Hermann Essig Der Taifun Kätzi gewidmet Susanne Flaubert gefiel es längst nicht mehr in Brüssel . Ihre Freunde waren außer Landes . Sie saß trübselig in ihrer Wohnküche . Am Gasbratofen stand Käterchen , ihr Dienstmädchen , und machte Rühreier . Sie tapfte gleichgültig und gedankenarm mit dem Löffel in der Pfanne herum . Zur Vermehrung oder zum Ersatz des Fettgehaltes fielen in kurzen Abständen die Katarrhtropfen von ihrer Nase in die Eierpfanne . Susanne hatte dafür kein Auge , ihre Blicke gingen wissenshungrig durch die Fensterscheiben . Sehr aufmerksam lag aber Kätzi in Susannes Schoß und sah mit blauen besorgten Augen nach Käterchen hin . Käterchen hatte sich die Naschsucht vor den Blicken der Katze allmählich abgewöhnt , denn sobald sie den Versuch machte , eine Speise zu kosten , tatzte Kätzi mit der Pfote nach dem Kinn der Herrin . Wie ein unartiges Kind übte Kätzi am Dienstboten Kritik , paßte auf alles gut auf , was dieser tat , und durfte sich dabei selber alles herausnehmen . Käterchen konnte darum die Katze nicht ausstehen . Sie plante ständig , wie sie die Katze auf geheimnisvolle Weise entfernen könnte . Da floß hinter dem Hause der Kanal vorüber . Immer gelüstete es Käterchen , Kätzi darin , in einen Sack gebunden , mit einem Stein beschwert , zu ersäufen . Bloß unbemerkt hätte es geschehen müssen . Zur Ausführung ihrer schwarzen Gedanken kam es nie . Sie wagte es nicht , den Sack an den unteren Stockwerken vorbeizuwerfen , auch nicht nachts damit zum Hause hinaus an das Wasser hinzuschleichen . Äußerlich mußte sie Kätzi immer schöntun . Kätzi war wie Susannes verwöhntes Kind . Die geringste unsanfte Berührung der zarten Angora oder ein versehentlicher Tritt , hatten den tagelangen Zorn Susannes zur Folge . Kätzi trug farbige seidene Schleifchen , sie besaß sogar Goldschmuck . Käterchen hatte darüber einen heillosen Ärger : wie die reinste – wurde sie gehalten . Was Brüssel an Spitzen erfinden konnte , wurde um die Katze gewickelt . Und dieses dumme Ding paßte auf sie beim Eierbacken auf . An Kätzis Nase schossen die Stubenfliegen vorbei ; sobald eine von ihnen die Katze ablenkte , schob Käterchen den Löffel in den Mund . Aber die dumme Sau guckte nicht weg . Und Susanne schien ganz vertieft in der Betrachtung der Straße . Das war wieder ein recht ungemütliches Kochen unter Polizeiaugen . In diesen trostlosen Stumpfsinn war das Leben übergegangen , seitdem die Trikolore von Brüssels Türmen verschwunden war . Susanne fühlte beim dauernden Anblick der Straße eine Gehirnstörung . Sie stand plötzlich auf , strich sich nachdenklich über die hohe Aztekenstirne und hielt die Katze im linken Arm . Käterchen gelang ein heimlicher Löffel . Nach diesem Anfall war es wieder vorbei . Man aß einträchtig das bescheidene Mahl , Käterchen am Katzentisch , und die Katze mit der Dame . Eine Stadt war Brüssel nicht mehr . Susanne ließ sich von Käterchen die Sehnsucht kitzeln nach der Zeit , wie es gewesen war , nach dem Kapitän Labougère und der wunderschönen Madeleine . Die waren immer bei Susanne aus und ein gegangen , Käterchen war von allem Mitwisser und Zeuge . Der Kapitän hatte einmal die weiße Weste liegen lassen , und die eifersüchtige Pipi hatte gleich nachher daraufgesessen , ohne daraus die gewünschte Entdeckung zu machen . Damals war Käterchen fast geplatzt vor Lachen . Und nun ? Sie saßen , von niemand mehr gekannt , ganz verlassen . Die Wohnküche war ein verzweifelter Aufenthaltsraum , die Schlafstube erinnerte an ein Nadelkissen . Käterchen war vom Schwarzwald auf einer Floßfahrt nach Brüssel verschlagen worden . Sie hetzte unablässig an Susanne , nach Deutschland hinüberzugehen . Über Berlin erzählte sie allerschönste Räubergeschichten , von der Friedrichstraße und Berlin bei Nacht . Es war zwar ein mehr sprichwörtlicher Ruhm der deutschen Weltstadt , Genaueres wußte niemand . Susanne ließ sich die Entscheidung schwer werden . Sie hatte allmählich ein Bankkonto zusammenkratzen können , ohne vor ihren Freunden durch Geiz und Sparsamkeit unangenehm aufgefallen zu sein . Damit konnte sie in diesem wahrhaftigen Vogelbauer ein paar Jährchen durchhalten . Aber was war dann , wenn sich das aufzehrte ? Sie war dann mehrere Jahre älter , hatte womöglich das dreißigste überschritten , und die alten Bekannten fanden sich wahrscheinlich nie wieder so zusammen wie vorher . War 's nicht richtiger , den Sprung nach Berlin zu wagen ? Sie verjuxte dabei natürlich ihr bißchen Geld in wenigen Wochen . » Das müssen Sie eben gescheit angreifen , « meinte Käterchen . » Vielleicht kriegen Sie dort schnell einen Mann . Einen festen . Nicht bloß so zur Durchreise . « Dies zog . Susanne besorgte sich die Pässe , um nach Deutschland einwandern zu dürfen . Und Käterchen , die vor Freude herumschusselte , packte den Hausrat zusammen , soweit sie ihn nicht mit ihren klobigen Händen zerbrach . In dem Sinne ging alles glatt von statten . Ohne viele Zwischenlage von Spänen liefen Geschirre und Gläser in eine Kiste hinein , in stolzer Absicht , bald Berlin zu sehen . Auch die Pässe wurden von der Behörde ausgestellt . Susanne hatte nach Ansicht der Polizei keine besonderen Merkmale , sie war blond , hatte dunkle Augen , die wie Kamelaugen leuchteten . Da es aber nicht Sitte ist , in Personalbeschreibungen große Phantasien zu geben , so schrieb man nicht Kamelaugen , sondern Augen : dunkel . Nase : gewöhnlich . Mund : gewöhnlich . Besondere Merkmale : keine . Susanne war anfänglich hochbeglückt , daß sie nach dieser Personalbeschreibung unbehelligt reisen konnte . So sahen ja alle Menschen aus . Aber als man dann bei Käterchen dasselbe schrieb , da rührte sich in ihr ein unangenehmer Wurm . Daß sie mit ihrem Dienstboten gleiche Gestalt haben sollte ! Sie begann auf dem Bureau der Polizei die Unterschiede zwischen ihr und Käterchen zu erläutern . » Sehen Sie doch mich an : ich habe eine interessante hochgeformte Stirne , den Kopf leicht aztekenhaft aufgetürmt , darauf trage ich stets eine hohe mit einer Haarunterlage gestützte Frisur , hintenoben , nach dem Stile von Madame Bernadotte . Und sehen Sie dagegen die niedere uninteressante bäurische Stirne von Käterchen an , mit den sinnlosen Löckchen , die an den Kopfecken stehen . Das muß doch in den Pässen stehen . « » Die Frisur könnte das Mädchen ebenso bauen , « brummte der Polizeisoldat . » Aber mein Herr , wie können Sie das sagen ? Niemals würde ich es gestatten , daß sich Käterchen meine Mode aneignete . « » Ist Ihre Mode gesetzlich geschützt ? « » Nein . « » Was wollen Sie dann eigentlich ? « » Und dann haben wir ja ganz verschiedene Nasen . Meine Nase hat eine interessante geschwungene Dimension , ich habe die Nase ein bißchen wie Philipp II. von Spanien . Und Käterchen hat einen dicken Kolben , ähnlich wie die Sorte der Gurken , die man mit Vorliebe zum Sauermachen wählt . « » Ich kann Sie , verehrtes Fräulein , aber doch nicht als einen Philipp nach Berlin fahren lassen und Ihr Mädchen als Gurke . « » Und sehen Sie weiter in meine Augen . Was entdecken Sie darin ? « Der Polizeisoldat sah mit einer gewissen Scheu in die Augen der Dame . Als er aber in den Augen darin war , da spürte er Lendenschmerzen und machte eine rückende Bewegung auf dem Stuhle . Und unwillkürlich rückten alle im Zimmer Schreibenden auf ihren Stuhlsitzen . Susanne lächelte darüber mit freudigem Entzücken . Sie schob sodann den Kopf Käterchens vor den ihrigen . » Das Fräulein sieht mich ja gar nicht an , « sagte der Soldat . » Das ist ebenso , als wenn sie Sie ansehen würde , « meinte Susanne . » Ihr Auge ist völlig tot , und mein Auge ist eine Fülle von ungelösten Rätseln . « Man hustete und räusperte sich im Zimmer . Der Soldat besah sich aufmerksam die Pässe und wußte nicht , wie er über die Augen schreiben sollte . » Na , « sagte er schließlich , » daß man sich nicht an das Fräulein wenden muß , sondern an die Dame , das sieht ja in Berlin ein jedes . Es ist belanglos . Haben Sie noch etwas ? « » Oh ja , ich habe noch etwas . « Manche standen von ihren Stühlen auf und setzten sich dann wieder . Mit dieser wären sie alle gern nach Deutschland heimgefahren . Vom Munde war gar nicht zu reden . Susanne hatte zartgespaltene Bienenlippen , und Käterchen einen Schweinsrüssel . Sie sagte es nicht , denn es sah ja jedermann . Nur im Passe hätte sie diese Randbemerkung gern stehen gehabt . Der Soldat kam ihr zu Hilfe und sagte : » Und wenn eins von Ihnen zum Küssen genommen wird , dann ist es ebenso . « » Und es ist also gar nicht möglich , meine Personalien anders als die ihrigen anzugeben ? « seufzte Susanne . » Warum wollen Sie denn das durchaus ? Sonst im allgemeinen sind die Leute froh , wenn man nichts Besonderes an ihnen findet . Wenn ich dann unter besonderen Merkmalen etwas hinschriebe , das wäre schon wie ein Wink an die Polizeibehörden , daß man auf Sie aufpassen solle . « Susanne besann sich . » Die besonderen Merkmale würden ja auch wohl innerlich am deutlichsten zu finden sein , « sagte sie dann . » Mir käme es eben darauf an , in Berlin gleich in die richtigen Hände geleitet zu werden . « Das machte den Polizeimann stutzig . » Fahren Sie denn mittellos ? Dann dürfen wir Sie überhaupt jetzt nicht fahren lassen . « » Nein , ich habe dreitausend Mark in der Tasche . « Die werden bald verjubelt sein , dachte der Mann und sah mit bedenklicher Grimasse auf den Paßvermerk : Zweck der Reise . Er wollte die Hübsche gern nach Berlin gelangen lassen . Wenn er nach dem Zweck der Reise frug , so erhielt er möglicherweise eine unkluge Antwort . Und er schrieb ohne weitere Nachfrage an diese Stelle » Kunststudien « . Susanne sah ihm über die Schulter ins Papier . Ihr Herz klopfte stark , und als der Mann nach ihr herum sah , errötete sie . » Zweck der Reise ? « frug er sie jetzt . » Kunststudien , « erwiderte Susanne mit leiser Heiterkeit . » Und Ihr Käterchen ? « » Begleitung . « » Jetzt können Sie zufrieden sein . Und nun merkt auch alle Welt , daß es sich nicht um das Fräulein dreht , sondern um die Dame . Sie sind die Künstlerin , und die andere ist die Geige . « Ein allgemeines Gelächter entstand im Zimmer . Susanne grinste , daß die Ecken der zarten Bienenlippen an die Ohren hinumtraten . Unerwarteterweise wehrte sich Käterchen dagegen . » Wie man's ansieht , « knurrte sie . Die Polizeibeamten lachten und waren froh , daß ihr trübseliger Vormittag , den sie absaßen , von diesem Stern und seinem Trabanten durchschnitten war . Susanne selbst war ihre Reise nicht so recht geheuer , wenn sie auch jetzt mitlachte . Die Frage nach dem Zweck der Reise hatte in ihr neue Bangigkeit um die Zukunft hervorgerufen . Sie hätte keinen Zweck angeben können . Ihre Reise war ein Sprung ins Dunkle . Fortan wußte sie wenigstens , daß sie als Kunststudierende nach Berlin reiste . Um die Kunst hatte sie sich bisher gar nicht gekümmert . Die Idee war vielleicht gar nicht so dumm . Es war eine wirkliche Idee . Während sie mit Käterchen die Polizeistube verließ , blickten ihre Kamelaugen in die dämmerigen Steinhallen des gehirnlosen Gebäudes . Man fühlte , wenn man es durchschritt , nichts von der darin geleisteten Arbeit , und doch zitterte ganz Brüssel vor seiner Macht . Ihre Schritte waren elastisch , denn sie ging als eine wohlaffektionierte Künstlerin ihrer Zukunft entgegen . » Was haben Sie als Beruf angegeben ? « frug Käterchen mit leiser Stimme , als sie eben die Straße betraten . » Kunststudien ? « Susanne nickte bejahend und lief rasch , nur um außer Hörweite der Polizeiohren zu sein , wenn sie mit Käterchen redete . » Wir gehen jetzt gleich in einen Buchladen und kaufen uns einen Plan von Berlin . « Käterchen schob mit der Herrin durch die Winkel und Gassen und wollte immer etwas Näheres wissen . Susanne gab ihr nur knappe und unbestimmte Antworten . Das Ziel war nun der Buchladen . Als sie ihn endlich betrat , fühlte sich Susanne bereits in Berlin . Sie nahm ein forsches und entschlossenes Wesen an . Käterchen mußte vor dem Buchladen stehen bleiben . Dort glotzte sie verständnislos in die Schaufenster und las langsam aber sicher alle Buchtitel , damit sie keinen im Gedächtnis behielt . Was wollte denn Fräulein Susanne mit der Kunst in Berlin ? Das erschien Käterchen eine so dumme Veränderung des ganzen Lebenszwecks , daß sie nun lieber in Brüssel geblieben wäre . Parole Heimat hätte ihr gefallen , aber mit dem Zweck recht eingehenden Poussierens . Und da kam Susanne ohne Buch zurück . » Wir kaufen es in Berlin , « sagte sie zu Käterchen . Planlos war sie aus dem Buchladen herausgekommen . Susanne wurde es angst und bange . Käterchen gegenüber gestand sie es nicht ein . Sie nahm ihr sonst den Mut . Und in den neuen , ihr ganz fremden Verhältnissen war es sehr wichtig , daß die heimatkundige Schwarzwälderin bei Stimmung blieb . Susanne hielt sich für die Geige , und Käterchen war der Spieler . Nun war es soweit , daß alles verpackt war . Auch der Gasbratofen . Es war ein kleiner Möbelwagen voll , als halber Wagen kostete die Fracht mit Umladung noch kein Vermögen . Billiger war's bestimmt , als wenn man jetzt in den teuren Zeiten alles hier verkaufte und dort neu kaufen mußte . Und wer hätte jetzt in Brüssel alten Hausrat aufgekauft ?! Susanne saß dauernd als Zuschauer mit der Katze im Schoß , dankte es Käterchen durch mancherlei Umarmungen , daß sie den ganzen Mist so kraftvoll handhabte . Der Tag der Abreise war da . Die nachts noch einmal benutzten Betten wurden von den Transportsoldaten zusammengeschlagen und weggeschafft . Unwiderruflich ging es nun nach Berlin . Susanne mit der Katze und Käterchen standen in der ausgeleerten Wohnung . Wenn es nur noch so einfach zu reisen gewesen wäre wie zur Kinderzeit ! Damals glaubte Susanne , als sie ganz allein auf dem Bahnhof von Mézières saß , mit der Fahrkarte in der Hand , der Bahnhof fahre mit ihr nach Brüssel , und sie hatte in Seelenruhe den ersten Zug wegfahren lassen , ohne hineinzusteigen . Das wäre nun so schön gewesen , wenn die leere Wohnung gleich mit ihnen losfuhr wie damals der Bahnhof von Mézières . Aber so war es nicht . Man mußte noch ein heftiges Eisenbahnfieber durchmachen und soundso viele Sicherheitsposten und Kontrollen hinter sich bringen , bis man endlich im D-Zug saß , Brüssel-Warschau , über Berlin-Mitte . Es waren interessante Ungeheuer , welche die D-Züge aus den Städten machten . Wie wird man mit ihnen den Kampf bestehen ? Susanne schien es klar , daß sie vor allen Dingen sich erst richtig von dem neuen Ungeheuer verschlingen lassen mußte , um es dann von seinem Innern aus zu überwinden . Mit der Katze stieg sie die Treppe hinab , es war ihr sehr weh im Herzen , wie bei einem Abschied auf Ewigkeit . Käterchen schritt wortlos hinter ihr , mit wütenden Blicken nach der Katze . Daß die mit nach Berlin kommen sollte , das behagte ihr gar nicht . Und was für ein freches und selbstverständliches Gesicht das Vieh auf Susannes Arm machte ! Als Susanne im Heimwehschmerz das Tier mit Tränen benetzte und es an sich preßte : » Mein Kätzi ! wenn ich nur dich habe , du gehst mit mir , « da verzog Käterchen spöttisch den Mund . Sie hatte es sich geschworen , die Katze dürfe nicht nach Berlin mitkommen . Wenn sie es nicht fertiggebracht hatte , die Katze im Kanal zu ersäufen , dann warf sie sie ganz gewiß aus dem Kupeefenster , wenn der Zug dahinraste . Käterchen fühlte mit Wonne den Schnitt , mit dem die Wagenräder über den gehaßten Pelz hinwegfuhren . Sie gab sich den Anschein lächelnder Gleichgültigkeit . Die Rache an dem Tier , das sie beaufsichtigte , war dann desto überraschender und teuflischer . Susanne war mit der Katze eine auffallende , doch vornehme Erscheinung , welche sich von dem rauhen Hintergrunde Käterchens in glänzendem Lichte abhob . Sie trug einen violettseidenen Reisemantel und ein schwarzes Samtkäppi mit einem weißen Zweihundert-Mark-Reiher ; der Hut hielt sich mit einer Brillantagraffe an der hohen Haarfrisur fest , so daß er sich ansah , wie eine um eine Felsklippe fliegende Sturmmöve . Ein fast unsichtbarer Schleier zog sich über das interessante Gesicht , mit seinem Netze suchten leidenschaftliche Lippen hie und da nervös die Berührung . Die Katze stak am Bahnhof in der großen Zobelmuffe und glich einer verhätschelten Prinzessin . Käterchen fuhr in der weißen Schürze mit der Reisetasche . Susannes Augen waren in lebhafter Bewegung , den Ausweg nach dem Bahnsteig zu gewinnen . Es ging durch die Zollstation und durch die Kontrolle . Susanne zeigte ihre beiden Pässe vor und wollte durch die Sperre . Da packte sie im letzten Augenblick ein derber Griff : » Halt , da ist noch jemand ! « » Nein , wir sind nur zwei . « » Ihre Katze . « Sofort funkelten Käterchens Augen frohlockend , und ihre Zunge leckte heraus . Die Katze durfte gewiß nicht mit . Susanne sah mit blassem Gesicht auf den Beamten . » Verlieren Sie keine Zeit , Sie müssen für die Katze einen Paß haben , oder Sie müssen sie laufen lassen . « Susanne ruderte mit aller Macht rückwärts in die Menschenhaufen . Sie stürzte voll Entsetzen und Aufruhr zum Kommandanten . » Man sagt mir , die Katze müsse einen Paß haben . « » Stimmt , « war die trockene Antwort . » Aber wie soll ich denn einen Paß bekommen ? « » Da müssen Sie auf die Polizeistation Ihres Reviers . « » Ja , aber der Zug geht ja ab . « » Ich kann Ihnen nicht helfen , meine Dame . Wenn Sie mit Ihrer Katze keine Unannehmlichkeiten haben wollen , etwa eine Beschlagnahme unterwegs , so versehen Sie sich mit einem Paß . Oder Sie lassen sie laufen . « » Beschlagnahmt ? – Wie die Butter ? – Das Fleisch ? « Susanne zitterte durch den ganzen Leib . Sie rannte los , Käterchen mußte mit . Auf die Polizeistation . Aufgeregt kam sie hier an ; im letzten Augenblick ihren inneren Aufruhr bemeisternd , bat sie um den Paß für die Katze . Sie hatte noch eine leise Furcht , ausgespottet zu werden . Aber nein , der Polizist schlug sofort ein Buch auf und begann mit dem Verhör . Was hatte Käterchen unterwegs geschimpft und geflucht , mehr Flüche , als der Schwarzwald an Klaftern Holz liefern kann ! Susanne antwortete ihr mit keiner Silbe , sie sah nur mit Entsetzen in die entblößte Seele ihres für unwandelbar treu gehaltenen Dienstboten . Und jetzt auf der Polizeistation fühlte Susanne unwillkürlich eine Art Schutz für Kätzi . Sie hatte die bureaukratischen deutschen Unbegreiflichkeiten kritisieren wollen , aber wenn jetzt Kätzi einen Paß hatte , so konnte ihr doch unterwegs durch Käterchen kein Leid geschehen , denn sie reiste mit , wichtig wie ein Menschenleben . Käterchen war ja zu allem fähig , wenn sie vorhin geschrien hatte , daß sie Kätzi besser unvermerkt schon lange im Kanal ersäuft hätte . Der Beamte frug : » Name ? « » Kätzi . « Und dann kam die ganze Personalbeschreibung . Zuletzt » Zweck der Reise , « das füllte der gemütvolle Beamte wieder selbst aus und zwar : Freundschaft . Da preßte es Susannes Tränen mit Gewalt hervor . Und die ganze Erschütterung , die sie durch den Gedanken , Kätzi laufen lassen zu sollen , und durch Käterchens Geständnis ihres langen nur versteckten Hasses erlitten hatte , kam endlich zum Ausdruck . Der Polizeisoldat strich noch über das zarte weiche Fell , und dann gab er Susanne die Hand , wünschte glückliche Reise , ermahnte noch , den Abschied von Brüssel nicht gar so schwer zu nehmen , in Berlin sei es viel schöner . Susanne lächelte ihm dankbar mit den vertränten Augen zu , mußte dann stärker lachen , weil sie sich schämte , so geweint zu haben . » Warum gehen Sie eigentlich nach Berlin ? « frug da der Mann , » es gibt doch gegenwärtig in Brüssel mehr Männer als in Berlin . Dort gibt es jetzt bloß Frauenzimmer . « Susanne verstand diesen Hinweis auf seine eigene werte Männlichkeit sehr gut und wollte ihn deshalb nicht verletzen . Sie antwortete : » Jetzt geht es leider nicht mehr zu ändern . « Der Polizeimann dachte wohl , hätte ich das Fräulein vorgestern besser vorgenommen ... Er setzte sich wieder und zog an seinen Hosen . Es mußte ihm nicht recht ins Kraut passen , daß er so persönlich geworden war . Er frug mit Sachlichkeit : » Hat es eigentlich was zu bedeuten , daß Sie das Fräulein Käterchen nennen , hat das Beziehung zur Katze ? « Dabei hielt er den Paß für die Katze in der Hand und wippte damit , ehe er ihn hergab . Susanne verstand die Frage nicht und antwortete zaghaft : » Nein . « » Warum denn so zaghaft ? « Er lächelte dabei fast gemein . Susanne fürchtete sich . Sie glaubte , auf ihrem Wege hierher sei das unflätige Schimpfen des Mädchens über die Katze gehört worden und der Bericht darüber ihnen zur Polizeistation vorausgelaufen . Warum hielt er denn noch den Paß so zögernd in der Hand ? Der Polizeimann frug jetzt das Mädchen selber : » Das ist die Katze , und Sie sind das Käterchen ? – verstehen Sie das ? « Käterchen antwortete : » Jawohl , ich verstehe Sie , aber wir zwei haben nichts miteinander zu schaffen . Wir sind Todfeinde aufeinander . Ich heiße eigentlich Kätterchen , weil ich Katherine heiße , aber das gnädige Fräulein kann es nicht anders aussprechen . « » So sag ich ja , Kätterchen , « meinte Susanne , aber es klang wiederum wie Käterchen . » Das ist alles ? « Der Polizeimann legte den Paß in die Hand Susannes . Er war sichtlich unzufrieden . Man sah ihm an , daß er , war es auch nur durch ein paar Worte , die Aufdeckung eines komplizierten Katzenverhältnisses gewünscht hätte . Unwillkürlich drückte Susanne , als sie den Paß endlich hatte , einen Kuß auf die Katze . So schwebte sie ab , hinter ihr Käterchen . Durch die geschlossene Tür des Bureaus hörten sie noch das Lachen der Männer . Susanne war froh , nun unterwegs zu sein . Und Käterchen fühlte sich durch den ganzen Vorgang herabgewürdigt . Mit der Katze wurden sie überall zum Gespött ; mürrisch und mit immer größer werdendem Abstand folgte die Magd der Herrin . Susanne trug mit desto innigerer Liebe Kätzi zum Bahnhof . Sie war fast überglücklich , endlich an Kätzi ihre Liebe durch eine Tat bewiesen zu haben . Das erste Mal hatte sie die Katze vor den Menschen bekannt . * * * Während der D-Zug Brüssel-Warschau nach Berlin unterwegs war , hatte Dr. jur. Alfred Bäumler , Charlottenburg , Viktoria-Luise-Platz 25 , Zeit , den Heiratsvermittler aufzusuchen . Es war schade , für Susanne ging diese Gelegenheit verloren . Bis der D-Zug auf Bahnhof Friedrichstraße einlief , war wahrscheinlich dieses Dr. jur. Lebensschicksal bereits durch eine passende Verbindung besiegelt . Es schien überhaupt ein tragisches Verhängnis , daß alle die Menschen , welche die D-Züge benutzten , solange nicht am Leben aktiv beteiligt waren . Deshalb war die Mode aufgekommen , die D-Züge so unheimlich rasen zu lassen . Am idealsten wäre es gewesen , wenn man so rasch wie der elektrische Funken von Ort zu Ort kam , nicht bloß mit der Stimme , nein , wenn sich erst Leib an Leib reiben konnte , dann war alles Wünschenswerte erreicht . Man erzählte sich die Geschichte des Grafen Sablunski nicht als Fabel . Er war auf seine Geliebte sehr eifersüchtig . Als er von der Erfindung der Fernphotographie hörte , sandte er dem Erfinder einen Brief , er möchte sich auf sein Gut zu ihm begeben und ihm einen Apparat so einrichten , daß er Omeline auch elektrisch besaß , während sie am Meeresstrand badete und er auf den Feldern das Stecken der Zwiebeln besichtigte . In alten Zeiten nannte man es Sehnsucht . Und diese war die gedankliche Spannkraft zwischen Liebenden . Den Modernen war das zu anstrengend , sie lebten lieber fröhlich und ließen ihre elektrischen Apparate alles Wünschliche arbeiten . Man ließ auch die D-Züge so rasen , damit man dem Schicksal und dem Zufall hinter die Schliche käme . Wahrscheinlich gelang es mit der Zeit , zu entdecken , wie es manche Leute anstellten , mit Verstandeskraft reich zu werden , ohne den Eingriff eines Zufalls , oder man fing die Besuche des reichtumspendenden Zufalls durch Überfall mit dem D-Zuge noch an den Pforten der Türen ab . Allein alle Geschwindigkeit hilft nichts , wenn einer das Pech hat , stets der arme Teufel zu bleiben , niemals ein passendes Weib zu finden , trotzdem annähernd fünfhundert Millionen Weiber auf der Erde um ihn herumkriechen . So war vielleicht gar keine Not , daß Susanne zu spät kam . Vielleicht spielte der Heiratsvermittler , welcher ein Allerweltshexenmeister war , trotz allem sie als die richtige Lebensgefährtin dem Dr. jur. Alfred Bäumler in die Hände . Es konnte , anders ausgedrückt , dem Zufall gelingen , daß sie sich nicht versäumten , trotz des Zeitausfalls mit der D-Zugfahrt . Und ein frommes Gemüt hätte dann gesagt , Susanne fuhr nur deshalb nach Berlin , damit endlich der Doktor zu Braut und Frau kam . Wer aber kuppelte dann ? Vielleicht der Brüsseler Schutzmann . Man könnte das Menschenleben als ein buntes Tuchmuster auffassen , in dem keine Weberkarte das System bezeichnete , sondern wo der Zufall gelbe und blaue Fäden willkürlich durcheinanderschoß . Diesen Schuß des Zufalls zu ermitteln , wäre eine undankbare Arbeit . Dagegen dankbarer und heiterer ist es , gewisse Menschen als Hexenmeister anzuerkennen . Wenn Dr. Bäumler nicht den Glauben an seinen Heiratsvermittler gehabt hätte , daß er hexen konnte , so wäre er nicht zu ihm hingelaufen . Das eigenartigste an diesem Heiratsvermittler war , daß er kein Heiratsbureau hatte , sondern einen Kunstsalon . Und er erhob keinen Pfennig Spesen für das Glück seiner Opfer . Er spielte täglich seinen Fünfuhrtee , daß es im Hofe des Hausvierecks widerhallte . Und an den Strahlen dieser Töne kletterten besondere Menschen empor in die erste Etage des rechten Seitenflügels . Dadurch machten sie alle ihr Glück . Unglückliche züchtete der Hexenmeister grundsätzlich nicht . Er war befähigt , die Menschheit einem paradiesischen Zustande zuzuführen . An der Korridortür war ein schwarzes Plakat angenagelt , auf dem mit gelber Messingschrift zu lesen war : Taifun , Leiter Hermione Ganswind . Während man davorstand und sich den Eintritt überlegte , wirbelten aus dem Innern die gigantischen Töne einer dämonischen , alle Sinne zermürbenden Musik . Wenn es ein Weib war , warum hieß es dann nicht Leiterin ? War sie etwa eine herrische Dame , die nach Art der Tierbändigerinnen mit der Peitsche in der Hand herumlief ? Sie leitete den Taifun , der den Sand der Wüste Sahara über die blühenden Landgärten des Nils in die Fluten des Mittelmeeres jagte . Irgendein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen der fürchterlichen Musik und dem beabsichtigten Ziele mußte herrschen . Mit einem spiritistischen Schauer , der kalt über den Rücken lief , wagte man endlich den Eintritt . Dort kroch Dr. Bäumler hinein . Sein Überzieher hing ihm stets wie nachgeschmissen über den Schultern , und sein Hütchen saß nach vorn gekantet über weit aufgerissenen Augen , die durch die Oberkante eines orthozentrischen Kneifers die Welt schräg betrachteten . Die Hände steckte er in die Hosentaschen , eine Zigarette lag zwischen die Lippen geklemmt in seinem Munde . Von diesem Taifun hatte er schon viel gehört . Der Taifun hatte in Paris , London und Petersburg große Gemäldeausstellungen veranstaltet , die Presse aller Länder schimpfte über ihn , diese Erzeugnisse dürften erst zur Anerkennung kommen , wenn erst einmal die ganze Menschheit verrückt wäre . Der Schutz der Polizeibehörden aller Kulturländer wurde angerufen , die Menschheit vor dieser Gefahr durch Zwangsmaßregeln zu behüten . Es müßte einfach verboten werden , solche Bilder zu malen . Weil aber jedermann in seinen vier Wänden malen konnte , was er wollte , so war ein solches Verbot aussichtslos . Nur diese Werke auszustellen , sollten die Polizeien verbieten . Aber die Herren von der Polizei suchten vergebens nach einer Präzisierung der Grenze , und es blieb Tatsache , daß diese verrückte Malerei überhandnahm . Die Presse fühlte sich teilweise überwunden und begann für den Taifun Partei zu ergreifen . Der anfangs schüchterne Anhang des Taifun ballte sich lawinenhaft . An alten Größen der Kunst fegte der Taifun vorbei , daß sie nur mit resignierten Blicken hinter ihm herschauen konnten und sehen mußten , wie die gesamte Menschheit allmählich mitgerissen wurde , gleich dem Sandwirbel , der auf den donnernden Flügeln des Wüstensturmes dahinjagte . Wohin die Reise ging , überlegte keiner der Anhänger , ob in die Fluten des Meeres zum Ertrinken oder auf die glühenden Steppen Asiens zum Ersticken , das kümmerte einen hingerissenen Anhänger nicht . War das nicht verrückt ? Überhaupt , wo begann der gesunde Menschenverstand , und wo hörte er auf ? Dr. Bäumler , der Verzweifelte , begab sich endlich dahin , selbst zu untersuchen . Er war von seinem klaren Verstande völlig überzeugt und maßte sich mit Fug und Recht die Fähigkeiten an , den Taifun prüfen zu können . Allein . Das war doch die größte Torheit . Denn , wem war es nicht selbstverständlich , daß der Taifun jeden , wenn er auch nur den Kopf hineinsteckte , sofort mitriß ?! Man mußte sich den Ort der Handlung etwa vorstellen wie ein Riesengebläse , das die Menschen wie Staub wegsaugte . Das Saugen begann , wenn einer schon den dunkeldüstern Hof des Häuservierecks betrat . Unwiderstehlich riß ihn die Musik die Treppe hinauf , empor , hinein , und einmal drin , kam er nur wieder heraus , wenn ihm der Leiter freundlich zum Abschied die Hand reichte . Solcher Mensch kam dann immer wieder . Suchte ein Mensch Kunst oder Literatur , es blieb sich gleich , alle unbewußten Dranggefühle verkörperte die Musik , gespielt und erfunden von Hermiones Ehegatten . Wer die Bändigerin des Taifun bewältigen konnte , der mußte ein guter Reiter sein . Da kam der Doktor mit seinem schiefen Schubiak an wie ein Papierfetzen , der schon von jeder Kehrichtmaschine eingezogen wird . Aber solche leicht gewordenen Menschen , die nur noch haltlos wie Papierschnitzel umhergeweht wurden , waren am tauglichsten . Diese leichtesten konnten vom Taifun bis in die höchsten Himmel geblasen werden . Und gerade solche gingen als die Götter in den Himmel ein , worin sie fest aufgebaut und als Sterne am Firmament angeklebt wurden , um beschaut zu werden von den in ständigem Wirbel mitgerissenen schwereren Menschenexemplaren . Holla ! Als Dr. Bäumler zur Tür eingetreten war , klatschte diese zu wie von einem Gewitterluftzuge . Ihm flog schon das Hütchen vom Kopfe , hinauf auf einen Kleiderhaken . Und sein Überzieher ging mit heraus , daß fast der Rock drin stecken blieb . Der Doktor mußte ihn schnell zuknöpfen , damit er nicht weggeblasen wurde , sonst konnte noch Weste , Hemd und Hose mit heruntergehen , dann stand er nackt . War es nicht kühl und kalt ? Der Doktor klapperte mit den Zähnen . Er spürte den Vorfrühling in seinen Gliedern . Wenn er etwa hier zur Braut käme ! Und diese zur Frau machen müßte ? Er war ja eigentlich nicht zum Taifun gelaufen , um ihn zu prüfen , sondern um zu erfahren , ob man hier nicht auch heiraten konnte . Vielleicht in dem großen Anhang im Sandwirbel , wenn der Leiter dabei nachhalf . Es war ja klar , wenn das Publikum im ständigen Rausche im Taifun dahinjagte , so mußte doch der Leiter ein bewegungsfreier Gegenstand sein , denn sonst wäre die Veranstaltung gar zu übermenschlich und unbarmherzig gewesen . So war es auch . Hermione kam zu jedem im Wirbel Befindlichen gütig und gnädig hin , reichte ihm die Hand und sprach mit einer süßen Engelstimme mit ihm . Dann verschwand sie wieder . Und der jedesmal Angeredete wirbelte weiter , es blieb ihm nur die Sehnsucht im Herzen , den schönen Engel bald wieder in seiner Nähe zu fühlen . Bei dem Doktor ging es besonders wunderbar . Mit ihm wirbelte Hermione sofort ins Allerheiligste . Dorthin , wo der Flügel stand , aus dem der Gatte soeben einen Tamtam-Marsch herausschlug , daß allen Anwesenden die Beine zuckten , als müßten sie von Asien nach Amerika über die Beringstraße schreiten . Hermione lächelte süß . Ihre blonden Fransen hingen nahe bis zu den blauen klugen Augen . Ein lichtblauer Flor umhüllte kleidartig ihre nordische Gestalt . Am Flügel wackelte das Haupt einer ägyptischen Sphinx . Der Ehegatte war mitten im Taifun geformt worden , und nun saß er als der höchste Gott und Hexenmeister am Flügel . Die freundlichen Augen des Leiters hatten den Doktor zum Sitzen eingeladen . Und selbst saß sie wieder im Kreise der anbetend Lauschenden . Sie hielt das eine Bein über das andere geschlagen , beugte den Rumpf nach vorn , daß der schwanenschöne Nacken das Bild ihres Gesichts den Lauschenden aufmerksamer vor Augen hielt . Ihren Arm stützte sie auf das emporgeschlagene Knie , daß die Rundheit ihrer Nacktheit deutlich hervorschaute . Im gesamten glich sie einem großgewachsenen Baby , und sie erinnerte darum die verzückten Anbeter an einen Engel , wie sie in den Jagdgründen Walhallas umhergehend gedacht werden . Der Doktor sah sich im Kreise mit den Falten eines Misanthropen um . Er saß etwa da , wie die Karikatur des von Michel Angelo erfundenen Gottvaters . Karikatur mußte es ja sein , wenn solcher Gottvater einen Kneifer auf der Nase trug . Hermione betrachtete ihn aufmerksam . Der Neugekommene war gewiß ein Mensch von großer künstlerischer Anlage . Das bewiesen sein weißes Stärkehemd , die schwarzen Lackschuhe und die grauseidenen Strümpfe , die etwas hagere Gestalt , welche häufig die Kniee zusammenzog , wie ein streitsüchtiger Geißbock . Die beiden Ellbogen stützte er mit Vorliebe auf die Lehnen seines Fauteuils . Der Mensch wollte gewiß aus ihm reden , nur das Schicksal hatte ihm die Mundhöhle verschlossen . Dieser Marabu hatte bisher im Sumpfland gestanden . Der Taifun mußte ihn in die Lüfte reißen ; wer wußte , in welchen hohen Regionen er endlich die Schwingen frei bekam . Wenn er im Kreise umherblickte , so lag etwas wie ein leiser Spott auf seinen rasierten Affenlippen . An den Wänden wagten seine Blicke kaum emporzuklimmen , insbesondere überschnitt dann die Blicklinie die oberen Ränder seines Augenglases , so daß er nichts mehr sehen konnte . An den Erzeugnissen der bildenden Kunst , welche der Taifun vertrat , glitten darum seine Augen blind ab . Diese Bilder hingen überall in dem Salon und seinen Nebenhimmeln , in den Gängen und winkeligen Abzweigungen , nur die Toilette war ohne sie . Daß der Doktor nicht wagte , nach dieser Kunst emporzuschauen , nahm ihm keiner übel . Es war ein Zeichen für seine Bescheidenheit . Das Gewinnende an diesen Bildern war ja eben , daß man erst langsam sie zu betrachten wagte . Bei einem Rubens erkannte man sofort das Weib , aber nur hier sah man es nie , sondern wünschte und empfand es nur . Es gab schlechter dings für Sittenvereine eher eine Möglichkeit , gegen die Klassiker einzuschreiten , als gegen diese Modernsten . Sie predigten eigentlich alle die reale Weit , aber eine Wirklichkeit , die nur im Geiste existierte . Die Wirklichkeit des Geistes . Der Doktor überlegte sich die Sache , den leisen Spott um die Mundwinkel . Paßte diese Umgebung für ihn ? Wie sollte er auf diesem Wege zu der realsten Möglichkeit , zur Ehe , gelangen ? Aber das konnte nur ein scheinbarer Widerspruch sein , denn die Menschen , welche er sah , hatten alle etwas fast Philisterhaftes in ihrem Anzug , nur Hermione und ihrem Gemahl sah man das Gottentsprossene an . Wahrscheinlich lebten sie in kinderloser Ehe . Diese setzte der Doktor auch für sich voraus . Dagegen saß dort drüben auf einem Sessel scheinbar ein Künstler mit schwarzem Lockenhaupt , neben ihm seine Gattin , eine gute Dicke , die wahrscheinlich viele Kinder hatte . War es ein Dichter ? Dann wettete er darauf , daß er mindestens ebenso viele Kinder hatte , wie unaufgeführte Schauspiele . Manche sahen dann wieder so lammfromm aus , daß man nicht fehlging , nur die wilde Ehe für sie für möglich zu halten . Hermione wartete mit Spannung , bis der Tamtam zu Ende war . Jetzt hatte er nur noch ein paar Dutzend Takte , dann planschte der Fußgänger auf der Beringstraße ins Wasser , ohne Amerika erreicht zu haben . Und dann trieb der Lauschende auf bleiernen Wogen , ungekannt wohin , weiter , ohne Ziel . Das war das Berückende in dieser ganzen Richtung , das Ziellose . In Literatur und Musik . Der Marsch endete wie eine abgeschnittene Welle . Eine natürliche Unmöglichkeit , aber geistig vorstellbar , und darum wirklich . Darin verkündete Ganswind , der Waltende , seinen Jüngern die ganze gedankliche Tiefe der Unnatur . Mit einem kurzen Ruck stand gleichzeitig mit dem letzten Tritt der gespreizten Hände der Kopf still . Während des Spiels sah man ihn vielleicht doppelt und dreifach infolge des leidenschaftlichen Nickens und des drachenhaften Schnaubens seines erregten Atems . Es war ein Genuß gewesen , den Erschütterungen des musikalischen Körpers zuzusehen . Jetzt stand ein fast kleiner Mensch vom Klavierstuhle auf , guckte äffchenhaft um sich und schritt gemessen auf den Doktor zu . Die Haare des Genies standen wie lange , gekrümmte , steife Sicheln nach hinten und waren über dem gesteiften Halskragen senkrecht zum Wirbel abgeschnitten , so daß das Profil einer Sphinx ähnlich sah . Die Nase hatte einen feinen zarten Schnitt , und die Stirn war hoch wie bei einem gewaltigen Denker . Trotz der auffallenden Form infolge des absonderlichen Haarschnittes flößte der ganze Kopf Vertrauen und Neigung ein . Der Doktor hatte das Gefühl , als der Künstler ihm die Hand drückte , daß er hier einen Freund besitze , dem er sich nicht mitteilen konnte , ohne daß seine Mitteilungen später ironisiert wurden . Beim Druck der Hand verzog sich das Gesicht Ganswinds zu einem breiten Grinsen . Das stand in scharfem , unverständlichem Gegensatz zu den exakten durchdachten Bewegungen am Flügel . Der Doktor hatte sich erhoben und grüßte lächelnd , aber mit großer Bescheidenheit . Ein korrektes Schweigen herrschte noch längere Zeit , denn jedes Wort klang nach dieser Musik hohl und leer . Bis Hermione aufstand . Es erhoben sich auch die anderen und folgten der anmutig Lockenden in den Nebensalon . Dort stand der Tee in farbenreichen Gefäßen , und mit den zarten Fingern warf Hermione manchem der Gäste mit neckischem Lächeln , das engelhafte Antlitz immer von dem schönen Halse gehoben , Zuckerstückchen in die Teetasse . Dabei war stets aus ihrem Wesen die Energie spürbar , daß die Anerkennung alles ihres Tuns durch die Gäste nicht nur von ihr gewünscht , sondern auch erreicht war . Der Doktor stand anfänglich still in einer Ecke und folgte nachdenklich diesen graziösen und zugleich starken Bewegungen ; er spitzte gespannt die Ohren , das wenige , was sie sprach , zu erhaschen . Ihre Stimme war klangvoll mit einer akzentuierten Erhöhung auf dem Anlaut , und sie sprach das Hamburgische S. Ganswind schien mit dieser Beobachtung des Doktors einsamen Standort aufheben zu wollen , er nahte sich ihm und legte freundschaftlich die rechte Hand auf des Doktors Schulter , während seine Linke den Rockschoß seines frackartigen Gowings auf dem Rücken trug . Er atmete den Doktor ein paarmal an , weil er die einleitenden Worte nicht recht fand , dann aber hatte er sie endlich doch auf der Zunge : » Herr Doktor , wollen Sie meine Privatsammlung ansehen ? « Der Doktor hatte jetzt auch ihn durchdringend angesehen . » Privatsammlung ? « er wiederholte es gacksend und stolperte über seine eigenen Füße , dann ging er gottergeben hinter dem Impresario seiner Zukunft . Sie kamen durch enge Gänge und toll überladene Geschäftsräume , so voll von Papieren , Büchern , Druckschriften und verstauten Handskizzen , daß hier nur noch eine Feuersbrunst Ordnung schaffen konnte . Jetzt hing vor des Doktors Auge ein Gemälde , einen Menschen darstellend , dessen Kopf umgestülpt auf dem Halse saß , während an seinen Hinterteil ein Kätzchen mit der Zunge anstieß . Ein Hauptwerk der Sammlung . Das Bild reproduzierte also einen Menschen , der in perversen Affektionen verrückt geworden war , oder die andere Möglichkeit , einen Katzenfeind . Der Doktor stand lange davor , die Idee des Taifun gebar sich in ihm . In diesen Räumen wurde er zum Jünger der neuen Epoche geworben , ohne daß man ein werbendes Wort an ihn richtete . Erst als er anerkennende Worte stammelte : » Fabelhaft , eigenartig , alles berückend , « da sprach Ganswind : » Das nennen wir die Kunst . « Es war augenscheinlich , daß der Künstler nicht aus Unvermögen , die Elemente zu beherrschen , so irr gemalt , sondern im Gegenteil eine Farbenschönheit und Reinheit hervorgebracht hatte , welche die feinsten Sinne fesselte . Aber daß der Kopf umgekehrt auf dem Halse saß ? Warum das ? Darüber befragt , äußerte Ganswind : » Das weiß ich nicht , und es würde wohl auch der Künstler nicht wissen . Es kommt ebensowenig darauf an , was das Bild darstellt , wie darauf , ob es überhaupt darstellen soll ; das Bild nimmt den Beschauer gefangen , es erschüttert ihn , es zermalmt ihn ; das ist der Zweck des Künstlers . Wenn er überhaupt einen Zweck haben will . Der Künstler ist in seiner Existenz genau so ein Geschöpf des Zwangs wie alles Existierende , das weder seinen Ursprung noch sein Ende je erkennen wird . Die Kunst ist frei . « Dem Doktor war es , als hätte jemand mit der Zange nach seinem Herzen gegriffen . » Ich spielte bisher auf der Bühne meine Rollen und plötzlich wurde ich entlassen . Warum ? Weshalb ? « » Das kann ich Ihnen beantworten , lieber Herr Doktor , die Leute tun das ohne Grund , weil sie müssen . « Der Doktor war schwer verletzt . » Soll ich Ihnen eins versetzen ? Mich mußte man entlassen ? Tat ich nicht alles , was ich leisten konnte ?! « » Herr Doktor , Sie mißverstehen mich , die Leute mußten Sie entlassen , weil sie von Ihrer Kunst erdrückt wurden . « » Das ist aber eine Gemeinheit . Das Publikum zollte mir tagtäglich enthusiastischen Beifall . « Der Doktor ließ sich in einen Sessel fallen , er sank in sich zusammen . Hatte seine Direktion etwa doch recht gehabt , ihn aufs Trockene zu setzen ? War er bis jetzt in dem Wahn lebend , daß es eine Anerkennung gab , die wirklichen Wert hatte ? Die Schöpfer dieser Bilder , die vor ihm an der Wand hingen , verzichteten von Anfang an auf jede Anerkennung , und sie lebten doch . Denn wenn sie nicht gelebt hätten , so hätten sie keine Farbe mehr aufwenden können , um wieder neue unanerkannte Werke zu schaffen . Aber er war ja Schauspieler . Er konnte nur leben , wenn er spielte . Und er durfte nicht mehr spielen , man ließ ihn nicht mehr spielen . – » Aber von was soll ich denn leben ? « seufzte er . Ganswind erfüllte es mit sichtlicher Befriedigung , daß der schon einmal berühmt Gewesene nun bei ihm im Fauteuil lag und vor ihm klagte , zu ihm , den die Presse am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte . Er wußte genau , daß , sähe jemand von jenen Pressemenschen den Doktor hier bei ihm , dem Doktor sofort geholfen würde . So groß war die Feindschaft , aber auch so gefürchtet der Taifun . Ganswind zog jetzt die Stirn finster zusammen . Er durfte diesen Mann nicht ohne Hilfe lassen . Er ging aus dem Zimmer . Und der Doktor lag zerknirscht , einsam , zwischen den Ölen . Hatte er sich mit dem Schritte in den Taifun etwas vergeben ? War es ein Unsinn gewesen ? Oder der Anfang einer neuen Zukunft ? Er gestand sich offen , daß er zu den Bildern an den Wänden in keinerlei subjektivem Verhältnisse stand . Er hielt sie für Unsinn . Seine eigene Kunst benutzte ja den Boden der Wirklichkeit . Und wie es schien , gehörte er gar nicht in diese Umgebung . Verkettete etwa rein die Tatsache der Verkennung ihn mit diesen Leuten ? Vielleicht . Gewiß aber gab es eine Scheidelinie , wo sich verrückt und nicht verrückt trennten . Und alle , die verrückt waren , sammelten sich im Taifun . Fast schämte er sich , daß er hier war . Aber wenn er dann die Menschen vor seine Augen stellte , die er bis jetzt gesehen hatte , so glaubte er ihnen doch ein bitteres Unrecht anzutun , wenn er sie für verrückt erklärte . Am besten war 's für ihn , er war es selbst . Ohne daß er es bis jetzt gewußt hatte . Denn es gefiel ihm hier . Alles , was er sah , wirkte anregend . Und die Einrichtung des Teesalons war ganz bezaubernd gewesen ! Einen Fluchtgedanken schlug er aus dem Sinn . Er hatte den Schritt hierher getan , nun wollte er auch alle Folgen tragen und erleben . Er saß nicht lange allein , da kam Hermione zu ihm herein . Er scheute sich mit ihr zu reden , weil er ihre ganze Erscheinung für sehr anspruchsvoll in der Liebe hielt . Wenn er mit ihr geredet hätte , so hätte er sie auch lieben müssen . Dazu war er zu faul . Liebesabenteuer hätten ihn ja vollständig aus ihm selbst gerissen , und er fürchtete , daß er mit seinen zweiundvierzig Jahren nicht mehr genügend Phantasie dazu hatte . Nichts war ihm also peinlicher , als daß sie mit ihm allein im Zimmer saß . Sie lächelte ihn aufmunternd an , und er fürchtete sich doch , das Lächeln zu verstehen . Er konnte nicht lieben , ohne von der Leidenschaft hingerissen zu werden . Aber gerade die Leidenschaft war ihm verekelt . Er sah mit scheuen Blicken zu der schönen Erscheinung hinüber , ein voller offener Blick hätte ihn hochgetrieben . Und sie war gewiß verheiratet . Konnte er nicht in den ihm unbekannten Verhältnissen einen Skandal durch ein zu kühnes Benehmen erzeugen ? Oder beleidigte er , wenn er so nüchtern blieb und nicht aggressiv wurde ? Nachdem sie eine Weile vergeblich bei ihm gesessen hatte , ging sie wieder . War es denn ein durch die Dekoration der Kunst vertuschter Tempel einer Göttin , der hier geopfert werden sollte ? Seine Gedanken waren alles , nur nicht keusch . Sie gefiel ihm , aber er wagte nicht . Und hätte er gewagt , so hätte er sich gewiß schämen müssen . Da trat ein neuer Gast bei ihm ein . Ein Herr mit weißem Knebelbart . Polizeirat Löwe . Jetzt war er in eine Falle geraten . Der Doktor erschrak . Er wußte nicht , ob er » freut mich sehr , Sie kennen zu lernen , « sagen durfte , oder ob er sich als weltgewandter bewies , wenn er ihm sagte » ich verbitte mir Ihre Annäherung « . Er hatte zwar nichts mehr angestellt seit seinem Erlebnis auf dem Ottilienberg , wo er als zwanzigjähriger Jüngling gerade dabei war , sein Stelldichein in ein Kornfeld zu legen , und der Flurschütze mit dem Notizbuch kam , ihn nicht einmal beendigen ließ , sondern beide roh auseinanderriß wie zwei Maikäfer . Damals schämte er sich für zwei , vor dem Schulzen zu stehen und bezahlte deshalb auch Marie Holzhausens Strafe . Warum fiel ihm gleich diese Geschichte ein ? Hatte der Polizeirat seine unkeuschen Gedanken gewittert ? Oder war es hier umgekehrt als zur Jünglingszeit ? Jetzt gab es Strafmandate , wenn man die Liebe nicht ins Gras legte ? Als sich der Polizeirat vorstellte , fiel es dem Doktor nicht ein , gleichfalls seinen Namen zu nennen , sondern er sagte : » Ich bin es nicht . « Darüber war der Neugekommene offenbar verschnupft , denn er trat wie ein vor die Brust Gestoßener zwei Schritte zurück , kriegte einen gickersroten Kopf und schüttelte sein rotes Haupt , über das eine graue Haarsträhne wie eine Hahnenfeder mitten hinweg lief . Bereits auch hier ein Feind , dachte der Doktor . Wie konnte er aber auch ahnen , daß ein Polizeirat Mitgerissener im Taifun war ?! Oder ging er als geheime Sittenaufsicht durch die verwickelten Räume ? Ganswind und Hermione kamen jetzt küssend zurück . Sie schritt einen eigenartigen Tanzschritt und hielt das Händchen mit abgestütztem Ellbogen an des Mannes Mund . Dieser nahm die Hand mit Innigkeit , führte sie dicht an die Lippen und küßte sie mit zugespitzter Schnute . Hermione schritt dann auf den Polizeirat zu , reichte ihm die Hand und empfing auch von ihm einen Handkuß . Wie war wohl das Verhältnis dieses Polizeirats zum Taifun ? Offenbar freundschaftlich . Lag in seiner Person das große Geheimnis ? Der Doktor prüfte diesen Mann mit mißtrauischen Blicken . Hermione hing sich an des Polizeirats Arm und sagte scherzend : » Herr Polizeirat , was sagen Sie zu unserem neuen Müller ? « Sie meinte damit das neue Meisterwerk . » Dieser Müller ist etwas ganz Gigantisches , « antwortete der Polizeirat . Das find' ich auch . Und das Kätzchen mit seiner Zunge ? « » Das ist vollständig ethisch , denn sehen Sie doch den Mann an , welchen das Bild darstellt ; es ist gar kein Mensch ; denn wer trägt je den Kopf umgekehrt ?! « Mit einem wiehernden Lachen schlug Ganswind dem Polizeirat auf die Schulter . Und der Polizeirat war sichtlich zufrieden , daß man seine Ironie verstanden hatte . Er bereitete der strengen Zensur eine milde Urteilsmöglichkeit vor . Alles , was der Taifun in seine Sphäre zog und mit sich riß , war gesetzlich geschützt . Also war es kein Wunder , daß sich jede Kritik am Taifun stumpf rannte . Und wenn es das Schicksal aller bisherigen Apostel war , daß sie vom Taifun verschüttet wurden , und lauter Müller und Lehmanns zur Blüte kamen , so konnte auch Bäumler zum Baum wachsen , wenn er sich hingab . Und dieser Polizeirat war also ein überzeugter Verehrer der Ganswindschen Richtung ? Oder hatte die Gestalt Hermiones solche Zauberkraft ? Sie wendete sich ihm lachend zu : » Herr Doktor , es ist Ihnen wohl noch alles sehr fremd . Aber Sie müssen öfters kommen , dann werden Sie bekannt , und wenn Sie bekannt sind , dann ist alles ganz anders . Das ist es eben , was Ossi will , die Leute sollen selbst urteilen . Es ist doch nichts , wenn man den Leuten sagt : das ist die Kunst . Nein , das ist eben nicht die Kunst . Ossi kann es Ihnen noch viel besser sagen . « Der Doktor fing an zu zittern . Er stammelte in seiner Not endlich : » Ich wollte eigentlich heiraten . « Die drei brachen in ein gemeinsames Gelächter aus . Sie fanden den Doktor sehr komisch . » Wie kamen Sie denn nur darauf ? « frug der Polizeirat . Das Gelächter beleidigte den Doktor tief . Das waren also diese feinen Seelen der Kunst ?! Sie verstanden nicht , die Psychologie seines gescheiterten Daseins zu erkennen . Er gab keinerlei weitere Erklärung ab , sondern duckte sich zerknirscht zusammen . » Herr Doktor , es war durchaus nicht bös gemeint ; es kam nur so unvorbereitet . Ossi hat schon so vielen geholfen , allen , die zu ihm kamen ; bloß gerade um zu heiraten , das ist so komisch ; « Frau Ganswind mußte zu sehr lachen , als daß sie es ganz unterdrücken konnte . » Sie sollen heiraten ! « erklärte jetzt Ganswind kategorisch . » Sie machen mich auf einen Zweig der Kunst aufmerksam , dem ich bisher noch keine Beachtung geschenkt hatte . Es ist die Kunst der Heiratsvermittlung . Diesen Zweig werde ich sofort in Angriff nehmen . Und Sie werden sehen , Herr Doktor , daß Sie binnen viermalvierundzwanzig Stunden mindestens eine Braut haben werden . Abgemacht . « Er streckte dem Doktor seine Hand hin , welche dieser erleichtert ergriff . » Warum kamen Sie bloß nicht früher zu uns in den Taifun , Herr Doktor ? « fragte Ganswind weiter . » Ich hatte immer gedacht , ich könne mich noch halten , « war des Doktors zerknirschte Antwort . » Wären Sie früher gekommen , Herr Doktor , so wäre es Ihnen gelungen . Aber Sie sollen den Weg hierher nicht bereut haben . Der Taifun ist für alles wie ein unfehlbares Haarwasser . « Unwillkürlich griff der Doktor auf seinen dünnen , sehr graumelierten Scheitel . Er lächelte und richtete einen verschämt fragenden Blick auf Hermione , dann auf den Polizeirat . Dieser stand da und strich seinen weißen Bocksbart . Der Polizeirat meinte : » Es ist völlig berechtigt , daß jemand wie der Herr Doktor zum Heiraten den Taifun aufsucht , das gegenwärtig erste Kunstinstitut , denn wir glauben uns nicht zu täuschen , für Sie ist Heiraten wirklich die größte Kunst . « Mit einem traurigen Stimmchen seufzte der Doktor noch die Worte : » Ja , das wird wahr sein , ich zähle schon so viele Lenze und habe auch allen Mut verloren , « dann gab er zum Abschied die Hand , » auf Wiedersehen . « Während der Doktor bei Piccadilly seine Verzweiflungstat durch eine Magenspülung mit Chianti beschwichtigte , saß der Polizeirat noch lange bei Hermione und Ossi . Sie berieten , was sie von Dr. Bäumler zu halten hatten . Hermione war sehr für ihn . Er war nur zu bescheiden . » Du mußt ihn wieder zur Anerkennung bringen , Ossi , « befahl sie . » Du wirst es aber selbst vermuten , daß er durch eine reiche Heirat den Erfolg haben will , « entgegnete er . » Und aus dem Kreise des Taifun sie zu finden ! « – » Nichts einfacher als das ! « Der Polizeirat schlug beide Hände zusammen . » Die betreffenden Wahldamen müssen sich dem Taifun anschließen . « Jetzt hatte der Doktor promoviert . Oskar Ganswind nahm seinen runden Künstlerhut auf den Kopf , und Baby zog ihre Strohschute über den blonden Zopf , sie rannten und strebten , aßen und tranken bei Kempinski à conto der neuen Einnahmen , welche die Wahldamen zahlen mußten . Es war selbstverständlich , daß für den Zweck der Heirat gern mehrere Dutzend abgestandene Schönheiten sich im Taifun einführen ließen . Diese mußten auf die Kunstausstellung abonnieren , auf die Halbmonatsschrift des Taifun , sie mußten auch Bilder kaufen , sogar in interner Konkurrenz . Denn jede glaubte , sie würde durch großen Aufwand im Taifun , also auf dem Wege der Bestechung , ihrer Nebenbuhlerin um den Scheitel des berühmten Doktors obsiegen . Die Erregung in der Leitung des Taifun wurde gegen Mitternacht noch so heftig , daß sich Hermione von Ossi quälen lassen mußte , weil sie vielleicht versäumt hatte , mit dem Doktor genügend zu kokettieren . Er mußte ja wiederkommen , dieser Mensch hatte unbewußt einen neuen Schwung in die fegende Wucht des Taifun gebracht . Hermione zitterte um Mitternacht unter den musikalischen Schwingungen von Ossis Körper , und Ossi schnitt die komponierten Grimassen in die sterndunkle Nacht . Die Gehirne der Beiden pochten an den Zenith des Himmels , und der Taifun stürzte in dumpfer Wollust flugmüde zu Boden , wo er schlief und schnarchte , Ossi so laut wie ein Holzspälter und Hermione wie eine Hotelköchin . * * * Wer beim Anblick eines schlafenden Weibes noch an eine Göttin denkt , dem seien seine Sünden vergeben , denn solcher sündigte aus hellem Unverstand . So war der Doktor allmählich geworden , seit er durch den Flurschütz so schamverletzt worden war . Er war völlig ausgereift in seiner Weltbetrachtung . Das Lächerlichste war auf Erden eigentlich jegliche Anbetung und Verehrung anderer Menschen , sowie ihrer Götter . Götzendienst und Fetischismus waren voll tiefer Wahrheiten und voll Schönheit . Was er nicht gleich vom Taifun verstanden hatte , das begriff er jetzt , als er in seiner Junggesellenwohnung allein war . Wie mit Zungen und Händen kitzelten die geschauten Bilder seine Nerven . Es war ein Totemkultus , der in berückender Form den Weltstadtmenschen geschenkt wurde . Nur welche der geschauten Ungeheuerlichkeiten sollte er als sein Wahrzeichen annehmen ? Das Bild mit der leckenden Katzenzunge marterte ihn . Und wie von einem stechenden Kopfschmerz besessen , hantierte er in seiner Küche . Er wohnte seit dem zweiten Kriegsjahre in Stube und Küche , Gartenhaus einer ff. Gegend . Vom Unglück wurde er aber an diesem Tage dauernd verfolgt . Er zerschlug nicht weniger als zwei Einkochgläser , die er reinigen wollte , um Aprikosen zuzusetzen . Dann mahlte er mit der Kaffeemühle Graupen , um sie in den Brotteig zu mischen . Aber die Graupen gingen nicht durch die Mühle , weil die Körner nicht hart genug waren . Mit aller Kraftanstrengung drehte er die Kaffeemühle , welche er zwischen die Kniee geklemmt hielt . Da fiel ihm die Schublade mit dem Mehle heraus , und er schüttete das schweißtriefend gewonnene Mehl in die Fersen seiner Filzschuhe über die Strümpfe . Dieses vielfache Ungeschick alterierte ihn so , daß er sich an den Schreibtisch setzte und sein Testament schrieb . Wenn auch noch das Pech wirtschaftlichen Mißgeschicks seinem dürftigen Geldbeutel Schabernack zufügte , dann war es zum Heulen und Verzicht auf das bißchen Leben . Einer Frau wäre das wahrscheinlich nicht passiert . Und überhaupt , wenn er Geld hätte , so wäre alles ganz anders . Er malte sich das sonnigste Dasein aus mit einer Gattin , Dienstboten , mindestens sechs Zimmern , Heizung und Telephonanschluß nach einer Depositenkasse . Und dann , dann holten sie ihn gewiß wieder , und er wurde noch einmal und vielleicht erst jetzt die große Berühmtheit . Der Polizeirat traf zu Hause noch mit dem Hausfreunde zusammen . Er lebte in aufrichtiger Ehe , in der jedes dem anderen die Zweifel durch die Gewißheit verscheucht hatte . Ob er seine Kratzer beim Taifun verübte oder wo anders , war Frau Klothilde gleichgültig . Sie interessierte sich sehr für alles , was er von seinen Entdeckungsreisen nach Hause brachte , und sie ließ sich auch dann und wann zu den entdeckten Inseln und Wundern mitschleifen . Sie gab sich sogar dazu her , ihm Hilfsdienst zu leisten , wenn er sich etwas erobern wollte . So glich er einer Art Raubritter in der Liebe , und sie auf ein Haar Dido . » Ich habe Kopfweh , « trat er ein . » Das kommt davon , « erwiderte sie . » Quatsch , ich habe ein Bild gesehen von einem Menschen , dem der Kopf verkehrt auf der Halsstange steckt . Ich kann dir sagen , Klothilde , der Taifun erschöpft bald meine Fassungskraft . « » Du wirst doch nicht schon alt werden . « » Also , du willst es selbst haben , daß ich immer wieder hingehe ? Es wird jetzt ein Damenkonzern gebildet werden . « Das paßt ja für dich . « » Nun höre ! Du denkst an junge siebzehnjährige Mädchen . Das ginge schon , aber man braucht dazu bereits Kapitalwild . « » Ich bitte dich , in einer Viermillionenstadt werden sich doch mindestens gegen fünfzig junge Mädchen finden lassen , die bereits über Kapital frei verfügen können . Eventuell auch durch Vormünder . « » Das ist nicht ohne weiteres verantwortungsfähig . Ich schwöre zwar auf die Lorbeeren der Taifungesellschaft , aber zunächst wird sie noch als ein ganz windiges Unternehmen angesehen . Und ich möchte bei der nachher ausbrechenden Revolution nicht als ein Schieber in Frage kommen . « » Revolution ? « » Selbstverständlich , wenn von fünfzig Damen eine nur einen Mann kriegen soll und kann . Solange darum gelost wird , solange geht es , aber nachher , wenn die eine die Gewinnerin geworden ist , was dann ? « » Wenn es sich darum handelt . « Es entstand eine nachdenkliche Pause . » Darum ist es besser , man wendet sich an solche Individuen , die sich bereits an die Enttäuschungen des Sitzenbleibens sattsam gewöhnt haben . « » Welchem Herrn soll denn die Schur gelten ? « » Einem Schauspieler vom Passagetheater , Dr. jur. Alfred Bäumler . « Frau Polizeirat machte da plötzlich ein ganz verschmitztes Gesicht . Ihre scheinbar so hausbackene Erscheinung verklärte diese vergnügte Neugierde aufs reizvollste . » Ich will dir sagen , « sprach sie , » um einen Schauspieler würde ich mich selber noch gern daranwagen . « » Selbstverständlich , du darfst dich beteiligen . Der Taifun hofft darum auf eine rasche hohe Einnahme , weil eben diese Sensation groß ist . Ich bin dir sogar dankbar , wenn du ihn als Jungfrau mit umwirbst ; du kannst nachher den Taifun der Entrüstung , welcher nach der Verlobung ausbrechen wird , leicht niederschlagen . « » Und wenn der Schauspieler mich wählte ? « » Das wäre ein schreckliches Pech für mich . « Die Frau des Polizeirates ging eilends durch das Berliner Zimmer nach dem Schlafzimmer . Ihr Mann mußte vorn sein , um die Polizeiordonnanz abzufertigen . In der Abteilung für Paß- und Fremdenwesen war zur Zeit große Aufmerksamkeit nötig . Polizeirat Löwe arbeitete mit Vergnügen und Liebe . Auf morgen vormittag ließ er sich wieder eine ganze Kolonne interessanter Menschen persönlich vorstellen . Vielleicht rührte von seiner täglichen Berührung mit den absonderlichsten exotischen Wesen seine Neigung zu Neuerfindungen in der Kunst . Stand denn nicht manchem dieser Menschen der Kopf verkehrt auf dem Rumpf ? Und seit die ganze Welt im Kriegszustand lebte , fehlte die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen im Amte . Die Darbietungen des Taifun waren dem Abwechslung liebenden Manne Ersatz für den Kriegsverlust . Er befaßte sich seit langem mit eigener Dichtung . Es waren Couplets für die bunten Paare in Bars und Kabaretts und Tingeltangel . Sie waren nicht phantastisch , sondern urberlinerisch , von kräftiger Sprache und mokantem Witz . Sie behandelten eigentlich jene weitgereisten Herren und Damen , wie es ihnen , in die Umwelt Berlins verschlagen , erging . Er vergaß dabei , daß jene Menschen den Welterscheinungen ganz anders gegenüberstanden , als er . Sich selbst kam er wie ein Weltendurchstreifer vor , und er blieb trotz aller Exkursionen nach Afrika , Asien und Amerika ein enger Weltstädter . Vielleicht stand es um den Taifun ebenso . Es war eine gewisse Philisterhaftigkeit , daß sich sein Wirbelkreis für ausschließlich international hielt . Deswegen fanden allerdings die Verkannten ganz Europas in Berlin allein einen Unterschlupf . Das Ausland war in herrischem Bewußtsein stärker und ungläubiger gegenüber der Ausschließlichkeit einer Sache , ob sie nun Kunst hieß oder Technik . Und dann hatte der Krieg noch eine eigenartige Entwicklung gezeitigt . Die Zeitungen wimmelten von Inseraten , in denen Gemälde und Galerien zum Verkauf ausgeboten wurden . Es waren extra Kunstauktionshäuser entstanden , die mit riesenhaften Gewinnen Versteigerungen veranstalteten , Sammlungen von Schweizern und Holländern . Der Taifun überbot noch jene Auktionshäuser , indem er einfach die Erzeugnisse der Ausländer mit Beschlag belegte und seinem Besitze zuführte . Es gelang ihm dadurch , durch die freie Verfügung über teilweise seltene Werke , den Schein eines großen Reichtums vorzutäuschen , und die Preise solcher Besitzungen nach Belieben hochzuschrauben . Auf Einzelheiten und ganze Sammlungen fand er Kredit . Fast jedes halbe Jahr vergrößerte er seine Räume . Es war dem Polizeirat oft bedenklich zumute , ob er sich als Beamter so sehr in fremde private Angelegenheiten verwickeln durfte . Besonders das Nichtwissen , wie eigentlich der Taifun fundiert war , brachte ihm manche schlaflose Nacht . Er fürchtete fast stets den Krach , und daß er mit hineingezogen würde . Aber es ging ihm wie einem Spieler am Roulette , er kam nicht mehr davon weg . Hermione zog wie ein Magnet , und zahlreiche niedliche Elevinnen stachelten immer neu . Es stand sogar so schlimm um ihn , daß er oft mitten in Amtsgeschäften an seine Herzgrube fuhr , wenn ihm eine Erinnerung an irgendwelche Absonderlichkeit Sehnsucht und Heimweh erzeugte . So hing er jetzt den wonnesamsten Gedanken nach , wie er die Damen , welche auf den Doktor losgelassen wurden , selber anzog . Er besann sich krampfhaft auf alle möglichen und unmöglichen Gesellschaftskreise . Und gar manche einmal flüchtig gestreifte Unbekannte suchte er in seinem Gedächtnis zu ermitteln und festzustellen . Ganswind beherrschte solches Ermittlungsverfahren von Grund aus . Und fast mühelos gewann er vorher nie geahnte Verbindungen . Es war dem Polizeirat ganz unklar , wie er schon am nächsten Morgen nicht weniger als sechs Adressen im Fernsprecher erfuhr , wohin bereits am Nachmittag Einladungen ergehen würden . Die Tochter der Schwarzen Kreuzbrauerei war ihm sogar vorgestellt worden vor fünf Jahren , aber sie war ihm nicht eingefallen . Er erinnerte sich jetzt , daß es ein Fräulein war , welches mindestens einen Zentner und neunzig Pfund wog . Wie konnte denn dieser fast spinnendünne Mensch mit solchen Maltersäcken in ein Verhältnis treten ! Und er selber war als ehemaliger Husar auch mehr der leichten Reiterei zugetan . Er lachte in das Mikrophon , daß fast ein Bruch im Stromnetze entstand . Mit ungewöhnlicher Heiterkeit empfing er heute die vorgemerkten Fremden . Die Damen besah er sich natürlich gleich aufs genaueste . Er hatte gerade den Taschenkamm eingesteckt und wollte sich vor seinen Schreibtisch setzen , als im Gange draußen vor der Tür ein lautes gilfendes Geschrei vernehmbar wurde . Der Polizeirat lauschte . Es handelte sich offenbar um eine Katze . Lange blieb er auch nicht im Zweifel . Es krachte gegen seine Türe , dann gab es ein lautes Weinen und Jammern . Löwe schnellte empor und riß die Tür auf . Da bot sich seinen Augen ein fast bedauernswerter Anblick . Am Boden lag eine elegante Dame , und ein Schutzmann kniete über ihr . Zwischen beiden war ein weißer Pelz erkennbar , dessen Enden hüben und drüben von Dame und Schutzmann gehalten wurden . Um ihn schien sich die Balgerei entspannen zu haben . » Sie Grobian ! Sie verdammter Hund , Sie ! Sie werden mir meine Katze nicht entreißen ! « schrie die Dame . » Sie ordinäres Frauenzimmer , ich werde Ihnen die Katze in zwei Teile reißen , wenn Sie sie nicht hergeben . « C'est l' Allemagne ! Das ist Deutschland ! Gott , wie unüberlegt konnte ich handeln . Lassen Sie mir meine Katze , oder ich speie Ihnen ins Gesicht ! « » Wagen Sie's , dann erhalten Sie einen Faust schlag . « Jetzt schrie die Dame . » Er schlägt mich ! Man schlägt mich ! Hilfe ! Hilfe ! « » Sie dürfen nur die Katze hergeben . Sind Sie nicht so einsichtslos ! Die Katze ist in der Tierabteilung abzufertigen ! « » Ich will ja mit ihr dahin gehen . « » Das ist ausgeschlossen . Die Tierabteilung darf von einem Menschen keines Standes betreten werden . « Susanne war ordentlich naß geworden von dem eifrigen , speichelreichen Wortschwall des Wachtmeisters . Ihre Kraft begann nachzulassen . Und es kam ihr so vor , als wäre Kätzi bereits der Halswirbel ausgerenkt . Ihrer Alteration gab sie nur noch in einem heftigen Weinkrampfe Luft . Der Wachtmeister stand auf , hatte die Katze in den Armen und wischte sich den Schweiß ab . » Was einem doch die Damen für Schweißtropfen auspressen ! « Der Polizeirat hob mit einem hinzugekommenen Gehilfen des Zimmers 59 die Dame vom Boden auf . Dem Polizeirat bebte sein weißer Haarhahn , und mit einem auffressenden Blicke verzehrte er das entzückende Kind . Er sprach : » Gnädiges Fräulein , Sie haben auf Deutschland geschimpft , es ist das eine ziemlich gewohnte Regel ; aber nachdem Sie in meinen Armen gelegen haben , schwöre ich , kein entzückenderes Wesen je auf Händen getragen zu haben . « » Was wird mit Kätzi ? « unterbrach ihn die Dame . » Aber welch süßes Tier ! Das Ebenbild jener Katze hinter dem verkehrten Menschen . Ob Sie mich zwar verstehen werden , weiß ich nicht . Doch soviel mir das Ressort vertraut ist , Sie werden es in längstens einer Viertelstunde wiederschauen . Sie sind eine Fremde , Sie müssen sogar bei mir hier eintreten . Und ganz gegen meinen gewohnten amtlichen Verkehr bitte ich Sie , mich nur eines Blickes aus Ihren schönen Augen zu würdigen . « Polizeirat Löwe war ganz hingerissen . Als ihn der euphorbische Blick aus den Tränenaugen traf , war es , als spränge in ihm eine Sprungfeder in die Höhe . Er krümmte sich ein paarmal , und dann schlug er sich an die Stirn , taumelte auf seinen Strohsessel zu und schlug mit der Faust auf den Tisch , daß das Tintenfaß hochhüpfte . Und fast mürrisch verstimmt über sein Lebenslos setzte er hinzu . » Ich bitte um Ihren Paß . « Die Dame stand aber noch unter der Tür und blickte ihrer Katze nach , welche der Wachtmeister in das Kellergewölbe trug , wo sie mit Röntgenstrahlen auf ihren Inhalt untersucht wurde , daß ja kein Spionageverdacht an dem Vieh war . Es war eigentlich eine Art Entlausung vom Gefühle der Unsicherheit . Dort unten heulten verschiedene noch nicht abgeholte Hunde . Kätzi standen die Haare zu Berg in dieser Folterkammer . Aber der Wachtmeister ging derart liebevoll mit ihr um , daß sie über dem vorsichtigen Bedacht seiner Handlungen endlich selbst lachen mußte . Ehe die Katze wieder zurückgebracht war , vermochte die Dame kaum Auskunft zu geben und die gestellten Fragen zu beantworten . Dem Polizeirat waren die Fragen , die er stellen mußte , höllisch zuwider ; nach jeder Frage schlug er auf den Tisch und wand sich wie ein kiemenentzündeter Fisch . Er wollte damit zeigen , daß er ja viel lieber Liebesbeteuerungen ausgestoßen hätte , als eine bureaukratische Verhandlung zu führen . » Also Sie heißen Susanne Flaubert , reisen mit einem kleinen Vermögen , einer Katze und einem Dienstboten namens Käterchen . Warum haben Sie die nicht mit hierhergebracht ? « » Sie mietet mir ein Logis . « » Das Fragezeichen hinter ihrem Namen sollte für mich ein Zeichen sein , daß ich hier eine vorsichtige Untersuchung über die Personalien Ihres Dienstboten anstellen möchte . « Sie ist eine Schwarzwälderin . « » Ja , das seh ich schon . Aber nun , mein Fräulein , wollen wir keine langen Erörterungen darüber beginnen . Es ist eine weit wichtigere Anfrage , die ich an Sie , gnädiges Fräulein , habe . « Er stand dabei auf und sah ihr wie ein Sperber in die Augen . Er fuhr dann fort : » Ich habe Sie nicht ohne eine gewisse Teilnahme am Boden liegen sehen – « » Ich würde mich gegen diese empörende Behandlung auflehnen , wenn ich nicht fürchtete , dann nur als lästige Person ausgewiesen zu werden , « entgegnete Susanne in aufbegehrendem Tone . » Sie sollten mich reden lassen , meine Schöne . Sie haben ein rasch aufzüngelndes Feuer der Liebe in mir entfacht . Ich durfte Sie in den Armen halten , als ich Sie aufhob . Würden Sie mir einen Besuch gestatten , um mich für das Vorgehen des Beamten persönlich zu entschuldigen – . « Susanne sah ihn kühn an und stellte sich auf hohe Absätze vor ihm . » Sie sind verheiratet , mein Herr – . « » Gewiß , aber meine Frau läßt mir fast völlige Freiheit . « » Sie müssen sehr wenig wert sein . « » Mein Fräulein ! « Der Polizeirat sah sie mit so bittenden und verlegen lachenden Augen an , daß Susanne husten mußte . Sie war verwirrt , dann aber besann sie sich : Herr Gott , du bist ja auf einem Polizeibureau . Gehe nicht in die Falle ! Sie wich vor ihm zurück , indem sie der Tür näher trat . Der Polizeirat hatte aber gleich ihre Gedanken von der Stirn abgelesen . Er entwickelte sofort einen neuen Film . » Meine Dame , es ist ein unerlaubtes persönliches Interesse , das ich an Ihnen nehme . Sie sind Kunststudierende . Und ich bin ein Dichter . « Er gab sich einen stolzen Ruck und stand gravitätisch vor ihr . » Ich muß darin einen großen Gegensatz empfinden , « lächelte Susanne . Sie wollte den Bemühungen des Helden , der um sie warb , jede Aussicht auf Erfolg nehmen . » Meine Dame , ich muß Ihnen mehr enthüllen , Sie werden bei Ihren Studienreisen durch Berlin auch dem berühmten Salon des Taifun begegnen . Dort dürfen Sie nicht hingehen . Ich möchte Ihre künstlerische Entwicklung in meine eigenen Hände nehmen . « » Wie kommen Sie auf solch väterliche Ideen ? « Es war dem Polizeirat unangenehm , daß sie » väterlich « sagte . Er wollte sich als Freund aufspielen . Entzückt war er von ihr wie von einem seltenen Vogel . Wie konnte er ihr denn hier auf dem Bureau die ganzen Zusammenhänge erklären ! Er war in Todesangst , das Vögelchen könnte ihm entflattern . Der Taifun fing sie ein und opferte sie an den Doktor , den er in seiner Seele nicht leiden mochte . Was sollte er jetzt antworten ? » Sie reisen nur mit einem kleinen Vermögen ? « Aha , dachte Susanne . Er meint es ernst . Jetzt mußte sie schwindeln . » Oh , mein Vermögen ist klein , vielleicht aber nur nach meinen Begriffen ; ich besitze große Liegenschaften , darunter ein herrliches Anwesen an der Aisne , mit schönem , achtzig Morgen großem Park , Wiesen und Feldern , sowie einem idyllischen Landhaus . Ich werde in Berlin auf eigenen Füßen leben können . « Es war rump und stump erlogen , daß sie ein Landhaus besaß . Aber der Polizeirat wurde durch diesen kalten Strahl steif gemacht . Da hatte er sich also getäuscht . Und nun hatte er eine große Dummheit gemacht . Er hatte sie extra auf den Taifun aufmerksam gemacht . Schon sah er sie mit dem Doktor vereinigt . Und er war ewig an seine Alte gefesselt . Er überlegte , starrte einige Sekunden durch das Fenster . Und wie dumm das ! Er hatte ihr gesagt , sie solle nicht in den Taifun hingehen . Das hätte Ganswind nicht wissen dürfen . Und nun ging sie natürlich bloß in den Taifun . Na . Das waren alberne Grübeleien . Nicht für einen Weltmenschen . Wie sie dort hinkam , war gleichgültig . Ganswind hätte sie mit seinem feinen Spürsinn sowieso geködert . Sein Herz schlug aufgeregt bei dem Gedanken , wie das Fräulein nachher erschrecken würde , wenn sie dann im Taifun wieder zusammentrafen . Er lachte und sah die Kunstschülerin mit Hohn an . Dieses höhnische Lachen machte Susanne nicht mehr unsicher . Sie wußte , daß sie das unerlaubte persönliche Interesse los war . Und nun kam auch der Schutzmann mit Kätzi zurück . Mit einem tanzenden Jubelschritt stürzte sie ihm entgegen , » Kätzi ! « Sie küßten dann einander die Rosamündchen und schlüpften ineinander . » So , nun können Sie 's wieder mitnehmen , « sprach der Wachtmeister und schlurfte mit schweren Elefantentritten den Flur entlang . In diesem Manne lag so etwas Gutmütiges , und es tat Susanne fast leid , daß sie ihn durch ihren Widerstand gereizt hatte . War ihr Benehmen nicht diesem höheren Beamten gegenüber noch frivoler ? Sie war eigentlich arm wie eine Kirchenmaus . Und es war ihr von Brüssel her bekannt , daß Damen ihrer Art oft recht gute Verhältnisse mit solchen Organen des Staatswesens gehabt hatten . Sie verglich diesen Beamten mit ihrem Kapitän . Offen gestanden war sein einziger Fehler , daß er ein bißchen wild aussah . Seine männlichen Qualitäten schienen eher verheißungsvoll . Konnte sie überhaupt ohne weiteres davonlaufen ? Nein , so selbstbewußt war sie nicht . Sie lächelte mit Kätzi auf dem Arm dem Manne noch einmal freundlich zu und wartete auf seine Anrede . Er tat aber nicht dergleichen , sondern setzte sich mit mürrischer Miene in scheinbarer Geschäftsvertiefung an seinen Schreibtisch . Polizeirat Löwe merkte die Verlegenheit der Dame wohl ; ein schlaues verschmitztes Lachen verbarg er in seinen Mundwinkeln . Susanne versuchte den Eindruck ihres Wartens zu verwischen , sie strich immer wieder über die Falten ihres Seidenkleides , dann ging sie endlich und verneigte sich stumm . Sie war eigentlich töricht gewesen , sich nicht auf das angebotene Abenteuer einzulassen . Dieser Mann hätte sie in sichere und vorteilhafte Beziehungen zu bevorzugten Genüssen gebracht . Wenn er solch ein Strolch und Vagabund war , daß ihn seine Frau einfach wild laufen ließ , so hätte sie ihn vielleicht als Tanzbären benutzen können . Aber sie war ja noch keine versteinerte Matrone , sondern leichtfüßig , und mit neugierigen Augen strich sie durch die Weltstadt , die eigentlich einem getretenen Tiere glich , das immerzu aufschrie . Sie vergaß den Polizeibeamten um so leichter , als sie bald erkannte , daß eine fremde Stadt keine Sehenswürdigkeit war , sondern sie mit ihrer weißen Katze . Die Welt war etwas sehr Kleines . Was zog denn die vielen Millionen hier zusammen ? Doch nicht des Ortes innere Fruchtbarkeit an Wundern . Sie wollten alle Berlin bewundern , und sahen sich alle nur an wie Mondkälber . Eine Katze , die draußen auf dem Dorfe in der Sonne lag , war eben gar nichts gegenüber einer solchen , welche eine Dame mit Reiher durch die Straßen trägt , zu Fuß oder im Auto fahrend . Wie sollte sie nun hier Verbindungen mit den Verborgenheiten gewinnen ? Darauf kam es an , wenn man Anspruch darauf erheben wollte , kein vulgärer Mensch zu sein . Susanne bildete sich ein , zur Auslese zu gehören . An sogenannte Innerlichkeiten ohne äußerlichen Auftrumpf glaubte sie nicht . In gewissem Sinne bestand eine Berechtigung zu diesem Unglauben . Wie sollte sich ein Mensch ohne äußeren Anreiz auf dem Wege der Phantasie bewegen können ? Leider hatte sie den Namen des Salons vergessen , wo sie nicht hingehen sollte . Sie war im Teeraum des Hotels Olymp mit einem Lederwarenfabrikanten ins Gespräch gekommen . Er hatte Lust , seinen Kriegsgewinn mit ihr zu verkleinern . Sie ging bis um acht Uhr darauf ein . Dem Chauffeur wurde die Katze auf drei Stunden in Pension gegeben . Von dieser flüchtigen Bekanntschaft hatte sie manchen Gewinn , die Namen aller Weinstuben waren ihm geläufig , auch mancher Kunstsalon , aber jener Name war nicht darunter . Mit einer nervösen Hast trennte sie sich von ihm ; sie fürchtete , Zeit zu verlieren . Sie mußte den ausgefallenen Namen auf andere Weise zurückerobern . Der Lederfabrikant war froh , eine weitere Nummer auf einer Ansichtskarte in Poesie bringen zu können . Auf acht Uhr war Käterchen herbestellt . Sie war aber noch nicht da . Eine halbe Stunde später kam sie . Sie hatte einen Onkel und eine Tante getroffen . Und eine ganz neue , noch nie bewohnt gewesene Zweizimmerwohnung hatte sie ausfindig gemacht . Ganz außer Atem war sie von ihrer Schilderung . Eine Badestube mit Wanne und Sitzbad , aus Marmor . Ohne das Ungeziefer , das sie in Brüssel gehabt hatten . » Aber wo ist Kätzi ? « Susanne stürzte in den Fahrstuhl und erwischte sie gerade noch vom Chauffeur , ehe er loskurbelte . Während Käterchen die fünf Minuten allein saß , blieb sie nicht untätig , sondern übergoß sich mit der Parfümflasche der Herrin . Damit ging der Gestank von der Destille ein bißchen weg von ihr . Susanne kam zurück . Und Kätzi nieste sofort wegen der Parfümflasche . » So 'ne dumme Sau , « dachte Käterchen , » ich werde mir noch parfümieren dürfen . « Sie sprach bereits in neuer Mundart . Bis jetzt hatte sie sich parfümiert , und schon von heute an parfümierte sie ihr . » Sau ! Käterchen . « Das ging so geschwind wie der Blitz ; in demselben Atemzug frug Susanne : » Wo liegt diese Wohnung ? « » Im Westen . « » Bist du nobel ! Woher weißt du schon , was der feine Stadtteil ist ? « Es steht ja überall dran : Nach dem Westen . « » Also die Wohnung ist beziehbar ? « » Fein fein . Bayernallee 193 , im Garten . Er ist aber aus lauter Pflastersteinen mit bloß zwei Lebensbäumen . « » Komm mit ! « Susanne war rührsam wie ein Teufel . » Wenn ich das nicht selbst sehe , so ziehen wir auf einen Friedhof . « » Ich habe es ja fest gemacht , gnädiges Fräulein ! « Käterchen heulte beinahe vor Angst . » Wenn es nichts ganz Feines ist , dann fahre ich auf acht Tage nach Breslau mit einem Lederfabrikanten . « Im Vorüberschießen sah Susanne im Vestibül des Hotels ein Verzeichnis aller Sehenswürdigkeiten . Das studierte sie ; Käterchen mußte die Katze halten . Der gesuchte Name war nicht darunter . Sollte sie noch einmal morgen auf die Abteilung V gehen ? Sie erschrak ; an dem Auto , in das sie einstieg , stand ein Schutzmann mit brauner Revolvertasche . Er sah sie vom Hut bis zur Stiefelspitze an . Dann hielt er noch die Ohren hin , wo man hinfuhr . Zum ersten Mal ging 's durch den Tiergarten , er erschien wie ein Wald . Susanne bekam einiges Vertrauen . Und Bayernallee 193 wurde Käterchen mit einer innigen Umarmung belohnt . Käterchen liefen große Tränen über die Wangen , sie hatte sich ja so gemein machen müssen , um das zu finden . Man hatte sie zu einem nackigen Frauenzimmer hochgenommen ; sie hätte gar nie geglaubt , daß die so eine feine Dependance hatte . Wo sie heute schon herumgekommen war , davon hatte ja das Fräulein keinen blassen Schimmer ! Gegenüber dem Elefantenhaus hatte sie schon einmal auf die Kamele geschaut ; aber dort hatte es zu sehr gerochen , sagten sie in der Budike . Susanne rührte keinen Finger krumm , bis Käterchen mit allem fertig war . Vorerst wohnte das Fräulein weiter im Hotel , bis die Möbel kamen . Und Käterchen bei Onkel und Tante , die eine Südfruchthandlung besaßen , in der sie seit einigen Monaten einen Weinschank eingerichtet hatten . Wie sie plötzlich zu diesen Verwandten gekommen war , konnte Käterchen so wenig angeben , als Susanne die Herkunft ihres Landhauses . Käterchen hörte auch heute zum erstenmal davon . » Hier ist es so fein wie in meinem Landhaus ! « hatte das Fräulein ausgerufen . Recht ungeschickt war jetzt Kätzi . Überall war sie im Wege . Schon am nächsten Morgen wurde Susanne in aller Form gebeten , das Hotel zu verlassen : die Gäste beschwerten sich über die Katze . » Das sind Affen ! diese Menschen ! « schrie Susanne . » Und so kleinlich wie auf dem Dorfe . « Das wollte Käterchen nicht zugeben .