düsterer zusammen , während sie , den Blick auf den Teppich geheftet , in dem Zimmer hin und wieder zu gehen begann . Und ich glaubte ihn mir ganz aus dem Sinne geschlagen zu haben – hatte es auch – drei oder vier Tage lang – da kam es wieder – mir that es so leid , daß ich ihn vor seiner Frau brüskiert hatte – die Frau selbst – eine grundehrliche Person , wie es schien , mit dem breiten Munde und der Stumpfnase – die reine Köchin – glaub's , daß er sich bei der unglücklich fühlt – seine Hände freilich – die stimmen zu der Köchin . Wenn der Mensch nur nicht so wunderschöne Augen hätte ! O , mon dieu , diese Augen ! Es ist ein Glanz drin , ein Feuer ! Eine Liebesglut – eine verhaltene ! Eine , die noch nie hat herauslodern können ! – Das ist gerade das Anziehende ! Diese anderen – Fernau – Viktor – wie oft hat das da schon gebrannt ! – alles Asche ! – Und das quält sich denn ab , uns glauben zu machen , es brenne lichterloh ! pah ! – Aber so eine taufrische , jungfräuliche Liebe – ach ! ihn nur einmal , ein einziges Mal – Sie hatte es , immer hastiger schreitend , bald leiser , bald lauter vor sich hingemurmelt und blieb jetzt erschrocken stehen vor einem Geräusch aus dem Nebenzimmer . Elimars ! Er konnte doch nichts gehört haben ? Die Thür that sich auf , Elimar stand auf der Schwelle . Ach , gnädige Frau – Verzeihung ! ich sollte mich ja einer vertraulicheren Anrede bedienen . Ich hörte vorhin sprechen , konnte aber die Stimme nicht erkennen . Wo ist denn Adele ? Sie macht Toilette . Das pflegt bei ihr nicht lange zu dauern . Nun , und wir wollen heute abend endlich die Quadratur des Zirkels finden ? Ich setze meine Hoffnung auf den Professor Winter . Wenigstens scheint es , daß wir mit unserem Latein zu Ende sind . Ich glaube , es war ein Fehler von Fräulein Stephanie , zwei Kunstlöwen auf einmal in die Schranken zu fordern . Man hätte voraussehen können , daß sie sich einander auffressen würden . Ich habe mich halb tot gelacht . Es war lächerlich genug , obgleich doch im Grunde dieser völlig blinde Haß hinüber und herüber im Interesse der Kunst tief bedauerlich ist . Daran denkt unsereine nicht . Als ob Sie so , mir nichts , dir nichts , » unsereine « wären ! Was denn sonst ? Der Hauptmann zuckte lächelnd die Achseln . Bitte , bitte ! so kommen Sie nicht fort ! Ich will wissen , wie ich in Ihren Augen dastehe ; wofür Sie mich eigentlich halten ? Elimar war einen Schritt näher getreten und blickte aus seiner Höhe lächelnd auf sie hinab . Wie Sie in meinen Augen dastehen ? Nun , ich glaube einen lebhaften Sinn für Frauenschönheit zu haben ; da würde es vielleicht Ihre Bescheidenheit verletzen , wenn ich es sagte . Und wofür ich Sie halte ? Wollen Sie es wirklich wissen ? Ich bestehe darauf . Nun denn ! Für eine Frau , die mit ihren herrlichen Gaben des Geistes und auch des Herzens eine für Menschen ganz seltene Anwartschaft auf Glücklichsein hätte , wenn ihr nicht eines fehlte – Das ist ? Genügsamkeit . Was verstehen Sie darunter ? Die Einsicht , daß uns Menschen Vollkommenes nun einmal nicht wird und werden kann ; wir überall und zu jeder Zeit auf einen mehr oder weniger peinlichen Erdenrest gefaßt sein müssen und auf Kompromisse , die wir machen dürfen , ohne unserer Würde etwas zu vergeben . Das sagen Sie , weil Sie alles besitzen , was Sie wünschen . Umgekehrt : ich besitze alles , weil ich nichts wünsche . Auch nicht , in noch sehr absehbarer Zeit es bis zur Excellenz zu bringen ? Um ihre Lippen spielte ein so malitiöses Lächeln , aus den halb zugekniffenen Augen , die zu ihm aufblinzelten , flimmerte ein so drolliger Ausdruck – Elimar mußte lächeln , wie ernst es ihm auch zu Sinn war . Sie unverbesserliches Weltkind , Sie ! sagte er . Wer kann Ihnen bös sein ! Die Thür wurde aufgerissen ; Adele stürzte herein . Kinder , es hat geklingelt ! Gott sei Dank , daß ich noch fertig geworden bin ! Bis auf die Schleife , die entschieden an eine andere Stelle gehört , sagte Klotilde , an ihrem Anzug nestelnd . Meinst Du ? Na , stecke sie hin , wo Du willst ! Der Hauptmann von Luckow und der Landschafter Christian Wollberg waren zugleich gekommen ; dann erschien Stephanie in Begleitung ihrer beiden Brüder ; nach einer kleinen Weile der Legationsrat von Fernau mit dem Historienmaler Professor Hederich ; als der letzte , Albrecht . Klotilde war so in ein Gespräch mit dem Legationsrat vertieft – Adele mußte sie erst auf den Nachzügler aufmerksam machen . Ah , sagte sie , ihm die Hand reichend , wie lieb von Ihnen , daß Sie gekommen sind ! Haben Sie daran gezweifelt , gnädige Frau ? Offen gestanden : ich fürchtete , wir würden einen Korb bekommen . Weshalb ? Mein Gott , ein ernster Mann , wie Sie ! und solche Allotria ! Wir sind hier alles ernste Männer , gnädige Frau , sagte der Legationsrat . – Ich weiß nicht , Herr Professor , ob ich noch die Ehre – Schulmeister müssen ex officio ein gutes physiognomisches Gedächtnis haben . Gewisse Erscheinungen nicht zu vergessen , dazu gehört freilich weder Übung noch Kunst . Die beiden Herren waren gegeneinander von ausgesuchter Höflichkeit . Aber Klotilde hatte , als sie sich zu Albrecht wandte , in Fernaus dunklen Augen einen eigentümlich lauernd aufmerksamen Blick bemerkt . Ich werde sehr vorsichtig sein müssen , sagte sie bei sich . Wir sind alle zur Stelle , gnädige Frau , meldete Fritz Sudenburg Adelen in militärischer Haltung , die Hacken zusammenschlagend . Elimar ! rief Adele mit hilfeheischender Stimme . Meine Frau hat gemeint , es verschwört sich besser bei einer Tasse Thee . Darf ich die Herrschaften ersuchen , hier einzutreten , wo wir es nebenbei auch ein klein wenig weniger eng haben . Elimar hatte die Flügelthüren zu dem größeren dritten und letzten Gemach geöffnet , das in dem bescheidenen Haushalt für etwaige gesellschaftliche Zwecke reserviert war , und wo jetzt ein länglicher , sauber gedeckter , mit den nötigen Theesachen , Kuchen und belegten Brötchen besetzter Tisch für die Gäste bereit stand . Siebentes Kapitel Man hatte nach einigem Hinundherkomplimentieren Platz genommen ; Klotilde hatte es so einzurichten gewußt , daß sie Albrecht schräg gegenüber , zwischen Elimar auf der einen , Stephanie auf der andern Seite zu sitzen kam . Auch daß die beiden Künstler durch die Länge des Tisches voneinander getrennt waren , mochte kein Zufall sein . Adele hinter ihrer Theemaschine füllte die Tassen , welche Elimars Bursche , ein gewandter , heute abend in einfacher , kleidsamer Livree steckender junger Mensch herumreichte . Bald hatte sich um den Tisch herum eine lebhafte Konversation angesponnen über alles Mögliche , nur nicht über das , was der Gegenstand des Abends sein sollte , bis der junge Maler Wollberg , von einem Konvolut Radierungen und Zeichnungen , in welchem er emsig gewühlt hatte , sein struppiges Haupt erhebend , mit einer lauten Stimme in wenig verbindlichem Tone sagte : Ich dächte , meine Herrschaften , wir kämen endlich zur Sache . Viel Zeit habe ich so wie so nicht . Ich muß nachher noch in den Künstlerverein . Sofort war eine halb komische , halb peinliche Stille entstanden . Fast aller Blicke hatten sich , wie instinktiv , auf Elimar gerichtet . Adele setzte die Tasse , die sie eben auf Johanns Präsentierteller stellen wollte , wieder auf den Tisch und faltete mit niedergeschlagenen Augen die Hände in dem Schoß . Meine verehrten Damen und Herren , begann Elimar lächelnd – Hört ! hört ! rief Hans von Luckow , sich in seinen Stuhl zurücklehnend . Ich weiß wirklich nicht , wie ich zu der Ehre komme , fuhr Elimar fort . Es wäre denn , daß es schließlich einer von uns sein muß , der die Diskussion – nicht leitet , wozu ich keineswegs den Beruf in mir fühle – aber doch einleitet , was mit sehr wenigen Worten geschehen kann . Wir haben in unsrer letzten und bis jetzt einzigen Zusammenkunft – ich konstatiere das besonders im Interesse des Herrn Professor Winter , der nicht zugegen war – uns nach längerer Debatte dahin verständigt , daß das Stellen von einer Reihe sogenannter lebender Bilder unsern Zwecken am meisten und besten entsprechen würde , um so mehr , als wir uns bei diesem Vorhaben auf den maßgeblichen Rat und die sachkundige Führung zweier , gleich ausgezeichneter , dem verehrten Sudenburgschen Hause gleich wohlgesinnter und befreundeter Künstler verlassen können . Die Notwendigkeit , uns neben diesem künstlerischen Beirat auch eines litterarisch-poetischen zu versichern , wurde allgemein empfunden , und auf einen Antrag von geschätzter Seite dem Mangel abgeholfen durch Hinzuziehung einer Kraft , die uns jeder Sorge nach der beregten Seite überhebt . Doch wollen wir , wenn es den Herrschaften genehm ist , diesen Teil unsres Themas vorläufig in suspenso lassen und dafür die Herren Künstler ersuchen , uns die Vorschläge , über welche sie sich bis heute einigen wollten – Ein dumpfes Oho ! ertönte von dem Ende des Tisches , wo Herr Wollberg jetzt wieder seinen struppigen Kopf über die Kunstblätter gebeugt hatte , während von dem andern , wo Herr Professor Hederich in einem großen Album blätterte , ein sehr vernehmliches Räuspern kam . So wenigstens habe ich die Herren verstanden , sagte Elimar , von einem zum andern blickend . Es sollte mir leid thun , wenn – Darf ich um das Wort bitten , sagte mit sanfter Stimme der Professor Hederich , ohne die Augen von seinem Album zu erheben . Ich ebenfalls ! rief Herr Wollberg , den Kopf noch tiefer auf seine Blätter senkend . Also Herr Professor ! forderte Elimar freundlich den Akademiker auf . Ich wollte nur bemerken , begann dieser , sich mit seiner langen , dürren Gestalt vom Sitze erhebend , daß der Herr Hauptmann , was mich betrifft , durchaus richtig verstanden hat . Ich hatte und habe den aufrichtigen Wunsch , in dieser Sache mit dem verehrten Kollegen Hand in zu gehen . Leider ist ein zweimaliger Versuch , ihn in seinem Atelier anzutreffen , resultatlos geblieben ; und da der Herr Kollege seinerseits den analogen Versuch , der nebenbei keinesfalls resultatlos geblieben sein würde , anzustellen unterlassen hat – Wüßte nicht , was dabei hätte herauskommen sollen ! brummte Herr Wollberg . Vielleicht eben die von der Gesellschaft gewünschte Einigung , bemerkte Elimar in versöhnlichem Ton . An die im Leben nicht zu denken ist , rief Herr Wollberg . Mir deucht , das hätte den verehrten Herrschaften schon neulich einleuchten müssen . Ich stelle den Antrag , daß Herr Professor Hederich seine Vorschläge macht ; ich werde dann meine Vorschläge machen . Die wir doch aber , wenn es angeht – und es wird gewiß angehen – kombinieren dürfen ? schaltete Elimar ein . Auch dagegen muß ich auf das entschiedenste protestieren ! rief Herr Wollberg . Ein solches Durcheinanderrühren der Stile ist schon das Kunstwidrigste , was es giebt . Jeder für sich und Gott für uns alle . Die Gesellschaft kann ja dann ihre Wahl treffen . Und wer die Wahl hat , hat die Qual , sagte Elimar . Indessen , Herr Wollberg , ich hoffe , daß dies noch nicht Ihr letztes Wort ist . Nun aber , meine Herrschaften , werden wir , um weiter zu kommen , wohl oder übel auf den Antrag des Herrn Wollberg eingehen müssen . Wollen Sie also , Herr Professor , die Güte haben , uns Ihre Vorschläge mitzuteilen ! Ich möchte denn doch gehorsamst bitten , sagte der Professor , sich abermals erhebend , diese Aufforderung zuerst an den zu richten , von dem der Antrag ausgegangen ist . Also , Herr Wollberg , bat Elimar . Ich werde mich hüten , mir zuerst die Finger zu verbrennen , murrte Herr Wollberg . Ja , aber , meine Herren , sagte Elimar , sie werden mir zugeben , daß wir so nicht von der Stelle kommen . Na , meinetwegen ! rief Herr Wollberg . Man soll wenigstens nicht sagen können , ich bin ein Spielverderber , wenn ich auch zum voraus weiß , daß – na , es wird sich ja gleich zeigen . Also , meine Herrschaften , ich habe hier einen ganzen Packen Blätter , wie Sie sehen – alles Reproduktionen von Gemälden aus unsern letzten Kunstausstellungen . Die habe ich gewählt , weil sie noch in Erinnerung von aller Welt sind , oder doch sein sollten . Und ich habe immer gefunden , die Leute sind nicht dankbarer , als wenn man ihnen Sachen zeigt , die sie kennen . Darin sind sie wie die Kinder . Ich werde die Blätter , eines nach dem andern , herumgehen lassen ; die Herrschaften können sich dann selbst überzeugen . Also ! Hier ist zuerst die Blinde von Piglhein . Ein Wort zum Lobe dieses ausgezeichneten Bildes zu sagen , ist wohl überflüssig . Ich darf also annehmen , daß die Blinde acceptiert ist . Hier erhob sich Professor Hederich : Mir scheint die Annahme denn doch etwas gewagt . Der Herr Kollege selbst hat eben erst jedes Kompromiß von der Hand gewiesen und der Gesellschaft nur die Wahl zwischen ihm und mir gelassen . Zwischen meinen und Ihren Vorschlägen , wollen Sie sagen ! rief Herr Wollberg höhnisch . Das dürfte auf dasselbe herauskommen , erwiderte der Professor , jetzt schon sichtlich gereizt . Übrigens unterbreche ich Sie nicht , wenn Sie das Wort haben , und darf mir wohl vice versa dasselbe von Ihnen erbitten . – Nun ist es aber ohne weiteres klar , es kann unter diesen Umständen von der Annahme eines einzelnen Bildes nicht die Rede sein , sondern nur von der ganzen Serie ; notabene , nachdem ich vorher ebenso meine Vorschläge gemacht habe und der Gesellschaft das ganze beiderseitige Material unterbreitet ist . Was speciell das Piglheinsche Bild betrifft , darf ich denn doch die Bemerkung nicht unterdrücken , daß es mir für unsere Zwecke völlig ungeeignet scheint . Nun hört aber verschiedenes auf ! rief Herr Wollberg . Denn , meine Herrschaften , fuhr der Professor fort , diesmal ohne auf die Unterbrechung zu achten ; der – nebenbei für meinen Geschmack stark gesuchte und raffinierte – Reiz des Bildes liegt in der die Nerven des Beschauers pickelnden , respektive auf seine Thränendrüsen berechneten Grausamkeit , mit welcher hier die hilflose Blindheit in schärfsten Gegensatz gebracht ist zu einer in allen Farben prangenden Welt um sie her . Nehmen Sie ein Glied des Gegensatzes weg , so ist es mit der Wirkung vorbei . Ich möchte aber wissen , wie Herr Wollberg es zustande bringen will , in seinem lebenden Bilde die Gestalt mit der hier völlig unentbehrlichen Landschaft zu umgeben . Das würde ja dann wohl meine Sache sein , sagte Herr Wollberg höhnisch . Meine gewiß nicht , gab der Professor nicht minder höhnisch zurück . Wir dürfen wohl annehmen , fiel hier Elimar begütigend ein , daß Herr Wollberg sich seine Vorschläge , auch hinsichtlich ihrer Ausführbarkeit , reiflich überlegt hat . Ich möchte ihn also bitten , fortzufahren . Schön ! sagte Herr Wollberg . Die beiden nächsten Blätter also , welche während der Rede des Herrn Professors Zeit genug gehabt haben , die Runde zu machen , sind die beiden pietá von Klinger und Stuck . Die Damen haben eine verwunderte Miene gemacht ; einige Herren die Köpfe geschüttelt , einige , offenbar nur aus Höflichkeit nicht gelacht . Ich habe es nicht anders erwartet . Die große Kunst ist eben noch nicht salonfähig , aber sie muß es werden ; die Welt will zur Anerkennung des wahrhaft Schönen allemal gezwungen sein . Gott sei Dank werden die Bänke , auf denen die Spötter sitzen , schon mit jedem Tage kürzer . Übrigens will ich zur Beruhigung der zarten Seelen doch bemerken , daß ich mir in dem lebenden Bilde den Leichnam des Herrn gemalt denke . Bis wir uns so weit aufgeschwungen haben , in dem in dem lebendigen , nackten Menschenleib ein für allemal das Meisterwerk der Schöpfung zu sehen und zu bewundern , wird wohl noch viel Wasser bergab fließen müssen . Nach dem Wagnis mit den beiden pietá hatte der junge Künstler für seine übrigen Vorschläge freie Bahn . Thoma 's Versuchung Christi , Looschen's Luna und Abendstern , Skarbina's die Mansardentreppe hinabsteigender Blusenmann , Uhde's Schauspieler – man ließ die Blätter cirkulieren , ohne seinen Empfindungen , welcher Art sie auch waren , durch Worte oder Mienen einen Ausdruck zu geben . Es kam die Reihe an den Professor Hederich , nun seinerseits die Gesellschaft mit seinen Vorschlägen bekannt zu machen . Wie immer , wenn er sprechen wollte , erhob er sich von seinem Sitz , diesmal mit besonders langsamer Feierlichkeit . Meine verehrten Damen und Herren ! Was ich Ihnen ohne jede Anmaßlichkeit der Unfehlbarkeit zu proponieren die Ehre habe , wird sich Ihnen vielleicht durch seine große Einfachheit einigermaßen empfehlen . Sie alle wissen – und die hier anwesenden Kinder der Familie werden es mir bestätigen – daß unser hochverehrter , zu feiernder Freund und Gönner , wie alle Männer von wahrhaft klassischer Bildung , ein enthusiastischer Bewunderer des Genius unseres größten Dichters ist ; wir infolgedessen ihm , seiner Gemahlin und ihren im Geist des Hauses sympathisch mitlebenden Gästen nicht leicht eine größere Freude bereiten können , als wenn wir die Vorwürfe zu den lebenden Bildern aus der Wunderwelt selbst unsers Dichterheroen entnehmen . Wenn Sie , wie ich mir schmeichle , so weit mit mir eines Sinnes sind , ahnen Sie auch bereits , daß ich in meinen Händen hier ein Exemplar der Prachtausgabe des Bruckmannschen Albums der Goetheschen Frauengestalten meines unsterblichen Meisters und Lehrers Wilhelm von Kaulbach – Hier wurde der Redner durch ein seltsam unheimliches Geräusch unterbrochen , das wie ein mühsam unterdrücktes , krampfhaftes Lachen klang und von dem andern Ende des Tisches kam , wo Herr Wollberg sein sommersprossiges Gesicht so tief in seine Blätter begraben hatte , daß man nur den massiven Schädel mit der üppigen Fülle seiner verwirrten krausen , roten Haare sah . Die Gesellschaft wollte offenbar nichts gehört haben ; nur Fritz Sudenburg mußte schnell sein Taschentuch ziehen und sich dessen mit einigem Geräusch bedienen , für welche Indiskretion er von seinem Bruder Franz , der neben ihm saß , unter dem Tisch mit einem gelinden Fußtritt bestraft wurde . Der Professor , dessen immer blutarmes Gesicht der Zorn völlig fahl gemacht hatte , fuhr mit bebender Stimme fort : Daß meinem Vorschlag von einer gewissen Seite , auf der Pietät und Rücksicht sinnlose Worte sind , mit Spott und Hohn begegnen würde , habe ich vorausgesehen . Es läßt mich völlig kalt . Darf ich doch überzeugt sein : eine Gesellschaft , wie diese – eine Gesellschaft feinfühliger , edler Damen , großgesinnter , hochgebildeter Männer – hält mit mir die heilige Fahne des Idealismus hoch gegen den wüsten Ansturm von des Gassenvolkes Windsbraut ; will mit mir lieber silberne Früchte aus goldenen Schalen nehmen , als sich an widerwärtigen , von Sudelköchen bereiteten Speisen Hand und Seele beschmutzen ; sich gern mit mir erheben in Regionen , in denen aus gottbegnadeter Dichter-Künstlerphantasie entsprossene , gesteigerte Gestalten ihr unsterbliches Leben führen ; wird mit Freuden – Der Redner kam nicht weiter ; an dem entgegengesetzten Ende des Tisches war Herr Wollberg aufgesprungen , hatte mit geballter Faust auf seine Kunstblätter geschlagen und rief : Ich will mich nicht länger beleidigen lassen von jemand , dem ich jedes Verständnis für die wahre Kunst abspreche ! Und dazu muß ich erklären : bei aller schuldigen Achtung vor den Damen und – mit einer einzigen Ausnahme – der ganzen hier versammelten Gesellschaft – wenn Sie es fertig bringen , einen Vorschlag ruhig anzuhören , bei dem unsereinem die Haare zu Berge stehen ; nur einen Augenblick daran denken können , die affenschändlichen Produkte eines durch und durch manierierten , durch und durch verlogenen , eitlen Windmachers und Charlatans , wie dieser Kaulbach , ernsthaft zu nehmen – dann muß ich gestehen , bin ich hier vollständig überflüssig . Und glaube es mir schuldig zu sein und Ihnen einen Gefallen zu erweisen , wenn ich Sie von meiner nutzlosen Gegenwart befreie . Ich habe die Ehre , mich den Herrschaften ganz gehorsamst zu empfehlen . Der junge Mann hatte seine Blätter zusammengerafft und war zur Thür hinaus , während der Gesellschaft der Schrecken über den wilden Ausbruch noch lähmend in den Gliedern lag , und bevor selbst Elimar , der in der Nähe des Wütenden saß , eine Bewegung , ihn zurückzuhalten , hatte ausführen können . Die Damen hatten bleiche , starre Gesichter , die Herren blickten einander kopfschüttelnd an ; nur der Akademiker lächelte verächtlich , in den Stuhl zurückgelehnt , mit seiner goldenen Uhrkette spielend . Achtes Kapitel Nach einer kleinen Weile hatte sich die Spannung denn doch gelöst . Der Brausekopf ! Nun ja , sein Betragen war in unerhörter Weise unschicklich gewesen ; aber , mein Gott , er war eben ein Künstler ! einer von den jungen , die , extravagant zu sein , als ihr gutes Recht betrachteten ! Und , wenn man billig sein wollte : der Professor hatte ihn schwer gereizt . Gassenvolk – Sudelköche – das waren am Ende keine schmeichelhaften Ausdrücke , deren sich gerade der ältere Mann hätte enthalten sollen .