1 Ja , nun sind Sie wieder fort , lieber Freund – Sie fehlen mir sehr , und ich denke mit einiger Wehmut an unser Beisammensein , vor allem an unsere › Teegespräche ‹ zurück . Es war doch recht hübsch , wenn wir uns aus Regen und Wind in den Tea-room flüchteten und jedesmal Angst hatten , ob unser Kaminplatz auch frei sein würde . Wenn wir anderswo sitzen mußten , waren wir eigentlich immer melancholisch . Man wurde auf einmal gewahr , daß die Welt recht ungemütlich sein kann , und wurde selbst ungemütlich . Sie , lieber Doktor , in erster Linie – oh , Sie konnten sehr ungemütlich sein , wenn Sie anfingen , › es ‹ ernsthaft zu nehmen und mir die Seele aus dem Leibe herauszufragen . Ich weiß schon – gescheite Männer können das manchmal nicht lassen , aber es ist eine üble Angewohnheit , und ich glaube , sie ist schuld daran , daß man so oft die Dummen vorzieht . Und das könnt Ihr dann wieder nicht begreifen . Lieber Gott , ich denke ja auch manchmal nach , aber es ist immer ungemütlich . Und nun erst zu Zweien – davon bekommt man regelmäßig eine Art moralischen Kater . Sie dürfen mir jetzt auch brieflich nicht zu seriös werden und mich nicht wieder als › Problem ‹ behandeln – ich bin keines – , sonst prophezeie ich unserer Korrespondenz einen frühen Tod . Einstweilen bin ich noch recht schreibselig aufgelegt , es ist gar so fad , allein in einer fremden Stadt zu sitzen , wenn es regnet , ununterbrochen regnet . Das vielbesprochene Abenteuer , dem ich mein Hiersein verdanke , ist zu Ende . Es lag ja schon in den letzten Zügen , als Sie herkamen . Sie waren wohl etwas mit schuld daran – er wurde mir so langweilig , er war auch wirklich und wahrhaftig langweilig , aber im Anfang habe ich es nicht so gemerkt . Mit Ihnen konnte ich mich jedenfalls viel besser unterhalten . Wenn ich mit › ihm ‹ drei Stunden hier am Kamin sitzen sollte – du liebe Zeit – ich wäre einfach zersprungen . Ich habe ihn auch nie mit hergenommen , aus Pietät für Sie – in solchen Dingen bin ich sehr pietätvoll , Sie können ganz zufrieden sein . Also , er ist fort – zu seiner Frau und seinen Kindern . Lächeln Sie nicht so niederträchtig , ich kann doch nichts dafür , daß alle möglichen Leute Frau und Kinder haben . Man darf schon froh sein , wenn sie sich nicht scheiden lassen wollen , um einem › fürs Leben anzugehören ‹ . Davor habe ich schon in frühen Jugendjahren einen nachhaltigen Schrecken bekommen . Da wollte einer mit mir durchgehen , der sechs Kinder hatte und natürlich auch eine Frau . Er sagte mir , ich sei eine Sphinx und er selbst ein Schurke – und das machte mir tiefen Eindruck – ich war noch so ganz dumm . Die große Szene spielte sich in einem Büro ab , und ich hatte das Gefühl , man könne doch eigentlich nicht nein sagen , wenn es so dramatisch herginge . Die Sphinx wirkte wie eine Verpflichtung zu irgend etwas Ungeheuerlichem . – Aber schließlich löste ich mich in Tränen auf und sagte doch nein . Wir sind uns nachher noch oft auf der Straße begegnet , haben aber nie wieder miteinander gesprochen . Er hat mich nur stumm und leidenschaftlich angesehen . Das war eigentlich recht guter Stil , er bekam dadurch eine Art Nimbus für mich , und ich verzieh ihm die sechs Kinder , die mich erst so entsetzt hatten . Aber denken Sie nur , wenn ich damals Romantik und schauervolle Wirklichkeit verwechselt hätte , wie es mir leider späterhin noch manchmal passiert ist . . . Nein , ich war meinem Abenteurer hier in der Regenstadt von Herzen dankbar , daß er nicht zum Schurken werden wollte und ruhig heimfuhr . Er hoffte allerdings auf Fortsetzung , aber ich bin nicht dafür . Fortsetzung mit verheirateten Männern ist überhaupt nichts Rechtes , ich hab' das Ausleihen niemals gerne gehabt . Es ist gerade so , wie wenn man sich von Freundinnen einen Mantel oder Pelz leiht – dann gefällt er mir , kleidet mich besonders gut , und ich ärgere mich , wenn ich ihn zurückgeben soll . Man kann es auch vergessen oder etwas daran ruinieren , und dann ärgert sich die Freundin . Es gibt immer leicht Unannehmlichkeiten für beide Teile . Übrigens habe ich gar nicht erst versucht , ihm das zu erklären , es ist unpraktisch , sich mit dem objet aime über diese Fragen zu unterhalten . Ich finde es viel hübscher , wenn er sich bei der Heimreise auf ein Wiedersehen freut . Und Sie ? – Sie können es sicher immer noch nicht begreifen , daß ich mich in ein objet verlieben kann , aus dem ich mir im Grunde gar nichts mache , mit dem man sich nach zwei , drei Stunden zu Tode langweilt und nie im Leben ein richtiges Teegespräch führen könnte . Aber Sie dürfen eigentlich ganz damit einverstanden sein , ich meine , es hat sich doch immer alles aufs schönste ergänzt . Mir schien auch , daß Sie sich in Ihrer diesmaligen Rolle als › Konversationsliebe ‹ ganz wohl fühlten . Zu Ihnen flüchtete ich mich immer wieder , wenn er gar zu stumpfsinnig wurde . Nur , wenn wir einmal unseren richtigen Platz nicht bekamen und Sie , fern vom Kamin , zu tiefgründig waren – dann bekam ich wieder Sehnsucht nach ihm und stahl mich ans Telefon . Zum Beispiel , als Sie verlangten , ich sollte Hölderlins Hyperion lesen – oder wollen Sie immer noch nicht zugeben , daß Ihr Ansinnen deplaciert war ? Im Süden und wenn man gerade romantisch aufgelegt ist – mit Vergnügen . Aber bei dem Regen und unter diesen Umständen – ich hab 's ja versucht , aber das einzige , was mir Eindruck machte , war die Stelle : » Guter Junge ! es regnet . « Und das gab meine Empfindungen so erschöpfend wieder , daß ich ganz glücklich war . Aber ich glaube , das haben weder Sie noch er begriffen . Denken Sie darüber nach , lieber Freund , und leben Sie für heute recht wohl . 2 Ich fürchte , ich werde mich nie daran gewöhnen , meine Briefe zu datieren . Tue ich es einmal , weil ich denke , es müßte sein , so ist das Datum gewöhnlich falsch . Man weiß es gerade nicht , hat keine Lust erst nachzusehen und schreibt irgendein beliebiges hin , weil es doch ganz gleichgültig ist , ob mein Brief am dritten oder am zehnten November geschrieben wurde . Ich datiere eigentlich nur , wenn ich einen Brief verbummelt habe und meine Nachlässigkeit beschönigen will . Und dann schreibt man natürlich absichtlich ein falsches Datum . Ich halte das , wie so viele kleine Lügen , für eine liebenswürdige Rücksicht , durch die man anderen ein ärgerliches Gefühl erspart . Bei den ersten Jugendlieben schrieb ich immer ein pathetisches Datum : sieben Uhr morgens – die Vögel zwitschern schon vor meinem Fenster ; – ob sie wirklich zwitscherten , weiß ich heute nicht mehr zu sagen , aber es machte sich so hübsch . Oder : Mitternacht – meine Tante ist schon schlafen gegangen . . . Soll ich das bei Ihnen auch so machen ? Etwa : zwei Uhr früh – eben geht er die Treppe hinunter – die Stufen knarren , und es wäre mir sehr peinlich , wenn man ihn hörte . Sie würden natürlich gleich alles mögliche wissen wollen : wer denn ? – und wieso ? – und was gefällt Ihnen nun schon wieder an diesem Menschen ? Ich hab 's ja gleich gewußt , o Freund meiner Seele , als Ihr Brief kam . Gleich gewußt , daß Sie Ihr Steckenpferd – man könnte es allmählich wohl eher als Streitroß bezeichnen – wieder gehörig tummeln würden . Kann man Sie denn immer noch nicht davon kurieren ? Sind wieder einmal alle Teegespräche und alle Demonstrationen am lebenden Objekt umsonst gewesen ? Ich fürchte : Ja – Sie werden stets von neuem beklagen , daß gerade die Frauen , die man am meisten schätzt , so › furchtbar wahllos ‹ sind . – Und ich habe gar keine Lust , Ihnen immer wieder etwas vorzuleben , damit Sie zur Einsicht kommen . Ich müßte mich denn zur Abwechselung einmal nach Ihrem Geschmack richten , und das – nein , das ist zuviel verlangt . Übrigens behauptet fast jeder Mann , man sei wahllos . Der eine begreift nicht , daß man sich in einen Friseurtypus oder Tenor verlieben kann , und würde Naturburschen verzeihlicher finden . Der andere hat keine Auffassung dafür , daß exotischer Typ und gebrochenes Deutsch zu den unwiderstehlichen Attraktionen gehören . Nun – das wenigstens haben Sie mir ja manchmal nachfühlen können . Aber für › Paul ‹ hatten Sie kein Verständnis – gar keines . Sie fanden es nicht recht der Mühe wert , daß ich seinetwegen hierher fuhr , daß Sie Ihr eigenes Reiseprogramm umstürzen und wir beide vierzehn Tage im Regen herumlaufen mußten . Es tut mir leid , aber ich muß bei dem Gedanken so lachen , daß meine Teenachbarn mich eben ganz erstaunt ansehen . Ja , Paul – Paul war in diesem Fall nur ein Sammelname . Er hieß gar nicht Paul – er war es nur . Es gibt eine bestimmte Art von Erlebnis , das ich Paul nenne , aus dankbarer Erinnerung an seinen ersten Vertreter . Ich meinte auch , ich hätte Ihnen das schon einmal erklärt , aber Sie haben es anscheinend nicht ganz begriffen . Paul ist eine Begebenheit , die immer von Zeit zu Zeit wiederkehrt . Nicht etwa , weil sie besonders tiefen Eindruck gemacht hätte – im Gegenteil , Paul ist immer etwas Lustiges , Belangloses , ohne Bedenken und ohne Konsequenzen . Aber er kommt immer wieder , wenn auch jedesmal in etwas veränderter Form und Gestalt . Paul kann alles mögliche sein , verheiratet oder Junggeselle , Leutnant , Ingenieur , junger Arzt , Afrikareisender – es kommt auch vor , daß er gar keinen Beruf hat . Manchmal ist er auch › drüben ‹ geboren , dann nennt er sich Pablo und rollt das R – vorausgesetzt , daß der Vorname stimmt , was merkwürdigerweise oft , aber natürlich nicht immer der Fall ist . Man lernt ihn in Sommerfrischen , in Hotels und auf Reisen kennen ; an einem festen Wohnort – nein , ich glaube kaum , höchstens wenn er sich vorübergehend dort aufhält . Zu Paul gehören immer Koffer und Kellner , irgendeine momentane und geräuschvolle Umgebung . Man erkennt ihn auf den ersten Blick , wenn er einem im Coupe gegenübersitzt oder in ein Hotel hereinkommt , weiß sofort : das ist Paul . Es dauert auch nie sehr lange , bis man sich kennt , duzt ( mit Paul muß man sich duzen , es geht nicht anders ) und ganz genau weiß , wie sich nun alles entwickeln wird . Ich habe mir auch angewöhnt , ihn immer so zu nennen . Wenn ich das erstemal sage : du , Paul – so ist er sehr erstaunt und fragt , mit wem ich ihn jetzt verwechselt habe . – Nun , mit Paul natürlich – und dann bleibt es dabei . Ich hüte mich wohl , ihn aufzuklären , daß es in Wirklichkeit gar keine Verwechslung ist . Er würde es nicht verstehen . Paul ist auch selten eifersüchtig , wahrscheinlich , weil er sich seiner wechselvollen Vergänglichkeit dunkel bewußt ist . Er wird mir auch sicher niemals Vorwürfe über meine Wahllosigkeit machen . Und Sie denken jetzt wohl : Gott sei Dank , daß ich nicht Paul bin . Sie haben nicht ganz unrecht – Paul wird in der Regel bald langweilig , und man entflieht in den Tea-room . 3 Gestern habe ich lebhaft an Sie denken müssen . O Regenstadt – o Tea-room – o Teegespräch ! Ich habe inzwischen verschiedene Leute kennengelernt , und diese verschiedenen Leute saßen gestern hier an unserer geheiligten Stätte zusammen und verrannten , verbohrten , verwickelten sich in ein endloses Gerede über Liebe , Erotik und was dazugehört . Apropos – Erotik ! ich kann das Wort bald nicht mehr hören . Schade , daß es kein anderes dafür gibt . Die allerunmöglichsten Leute führen es schon im Munde und schmücken ihre unsympathischen oder obskuren Erlebnisse damit . Es geht nicht mehr , wir sollten es uns abgewöhnen – ja , aber im Teegespräch müssen wir es wohl faute de mieux einstweilen noch beibehalten , da hört es ja auch niemand . Was wollte ich Ihnen denn erzählen ? – Daß diese Leute wieder einmal das Wesen aller Dinge endgültig feststellten , alles schön sortierten , in Schachteln taten und Etiketten daraufklebten , nach meinem Gefühl aber immer in die falsche Schachtel und mit falscher Etikette . Liebe und Erotik zum Beispiel kamen in denselben Karton . Ich brauchte nur bis Paul zu denken – oder , wenn es Ihnen lieber ist , an Sie , um das unbillig zu finden . Ach , mein Gott , wenn alles immer Liebe oder auch nur etwas Ähnliches sein sollte , wo käme man da hin ? Jedesmal Seligkeit , wenn es anfängt , › Konflikte ‹ , während es dauert , und große Tragik , wenn es zu Ende geht – so etwa schienen diese Gerechten es sich vorzustellen – nein , das möchte wirklich zu weit führen . Die Frau wolle doch wenigstens die Illusion haben , daß sie liebt , wenn sie einem Manne angehört – meinte jemand , und die anderen stimmten ihm bei . Das ist hart , sehr hart . Schon das diktatorische : die Frau , der Mann . Wer sind diese Frau und dieser Mann ? Warum wohl überhaupt diese Sucht , diese schöne Vielfältigkeit des Lebens und all seiner Möglichkeiten abzuleugnen oder wenigstens nach Kräften einzuschränken ? Wie Kellner – es gibt solche – , die gerne die große Speisekarte wegstecken , damit man das bequeme , aber unausstehliche Menü wählen soll . › Man ‹ tut doch schließlich in erster Linie , was einen freut , und weil es einen freut . Und das ist natürlich jedesmal etwas anderes . Es kann wohl manchmal Liebe und › große Leidenschaft ‹ sein , aber ein andermal – viele , viele andere Male ist es nur Pläsier , Abenteuer , Situation , Höflichkeit – Moment – Langeweile und alles mögliche . Jede einzelne Spielart hat ihre besonderen Reize , und das Ensemble aller dieser Reize dürfte man wohl Erotik nennen . Es kommt › der Frau ‹ auch gar nicht in den Sinn , sich immer einzureden , daß es Liebe ist , im Gegenteil , das wäre ihr manchmal nur peinlich , und sie ist recht froh , daß es sich anders verhält . Man braucht doch auch Erholung vom Ernst des Lebens . Und Liebe ? Unter Liebe verstehe ich – nun , eine seriöse Dauersache . Aber Sie dürfen mir diesen Begriff nicht zu optimistisch auffassen . Dauersache ist alles , was – sagen wir , was monatelang dauert – seriöse Dauersache , wenn es viele Monate sind ; über ein Jahr – dann wird es schon Verhängnis mit einem Stich ins Ewige . Natürlich gibt es auch Dauersachen mit Unterbrechung und viele andere Variationen . Damit war meine gestrige Gesellschaft durchaus nicht einverstanden , und man versuchte mich mit vielen Fragen in die Enge zu treiben . Aber dann mache ich mir's bequem und verstumme . Ich habe überhaupt nicht viel Sinn für theoretische Fragen , außer , wenn es mich momentan reizt , zu widersprechen . Das ganze Gerede ist so überflüssig , es sollte wenigstens Konversation bleiben – wie mit Ihnen . Dann hat es seinen Reiz . Und wie angenehm , daß man als Frau keine Logik zu haben braucht ! Denken Sie , wenn ich all meine mühsam erworbene Lebensweisheit in Schachteln ordnen sollte – ach nein , ich werfe lieber alles durch einander in eine Schublade und hole gelegentlich heraus , was mir – oder anderen Spaß macht . Im Anschluß an das Liebesproblem kamen natürlich auch die › wertvollen Menschen ‹ aufs Tapet – also Wasser auf Ihre Mühle – die wertvolle Frau , die so oft und unbegreiflicherweise ihr Gefühl an unwürdige Objekte verschwendet , und der wertvolle Mann , der ungeliebt beiseite steht , ja und so weiter , die ganze Litanei . Teuerster Doktor , gerade damit haben Sie mir ja auch so oft , so oft zugesetzt . Und ich habe mich so redlich bemüht , Ihnen plausibel zu machen , daß innerer Wert gar nichts mit erotischer Attraktion zu tun hat . Wenn mir jemand gefällt , frage ich doch den Teufel danach , wie es mit seinem inneren Wert bestellt ist . Kommt beides zufällig zusammen – tant mieux . Dann ist es natürlich auch etwas anderes als die bloße Aventiure , die keine Fortsetzungen verträgt , weil der Partner einem als Mensch ganz gleichgültig ist und man nichts mehr mit ihm anzufangen weiß . Geht es um Ernstliches , so muß allerdings irgend etwas dasein , was für mich persönlich Wert hat , mir erfreulich , wohltuend , unentbehrlich erscheint oder mir imponiert , kurz , was ich haben möchte . An denen , die man liebt , will man wohl irgend etwas schätzen , manchmal schätzt man sie auch in Bausch und Bogen , oder bildet sich 's wenigstens eine Zeitlang ein . Ja , das ist dann Liebe , solange die Attraktion dauert ; und wenn sie aufhört , so ist es unangenehm , weil man sich wirklich gerne hat . Ich halte schon deshalb nichts davon , daß man sich allzu intensiv zusammenlebt und dann in bitterem Leid auf Nimmerwiedersehen auseinandergeht . Bei jeder besseren amourösen Angelegenheit sollten Anfang und Ende überhaupt nicht so scharf umrissen sein . Ja , ich habe bei dieser angeregten Abendunterhaltung mein stilles Vergnügen gehabt , und wenn ich meine eigenen Amouren Revue passieren lasse , die tragischen und die heiteren , seriöse Dauersachen und flüchtige Minnehändel – wie sie sich nacheinander , nebeneinander und durcheinander abspielten , so fügt sich für mein Empfinden alles ganz von selbst zur schönsten Harmonie zusammen . Auch wenn – cher ami , das gilt Ihnen mit – andere Leute so oft etwas daran auszusetzen haben . 4 Ganz richtig , das ist sonderbar – gerade wir bösen , unbeständigen Menschenkinder werden oft so ungemein ernsthaft geliebt , wie man nur unbescholtene junge Mädchen und › anständige ‹ Frauen lieben sollte . Zumeist wohl von den › dummen Jungen ‹ , und das ist sehr hübsch – ich habe große Sympathie für sie – manchmal aber auch von ganz intelligenten Männern mit innerem Wert , und damit ist dann nicht so leicht fertig zu werden . Besonders , wenn sie uns zwingen wollen , Tiefen zu offenbaren , über die wir gar nicht verfügen . Am schlimmsten ist der Typus › Retter ‹ – und glauben Sie mir , man darf sich noch so weit und noch so lange auf der schiefen Ebene befinden , es tauchen immer wieder Männer auf , die uns durch wahre Liebe retten wollen . Vielleicht darf man das nicht so verallgemeinern , ich kann ja nur aus eigener Erfahrung reden und mache möglicherweise einen ganz besonders rettungsbedürftigen oder geeigneten Eindruck . Wie auch die geistlichen Erzieher meiner frühen Jugend immer noch einen guten Kern in mir entdeckten und die Hoffnung nie ganz aufgaben . Der Retter meint es gut und aufrichtig , schon das ist schwer zu ertragen . Und er leidet durch die Bank an unheilbarer Selbstüberschätzung , hält sich eben für den , der imstande sei , unser zerflattertes Liebesleben einzufangen und auf einen Hauptpunkt , nämlich auf sich selbst zu konzentrieren . Er findet , es sei ein Jammer , daß wir uns zeitlebens so weggeworfen haben , an so viele , die es nicht wert waren ( darin würden Sie sich also ganz gut mit ihm verstehen ) – ja , wenn wir nur einmal an den Rechten gekommen wären – wie anders , Gretchen ! Der Retter hält sich – das liegt auf der Hand – für den , der es selbst jetzt noch vermöchte , das Wunder zu vollbringen . Dabei ist er trotz allem : wie schade um diese Frau – merkwürdig tolerant gegen unsere Vergangenheit , empfindet sie mehr als Verirrung : ihr ist viel vergeben , denn sie hat viel geliebt . Sie hat keinen Halt in sich selbst und keinen an anderen gehabt , hat sich von ihrem Temperament hinreißen lassen , und das haben die schlechten Männer sich zunutze gemacht . Ja , er läßt es an Verständnis nicht fehlen und ist überzeugt , man habe jeden , dem man sich › hingegeben ‹ , glühend und tief geliebt , aber er war es natürlich in den seltensten Fällen wert . Der Retter sagt gerne : › armes Kind ‹ und streicht einem dabei die Haare aus der Stirn – eine unausstehliche Angewohnheit , man darf nie vergessen , ein Taschenkämmchen mitzunehmen . Manchmal bietet er auch pekuniäre Hilfe an , aber mit dem Gefühl , daß für › sie ‹ doch eigentlich etwas Degradierendes darin liegt und es ihr sehr peinlich sein müsse ( ach , Doktor , es ist ihr durchaus nicht peinlich , sie tut nur manchmal so – aus guter Erziehung ) . Die Bekanntschaft mit dem Retter ist natürlich immer ein Mißgriff und entspringt aus momentaner Sentimentalität oder einer unangenehmen Situation , die durch ihn behoben wird – oder , wenn man sich gerade mit jemand anders gezankt hat . Man fällt ihm bei irgendeiner Gelegenheit in die Arme . Der Retter will kein Philister sein – Gott bewahre . Er verwirft auch die illegitimen Liebesfreuden an sich durchaus nicht , faßt sie nur viel zu ernst auf und sucht ihnen eine ethische Weihe zu verleihen . Er betrachtet jede Schäferstunde als Anlaß zu ernsten Gesprächen und zu heillosem Ausfragen – besonders in bezug auf Zahlen und Daten ( und man rechnet doch so ungerne und sagt nie die Wahrheit – der Retter würde sie auch nicht vertragen ) . Trotz der schlagendsten Gegenbeweise hält er an dem Dogma von der monogamen Veranlagung der Frau fest . Er ist unbequem und nimmt es übel , wenn man nicht viel Zeit für ihn übrig hat . So schlägt er gerne mehrtägige Ausflüge vor , damit man einmal wirklich etwas voneinander hat und alles Trübe und Schwere von sich abschütteln kann – in Klammern : weil man draußen in Gottes freier Natur sicherer ist , daß die geliebte Frau nicht so oft alten Bekannten begegnet , oder daß es plötzlich klingelt und alle möglichen Leute zum Tee kommen , von denen man nicht recht weiß , warum und wieso ? Ach Gott , und ich finde amouröse Ausflüge überhaupt eine unglückliche Erfindung – ich kann sie nicht ausstehen , vor allem nicht mit Rettern oder mit wertvollen Menschen . Höchstens mit Paul – oder vielleicht mit Ihnen – pardon , pardon , daß ich Sie schon wieder mit Paul zusammenstelle und so oft auf seine Vorzüge zurückkomme . Es geschieht wirklich nicht aus Bosheit , aber ich lebe immer noch mit einem Fuß in der jüngsten Vergangenheit , in der schönen Zeit unseres Dreiecks . Mit dem Retter dauert es übrigens meist nicht lange . Er wünscht selbstredend eine seriöse Dauersache , und man lehnt tragisch ab : zu spät – man kennt sich selbst zu gut – leider – es bringt niemandem Glück , mich zu lieben – besser , man geht seinen dornenvollen Pfad alleine weiter , bis es ein Ende mit Schrecken nimmt . Oft wünscht der Retter sich ein Kind – gerade von dieser Frau – ich weiß nicht warum , vielleicht weil sie dann in seinen Augen › ganz anders dastehen würde ‹ – und er nimmt es übel , wenn sie lieber darauf verzichtet . In diesem Fall würde er sie als Ehrenmann selbstverständlich heiraten , sie dürfte auch um des Kindes willen nicht nein sagen . Einer von meinen Rettern wollte mich auch ohne Kind heiraten ; er war verlobt , als wir uns kennenlernten , und löste dann seine Verlobung auf . Stellen Sie sich meinen Schrecken vor , als er mir das freudestrahlend mitteilte – wir trafen uns im Bahnhof , um aufs Land zu fahren – ich war geradezu entsetzt . Gott sei Dank wurde er daraufhin an mir irre , und ich fuhr nicht mit ihm aufs Land , sondern ohne ihn nach Hause . Daher stammt wohl auch meine Idiosynkrasie vor Ausflügen . Diese Art Menschen wollen ja auch immer ein › volles Glück ‹ , wenn sie heiraten , und das hätte er an meiner Seite schwerlich gefunden . Die Idee vom › vollen Glück ‹ hat für mich immer etwas so Trostloses , Bedrückendes . Es klingt so peinlich definitiv , als ob dann alles vorbei wäre , wie wenn man sich schon bei Lebzeiten seinen Sarg bestellt . Nur als Backfisch habe ich auch eine Zeitlang davon geträumt : Eines schönen Tages wird man heiraten , und dann ist man glücklich , die Sache ist erledigt . Aber dann wieder – ich erinnere mich deutlich an einen Ball im Elternhause , wo ich zum erstenmal mittanzen durfte und meine Gefühle in großer Verwirrung waren . Ich war vierzehn Jahre alt , die Tänzer behandelten mich wie eine erwachsene Dame , nannten mich Sie und sagten mir schöne Sachen . Und in drei von ihnen war ich zum Sterben verliebt . Ich sehe sie noch vor mir , alle drei waren sehr elegant und trugen die modernsten Stehkragen – ich weiß nicht , warum gerade die Kragen mir so viel Eindruck machten . Zwei waren brünett und einer blond . Die beiden Brünetten gefielen mir beinah noch besser , aber ich liebte auch den Blonden . Und ich weiß noch so gut , wie ich damals dachte , daß man doch immer nur einen Mann heiraten könnte ; wenn man nun aber dreie liebt – was dann ? Die Frage hat mir viel Kopfzerbrechen gemacht . – Übrigens trugen sie alle drei Zwicker – ich hätte mich dazumal nie in einen Mann ohne Zwicker verliebt , er wäre mir nicht ganz vollständig vorgekommen . Sehen Sie , all diese armen Leute mit dem vollen Glück werden doch nur einmal wirklich glücklich , und wir werden und sind es so oft . Daß wir es nicht ewig bleiben – nun , daran glaube ich auch bei den anderen nicht recht . Der Rausch verfliegt , und was dann ? – Die Räusche verfliegen auch , aber es kommen neue . Mein lieber Freund , der Retter ist ein unlustiges Thema – er fällt auf die Nerven , auch wenn man nur von ihm spricht . Er wirkt wie eine schwüle Atmosphäre , der man so bald wie möglich wieder entrinnen möchte . Also – ich entrinne hiermit Ihnen , den Rettern und dem Briefschreiben . Hätte ich doch immer einen so guten Vorwand , wenn ich nicht mehr schreiben mag . 5 Ich bitte Sie , liebster Doktor , schelten Sie nicht schon wieder über meine Zerstreutheit – gerade Sie haben verhältnismäßig wenig darunter zu leiden gehabt , ich verwechsele Sie schon längst nicht mehr mit anderen Bekannten – ich weiß immer , wer Sie sind und wie wir miteinander stehen . Sie können beim besten Willen nicht begreifen , daß ich Frau N... , mit der wir einen so netten Abend verlebten , nicht wiedererkannte ? Damen erkenne ich fast nie wieder , sie sehen doch jedesmal anders aus – andere Toiletten , andere Hüte , andere Begleiter . . . Und der nette Abend hat Ihnen anscheinend mehr Eindruck gemacht als mir . Du liebe Zeit , ich habe mehr als einmal Leute nicht wiedererkannt , mit denen ich noch viel nettere Abende verlebt hatte – und die es mir tödlich übelnahmen . Ihr Brief gefällt mir überhaupt nicht sehr , er klingt etwas trübselig und verstimmt . Und ich bin gerade so guter Laune , so ohne jeden Grund seelenvergnügt . Das ist bei mir ja öfters der Fall , und ich weiß schon , daß es manche Mitmenschen geradezu irritiert . Sie nehmen Ärgernis daran , daß man ohne Anlaß glücklich ist , um so mehr , wenn man infolge aller möglichen Lebensumstände Grund genug hätte , sich un glücklich oder wenigstens unbehaglich zu fühlen . Aber sei dem , wie es will – ich kann diese schwarze Stimmung bei Ihnen nicht ausstehen – mich macht es wiederum nervös , wenn ich jemand ohne schwerwiegende Veranlassung Trübsal blasen sehe . Und ich habe den edlen Vorsatz , Sie ein wenig zu trösten . Wären Sie hier , dann könnte ich Ihnen doch wenigstens die Falten von der Stirn streichen oder – je vous donnerais une de ces heures , qu'un homme n' oublie jamais . ( Diese hübsche Wendung ist leider ein Plagiat , ich habe sie irgendwo gelesen . ) Aber Sie sind nicht da und grollen nur irgendwo in der Ferne , weil ich Frau N... gegenüber einen so heillosen faux pas begangen habe . – Schade , daß Sie nicht dabei waren , wie ich sie im Vorbeigehen leutselig auf die Schulter tippte : ja , Lily , wie kommen Sie denn hierher ? – Doktor R... ist schon fort ! Das Gesicht , mit dem sie sich da umdrehte , werde ich nie vergessen . Es ist auch ein Kreuz , daß sie ganz genau weiß , um wen es sich handelt , und jetzt natürlich glaubt , › jene Person ‹ sei mit Ihnen hiergewesen . Was tun ? Soll ich ihr einen Besuch machen und Ihre Schuldlosigkeit dartun ? Ich fürchte , es würde nur das Gegenteil erreicht und Frau N... möchte unsere Beziehungen falsch einschätzen . Armer Freund , da habe ich Ihnen einen rechten Henkersdienst erwiesen , und ich trachte doch immer nur danach , Sie glücklich zu machen . Soll ich Ihnen als Balsam für diese Wunde von einer Frau erzählen , die manchmal noch viel zerstreuter war , als – nun , als ich bei der Begegnung mit Frau N... ? Sie behauptete und behauptet immer noch , es sei eine Art Neurose . Ihr Gedächtnis in bezug auf Persönlichkeiten und Begebnisse sei zeitweilig überbürdet worden und habe dadurch gelitten . Sie geriet denn auch manchmal in eine Art somnambulen Zustand , verwechselte alles und alle – Situationen , Personalien , Erlebnisse , Namen , Gesichter – und schuf sich und anderen manches Herzeleid . Eben diese Dame reiste viel herum und , wie es nun einmal zum Reisen gehört , mit verschiedenen Begleitern und unter verschiedenen Namen . Dabei geschah es des öfteren , daß sie den gegenwärtigen Zustand mit irgendeinem früheren verwechselte , zum Beispiel von Bukarest nach Konstantinopel telegraphierte : Komme mir bis Salzburg entgegen – und einen Namen darunter , den der Betreffende noch nie gehört hatte . Oder wenn sie mit Sir John auf dem Starnberger See eine Segelpartie machte , sagte sie plötzlich aus tiefem Sinnen heraus : » Du – Hans , wie das Mykalegebirge heute klar ist – wir sollten doch morgen einmal nach Smyrna hinüberfahren . « ( Worauf Sir John antwortete : Very well , aber ich wollte lieber morgen früh in Norwegen Supper essen . ) Zu ihrem Leidwesen besaßen nicht alle ihre Freunde so viel liebenswürdige Anpassungsfähigkeit . So hatte sie einmal eine ungewöhnlich dauerhafte und in jeder Beziehung erfreuliche Liaison , auf die sie sehr viel Wert legte . Es wurde sogar ernstlich erwogen , ob man sich nicht heiraten solle . Der Mann war wohlhabend , sympathisch und viel auf Reisen – und sie befand sich gerade in einer jener inneren Krisen , wo man sich nach Ruhe und nach einer › Basis ‹ sehnt . Aber ein unglücklicher Zufall , wie sie es nannte , gab der Sache eine andere Wendung . Der Betreffende war einige Monate verreist gewesen , und als sie zum erstenmal wieder einen Abend mit ihm verbrachte , ging sie , nicht ohne innere Bewegung , durch sämtliche Räume seiner Wohnung und feierte Wiedersehen mit allen vertrauten Gegenständen . Dabei blieb sie plötzlich in der offenen Tür zum Schlafzimmer stehen , betrachtete nachdenklich das breite englische Messingbett und sagte : » Du – die Seide an dem Bett war doch immer rot – warum hast du es jetzt in Grün machen lassen ? Und wo ist der Kranich geblieben ? « Ja , und dann konnte sie zuerst nicht begreifen , warum diese harmlose Äußerung ihn so verstimmte – die Seide war immer grün gewesen und grün geblieben , aber es gab genau dasselbe Bett in Rot , und das stand in der Wohnung eines ihrer gemeinsamen Bekannten . Und darüber am Plafond hing ein ausgestopfter Kranich mit ausgebreiteten Flügeln , der sich langsam drehte , wenn das Zimmer stark geheizt war . Der gemeinsame Bekannte hatte eben einen sonderbaren Geschmack – und der ausgestopfte Kranich über seinem roten Bett war schuld daran , daß unsere zerstreute Freundin wieder einmal nicht dazu kam , ihr Dasein auf eine feste Basis zu stellen . So etwas ist Schicksal . – Der Mann meinte nachher , sie sei doch wohl nicht zur Ehe prädestiniert , denn sie würde bei jeder Gelegenheit wieder Grün mit Rot und stilisierte Ampeln mit Kranichen verwechseln . Ja , ja – Zerstreutheit in amore soll eine bedenkliche Sache sein . Trotzdem haben Sie , lieber Doktor , noch unlängst eben diese Eigenschaft bei einer Dame Ihrer Bekanntschaft als reizvollen Zug bezeichnet und verschiedene liebenswürdige Bosheiten darüber gesagt . Unter anderem wollten Sie öfters und mit Vergnügen beobachtet haben , wie sie den ganzen Abend irgendein langweiliges oder unausstehliches vis-a-vis aus reiner Gedankenlosigkeit überaus seelenvoll ansah . Das unausstehliche vis-a-vis glaubte schon eine ganze Welt von Empfindung in ihr geweckt zu haben , aber sie hatte nur an jemand anders gedacht und war höchst erstaunt , wenn es Konsequenzen daraus ziehen wollte . Sie haben mir auch erzählt , wie Sie diese Ihre Freundin eines Abends abholten – sie stand vor einem Schrank und suchte endlos nach ihren Handschuhen . Sie halfen ihr suchen , und dabei kam es zu einigen liebenswürdigen Annäherungen Ihrerseits , die sie gelassen annahm und erwiderte . Sie – der Doktor R... – dachten : endlich ! Denn der Fall war konversationsweise schon mehrmals zwischen Ihnen beiden erörtert worden . Sie fühlten sich dann nachher etwas enttäuscht , als Ihre Freundin Sie bei Tisch seelenvoll ansah und sagte : » Nehmen Sie es nicht übel , aber ich muß jetzt die ganze Zeit darüber nachdenken , ob ich Ihnen nicht schon einmal an diesem Schrank einen Kuß gegeben habe , als ich meine Handschuhe nicht finden konnte – ja , nein – richtig – da hab' ich ja den Schleier gesucht und ... « Armer Doktor , an dem Abend fanden Sie den amourösen Somnambulismus , wie Sie es nannten , gar nicht › reizvoll ‹ und malten ihr mit einiger Bitterkeit aus , wie es in noch intimeren Situationen wirken möchte , wenn die geliebte Frau plötzlich sagt : Hören Sie – wir haben uns doch schon früher – ja , nein – Pardon , damals kannte ich Sie ja noch gar nicht . Leben Sie wohl – es ist spät , und wenn ich noch weiterschreibe , könnte ich vielleicht zu indiskret werden . 6 Dankend quittiert , cher ami . Ihre Niederträchtigkeiten sind mir viel lieber als Ihre sentimentalen Anwandlungen . Lassen wir Frau N... begraben sein , wenn Sie es verschmerzen können . Und mein Ruf ... nein , wissen Sie – in diesem Punkt muß ich Sie doch wohl etwas enttäuschen . Ich stehe gar nicht so sehr über diesen Dingen , wie Sie meinen . Manchmal finde ich es verzweifelt unbequem , einen schlechten Ruf zu haben . Wäre ich noch einmal achtzehn Jahre alt , so würde ich die Sache anders angreifen , mich entweder ganz in die Tiefe begeben oder darauf schauen , gesellschaftlich durchaus oben zu bleiben . Der Mittelweg ist in diesem Fall an Freuden vielleicht reicher , aber jedenfalls bei weitem der unbequemste . Die Leute wissen so oft nicht , für was sie einen nehmen sollen . Und der schlechte Ruf verpflichtet . Man kann sich so vieles nicht leisten , was eine unbescholtene Frau ruhig tun darf . Jedes männliche Wesen , mit dem man über die Straße oder ins Restaurant geht , wird einem aufgerechnet . Sind es zufällig vier oder fünf an einem Tag , so werden alle vier oder fünf gebucht . Folglich ist es peinlich , wenn man mit einem alten Professor oder mit drei grünen Jungen gesehen wird , oder wenn ein Jugendfreund in Velvethosen uns anspricht . Man dürfte sich nur mit solchen sehen lassen , die einem stehen oder die man sich gerne nachsagen läßt . Bedenken Sie nur , wie viele Schwierigkeiten sich daraus ergeben und was für komplizierte Schiebungen manchmal notwendig sind . Es gab eine Zeit – zu meinem Leidwesen muß ich es erwähnen – wo ich mich in einer solchen Lebensekstase , in einem so fortgesetzten Herzenstumult befand , daß ich wenig oder gar keinen Blick für dergleichen Äußerlichkeiten hatte . Es wird mir in der Erinnerung wirklich schwer , mich da hineinzudenken , aber ich weiß es als historische Tatsache . Und dazumal habe ich wohl mein Renommee schon so übel zugerichtet , daß es sich nie wieder ganz erholt hat . Das war dumm , ungeheuer dumm , und ich würde heute jedem blutjungen Mädel , das leben und kompromittieren verwechselt , aufs dringendste raten , seinen Ruf zu wahren , bis es in dieser oder jener Welt – ich meine in Lebekreisen oder in der Gesellschaft – eine feste Position hat . Die Ausnahmestellung zwischen beiden Welten ist vom Übel , außer wenn sie ungemein glänzend finanziert ist . Und Sie ? – fragt mein Freund , der Doktor . – Cher ami , Anwesende sind immer ausgenommen . Ich weiß in jeder Blüte den Honig zu finden und lasse das Gift wohlweislich darin . So habe ich auch gar keine Neigung , unter diesen Kalamitäten zu leiden , sie sind mir höchstens lästig und machen mich gelegentlich nervös . Nehmen wir an , ich kenne einen wirklich reizenden Menschen , mit dem ich mich sehr gerne unterhalte , aber er trägt Künstlerhüte oder einen unmöglichen Kragen – läßt es sich auch nicht abgewöhnen , denn er befindet sich ganz wohl dabei . Es würde mir sicher Vergnügen machen , einen Abend mit ihm zusammen im Cafe zu sitzen – mein Ruf verbietet es mir . Der Schlapphut würde sofort zu meinen Intimen gerechnet , und das lasse ich nicht gerne auf mir sitzen . Auch wenn es ein noch so wertvoller Mensch ist , lieber Doktor . In M... gab es in alten Zeiten ein verschwiegenes und entlegenes Weinrestaurant , das ich zu solchen Zwecken kultivierte . Ich will Ihnen die Adresse gern verraten und auch , daß ich manche meiner männlichen Bekannten dort getroffen habe – wenn sie mit der Toilette oder der sozialen Rangstufe ihrer Begleiterinnen nicht ganz einverstanden waren . Man wechselte dann einen stummen Blick , verstand und ignorierte sich . Und die , mit denen ich hinging , pflegten sich über meine Vorliebe für dieses mesquine Lokal zu wundern . Eben diese Leute , die keinen Wert auf ihr Äußeres legen , gehen mit Vorliebe in elegante Restaurants , um zu zeigen , daß auch sie zu leben verstehen . Oder man muß in solchem Fall den bösen Schein durch irgendeinen starken Gegensatz korrigieren . Erinnern Sie sich noch an den deprimierten Jüngling , den ich mir vergangenes Jahr an die Sohlen geheftet hatte , wie Sie so hübsch zu sagen pflegten ? Er war zum Verzagen langweilig , aber unwiderstehlich , absolut unwiderstehlich elegant . Als ich ihn gerade kennengelernt hatte und noch nicht unterzubringen wußte , fanden Lily – Ihre Lily – und ich zufällig ein Inserat in der Zeitung , das uns frappierte . Es lautete : Elegante Begleitdogge zu verkaufen – oder zu kaufen gesucht , das weiß ich nicht mehr . Nach diesem Inserat wurde der Jüngling dann benannt und eingereiht . Bei mir war gerade saison morte , ich hatte eine Herzensangelegenheit , die mich sehr in Anspruch nahm und in jeder Beziehung ganz nach Wunsch war , bis auf eine pathologische Vorliebe für farbenfrohe Krawatten . Ich machte es mir zur Lebensaufgabe , ihn davon zu heilen . Wie oft , ach , wie oft saßen wir stundenlang im Laden und ließen uns Krawatten , immer nur Krawatten vorlegen . Ich bot all meinen Einfluß auf , aber selbst wenn nach schwerem Kampf eine annähernd glückliche Wahl zustande gekommen war , so entdeckte er sicher im letzten Moment noch irgendein furchtbares Blau , Gelb oder Violett , das er durchaus haben mußte . Ich habe ihn wirklich geliebt , aber die farbenfrohen Krawatten kosteten mich meine Seelenruhe . Auf die Länge war es geradezu aufreibend . Meine einzige Erholung war die elegante Begleitdogge , denn man konnte überall und ohne Hemmungsgefühle mit ihr hingehen . Sie war immer vorhanden – immer melancholisch und immer tip top wanderte sie unentwegt mit langen Schritten und müder Haltung neben mir durch Straßen und Restaurants . Gesprochen haben wir – der Jüngling und ich – oft stundenlang kein Wort , oder er schüttete mir sein wundes Herz aus , und ich hörte zu . Er hatte eine larmoyante Stimme und eine larmoyante Seele . Niemals konnte er die Frau finden , die er suchte , und wenn er sie einmal fand , wie zum Beispiel mich , so hatte sie gerade eine seriöse Dauersache mit farbenfrohen Krawatten . Darüber konnte er , wenn wir zusammen waren , endlos fortjammern , immer in derselben Tonlage . Unter anderen Umständen wäre mir das vielleicht schrecklich auf die Nerven gefallen , aber so wie alles lag , erholte ich mich , während er friedlich fortlamentierte , von allen stürmischen Gefühlen und von den Krawattenhalluzinationen , die mich sonst verfolgten . Manchmal mußte ich ihn auch an Lily ausleihen , wenn sie irgendwo besonderen Eindruck machen wollte , wie bei ihren Theateragenten oder beim Schneider . Die arme Lily war damals gerade etwas reduziert und brauchte in jeder Beziehung Kredit . Aber sie mißbrauchte meine Großmut – sie telegraphierte dann auch noch späterhin , ich glaube aus Königsberg oder Stettin : » Schäbige Bande hier – bitte auf eine Woche Begleitdogge schicken . « Das war zuviel , und ich antwortete : » Unmöglich – brauche Dogge selbst . « – Und unsere Freundschaft bekam darüber einen argen Riß . Ich hätte ihr ja gerne den Gefallen getan , aber eine ganze Woche – es war undenkbar , wir waren uns zu unentbehrlich . Er konnte nicht mehr ohne unglückliche Liebe leben . Lily eignete sich nicht dafür , sie hätte ihn vielleicht glücklich gemacht , und meine Neigung zu dem Krawattenmann wäre vorzeitig in Trümmer gegangen , wenn die elegante Begleitdogge nicht mehr an meiner Seite wandelte . Aber über diesen schönen Erinnerungen vergesse ich ganz , worüber ich Sie denn eigentlich aufklären wollte . Ja , richtig , ich wollte Ihnen auseinandersetzen , wie sehr der schlechte Ruf zur Korrektheit verpflichtet . Manchmal stellt er auch in der entgegengesetzten Richtung Anforderungen , die ebenso lästig sind . Man nimmt es uns förmlich übel , wenn wir uns zu ordentlich benehmen , ärgert sich , daß wir so durchaus salonfähig sind und die Hoffnung auf ganz besondere Sensationen nicht erfüllen . – Gehörst du einmal zum Zirkus , so spring durch Reifen und schlage Purzelbäume – ja , aber wir haben manchmal gar keine Lust , wir wollen zur Abwechslung auch einmal Zuschauer sein , in der Loge sitzen und Konversation machen . Hier und da ist es wirklich ein großes Vergnügen , nur langweilig und korrekt zu sein . Darüber ließe sich noch vieles sagen , aber ein andermal ... 7 Ihr Brief – mein lieber Freund , wer wollte noch behaupten , daß wir keine Ideale haben ? Zuviel , immer noch zuviel ! Ihre › Beziehung ‹ zu Yvonne – Yvonne , die es gar nicht gibt – und vielleicht gibt es sie doch und Sie begegnen ihr eines Tages auf der Treppe . Und der fremde Mann ? – Er hat eine starke Familienähnlichkeit mit Yvonne , aber es geht mir besser als Ihnen – es gibt ihn – und ich bin ihm schon öfters auf der Treppe begegnet . O bitte , kommen Sie mir nicht wieder mit der Frau vom Meer – ich kenne das – sowie man den fremden Mann erwähnt . Aber ich habe keine Sympathie für die Dame , sie hat es wirklich nicht verstanden . Der richtige fremde Mann verträgt kein Pathos – und wie kann man nur mit dem Gedanken umgehen , ihm zu folgen – ihn womöglich gar zu heiraten . Und auf der anderen Seite – ihn ganz laufen zu lassen , um mit einem alten Landarzt glücklich zu werden ? Das ist mindestens ebenso unverzeihlich . Überhaupt – der fremde Mann muß in erster Linie ein Gentleman sein , sehr elegant , sehr comme il faut und mit dem › infamen Charme ‹ – aber doch um Gottes willen nicht ein Schiffskapitän mit Zuchthaustendenzen . Es wäre deshalb eigentlich richtiger zu sagen : der fremde Herr . Und er darf niemals zur Beziehung werden , muß in der Versenkung verschwinden , ehe das in Betracht kommen könnte . Er tut es auch , sonst ist er eben nicht echt gewesen . Etwas davon liegt wohl im ersten Anfang jedes Minnehandels – es ist ja immer schade , wenn man sich erst kennen- oder gar lieben und schätzen lernt . Aber der ganz große Reiz ist das Erlebnis mit einem Fremden . Ich sitze abends im Lesezimmer eines Hotels . – Er auch , aber an einem anderen Tisch . – Ich schreibe . – Er liest . – Er schaut hier und da herüber – ich auch . – Ich weiß gleich , daß er es ist – er hat den infamen Charme . – Gott sei Dank , er ist echt , denn er spricht mich nicht an . Er weiß auch , daß ich es bin . Eigentlich warte ich auf jemand anders und weiß nicht recht , wie es werden soll . Aber er weiß es ganz genau und liest ruhig weiter . Endlich ruft man mich ans Telefon . Er , der andere , auf den ich warte , kann heute nicht mehr kommen . » Was willst du denn heute abend anfangen ? « – » Oh , ich gehe schlafen . « – » Also dann auf morgen . « – Abläuten . . . Der fremde Herr legt seine Zeitung weg , ganz langsam , ganz ruhig . – Ich gehe zum Lift – er auch . Das Hotel ist sehr groß , hat sehr viele Stockwerke , ist sehr überfüllt . – Wir sind beide stehengeblieben , stehen uns gegenüber . – Er ist sehr hoch , sieht mir von oben herunter in die Augen . – Der Lift gleitet , hält an jeder Etage und Zwischenetage , denn der Boy ist verschlafen und scheint zu meinen , daß überall jemand aussteigt . – Wir haben auch das Gefühl , daß der kleine Raum immer leerer wird , immer einsamer . – Unsere Augen lassen sich nicht los – der fremde Herr sagt kein Wort , beugt sich langsam zu mir herunter – wir sehen uns immer noch in die Augen – unsere Lippen › finden sich ‹ . – Der Lift geht durch eine ganze Ewigkeit . – Kein Wort wird gesprochen – der Lift hält . Und ich mache hier eine Pause , lieber Freund . Der Herr im Lift ist der Idealfall – der erfüllte Traum . Nicht immer sind die Götter so neidlos . Manchmal lernt man ihn auch kennen , sieht sich wieder , dann ist natürlich alles entwertet . Hat man einmal mit dem fremden Mann gefrühstückt , so ist der Zauber gebrochen . Dann wird es ein ganz gewöhnliches Erlebnis . Aber ich will Ihnen noch von einer sehr merkwürdigen Ausnahme erzählen – von einer jahrelangen Beziehung , die immer der fremde Mann blieb . Jahrelang – ja , da horchen Sie auf – es waren sogar ziemlich viele Jahre , es hat auch eigentlich nie einen bestimmten Anfang gehabt und hat nie ein definitives Ende genommen . Wie und wo wir uns zum erstenmal sahen , gehört nicht hierher – seien Sie nicht zu neugierig ; wenn ich eine uralte Dame mit weißen Haaren bin , erzähle ich es Ihnen vielleicht einmal , jetzt sicher nicht . Aber die damaligen Umstände brachten es mit sich , daß er mich nie bei Tage aufsuchen konnte . Auf die Länge ließ sich das natürlich nicht vermeiden , aber dann machte es auch keinen Eindruck mehr , daß er einen Namen und eine Position im Leben hatte . Er blieb der fremde Mann . Es war zur Tradition geworden , daß wir jede nähere persönliche Bekanntschaft , jedes Übergreifen unserer Beziehungen auf unser sonstiges Dasein vermieden . Und ich muß sagen , daß wir es wirklich verstanden , diese Tradition zu kultivieren . Unser Verkehr blieb immer zeremoniell , unpersönlich und voller Distanz . Wir haben uns nie auch nur für einen Moment geduzt , sind nie zusammen ausgegangen oder dergleichen . Trafen wir uns doch einmal , im Theater oder bei ähnlichen Gelegenheiten , so grüßten wir uns aus der Ferne . War es nicht zu vermeiden , so ließ er sich mir auch vorstellen , und wir wechselten einige höfliche Redensarten . Er hatte immer meine Adresse und meine Schlüssel , bei jedem Wechsel meiner Wohnung oder meiner Lebenslage verfehlte ich nicht , ihm diese beiden Dinge zuzustellen . ( Sie können sich wohl denken , daß seine Schlüsselsammlung mit der Zeit beträchtlich angewachsen ist . ) Er meldete sein Erscheinen durch ein Billett oder Telegramm – dann war ich immer für ihn zu Hause . Und darin bewies er seine wahrhaft antike Seelengröße : wie und wo er mich auch im Lauf der Zeiten aufgesucht und gefunden hat , ob in einer eigenen Wohnung , im Hotel oder einer gänzlich improvisierten Umgebung – er verzog nie eine Miene , wunderte sich nie , fragte nie – erschien zu den spätesten und unwahrscheinlichsten Stunden – immer korrekt , immer fremder Herr . Und ging ebenso wieder fort , ehe der graue Alltag das Leben wieder wahrscheinlich machte . Manchmal kam er auch erst gegen Morgen , wenn ich längst schlief , stand auf einmal mit dem Zylinder in der Hand da – das schätzte ich ganz besonders . – Oder ich glaubte nur von ihm geträumt zu haben und fand dann beim Aufwachen Blumen , die nur von ihm sein konnten – er brachte immer Blumen mit . Solche Erinnerungen liebe ich sehr – auch noch manche andere – wenn wir in der Morgendämmerung am Fenster Kaffee tranken und uns korrekt und gebildet unterhielten . Wenn er dann die Straße entlang ging , sah ich ihm nach , und es hatte so viel Reiz , gar keine greifbare Vorstellung von seinem Leben zu haben , keine Ahnung von seiner Umgebung , nicht zu wissen , mit was für Menschen er verkehrt und wie er mit ihnen ist . Andere Frauen – das hat mich eigentlich nie interessiert . Ich habe späterhin aus verschiedenen Andeutungen kombiniert , daß er eine › himmlische Liebe ‹ hatte , eine sehr unglückliche . Bei anderen Männern habe ich das manchmal etwas dumm gefunden , aber bei ihm hatte es viel Charme und gab eine düstere Nuance , die ihm gut stand . Übrigens verloren wir uns zeitweise ganz aus den Augen , er machte öfters lange Reisen , und ich war ja immer viel unterwegs . Ich habe dann auch kaum an ihn gedacht – ob er an mich dachte , weiß ich nicht . Aber wenn wir uns beide nach M... zurückfanden , war wieder alles wie vorher . Nur gehörte es unverbrüchlich zu unserer Tradition , daß wir in der Silvesternacht zusammenkamen , denn der 31. Dezember war der Ausgangspunkt unserer Beziehungen gewesen . Mit oder ohne Verabredung , ich wußte , daß er dann kommen würde ; und meine sonstigen Bekannten haben sich immer gewundert , warum ich bei jeder Neujahrsfeier geheimnisvoll vom Schauplatz verschwand , sobald es zwölf Uhr geschlagen hatte . Doch am Ende die › große Leidenschaft ‹ , die Sie in meinem Dasein so schmerzlich vermissen und die immer noch entdeckt werden soll ? – Gott bewahre , gerade zur Zeit der glücklichsten und intensivsten Lieben schätze ich ihn am meisten und hatte förmlich Sehnsucht nach ihm , wenn ich ihn lange nicht sah . Und war er zeitweilig nicht vorhanden , so wurde ich auch gegen die anderen kühler . Töricht genug von den anderen , daß sie samt und sonders eine starke Abneigung gegen den › großen Unbekannten ‹ hatten und nie begreifen wollten , daß Eifersucht in diesem Fall ganz sinnlos war . Ja , lieber Freund , der fremde Mann ist ein inhaltsschweres Kapitel in meinem Leben und eines , das ich immer gerne wieder lese – aber nicht alle dürfen dabei mit ins Buch sehen wie Sie . Wenn Sie es doch nur einmal anerkennen wollten , wie sehr ich Sie verwöhne . 8 Also auch Sie , Brutus – neigen zu eifersüchtigen Betrachtungen , wenn Sie des fremden Mannes gedenken . Wie dumm von Ihnen – Verzeihung für das harte Wort , aber ich bin so daran gewöhnt , daß Sie immer intelligent sind . Vielleicht kann ich auch darüber nicht mitreden , ich habe kein oder sehr wenig Organ für Eifersucht – das ist mir schon häufig wie ein schwerer Defekt vorgehalten worden . » Dann haben Sie noch nie wirklich geliebt « – wie oft habe ich das zu hören bekommen – und nichts darauf geantwortet . A quoi bon ? – Das weiß doch nur Gott allein . Richtiger gesagt wäre wohl : nie lange genug geliebt . Für mich dauert jede Liebe , auch die ganz ernsthafte , nur so lange , wie ich eben die stärkste Attraktion für den in Frage kommenden Mann bin . Dann hört sie ganz von selbst auf . Und daß er meine Hauptattraktion war , ist immer schon vorher zu Ende gewesen . Auch habe ich nie das Verlangen gehabt , einen Menschen ganz zu › besitzen ‹ oder ihn über Gebühr festzuhalten . Dazu ist das Leben zu kurz . Und wer mich festhalten wollte – es kam hier und da vor – ist niemals sehr zufrieden mit dem Erfolg gewesen . Meine Unbeständigkeit ist also eigentlich ein schöner und altruistischer Zug , es macht mir gar kein Vergnügen , anderen Leiden zu verursachen . Ebensowenig gereicht es mir zur Freude , wenn man mich mit Eifersucht plagt , ich habe nie recht begriffen , warum die Menschheit diese unangenehmen Emotionen so kultiviert . – Treue ist vielleicht eine besondere Begabung , ein Talent . Wie kann man Talent von jemand verlangen , der es nicht hat ? Aber ich meine , es läßt sich durch Takt und Diskretion ersetzen . Es ist doch jedesmal etwas anderes , was uns zu den verschiedenen Menschen hinzieht : der fremde Mann ist tiefe Sensation ohne Gemütsbeteiligung – ein anderer geht ans Herz und weckt wahres Gefühl – ein junger Knabe lockt uns zu einem romantischen Frühlingserlebnis – dann gibt es wieder jemand , mit dem man sich nur amüsiert , oder es läuft zufällig und geschwind irgendein heiteres Abenteuer über den Weg ... Doktor , ich kann Ihnen beim besten Willen nicht alle die vielen bunten Möglichkeiten an den Fingern herzählen , aber Sie werden zugeben , daß sie sich schwerlich in einem einzelnen Menschen beisammenfinden . Und im Leben lassen sie sich auch nicht so hübsch der Reihe nach anordnen . Es gerät immer alles durcheinander . Sie haben mir einmal einen Vortrag über › typische Erlebnisse ‹ gehalten . Ich glaube , der andere , die anderen sind von jeher mein typisches Erlebnis gewesen . Und deshalb kam ich nie dazu , einem treu zu bleiben . Schon allein der fremde Mann hat es auch in den stabilsten Zeiten unmöglich gemacht . Ein harmloses Beispiel : A... holt mich ab , zu irgendeiner Unternehmung . B... , der mich auch abholen will , kommt dazu . Wir gehen also alle drei miteinander . Zu merken : ich stehe beiden noch ganz unbescholten gegenüber . – In bezug auf A... habe ich meine Vermutungen – er lädt mich denn auch auf übermorgen ein , aber es interessiert mich einstweilen noch nicht besonders . B... begleitet mich heim – ich habe gar keine Vorahnungen , aber es folgt › une de ces heures ‹ und so weiter ... und dann natürlich auch eine Verabredung auf übermorgen . Der Abend mit A... geht in Szene und endigt schicksalsvoll , wir verlieben uns heftig und auf Dauersache . Ich fühle auch gar kein Verlangen , ihn gleich von vornherein zu hintergehen , aber ich habe B... auch sehr gerne und würde es ungerecht finden , ihn nun umgehend wieder zu versetzen . Wie peinlich außerdem , ihm beim ersten Rendezvous zu sagen : ich habe mich gestern in A... verliebt – leben Sie wohl ! Am meisten Kopfzerbrechen hat mir die Frage gemacht , welcher von ihnen nun eigentlich der andere war . Und das ist immerhin noch ein einfacher Fall , die Sache kann auch komplizierter liegen . Nein , guter Freund , es ist , weiß Gott , nicht immer leicht , seinen › erotischen Verpflichtungen ‹ nachzukommen . Monogamie und Treue sind sicher eine große Vereinfachung des › Problems ‹ . Sie möchten wissen , was es mit der irdischen und himmlischen Liebe für eine Bewandtnis hat . Es ist eine häufige Erscheinung – ich kenne mehr als einen Mann , in dessen Liebesleben diese sinnige und zweckmäßige Zweiteilung eine Rolle spielt . Ob sie auch bei Frauen vorkommt , weiß ich nicht . Von Frauen weiß man überhaupt sehr wenig , wenn man selber eine ist . Die himmlische ist natürlich ein › Wesen ‹ , das weit über allen anderen steht und das er aus irgendwelchen Gründen nicht in realere Sphären hinabziehen kann oder will – so etwa , was man eine Lichtgestalt nennt . Es gehört dazu , daß sie für ihn und sein irdisches Treiben die nötige Auffassung hat , er darf schuldbeladen zu ihr kommen und fühlt sich durch ihr Verstehen entsühnt . Das haben ja manche Männer gern . Die irdische ist – nun , einfach eine Frau , mit der man intim liiert ist . Vor allem muß sie einer Bedingung entsprechen : sie darf ihn nicht ganz für sich haben wollen und nicht neugierig auf die himmlische sein . Es ist auch überflüssig , denn er ist manchmal innerlich zerrissen , und dann erzählt er aus eigenem Antrieb von ihr . Man tut am besten , ergriffen zu schweigen . Die irdische Liebe kann natürlich wechseln , die himmlische bleibt im allgemeinen dieselbe . Ich bin , soweit ich mich erinnern kann , immer nur die irdische gewesen . Man hat mir erzählt , daß die irdische manchmal sehr böse wird , weil die andere ihm in seelischer Beziehung mehr bedeutet . Ach du liebe Zeit , seelische Eifersucht ist nun vollends nicht meine Sache . Man lasse doch seine Seele unvermählt ! – Im Gegenteil , man denkt nicht ohne Vergnügen , die himmlische hätte allen Grund eifersüchtig zu sein . Sie ist es auch gewiß . Die himmlische Liebe ist meistens eine verheiratete Frau . Entweder ist sie mit ihrem Mann nicht glücklich geworden und hat dann erst den anderen kennengelernt . Oder sie kannten und liebten sich schon vorher , und aus einem oder dem anderen zwingenden Grunde hat sie ihn nicht geheiratet . Die beste Konstellation ist , wenn sie sich erst zu spät darüber klar wurden , daß sie für einander geschaffen waren – überhaupt irgendein unseliges : zu spät , das nun seinen Schatten auf beider Leben wirft . Manchmal – seltener – ist es auch ein junges Mädchen , das er später einmal heiraten will . Die mit der himmlischen Liebe sind also eigentlich die monogamen Männer oder solche , die es werden möchten . Sie vertiefen sich mit großem Interesse in das Leben der unmonogamen Frau und zittern in dem Gedanken , die himmlische Liebe könne auch einmal ähnlich empfinden . Teurer Freund , ich renommiere gerne damit , daß man mich niemals versetzt hat , aber bei dieser Gelegenheit fällt mir aufs Herz , daß mein blanker Schild doch wohl einen Flecken aufzuweisen hat . Einmal – ja , einmal hat eine himmlische Liebe mich zu Fall gebracht . Sie war zu stark , und er fühlte sich dem Zwiespalt nicht mehr gewachsen , konnte mir nicht länger angehören , weil er immer an diese Frau dachte , die ihm nie angehören würde . Das teilte er mir sehr betrübt mit , und für mein einfaches Gemüt war es entschieden zu kompliziert . Ich gab mir alle Mühe , es tragisch zu nehmen , denn ich hatte ihn sehr gern , aber ich empfand im Grunde doch nur etwas Ähnliches wie : Guter Junge ! es regnet ! – Und als ich ihn nach einiger Zeit wiedersah , konnte ich ihn nicht mehr ausstehen , er fiel mir nur noch auf die Nerven . – Halten Sie es für möglich , daß das am Ende doch Eifersucht war ? 9 Mir geht es ebenso , lieber Doktor – weder Ihnen noch mir selbst weiß ich das Rätsel zu lösen , warum ich so lange in der Regenstadt hängengeblieben bin . Ich konnte mich einfach nicht wieder fortfinden . Das passiert mir eben hier und da . – Es war so von Herzen langweilig , immer dieselben grauen Straßen , dieselben beschaulichen Nachmittagsstunden in › unserem ‹ Tea-room vor dem Kamin – immer dieselben Menschen – nein , das stimmt nicht ganz , es waren auch manchmal andere . Aber gerade in all dieser grauen Langeweile lag etwas , wovon ich mich nicht trennen konnte – etwas von Abgeschiedenheit und Klosterfrieden . Ja , das war es wohl – ich habe es so oft bedauert , daß es nicht mehr Mode ist , von Zeit zu Zeit ins Kloster zu gehen und eine Retraite zu machen wie in früheren Zeiten . Denken Sie , wie schön es sein muß , wenn man müde vom sündigen Welttreiben , tief verschleiert und in tiefes Schwarz gekleidet , aus dem Wagen steigt , an der Klosterpforte läutet und von einer milden Äbtissin empfangen wird – um ein paar Wochen gründlich auszuschlafen . Die Regenstadt war so eine Art Retraite für mich – wenigstens in den letzten Wochen . Aber jetzt hat sie lange genug gedauert – ich bekomme manchmal sentimentalische Anwandlungen . So verfolgt mich dieser Tage ein Vers – in meiner Backfischzeit schrieb ein Onkel , den ich sehr liebte , ihn mir ins Stammbuch : Stehe aufrecht an dem Steuer – Mit dem Schiff laß spielen Wind und Wellen – Wind und Wellen nicht mit deinem Herzen – und darunter : einer , der dich kennt . Mir scheint , der Onkel hat mich doch nicht sehr gut gekannt , sonst hätte er sich die Mahnung wohl von vornherein sparen können . – Wind und Wellen haben seit damals ganz erheblich sowohl mit dem Schiff als auch mit dem Herzen gespielt – und das Steuer – ich fürchte , es war überhaupt eine überflüssige Einrichtung , ich habe nie versucht , es in Tätigkeit zu setzen . Auch jetzt schwanke ich wieder einmal , wohin die Fahrt gehen soll . Manchmal hatte ich schon beinahe Lust , in die heimischen Gefilde zurückzukehren . Natürlich vor allem , um Sie durch meine Nähe zu beglücken . Aber Sie wissen ja , ich habe die schlechte Gewohnheit , bei jeder Abreise meine jeweilige Daseinsform aufs gründlichste aufzulösen , und muß mich dann bei der Rückkehr von neuem › etablieren ‹ . Dazu bin ich jetzt nicht aufgelegt – absolut nicht . Wissen Sie auch , Doktor , daß es verschiedene Heimwehs gibt ? Eines nach der wirklichen Heimat , vorausgesetzt , daß man eine gehabt hat – das ist recht zwecklos und gibt sich auch mit der Zeit . Dann ein Gewohnheitsheimweh , nach dem Ort oder den Orten , wo man länger gelebt hat . Und schließlich ein ganz starkes nach der Fremde , nach Eisenbahnen , Dampfschiffen , fremden Sprachen , Koffern und Hotels . Ich weiß , wenn das alles wieder um mich ist , fühle ich mich zu Hause , und zu Hause ohne alle Sentimentalität . Kurz , lieber Freund , dahin steht jetzt mein Verlangen . Die bekannte innere Stimme rät mir dringend ab , es wieder mit einem Wohnort zu versuchen . Wohnorte eignen sich doch nie recht für mich , und ich eigne mich nicht für die Wohnorte , es gibt also nur Konflikte . Ich glaube , mir kommt alles im Leben immer zu provisorisch vor , und ich nehme es dann auch zu sehr in diesem Sinne . Vielleicht bin ich selbst eben nur provisorisch gedacht , nur › entworfen ‹ . Es will mir manchmal so scheinen . Aber es ist wirklich zum Gottserbarmen , was ich da heute zusammenschreibe , und es wird besser sein , ich höre auf . Machen Sie sich deshalb um meinen Gemütszustand keine Sorge , es ist wohl nur die lange Retraite und der Abschied von der nassen Stadt , was mich so nachdenklich stimmt . Und trösten Sie sich , lieber Freund , daß ich einstweilen noch nicht auf der Bildfläche erscheine – vielleicht finden Sie inzwischen Yvonne – und wenn Sie gar nichts finden – kommen Sie mir nach . 10 Nun bin ich fort – die Regenstadt liegt in weiter Ferne , die Klosterpforte hat sich hinter mir geschlossen , bis zur nächsten Retraite – die Äbtissin ... die Äbtissin war sehr liebenswürdig und hofft – machen wir drei Kreuze hinter ihre Hoffnungen . Bahnhöfe und Hotelzimmer – ich bin sehr glücklich . Ein unschätzbares Gefühl : nicht hier und nicht da , sondern einfach fort zu sein . Daß ich den ersten Brief aus Venedig schreibe – Kopfschütteln Ihrerseits – Venedig ? – Was wollen Sie , mein Freund ; wieder einmal Schicksal , wieder einmal typisches Erlebnis . Nein , ich wollte auch gar nicht hierher , aber wenn ich nach Italien gehe , will ich regelmäßig nicht nach Venedig und komme regelmäßig doch hin . Erinnern Sie sich noch an das letzte Mal , als ich unerwartet und reisefertig zu Ihnen hinaufkam und Ihnen kundtat , ich müsse auf zwei Tage nach Brindisi fahren ? Es handelte sich um ein längstersehntes Wiedersehen , und das ließ sich durchaus nicht anders arrangieren als eben in Brindisi . Es sollte auch sonst niemand darum wissen , aber an der Bahn traf ich einen entfernten Bekannten , der in denselben Zug stieg . Tags zuvor hatte ich ihm mit vieler Mühe vorgeschwindelt , ich wollte nach Berlin fahren . – Nun fuhren wir zusammen bis Verona , und es half mir nichts – zur Strafe für den Schwindel mußte ich ihm versprechen : auf der Rückreise einen Tag Venedig . An diese Reise denke ich heute noch mit Vergnügen . Italien und ich flogen so einander vorbei , es hat mir noch nie so gut gefallen . Den Tag im Coupe , die Nacht im Schlafwagen – ein paar Stunden Rom , ein paar in Neapel , vierundzwanzig Stunden in dem gottverlassenen Brindisi – gerade genug für Wiedersehen und Abschied . Dann wieder Eisenbahn , Eisenbahn – übernächtig , glücklich und etwas wehmütig – irgendwann um Mitternacht in Venedig – auf dem Kanal , auf dem Markusplatz , im Hotel – mit dem entfernten Bekannten . Genau sechs Tage nach der Abfahrt saß ich wieder bei Ihnen und hab' Ihnen zur Strafe recht wenig erzählt . Denn Sie mokierten sich weidlich über meinen Ritt ins romantische Land und hatten allerlei schwarze Verdächtigungen . Daß ich wirklich aus alter Treue – in der alten Treue bin ich immer stärker gewesen als in der neuen – in Brindisi war , daran glauben Sie ja noch heute nicht . Und diesmal geschieht Ihnen ganz recht , daß es nicht viel zu erzählen gibt – es ist kaum der Rede wert – nur die harmlose Geschichte vom roten Faden , die Ihre Sensationslust hoffentlich etwas enttäuscht . Die Geschichte vom roten Faden handelt nämlich nur von einem Erlebnis , das nie zustande kam . Ich muß etwas ausholen , denn die Anfänge der Begebenheit liegen schon um einige Jahre zurück , aber ich will es so kurz wie möglich machen . Wir waren damals , was man einen animierten Kreis nennt , und S... , der Held meiner Geschichte , gehörte mit zu diesem Kreise . Ein Freund von ihm war mein sehr guter Freund , mit dem ich gerade auf Reisen gehen wollte . Man war noch mitten in den Flitterwochen . Wir brauchten volle zwei Monate , um endlich fortzukommen , derweil lebten und wohnten wir zwischen unzähligen Koffern , die immer wieder aus- und eingepackt wurden , zwischen Flinten , Sattelzeug und wissenschaftlichen Apparaten , die uns alle begleiten sollten , und feierten unaufhörlich Abschiedsfeste , denn jeder Tag konnte der letzte sein . Es war eine beständige Konfusion von Wohnungen , Hausschlüsseln und improvisierten Nachtquartieren , woraus sich viele schwierige und heitere Situationen und eine angenehm sündhafte Atmosphäre ergaben . Wir – S... und ich – waren uns von Anfang an sympathisch und flirteten weidlich miteinander ; aber ganz in Ehren , der Sachlage angemessen . Man blinzelte sich gewissermaßen zu : jetzt nicht , aber vielleicht später einmal . Und dieses : später einmal – bildet den Inhalt der ganzen Historie . Ich ging auf Reisen und kam wieder zurück , man sah sich wieder , und inzwischen war verschiedenes anders geworden. S... und ich setzten uns ins Einvernehmen , daß jetzt der Moment gekommen sein dürfte . – Aber es sollte nicht sein . Ich weiß nicht , wie oft wir schon beisammen saßen und trauliche Zwiesprache pflogen – jedesmal gab es eine gänzlich unvorhergesehene Unterbrechung . Wir gaben uns Rendezvous , duzten uns auch einmal schon acht Tage lang – immer wieder kam etwas dazwischen . Wir hatten schließlich das Gefühl , als ob das Schicksal – meines oder seines – uns durch Detektive überwachen ließe , die pünktlich im gegebenen Moment uns die Hand auf die Schulter legten : bis hierher und nicht weiter . Ich erinnere mich vor allem an einen Abend , wo er siegesfroh bei mir zum Souper erschien . Wir waren beide etwas verlegen und dachten : ... ja ... nun . . . Aber es klingelte , und eine Freundin kam – ebenfalls mit Souperabsichten . Das wäre ja an sich noch nicht so schlimm gewesen – wir soupierten also zu dreien mit vieler Heiterkeit. S... wollte sie dann heimbegleiten – ein Blick : ich komme wieder ... Fünf Minuten später kamen alle beide die Treppe wieder herauf – der Schlüssel war in der Haustür abgebrochen . Es gab also wieder einmal Nachtquartier in der Mehrzahl , das die ironische Vorsehung schon so oft über uns verhängt hatte . Gute Miene und böses Spiel , denn die räumlichen Verhältnisse ermöglichten wohl eine pikante Situation zu dreien , verwehrten aber jedes tete-a-tete . Nie vergesse ich den schmerzlichen Zug um seine Lippen , als er morgens beim Abschied sagte : ich möchte wissen , in welcher Konstellation wir das nächste Mal übernachten werden . Aber es blieb bei dieser letzten , denn ich verreiste bald darauf und er verlobte sich – heiratete – war recht unglücklich in seiner Ehe und ließ sich wieder scheiden . Unsere Wege trennten sich , kreuzten sich hier und da wieder , wir blieben immer irgendwie in freundschaftlichem Kontakt , und es bildete sich allmählich die Tradition heraus , daß S... in angemessenen Zwischenräumen bei mir anfragte , ob mein Herz und meine Hand – sei es auch nur die Linke – zurzeit verfügbar sei . Aber jedesmal , wenn er in zierlichen Redewendungen seinen Antrag stellte , waren Herz und Hand schon anderweitig in Anspruch genommen . – » Warum kommen Sie gerade jetzt ? – Dienstag vor vierzehn Tagen ... « Und war bei mir eine Vakanz , die ich gern vergeben hätte , so war er gerade in Spanien , um irgendeinen alten Meister zu entdecken , oder ging ernstlich damit um , ein junges Mädchen aus guter Familie zu heiraten . Das letztemal , als wir uns zufällig in Berlin trafen , meinte er förmlich erbittert : es sei allmählich höchste Zeit , daß diese Angelegenheit , die sich nun schon so lange wie ein roter Faden durch unser beider Leben ziehe , einmal ausgetragen würde . Von jetzt an sei es an mir , den Wink zu geben . Wir haben dann ausgemacht , daß ich ihm , wenn der geeignete Zeitpunkt käme , einen roten Faden zuschicken sollte . Zwei oder drei Monate später lag der rote Faden bereit – es war sogar eine schöne , dicke seidene Schnur – er lag schon kuvertiert in meinem Schreibtisch , und es war nur Bummelei , daß ich ihn noch nicht abgeschickt hatte – da bekam ich wieder eine Verlobungsanzeige von Freund S... Am Vorabend seiner Hochzeit habe ich ihm den roten Faden in die Hand gedrückt , und wir haben beide heiter und herbstlich dazu gelächelt . Letzten Winter hörte ich , daß er noch einmal wieder von der Ehe Abschied nehmen wollte – ja , und vor ungefähr acht Tagen kam ein Brief aus Venedig – in dem Brief lag meine rote Seidenschnur . . . Voila – Freund und Doktor , das Weitere werden Sie nie erfahren – machen Sie sich keine Hoffnung . Bedenken Sie , daß die Lösung ja in jedem Fall banal ausfallen muß . Legt die Vorsehung wieder ihr Veto ein , so wird es langweilig . Drückt sie aber diesmal ein Auge zu , so verliert die Geschichte vom roten Faden erst recht ihren Reiz . 11 Falsch geraten – ich bin in Rom , und S... ist nach Norwegen gefahren . Ein hoffnungsloser Fall – der arme Kerl strebt im Grunde seines Herzens doch nur danach , wieder zu heiraten . Für seine Bekannten ist ein Trost dabei : er ist immer am nettesten , wenn er eben eine Scheidung hinter sich hat . Das wirkt auf seinen inneren Menschen wie eine Art Wiedergeburt – aber es ist halt doch etwas umständlich . Nun beschäftigt er sich neuerdings mit Rassentheorie und meint , an seinen bisherigen Fehl-Ehen sei vor allem die schlechte Rasse seiner Gefährtinnen schuld gewesen . Ja , und deshalb will er jetzt die reinrassigen nordischen Frauen näher studieren . Wir saßen den letzten venezianischen Nachmittag am Markusplatz beim Eiskaffee und erwogen voller Wehmut , was geschehen wäre , wenn wir beiden uns doch damals am Anfang unserer Bekanntschaft geheiratet hätten . Vielleicht wollte die Vorsehung nur darauf hinaus und hat unserer illegalen Neigung deshalb so viele Steine in den Weg gelegt , wer kann es sagen ? Und wäre ich jetzt seine geschiedene Frau – rechnete er mit Bedauern aus – , so verfügte er doch wenigstens über eine kleine Rente , während er unter den obwaltenden Verhältnissen leider herzlich wenig für mich tun könnte . Kurz , er zeigte sich recht besorgt um meine finanzielle Gegenwart und Zukunft , gab mir viele gute Ratschläge und machte mich noch telegraphisch mit einem seiner vielen und merkwürdigen Auslandsfreunde bekannt , der gerade in Rom ist und mich denn auch mit fürstlichen Ehren empfangen hat . Man nennt ihn einfachheitshalber den Sizilianer , weil er meist in Sizilien lebt und seine Nationalität etwas verwickelt ist . Er ist in Madagaskar geboren , aber ich glaube , aus spanischer Fanlilie , also immerhin reizvoll international – gebrochenes Deutsch – nun , man wird ja sehen . Ich gestehe Ihnen offen , manches von dem , was S... mir sagte , ist mir wirklich zu Herzen gegangen . Er erklärte es für geradezu unverantwortlich , daß ich immer noch keine ernstlichen Schritte getan , um mich zu rangieren . Er hat recht , und ich habe es mir ja selbst ja auch schon hundertmal gesagt – und Sie – und verschiedene andere . Ein schwieriger Punkt – ich kann das Gerede von Problemen sonst nicht ausstehen – es sind ja fast nie welche – aber diese Sache erkenne ich an , als Problem , als alles , was Sie nur wollen . Ganz sicher : es ist immer empörend für eine Frau , wenn das äußere Dasein sich nicht angenehm und schmerzlos abwickelt . Einmal hat ja doch jede – jede den angeborenen Hang zu Wohlleben und Bequemlichkeit , auch wenn sie 's nicht wahrhaben will oder sich 's nicht leisten kann . Und dann tut es auch der Eitelkeit weh : Frau in Geldschwierigkeiten ist immer wie ein Bild , das schlecht gerahmt ist und am unrechten Platz hängt . Teurer Doktor , da wir nun doch einmal von mir reden – seit ich aus meinem wertvollen alten Familienrahmen entfernt wurde , hat mir wohl keiner mehr gepaßt . Mancher war recht gut , mancher wieder sehr mittelmäßig , und es gab auch Zeiten , wo das Bild nur mit Reißnägeln an die Wand geheftet war . Ja , ja – und wie S... mir auch wieder vorhielt – ich hätte alle möglichen Chancen haben können . Aber was wollen Sie ? – die legitimen ? Gott soll mich bewahren – und er hat mich bewahrt . Wenn ich eine gute Partie machen konnte , hatte ich immer gerade keine Lust zu heiraten , und das eine Mal , wo ich dann doch heiratete , wurde der Mann erst eine gute Partie , als ich schon wieder über alle Berge war ( Sie wissen ja , wie lange meine Ehe gedauert hat ) . Jetzt hat er eine glänzende Stellung , und ich hätte sie auch . Aber was täte ich damit ? Ach , und der Mann liebte mich – in der Ehe könnte ich das auf die Länge nicht aushalten . Höchstens eine Distanzehe mit sehr viel Geld , so daß jeder seinen eigenen Flügel bewohnte , seinen eigenen Train und seinen Verkehr für sich hätte . Zu den Mahlzeiten träfe man sich in großer Toilette und mit vielem Zeremoniell , will er mich außerdem noch sehen , so läßt er sich durch seinen Kammerdiener melden : Der gnädige Herr läßt fragen , ob sein Besuch heute abend angenehm wäre ? – Der gnädige Herr ist immer willkommen . Habe ich Gäste , die sich für ihn eignen , so lade ich ihn ein . Seine Stellung als Hausherr wird dann natürlich betont , er dürfte nie kompromittiert werden – kompromittierter Ehemann ist geschmacklos und unmöglich . Und hat er Besuch , so mache ich auf Wunsch in seinen Räumen die Honneurs . Das wäre die einzige Möglichkeit , auf die ich heiraten möchte – schade , schade , daß Sie nicht Geld genug haben , wir könnten es vielleicht versuchen . – Ich habe auch sicher in einem früheren Leben schon eine solche Ehe geführt , mir kommen alle Details so durchaus vertraut vor , auch die Art der Beziehungen und das Wesen des Eheherrn . Aber kehren wir zu unseren moutons zurück – die illegitimen Chancen ? – sehen Sie , unsere Freunde denken im allgemeinen , wir täten uns so leicht damit – man brauchte nur zu wollen , so hätte man , was man wollte . Nein , ich glaube , auf diesem Gebiet spielt der Zufall uns so willkürlich mit wie auf keinem anderen . Männer , die uns finanzieren wollen , gibt es genug , aber solche , die angenehm und dauernd finanzieren , dabei sympathisch oder wenigstens erträglich sind , nicht zuviel persönliche Ansprüche stellen und uns nicht plagen – ich fürchte , die muß man mehr oder weniger als seltenen Glücksfall betrachten . Meine besten Utilitätsbeziehungen oder die es werden wollten , waren fast immer Leute , die ich von vornherein oder nach kurzer Zeit nicht mehr ausstehen mochte . In günstigeren Fällen standen sie gerade erst im Begriff reich zu werden – man hätte warten und ausdauern müssen – oder sie hatten eben ihr Vermögen verloren . ( Ich hoffe , Sie werden endlich einsehen , daß ich eigentlich doch ungemein wählerisch bin . ) Wie oft habe ich mir gesagt : liebes Kind , es muß nun einmal sein ... der Ernst des Lebens ... Schulaufgaben müssen gemacht werden , sonst gibt es kein Dessert . . . Aber ich habe weder als Kind noch später den nötigen Eifer für meine Schulaufgaben gehabt , es war immer etwas anderes da , was mich gerade mehr lockte . Wenn man auf diesem Wege Karriere machen will und nicht ganz besonderen Dusel hat , muß man vor allem eiserne Nerven und eiserne Ausdauer haben . Und , wie beim Theater , möglichst früh anfangen , damit die Schattenseiten des Metiers zur Gewohnheit werden . Hat man sich erst daran gewöhnt zu tun und zu lassen , was man eben gerne tun und lassen möchte , ja , dann ist man zu verwöhnt . L'art pour l'art ist sicher schöner , erfreulicher , aber unrentabel . Nerven und Ausdauer , also im Grunde etwa dieselben Qualitäten wie für die Ehe . Stellen Sie sich eine Dauersache mit Finanzhintergrund vor – auf einmal hat man keine Lust mehr , möchte ich ihn eine Zeitlang nicht mehr sehen – aber er kommt unweigerlich zwei Abende in der Woche , will einen womöglich zwischendurch noch sehen . Oder es gefällt einem plötzlich jemand anders – finanzielle Dauersachen sind noch eifersüchtiger als der verheiratete Gatte . Manchmal lieben sie uns auch wirklich – sogar die Seele . Und verschiedene a tempo – sehr unbequem ! Sobald die Männer Geld hergeben , sind sie viel scharfsichtiger und wissen besser Bescheid über Einkaufspreise : Jeder ahnt den anderen : Woher die indische Decke ? – oder der Pelz oder sonst irgend etwas . Man müßte denn schon eine offizielle Persönlichkeit sein – nur so oder mit Nebenberuf – etwas Tanzendes , Singendes , Springendes . Das schwächt die Eifersucht ab , weil man damit renommieren kann : die Soundso ? Aha – kenne ich auch ! Und ein Beruf , wäre er auch noch so lustig – wir wissen es beide , lieber Doktor – selbst wenn der Himmel mir die schönsten Talente in die Wiege gelegt hätte , die Ausdauer ist nun einmal vergessen worden , und ohne die geht es in keiner Branche . Übrigens habe ich immer wieder die Beobachtung gemacht , daß die Mädchen , die aus unteren Schichten heraufkommen , viel energischer und zielbewußter danach streben , Karriere zu machen . Sie wollen um jeden Preis nach oben kommen und reüssieren deshalb auch viel eher . Wir anderen – ich zum Beispiel , bin sehr verwöhnt aufgewachsen , die äußeren Annehmlichkeiten waren einfach da und erschienen mir nie als etwas Außerordentliches . Das bleibt im Gefühl – hätte ich von heute auf morgen Haus und Hof , Equipage , Dienerschaft und so weiter – es würde mir nur selbstverständlich vorkommen . Ist es nicht vorhanden , so empfinde ich das eigentlich wieder nur als einen provisorischen unangenehmen Zustand . Hat man den Zug verpaßt , so muß man halt auf irgendeiner mesquinen kleinen Station warten , aber man identifiziert sich deshalb noch nicht mit ihr . Ich fürchte überhaupt , die gute Erziehung , das Aufwachsen in einer erstklassigen Umgebung ( sehen Sie , wie ich mich in die Brust werfe ) beeinträchtigt die Entwicklung der praktischen und kaufmännischen Instinkte sehr stark . Man empfindet es immer als widersinnig , daß die Existenzfrage sich nicht ganz von selbst erledigt . Ich bin überzeugt , daß keiner meiner näheren Standesgenossen imstande ist , einen Kursbericht zu verstehen ; kommt er einmal auf den Gedanken zu spekulieren , so läßt er es eben durch seinen Bankier machen . Und als Frau – sollte man zumindest einen Impresario haben , dann wäre es schon eine andere Sache . Aber dieses Amt übernimmt wieder kein Mann , der etwas auf sich hält . – Man müßte – man sollte – ich weiß schon , mein Lieber , Sie haben Ihre Freude daran , wenn ich auf dem Diwan liege und aus tiefster Seele sage : man sollte eigentlich ... und doch um keinen Preis aufstehen würde , um das , was man › eigentlich sollte ‹ , in Angriff zu nehmen . . . 12 Nicht so ungeduldig , mein Freund – ich weiß sehr wohl , daß es sich gehört , Briefe fertig zu schreiben , aber › das Leben nahm mir die Feder aus der Hand ‹ , und ich war seither nicht in Teestimmung . So hab' ich ihn als Fragment abgeschickt , um Sie nicht länger warten zu lassen ; und ich denke , für ein Fragment war er lang genug . Heute würde ich nun wohl schwerlich den Faden wiederfinden , wenn Sie ihn mir nicht so liebenswürdig zugereicht hätten . Das › Thema ‹ scheint Sie beinah mehr zu interessieren als mich selbst , ich möchte wissen warum . Es sieht fast so aus , als könnten Sie die Zeit nicht erwarten , wo Sie an meiner Seite Viere lang fahren werden . Es wäre auch sicher sehr hübsch , aber einstweilen gefällt es mir noch ganz gut , hier und da in ein fremdes Auto einzusteigen und so weit mitzufahren , wie ich gerade Lust habe . Ist keines da , so läuft man zu Fuß und flucht oder amüsiert sich darüber – je nachdem . Gott ja – das berühmte Thema – teurer Doktor , bitte , verwechseln Sie den Mangel an kaufmännischem Talent nicht wieder mit innerem Wert . Nein , ich habe innerlich nichts , gar nichts gegen das › Verkaufen ‹ einzuwenden , weder für andere noch für mich . Nur müßten die Bedingungen angenehm und annehmbar sein . Und das ist selten , ach , so selten der Fall , vielleicht verfolgt auch gerade mich ein besonderer Unstern . Erschrecken Sie nicht , ich möchte sogar gelassen aussprechen , daß für mein Gefühl der Handel in seiner direktesten Form immer noch die beste Möglichkeit wäre und eigentlich auch die anständigste . Ein fremder Herr ( schon die Fremdheit ... Sie wissen ja ... ) , der spurlos wieder in der Versenkung verschwindet – was für eine Ersparnis an Nervenkraft gegenüber dem festen Utilitätsverhältnis , das vorsichtig gehandhabt und geduldig ertragen werden muß . Aber auf diesem Gebiet ist ja leider alles so mangelhaft organisiert , so gesellschaftlich unmöglich gemacht ... verlassen wir es lieber ... Der Sizilianer ist gerade zur rechten Zeit aufgetaucht , und sein Auto ist gut . Warum ist er Ihnen nicht › ganz geheuer ‹ ? Ein › Rasta ‹ , mit dem ich arg hereinfallen werde , meinen Sie – sicher ist er ein Rasta , aber das ist ja gerade sein Hauptcharme , ich habe immer ein Faible dafür gehabt . Und vermutlich fällt er eher mit mir herein , denn er scheint es wenigstens bisher bitter ernst zu nehmen . Und ich weiß nicht recht , was ich mit seinem Herzen anfangen soll . Es kann ein Dilemma sein , ob man jemand glücklich oder unglücklich machen soll . Manche haben mehr davon , wenn sie unglücklich sind – sie wollen gerne alle Tiefen der Leidenschaft durchmessen – und sind dann auch traitabler . In diesem Falle bin ich mir noch nicht klar darüber . Pedro – so heißt er – ist in seinem ganzen Wesen etwas ungestüm , und wenn er zu glücklich ist , werde ich einen schweren Stand haben . Aber die direkte Werbung steht noch aus – ich finde diesen Zwischenzustand sehr reizvoll und möchte ihn noch eine Zeitlang festhalten . Er umwandelt mich einstweilen auf Freiersfüßen und demonstriert mir vor , wie angenehm das Leben sich an seiner Seite leben läßt . Wenn ich zum Frühstück komme , sitzt er schon da , eine Blume im Knopfloch , dieselbe Blume als Strauß an meinem Platz – etwas ungeduldig , denn ich komme immer eine Stunde zu spät , und sein Chauffeur tyrannisiert ihn . Madame ... – Handkuß – ces fleurs ... dann kommt , was die Blumen des heutigen Tages mir sagen sollen . Darin ist er erfinderisch . Gott , muß es anstrengend sein , sich jeden Morgen etwas anderes auszudenken ! Dann fahren wir in die Umgegend oder treiben uns in der Stadt herum , er macht die Honneurs , jagt mich durch Altertum , Renaissance und römisches Volksleben der Gegenwart – immer mit demselben Feuer , der Beredsamkeit des Südländers und vielen Gesten . Er findet mich blasiert ( sagen Sie mir bitte – bin ich es wirklich ? ) , wenn ich nicht über jede alte Kaiserbüste und jede Osteria , wo ein paar Arbeiter Wein trinken und Musik machen , in Ekstase gerate . Ich kann mir nun einmal nicht helfen , es kommt mir ganz selbstverständlich vor , daß in Rom alles römisch oder in Griechenland alles griechisch ist , und daß es eben daselbst früher alte Römer und alte Griechen gegeben hat . Warum muß man das so aufregend finden ? Und macht mir irgend etwas besonderen Eindruck , warum soll ich dann eine Rede darüber halten ? Unterbrechung ... drei Tage später . . . Nein , ich glaube , man darf diesen Mann nicht unbedingt glücklich machen , er ist zu erdrückend intensiv . Den ganzen Tag über habe ich das Gefühl , als ob ich mit dem Vesuv spazierenginge . Der letzte Montag , an dem ich dieses Handschreiben begann , war der Vorabend großer Ereignisse . Soll ich Ihnen › alles ‹ erzählen ? – Nein , ich erzähle nie alles , und Sie verdienen noch Strafe für den Rasta und für Ihre Zweifel – also bekommen Sie heute nur einen Auszug . . . Ein Situationsbild ... wir sitzen spät abends am Kolosseum . Ich habe eine glühende Schilderung der Gladiatorenkämpfe ohne Zucken über mich ergehen lassen . Der Chauffeur wandert grollend in irgendeinem Stockwerk des › immortale Amfiteatro ‹ auf und ab , er haßt diese Art von Unternehmungen , er haßt überhaupt die Romantik seines Herrn , haßt mich . – Ich leide darunter , ich kann es durchaus nicht vertragen , wenn ein männliches Wesen mich mit Abneigung betrachtet , sei es auch nur ein Eisenbahnschaffner oder ein Chauffeur . Wir haben das Altertum verlassen , unser Gespräch dreht sich jetzt um andere Dinge – um Liebe . Wenn man zu zweien im Dunkeln sitzt , ist es wohl immer das Nächstliegende . Wir sprechen alle Abende um diese Zeit über Liebe , auch wenn wir im Restaurant sitzen , und die persönliche Nuance wird von Abend zu Abend stärker betont . Er geht allmählich in einen Hymnus auf die Frauen über – im allgemeinen – im besonderen – die Frauen im Süden – die aus dem Norden – die blonden – die eine blonde Frau , mit der man eben jetzt in Rom unvergeßliche Frühlingstage verlebt . Etwas zuviel echtes Gefühl – das kann unter Umständen leise beklemmend wirken . Mit seinem Rastatum ist es doch nicht weit her . Aber er spricht ein entzückendes Durcheinander von Deutsch , Französisch , Italienisch – das hab' ich so gern , mein Herz schlägt doch etwas für ihn ... meine Hand ruht zwischen seinen beiden Händen ... sehr gute Hände mit schönen Nägeln und einem breiten , sonderbaren Ring . Es scheint also , daß wir einig sind ... aber auf ein mal wird er sehr merkwürdig ... schweigt ... verfinstert sich ... Stumm , gewaltsam drückt er mir die Hand , beide Hände , steht auf , pfeift dem Chauffeur . Wir steigen ein und fahren langsam , sehr langsam noch ein Stück aus der Stadt hinaus . Ganz plötzlich , ganz unvorhergesehen , kniet er neben mir – vor mir ist nicht Platz genug – beinah beschwörend : » Ich bin ein schlechter Mensch ... schlecht ... sehr schlecht . « Ich : » ... ??? « Ja , er ist verlobt – dort in Sizilien , und doch – und Rom – und eine blonde Frau . . . Ich atme auf . Wenn 's weiter nichts ist . . . Die Blumen am nächsten Morgen waren viele dunkelrote Rosen , und er ist sehr glücklich – eben etwas zu glücklich . 13 Armer Freund , Sie haben es in letzter Zeit schlecht gehabt – Fragmente , Ansichtskarten und leere Versprechungen , aber heute abend bin ich nur für Sie vorhanden und gedenke es wieder gutzumachen . Zuerst will ich Ihnen danken , daß Sie mir Ihren Segen nicht weiter vorenthalten und sich so liebenswürdig mit dem › Rasta ‹ ausgesöhnt haben . Wer weiß , ob Sie ihn nicht demnächst unter die Wertvollen einreihen . Auch in meinen Augen hat er immer mehr gewonnen . Es hängt viel davon ab , wie ein Mann die ersten Schritte gestaltet , und das hat er sehr hübsch gemacht , erst allmählich und diskret , dann dramatisch und flammend . Wie angenehm , daß man als Frau dieser Mühe überhoben ist – es muß gar nicht so leicht sein , den rechten Ton zu finden , und einige fangen es denn auch recht dumm an – so der Siegertypus , der beim ersten leisen Zeichen von Wohlwollen mit einer großen Gebärde die Tür schließt : Nun bist du mein ! Überhaupt haben manche einen feststehenden Trick . Ich weiß einen älteren Herrn – wenn der zufällig mit einer Frau allein im Zimmer ist , setzt er seinen Zwicker auf , sieht sich vielsagend um und bemerkt : Ist das nicht eine wahnsinnig komische Situation ! – ( Durch Freundinnen habe ich erfahren , daß er es jedesmal so macht . ) Ob das wirksam ist ? Ich weiß nicht – auf mich hat es keinen verführerischen Eindruck gemacht . Ich wußte nur zu antworten : ja , es sei wirklich zum Totlachen – und da schwieg er betroffen und enttäuscht . Vielleicht lag es auch daran , daß ich ältere Herren überhaupt nicht besonders schätze . Aber ich habe Ihnen heute noch viel zu erzählen . . . Die Hauptbegebenheit – also hören Sie : ich sitze neulich unten in der Halle und warte auf den Chauffeur , der mich abholen soll , warte schon lange und schlafe beinah ein . Jeden Augenblick gehen Leute vorüber , und dann bleibt jemand hinter mir stehen – ein wohlbekanntes : How are you ? – Sir John mit einem jugendlichen Begleiter – und im gleichen Augenblick der haßerfüllte Chauffeur , um zu melden , daß sein Herr mich draußen erwartet . Nur gerade Zeit zu einem ungeheuren Händeschütteln , Vorstellung des Begleiters und einer raschen Verabredung , dann stürzte ich meinen Verpflichtungen nach und hörte nur noch ein etwas verwundertes : O I say ! hinter mir herklingen . Wir trafen uns denn auch nächster Tage , in einem Tea-room natürlich . Keine Wehmut , mein Freund , wenn Sie hier wären – nein , doch nicht – es würde jetzt kein gutes Dreieck geben . Also , mit Sir John im Tea-room , seinen neulichen Gefährten hatte er mitgebracht . Der junge Mann ist Dichter , zeigt aber keine äußeren Symptome seines bedenklichen Handwerks , verhielt sich sehr schweigsam , sehr erzogen , sehr diskret , während wir einem lebhaften Austausch frönten . Dieses Wiedersehen war beiderseitig ein großes Fest . Sir John , der Vielgenannte , den Sie ja leider nie kennengelernt haben , ist wohl der Mann , mit dem ich mich von allen am besten verstehe . Ich muß wieder einmal etwas indiskret sein , um Ihnen das zu erläutern . Es besteht zwischen uns ein : on revient toujours – wirkliche Freundschaft mit amourösen Intervallen , die immer ohne Tragik , ohne Konflikte und Bitternis verlaufen sind . Er hat sehr vielfältige Beziehungen zu Frauen und kultiviert jede einzelne wie ein Gärtner seine Pflanzen , jede bekommt ihr besonderes Terrain und ihre besondere Pflege . Für jede ist er der aufmerksamste und angenehmste Galan und suggeriert durchaus das Gefühl , daß er im Moment nur für sie da ist . Unmöglich , ihm übelzunehmen , wenn er sagt : Sie müssen sich unbedingt für heute abend frei machen , denn übermorgen treffe ich eine Frau , die ich sehr liebe , aber es ist eine etwas tragische Sache , und ich werde dann ein paar Tage Melancholie haben . Ebenso wird er dieser Frau sagen , sie müsse einen Tag warten , denn er wolle vorher noch mit einer anderen sehr vergnügt sein . Er erzählt viel von seinen Amouren , taktvoll und aus wirklich tiefem Interesse , denkt über jede einzelne sehr ernsthaft nach , hat auch gerne , wenn man ihm erzählt , und denkt ebenso ernst darüber nach . Die sizilianische Angelegenheit erfüllte ihn mit innigem Vergnügen , als hätte ich ihm einen großen persönlichen Gefallen erwiesen . Nun , mich freut sie ja auch , besonders seit die beiden hier sind . Man hat manchmal sehr gerne jemand zum Miterleben . Die allzu ausführliche Zweisamkeit fing gerade an , mich etwas zu ermüden , und was ich hier sonst en passant kennengelernt habe , war nichts Rechtes . Italiener haben immer die gleiche Feurigkeit , ob es ein Offizier , ein höflicher Kutscher oder ein Priester ist . Nun kann ich wenigstens , sooft es geht , mit Vergnügen ausreißen , meinem Amante habe ich mit einiger Mühe plausibel gemacht , daß ich manchmal allein sein müßte , um römische Eindrücke in mich aufzunehmen . Nur mußte man vorsichtig sein , und das ist immer eine Pein für mich . – Aber wie Sie sehen , bin ich diesmal sehr darauf bedacht , meine Chancen zu wahren – ich habe Grund , aus allerlei explosiven Äußerungen zu schließen , daß sie nicht schlecht sind , trotz der Braut in Sizilien , derer er manchmal – nach beiden Seiten hin – mit Reue und Bedauern gedenkt . Letzte Woche war ich mit Sir John und seinem Schützling in den Katakomben ; Sir John wollte dort irgendwelche Studien machen und betrieb sie mit seiner englischen Gründlichkeit , während der Dichter und ich draußen in der Sonne saßen und uns unterhielten . Sir John hat uns beide vorsorglich gewarnt , wir sollten nicht miteinander in love fallen ; mich : er sei noch gar so jung und grün – und ihn : ich dürfe mir die berühmten Chancen nicht durch eine überflüssige Amourette verderben . Das Spiel ist ungefährlich , ich würde mich schwerlich mehr in einen Dichter verlieben . In früheren Zeiten ist es schon vorgekommen , aber es war immer sehr anstrengend . Man mußte so viel posieren , sonst wird der Dichter ernüchtert – muß ihn immer im Rausch erhalten , denn ein richtiger Dichter will eben Rausch – Purpur – Gold – und so weiter . Für das alles hat man aufzukommen , muß immer auf dem Sockel stehen . Eine Zeitlang ging das auch – nein , eigentlich ging es doch wohl nicht , es war immer viel Schwindel dabei . Nur gefiel es einem , auch einmal pathetisch genommen zu werden . Aber dann verlangte man doch wieder herunter , sehnte sich wie Nebukadnezar danach , mit den Tieren des Feldes Gras zu fressen . Das können die Dichter nicht leiden . Und dann sollte man Seele haben , möglichst viel Seele . Ich hatte auch einmal so etwas , oder man hielt es dafür . Ich glaube , es war nur , wenn ich mich aus irgendeinem Grunde nicht wohl in meiner Haut fühlte . Das halten die Mitmenschen ja gerne für ein Kennzeichen von intensivem Seelenleben . Gott , es muß ja auch nicht immer ein professioneller Dichter sein , aber Sie können sich schon denken , welche Art Leute ich meine . Der Knabe , mit dem ich hier über alten Gräbern wandle , scheint übrigens nicht zu dieser Sorte zu gehören . Ich interviewte ihn recht gründlich darüber , und er wurde ganz unglücklich . Er habe nun einmal Talent und das Schreiben mache ihm Freude , während er sich mit einem bürgerlichen Beruf schwer abfinden würde . Aber Dichter – ja , es sei eine peinliche Bezeichnung , das fände er selbst , und es wäre ja trostlos , wenn die Frauen einem deshalb davonliefen . » Oh , ich bin Ihnen noch nicht davongelaufen – und wie war 's denn mit den anderen ? « » Ach , die Frauen , die ich bis jetzt – geliebt habe , waren eigentlich alle schrecklich ... « » Das ist ein melancholisches Bekenntnis – armer Dichter ! « » Und wenn mir eine wirklich gefiel , hat Sir John jedesmal gesagt , sie sei nichts für mich . « » Sie richten sich also immer danach , was er Ihnen sagt ? « » Gott , er hat mich doch entdeckt und meine Eltern überzeugt , daß ich Talent habe . Ich brauche jetzt nicht mehr zu studieren , und sie haben mich ihm gewissermaßen anvertraut . Da muß ich mich doch etwas nach seinen Ratschlägen richten . Zum Beispiel , als Sie ... « Pause . » Aha , es geht also auch auf mich ? « Der Dichter , verlegen , aber dann mutig : » Ja – auch auf Sie ... « » Bitte , etwas Näheres darüber , das macht mich neugierig . « » Ich weiß nicht , ob es nicht indiskret ist ... « » Dichter sind immer indiskret – meint John , daß ich Ihr jugendliches Gemüt ... « » O nein , im Gegenteil . Ihr Umgang wäre sehr gut für mich . Aber Sie sind doch – pardon , es klingt so ... « » Nur weiter . « Also , er sagte , ich sollte mir keine Illusionen machen , Sie seien sozusagen in festen Händen ... « Ich mußte so lachen , daß er ganz bestürzt war : » Ist es am Ende nicht wahr ? « » Doch , es ist wahr , das heißt – ich bin eigentlich nie in sehr festen Händen ... « Er sieht mich etwas verwundert an : » Wieso ? Ich dachte , Sie liebten ihn ? « » Wen ? Sir John oder den Rasta ? « Ein rascher Blick – das war etwas unvorsichtig von mir , nun wird er anfangen Rätsel zu raten . Dann kam Sir John , und wir konnten das lehrreiche Gespräch nicht fortsetzen . Und meinen Brief werde ich heute auch nicht mehr fortsetzen , ich erzähle Ihnen doch nur dummes Zeug . 14 Mir ist in den letzten Tagen , wenn ich mich mit dem Dichter unterhielt , etwas aufgefallen , nämlich , daß man doch immer eine ganze Menge verschiedener Ansichten über ein und dieselbe Sache hat . Sie hängen ganz davon ab , mit wem man gerade spricht . Man dreht einen Gegenstand um , beguckt ihn von allen Seiten , stellt ihn auf den Kopf – jedesmal sieht er anders aus . Dann legt man ihn weg : o genug , gehen wir lieber ins Cafe . Ergo : man hat überhaupt keine Ansichten , und es ist auch sicher überflüssig . Aber glauben Sie deshalb bitte nicht , daß unsere Gespräche sich immer um Ansichten drehen . Der Dichter ist , wie ich schon ahnend voraussah , sehr wißbegierig geworden , und wir rätselraten miteinander wie bei einem Gesellschaftsspiel . Ich erzähle ihm Schwänke aus meinem Leben und gehe um das allzu Persönliche möglichst herum . Zum Beispiel , die ersehnte Aufklärung über Sir John wird ihm beharrlich vorenthalten – ob es einmal war – wann es war , und wie wir jetzt zueinander stehen . Ich fühle , daß ihn dies alles brennend interessiert , er möchte doch › das Leben kennenlernen ‹ . Aber ich habe immer das Prinzip gehabt , daß jeder Mann so wenig wie möglich von dem anderen wissen soll – für alle Eventualitäten . Mit dem Sizilianer liegt es anders , die ganze Sache ist zu offiziell . Ich habe das eigentlich nicht gern , es ist immer etwas mauvais genre . Aber hier in Rom , mit dem vulkanischen Pedro , dem Auto und dem Chauffeur war es einfach nicht zu vermeiden . – Das alles und vieles andere hab' ich dem Dichter mit vieler Mühe auseinandergesetzt , und er gibt sich ebensoviel Mühe , es zu erfassen . Man sieht ihm manchmal förmlich an , wie sein unerfahrenes Gehirn arbeitet . » Darf ich ganz offen reden ? « fragte er neulich , als wir von dem Rasta und von den Chancen sprachen . Ja , er durfte . » Aber ich muß etwas sehr Freches sagen ... « » Ich bitte darum ! « » Ja – Sie leben doch eigentlich wie ... eine ... « » Ganz falsch , lieber Dichter , ich lebe nur ein Privatleben , und es schaut viel zu wenig dabei heraus . « » Und Ihr Sizilianer ? « » Ist eine zufällige Verbindung von angenehm und nützlich . « Aber Sie lieben ihn doch nicht wirklich ? « » Wie man es nehmen will . « » Und Sir John ? Als ich Sie gestern abend bei ihm traf ... « » Junger Mann , seinen Sie vorsichtig – das ist noch gar kein Beweis . « » So ... ? . . . Aber Sie geben doch zu , daß Sie mehrere auf einmal lieben können ? « » Und ... ? « » Es wundert mich , daß Sie bei dieser Veranlagung , oder wie man es nennen soll , eben nicht ... « » Eine ... eine geworden sind ? « » Ja , ungefähr das wollte ich sagen . – Sie sind böse ? « » Nein , ich bin diese Frage gewöhnt – aber Sie sind noch so dumm : werden , das ist leicht gesagt . Denken Sie an Ihr einstiges Studium , Sie hatten auch keine Lust etwas zu werden und wollten lieber Verse machen , die nichts einbringen . « » Herrgott , das ist doch etwas anderes . « » O nein , ganz dasselbe . Aber zu jedem Beruf gehören ausgesprochene Fähigkeiten und Glück , wenn es etwas Richtiges werden soll . « » Nun , was das Glück betrifft ... « » Nein , ich habe nur in der Liebe Glück , im Spiel versagt es . « » Was versteht man eigentlich unter Glück in der Liebe ? « » O... ich denke , daß man oft geliebt wird und immer den bekommt , den man haben will . « » Haben Sie nie eine unglückliche Liebe gehabt ? « » Nein . Sie liegt mir auch nicht , und ich kann sie mir beim besten Willen nicht vorstellen . « Lieber Gott , Sie müssen doch ungeheuer zufrieden mit Ihrem Schicksal sein . « » Sicher , ich bin ganz verliebt in mein Schicksal . In dieser Beziehung benahm es sich tadellos , aber dafür habe ich in anderen Dingen unerhörtes Pech . « » Wieso ? « » Ich empfinde es beispielsweise als Schikane , daß ich nicht in Geld und Luxus schwimme . « » Aber , teure Frau , dafür haben Sie doch in Ihrem Empfindungsleben den unerhörtesten Luxus getrieben ... « » Ach , Sie sind und bleiben ein Dichter – es war auch alles sehr schön , aber ich fange an , mich nach Seelenschmerzen und einem Bankkonto zu sehnen . « » Und der Rasta macht Ihnen keine Seelenschmerzen ? « » Nein , das ist es ja gerade – deshalb bin ich auch so besorgt um das Bankkonto . Man wird abergläubisch . « » Wissen Sie , ich glaube , Sie haben zuviel Persönlichkeit , um auf diesem Wege ... « » Lieber einziger Dichter , mit › Persönlichkeit ‹ können Sie mich die Wände hinaufjagen . Ich breche jeden Verkehr mit Ihnen ab , wenn Sie das noch einmal sagen . « » Aber warum denn ? « » Weil es die ärgste Geschmacklosigkeit ist , die man einer Frau sagen kann – eine Redensart , die nur Reformmänner in den Mund nehmen . Merken Sie sich das . « » Ich will's gewiß nicht wieder tun , aber dann nennen Sie mich , bitte , auch nicht mehr Dichter , das ist sicher ebenso kränkend . « » Schön , also Bobby – oder ist das Sir Johns Privilegium ? Bobby klingt ganz hübsch – verzogen und aus guter Familie ... « Der Dichter küßt mir die Hand . – Pause . » Darf ich noch etwas fragen ? « » Bitte ... « » Warum sind Sie nicht irgend etwas anderes geworden ? Sie haben doch so viele Fähigkeiten ? « » Ich hab's versucht , Bobby , aber es ist immer dieselbe Geschichte . Theater zum Beispiel – der bloße Gedanke , daß ich irgendwohin gehen muß , wenn ich gerade keine Lust habe , macht mich krank . Beruf ist etwas , woran man stirbt . « Bobby denkt nach . » Warum schreiben Sie nicht ? Sie haben doch so viel erlebt und können gut erzählen . « » Daran habe ich auch schon gedacht , aber es hat so viel peinlichen Beigeschmack – eine schreibende Frau – schrecklich . Denken Sie nur , alle Leute , die man nicht kennt , taxieren einen auf geistige Interessen und dergleichen . Sonst hätte es vielleicht etwas für sich : man brauchte nur eine Füllfeder und einen guten Diwan – nein , ich müßte auch einen Kompagnon haben , sonst wäre es doch wieder langweilig und anstrengend . « » Der Kompagnon steht zur Verfügung . « » Wenn alle Stränge reißen , werde ich Sie beim Wort nehmen , Bobby . Aber jetzt müssen Sie mich heimbegleiten . Pedro wartet . « » Immer Pedro ! Und wann sehe ich Sie wieder ? « » Wenn Pedro nicht auf mich wartet . « Und darauf muß ich auch Sie heute vertrösten , lieber Doktor . Pedro wartet immer – es ist , weiß Gott , auch das ein hartes Brot ! Das war Montag – erst heute komme ich dazu weiterzuschreiben . Ich hoffe , Sie gewöhnen sich allmählich daran . Eben habe ich die ganze Gesellschaft spazieren geschickt . Die ganze Gesellschaft ? – Ja , wir sind neuerdings zum Ensemble geworden . Es ist ein ganz wohltuender Zustand . Wie ich Ihnen schon einmal sagte – ich fing in der letzten Zeit an , mich mit meinem Vesuv beträchtlich zu langweilen . Er war eben zu glücklich , und solch ein wolkenloses Glück in beständigem tete-a-tete , das geht nicht auf die Länge . Durch meine Seitensprünge zu den beiden anderen wurde es denn auch vorübergehend verdüstert . Der Vesuv grollte über meine häufigen Abwesenheiten und wurde mißtrauisch , als ich neulich schon wieder für einen Nachmittag Urlaub nahm – diesmal um alte Bekannte zu treffen . Die bisherigen Vorwände waren schon etwas zu fadenscheinig . Er grollte , und der Chauffeur beglückte mein Herz zum erstenmal durch einen wohlwollenden Blick . Bei Sir John war eine kleine Gesellschaft , und der Nachmittag dehnte sich ziemlich aus – bis zwei Uhr nachts . Als ich in mein Hotel zurückkam , wanderte der Sizilianer vor der Tür auf und ab – allein – zu Fuß – zornig und dramatisch . Es erfolgte eine animierte Zwiesprache , und ich benutzte den nächsten Tag , um beleidigt von der Bildfläche zu verschwinden und mit Johns Gesellschaft , die noch vollzählig beisammen war , in die Campagna zu flüchten . Als ich diesmal nach Hause kam , fand ich ihn wieder vor , aber blaß und melancholisch . Der Chauffeur dagegen stand mit gütiger Miene an der Haustür . Beide hatten wohl gedacht , ich sei endgültig verschwunden . Wir versöhnten uns wieder , und ich habe alles , was sich für seine Ohren eignete , gestanden . Daraufhin eine neue Kalamität , er wollte meine Freunde kennenlernen . Ich liebe es gar nicht , meine verschiedenen Bekannten miteinander zu vermählen . Sie passen doch nie zusammen , und in diesem Fall schien es mir etwas riskiert . So wand ich mich anfänglich darum herum und verhandelte mit sämtlichen Beteiligten . Aber ich wurde überstimmt , der Sizilianer ermattete mich mit seiner Eifersucht , Sir John suchte meine Eitelkeit zu reizen , er meinte , ich wolle den › remarkable Rasta ‹ nur nicht herzeigen – und der Dichter brannte natürlich auf Einblicke in die Lebewelt . Ich brachte sie also zusammen , und Pedro lud die beiden mit wilder Gastlichkeit ein . Er gab ein fürstliches Souper in seiner Wohnung und gewann ihre Herzen im Sturm . Ich selbst fand ihn an dem Abend so reizend , daß ich mich ganz neu in ihn verliebte . Es gibt Männer , in die man nur richtig verliebt ist , wenn noch andere dabei sind . Sir John strahlte vor innerem Pläsier , und der Dichter war so begeistert , daß er um keinen Preis mehr nach Hause gehen wollte . Man behielt ihn also da , bis zum nächsten Abend , wo wir alle Johns Gäste waren . Und so ging es ein paar Tage fort . Lieber Doktor , ich bin noch zu schläfrig , daß ich es bis auf weiteres vorziehe , Ihnen Lebewohl und gute Nacht zu sagen . 15 Ihren Brief habe ich hier vorgefunden , o nein , ich bin nicht für immer entschlafen – seit meinem letzten Brief aus Rom . Aber ich will gerne glauben , daß er etwas übernächtig ausgefallen ist . Ich hatte auch wirklich die besten Absichten , Sie auf dem laufenden zu halten , aber das Laufende lief mit mir davon , und ich bin etwas außer Atem gekommen . Man kann nicht immer im Zusammenhang bleiben , liebster Freund , das Leben selbst ist gar so unzusammenhängend . Momentan – aber wir wollen lieber erst die Ereignisse nachholen . Gott , ich habe es mir so angewöhnt , nur noch per wir zu sprechen . Das kommt davon , wenn man als Ensemble lebt . Manchmal muß ich mich förmlich erst darauf besinnen , daß ich auch noch ein Einzelwesen bin . Also – wie schon mein Telegramm Ihnen meldete – Bobby hat es aufgegeben und war sehr neugierig – wir sind umgezogen , nach Neapel . Pedro bekam fortwährend Telegramme , woraus man schließen konnte , daß etwas nicht in Ordnung war , er hat sonst sehr wenig Korrespondenz . Und der Chauffeur war wieder ungewöhnlich finster . Ich war sehr nett mit ihm – mit Pedro – diskrete Teilnahme bei völliger Ahnungslosigkeit , und er schloß mir dann auch sein Herz auf . In erster Linie Geld- , in zweiter Linie Brautverlegenheiten . Man wünscht , daß er sie heiratet . Das war ja eigentlich vorauszusehen , aber er scheint es sich nicht genügend klargemacht zu haben . Wir haben in den letzten Wochen wohl alle etwas vergessen , um was es sich handelt . Lieber Doktor , das ist immer der glücklichste Zustand , und › wir ‹ waren auch wirklich alle sehr glücklich . Weiter : die Braut ist seine Cousine , folglich ihr Vater sein Onkel , und von diesem Onkel scheint er pekuniär ziemlich abhängig zu sein . Das Nähere hab' ich natürlich vergessen , ich höre nie zu , wenn man mir › Näheres ‹ auseinandersetzt , und das ist manchmal verhängnisvoll . Er , Pedro , treibt sich nun schon lange in Europa herum , und die Art , wie er das tut , scheint dem Onkel nicht mehr zu gefallen . Summa : der Onkel macht bedenkliche Anstalten ihn › einzukassieren ‹ ( auch ein typisches Erlebnis , daß › er ‹ von meiner Seite weg einkassiert wird ) . Pedro hat erst gerast , er wolle jetzt nicht heim , auf keinen Fall , dann bedrückte ihn wieder seine doppelte Verworfenheit – gegen sie und gegen mich . O meine Chancen – es war schon die Rede davon , daß er mich in Rom oder Neapel etablieren wollte . Ich sollte immer irgendwie › da sein ‹ , auch wenn er eine Zeitlang nach Hause müßte . Ich weiß ja selbst noch nicht recht , ob das sehr mein Fall wäre , aber es hat ja auch wieder etwas Verlockendes . Apathische Dauersache mit lebhafteren Momenten – ich hab' ihn doch wirklich ganz gern . Übrigens scheint es , daß wir in Rom beträchtliche Schulden gemacht haben . Ich riet deshalb zum Umzug nach Neapel , das heißt , die römische Wohnung sollte er behalten , Chauffeur und Auto zur Beruhigung der Gemüter noch eine Zeitlang dort lassen und dann von hier aus einen Besuch in Sizilien machen . Meine Ratschläge in solchen Angelegenheiten sind immer gut . Wieder einmal muß ich hervorheben , daß ich viel Sinn dafür habe , jede Lebenslage tunlichst harmonisch zu gestalten . Sie fanden deshalb auch dieses Mal Anklang und bewährten sich . Man hat uns ganz ruhig ziehen lassen , und der Chauffeur ist uns inzwischen schon nachgekommen . Sir John und sein Schützling sind natürlich auch mit – was Gott so schön zusammenfügte , keiner von uns hätte den Mut gehabt , es zu trennen . Wir haben unsere Namen hier etwas abgeändert – wie Sie auch aus meinem Telegramm schon ersehen haben – und gelten für eine Art Familie . Die Zusammenstellung erforderte einiges Kopfzerbrechen , aber wir haben doch eine halbwegs befriedigende Lösung gefunden . Wir sind nämlich aus Versehen in einem sehr braven deutschen Hotel abgestiegen und hatten keine Lust noch einmal zu wechseln . Pedros Abreise hat sich noch etwas hingezogen . Man konnte sich nicht gleich zur Trennung entschließen und wollte sich erst über verschiedene Punkte mit dem Onkel schriftlich verständigen . Dann ist er abgefahren , und alles Weitere bleibt eben abzuwarten . Die beiden anderen leisten mir dabei aufs angenehmste Gesellschaft , im Hotel sind allerhand ganz nette Leute , und wir kommen uns sehr respektabel vor . Mit dem Dichter muß ich mich vor der Öffentlichkeit duzen , wir haben ihn für meinen Stiefsohn ausgegeben . Sein Ursprung verträgt zwar eigentlich keine nähere Beleuchtung , denn Pedro sieht kaum alt genug aus , daß er für eine Jugendsünde von ihm gelten könnte . Aber Stiefsohn klingt so überzeugend . Und Sir John ist einfach › ein Schwager ‹ . Bobby kann mich nicht recht begreifen , daß ich Pedro habe fahren lassen . Aber was wäre , wenn ich ihn festgehalten hätte ?