Vorbemerkung des Verfassers Unter › Darstellung ‹ verstehe ich eine besondere Kunstform der Prosa-Erzählung mit eigentümlichem Ziel und mit besondern Stilgesetzen , welche diesem Ziel als Mittel dienen . Das Ziel heißt : denkbar innigstes Miterleben der Handlung . Die Mittel dazu lauten : Einheit der Person , Einheit der Perspektive , Stetigkeit des zeitlichen Fortschrittes . Also diejenigen Gesetze , unter welchen wir in der Wirklichkeit leben . Mit erläuternden Worten : Die Hauptperson wird gleich mit dem ersten Satz eingeführt und hinfort nie mehr verlassen . Es wird ferner nur mitgeteilt , was jene wahrnimmt , und das so mitgeteilt , wie es sich in ihrer Wahrnehmung spiegelt . Endlich wird die Handlung lebensgetreu Stunde für Stunde begleitet , so daß der Erzähler sich nicht gestattet , irgendeinen Zeitabschnitt als angeblich unwichtig zu überspringen . Aus dem letzten Gesetz ergibt sich wiederum die Notwendigkeit , die Handlung binnen wenigen Stunden verlaufen zu lassen . Selbstverständlich eignet sich nicht jeder Stoff zur › Darstellung ‹ , im Gegenteil , von Fragmenten abgesehen und Irrtum vorbehalten , bloß eine einzige Gattung von Stoffen , nämlich die gedrängten und geschlossenen ( › dramatischen ‹ ) . Ja sogar unter ihnen nur solche , die es erlauben , auf ungezwungene Weise sämtliche wichtigen Motive unmittelbar vor der Entscheidung vorzuführen . Der Faden wird dann kurz vor der Entscheidung angefaßt und nach dem Willen der Wahrheit gesponnen . Erweist sich bei dunklen ( › tragischen ‹ ) Stoffen mit großer Personenzahl nach dem Tode der Hauptperson noch ein abschließender Anhang als notwendig , um die Handlung von allen Seiten ausklingen zu lassen , so wird der abschließende Anhang aus der Perspektive einer überlebenden zweiten Hauptperson nach den nämlichen Gesetzen gearbeitet . Conrad der Leutnant Der junge Conrad Reber aus dem › Pfauen ‹ in Herrlisdorf , der Leutnant , strich durch den Stall , hinter den Gäulen vorbei , welche bei seiner Ankunft den Hals emporschleuderten und sich polternd zurechtstellten . Aber die rote Lissi , zuhinterst in der Ecke , schaute sich zutraulich um , hob den Schweif und spreizte die Schenkel . » Was ist , Lissi ? « machte der Leutnant . » Sags , was möchtest mir klagen ? Gelt , möchtest auch lieber auf dem Frauenfelder Exerzierplatz galoppieren , morgens früh um fünf , wenn die Trompeten schmettern , und Fensterparade am Sonntag vormittag und am Abend schöne Fräulein , die dir die Mähne streicheln , dir ein Zückerchen und mir ein Küßchen , als daheim Mist auf den Acker fahren und Zank und Schelten und saure Gesichter den langen Tag ! Kehr dich links , kehr dich rechts , bück dich , streck dich , geschimpft wird auf jeden Fall . Hört das Schimpfen auf , so fängt das Seufzen an . Allein was meinst , Lissi ? meinst nicht auch selber : wenns zuviel ist , so ists zuviel , und wenns zu lange währt , so muß es ein Ende nehmen . So oder so , hinter sich oder für sich , in Güte oder in Krieg . « Hiermit klatschte er dem Rößlein mit der Flachhand aufs Kreuz , daß es vor Mut strampelte . Und da eben der Scheck und der Bläß einander futterneidisch anfletschten , jauchzend vor Haß , raffte er die Geißel vom Fenster und zog ihnen ein paar sausende Streiche unter dem Bauch durch , daß sie aufjuckten wie die Forellen beim Gewitter . » Friede in des heiligen Dreiteufels Namen ! « herrschte er . » Muß denn in diesem zänkischen Hause sogar das vierfüßige Vieh hadern ? « Und nachdem er ihnen nachträglich noch ein paar feine Zwicker um die Knie verabreicht , zum Vorrat für später , verblieb er mit ausholendem Arm , bis die Aufregung sich gelegt hatte und ein gleichmäßiges Mampfen aus sämtlichen Krippen knusperte . Hierauf schob er sich mit unhörbaren Schritten nach der Fensternische und hängte die Geißel an den Nagel , behielt jedoch den Griff in der Hand , die er erst nach geraumer Zeit verstohlen an sich zog . Hernach verharrte er regungslos , an den Sims gelehnt . Ein weißer Lichtstab zuckte in gebrochenen Winkeln durch die Stalltür , zwei Schwalben aufscheuchend , welche blitzschnell über die Türspalte flüchteten ; und eine Hand nestelte schwächlich am Verschlußkettchen . » Conrad , bist dus ? « heischte vertraulich eine Frauenstimme von draußen . Dann bat sie dringender : » Mach auf , Conrad , ich bins , Anna , die Schwester . « » Die Stalltür bleibt zu « , versetzte er bestimmt . » Hingegen das Scheunenpförtchen ist offen . « Einige Sekunden später tastete , vom Stalldunkel geblendet , die Schwester behutsam zwischen Mauer und Gosse herbei , die Kleider zusammenfassend . » Guten Tag , Anna « , grüßte er ihr entgegen , um ihr den Weg zu weisen . » Was versteckst du dich den lieben langen Vormittag , daß dich kein Mensch findet ? « schmälte sie mit freundschaftlichem Ton . » Bin ja doch überall im Wege . « » Gleichviel . An einem Maisonntag , wo jeder Bahnzug ein halbes Hundert Gäste bringen kann , gehört der Meister ins Haus und nicht in den Stall . « » Wer ? Der Meister ? Ich der Meister ? Als ob es vom Keller bis zum Estrich eine Seele gäbe , die weniger zu sagen hätte als ich ! Der Sündenbock , das bin ich ; die Zielscheibe für jedermanns üble Laune ! Meister ! Ich der Meister ! « Sie lehnte sich besänftigend an ihn . » Du solltest mit dem Vater ein bißchen mehr Geduld haben , Conrad « , schmeichelte sie . Da brauste er auf : » Wenn ich nicht Geduld hätte , viel Geduld , sehr , sehr viel Geduld , meinst , ich wäre nicht längst schon dreingefahren ? Und wie ! Übrigens handelt es sich keineswegs bloß um Geduld oder nicht Geduld . Ich bin vierundzwanzigjährig , stimmfähig , Militär und sogar Offizier , außerdem Kommandant der Feuerwehr . Meine Kameraden haben ihre Freiheit , ihren Willen , ihre selbständige Tätigkeit , einige sogar Amt und Familie . Ich dagegen werde von meinem Alten wie ein Bube geschurigelt . Wer aber im eigenen Hause nichts gilt , der ist auch in der Gemeinde nichts wert . Das ists , was mich wurmt , das ists , was ich nicht verwinde . « Sie schwieg ein Weilchen , die Augen niederschlagend , während sie zerstreut mit den Schellen eines Pferdekumts tändelte . Endlich , nach langem Zögern , warf sie halblaut hin : » Wer weiß denn , wie lange er überhaupt noch lebt . « Conrad schaute betroffen auf , wie damals , als er in der Rekrutenschule zum ersten Male den teuflischen Pfiff einer Pikrinrakete vernommen hatte . Dann runzelte er die Stirn : » Du , Anna , hör einmal , ob ich mich schon nicht aufs Vermitteln verstehe wie du , einen solchen ruchlosen Gedanken , weißt du , hätte ich mir doch nie erlaubt , nicht einmal im Traum . « Sie senkte den Kopf und starrte durch das Fenstergitter über die ziegelroten Dorfdächer , dorthin , von wo aus unsichtbarer Waldeshöhe der Kuckuck sang , so laut und innig , als ob er den Himmel noch blauer singen wollte ; dann plötzlich warf sie sich mit elendiglichem Schluchzen über den staubigen Sims , den Kopf zwischen den Armen verbergend , auf welche die Tränen niederströmten , überjährige , reife Geburtstagstränen , in stillen Nächten gesammelt und im verschwiegenen Herzen gezeitigt . Und abermals erstaunte er , zwischen Mitleid und Andacht , als ob er , über ein gedecktes Brunnenloch schreitend , durch die Bretterfugen tief unten im finstern Wasser etwas Lebendiges sich regen sähe . Teilnehmend bückte er sich und liebkoste tröstend ihren Scheitel . » Anna « , beschwichtigte er . Meinst du denn , einzig nur du allein habest Schweres zu tragen ? « stieß sie hervor . » Was ist ? Wollen sie dir deinen Doktor nicht geben ? « » Der Vater schon , hingegen die Mutter nicht . « » Ich habe den Vater , und du hast die Mutter « , urteilte er finster . Sie aber , da draußen Stimmen laut wurden , sprang hurtig auf und schüttelte den Jammer vom Herzen . » Sieht man mirs an ? « fragte sie frisch , die Augen wischend und das Kleid glättend . Dann mahnte sie überlegen : » Komm also jetzt , es ist Essenszeit ; wir speisen nämlich heute eine Stunde früher . « Und vertraulich raunte sie ihm zu : » Der Vater ißt besonders , ich habe ihm in der Wohnstube gedeckt . Auch die Mutter kommt wahrscheinlich nicht zu Tisch herunter . « » Warum ? « fragte er besorgt , » sie ist doch hoffentlich nicht krank ? « » Nein , bloß Migräne . Vor Aufregung und Angst . « » Angst ? « » Nun ja . Vor allem , was es heute könnte zu tun geben . Du weißt ja . « Erleichtert atmete er auf . » So kann man doch wenigstens einmal ausnahmsweise im Frieden zu Mittag essen . « » Gewiß . – Das heißt , die Base ist zwar zur Aushilfe da . « » Was für eine ? « forschte er mißtrauisch . Sie brachte die Antwort kaum zum Vorschein . » Beide « , gestand sie endlich kleinlaut , » die Rosinenbase und die Hexenbase . « » Warum nicht gleich ein ganzer Hühnerhof voll ? « höhnte er . » Nur auf einen halben Tag « , entschuldigte sie . » Vor einer Stunde angekommen und am Abend wieder fort . Das wird , denk' ich , auszuhalten sein ! « Und klugerweise , damit er den Bissen besser verdaue , goß sie drei Tröpfchen Humor nach : » Ich wollte , du hättest sie sehen können , wie sie miteinander anrückten , Arm in Arm , unter einem urweltlichen Regenschirm , wackelig wie die liebe alte Zeit und ausgelassen wie jährige Osterhäslein . Den Vater haben sie vor lauter Übermut an der Nase gezupft , stell dir das einmal vor ! Gegenwärtig zanken sie sich weidlich in der Küche herum . In aller Wohlmeinenheit natürlich . « Wirklich brachte sie ihn zum Lächeln . Nicht über den Humor des Bildes , da er als Willensmensch wenig Empfänglichkeit für Humor besaß , sondern über dessen Freundlichkeit . Denn sieben Kinderjahre grüßten ihn aus ihren Runzeln . » Wenn nur die Hexenbase nicht eine so scheußliche Zunge hätte « , wandte er nachgiebig ein , halbwegs umgestimmt . » Wenn ich sie reden höre , ist mir immer , als hätte sie allen Sprachunrat des Kantons von der Landstraße aufgelesen . « » Sie meints ja seelengottengut . – Und kocht Nummer eins . « » Ich sage nicht nein . Aber ein Maulkorb gehörte ihr von Rechts wegen , auf Beschluß des Regierungsrates , in feierlicher außerordentlicher Sitzung . « Die Schwester erachtete Weiterungen für überflüssig , verzichtete auf Widerspruch , faßte die Röcke zusammen und trippelte auf den Zehen umsichtig davon . » Also du kommst jetzt zum Essen « , schloß sie bestimmt , ohne sich nur nach ihm umzusehen , und ließ das Scheunenpförtchen offen . Sollte er wirklich ? Mußte ers durchaus ? Fort aus dem sichern Verlies in den Haß und Hader ? Doch das offene Pförtchen mahnte ihn fortwährend , mit der Stimme der Schwester , und Appetit spürte er , ehrlich gestanden , auch . Zögernd , widerwillig folgte er . » Einmal Herr und Meister sein ! « stöhnte er grimmig vor sich hin , » gebieten können , strafen und belohnen dürfen , Achtung erfahren , Frieden haben , keine ungerechten Vorwürfe einstecken müssen – und wäre es auch nur auf eine einzige Stunde – oder eine halbe ! « Draußen auf dem weiten Dorfplatze im grellen Vormittagssonnenschein unterhielten sich Gruppen steifgekleideter Sonntagsbauern , das Kirchengesangbuch in der Hand . Ohne sich zu rühren , glotzten sie ihn an . » Prächtiges Kirschenwetter heute « , rief Conrad im Vorübergehen leutselig . Antwort erhielt er keine . Da runzelte er die Stirn . » Mach dich gemein , laß dich herab , sei freundlich und zuvorkommend , sofort lassen sie dichs büßen . « An der Hausecke des Pfauen , gegen die Terrasse , balgten sich unter wieherndem Gelächter der Portier und Benedikt , der Kutscher . Der Portier , die Mütze schief auf dem Hinterkopf , schlenkerte das Bein gegen Benedikt , das dieser zu packen trachtete . Beim Anblick des jungen Meisters trat der Kutscher grüßend zur Seite , der Portier dagegen , nachdem er erst unwillkürlich nach seiner Mütze gegriffen , besann sich anders , behielt sie auf dem Kopf und setzte das rohe Spiel fort . Der Leutnant bedachte ihn mit einem scharfen Blick , dann schwenkte er nach dem Seitenpförtchen neben der Küche ins Haus . Vor der Schwelle stockte er mit einem Ausruf der Entrüstung . Nämlich Taubenfedern lagen herum , und einige rote sternförmige Tropfen Blutes bedeckten die oberste Stufe . » Hat da wieder einmal so ein armes unschuldiges Täubchen sein junges Leben lassen müssen , damit irgendein verwöhnter Lecker seinen schalen Gaumen mit dem magern Bissen kitzle ! « Ehe er eintrat , schöpfte er , rund um sich blickend , einen großen Atemzug freie Luft . » Mut ! « murmelte er , während ihn Ekel durchschauderte . Hernach schritt er leise über die Schwelle in den Hausgang , wo er argwöhnisch lauschte wie auf Feindesboden . Nichts Verdächtiges in der Nähe ; Leere ringsum und Stille in den Räumen . Das Unheil schlief also irgendwo in einem entlegenen Versteck , unter einem Strohwisch . Nur von der Küche , aus verwinkelter Ferne drang der Zank der Basen an sein Ohr . Aber wenn das einen › wohlmeinenden ‹ Zank bedeutete , wie lautete dann ein › übelmeinender ‹ ? Ein Duett , als ob zwei tropfnasse Katzen mit verknoteten Schwänzen durch einen Affenkäfig gepeitscht würden . Belustigt , mit der Wonne des Gemaßregelten , wenn seine Zuchtmeister aneinander geraten , weidete er sich an dem Konzert . » Jetzt laßt sehen , wer wird Meister ? die Hexenbase oder die Rosinenbase ? « , und er ließ mit erhobenen Händen die Zeigefinger gegeneinander fechten , wie das Krokodil und der Teufel im Kasperletheater . Darüber flog die Küchentür auf , und Flucht und Verfolgung tanzten in den Korridor . Den erläuternden Text gewährte die grölende Stimme der Hexenbase : » Pack dich ! drück dich ! hüpp ! alehoppla , marsch ! « » Wart nur « , drohte es zurück , im greinenden Ton eines gesteinigten Propheten , » wart nur ganz ruhig , bis der Conrad einmal Meister wird . So jagt er dich aus dem Hause , wie du mich heute aus dem Hause jagst . « » Amen , es geschehe ! « betete Conrad und begab sich ins Speisezimmer . Es war noch menschenleer . Ein Gemisch von kühlem Frühling und warmem Sonnenstrahlenbad – » frappierter Sommer « , dachte er – zog durch das saubere , wohnliche Gelaß aus und ein . Freundliche Reinheit um und um . Auf den gedeckten Tischen funkelten die Gläser und Wasserflaschen wie Nebensonnen . Ein kleiner Tisch für die Familie , ein langer , etwas getrennt davon , für das Gesinde der Aufwärterinnen . Beide mit Fliedersträußen geschmückt und das Besteck so regelrecht geordnet wie mit dem Zollstab abgemessen . Da überkam ihn eine Pulswelle Lebenslust , daß er anfing , eine muntere Marschweise vor sich hin zu pfeifen . Wie er indessen an der Wohnstube vorübergeriet , zuckte er zusammen , verstummte und schlich sich verstohlen ans nächste Fenster hinüber . Er hatte durch die klaffende Lücke der nur zu Dreivierteln geschlossenen Tür die Gestalt des Vaters wahrgenommen , der drinnen in der Wohnstube im Lehnstuhl saß . Nur einen Augenblick , allein es hatte ihn wie ein Faustschlag getroffen . Und nun schwebte ihm das verhaßte Bild , von der Phantasie vergrößert , in ungeheuerlichen Umrissen nach , riesenhaft und schwarz . Dabei drehte sich etwas in ihm um , feindselige Gefühle an die Oberfläche fördernd ; und mit klopfenden Pulsen , die Stirn an eine Fensterscheibe gedrückt , starrte er auf die Terrasse hinab . Da , während er also ziellos hinbrütete , tauchte unversehens der frevelhafte Spruch seiner Schwester in seinem Gedächtnis auf . » Wer weiß denn , wie lange er überhaupt noch lebt ! « Ob er das Wort noch so heftig verbannte , es kam wieder und hüpfte unablässig in seinem Ohr . Gewiß nicht als Wunsch und Hoffnung – pfui ! – sondern einfach als eine Frage . Und schließlich , im Grunde , warum sollte er sie nicht beantworten ? Eine unbezwingbare Neugierde wuchs in ihm heran , so daß er sich eine Schrittlänge seitwärts am Fenster zurückstahl , bis sein Blick durch die Türspalte den Vater streifend erreichte , die rechte Seite des Körpers und , je nachdem jener sich bewegte , auch den Kopf . Und nun begann er ihn verhaltenen Atems zu beobachten , wie er ihn noch nie beobachtet hatte , mit dem lauernden Blicke des Spions , welcher nach des Feindes Schwächen späht . Im einzelnen prüfte er ihn , von oben bis unten , um es schließlich zusammenzurechnen : das schreckliche Antlitz , glatt und bartlos , mit braunen Flecken schauerlich getigert , die fürchterlichen , rot unterlaufenen Doggenaugen , den gedunsenen Leib , der unter keuchenden Atemzügen seitwärts wogte , wie der Busen eines Weibes , die unförmlichen Klumpenbeine , welche trotz der sommerlichen Wärme in Pelzstulpen steckten . Und heimlich zählend , überflog er sein Alter : vierundsechzig im Herbst . Jedesmal , wenn zufällig sein Blick den des Vaters kreuzte , schnellte er den seinigen erblassend zurück , während der Vater geräuschvoll schnurfelnd ausspuckte . Männlein , was sinnst ? « rannte ihm die Schwester ins Ohr . Da fuhr er wie ein bleichsüchtiges Mädchen schreckhaft zusammen , daß ihm das Herz stille stand . Sie aber beschrieb mit ihren seelenvollen Händen eine wischende Bewegung vor seiner Stirn , wie der Zauberkünstler , wenn er etwas verschwinden läßt . » Infernalibus « , flüsterte sie . Dann erhob sie drohend den Zeigefinger : » Männlein , sei lieb « , mahnte sie . » Wenn du lieb bist , aber sehr , sehr lieb , will ich dir etwas Schönes zeigen . « Das sagte sie in einem Ton , als ob sie ein Geschenk hinter dem Rücken verborgen hielte . » Was ? « fragte er zerstreut , noch vom Schreck verstört . Sie wies neckisch nach der Landschaft , daß ihr Finger seine Nase streifte . » Zum Beispiel der rosarot gesprenkelte Apfelblust dort unten in der Matte , ist der etwa nicht schön ? « Hiernach huschte sie fröhlich nach dem Eßtisch hinüber , unterwegs die Wohnstubentür unauffällig schließend , und machte sich mit dem Besteck zu schaffen , indem sie nachträglich Kuchenmesser auflegte , sowohl für das Gesinde wie für die Herrschaft . Und während er nach wie vor in finsterer Verbohrtheit zum Fenster hinausstierte , sang sie hinter seinem Rücken über der Arbeit ein Liedchen , bald leise summend , bald mit nachdrücklicher Betonung , je nachdem der Wortlaut oder ihre Willkür es begehrte : » Weißt , was der Kucker im Frühling singt ? Kein Mensch weiß , was ihm der Sommer bringt . Der Sommer , der schläft hinterm Gitzlisberg. Gar vieles kommt anders und überzwerch , Doch manches wieder kommt plötzlich gut , Wenns niemand erwartet und hoffen tut . Januar und Februar : Gotts Segen ins Jahr . Im März und April Gibts Wetter , wies will . Im Maien der Schnee Tut der Apfelkammer weh . Brachmonat , August – Trag willig , was mußt . Im Herbst wächst die Nacht , Bis es Winter macht . Der Ofen tut not , Die Blümlein sind tot . Die Blümlein , die sind halt den Frost nicht gewohnt . Wenns nur meinen Liebsten , meinen Einzigen verschont . « Statt › Einzigen ‹ aber setzte sie › Conrad ‹ , indem sie jedesmal bei diesem Namen einen herzinnigen Blick dem Bruder zuschickte , glückzufrieden , unbekümmert , ob er es bemerke . Jetzt bimmelte die Eßglocke , und nach einer kleinen Schicklichkeitspause rauschten die Kellnerinnen ins Zimmer , einzeln und gruppenweise . Beim Eintritt wünschte eine jede dem jungen Meister ein treuherziges › Gutentag ‹ , nicht ehrfürchtig , vielmehr kameradschaftlich und vertraulich , wofür er jedesmal mit lauter Stimme dankte , übrigens ohne sich umzuwenden . Ein anmutiges Summen flüsternder , schwatzender , trällernder Mädchenstimmen bewegte sich hinter ihm hin und her . Mit der Zeit schob sich in seine Hände , die er hinter dem Rücken verschränkt hielt , ein Blumenstengel . Weil aber ein Fensterflügel spiegelte , erkannte er die Täterinnen . » Josephine « , urteilte er , » das errät man an der Narretei . « Dann kreiste ihm eine Hand übers Gesicht . » Solch eine vorsintflutliche Patsche hat einzig in der Welt Brigitte « , erklärte er . Betrug ! « verkündete ein empörter Ausruf . » Er sieht uns im Fenster . « Und sofort zerstreute sich der Schwarm . Dagegen erschien jetzt seine Schwester neben ihm . » Nun denn , was sagst du jetzt dazu ? « forschte sie . » Wozu ? « » So sperr doch endlich deine Guckaugen auf , Tolpatsch ! « Er drehte sich nachlässig um , und wie sein Blick über den Mädchenhaufen glitt , bunt und fröhlich wie ein Junimorgen im Garten , entdeckte er unter den Kellnerinnen eine neue : hochgewachsen , stattlich und bolzgerade aufrecht , in reichster Bernertracht , lötig Silber und Samt und Seide , steifgewölbtes Vorhemd , panzerhartes Mieder , gestickte Halbhandschuhe , alles genau bis ins einzelste , wie in einem Trachtenbilde für die Fremden hinter einem Schaufenster von Interlaken . » Aus was für einer Spielschachtel hast du die bezogen ? « bemerkte er beifällig , doch gleichgültig . » Gelt ? « lachte sie . » Oder habe ich dir denn nicht versprochen , etwas Schönes zu zeigen ? – Aber nichts da von Spielschachtel , loses Menschenkind ! Potztausend , damit wird nicht gespielt , hörst du ? Nur zum Ansehen . Und sorgfältig mit umgehen , wohlgemerkt , denn das ist eine kostbare Präsidententochter , spröd und stolz . Übrigens für sie ist mir nicht bange , denn sie hat drei Reihen Nadeln auf der Zunge wie ein Hecht – um so mehr für dich – wehe deinem Herzen ! armer Conrad ! « Hiermit hüpfte sie triumphierend von ihm weg , singend in jauchzenden Oktaven . Er aber behielt die Bernerin im Auge , und jählings von übermütigem Selbstgefühl gepackt , manövrierte er sich angriffslustig zu ihr hinüber . » Also wahrscheinlich Bäbeli oder Marianneli « , machte er plötzlich , indem er unvermutet vor sie hintrat , so nahe , daß seine Stirn beinahe die ihrige berührte , damit sie ihm weiche . Sie hielt ihm jedoch trotzig Stand , mit zusammengezogenen Brauen . » Weder Bäbeli noch Marianneli , sondern Cathri « , erwiderte sie barsch und wich ihm nicht um Zolles Breite . » Von Langnau oder von Signau ? « stocherte er weiter . » Ich an Eurer Stelle « , rief sie hitzig , » wenn ich mich aufs Raten nicht besser verstände , ließe es bleiben . Von Melchdorf bin ich . « » Melchdorf ? Von Melchdorf ? Wo ist doch Melchdorf ? Übrigens wo von Melchdorf ? Aus der Säge oder aus der Mühle ? Nämlich Melchdorf , müßt Ihr wissen , Melchdorf ist groß . « » Jetzt sagt Ihr eine Dummheit ; denn Melchdorf ist klein . Besitzt auch überhaupt weder eine Säge noch eine Mühle . Übrigens , wenn Ihr denn so wundergierig seid , es ist kein Geheimnis , man darfs wissen : im Taubenhof bin ich daheim . « » Im Taubenhof ? Ach so , im Taubenhof . Im Taubenhof also . Keine fehlgeratenen Täubchen , fürwahr , in jenem Taubenhof . « Und indem er sie vom Kopf bis zu den Füßen musterte , auf und ab : » Hat er noch mehr dergleichen saubere , milchweiße Riesenvögelein , Euer Vater , der Präsident , in seinem Taubenschlag , von dieser Höhe ? « Freudiger Stolz erhellte ihr Antlitz : » Unser sechs Geschwister sind wir , immer eins bäumiger als das andere . Mag leicht sein , unser Ältester , der Hans , ist noch einen halben Kopf größer als Ihr . « Conrad kniff zweifelnd ein Auge zu . » Es steht jedem frei zu blinzeln , der blöde Augen hat « , bemerkte sie zornig . » Ich aber behaupte , was ich weiß und was Tatsache ist . Unser Hans schaut mir bequem über den Scheitel . Hiernach könnt Ihrs selber ausrechnen , wenn Ihr rechnen gelernt habt . « » Oder abmessen ? « meinte er . » Meinetwegen . « Und beide streckten sich herausfordernd auf den Zehen , halb im Spaß , halb im Ernst . Nicht so « , schalt Josephine , » sondern rechtschaffen , Rücken an Rücken , wie es Brauch ist . « Hiermit drehte sie keckerhand die beiden um , drängte sie an die Wand und stieß sie rücklings zusammen . » Einen Schemel , ein Lineal und einen Bleistift her ! « befahl sie . » Schnell ! « Allein Anna unterbrach das Spiel . » Zur Suppe « , mahnte sie , mit einladender , singender Stimme , einen Blick mütterlicher Huld auf das Paar hinübersendend . » Zur Suppe « , wiederholten lustig die Mädchen , indem sie den ziehenden Ton in der Nachahmung überboten . Und hurtig schwärmte das junge Völklein nach dem Gesindetisch . Mit ihnen Cathri , worüber sich Conrad baß verwunderte , wie über etwas Ungebührliches . Er überlegte . Sollte ers wagen , sie eigenmächtig an den Familientisch zu befördern ? Allein sie hatte schon gravitätisch die Serviette über den Schoß gebreitet und lachte ihm von weitem zu , belustigt über sein Erstaunen . » Ich sitze hier vortrefflich « , versicherte sie . Während er zögernd seinem Platz zusteuerte , traf ihn ein Rippenstoß , und zwar ein recht knochiger . » Und mich « , belferte eine kurzatmige Stimme , » mich , gelt , mich grüßt man , versteht sich , nicht ? unsereinen , natürlich , übersieht man ? Freilich , kann dir leider nicht mit einem glatten Frätzchen aufwarten , bin halt nur die alte Ursula oder die › Hexenbase ‹ , wie du mich getauft hast , vor Zeiten , weißt du noch ? als du meintest , wenn ich dagewesen sei , gebe es nachher immer ein Unglück . Weil du per se jedesmal etwas Dummes angerichtet hattest und dafür die Rute bekamst ; das eine Mal aufs Dach geklettert und die Ziegel verschimpfiert , das andere Mal dir das Gesicht verpülvert , das dritte Mal die Pferde in Heinis Garten gelassen und so weiter , was weiß ich . Aber so sind die Menschen . Wenn einer einen Unsinn gemacht hat und nachher löffeln muß , was er eingebrockt hat – – « » Guten Tag , Base « , hemmte er den Erguß . » Übrigens hatte ich heute bereits das Vergnügen , wenn auch nur aus der Ferne . Alle Achtung , das muß man dir lassen : du bist eine tapfere Base , ein wahrer St. Georg . Nur so mir nichts , dir nichts aus dem Hause gejagt ? eins , zwei , drei ? die arme Rosinenbase ? was ? « Sie schickte einen bösen Blick in die Luft , an die Adresse der Rosinenbase , und klappte die Kiefer zusammen , wie der Dachshund , wenn er eine Ratte verschluckt hat : » Es kann nur einer im Hause regieren , nicht zwei « , posaunte sie . Er verbeugte sich förmlich . » Meinen untertänigsten Gehorsam der Alleinherrscherin im Hause . « Dann bot er ihr nachträglich die Hand zum Gruß . Doch sie zog geziert beide Hände weg und hüpfte rückwärts . » Du mußt keineswegs , wenn du nicht magst . Zwingen will ich dich nicht . « » Und ich dich ebenfalls nicht « , erwiderte er , ließ sie hüpfen und setzte sich . » Anna , kommt eigentlich die Mutter zum Essen ? « » Ich glaube ja ; aber später . Sie zieht sich eben an . « » Und du ? issest du denn nicht mit ? « » Nein , ich bediene den Vater . « » O weh ! « stöhnte er . Die dampfende Suppe wirkte Behagen und weckte die Gesprächslust . » Woher kommen nur alle die herrlichen Lilasträuße ? « fragte Conrad zu der Base gewandt , indem er eine Blume herausholte und an die Nase führte . Keine Antwort . » Eine Staatssuppe « , urteilte er nach einer Weile . » Alle Achtung vor dem , der sie gekocht hat . « Die Base betrachtete ihn hämisch von der Seite und meckerte vor sich hin . Endlich versetzte sie : » Aber , gelt , nicht wahr , wenn du gewußt hättest , ich habe sie gekocht , so hättest du sie schlecht befunden ? « Nach einigem Abwarten versuchte ers zum drittenmal . » Ein Prachtwetter heute , kein Wölklein am Himmel . « » Ja , das Wetter wäre schon recht « , keifte die Base , » wenn nur auch die Menschen recht wären . « Jetzt hatte er genug , tat sich Gewalt an und verdrückte die Redelust , indem er zugleich geflissentlich den Blick von der sauertöpfischen Base abzog . Hierbei bekam er zufällig die Kellnerinnen zu Gesicht . Und siehe da , es war ein ergötzlicher Anblick . Nein , wirklich , im Ernst , sie sahen verdammt nett aus , in ihren neuen , leichten Sommerröckchen , deren Farben die unmöglichsten Sprünge verübten , ohne einander auf die Zehen zu treten . Man wußte wirklich nicht , welcher den Vorzug geben , ob der Bertha mit ihrem seidenweichen wenigen Kastanienhaar , angetan mit einem weiß und meergrün gestreiften Gewändchen – hatte er nun etwa nicht recht mit seiner Vorliebe für meergrün ? – oder der durchsichtigen , gerstenblonden Helene , das weiße Kleid mit den rosafarbenen Schleifen aufgeputzt , wie ein Albumschäfchen , das ein Engel am Bande führt – oder der rotkrausen Josephine – ja aber trägt man denn Schwarz im Sommer ? Nun , das muß Josephine besser wissen als er , item , es stand ihr abgefeimt gut . Bloß Brigitte , natürlich , versteht sich , das faule Mammut , mußte in einem plumpen , braunen Werktagsrock kommen . Dazwischen thronte Cathri steif und starr in ihrer majestätischen Vollkommenheit , in ihrer harten weiß und schwarzen Wappentracht , fast hätte er gesagt › Uniform ‹ . Man brauchte ihr bloß statt Messer und Gabel einen Schild und Lanze zu reichen , so war sie die vollendetste Helvetia auf einem silbernen Fünffrankentaler oder eine geflügelte Allegorienfigur auf dem Reklamezettel einer Landesausstellung . Ackerbau und Volksfleiß , so etwas . Schaute man sich nicht unwillkürlich nach dem Alpenglühen um , wenn man sie sah ? So unterhielt er seine Blicke . Die Mädchen ihrerseits guckten zu ihm herüber , und so entwickelte sich ein munteres Augenspiel hin und her mit Blinkern und Zwinkern . Darüber juckte ihn die Zunge und kitzelte ihn der Übermut . » Aufs Wohl , Brigitte « , begann er , das Glas erst hebend , » habt Ihr auch schon einmal nikotinfreien Wein versucht ? « Brigitte verwahrte sich entrüstet . » Äh , Wäh , Ch « , schnurrte sie verächtlich und wischte sich angeekelt die Lippen , » nikotinfreier Wein , das wäre ja wie zuckerfreier Honig . « Dabei schaute sie sich triumphierend um , ob man auch allseits das Salz ihres Witzes schmecke . Und da jetzt ein Spottgelächter um sie herfiel , mit mühseligen Belehrungen – denn sie wollte schlechterdings nichts begreifen – , machte er sich an Josephine , welche auf Brigitte so eifrig einredete , als ob sie sie zum Islam bekehren wollte . » Ihr , Josephine , da Ihr Euch doch gar so über die Maßen gescheit dünkt , könnt Ihr folgendes Rätsel lösen ? Wer nimmt was womit ? « Josephine dachte aus Leibeskräften ... » Wer nimmt was womit ? « wiederholte sie murmelnd , indem sie mit den Augen die Zimmerdecke absuchte . Plötzlich erklärte sie zuversichtlich : » Der Herr Reber nimmt nur eine mit viel Geld . « » Sehr gut « , belobte Conrad , » schade , daß es nicht wahr ist . Sondern : Achtung . › Es nimmt ein Ende mit Schrecken . ‹ « Es erfolgte eine große Chor-Pantomime des Mitleids , welche mit ausdrucksvollem Gebärdenspiel den Hinscheid seines Geistes beklagte . Aber Cathri hatte die Zunge geläufiger als die Gebärde : » Das ist einer vom Exerzierplatz « , urteilte sie wegwerfend . » Wohl , dann will ich Euch mit Eurem Kanton Bern aufwarten . Ich fürchte nur eines : es könnte Euch ein wenig zu hoch sein , denn jetzt geht es die obersten Stufen der Bildungstreppe steil bergan . Also : Welche Rose gedeiht im Kanton Bern am besten ? « » Die Rose der Liebe « , flötete geschwind Helene . » Der unumwundenen Offenheit und Lauterkeit « , verbesserte Cathri selbstgefällig , indem sie sich vor Rassebewußtsein ordentlich brüstete und blähte . Conrad aber , von ihrem kantonalen Dünkel gereizt , übergoß sie mit einem Blick rückhaltlosen Hohnes . » Rose der unumwundenen Offenheit « , spottete er : » Unumwunden , also jedenfalls keine Schlingrose . › Offenheit ‹ , mithin keine Knospe . – Nein , nicht › Rose der ‹ oder › Rose des ‹ , sondern einfach Rose : die Phosphornekrose . « Ein Beifallssturm billigte die kleine Bosheit , während die gedemütigte Cathri , puterrot vor Scham und Zorn , ihm einen wütenden Blick zujagte . Allein Josephine erklärte sich mit dem Gespräch überhaupt nicht einverstanden . » Was ist denn nur heute mit unserm gestrengen Herrn und Meister « , schalt sie , » daß er uns hartnäckig Kirchhofrätsel auftischt . › Ein Ende mit Schrecken ‹ , › Nekrose , Nekrolog ‹ . Puh , man könnte wahrhaftig glauben , Ihr wolltet Euer Testament machen . – Sondern jetzt will ich Euch ein Rätsel spendieren – Achtung , stille , aufgepaßt ! spitzt die Ohren : Was geht auf zwei Beinen und ist doch kein Huhn ? und warum ? « » Benedikt , der Kutscher « , meinte Bertha aufgeräumt . Josephine zog eine weise Schullehrermiene : » Bertha , du bist unlogisch . Denn erstens geht Benedikt nicht , sondern er stolpert ; zweitens , wenn es kein Huhn ist , so kann es doch kein Mann sein , denn sonst wäre es ja kein Hahn ; drittens könnte man bei Benedikt unmöglich fragen : › Warum ? ‹ Man braucht ihn ja bloß anzusehen , um zu wissen , warum . Sondern Brigitte , weil sie eine Gans ist . « Brigitte , um den Empfang zu bescheinigen , verübte eine Grimasse , zischte Josephine an , gab die Zunge aus dem Munde und blökte . Jetzt aber ertrug die Base nicht mehr länger diese nichtsnutzigen Späße . Schon öfters hatte sie geräuschvolle Zeichen des Mißfallens kundgegeben , geknurrt , gebrummt , gehustet , mit den Füßen gescharrt , den Stuhl geschoben , die Löffel und Teller geschmissen ; jetzt riß ihr die Geduld : » Seit wann sitzt denn der Portier nicht mehr bei Tisch ? « fuhr sie den gegenübersitzenden Conrad grob an , mit dröhnender Stimme wie aus einem zersprungenen Kochhafen . » Doch ich verstehe , der ist wohl dem Herrn Leutnant nicht mehr vornehm genug . « » Es handelt sich nicht um vornehm oder nicht vornehm « , entgegnete Conrad ruhig , » sondern darum , daß der Portier ein frecher Flegel ist , mit welchem ich nächstens ein Wörtchen reden werde . « » Ich weiß nicht « , fuhr sie seufzend fort , die Augen wie eine Märtyrerin verdrehend , » aber seit dem verwünschten Militärdienst bist du wie ein umgekehrter Handschuh . « » Das wäre ja lauter Gewinn « , erwiderte er , » genoß doch der Handschuh niemals das Glück deines Beifalls . « » Überhaupt « , knurrte sie , » wozu das dumme unnütze Soldäteln ? Wenn die Völker Frieden halten wollten , wenn die Fürsten Europas in ihrem nimmersatten , ländergierigen Ehrgeiz – « Conrad fiel ihr in die Phrase : » Jetzunder , ihr Völker und Fürsten Europas , beißt die Zähne zusammen , allerhöchst die Base Ursula von Hutzlisbühl liest euch den Text . « Gelächter vom Kellnerinnentisch her unterstützte die Abfertigung , und nun hatte die Base ihrerseits den Verleider . Stumm und verdrossen schlich nunmehr die Mahlzeit voran , mit heftigem Schlingen und endlosen , unausstehlichen Pausen . Draußen aber in der Wiese pfiff ein Vogel unaufhörlich einen nämlichen sägenden Doppelton des Jubels , tüitü , als könnte er des Maienglücks nicht genug erzählen . Die Köchin , die alte treue Lisabeth , nachdem sie das Gemüse aufgetragen , blieb bei der Base hangen , zischelnd , mit gehässigen Blicken nach der Bernerin . Die Base wulstete die Lippen . » Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen « , grölte sie überlaut , indem sie nach Cathri schielte : » Es scheint , es gibt Gäste , die lieben das . « » Was ? « fragte Conrad drohend . » Nun « , lautete die Antwort , » wenn eine Kellnerin sich herausdonnert wie ein Schaf zum Auskegeln und die bloßen Arme feilhält , daß einem davon übel wird , und die Augen unverschämt aussperrt wie eine Ich-weiß-nicht- was . « Conrad suchte nach einer gepfefferten Zurechtweisung . Allein schon war Cathri leidenschaftlich aufgefahren und warf mit schneidender Stimme herüber : » Die Tracht , die ich trage , ist eine ehrbare Landestracht . Und an bloßen Armen kann höchstens ein ausgeschämter , abgelebter Wüstling Anstoß nehmen oder aber eine neidische alte Vogelscheuche . Und wenn ich die Augen aufsperre , so geschieht das , weil ich nicht wüßte , weswegen und vor wem ich sie niederzuschlagen brauchte . Übrigens , falls ich etwa hier jemandem im Wege bin , so hat er sich bloß zu melden . Ich habe mich nicht aufgedrängt , sondern bin einzig deswegen hier , weil mich die Jungfer Anna Reber persönlich im Kurbad aufgesucht und mit Bitten und Beten zur Aushilfe gedungen hat . « » Cathri « , sprach Conrad nachdrücklich , » wenn ihr von meiner Schwester gedungen seid , so gilt das genau so viel , als wäret Ihr von Vater und Mutter gedungen . Ich ersuche Euch daher in ihrem Namen höflich , zu bleiben und Euch durch keine Schnödigkeiten Unberufener irre machen zu lassen . « Da setzte sie sich gelassen nieder . » Steht es so « , sagte sie , » dann steht es gut . Ihr seid der Meister , an Euer Wort halte ich mich . Was andere dagegen reden , das schätze ich weniger als das Klappern einer Mühle . « Die Base jedoch vermochte ihre Niederlage nicht zu verwinden . Nach öfteren unartikulierten Anläufen platzte sie gegen Conrad los : » Du gehörst scheints auch zu den vielen , es braucht bloß ein paar ziegelrote Bäcklein , so verdrehen sie schon verliebt die Augen , wie das Huhn vor einem Mistkäfer . Nach dem innern Wert natürlich , nach der Tugend , darnach frägt keiner . « Jetzt brauste Conrad auf . » Und du « , erwiderte er , » du gehörst auch zu den vielen , die da meinen , die Tugend einer Frau beweise sich durch einen Kropf . « Die unbändige Lachsalve , die diesem Ausspruch folgte , und die feuchten Augen der Base belehrten ihn , daß er genauer getroffen , als er gezielt hatte , und gerne hätte er das grausame Wort zurückgeholt . Wirklich , er hatte es nicht bedacht , daß die Base selber einen dicken Hals hatte , und jetzt tat ihm sein Ausfall bitter leid . Eifrig suchte er nach einem Mittel , ihn wieder gutzumachen . Inzwischen hatte sie das Schnupftuch hervorgekrabbelt , und während sie sich die Augen wischte , stammelte sie : » Schweig nur , schweig , Conrad . Es gab eine Zeit , da war ich dir nicht zu häßlich , mitsamt meinem Kropf . « » Die Zeit ist noch lange nicht vorüber « , beteuerte er herzlich , » du bist mir auch jetzt durchaus nicht zu häßlich . « Doch ohne auf diese Brücke einzulenken , klagte sie opferleidig weiter : » Waren das schöne Zeiten , damals , als du noch ein kleines Büblein warst . « » Liebste , beste Base , was kann denn ich dafür , daß ich kein kleines Büblein mehr bin ? Übrigens in dieser Beziehung hältst du es genau wie meine Mutter . Beständig spielt man mirs wie einen Verrat ins Gesicht , daß ich nachgerade ein Mann geworden bin . Zum Teufel , ich kann doch nicht euch zu Gefallen zeitlebens mit einer Saugflasche umherwandeln ; oder was verlangt ihr denn eigentlich von mir ? « Als hätte er nichts gesagt , spann sie ihren grauen Faden fort , mit beschuldigendem Seufzen : » Du lieber Gott , wie manches Mal bist du mir auf dem Schoß gesessen . « Dieser unaufhaltsame Quark von Dummheit und Ungerechtigkeit reizte ihn wieder . » Wenns nur daran fehlt « , erwiderte er ärgerlich , » dem wäre ja abzuhelfen , das heißt , wofern es wirklich im Ernst dein Wunsch ist , daß ich mich auf deinen Schoß setze . « Diesmal blieb jedoch das Lachen der Mädchen aus , welche vielmehr ernst und verlegen vor sich niederschauten , und als er sich verwundert nach der Ursache umsah , erblickte er neben sich die Mutter am Tisch sitzend , krankenbleich und schwach , den Kopf in Tücher gehüllt . Er erblaßte , darauf ermannte er sich . » Guten Tag , Mutter , wie geht es dir ? « fragte er teilnehmend , mit kleinlauter Stimme . Ein schmerzliches Zucken um ihre blutleeren Lippen und ein anklagender Blick waren die Antwort . » Wie es dir gehe , habe ich dich gefragt « , wiederholte er empfindlich . Kaum hörbar hauchte sie , das Gesicht wegwendend : » Es geht , wie es gehen kann . « » Es kann verschiedentlich gehen « , entgegnete er . » Aber wie es gegenwärtig dir gehe , hätte ich gerne erfahren mögen . « Seine Stimme bebte , denn es empörte sich etwas in ihm , das er mühsam niederkämpfte . Und abermals drückte Schweigen über der Mahlzeit , doch diesmal nicht mehr das Schweigen des Verdrusses , sondern der Bangigkeit . Bloß die Mutter und die Base tauschten ab und zu kurze Bemerkungen , mit Ausschluß der übrigen , als speisten sie allein . » Wie die Grillen lärmen « , lispelte die Mutter , schmerzhaft die Stirnmuskeln runzelnd und die Tücher ängstlich übers Ohr ziehend mit ihren dünnen , bleichen Leidensfingern . Die Base ergänzte zustimmend : » Die Amseln in Hutzlisbühl haben auch bereits schon um vier Uhr morgens wüst getan . « Conrad biß sich auf die Lippen und starrte mit großen Augen nach der Zimmerdecke . » Die Amseln wüst getan « , wiederholte er mechanisch , » Amseln , die wüst getan haben . › Amsel ‹ – und wüst tun . « Plötzlich übermannte ihn ein unbändiges Gelächter , das seinen ganzen Körper schüttelte . Da griff die Base wieder zum Schnupftuch , die Mutter aber maß ihren Sohn mit einem langen Blick des Kummers und der Verzweiflung . Dieser Blick schlug sein Lachen nieder , statt dessen meldete sich in seinem Herzen ein finsterer Grimm . Eine beträchtliche Weile hielt er noch an sich , endlich aber , wie sich immer und ewig kein Laut mehr hervorwagte , weder an diesem noch an jenem Tisch , überschäumte er . » Man sollte meinen , man befände sich an einem Leichenschmaus « , knirschte er , Messer und Gabel wegwerfend . » Nicht jedermann ist beständig zum Lachen und Gaukeln aufgelegt wie du « , bemerkte die Mutter strafend . Ob diesem Vorwurf verlor er vollends die Selbstbeherrschung . Mit schallender Stimme rief er durchs Zimmer , wie der Pfarrer durch die Kirche : » Und ich meinesteils behaupte , es ist nicht recht , es ist nicht erlaubt , es ist eine unverzeihliche Frivolität , wenn das Unglück ein Haus verschont , wenn man nichts Wichtiges zu klagen hat , wenn einem nichts Ernstliches fehlt , wenn alle am Leben und soweit gesund sind , und keine Sorgen , und zu essen genug – und man gebärdet sich , als ob der Tod eingeschlagen hätte . Das ist nicht recht , das ist ein Undank , das heißt die Schonung , die einem das Schicksal gewährt , nicht verdienen ! « Da war Anna hinter ihm , er wußte nicht wie , und rüttelte ihm heftig den Arm . » Conrad « , schalt sie gedämpft , » bist du von Sinnen ? « » Nein , ich bin nicht von Sinnen « , rief er noch lauter , » sondern ich sage eine vernünftige ernste Wahrheit und sage sie noch einmal . Das Glück besitzen und die Maske des Unglücks vorlegen , aus eitler Jammersucht und Wehwichtigkeit , das ist nicht recht , das ist ein Frevel , das ist eine Vermessenheit , das heißt geradezu das Unglück herausfordern . « Jetzt erhob sich die Mutter , die Hände auf den Tisch stützend , und wankte zur Tür hinaus . Die Base aber meinte die Erbschaft ihres Kummers antreten zu sollen und übersetzte das in ihre griesgrämige Art , indem sie mit scheelen Blicken jede frohe Regung totschoß . Und da die Mädchen , allmählich entschüchtert , leise zu plaudern begannen : » Maul halten ! « bellte sie . Und später , als Lisabeth einen gewaltigen Braten an den Gesindetisch hinübertrug , fuchtelte sie entsetzt mit den Händen : » Behüt uns Gott im Himmel « , begegnete sie sich , » was für ein unmenschlicher Kalbsbraten ! Zu meiner Zeit , da war das Gesindevolk pudelnarrenfroh , wenn es ein mageres Stückchen Suppenfleisch gab . « Als hätte eine Bombe eingeschlagen , schnellten die Aufwärterinnen von ihren Sitzen , die Teller : wegstoßend , krebsrot vor Zorn , pustend , pfupfend , aufbegehrend . » Wenns Euch reut « , plärrte Brigitte , » wenn Ihrs uns mißgönnt , so freßts selber , wir rühren nichts an . « Bei diesem Anblick überlief der Base die Galle . » Abhocken « , grölte sie . Und dem Befehl gab sie durch das Beispiel Nachdruck , indem sie den Rumpf vom Stuhl erhob und hart niederfallen ließ . Gleichzeitig klopfte sie mit dem Messerheft wie mit einem Hammer auf den Tisch . Unwillkürlich gehorchten die Mädchen , obschon zögernd und murrend . Den Braten jedoch berührten sie gleichwohl nicht , sondern steckten die Hände meuterisch unter die Schürze . Da humpelte ihnen die Base entgegen , packte die Bratenschüssel und gab ihr einen schleudernden Ruck . » Fressen ! « schnob sie , » nachdems doch einmal da ist ! bevors kalt wird . « Böse Blicke aus glühenden Gesichtern flammten ihr zurück . Josephine zischte Verwünschungen ; Brigitte fletschte die Zähne ; Helene und Bertha weinten vor Ärger . Keine rührte einen Finger . Außer Cathri , die überhaupt gemächlich sitzen geblieben war . » Was mich betrifft « , erklärte sie trocken , » ich esse ruhig . « Der Base versagte der Witz . Schlagen , das sah sie immerhin ein , schlagen konnte sie die kräftig ausgewachsenen Jüngferchen nicht wohl , war es ja auch nicht gewohnt , ein lebendiges Geschöpf zu schlagen . Und doch schien ihr das der einzige richtige Trumpf . Einen anderen fand sie nicht . Ohnmächtig , ratlos stand sie da , und ihre boshaft schillernden Blicke trübte der Jammer ; gleich einer ausgelebten Viper , die zum ersten Male ihr Gift wirkungslos sieht . Wie hatte sie vormalen Zucht im Pfauen geübt ! Wenn eine Magd gedrillt werden sollte , wenn eine Köchin nicht parieren wollte , wenn man unbändige Gäste voraussah , flugs holte man die Base Ursula von Hutzlisbühl . – Und jetzt mußte sie sich von diesen Rotznasen offene Auflehnung bieten lassen ! Die Bresten des Alters kannte sie längst und überwand sie heldenmütig , jetzt aber spürte sie zum ersten Male des Alters Elend . Als sie schließlich wieder ihrem Platz entgegenhinkte , war es der Rückzug nach einer verlorenen Entscheidungsschlacht . Sie spürte : ihr Regiment war aus . Und da sie sich mit dieser Tatsache nicht vertragen konnte , strebte sie fort , fort nach Hause , je eher , desto lieber , zu ihren drei Katzen , zu ihrem Zichorienkaffee , zu ihrem gefügigen Waisenmädchen . Conrad empfing sie mit einer wohlvorbereiteten Rüge , nicht zu scharf und nicht zu stumpf , kühl und gemessen : » Du , Base « , sagte er , » unsere Verwandtschaft in Ehren und allen schuldigen Dank für deine uneigennützige Hilfe – aber daß du uns die bewährtesten , wägsten Kellnerinnen mir nichts , dir nichts vergelsterst , ohne den mindesten Grund und Anlaß , das ist wohl schwerlich die Meinung meiner Eltern ! « » So geh doch ! geh nur ! « kollerte sie , » geh , geh , nimm sie um den Hals und schmatze sie ab , deine lieben , lieben Kellnerinnen . Geh ! worauf wartest du ? Ich will dich nicht hindern . Ich räume das Feld . Bin doch ohnehin längst schon überflüssig , seit der gnädige Herr Leutnant , wie es scheint , jetzt hier im Hause kommandiert . « » Ich verlange keineswegs , daß du das Feld räumest « , erklärte er , » im Gegenteil , wir sind dir dankbar , daß du uns mit deiner Erfahrung zur Hand gehst , und wissen deine wertvolle Unterstützung zu schätzen . Nur sehe ich die Notwendigkeit nicht ein , warum du uns deswegen die Kellnerinnen verunglimpfen müßtest . « Doch sie steifte sich störrisch auf ihren Einfall . » Ich gehe ja , ich gehe . Brauchst dich nicht zu ereifern . Ich gehe ja bereits . Meine kleine Reisetasche ist bald gepackt . « Wirklich , wahrhaftig , sie wackelte nach der Tür . Da ward ihm jählings angst , ihm , dem erwachsenen , starken Manne , dem selbstbewußten stimmfähigen Bürger und Soldaten , angst vor der kleinen , krummen , baufälligen Base , schrecklich , fürchterlich angst , wie einem armen Schulbuben , wenn sich der Lehrer aufmacht , um ihn bei den Eltern zu verzeigen . Er stand auf und ging ihr verschüchtert nach : » Base « , bettelte er demütig . » Ach was « , kläffte sie , » Entenhörner und Schneckenflügel ! Der Ulihansjakob hat zum Sonntag gesagt : wo ist der Samstag ? « Und unaufhaltsam zottelte sie aus dem Zimmer , mit überstürzter Hast , als ob sie verfolgt würde . Die Mädchen aber erteilten ihr einen üblen Abschied : » Glück zur Abreise ! komm niemals wieder ! « – » Boshafte Hexe . « – » Erlöse uns von allem Bösen « und dergleichen mehr . Doch Conrad verwies ihnen das mit einer kurzen Handbewegung . Er hatte sie halt trotz allem doch lieb , die Hexenbase , denn sie war vor Zeiten sehr , sehr gut gegen ihn gewesen . Noch zitterte die Türklinke , und aller Augen hafteten an der Wand , hinter welcher die Base verschwunden war , da brach mit wuchtigem Elefantentritt die schreckliche Riesengestalt des alten Pfauenwirts herein , doch nicht aus der Wohnstube , sondern gegenüber , von der Terrasse . Mit einem fürchterlichen Blick die Kellnerinnen musternd , brüllte er sie an : » Fressen , saufen , zanken , liebeln , das verstehen sie . Hingegen die Gäste bedienen , daran denkt keine . « Wie ein Hühnervolk , vom Hunde aufgescheucht , stoben die Mädchen in wilder Flucht vom Tisch , der nächsten Tür zu . Aber der Alte vertrat ihnen den Weg . Dazu wollte er gewohnheitshalber mit der Ferse stampfen , zur nachdrücklichen Betonung seines Willens , indessen führte er das nur halbwegs aus , da ihn das Bein beim festen Auftritt schmerzte . » Diesmal bediene ich schon selber « , wehrte er , seinen Schmerz verbeißend , » nachdem ich einmal die Bestellung angenommen . Schaut zu , daß ihr künftig auf dem Posten seid . « Da verzogen sie sich kleinlaut und mißmutig , indessen hinter ihrem Rücken ein leckerer Kuchen auf den verlassenen Tisch marschierte . Cathri , nachdem sie sich erst mit den übrigen aufgemacht , besann sich anders , kehrte zurück und spazierte mit Storchenschritten im Zimmer auf und ab . Der Alte drang auf sie ein : » Und Ihr « , knurrte er , » Ihr dünkt Euch offenbar zu vornehm , mit Euren hoffärtigen Kettelein und verwöhnten Fingerchen . « Sie wies durchs Fenster . » Neun Kellnerinnen auf ein einziges schmächtiges , schäbiges Bäuerlein , das ist schon mehr als genug . Und da er ihr einen entsetzlichen Blick zuschleuderte , schüttelte sie lachend die Hände vor seinen Augen . » Herr Reber , ob Ihr schon ein Unflat seid , mir macht Ihr keineswegs bange . Nämlich ich habe zu Hause einen Vater , gegen den seid Ihr ein harmloses Kind . « Er betrachtete sie eine geraume Weile , mehr und mehr besänftigt , brummte allerlei unverständliche Worte vor sich hin , grunzte schließlich beifällig und entfernte sich , eine Flasche Wein und ein Glas zwischen den Fingern , schwerfällig nach der Terrasse . Conrad saß noch , wo er gesessen hatte . Abseits in einiger Entfernung ließ sich Cathri an einem Fenster nieder und trommelte mit den Fingern auf dem Sims . Zu ihnen gesellte sich Anna . Leise , mit traurigem Ton , schmälte sie den Bruder . » Conrad « , klagte sie wehmütig , » du böser , böser , böser Mensch , was hast du wieder angerichtet ! Und zu allem sitzt noch die Base bei der Mutter und hetzt sie und will mit Gewalt heim . Du hättest sie fortgejagt , behauptet sie . « » Behauptet sie fälschlich « , versetzte Conrad . » Lügt sie « , bekräftigte Cathri . » Und das arme Täubchen « , bedauerte Anna , » das die Mutter eigens für dich hat herrichten lassen . « » Was für ein Täubchen ? Für mich ? Von der Mutter ? Wo ? « Sie zeigte auf eine Platte vor ihm . » Ja , jetzt ist es zu spät , jetzt ist es kalt . « » Ich hatte halt anderes zu tun bei der Mahlzeit , als aufs Essen acht zu geben « , versetzte er trübe . Darauf zog er das Täubchen an sich und begann es gewissenhaft zu verzehren , der Mutter zu Gefallen , ohne zu schmecken , was er schluckte . Unterdessen wandelte Anna mit Cathri kameradschaftlich im Zimmer auf und ab , Hand in Hand und einen Arm um die Hüfte der andern geschlungen , wie die Kinder , wenn sie Offizierschritt spielen . So oft sie an Conrad vorbeikamen , tauschten sie verstohlene Blicke , flüsterten und kicherten ausgelassen . Endlich hielten sie an und küßten einander . » Gelt , möchtest gerne mithalten ? « neckte Anna , indem sie sich schelmisch die Lippen leckte . Dann machte sie sich an ihn heran , lehnte sich über seine Schulter und rannte ihm zu : » Spürst dus ? Tuts weh ? Schadet nichts , geschieht dir recht . Tust oft genug auch andern weh . – Aber wohlverstanden , nicht etwa zum Heiraten ! « » Daran denkt kein Mensch im Traum « , antwortete er laut . » Übrigens , gesetzt den Fall , weshalb nicht ? « Sie hielt ihm den Mund zu , beugte sich über seine andere Schulter und zischelte ihm ins Ohr : » Sie hat kein Herz . « Hiermit eilte sie davon . Unter der Tür drehte sie sich um und rief . » Jetzt sollte ich in der Küche sein , im Keller sein , den Vater gaumen , die Base besänftigen , die Mutter versöhnen und habe doch nur zwei Beine , zwei Augen und einen Mund . Wenn nur jemand wenigstens der Mutter ein gutes Wort gönnte ! « Somit blieben Conrad und Cathri abermals allein , dieses Mal stumm und verlegen , ohne zu wissen , was mit sich und dem andern anzufangen . Doch nur einen kurzen Augenblick . Denn schon kehrte der Alte mit der leeren Weinflasche zurück , die er auf den Schaft stellte . Nachher drehte er sich um und betrachtete den Sohn . » Du bist , wie mir scheint , heute an den Tisch angewachsen . Es würde dir wohl auch nicht schaden , den Tanzsaal ausräumen zu helfen , statt in alle Ewigkeit wie angenagelt beim Essen zu sitzen . « » Den Tanzsaal ausräumen ? Wie kann ich denn wissen , daß heute getanzt wird , wenn niemand sich die Mühe nimmt , mirs mitzuteilen ? « » Sollte man etwa zuvor den gnädigen Herrn Leutnant untertänig um Erlaubnis angehen ? Selbstverständlich wird heute getanzt , wie jedes Jahr . Oder hast du vielleicht etwas dagegen einzuwenden ? « » Das würde ich mir niemals getrauen . « Der Vater rückte ihm näher . » Niemals getrauen ? Getrau dich , es frißt dich niemand auf . « Cathri verließ unauffällig das Zimmer . » Sags doch « , heischte der Alte dringender , » sags nur , wenn du etwas Vernünftiges zu sagen hast . « » Man muß wissen , was man will . Entweder man will eine Bauernwirtschaft oder man will einen Gasthof . « Jetzt nahm der Vater den Ton höher und kräftiger : » Es ist bisher immer so gehalten worden , und ich bin nicht gesonnen , es deinetwegen anders zu halten . Später , wenn ich einmal unter dem Boden liege und dir dann meine Bauernwirtschaft nicht mehr vornehm genug ist , magst dus halten , wie es dir beliebt . Einstweilen aber bin ich noch Herr und Meister . « Hiermit dachte er ihn abgefertigt zu haben . Allein Conrad , nach einem flüchtigen Blick nach dem Himmel , bemerkte : » Wer wird denn überhaupt bei dem schönen Wetter tanzen !? « » Dafür ist bereits gesorgt . Wenn wir uns schon nicht so viel einbilden wie die jungen Naseweise , verstehen wir immerhin noch unser Geschäft . Die Wagginger haben bereits zugesagt , und zwar schriftlich , nur damit dus weißt . Und noch dazu beide Wagginger , die oberen und die unteren . « Da erhob Conrad großen Auges den Kopf . » Die Oberwagginger und die Niederwagginger zusammen ? Am selben Tag ? Im nämlichen Tanzsaal ? Acht Tage nach den Wahlen ? « fragte er bedenklich und ließ das Messer spielend auf dem Tisch tanzen . » Es ist durchaus kein Anlaß , solch eine überlegene Miene aufzusetzen « , drohte der Pfauenwirt . » So gescheit sind wir natürlich auch noch , um zu wissen , daß Oberwagginger und Niederwagginger nicht zusammen passen , daß die einen konservativ sind und die andern liberal . Und daß es niemand eingefallen ist , sie gleichzeitig einzuladen , soviel Hirnschmalz könntest du mir immerhin auch noch zutrauen , ob ich schon nicht Leutnant bin , sondern bloß Wachtmeister . Zuerst hat man natürlich bei den Oberwaggingern angefragt , die haben abgesagt , dann haben die Niederwagginger zugesagt und gestern die Oberwagginger nachträglich ebenfalls . So ists gegangen . « Conrad erwiderte nichts , sondern spielte , nach der Zimmerdecke starrend , mit dem Messer . » Es scheint , das zu begreifen ist eine schwierige Aufgabe für deinen Verstand , daß du kein Wort darauf zu sagen weißt . « » O nein « , erwiderte Conrad , » ich begreife nur zu gut : das gibt eine mordsmäßige Keilerei . « » Sie werden einander nicht den Kopf abbeißen ! « » Schlacht ist Schlacht , ob nun mit Säbeln und Bajonetten oder mit Knütteln und Fäusten . Womit aber eine Schlacht endet , kann niemand voraussagen . Denn der Haß hat kein Bedenken und die Waffe kein Gewissen . – Übrigens , ganz abgesehen hiervon , ob eine Bauernprügelei im Tanzsaal nach dem Geschmacke deiner Gäste sein möchte , zumal der Gäste aus der Stadt , darunter Frauen und Kinder , das möchte ich sehr bezweifeln . « » Ich bin auch noch da « , rief der Alte ungeduldig . » Habe ich bisher verstanden , Ordnung zu schaffen , so werde ichs wohl heute auch noch verstehen . Oder hältst du mich schon für vollends invalid ? Einstweilen besitze ich gottlob noch meine ganzen Glieder , um meine Autorität zu wahren , und zwar sowohl nach innen wie nach außen . « » Bis du einen Hieb abbekommst . « » Ich bin schon mit stärkeren Leuten fertig geworden als mit den Waggingern . « » Zugegeben . Allein die Wagginger sind schlimmer als stark , nämlich feige , das heißt tückisch . Gränzer Falschlenzer . « Jetzt verlor aber der Pfauenwirt die Geduld . Stehe ich denn eigentlich vor dem Staatsanwalt « , schäumte er , » daß ich mich von dir verhören lassen muß wie ein Angeklagter ? Kurz , ich habe beschlossen , daß getanzt wird , und darum wird getanzt , mit oder ohne deine Erlaubnis . Das scheint mir klar und einfach . Oder hast dus etwa noch nicht begriffen ? « » Ich habe es vollkommen begriffen . « » Gut , so schweig und halts Maul ! « » Du brauchst mir das nicht so brutal zu sagen , nachdem du mich doch selber zum Reden aufgefordert hast . « » Ich werde hoffentlich noch kein Komplimentierbuch nötig haben , um mit dem Herrn Leutnant zu sprechen . Bist du jetzt endlich einmal fertig , oder hast du vielleicht noch etwas zu bemerken ? « Nun rührte sich auch bei ihm der Ärger . » Wohl « , versetzte er , » da wir doch einmal daran sind , ja . Ja , allerdings habe ich noch etwas zu bemerken . Ich habe nämlich zu bemerken , daß es mir lieber wäre , du würdest in Gegenwart anderer manierlicher mit mir sprechen . Das habe ich zu bemerken . « » In Gegenwart anderer ? Ist es etwa mein Fehler , wenn man dein benedeites Antlitz jeweilen nur da zu erblicken das Glück hat , wo irgendeine Schürze in der Nähe ist ? « » Vater « , brauste er auf , mit wilder Stimme . » Vater ! sich dich vor ! Beschimpfen , beschimpfen lasse ich mich nicht ! « » Beschimpfen ? Ist es etwa nicht die buchstäbliche Wahrheit ? Habe ich dich denn nicht soeben mit der Bernerin getroffen , allein in einem Zimmer ? « » Was der Bock weiß , traut er der Geiß « , entschlüpfte es Conrad halblaut . » Was war das ? Was meinst du ? Sags laut , wenn dus wagst ! Gelt , du wagst es nicht ? « » Doch , ich wags . Ich meine : › allein in einem Zimmer ‹ , es kommt alles darauf an , wie und wann , und wo mit wem . « Dabei schaute er dem Vater bedeutsam ins Auge . Wie meinst du das ? « keuchte dieser mit erstickter Stimme , indem sein Gesicht sich schwarzrot verfärbte . » Ich meine « , entgegnete der Junge , » mit mir darf jedes Mädchen ohne Furcht allein in einem Zimmer weilen . « Jetzt wankte der Pfauenwirt mit schwerem Tritt , daß der Boden bebte , an den Tisch , der die beiden trennte . » Aber mit wem etwa nicht ? « heischte er . » Drücke dich deutlicher aus . « » Deutlicher ausgedrückt : dem Anschein nach zu urteilen wärest du vielleicht lieber selber mit Cathri allein in einem Zimmer geblieben . « Der Vater holte einen tiefen Atemzug , dann brach er los , mit donnernder Stimme und rollenden Augäpfeln : » Es gibt in Thun ein Gäßchen – verstehst du ? mit den Fenstern nach der Aare – verstehst du ? und in jenem Gäßchen steht ein Häuschen – verstehst du ? und zu dem Häuschen steigen drei Stapfeln . – Battet das ? oder muß ich dirs noch genauer bezeichnen ? « Conrad schnellte vom Stuhl : » Und in Bern gibt es ein Brücklein , verstehst du ? und hinter dem Brücklein ein Inselein , verstehst du ? Und in dem Inselein an einem Fenster ist mit dem Messer ein Datum eingekratzt und neben dem Datum der Name eines Dragonerwachtmeisters , verstehst du ? Und der Name fängt mit einem R an und hört mit einem r auf . Genügt das ? oder begehrst du Einläßlicheres ? « Sie schleuderten das einander ins Gesicht , über den Tisch gebeugt , bebend vor Wut . Und die feindliche Rede ergänzten haßerfüllte Blicke . Aber als nun von draußen aus dem Gange lebhaftes Händeklatschen laut ward und unterdrücktes Beifallrufen weiblicher Stimmen Conrads Sieg markierte , schwenkte der Alte unversehens in die Wohnstube , ohne ein abschließendes Drohwort , mit unheimlichem Schweigen . Conrad aber , augenblicklich ernüchtert , blieb tief erschrocken stehen . Was hatte er nur getan ! Er , der , soweit seine Erinnerung reichte , niemals gewagt hatte , seinem Vater zu widersprechen , geschweige denn sich gegen seinen Willen aufzulehnen , hatte ihm jetzt getrotzt , Mann gegen Mann und Feind gegen Feind , und ihm dabei seinen angesammelten Abscheu verraten , mit Blicken und Tönen , die man einem nie mehr verzeiht . Beabsichtigt hatte er es nicht , es war ihm nur so entwischt , in der Hitze der Empörung . Allein geschehen war es nun doch . Und mit zagendem Geiste sah er eine furchtbare Woge Unheil sich heranwälzen , wogegen der bisherige Zustand , der ihm unleidlich geschienen , sich nun wie die schöne alte Zeit ausnahm , so daß er sich gar nicht mit der Vorstellung daranwagte . Da , in der Not , tat er einen verzweifelten Gedankensprung in die Zukunft . Er sah den Alten , vom Schlage gerührt , auf dem Todbette röcheln und sich daneben stehen , erschüttert , trauernd und vergebend . Und dieses Bild erweckte nun nicht mehr seinen Abscheu , sondern er sehnte es andächtig herbei , nicht aus Haß , sondern aus hoffnungsloser Bedrängnis des Herzens , als den einzigen Weg der Versöhnung , als einen tröstlichen Schutzgeist , zur Verhütung von Schlimmerem . » Kommt Ihr nicht auch lieber ein bißchen ins Freie , Herr Reber ? statt im dumpfen Zimmer zu bleiben ? « mahnte Cathri , auf der Schwelle erscheinend . » Warum nicht ? « antwortete er zerstreut und schickte sich an , ihr zu folgen . Doch unterwegs änderte er den Sinn . » Geht nur voran « , rief er , » ich komme später « , kehrte um und machte sich in der entgegengesetzten Richtung auf , den oberen Stock hinan , nach der Schlafstube der Mutter . Er gedachte ihr ein gutes Wort zu bieten , eingedenk der Mahnung seiner Schwester . Im Treppenhaus trat eben der Vater zufällig aus der Wohnstube . Sie prallten vor einander weg , wie zwei Bären , die sich unvermutet im Zwinger begegnen . Der Vater schoß in die Stube zurück , der Sohn zog still fürbaß , die Treppe hinan . Die Schlafstube der Mutter war stockfinster , weil dicht mit Vorhängen verhüllt . » Seht , da ist es ihn ja selber « , empfing ihn eine grölende Stimme aus dem Dunkel , die Stimme der Base . Und den Satz begleitete ein häßliches Lachen , das ihm höhnisch klang . Wie er mit tastenden Armen dem Bett entgegentappte , fiel er strauchelnd über einen Sessel , der im Wege stand . Und im Fall schlug er sich empfindlich an die Bettlade , während irgend etwas Tönernes mit vielfältigem , nicht endenwollendem Lärm auf dem Boden zerschellte . » Kann er denn immer bloß Schaden und Unheil stiften , der Ungeratene « , stöhnte die Stimme der Mutter . Da drehte er sich heftig um , verließ die Stube und stieg wieder die Treppe hinab . » Das habe ich nicht verdient ! « knirschte er . » › Ungeraten ‹ ; man ist nicht › ungeraten ‹ , wenn man ehrlich und fleißig und unbescholten ist ! Obschon man auch seine Fehler haben mag wie jeder andere . « Und immer wieder klaubte er an dem Wörtchen » ungeraten « wie an einem Widerhaken im Fleische . » Wer eine Rettungsmedaille in der Schublade liegen hat , wer von seinem Obersten vor versammelter Front als das Muster eines Offiziers zum Vorbild hingestellt worden ist , der ist kein Ungeratener . Die Ungeratenen , die sitzen in der Kneipe oder je nach Umständen im Zuchthaus . « Unterhalb der Treppe hinter dem Granatbusch hielt er an und blickte durchs Fenster . Auf der Terrasse räumte das Gesinde den Tanzsaal ; daneben saß Cathri giltstmirgleich auf einem Tisch im Schatten eines Oleanders und pendelte mit den Füßen . Doch er war nicht bei seinen Augen ; er war bei seinem Zorn , so daß er hin und wieder die Faust ballte . » Artillerieleutnant , das kann man noch nicht ungeraten nennen « , murrte er finster . Und nach einer Weile : » Wer weiß , es wäre wohl manch eine Mutter froh , ihr Sohn wäre , was ich bin und wie ich bin . « Hierüber blieb er am Fenster kleben , nicht weil er hier bleiben wollte , sondern weil er doch irgendwo sein mußte und anderswohin nicht eher gehörte als hierhin . Während dessen stapfte die Base die Treppe herunter , in Hut und Schal , eine Ledertasche in der Hand . » So , jetzt gehe ich denn « , krähte sie , als sie ihn gewahrte . » Bist du nun zufrieden ? « Er überwand sich . » Nein , ich bin nicht zufrieden . Im Gegenteil , es würde mich freuen , wenn du bliebest . Ich hatte es nicht böse gemeint . « » Ei was , Schneegänse im Sommer « , belferte sie . » Verstell dich nur nicht , es ist heute nicht Fastnacht . Hast ja doch einzig nur noch Augen für deinen Zaupf . « » Zaupf ? Was heißt das auf deutsch ? « » Oder meinetwegen Gof oder wie dus am liebsten nennen magst . Ich verstehe mich halt leider nicht so gebildet auszudrücken wie der Herr Leutnant . Übrigens , für die hergelaufene Truschel wird die Bezeichnung wohl noch ehrerbietig genug sein . « » Wen nennst du eine hergelaufene Truschel ? « » Nun , wen sonst ? Diejenige , die einzig noch für dich auf der Welt zu sein scheint , diejenige , nach der du dir die Augen ausguckst , die hochmütige , pompatzige Bernerin , mit einem Wort . Siehst du , wie du strahlst , wie du schmunzelst , wenn man bloß ihren Namen ausspricht . Mach doch nicht Augen , als ob du mich verschlucken wolltest wie der Wolf das Rotkäppchen . Nur ruhig , ich gehe ja , ich laufe , ich springe , ich fürchte mich . Nichts für ungut , daß ich gewagt habe , ihren erlauchten Namen in meinen alten zahnlosen Mund zu nehmen . Leb wohl ! Kannst ja viel ungestörter um sie herumschwänzeln , nachdem ich fort bin . Sei doch nicht so grausam , laß sie doch nicht so lange auf dich warten . Sie verzappelt ja vor Ungeduld . Also leb wohl denn , leb wohl ! nichts für ungut . Und hoffentlich gibts dasmal kein Unglück , weil die Hexenbase da war . Verdient hättest dus zwar . Also leb wohl denn , du siehst mich wahrscheinlich im Leben zum letztenmal . « Da ließ er sie ziehen . Aber nach einigen Schritten drehte sie sich um : » Ich hatte dir eigentlich auch ein Krämlein mitgebracht ; es liegt bei der Mutter , sie soll dirs morgen geben , wenn du wieder artiger bist . – Übrigens , du magst mir zuleid tun , soviel du willst , ich bleibe doch immer deine alte häßliche Hexenbase , die dich vorzeiten auf dem Schoß geschaukelt hat , weißt du noch ? Leb wohl , Conrad. Leb dennoch wohl ! « Hiermit trollte sie sich . Er aber begab sich zu Cathri auf die Terrasse . » Ihr habt also gleichfalls einen bösen Vater ? « begann er trübselig . » Euer Vater ist von Holz , meiner von Stein . « » Ich begreife nur nicht « , bemerkte er , » wie jemand das Bedürfnis verspüren kann , seinem Nächsten das Leben zu versauern . « Sie zuckte die Schultern . » Wer weiß , wie wir uns dereinst aufführen werden , wenn wir einmal alt sind . Ihr zum Beispiel scheint mir ebenfalls nicht einer von den Gelindesten . « » Wieso ? Glaubt Ihr denn , das hange mit dem Alter zusammen ? « » Eine einfältige Frage . Mit dem Alter oder mit der Bresthaftigkeit , es kommt auf eins heraus . Oder meint Ihr etwa , Euer Vater wäre zeitlebens so gewesen ? Er hätte niemals Maien auf den Hut gesteckt und Jauchzer losgelassen ? Ich kann mirs nicht anders zurechtlegen , als es sitzt den Alten ein Skorpion in der Leber , der sie beständig zwackt , so daß sie gallig werden und keinem Menschen mehr ein gutes Wort geben können , ob sies noch so gerne möchten . « Conrad verfiel ins Nachsinnen . » Sonderbar , das ist mir nie eingefallen . Überhaupt , mir ist , wenn Ihr immer bei mir wäret , ich würde manches leichter ertragen . « Und da sie ob diesem Wort ein wenig rot wurde , berichtigte er angelegentlich : » Verzeiht , ich hatte es nicht so gemeint . « Nachträglich indessen errötete er mehr als sie . » Und ich habe es auch durchaus nicht so aufgefaßt « , beruhigte sie . Darauf stockte die Unterhaltung . Anna nahte . » Die Schlüssel zum Stall verlangt der Benedikt « , sagte sie gleichgültig , die Hand ausstreckend . Nachdem sie die Schlüssel behändigt hatte , warf sie wie beiläufig die Bemerkung hin : » Ihr solltet doch besser vermeiden , so lange beisammenzustehen . Es könnte auffallen . « » Und wenn ? « entgegnete Conrad . » Das heißt , vorausgesetzt , daß es Cathri nicht verdrießt . « » Mich ? « lachte diese verächtlich . » Ich , wofern ich nichts Böses tue , so ficht mich nicht soviel an , aber auch nicht soviel , was die Leute schwatzen mögen . « » Ach so ? « erwiderte Anna spitzig , » seid Ihr schon so weit miteinander gediehen ? In diesem Falle maße ich mir freilich nicht an , mich einzumischen . « Und sie verließ mit empfindlicher Miene das Paar , als wäre ihr ein Unrecht widerfahren . Conrad aber suchte dem Gespräch wieder auf die Beine zu helfen . » Ihr habt Euchs doch nicht etwa zu Herzen genommen , hoffentlich ? « begann er auf Geratewohl , » die Schnödigkeiten der Base ? « Cathri lachte . » Warum nicht gar ? Dergleichen dringt mir nicht einmal durch die Haut , geschweige denn ins Herz . Du lieber Himmel , da habe ich schon andere Dinge geschluckt , daheim , vom Vater . Überhaupt , wehe tun einem ja nur die Eigenen . Ein ganzer Suppenlöffel voll Gift von fremden Leuten brennt weniger als ein Tropfen daheim . Darum bin ich draus , aus und davon , aus dem Feuer . Und seit ich fort bin , ist mir wohl , ob es schon nicht lauter Rosen sind , was mir die Menschen streuen , wenn man das Geld selber verdienen muß , Fränklein um Fränklein , während man daheim im Dorf die reiche Cathri hieß und die Erste war und des Präsidenten Tochter . « Sie hatte das mehr für sich gesprochen , in sich hineinschauend ; doch Conrad fühlte es mit , so daß er andächtig schwieg , nachdem sie geendigt hatte . Dafür gönnte sie ihm nun ihrerseits etwas Teilnahme , und zum ersten Male klang ihre Stimme nicht völlig frostig , sondern beinahe freundlich , als sie jetzt das Wort an ihn richtete : » Ihr solltet auch ein wenig fort , Herr Reber « , riet sie gnädig . » Und wäre es meinetwegen nur auf einen Tag oder einen halben . Das beständige Daheimkleben ist für einen jungen Mann nicht natürlich , das macht Euch böses Blut , darum seid Ihr so gereizt und unwirsch . Den Hut auf den Kopf , den Stock in die Hand und hinaus in die reine Frühlingsluft . « Conrad schaute gierig in die Weite . » Zum Beispiel mit dem Offiziersverein auf die Hochburg ? mit dem Zweiuhrzwanzig- Zug ? « entfuhr es ihm mit einem tiefen Seufzer . Hiermit zog er die Uhr aus der Tasche und schaute eine lange Weile , sich vergessend , auf das Zifferblatt . » Ja , oder einfach ein Stündchen ins nächste beste Dorf . Nur damit Ihr neue Gesichter seht und frische Eindrücke empfangt . « Wieder blickte er sehnsüchtig in die Runde , dann ließ er den Kopf hangen und steckte die Uhr in die Tasche . » Ich kann nicht , ich darf nicht « , murmelte er niedergeschlagen , » heute am allerwenigsten . « » Warum nicht ? « Er wurde ärgerlich : » Warum nicht ? Ihr seid doch sonst nicht so schwerfällig von Begriffen . Warum nicht ? Darum nicht , weil heute Sonntag ist , weil wir am Nachmittag das Haus voll Gäste haben werden , weil am Abend getanzt wird , kurz , weil ich nicht kann . Oder meint Ihr , wir hätten umsonst ein halbes Dutzend Kellnerinnen mehr aufgeboten ? « » Ja , ist es denn besser , Ihr zankt Euch mit dem Vater und der Mutter und der Base und womit weiß ich noch herum ? Es tut heute nicht geheuer im Pfauen von Herrlisdorf . Es sitzt ein Teufel auf dem Dach . Glaubt mirs , Herr Reber , ich verstehe mich auf derlei Zeichen , ich habe das von klein auf studiert . « » Seid Ihr etwa abergläubisch ? « spöttelte er . Sie ließ sichs nicht anfechten . » Das weiß ich nicht « , antwortete sie fest . » Übrigens ist wohl jeder mehr oder minder abergläubisch , der einmal die rote Hahnenfeder des Todes in der Nähe gesehen hat oder die schwarze Schnauze des Unglücks . Oder , was meint Ihr , wenn man den eigenen Bruder am Morgen gesund und frisch hat in den Wald ziehen sehen , und zum Mittagessen bringen sie ihn auf der Bahre , und er einem beim Weggehen zugejauchzt : › Cathri , so glücklich wie heute war ich meiner Lebtag nicht , ich meine , ich sei im Himmel ‹ , und der Vater ihm nachgerufen : › Daß du mir vor elf nach Hause kommst , du Aas , oder nie mehr ‹ , was meint Ihr , könnte man da abergläubisch werden oder nicht ? Er kam freilich vor elf nach Hause , der arme Baschi , genau vier Minuten vor elf , aber tot ; nicht als Aas , aber als Leichnam . Doch um darauf zurückzukommen , abergläubisch oder nicht abergläubisch , Ihr mögts nun auslegen , wie Ihr wollt , es tut heute nicht geheuer im Pfauen , es droht ein Wetter , es ist Krieg in der Luft . « » O , was das betrifft « , versetzte er bitter , » Krieg ist bei uns immer in der Luft . « » Schon recht « , entgegnete sie , » aber es ist nicht bloß das . Es ist wie verschworen , wie mit einer Salbe angestrichen . Jeder von euch sagt etwas anderes , als er möchte ; keines von allen meint es mit dem andern bös , und jedes treibt dem andern spitzige Nägel ins Herz . Das beweist doch , daß der Teufel oder etwas Ähnliches auf dem Dach sitzt ? oder nicht ? « Erst spielte noch ein Lächeln um seine Lippen , dann ward ihm allmählich ernst und schwer . Lange Zeit blickte er sinnend auf seine Füße , während er mit der Schuhspitze im Kies wühlte . » Was denn tun ? « fragte er gedämpft , ohne den Kopf zu erheben . » Fort ! « antwortete sie . » Dem Teufel aus dem Kreis . « Plötzlich schaute er sie an : » Kämt Ihr mit ? « fragte er einladend . » Herr Reber , jetzt schwatzt Ihr Unsinn « , rief sie ärgerlich und protzte von dannen . Wiederholte Male während dieser Unterredung hatte Conrad beiseite treten müssen , um nicht von den Tischen gestoßen zu werden , welche das Gesinde aus dem Tanzsaal beförderte , ausgelassen schäkernd , unachtsam und rücksichtslos . » Platz für sieben Mann , es kommt ein halber « , pflegten sie lachend zu befehlen , und jedermann ohne Unterschied mußte weichen . Daran hatte er zwar zunächst kein Ärgernis genommen , da das Gespräch seine Aufmerksamkeit abzog , aber jetzt stieß es ihm nachträglich auf . Und als er vollends den Portier gewahr wurde , wie er Brigitte mit Kies bewarf , nahm er den aufs Korn . » Portier « , befahl er schroff , » tragt diesen Stuhl da ins Eßzimmer . « Und da ihm weder Gehorsam noch Antwort zuteil wurde , verstärkte er den Ton : » Habt Ihr mich verstanden oder nicht ? « » Es wird wohl nicht so gewaltig pressieren « , maulte der Portier , indem er neuerdings eine Handvoll vom Boden raffte . Da wetterte ihm Conrad wie der Sturmwind entgegen : » Wenn ich etwas befehle , so pressiert es immer « , erklärte er . Damit packte er ihn mit grausamen Fingern am Ohrläppchen wie mit einer Zange und zerrte ihn schonungslos an den Stuhl , daß ihm die prahlerische Mütze vom Kopfe taumelte . » Meinst , ich werde dich pressieren lehren ? meinst , ich bringe es zustande ? « Jetzt gehorchte der Portier greinend . Doch unter der Haustüre angelangt , warf er den Stuhl von sich , fing an zu plärren und drehte sich mit einer rachedrohenden Grimasse nach dem Meister um , ehe er verschwand . » Recht so « , rief Cathri , vergnügt mit den Händen klatschend , » genau wie unser Hans . « Die Kellnerinnen indessen starrten Conrad scheu an , als sähen sie ihn zum ersten Male . Eine Weile standen sie wie festgebannt , dann flüchteten sie jählings auseinander , bis sie allmählich neugierig zurückkehrten , um sich heuchlerisch etwas zu schaffen zu machen , wobei sie bald ängstlich nach dem Hause lauerten , bald verstohlen den Blick zu Conrad erhoben . So oft eine bei ihm vorbei mußte , wich sie ihm in einem großen Bogen aus . » Jetzt aber beißt die Zähne zusammen , Herr Reber « , warnte Cathri aufgeräumt , » Ihr könnt Euch auf ein Donnerwetter gefaßt machen . « Zuerst hatte es nicht den Anschein , als ob sich die Weissagung erfüllen sollte , so daß die Kellnerinnen nach und nach Mut schöpften und , ihre Furcht abstreitend , das Erlebnis ins Komische kehrten . » Es hat ihm gehört , dem pressierts ein andermal schneller . « Josephine hob die Portiermütze vom Boden , schlug sie vom Staub rein , stülpte sie sich als Siegeszeichen auf den Kopf und parodierte damit herum . Da klappte das Wohnstubenfenster auf , und der Kopf des Vaters erschien darin , nach Conrad gerichtet . » Es scheint , du verlangst , daß man dir noch die Rute verabfolge wie einem kleinen Kinde « , schrie er . Conrad schnellte auf den Absätzen herum . » Es soll das ein einziger Mensch auf der ganzen Welt versuchen « , schrie er zurück , mit einer Stimme , die über die Dächer schallte . Siehe , da bewegten sich in der Schlafstube der Mutter die Vorhänge . Das wirkte auf ihn wie ein Mirakel , so daß er sich augenblicklich bezwang . Der Vater seinerseits , nachdem er umsonst auf eine Herausforderung gewartet hatte , zog endlich langsam den Kopf wieder einwärts . Das Klappfenster schloß sich geräuschvoll , dann ward alles wieder stumm . Cathri aber machte sich an Conrad heran . » Im Ernst , Herr Reber « , redete sie ihm zu , » ich wiederhole es zum drittenmal : flieht ! « » Jetzt nicht mehr « , knirschte er . » Jetzt erst recht nicht . Fliehen ? Nein , fliehen , das ist nicht meine Art . « Helene warf ihm im Vorübergehen heimlich das Wort zu : » Herr Reber , der Kutscher läßt Euch melden , ob Ihr auch wüßtet , daß er die Lissi für den Herrn Regierungsrat Lauterbach anspannen müsse ? Aber Ihr möchtet ihn doch ja um Gottes willen nicht verraten , daß ers Euch verraten hat . « » Was ? Die Lissi ? « brauste er auf . » Ich glaube , Ihr redet im Fieber . Es hat bisher noch niemand gewagt , über die Lissi ohne meine ausdrückliche Einwilligung zu verfügen . « » So schaut selber nach « , erwiderte sie gedämpft . » Sie steht vor dem Haus , schüttelt den Kopf und scharrt mit den Füßen . « » Das möchte ich denn doch erst mit meinen eigenen Augen bewahrheiten , ehe ich es glaube « , rief er mit rollenden Augen und machte sich eilends auf , trotzig und entschlossen . Richtig , da stand sein Rößlein leibhaftig zwischen den Landern , vor dem Einspänner , munter und wohlgemut , mit den Füßen scharrend und die Gebißstange kauend , daß der Schaum spritzte , und glotzte ihn unverschämt an , die treulose , als wäre alles richtig und in Ordnung . » Benedikt « , forschte er strenge , » wer hat Euch geheißen , die Lissi anspannen ? « Euer Vater , der Pfauenwirt selber . « » Gut . So spannt das Rößlein wieder aus und sattelt es . Ich will ausreiten . « » Euer Vater ist mein Meister , und Ihr seid ebenfalls mein Meister . Ich habe nichts als einfach zu gehorchen . Befiehlt man mir anzuspannen , so spanne ich an , befiehlt man mir wieder auszuspannen , so spanne ich wieder aus . Aber wohlverstanden : die Verantwortung übernehme ich nicht , ich berufe mich auf Euch . « » Selbstverständlich . Also ich gehe jetzt die Sporen und Reithosen anziehen . Ihr sorgt dafür , daß gesattelt ist , wenn ich zurückkomme . « » Das wird bald richtig sein – vorausgesetzt , daß kein Hindernis dazwischentritt . « Conrad faßte ihn scharf ins Auge : » Wenn ich etwas befohlen habe « , bedeutete er nachdrücklich , » so tritt kein Hindernis dazwischen . Die Lissi ist mein . Ich habe sie gekauft , aus meinen langjährigen Ersparnissen ; deshalb habe ich über sie zu verfügen und niemand anders . « Dann liebkoste er einen Augenblick seinen Gaul , gewohnheitshalber , ihm die Nase klemmend . Hierauf begab er sich ins Haus . Im Hausgang versperrte ihm der Vater den Weg mit seinem massigen Körper , der zu beiden Seiten beinahe die Wand berührte . » Verzeih , Vater « , heischte Conrad höflich , doch bestimmt , » sei so gut und laß mich durch . « Damit drückte er sich behutsam an ihm vorüber . » Wohin ? « schnob ihn der Alte an , als er vorbei war . » Ausreiten ! « » Du reitest nicht aus ! « brüllte er ihm nach . » Ich reite aus . « Und eilte die Treppe hinauf nach dem zweiten Stock in seine Mansardenkammer , verriegelte die Tür und zog sich gemächlich um , ohne sich im mindesten zu sputen . Knappe Lederhosen , gespornte Wadenstiefel , Samtwams und eine dunkelblaue Halsbinde , die er kunstgerecht zu einer losen Schleife schürzte . Hierauf prüfte er sich oberflächlich im Spiegel , ob er bestehe , ob nichts mangle und nichts gebreche , ringelte sein kleines Schnäuzchen , damit es keck in die Welt schaue , und stolzierte dann mit schallendem Gesang über die Schwelle . Denn der flotte , saubere Reiterstaat hatte ihm Leibesmut und Lebenslust aufgefrischt . Vor der Mansardentür empfing ihn seine Schwester mit Schmeicheln und Bitten . » Conrad « , flehte sie , » treibs nicht zum Äußersten . Tus mir zuliebe . Was verschlägt es dir , ob du heute ausreitest oder ein anderes Mal ? « » Mich wunderts im Gegenteil « , entgegnete er hitzig , » daß ichs von jemand anderen als von dir erfahren muß , wenn man mir heimtückisch die Lissi entzieht . Oder hältst dus vielleicht jetzt auch schon mit dem Vater ? « Und während er sprach , schob er sie mit schonender Hand hurtig beiseite . » Und der Herr Regierungsrat , der auf die Lissi wartet und dem man sie versprochen hat ! « wandte sie vorwurfsvoll ein . » Versprochen ? Es kommt darauf an , wer . Ich nicht . Übrigens tut der Bläß oder der Scheck oder der Kohli genau denselben Dienst . Man braucht nicht aus lauter Bosheit , eigens mir zuleide , gerade die Lissi zu wählen . « » Gelt ! « versetzte sie beleidigt , » wenn dich Cathri darum gebeten hätte , du hättest gleich nachgegeben ! « » Und die Handschuhe ! « rief sie ihm nach , » die Handschuhe ! Du wirst doch nicht ohne Handschuhe ausreiten wollen ! « Im mittleren Stock zitterte die Mutter unter der Schlafstubentür : » Willst du mich vollends unter die Erde bringen ? « hauchte sie . » O nein « , erwiderte er kalt , indem er vorüberschritt , » bloß selber ein bißchen leben , nachdem ich doch einmal auf der Welt bin , und nicht durch meine Schuld . Das heißt , vorausgesetzt , daß man das überhaupt noch ein Leben nennen kann , wenn man einem jede Lebenslust verleidet , jede Freude verdirbt , jedes Lachen , jede freie Bewegung , jedes harmlose Wort zum Verbrechen stempelt . « Auf dem Weg nach dem Telephonstübchen , wo er die Reitpeitsche hangen hatte , hörte er den Vater in der Wohnstube toben . » Ich bring' ihn um . Ich schlage ihn tot wie einen tollen Hund . « » Das gäbe eine Beschäftigung für den Staatsanwalt « , rief Conrad . Ob er schon wußte , daß der Vater das Wort nicht vernehmen konnte , gewährte es ihm doch Genugtuung , es laut zu rufen . Wie er nach Behändigung der Reitpeitsche sporenklirrend auf den Platz trat , der Lissi entgegen , welche , vom Kutscher gehalten , gesattelt und gezäumt bereitstand , folgten ihm unbeholfene , schlurfende Schritte , ein Schatten überholte ihn , er hörte einen mühseligen Atem röcheln , und mit einem schnellen Seitenblick erkannte er den Vater , mit einer Geißel bewaffnet , aber verkehrt , den Griff nach oben , die Faust um die Mitte des Stockes geklammert . Da musterte er mit absichtlicher Umständlichkeit Zügel und Bügel , untersuchte das Gebiß und prüfte mit untergeschobener Flachhand den Sattelgurt , beobachtete jedoch bei alledem jede Bewegung des Vaters . » Den Sattelriemen eine Nummer fester schnallen , Benedikt ; er schlottert . « Und während der Kutscher dem Gebot nachkam , sprach er der Lissi freundschaftlich zu , welche aufmerksam die Ohren spitzte und sie hierauf eines nach dem andern zurücklegte . Einiges Volk hatte sich auf dem Platz gesammelt , um das zierliche , schmuck aufgezäumte Tierchen zu begaffen . Vom Hause her aber drang unterdrücktes Flehen jammernder Frauenstimmen . » Vater , versündige dich nicht ! Denk an Gott und den Heiland ! « » Conrad , wie kannst du das vor uns und deinem Gewissen verantworten ! « Ratlose Gestalten , in sinnloser Angst die Hände verwerfend , huschten unentschlossen vorwärts und rückwärts , mit dem schüchternen Bestreben , sich zwischen Vater und Sohn einzuschieben . Darob wurde jedoch die Lissi unruhig , begann zu tanzen und machte Miene , zu steigen und auszuschlagen . » Weg von dem Rößlein , in des Teufels Namen , mit dem verfluchten Weibervolk « , schnauzte der Kutscher in seiner Not , da er das Tierchen kaum mehr bemeisterte . In dem Augenblick , als Conrad sich anschickte , dem Kutscher die Zügel abzunehmen , stellte sich der Alte mit gespreizten Beinen fester , holte mit weitem Arm aus und hob den Geißelstock . Halb erstickte Schreckensschreie ertönten , das Pferdchen entsetzte sich mit jähem Sprung im Halbbogen um seine Achse ; der Kutscher , die Füße stemmend , fluchte den ganzen Kalender herunter , Conrad aber bohrte dem Vater einen feindseligen Blick in die wutentzündeten Augen . Da trat Cathri ruhig mit langen Schritten vor und legte die Hand auf den Arm des Pfauenwirts . » Herr Reber « , sprach sie gelassen , mit lautem , nachdrücklichem Ton , » der Gaul verträgt die Peitsche nicht . Der ist ohnehin feurig genug . Gebt die Geißel lieber mir . « Und nahm ihm den Geißelstock sanft aus der Hand , einfach und zuversichtlich , als verstände sich das von selber . Der Alte aber war so verblüfft , daß es geschehen war , ehe er mit sich eins geworden , ob er es dulde oder wehre . Unterdessen hatte sich Conrad behend und leicht in den Sattel geschwungen , trotz seiner Größe , und ritt nun , Cathri einen militärischen Gruß mit verbindlichem Lächeln bietend , in förderndem Schritt von dannen . Hinter sich aber vernahm er den empörten Ruf seiner Schwester : » Es sieht nachgerade schon völlig danach aus , als ob Cathri im Pfauen regierte . « Er lenkte zum Dorf hinaus , planlos dem Weg folgend , den Rain hinab durch die Kirschenallee nach der Eisenbahn , wo er den Schienenübergang gesperrt fand . » Ihr mögt noch bequem hinüber , Herr Reber « , knurrte freundlich der Bahnwärter und hob die Schranken . Jenseits des Geleises aber kam ihm Conrad zuvor , indem er mit dem Pferde schlank über den Balken setzte , in zwiefältigem Ruck , jäh in die Höhe , zurückhaltend hinab . Dann strebte er weiter , zwischen Station und Stations-Pintenwirtschaft hindurch . Von rechts her warf ihm der Stationsvorsteher einen launigen Gruß nach , den er im selben Stil erwiderte : » Glückliche Reise , Herr Batteriekommandant . « » Viel Vergnügen , Herr Betriebsdirektor . « Gegenüber , zur Linken , vor der Pinte , stand die Neuberin , die Schankwirtin , ein Büblein auf dem Arm , das ihn mit übermäßigen Augen bewundernd anstarrte . » Hast dus gesehen ? « lachte sie dem Kinde in die Augen , das sie wie ein Spreuerkissen schüttelte , um seinen Geist aufzurütteln : » Hast dus gesehen , das Rößlein , wie er mit ihm über den Balken sprang , der Herr Pfauenwirt ? « » Hü ! hü ! « lallte das Büblein , aufjuckend , dann ließ es ein widerspenstiges Geschrei los , denn die Neuberin fraß ihm vor Wonne das Gesicht . Hinter dem Gartenhag aber , unter dem blühenden Kastanienbaum , lungerte die Jucunde , die sogenannte Nichte der Neuberin , mit ihrem unsinnigen Strubel , endlos , weglos und verirrlich wie ein Urwald . Sie machte Augen wie Pflugrädlein , rührte sich jedoch nicht , außer daß sie an den Fingernägeln kaute . Einen brandzündigroten Rock trug sie heute zur Schau , aber natürlich wie immer ohne Gestalt noch Gürtel , sondern bauschig wie ein Schlafrock . Es fehlten zur Hauderin nur die bloßen Füße . Er vermied geflissentlich , die eine oder die andere zu grüßen , sondern trieb abgewandten Blickes vorüber . Endlich vorn auf der Landstraße angekommen , in welche sein Weg mündete , schlug er einen Trab an , in der Richtung nach dem Kurbad . Bald indessen verkürzte er die Zügel . Denn seine Gedanken waren daheim geblieben , und die holten ihn nun wie mit langen Hacken ein . Wozu auch vorwärts trotten ? Irgendwohin begehrte er nicht ; und nachdem er bewiesen , daß über die Lissi er allein zu verfügen habe , war sein Zweck erfüllt . Die Hauptsache aber war : die Gefahr , die seiner zu Hause wartete , zog ihn an . Er spürte : was ein rechter Mann ist , schiebt die Schwierigkeiten nicht in die Zukunft und weicht dem Kampf nicht aus , sondern stellt ihn . Er kehrte also um , den zurückgelegten Weg eilends wieder auflesend , so daß er in wenigen Minuten abermals den Bahnübergang erreichte . Diesmal war soeben ein Zug eingefahren , ein zweiter von unübersehbarer Länge hielt auf der Talseite vor der Signalstange , auf das Zeichen zur Einfahrt harrend . Da schöpfte er einen ansehnlichen Vorrat Geduld , verlängerte die Zügel und wartete vor dem Schlagbaum , wobei die Lissi mit schmunzelnden Nüstern neugierig nach dem Wagenfenster schnupperte , als wollte sie sagen : › Kann mir vielleicht einer von euch ein Schnupftuch leihen ? ‹ Es war ein Wagen zweiter Klasse . Gelangweilte Gesichter stierten ihm daraus entgegen , stumm und mürrisch , als ob sie nächstens bellen wollten . Nein , ganz unparteiisch , die Lissi hatte entschieden ein menschlicheres Gesicht . Nebenan aus der dritten Klasse lärmte Fußstampfen , Gejohl und Blechmusik . Köpfe bockten durch die Fenster aus und ein , mit heftigen , überschüssigen , unzweckmäßigen Bewegungen ; verdutzte Rudel schossen die Treppe auf und nieder , wobei sich Zusammenstöße ergaben . Allmählich aber hefteten sich alle Blicke auf ihn , den einsam ragenden Reiter , um die zehntausendjährige Neuigkeit zu bestaunen , daß ein Zweibein auf einem Vierbein sitzt . Da er jedoch nicht aufgelegt war , sich von dem müßigen Reisevolk wie ein Jahrmarktswunder anglotzen zu lassen , drehte er sein Pferd um , das Hinterteil dem Wagen zugekehrt . Conrad « , rief ihn eine bekannte Stimme aus einem der hintersten Wagen an : » Bist du heute abend gegen sechs Uhr daheim ? « Es war Leutolf , der Leutnant der Waldishofer Feuerwehr . Sein silberner Helm mit dem purpurroten Haarbusch glitzerte weithin ; neben ihm kamen messingene Helme in großer Zahl zum Vorschein . » Warum ? « fragte Conrad zurück . » Wir machen nämlich einen Ausflug nach Rubisthal , zu Ehren der Spritzenmusterung , und denken auf dem Rückweg im Pfauen einzukehren . « » Ja « , beschied er nach einigem Zögern , da er keinen vernünftigen Grund hatte , nein zu sagen . Auch mochte er die Waldishofer als wackere , pflichttreue Leute besonders wohl leiden . Aus der vorderen Hälfte des Zuges , nahe der Lokomotive , winkte unablässig ein Taschentuch , bis ihm endlich die Ahnung aufdämmerte , das flatternde Fähnchen könnte möglicherweise ihm gelten . Wie er dann Front danach machte , erkannte er die Base . » Leb wohl , Conrad ! « schrie sie ihm zu , mit überschnappender Stimme .