1 Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben nicht weit vom Matzicker Walde zwei Liebesleute – der Jons Baltruschat und die Erdme Maurus . Ach du gütiger Gott , was sich nicht alles lieben will auf Erden ! Selbst die Aller- , Allerärmsten , die kaum das nackte Leben haben , möchten ein Nest bauen . Der Jons ist das , was der Litauer einen » Antrininkas « nennt , der » Knecht eines Knechtes « . Das sagt wohl genug . Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr Glück machen wollen . Vorläufig dient sie als Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus nicht weit vom Bahnhof , das die Leute in Heydekrug meistens das » Hotel Lausequetsch « nennen . Mit Unrecht übrigens , denn in der letzten Zeit hat es sich sehr gehoben . Sogar die besseren Viehverlader verkehren bisweilen darin . Ausgeputzt sind sie beide . Der Jons hat seine blanken Kirchgangsstiefel an und die schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch . Und die Erdme – die ist nun gar eine Feine ! Litauisch trägt sich die doch nicht mehr ! Sie hat ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft und eine halbseidene Bluse an , die hinten zuzuhaken ist . Die hat ihr einmal die Kellnerin geschenkt , weil sie ihr in ihrem Fortkommen hinderlich war . Jung , stark und hübsch sind sie beide . Aber das ist auch alles . Eltern mit Haus und Hof haben sie nicht . Überhaupt – wo sie herstammen , davon reden sie lieber gar nicht . Die Erdme hat nicht viel Zeit . Denn um acht kommen die Handwerksburschen , die bringen Feiertagsfladen von der Walze mit und wollen reine Teller haben . Es geht da auch sonst sehr üppig zu . In der Küche werden jetzt sogar Ölsardinen gehalten , und das Öl darf man hinterher austrinken . Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt . Wie wird eine Frau , die an so vornehme Lebensart gewöhnt ist , später neben ihm aushalten wollen ? Aber die Erdme beruhigt ihn gleich . Was hat das alles zu sagen gegen einen eigenen Besitz ? Denn mit dem Besitzersein fängt das Leben doch erst eigentlich an . Der Jons ist ganz ihrer Meinung . Jawohl – aber wie ? Die Vögel , die ringsum Halme suchen , die haben's leicht . Denen liegt der Baustoff frei auf der Straße , und für ihren Nestplatz brauchen sie auch nichts zu zahlen . Die Erdme , die einen fixen Geist hat , redet ihm Mut zu . Und so ganz ohne Vermögen sind sie ja beide nicht mehr . Nun holen sie rasch ihre Beutelchen vor und breiten die Schätze neben sich aus , geben aber sorgfältig acht , daß beide nicht untereinander geraten . Denn das kann erst nach der Trauung geschehen , wenn die Gütergemeinschaft erklärt ist . Das Häufchen der Erdme ist viel größer als seines , so groß , daß er beinahe argwöhnisch wird und nach dem Ursprung fragt . Sechsundsechzig Mark , die kriegt man nicht leicht zusammen . Die Erdme wird zwar etwas verlegen , aber sie kann doch Auskunft geben . Das goldene Zwanzigmarkstück , das den Hauptstock bildet , hat ihr einmal ein Betrunkener geschenkt , der hernach verhaftet wurde . Doch das macht ja nichts , wieder abgefordert hat es ihr niemand . Und auch das übrige ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten , wie sie Bräutigams nicht gerne sehen , sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen , die höchstens einmal in die Küche kommen , um ein ehrbares Mädchen zu kneifen , wo es sich kneifen läßt . Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler durchaus em Kindesstatt annehmen wollen und sich erst nach vielem Zureden damit begnügt , ihr neun Mark funfzig zu schenken , denn mehr hat er gerade nicht bei sich gehabt . Das alles ist also in guter Ordnung , aber die lumpigen fünfundzwanzig Mark , die er sich in zwei Jahren – und mit was für Opfern ! – von seinem Lohne erspart hat , können sich daneben nicht sehen lassen . » Ach was , « sagt die Erdme , » zusammen sind das einundneunzig . Und für hundert kann man sich schon ein Haus bauen . « » Ja wo ? « fragt er . » Etwa im Monde ? « » Durchaus nicht im Monde , sondern sogar ganz nah' von hier . Auf der anderen Seite von Heydekrug , nach Ruß zu , wo im Rupkalwer Moor die Kolonie Bismarck liegt . « » Ach so , in Kolonie Bismarck , wo die Diebe und die Mörder hausen , « meint er , denn in gutem Ruf steht sie nicht , die Kolonie Bismarck . Die Erdme wird ärgerlich . Erstens gibt es Diebe und Mörder überall , und zweitens kommt es zunächst darauf an , daß man ein Haus über dem Kopfe hat . Dort ist man sozusagen beim preußischen Staat zu Gaste , der Grund und Boden vergibt , und einen vornehmeren Herrn kann sich keiner erdenken . Er zweifelt noch immer , daß es möglich ist , für hundert Mark ein Haus zu erbauen , aber sie weiß es genau . » Natürlich , nachhelfen muß man ein bißchen , « sagt sie und lacht ihm verstohlen zu . » Nachhelfen tut ein jeder , und der Moorvogt weiß viel , wo es herkommt . « Nun lacht auch er , und der Entschluß wird besiegelt . Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft haben , betrachten sie einander und finden , daß sie ein Paar sind , das sich sehen lassen kann . Er – straff , breit , knorrig , mit wagerechten Trageschultern und zwei Fäusten , die nicht mehr loslassen , wo sie einmal zugepackt haben . Sie – eine richtige Scharwerksmarjell , hochbusig , mit federnden Armen und Schenkeln von Eisen , mit flinkem Halse und blanken Backen , in denen zwei Augen listig und lustig Nähe und Ferne nach Beute durchmustern . Zwei richtige Lebenskämpfer , bereit , dem Schwersten Stand zu halten und das Widrigste mit Schlauheit zu umgehen . 2 Zuerst der Moorvogt . Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher der Kolonie , der zweitausend Lebensschicksale sorgsam und strenge an obrigkeitlicher Leine führt . Über ihm steht nur noch die Generalkommission ; doch wer und was das eigentlich ist , ahnen nur wenige . Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt . Mit List und Gewalt haben sie sich beide aus ihren Dienststellungen freigemacht . Die Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste an den Kopf werfen lassen und hierauf mit einer Anzeige wegen Körperverletzung gedroht , so daß sie schließlich mit dem Zeugnis auch noch ein Schmerzensgeld bekommen hat , und der Jons , der weniger gerissen ist , hat seinem Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag in Aussicht gestellt , falls er ihn nicht auf der Stelle abziehen lasse . Manchmal hilft das , manchmal geht es auch schlimm aus . Aber diesmal hat es geholfen . So wandern sie also wohlgemut auf der Rußner Chaussee zur Kolonie Bismarck hinaus , die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt und sich so weit ins Moor hinausstreckt , daß man ihr Ende nirgends absehen kann . Als sie an der langen Brücke sind , die über die Sumpfniederung führt , bleibt die Erdme an dem schwarz-weißen Geländer stehen und zeigt auf die Kuhblumen hinunter , die ihre buttergelben Köpfe aus dem Überschwemmungswasser stecken , und sie sagt : » Wie die Blumchen da vorwärts kommen , ohne zu ertrinken , so werden wir auch vorwärts kommen . « Und der Jons meint dasselbe . Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause stehen , in dem jetzt der Moorvogt wohnt , da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe . Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen die Vierzig , mit ernsten Augen und einem Munde , der ungern zu lächeln scheint . Eigentlich hart sieht er nicht aus , aber seine Rede ist scharf und gemessen . Angst muß man schon darum vor ihm haben , weil er so mächtig ist . » Also anbauen wollt ihr euch ? « » Jawohl . « » Seid ihr verheiratet ? « Das sind sie nun eigentlich nicht , aber das Aufgebot kann jeden Augenblick bestellt werden . Jetzt gleich , wenn er will . » Sind die Papiere in Ordnung ? « Alles tragen sie bei sich , vom Taufschein an . » Sind die nötigen Mittel da ? « Ob die da sind ! Und mit zaghaftem Stolze ziehen sie ihre Beutelchen . Das Goldstück , das bei ihr oben auf liegt , scheint ihm einen großen Eindruck zu machen , denn zum ersten Male geht ein Lächeln über sein Gesicht . Und er greift nach Mütze und Hakenstock und sagt : » Kommt mit . « Dann geht er ihnen voran auf einer Straße aus Knüppeln und Lehm , die geradeswegs von der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt . Das sieht nun freilich fürs erste nach allem aus , nur nicht nach einem Moor . Rechts und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen bis in den grauen Dunst hinein . Die Häuser haben etwas mehr als hundert Mark gekostet ! Da reichen selbst tausend nicht ! Und ringsum Ställe und Schuppen ! Und Gärten sogar – die Zäune mit Ölfarbe gestrichen ! Und jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee , aus Quitschen und Birken – weiß wie Schnee und schnurgerade . Das Herz wird ihnen immer schwerer , aber zu reden wagen sie nicht . Sonst wären sie vielleicht noch umgekehrt . Denn wie kann man je daran denken , solche Herrlichkeiten sein eigen zu nennen ? So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang . Eine Wirtschaft folgt der anderen , ein Ackerfeld dem anderen . Nur hie und da auf höherem Boden , wie aus Versehen stehen geblieben , ein Gebüsch von krüppeligen Fichten , die kaum einmal die Kraft haben , Nadeln zu tragen . Dann allmählich verändert sich das Bild . Die Wohnhäuser werden ärmlicher – demütiger , möchte man sagen – , die Wirtschaftsgebäude hören auf , und statt der beackerten Felder breiten sich kahle Moorheiden aus bis ins Endlose hin , von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen , die vom Torfstechen übriggeblieben sind . Auf denen sprießt ein junges Sumpfgrün . Sonst ist alles braun vor ihnen her . Wie beschorft ist alles . Der Moorvogt hat den ganzen Weg über kein Wort zu ihnen gesprochen . Jetzt wendet er sich um und sagt : » Hier könnt ihr euch nun eine Baustelle aussuchen . « Und er geht ihnen voran , seitwärts auf den Moorboden hinaus , der unter ihren Füßen quatscht und einsinkt . Und wo der Moorvogt den Stock einstößt , bleibt ein wasserglänzendes Löchelchen übrig . Da endlich macht der Jons seinem bedrückten Herzen Luft und fragt beinahe schreiend : » Kann man denn hier überhaupt bauen ? « Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück und in die Runde : » Die haben alle einmal so gebaut , « sagt er . » Das Trockenmachen ist eure Sache . « Jons und Erdme sehen sich an und denken : » Was die anderen gekonnt haben , müssen wir auch können . « Und so suchen sie sich aufs Geratewohl einen Platz für Haus und Ackerland und sind dabei immer dem Weinen nahe . Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden Schritten die ungefähr in Betracht kommende Fläche . » Diese Parzelle « , sagt er dann stehen bleibend , » gibt euch der Staat zur Bewirtschaftung . Sie wird natürlich genau ausgemessen werden und ist dann einen Hektar groß . Geht es euch gut , so dürft ihr später noch drei weitere dazu pachten . Auf dem Rückwege kommt bei mir an und gebt eure Unterschrift . Bis dahin überlegt es euch . Braucht ihr einen Rat , so bin ich dazu da . Viel Glück und guten Morgen ! « Damit gibt er ihnen die Hand , und weg ist er . Nun stehen sie da und sehen sich wieder an . Ja oder nein ? Nein – dann müssen sie zurück in Dienst – in einen härteren vielleicht , vielleicht auch niedrigeren , obgleich das kaum noch möglich ist , und die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für Jahre . Wozu sind sie jung und übervoll von unverbrauchten Kräften , die sich sonst für Fremde erschöpfen müssen ? Also ja – dreimal und tausendmal ja . » Was die anderen gekonnt haben , müssen wir auch können , « wiederholt der Jons noch einmal laut , und die Erdme wiederholt es auch . Und damit sind sie fertig . Das Nötigste , woran sie denken müssen , ist , sich für die nächsten Monate ein Obdach zu besorgen . Sie gehen also an die ersten zwei Leute heran , die sie auf dem Acker arbeiten sehen , und sagen : » Wir wollen uns in der Nähe anbauen . Könnt ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten ? « Der Mann , der sanftblickende Augen hat und dem um das magere , bartlose Gesicht langes , graues Haar bis auf die Schultern fällt , sieht sie lange an und fragt dann : » Seid ihr verheiratet ? « Erdme lügt rasch » ja « , denn sie überlegt sich , daß ihr wahrhafter Stand , mag er noch so kurze Zeit andauern , ihnen bei allen Gutgesinnten Hindernisse bereiten würde . Und die Frau , die auch nicht mehr jung ist und die so aussieht , als muß sie immer Senf aufschmieren , hat aber keinen Senftopf , die sagt : » Wir sind nämlich Gebetsleute . Wer nicht nach den Geboten des Herrn lebt , den nehmen wir nicht auf . « Erdme sagt : » Auch wir wollen uns den Erleuchteten zuwenden , « denn sie weiß sofort , daß sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen erlangen werden . Betten wird sie mitbringen , und so ist für Unterschlupf gesorgt . Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an . Er hat einen großen Bogen ausgefertigt , sieht noch einmal ihre Papiere durch , und dann gibt Jons die Unterschrift . Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte und trägt sie als Brautleute in die Register ein . Jons denkt an die Unwahrheit , die Erdme vorhin ausgesprochen hat , und fragt : » Die Zeit ist knapp . Werden wir als ledige Leute schon einziehen dürfen ? « Der Moorvogt lächelt , wie er damals getan hat , als er ihr Vermögen besah , und sagt : » Die Aushängebogen liest keiner . « Damit sind sie entlassen . Nun aber bleibt noch eins zu ordnen , das wichtigste von allem – außer dem Pfarrer natürlich , bei dem das Aufgebot bestellt werden muß . Das ist für Jons , sich eine regelrechte Arbeit zu beschaffen , damit durch den Tagelohn für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und ab und zu noch ein paar Groschen in die Baukasse kommen . Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik und der Sägemühle , die beide jetzt zum Frühling Leute brauchen . Jons wählt die Sägemühle , weil er hoffen kann , dort am ehesten Gelegenheit zu billigem oder – wenn das Glück es will – auch kostenlosem Holzerwerb zu finden . Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug zurück , – und siehe da ! kaum nachgefragt , da hat er auch schon die Zusage in der Tasche , daß er am nächsten Morgen antreten kann . Zwei Mark pro Tag – so viel hat er in seinem ganzen Leben noch nicht verdient . Als die Dunkelheit gekommen ist , überlegen sie sich , daß noch nie ein Tag da war , der sie ein so großes Stück im Leben weiterführte . Aber er hat sie auch sehr hungrig gemacht . Und da sie beileibe kein Geld ausgeben wollen und zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen , so scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen Zuhause ein paar Saatkartoffeln aus einer Miete , was gewiß eine große Sünde ist , aber der Besitzer hat noch genug , und so geschieht niemandem ein Schaden . Die Taschen voll kommen sie heim , und als sie beim Abkochen ein andächtiges Abendlied singen , schenkt ihnen der fromme Wirt sogar noch ein Stückchen Speck dazu . 3 Der Entwässerungsgraben ist das erste . Ohne den geht nichts . Erdme hat ihn fast allein gezogen . Denn wenn Jons auch um drei aufsteht , um fünf muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein , und abends ist sein Helfen auch nicht viel wert . Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke am Leibe . Aber Erdme – die schafft es . Sie steht bis zu den Knien im eiskalten Wasser und sticht und gräbt und gräbt und sticht – quer durch das widerspenstige Wurzelwerk , das manchmal durch keine Menschenkraft bezwingbar scheint . Der fromme Taruttis – so heißt der Wirt – sieht von weitem ihr maßloses Mühen , und da sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt , so läßt er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt , ihr über die schwersten Stellen hinwegzuhelfen . Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren Ärger genötigt , die kostbaren Freistunden des Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden . Frommsein ist gewiß eine schöne und notwendige Sache , aber man muß Zeit dazu haben . Sonst wird es zur Landplag' . Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle hat sich übrigens als ein Glücksfall erwiesen . Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten kann man auf unauffällige Weise tagtäglich erfahren , in welchem Walde und an welcher Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung bereit liegt . Aber Jons ist nicht der Mann dazu , sich mit gebundenen Händen irgend einem Aufseher auszuliefern , dem es beliebt , ihn anzuhalten . Die erste der kräftigen vier Kieferstangen , die als Eckpfeiler eines zu erbauenden Hauses nun einmal unentbehrlich sind , kauft er sich für blankes Geld von einem Besitzer , der wegen leidiger Hypothekenzinsen ein schönes Eckchen seines Waldes niederlegt . Dabei bekommt er einen regelrechten Kaufschein , den er fortan als Schirm und Schutz in seiner Tasche mit sich führt . Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht einen zweiten Stamm nach Hause bringt , der nicht ganz so rechtsgültig erworben ist , da kann er sich des guten Gewissens erfreuen , den solch ein Stückchen Papier seinem Träger verleiht . Den Handwagen borgt der fromme Taruttis , der natürlich nichts Böses ahnt , und legt sogar noch einen goldumränderten Spruch hinein . Ob der nun hilft oder was anderes , kurz , auch der dritte Stamm gelangt unangehalten nach Hause . Als aber der vierte an der Reihe ist , da kommt als ein unaufschiebbares Hindernis die Hochzeit dazwischen . Die muß wegen der Wirtsleute in strengster Heimlichkeit vollzogen werden und kostet beim Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für die fremden Zeugen , die sich Jons von der Landstraße mitgebracht hat . Ein Glück ist , daß die sich bereit erklären , auch bei der Trauung am nächsten Sonntag das Zeugenamt zu versehen , vorausgesetzt , daß sie hernach drei süße Schnäpse bekommen . Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten feierlich , er hat nicht einmal die Lichter angesteckt , so gering achtet er sie . Zum Schlusse reicht er ihnen die Hand und sagt : » Von nun an könnt ihr in Ehren beieinander wohnen . « Als ob das ohne den Pfarrer so ginge ! Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut , als er am Sonntag das junge Paar im besten Staate zur Kirche gehen sieht , denn ihm erscheint die Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand ; aber da sie schon halbwegs zu den Erleuchteten gehören , so hofft er , sie durch inbrünstiges Gebet bald ganz und gar bekehrt zu haben , und trägt es ihnen weiter nicht nach . Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar jungsprossende Rautenblättchen , die sie als Merkmal ihrer Brautschaft nicht entbehren wollen , und treten dann den langen Weg zum Gotteshause an . Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle , sie aber schämen sich , auf einer der vordersten Bänke Platz zu nehmen , wo immer die Hochzeitsleute sitzen , und verkriechen sich hinter einem der rückwärtigen Pfeiler . Nicht einmal die Rautensträußchen legen sie an , sondern bekneifen sie mit den heißen Fingern . Der Gottesdienst ist zu Ende . Aber jetzt kommt erst eine große Hochzeitsgesellschaft , die mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben Vorplatz erfüllt hat . Bebänderte Ordner laufen umher , und die Brautführer umgeben wie eine Königsgarde den Marschall . Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen , und ihre Zeugen riechen nach Mist . Als der letzte von der großen Hochzeit den Kirchenraum verlassen hat , fassen sie sich ein Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang . Der Pfarrer – ein junger Mann , mit einem Traumdeutergesicht – blickt ihnen freundlich entgegen , und da sie wegen ihrer Armut nicht vor den Altar zu treten wagen , öffnet er die rotgepolsterten Schranken und schreitet auf sie zu , um sie an seinen eigenen Händen dorthin zu führen . Er spricht auch nicht bloß die Worte , die im Buche stehen , sondern hält ihnen eine genau so schöne Rede , als ob sie vorher dafür bezahlt hätten . Er preist sie glücklich , daß sie , erfüllt von Jugendkraft und Hoffnung , die gemeinsame Reise durchs Leben anzutreten entschlossen sind , malt ihnen aus , was sie alles erreichen können , wenn sie fleißig und beharrlich an ihrem Glücke arbeiten und vor allem – vor allem , vor allem ! – den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen wollen . Jons und Erdme weinen sehr , und jeder von ihnen schwört sich zu , die Ermahnungen des Pfarrers nicht zu vergessen . Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten haben und es dunkel zu werden beginnt , da müssen sie doch daran gehen , den vierten der Stämme aus dem Walde zu holen , denn jeder Tag Aufschub kann von Nachteil sein . Sie suchen sich den Handwagen , den sie schon gestern in sicherem Gewahrsam untergestellt haben , und anstatt wie andere bei fröhlichem Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen , ziehen sie beschämt und beklommen auf Raub aus . » Wenn man so arm ist wie wir , dann kann das unmöglich eine Sünde sein , « tröstet die Erdme sich und ihn . » Eine Sünde ist es schon , « antwortet der Jons , » das hat ja noch heute der Pfarrer gesagt . Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben , dann wollen wir alles wieder gut machen , worin wir uns jetzt vergehen müssen . « Und das geloben sie einander , während sie im Chausseegraben die Nachtstille abwarten . Und noch manches geloben sie . Keinen Hader wollen sie aufkommen lassen und keine giftigen Worte in den Mund nehmen und in allem den Kindern ein gutes Beispiel geben . » Ja , unsere Kinder sollen es einmal gut haben , « meint der Jons . Und die Erdme gerät ins Schwärmen : » Wenn ich Töchter kriege , dann sollen sie in Samt und Seide gehen – und ihre Hochzeiten sollen acht Tage dauern – und der Bräutigamsvater soll nichts Geringeres sein als ein Gendarm . « Doch der Gedanke an den Gendarmen ist ihnen unbehaglich , darum spinnen sie ihn nicht weiter , sondern eilen , im Dunkel des Matzicker Waldes zu verschwinden , wo der vierte Pfosten ihres künftigen Glückes als frischgefällte Kiefer mattschimmernd am Boden liegt . 4 Hausbauen ! Leicht gesagt , wenn man für den Winter noch nichts zu essen hat ! Die Tage werden heiß . Erst muß die Kartoffelaussaat geschafft sein . Jons berechnet die Bodenfläche , die im ersten Frühjahr allenfalls in Arbeit genommen werden kann , Erdme leiht sich eine Moorhacke aus , und nachdem die Quergräben gezogen sind , die die weitere Trockenlegung verlangt , kann das Urbarmachen beginnen . Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai – wenn man das Morgen nennen kann , denn noch stehen die Sterne am Himmel – , da schultern sie Hacke und Spaten und ziehen hinaus auf das kahle Moor , dorthin , wo die vier Kiefernstangen lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt auf Vorrat schlafen . Rohrhalme , gestern noch eingesteckt , bezeichnen die Grenzen des Ackers , der nun werden soll . Den beiden ist bang und feierlich zumut . Gemeinsam zu beten getrauen sie sich nicht , weil sie ein schlechtes Gewissen haben , und darum spricht jeder von ihnen sein Vaterunser ganz im geheimen , als ob er Wunder was Unrechtes täte . Und dann geht es los . Die oberste Schicht des Moores , die aus lebendigen Pflanzenstoffen besteht , muß zerkleinert und heruntergeschält werden – » abplacken « nennt man es – , weil der drunter liegende Boden erst dann , wenn sie mit ihm gemischt ist , die natürliche Fruchtbarkeit erhält , die eine Aussicht auf künftige – wenn auch spärliche – Ernten eröffnet . Die paar Stunden der Frühe vergehen im Fluge . Dann muß er ja weg , um mit dem Taglohn Bargeld nach Hause zu bringen . Denn wo soll der Stoff zum Hausbau sonst herkommen ? Es ist gar nicht auszudenken , was alles fehlt . Zuerst die Latten oder Schwarten , mittels deren die Eckpfeiler verbunden werden , damit so das Viereck entsteht , das den Grundriß des Hauses bilden soll . Dann die Sparrbalken – die Sparren selbst – die Ziegel für die Feuerstätte und so noch vieles , was nur zum Teil gemaust werden kann . Ein jeder sorgt auf seine Art , und keiner will hinter dem andern zurückstehn . Von einem , dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und um acht Uhr abends endet , kann niemand auf Erden sagen , er habe es sich zu knapp bemessen . So kommt der Acker rasch voran . Eines Vormittags , als Erdme sich aufrichtet , um sich den rieselnden Schweiß aus den Augen zu wischen , sieht sie den Moorvogt hinter sich stehen . Sie erschrickt sehr , denn die zwölf Mark Pacht , die für das erste Jahr gezahlt werden sollen – später wer den es dreißig – , sind noch nicht abgeliefert . Er sagt : » Es ist spät im Jahr . Werdet ihr mit der Aussaat zurechtkommen ? « Und sie antwortet : » Wie Gott will . « » Gott will , wie der Mensch will , « sagt er . » Wenn er erst weiß , daß ihr tüchtig seid , wird er euch nichts in den Weg legen . « Dann prüft er die vier Kiefernstämme , die , schon geschält , wie Silber in der Sonne funkeln . » Schöne Stangen habt ihr da , « sagt er und sieht Erdme dabei mit schiefem Munde halb von der Seite an , als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen Gänge verborgen geblieben . In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den Sohlen den schwarzen Schlamm von den Beinen , denn sie wartet , daß er nun nach dem Ursprung fragen werde ; aber die Frage bleibt aus . Auch ein Haufen Schwarten liegt schon da , die Jons sich für billiges Geld unter den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen dürfen . Der Moorvogt betrachtet sie einzeln , und die untauglichen zeichnet er mit der Spitze seines Hakenstocks . » Denen sieht man es an , daß sie redlich erworben sind , « sagt er und wendet sich ohne Gruß wieder dem Wege zu . » Da geht er hin wie der liebe Gott , « denkt Erdme und ist sehr froh , mit heiler Haut davongekommen zu sein . Vieles an ihm begreift sie nicht , aber beim lieben Gott geht es einem ja ebenso . – Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel Saatkartoffeln gekauft , glasblank und dünnschalig , wie sie für den Moorboden gut sind . Die werden in Hälften geschnitten und in die flachen Rücke gleichsam obenauf gelegt , denn nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende Wasser . » Auch die sind redlich erworben , « sagt Erdme mit Stolz . Und darum brauchen sie sich nicht zu schämen , über der frischen Saat ein Bittgebet zu tun . Aber noch muß viel zusammengegrapscht werden ! Denn die Hölzer , aus denen man die Sparrbalken zurechthackt , mit blankem Gelde zu bezahlen , während sie freundlich in den Wäldern herumliegen , wäre ein Wahnsinn gewesen . Aber vorsichtig muß man schon sein , darum wird Jons auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln käuflich erstehen und ärgert sich bloß , daß er den Schein dafür nicht gleich vor den Mützenschirm stecken kann . Jetzt und auch bei den nächsten Fahrten hernach , wenn alles an Ort und Stelle ist , fragt niemand mehr . Höchstens der Moorvogt hätte ein Recht dazu , aber der fragt ja nicht , wie man weiß . Eine Nacht um die andere ziehen sie los , denn ab und zu schlafen muß doch der Mensch . Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts . Ihm hat der Kaufschein die Augen verblendet . Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht nehmen , quält sein mildes Gemüt , und darum betet er fleißig für sie , während sie auf seinem Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und Hopp nach Hause fahren . Und die Taruttene , die unzufrieden ist , wenn sie ihn nicht übertrumpfen kann , steht sogar im Finstern schon auf , um ihnen was Warmes bereitzuhalten . So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf , und die Baukasse wird kaum einmal magerer . Endlich ist auch der Tag nahe , an dem die Aufrichtung des Hauses vonstatten gehen kann . Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen nun freilich nicht , und darum entschließt sich Erdme auf des Taruttis Rat , bei den Nachbarn herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten . » Talka « heißt auf deutsch » Arbeitsgesellschaft « , und auf solchen gemeinsamen Hilfeleistungen beruht vieles , was unter diesen armen Menschen , die gemietete Hände niemals bezahlen könnten , an Tüchtigem zustandekommt . Dafür erweist man sich dann später dankbar , wenn der Ruf an einen selber ergeht , und alles schließt mit einer fröhlichen Bewirtung , so viel oder so wenig der Bittende zu geben vermag . Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand die Häuser , in denen sie vorsprechen kann , und die , an denen sie vorbeigehen muß . Dort wohnt einer , der hilft nicht , aber dort wohnt einer , der hilft , weil man ihm selber geholfen hat . Zu dem , der wohl hundert Schritt weit auf der anderen Seite des Weges sein kleines Anwesen hat , geht Erdme zuerst . Er heißt Witkuhn , stammt aus dem Goldapschen und ist weit in der Welt herumgewesen . Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm bekannt sein , so daß er schon manchem der Langeingesessenen einen guten Ratschlag hat geben können . Erdme findet einen blonden , scheuen Mann zu Mitte der Dreißig , der die Gewohnheit hat , beim Reden irgendwohin ins Leere zu blicken , und dabei zittert ihm immer der Unterkiefer . Wie er die Erdme daherkommen sieht , die frisch von der Arbeit weg , mit hochgebundenem Rock und aufgeschlagenen Ärmeln , über die Äcker schreitet , macht er große Augen vor ihrer Glieder Pracht , um dann erst – gleichsam erschrocken – den Blick von ihr wegzuwenden . Er spricht ein richtiges , aber fremdklingendes Litauisch , etwa wie die Pfarrer sprechen , die es erst später gelernt haben , und sieht überhaupt aus wie ein verkappter Deutscher . Aber er ist gut und höflich zu ihr – nur , daß er sie nicht ansehen kann . Seine Frau kommt später zum Vorschein . – Eine Halblitauerin ist auch sie , klein und kümmerlich – ach Gott , wie sehr ! – , mit grauer Gesichtsfarbe und abgemüdeten Augen . Sie wirft einen neidischen Blick auf Erdmes kräftige Gestalt , begrüßt sie dann aber ganz freundlich . Wenn wir nun Nachbarn werden , « sagt sie , » möge Gott geben , daß Frieden zwischen uns bleibt . « Und dabei sieht sie nicht Erdme , sondern ihren Mann an , der auch vor ihr den Blick zur Seite wendet . » An uns soll es wahrhaftig nicht liegen , « sagt Erdme und verabschiedet sich . Sie fühlt sich zu den Leuten hingezogen , obgleich , wie man ja sehen kann , das Unglück im Hause sitzt . Ein anderer , an den sie durch Taruttis gewiesen ist , hat sein Eigentum dicht neben dem kleinen Moorwalde , der auf einer Sandnase sitzt und so niedrig ist , daß man bloß auf eine Fußbank zu steigen braucht , um darüber hinwegzublicken . Diese Wirtschaft sieht schon etwas vorgeschrittener aus . Ein Stall ist da , und an den grünen Simsenbüscheln rupfen zwei magere Kühe . Der Besitzer heißt Smailus und hat vor kurzem schon die zweite Frau begraben . Er ist ein großer , starker Mann , dem die Tür bis an die Schultern reicht , mit einem kühnen Polengesicht und langhängendem Hetmansschnurrbart , aber seine Augen haben einen stumpfen und schläfrigen Blick , als ob die ganze Welt ihn nichts anginge . Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins Leben , das sich dicht hinter ihm aus dem Hause drängt . Etwa zwölf Jahr kann sie sein , höchstens dreizehn , geht barfuß und ziemlich zerlumpt , aber unter dem Halse hat sie eine goldene Brosche sitzen . Sie mischt sich auch gleich ins Gespräch und sagt , sie sei zwar nur die Tochter von einem ganz kleinen Besitzer , aber eine Besitzerstochter sei sie immerhin , und was sie tun könne , um Frischzugezogenen das Leben zu erleichtern , das solle gewiß geschehen . Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine Ding , das mit dem Maulwerk vorneweg ist wie eine Alte . Aber der Vater tut , als ob das nicht anders sein kann , und sagt bloß : » Ja , ja , das Bauen und das Begraben muß man schon immer gemeinsam verrichten . « » In dem Begraben hat er wohl Übung , « denkt die Erdme , sich bedankend , und die Kleine begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich . Sie wird nun bald eingesegnet sein , sagt sie , und dann wird sie in die Stadt gehen und ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein , wie es in der Kolonie schon viele getan haben . Vorerst aber muß sie dem Vater noch eine Frau besorgen . So eine schöne und starke wie Erdme wäre ihr schon recht – aber Geld muß sie haben – ; die zweite , von der sie die Brosche trägt , hat auch Geld gehabt – bloß nicht genug – , und ob Erdme nicht eine weiß , damit sie selber bald auf die Reise kann . Erdme weiß zwar keine , aber die Rede der Kleinen schlägt ihr aufs Herz wie ein starker Wein . Alles , was ihr einst als Ziel des eigenen Lebens vorgeschwebt hat , steckt ja darin . Doch ihr Schicksal liegt nun bereits so steinern fest , daß keiner auf der Welt mehr daran rühren kann . Wie eingesunken in diesen Moorschlamm liegt es , der keinen Grund und Boden hat und nichts mehr hergibt , was er einmal mit seinen Wurzelfäden umwindet . Die Kleine heißt Ulele . » Das ist ein altertümlicher Name , « sagt sie , » den ich natürlich nicht beibehalten werde , wenn meine Zeit gekommen sein wird . « Damit verabschiedet sie sich , und Erdme sieht ihr traurig und bewundernd nach , wie sie mit ihren nackten , dünnen Beinchen über das Erdreich flitzt , als ob sie es gar nicht berühre . Und die Lumpen flattern an ihr wie zwei Fledermausflügel . » Für mich ist es nun schon zu spät , « denkt Erdme . » Ich muß warten , bis ich Töchter kriege . « – – – Weiter links liegt ein Anwesen , das , wenn es auch schon älter scheint , doch noch zur Nachbarschaft gehört . Es macht aus der Ferne gesehen einen recht kläglichen Eindruck , und gerade darum möchte Erdme es kennen lernen , denn sie will wissen , wie man sich hier behelfen muß , wenn man ganz arm bleibt . Gleichsam als abschreckendes Beispiel will sie es kennen lernen . Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei gezeigt , und als sie ihn am Mittag noch einmal fragt , da wendet er sich ab und macht sich mit dem Sensenschärfer zu schaffen , obwohl es hier nichts zu mähen gibt . So fragt sie also zum drittenmal . Da sagt er : » Über meine Nächsten rede ich nichts Böses , und wenn ich Böses reden müßte , so schweige ich lieber . « Sie nimmt sich vor , die Ulele zu fragen , aber als sie gegen den Abend desselben Tages wieder in den Kartoffeln kniet , wird sie vom Wege aus angerufen . Sie sieht einen kleinen , alten Mann im Graben sitzen , der einen Arm voll Weidenruten neben sich liegen hat und einer gerade mit dem Taschenmesser die Haut abzieht . » Was willst du von mir ? « fragt sie , ohne sich stören zu lassen . » Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen ? « ruft er herüber . » Das kann schon sein , « sagt sie . » Arme zum Helfen kann man immer brauchen . « » Zwei Arme hab' ich auch , « sagt er . » Gehörst du zur Nachbarschaft ? « fragt sie . » Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft , « sagt er , » daß du heute schon zweimal an meinem Haus vorbeigegangen bist . « Und er weist mit seinem Messer gerade auf das Anwesen hin , von dem der Taruttis durchaus nicht reden will . Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder , mit dem sie die Rücke glättet , und tritt näher auf ihn zu . Und was sie da sieht , ist aus zusammengebettelten Kleidern sich streckend ein zahnloses , plieräugiges Greisengesicht , dem die Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem Aussatz klebt . Man kann sich schütteln vor ihm , so sieht er aus . Sie fragt : » Wer bist du denn ? « » Ich bin ein verdienter Mann , « sagt er und fährt fort , seine Ruten zu schälen . » Durch fünfunddreihig Jahre bin ich für den Staat tätig gewesen , und nun prozessiere ich mit ihm , da er mir keine Altersversorgung zahlen will . Andere mästen ihre Ferkel , ich aber muß Ruten flechten , weil meine Leistungen nicht anerkannt werden , die ich ganz ohne Lohn vollbracht habe ... Übrigens bin ich noch stark bei Kräften , und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten willst , so werde ich dir die Balken heben wie ein Spielzeug . « Schon will die Erdme Ja sagen , da besinnt sie sich auf die abweisenden Worte des milden Taruttis , wie auch auf den eigenen Abscheu , der sie beim Näherkommen befallen hat , und darum antwortet sie : » Ich danke dir , Nachbar , für guten Willen , aber unsere Gesellschaft hat schon ihre volle Zahl . « Da kriegt ihn die Wut zu packen ; er springt vom Grabenrand auf und speit ihr seine wilde Bosheit sozusagen ins Gesicht . » Also auch du willst mich nicht , du Giftschnauze ? « schreit er . » Haben die Ohrenbläser dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt ? ... Keiner will mich ! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses von mir nehmen ! Aber ich werd' es euch antun ! Wenn das Unglück kommen wird , die große Not , die Wassersnot , daß eure Häuser zerfließen werden zu Brei und euer Herd sinken wird in den Abgrund , wenn ihr eingeklemmt sitzen werdet im Schornstein und schreien um Gnade , dann werde ich lachend anspannen lassen die Arche Noah und vorüberfahren und lachen über das Todesquieken eurer Schweine und das Todesgebrüll eurer Kuh – am meisten aber werde ich lachen über euch selber , wenn der Schornstein zusammenfällt und das schwimmende Eis euch die Gurgel zerschneidet . So soll es sein . Amen . « Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten auf , zieht die zerlumpten Beinlinge über den Hintern und geht seines Weges , aber immer noch kehrt er sich um und schüttelt die Faust und speilt die roten Gaumen . Der Erdme ist zumut , als wäre ein Klumpen von dem höllischen Feuer auf sie niedergefallen . Wenn das das Ende sein soll , warum bauen sie dann erst ? Und warum haben die anderen gebaut ? Doch deren Häuser stehen ja noch weit und breit , und die Fenster karfunkeln in der Abendsonne . Es ist also wohl der böse Feind selber gewesen , der ihr das Herz hat abschnüren wollen . Aber sie bleibt still und bedrückt , auch als Jons von der Arbeit kommt und ihr mit Stolz zeigt , was er alles mitgebracht hat . Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen Drahtnägeln , denn ohne die geht 's nicht . Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen Kornschnaps aus der Schmidtschen Destillation und alle die Zutaten zu einem süßen Fladen , der heute noch gebacken werden muß . Die Taruttene liefert das Mehl und viele erbauliche Sprüche dazu , und als die Hähne krähen , bringt Erdme ihrem Mann das erste dampfende Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus , wo er die Nacht über Balken behauen hat wie ein gelernter Zimmermann . Aber von dem bösen alten Mann sagt sie ihm nichts . 5 Und nun ist es wieder Nacht geworden , und das Haus steht gerichtet . Die vier Kiefernstämme sind in den Boden hineingeschlagen , so tief , daß rund um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel hochschoß wie ein Quell , und sind dann durch die aufgenagelten Latten verbunden . Oben darauf haben sich Sparren und Sparrbalken zum Dachgerüst zusammengefügt , und die künftige Zimmerdecke ist genagelt . Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die viereckigen Stücke der obersten Moorschicht , die für den Hofplatz nicht nötig ist , um so nötiger aber , um später von außen her an die Latten geklatscht zu werden und so eine mauerähnliche Wand zu bilden , die für den Winter Abhalt und Wärme gibt . Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft und ruht sich aus . Der fromme Taruttis natürlich und die noch frömmere Frau , Witkuhn , der halbdeutsche Fremdling , und der lange Smailus mit seiner kleinen Ulele , die ihm meistens das Wort aus dem Munde nimmt . Vorhin aber hat sie wie ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen , und wo keiner die Schlinge befestigen konnte zum hochziehen , da war sie schon oben . Und niemand hat sie viel klettern gesehen . Fixes Ding ! Müde sind sie und warten voll Freuden des kleinen Festes , das der Besitzer ihnen zu bieten hat . Jedem liegt ein Fladenstück auf dem Schoße , und die spiegelnde Flasche geht manchmal reihum . Nur die Frau des Witkuhn fehlt . » Sie ist immer elend , « sagt er , » und muß mit den Hühnern zu Bette . « » Da werd' ich mich dir wohl bald erkenntlich zeigen können , Nachbar , « meint die Erdme . Er antwortet nichts , aber über sein abgehärmtes Gesicht geht rot eine Flamme wie von verbotener Freude . Die Nacht ist hell , wie im frühen Juni ja immer , und zum Überfluß steht der Mond ziemlich hoch . Taruttis schlägt vor , ein geistliches Lied zu singen , damit die bösen Geister das unfertige Bauwerk nicht umschmeißen können , und das geschieht denn auch . Noch sind sie mitten darin , da bemerkt Erdme , daß auf dem Wege , der wohl hundert Schritte abseits liegt , eine Gestalt sich unruhig hin und her bewegt . Und sie erschrickt sehr , denn sie erkennt den bösen alten Mann von gestern . Die Stimme zum Singen verschlägt ihr , aber sie will den heiligen Gesang nicht stören , darum wartet sie , bis sie zu Ende sind , dann weist sie mit der Hand auf den Schatten hin , der in dem ungewissen Mondlicht zu tanzen scheint . Alle wenden die Gesichter , aber keiner spricht ein Wort . Es scheint , sie fürchten sich alle . Selbst der Jons braucht eine ganze Weile , bis er fragt , was da los ist . » Scht « macht die Taruttene . Der lange Smailus grunzt etwas vom » Kipszas « , dem Satan , und seine Tochter , die Ulele , beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise : » Es müßte doch sonderbar zugehen , wenn er dich nicht gebeten hätte , heute zur Talka zu kommen , denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm . « Da erzählt Erdme ebenso leise , was ihr gestern mit ihm begegnet ist . » So versucht er es immer aufs neue , « sagt Taruttis , » denn der Arme kann es nicht verschmerzen , daß man sich nichts mit ihm zu schaffen macht . « Jons fragt : » Warum tut man es nicht ? « Und Erdme meint , abscheulich genug sehe er ja aus , aber das könne unmöglich allein die Schuld daran tragen . Und da erfahren sie beide seine furchtbare Geschichte . Sie ist weit furchtbarer , als Menschen sich ausdenken können . Als ein überführter und geständiger Raubmörder hat er fast sein ganzes Leben im Zuchthaus zugebracht . Zuerst hat er einen zu Tode geschleift , mit dem er zusammen nächtlicherweile auf einem Wagen gefahren war , und zwar , indem er heimlich einen Lederriemen mit dem einen Ende um die Radfelge , mit dem anderen um dessen Arm geschlungen hatte . Dann , als er nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen ist , hat er dasselbe Kunststück noch einmal probiert – an einem Fuhrmann , den er auf stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden hatte . Aber diesmal ist es ihm mißglückt , denn dabei war ihm die eigene Hand ins Rad hineingeraten . Darum hat er auch den Dusel gehabt , trotz der Wiederholung solch einer Untat noch einmal herauszukommen . Und nun haust er wie ein Dachs in seiner Kate , die er sich als junger Mensch gebaut und in der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen Vorrichtungen gegen die Überschwemmung versehen hat . Worin sie bestehen , weiß keiner , denn niemals geht einer zu ihm hinein ; von außen aber liegt an der Wand eine schräg dagegen geschaufelte Mistschicht , die bis zum Fenster hinauf alles verbirgt . Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht , und doch läuft es ihr einmal nach dem anderen kalt über den Leib . Und während der alte Raubmörder in seiner Sehnsucht nach Menschen dort auf dem Wege herumtanzt , erzählt sie so leise wie die anderen , mit was für fürchterlichen Worten er ihr die künftige Wassersnot ausgemalt hat . Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe Frage , die ihr seit gestern wie ein Mühlrad im Kopfe herumgeht ? » Wenn die wirklich einmal kommen wird , warum bauen wir uns erst hier an ? « Da nimmt der Witkuhn , der doch von weit her ist , das Wort und sagt beinahe feierlich : » Wir bauen uns hier an , weil wir arme Leute sind und eine Zuflucht nötig haben . Wo anders gibt man uns keine , sondern hetzt uns herum . « Und dann erzählt er , wie schon zweimal das Hochwasser unermeßlichen Schaden verursacht hat und daß es für die Zukunft immer häufiger zu befürchten ist ; denn das sei eben das Schlimme : durch die Urbarmachung sterbe das Torfmoos ab , und dann senke sich das Erdreich von Jahr zu Jahr . So werde der Segen der Arbeit selber zu einer Gefahr , die mit Vernichtung bedrohe , was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich geschaffen hat . » Aber darum arbeiten wir doch ruhig weiter , « sagt er zum Schluß und zieht den Rock enger , wie einer , der sich endlich geborgen fühlt , » denn wir lieben dieses Stückchen Erde , das für die anderen zu schlecht ist und wo uns darum keiner verfolgt . Und wir lieben auch die , die das gleiche mit uns tun und erdulden . « » Und wir lieben auch den lieben Gott , « sagt der fromme Taruttis , » der Gutes und Böses über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der Mensch sogar ein Mörder wird . « Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin , denn er hat lauter gesprochen als die anderen , aber da ist das graue Gespenst schon fort . 6 Wie macht man einen Herd ? Wie baut man einen Ofen ? Der Boden trägt ja nichts . Willst du ihm was Schweres anvertrauen , so gibt er nach und schluckt es langsam unter . Aber der Witkuhn weiß Rat . Er kennt alle Nücken und Tücken des Moores . Und er ist immer da , wenn man ihn brauchen kann . Aber nicht etwa von selber kommt er . Wie ein furchtsamer Hund schleicht er sich um die Baustatt herum und wartet , daß man ihn herruft . Und ruft man ihn nicht , so geht er von dannen . Wenn er auch ganz verdeutscht ist , wie einer von den Deutschen benimmt er sich nicht , die immer eine große Schnauze haben und die Litauer als Vieh ansehen . Und er verkehrt auch nicht mit ihnen , soviel ihrer auch auf der Kolonie herumwohnen , denn die nimmt jeden auf , dem eine Heimat fehlt . Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs . Schleppt sich ' rum und tut ihre Arbeit mit Wehklag' . Wenn die flinke Ulele nicht hülfe , wäre das nötigste oft nicht getan . Und nun ist ja auch die Erdme da . Die knapst sich manche Viertelstunde ab , um für sie Hausarbeit zu tun , während der Mann draußen auf dem Felde ist . » Wenn mein Kindchen noch lebte , « sagte sie , » dann könnte es mir schon in manchem behilflich sein . « Aber das war ja schon in der Geburt gestorben und hatte dabei der Mutter den Leib zerrissen , so daß er nie mehr ganz heil ward . Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau mehr sein und ihrem Haus keine Wirtin . Und dann ist noch das Unglück da , von dem sie nicht spricht und er nicht spricht und das man doch gleichsam riecht , wenn man dem Hof nur in die Nähe kommt . » Ja also , « sagt der Witkuhn eines Tages , » den Herd baut man so : Man kauft sich « – er sagt » kauft « , » holen « sagt er nicht – » man kauft sich den Wurzelstubben von einer Tanne . Eine Kiefer darf es nicht sein , denn deren Wurzel ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter , als wäre er nicht gewesen . Eine Tanne muß es sein – deren Wurzel hat Querläufer nach allen Seiten – die legen sich wie Riegel vor , wenn der Stubben einsinken will . So trägt er vielleicht den Herd , und ein anderer trägt auch den Ofen . « Der Jons streift also nachts durch die Wälder und sucht die Stellen , wo Tannen gerodet werden . Solche Stellen sind selten , denn die Tanne ist ein kostbarer Baum , nicht so gemein wie die Kiefer . Er sucht , und er findet . Und wieder leiht der Taruttis den Handwagen , und beide ziehen aus bis nach dem Norkaiter Forst , wohl zwei Meilen weit . Der preußische Staat ist reich . Ob der einen Stubben mehr oder weniger hat , was macht ihm das ? Und auch den zweiten kann er noch leidlich entbehren . Aber noch mehrere müssen daran glauben , denn die Schlammschicht ist tief . Einer muß über den anderen gelegt werden , und dann erst hält der Grund so fest , daß man mit Ziegeln und Lehm darauf arbeiten kann . Aber die Ziegel kann man leider nicht » holen « , denn der Herr Ökonomierat , dem der große Ringofen gehört , hält sich einen Wächter und hält sich auch Hunde . Ja , der kennt seine Leute . Vielleicht versucht man es also mit Betteln . Denn weit und breit weiß jeder , welch ein guter und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat ist . Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in dem großen Saal , der mit Bücherregalen gefüllt ist von einem Ende bis zum anderen . Man kann sich nicht vorstellen , daß es so viele Bücher gibt auf der Welt . Aber es ist kein » Bagoszius « – kein Geldprotz – , der zu ihnen spricht , sondern er ist freundlich und leutselig und wischt sich mit der Zunge über die Zähne und schmunzelt sie an . Aber seinen Augen ist nicht zu trauen . Die sehen einen durch und durch . » Schenken werd ' ich euch die Ziegel nicht , « sagt er , als sie ihre Bitte vorgebracht haben , » denn wer sich Häuser baut , der ist kein Pracher . Aber verkaufen werd' ich sie euch . « Sie machen lange Gesichter . Dazu hätten sie ja einfach aufs Kontor gehen können . » Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis sagen . « Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt : Vielleicht probiert man es doch mit dem » Holen « . Sie verstehen seine Frage erst nicht , obwohl er litauisch spricht , beinahe so gut wie sie selber . Zweimal muß er sie wiederholen . Da erst lachen sie hell auf . Ob sie singen können ! » Könnt ihr auch Märchen erzählen ? « Fünfhundert können sie erzählen . Tag und Nacht und noch einmal Tag und Nacht lang können sie erzählen . » So viel will ich gar nicht wissen , « sagt er . » Singt mir zehn Lieder und erzählt mir zehn Märchen . Vielleicht daß ich was Fremdes darunter finde . Und dann könnt ihr euch Ziegel auf die Karre laden , soviel ihr braucht . « Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein , damit sie den nötigen Mut bekommen , und dann geht 's los . Die ersten drei kennt er , die dürfen sie gleich wieder abbrechen . Aber das vierte ist ihm neu , das schreibt er sich auf . Und von den Märchen , die die Erdme erzählt , schreibt er sich sogar zweie auf . Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen Ziegelmeister , und damit haben sie sich Feuerstatt und Ofen ehrlich erworben . Der zugehörige Lehm muß ja freilich doch noch gemaust werden , aber den liefert zur Nachtzeit die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen , und das Strauchwerk , das als Halt in die Brandmauer gepackt werden muß , kann man sich ringsum von den Weidenbüschen schneiden . So steigt die Mauer bald bis zur Decke . Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle daran , auf der anderen der Ofen . Sehr schön sieht er nicht aus . Einer aus glasierten Kacheln würde sich sicher weit besser machen , und gerade steht er ja auch nicht , aber wärmen wird er vielleicht , wenn erst die Torfstücke drin prasseln . Nun aber der Schornstein ! Denn sonst erstickt man im Rauch . Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon geschnitten . Wenn man nur weiter wüßte ! » Bei Schmidt auf dem Hofe « , sagt der Witkuhn , » liegt ein Haufen von rostigen Kannen . In denen ist früher Petroleum gewesen . Da kostet jede zehn Pfennig . Davon kauft euch ein Dutzend . « Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei noch mit durch . Aber nun weiter ! Und der Witkuhn zeigt ihnen , wie man aus Latten eine vierseitige Röhre macht und sie mit dem Blech so dicht beschlägt , daß der Rauch durch die Ritzen nicht durchkann . Diese Röhre wird durch das Deckenloch geschoben und so hoch geführt , daß sie die Sparren noch überragt . Dann wird unten von Latten ein Mantel schräg darangenagelt , – und siehe da ! der Schornstein ist fertig . Das Anheizen will ausprobiert werden . Ach , wie qualmt das – und stinken tut es nicht weniger – vor allem nach Leim und Petroleum , aber das wird sich schon legen . Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen hat , findet er schließlich den richtigen Weg und entfernt sich gefälligst dorthin , wo es schnurgerade in den Himmel geht . Wenn er es im Winter ebenso macht , ist die Stubenwärme gesichert . Vorausgesetzt natürlich , daß Hauswand und Dach das ihrige tun . Die Hauswand – das ist nun gar ein schwieriges Stück , und wäre der kluge Witkuhn nicht zur Stelle , man brächte sie niemals fertig . Aber wie können kluge Leute so ängstlich sein ? Er wartet ja bloß darauf , daß die Erdme ihn ruft . Aber bitten läßt er sich doch . Die viereckigen Moorfladen , die man an die Bretterwand preßt , halten wohl fest , solange sie feucht sind ; trocknen sie aber , so fallen sie ab , wie Sandbrocken fallen . Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der schlechtesten Latten noch eine zweite Wand – fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt . Die ist ganz lustig , nicht dichter als etwa ein Zaun . In dem Raum zwischen den beiden sackt sich die Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich selber beruhen . Nach ein paar Wochen kann man die Latten wieder entfernen . Nur zur besseren Sicherung läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde geklemmt , denn es werden die Winterstürme kommen , und der Sturzregen wird wühlen und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen . So warnt der kluge Witkuhn , der alles weiß und alles kennt , und sieht an Erdme vorbei , und das Kinn zittert ihm so , daß die Zähne oft klirren . Wenn sie mit ihm allein ist – und das geschieht fast alltäglich – , dann hat sie stets ein Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt , zu dem noch was anderes hinzukommt , das ihr das Herz beklemmt . Es ist , als hätte sie Angst vor seiner Angst , denn Angst hat er immer , das ist ganz klar . Wenn man nur wüßte , wovor . – Aber dem Jons sagt sie nichts . Sie will sich den guten Nachbar erhalten . Nach der Hauswand das Dach ! » Jons , bring Rohr ! « Es können auch Binsen sein – oder beides zusammen . – An Rohr und Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm , wenn auch das Moor selbst sie nicht liebt – oder sie nicht das Moor , was auf dasselbe herauskommt . Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen , und alle sind sie mit Röhricht umstanden . Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat leichte Last , wenn er hochgetürmt vom Rußufer daherkommt , und der Gendarm fragt nicht viel , denn daß man sich dergleichen nimmt , wo man es findet , versteht sich von selber . In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht , so daß man bald ans Dachdecken gehen kann . Der Taruttis borgt seine Leiter , die Querstangen werden genagelt , und nun steht Erdme Tag für Tag hoch auf den Sprossen und legt ein Bündel dicht neben das andere und preßt es zusammen und besichelt die Enden . Und unten lauert die kleine Ulele und reicht ihr zu , denn eine Mannsperson kann man dazu nicht brauchen , es sei denn der eigene . O Gott , o Gott , du glaubst es nicht ! Nun sieht es schon bald aus wie ein Haus . Aber noch fehlen die Türen , die Fenster – kein Mensch kann sich ausdenken , was alles noch fehlt . Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt , der irrt sich . Eines Tages bringt er zwei Fenster an , hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin , nur daß die Rauten gebrochen und die Rahmen angekohlt sind . Vorige Nacht hat es nämlich in Trackseden gebrannt . Darauf ist er zu dem Besitzer gegangen und hat gesagt : » Verkauf mir den Kram für zwei Stof Schnaps . Dem Versicherungsinspektor erzählst du , es ist dir beim Retten verschwunden , und dann kriegst du neues dafür . « Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag ein , er hilft sogar dem Jons in der Nacht darauf die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und auf den Handwagen laden . Das Schlimme ist nur , sie riechen auf zwanzig Schritt nach Feuersbrunst , und wer ihm begegnet , der lacht ihn an , denn er denkt , er habe es aus dem Brandschutt gestohlen . So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel in schweren Verdacht kommen . 7 Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer durch das Moor die Lynckerstraße heruntergeht und dann links um die Ecke biegt , so fragt er wohl seinen Begleiter : » Wer hat sich das hübsche kleine Hauschen gebaut ? « Und wenn der Ortskenntnis hat , so antwortet er : » Das ist der Losmann Jons Baltruschat , der mit seiner jungen Frau im Frühling zugezogen ist . « Und der Fremde sagt wohl : » Das müssen fleißige Leute sein . « Aber durch die himmelblaue Tür darf er bei Jesu Leibe nicht eintreten , denn drin sieht es fürchterlich aus . Nichts ist getan , rein gar nichts . Nicht einmal die Ritzen , die zwischen den Schwarten klaffen , und die Astaugen darin sind richtig verschmiert , und überall hängen die Fasern der Moorschicht . Doch lange darf die Schande nicht dauern . Vor allem der Fußboden ! Viele wohnen ja auf dem nackten Moor , und das soll sogar trocken halten und im Winter gar nicht so kalt sein . Aber da kennt ihr die Erdme schlecht ! Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein Estrich gewalzt , auf dem man tanzen könnte zu Fastnacht . Dann werden die Wände verklebt , und dann kommt das feinste : der Bildschmuck . Überall in den Heydekrüger Läden sind wunderschöne , bunte Bilder ausgehängt . Die preisen Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt und Hühneraugenringe in der Uhr und tausend andere nützliche Sachen . Und immer kommen neue Plakate . Die alten aber , die auf dem Speicher herumliegen , die bettelt man sich zusammen . Und die jungen Gehilfen lachen und holen sie gern . Außerdem war doch – Erdme besinnt sich genau – in der Rumpelkammer der Frau Schlopsnies ein Haufen alter Blätter aufgestapelt mit Ansichten aus allen fünf Erdteilen . Der Niagarafall und die Pariser Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa und so noch manches andere . » Liebe Frau Schlopsnies , gute Frau Schlopsnies , ich hab' mich so sehr nach Ihnen gebangt ! Und wenn ich ein Mädchen kriege , möcht' ich 's fürs Leben gern nach Ihnen benennen . « Und dabei weiß sie gar nicht , wie die Frau Schlopsnies mit Vornamen eigentlich heißt . Aber die Blätter bekommt sie geschenkt , sogar die Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind dabei , die Frau Schlopsnies sich einst gesammelt hat , als sie noch keine alte Schachtel war und als Kellnerin hochkommen wollte . Die sind noch so gut wie neu . Und wenn die Erdme wirklich einmal Töchter kriegt , dann müssen sie genau so angezogen gehen wie alle diese schönen Damen , die einem das Herz vor Neid im Leibe umdrehen . Und nun wird die Stube geschmückt ! Bild neben Bild geklebt , und die buntesten kriegen die vornehmsten Plätze . Schließlich sind ihrer so viele , daß man den Niagarafall wegschmeißen muß , und die Spitze des Monte Rosa schon deshalb , weil es da oben so kalt ist . So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl nirgends . Der Taruttis hat ja auch Bilder geklebt , aber die sind bloß griesgrau und stammen aus Kindergeschichten und heiligen Büchern . Und bei Witkuhn hängt nur das Kaiserpaar mit dem Bismarck darunter , genau wie im Zimmer des Moorvogts . Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt . Die Tage werden kürzer , und darum getraut sie sich nicht , ihn zum Helfen zu holen . Aber wie die Zimmerdecke gedichtet werden muß , da braucht sie ihn doch . Denn wenn der Jons heimkommt , dann ist es schon immer fast dunkel . Erst will er gar nicht hereinkommen – gewiß hat er wieder mal Angst – , aber als er die Farbenpracht sieht , da geht doch ein Lächeln – ein Lächeln der Freude natürlich , daß es so schön ist – über sein stilles Gesicht . Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit . » Ohne dich , Nachbar , « sagt sie , » hätten wir 's nie so weit gebracht . « Und sie legt ihm die Hände auf beide Schultern . Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie ein Taschenmesser , sinkt auf den Bock , wo der Kleistertopf steht , schlägt die Hände vors Gesicht und weint . » Was ist ? Was ist ? « fragt sie erschrocken . Und weil sie ihn trösten will , beugt sie sich zu ihm nieder und streichelt ihn . Und – was tut er ? Er umschlingt ihre Hüften und küßt ihr den Rock und küßt ihr die wehrenden Hände und will sie gar zu sich niederziehen . » Nicht doch , Nachbar , « sagt sie mit einem Blick auf den Kleistertopf , » so was mußt du nicht tun . « Und er sagt , sie solle sich seiner erbarmen , sonst muß er ins Torfloch . » Schade , Nachbar , « sagt sie und lacht , wie sie immer gelacht hat , wenn sie einer hat haben wollen , » schade , daß du nicht früher gekommen bist . Als Mädchen nahm ich 's nicht so genau . Da hat mich bald der geliebt und bald jener . Aber jetzt , wo wir uns so quälen müssen , der Jons und ich , da würde ich mich vor ihm schämen , wenn er des Abends nach Haus kommt . Außerdem , wenn du's wissen willst , in anderen Umständen bin ich wohl auch . « Da steht er langsam auf , greift nach der Wand , sich festzuhalten , und geht hinaus wie betrunken . Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts , denn innerlich hat sie den Nachbar gern . Und um so gerner , seit sie weiß , daß er so an ihr hängt . Und weil ihr ist , als habe sie was an ihm gutzumachen , so hält sie es mit der Frau und hilft ihr , wo sie nur irgend kann . Ihr eigenes Tagwerk kommt zwar dabei oftmals in Rückstand , aber über das Schwerste ist sie ja weg . Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen , wenn sie vom Melken kommt . Zur Dienstmagd aber reicht es auch dort nicht . Und die Frau sieht sie immer mit großen , bittenden Augen an , als will sie was sagen . Aber sie sagt es nicht , soviel die Erdme auch nachhilft . Was kann es nur sein , was sie will ? Manchmal denkt die Erdme : » Jetzt weiß ich's . « Aber das geht wider Natur und Religion , und darum wirft sie es weit von sich weg . Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht mehr in die Nähe , und wenn er vom Felde kommt und hört auf dem Hof ihre Stimme , kehrt er lieber noch einmal um . Sie möchte ihm manchmal entgegengehen , aber das sähe ja aus , als ermuntere sie ihn , und darum läßt sie es lieber . Das Haus ist nun so weit , daß es bezogen werden kann , aber alles Geräte fehlt . Nur die Bank an der Giebelwand , die in jedem litauischen Hause steht , ist gleich beim Bauen festgemacht worden . Und der Jons kommt immer später . Er sagt , er habe Überstunden , aber das glaubt sie ihm nicht . Der Winter steht vor der Tür , und noch ist die Bettstatt nicht da und auch kein Tisch und kein Kasten . Sie mahnt ihn tagtäglich , er solle nun zimmern , aber er schüttelt bloß immer den Kopf . » Mein Gott , mein Gott , « denkt sie , denn sie geht mit der Katrike – so wird es heißen , wenn es ein Mädchen ist – nun schon im vierten Monat . Ein Glück ist noch , daß die Kartoffeln gedeihen . Wie andere heimlich nach einem vergrabenen Schatze sehen , ob er noch da ist , so geht sie wohl dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst um , ob niemand am Weg ist , und dann kniet sie rasch nieder und scharrt an der Stelle und jener , nicht mehr , als ein Hündchen mit dem Vorderfuß klaut , – und siehe da ! überall sagt ihr ein junges Knollchen : » Labsriets « und » da bin ich « . – Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß und nach vierzehn Tagen schon , wie Katrikes künftige Fäustchen sein werden , und so wachsen sie immer noch weiter . Aber der Jons tut , als gehe es ihn nicht das mindeste an . Für nichts hat er Sinn und Verstand , und nicht einmal den Wochenlohn liefert er ab . Er kommt und geht – das ist alles . Da fängt sie an zu glauben , er habe sich nicht weit vom Wege was Liebes angekramt – und da sitzt er nun wohl die Abende über und wird sie zum Winter verlassen . » Dann steck' ich das Haus in Brand , « denkt sie , » und zieh ' hinüber zum Nachbar . « Aber eines Abends so um die Michaeliszeit – da kommt nach Sonnenuntergang ein Einspänner den Weg entlang – beladen mit allerhand Zeug – man weiß nicht recht was . Und neben dem Fuhrmann sitzt einer – der hat so breite Schultern wie Jons – und sieht auch sonst aus wie Jons – und schließlich ist es auch Jons . Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg und tut , als will er aufs Moor einbiegen . Aber das trägt ja noch nicht . Das Pferd hat keine Schuhe an und würde versinken bis an den Leibgurt . Und wie sie herzuläuft – um Gotteswillen , was sieht sie da ? Hoch auf dem Wagen steht ein Schrank , schön grün gestrichen mit roten und gelben Blumchen , und eine Bettstatt ebenso grün , und ein Tisch mit kreuzweisen Füßen , und sogar – man kann es nicht fassen , ob auch das Abendrot draus in die Augen sticht wie mit feurigen Nadeln – ein Spiegel ist da ! – Wahrhaftig , in goldblanker Leiste ein Spiegel ! Die Erdme denkt , sie muß in die Erde sinken , und das wäre auf dem Moor auch gar nicht so schwierig . » Ist das für uns ? « schreit sie ihn an . Er lacht , wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat , und reicht ihr den Spiegel herunter . Sie solle ins Haus gehen , sich rasch das Haar zurechtmachen , sie sehe ja aus wie die Hexe , die Rágana selber . Und sie kuckt in den Spiegel – der spiegelt zwar nicht – aber es ist doch ein Spiegel . Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt , aber die Bettstatt muß auseinandergenommen werden , denn die Tür ist zu schmal , und der Tisch geht erst recht nicht hindurch . Aber schließlich steht alles an seinem Platz , und der Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk . Nur schade ! Stockfinster ist es geworden . Selbst die Blumchen der Schranktür sind nirgends mehr zu erkennen . Da sagt der Jons : » Was du wohl denkst ! Das Schönste ist immer noch draußen . « Er geht , und sie wartet gehorsam . Nie im Leben hat sie gedacht , daß man so klein dastehen könne neben dem eigenen Mann . Da läuft ein Lichtschein über sie her . Und was bringt er getragen ? Eine Lampe . Eine richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und Glocke , wie sie im Hoffmannschen Laden im Schaufenster stehen . Selbst in der Wirtsstube der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben . Dort hatten sie alle bloß blecherne Schilder . Der Fuhrmann fährt ab , und der Jons steht da und läßt sich bewundern . Wie hat das zugehen können ? Ja , wie hat das zugehen können ? Die Bretter sind aus der Sägemühle , das ist klar . Aber weiter ? Als der Tischler Kuntze sich auf dem Holzplatz seinen Bedarf aussuchte , hat Jons ihn gefragt , wie man wohl am besten zu einer Einrichtung kommen könne . Da hat der Tischler sich erst umgesehen und dann gesagt : » Wer mir beim Aufladen behilflich ist , so daß ich nicht etwa zu kurz komme , dem werd' ich nach Feierabend zur Hand gehen und ihm zeigen , wie er es macht . « Nun , der Tischler Kuntze ist nicht zu kurz gekommen . Im Gegenteil . Und Zum Dank dafür hat der Jons sechs Wochen lang in seiner Werkstatt arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein . Dann hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen für Licht und für Ölfarbe , und noch heute können sie 'rüberziehen und im eigenen Heim wohnen wie jeder Besitzer . So tüchtig ist der Jons und so gescheit . Es müßte wirklich mit unrechten Dingen zugehen , wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen . Und sie kommen vorwärts . Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel . Davon kann neben ihnen noch ein Ferkelchen satt werden . An dem Giebelende , das fensterlos ist , erhebt sich alsbald ein Abschlag mit Schwarten als Dach und rohrgeflochtenen Wänden . Darin hat das Schweinchen Platz und später wohl auch eine Ziege , deren Milch man als Wöchnerin ungern entbehrt . Im Sommer nährt die sich selber am Wegrand , für den Winter aber muß vorgesorgt werden . Das Heu rupft man sich , indem man in nächtlicher Finsternis hinter den Fudern daherläuft , die auf der Chaussee von den Wiesen kommen und Gott sei Dank bloß in kurzem Trabfahren – sonst würde die Erdme in ihrem Zustand ihnen nicht folgen können . Das Verstreute sammelt man auf dem hinterher fahrenden Handwagen , so rasch es nur geht , denn unverschämte Diebe gibt es genug , die einem das sauer Erworbene vor der Nase wegschnappen wollen . Manchmal findet man die Plätze hinter den Fudern bereits von anderen Schatten besetzt ; mit denen prügelt man sich herum , oder man einigt sich besser in Güte . So wird allmählich der Bodenraum voll . Nur für die Heizung muß Platz bleiben . Um die zu beschaffen , hat man vom Moorvogt das Randstück eines Torflochs gepachtet und ist auch diese Pacht schuldig geblieben – genau so wie jene . Denn der merkwürdige Mensch mahnt ja nicht . Warum soll man ihm also entgegenkommen ? Er wird schon mahnen , « lacht die kleine Ulele . » Er hat ein dickes Buch . Darin steht alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen Richters . Was ehrlich erworben ist und was nicht . Es steht alles darin . « Der Erdme zittern die Knie , sie quiekt wie eine Maus und sinkt nach hinten zurück . Aber das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen . Und so entschuldigt sie 's auch bei der kleinen Ulele . 8 Der Winter kommt wie alles Schlimme früher , als man sich 's denkt . Eines Morgens zu Anfang November ist das Moor gefroren wie ein Brett . Bis dahin hat man im Kalten gelebt , aber nun geht es nicht mehr . Der Handwagen des frommen Taruttis , der so viel Unfrommes mit angesehen hat , ist ihm zurückgegeben . Statt dessen dient nun die Karre , die Jons vom Markte gebracht hat . Das Torfloch trägt eine Eisdecke . Die wiegt sich und klingt , wenn man auf dem Moore daherkommt . Die Torfziegel , die Erdme alle selber gestochen hat , stehen in viereckigen Haufen geschichtet . Obwohl sie sie mit Rohr bedeckt hat gegen den Herbstregen , trocken sind sie noch immer nicht . Aber wenn man ihnen gut zuredet , brennen werden sie doch , und der Qualm geht zum Schornstein hinaus . Ja , Kuchen ! Wie der Jons des Abends nach Haus kommt , findet er die Stube so voller Rauch , daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist . Und auf dem Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet . Aber die kleine Ulele , die jetzt immer dabei ist , lacht und sagt : » An den Rauch gewöhnt man sich wie ans Grundwasser . Oben ersticken wir , unten versinken wir und sind ganz lustig dabei . « Und sie hat Recht gehabt . Bald weiß man kaum mehr , ob es raucht oder nicht , wenn man's nur warm hat . Und das ist die Hauptsache . Denn Tage brechen herein , so naß und so kalt , daß einem das Herz im Leibe erklammt , wenn man die Nase ins Freie steckt . Was schlimmer ist , der suppende Nebel oder der rotklare Frost , die fegenden Schneestürme oder der windstille Rauhreif , – man weiß es wahrhaftig kaum ; nirgends friert man so wie hier auf dem Moor . Die Kälte auf der Spitze des Monte Rosa muß dagegen ein Kinderspiel sein . Ein Glück ist , daß , noch ehe der erste Schnee kam , der Zufahrtssteg angelegt und mit kleinen Birken und Quitschen bepflanzt ist , sonst würde der Jons , wenn er in der Finsternis heimkehrt , nicht wissen , wo er abbiegen muß , so verstiemt ist alles in Weite und Breite . – Selbst das Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee und muß am Morgen ausgeschaufelt werden , damit man weiß , daß es Tag ist . Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie . Nur das Ferkelchen muß sie versehen , das prächtig gedeiht . Wenn man das schlachten dürfte , könnte man pökeln für Jahre . Aber so üppig leben wir nicht . Wir sind froh , wenn wir ab und zu einen Hering haben . Das Schwein wird , wenn es fett ist , an den Schlachter verkauft , und was dafür einkommt , bildet das Grundkapital für die künftige Kuh . Aber das sind noch Zukunftsträume . Fürs erste wollen wir mit der Ziege zufrieden sein . Im Januar rückt sie an . Sie heißt Gertrud , frißt mit aus dem Schweinetrog und stößt , wenn man sie melken will . Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt ihre Milch so großmütig her , wie nur eine kann , deren Haltung nichts kostet . – Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist das Gefangensein . Man kuckt nach rechts – man kuckt nach links – alles ist weiß , alles ist weit , und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem Wege , um zu zeigen , daß es noch Dinge gibt auf der Welt , die anders aussehen als weiß . Die Häuser der Nachbarn stehen ja da , aber sie sind fast ganz in Schneefluchten versunken , und nur wo der Rauch sich niederschlägt , gibt 's auf dem Dach einen graulichen Flecken . Man kann sich kaum vorstellen , daß dort überall Menschen wohnen , denn niemals sieht man einen , und man geht auch nicht gerne hinüber . Wäre die kleine Ulele nicht , man wüßte tagsüber kaum mehr , wie eine fremde Menschenstimme sich anhört . Aber die kleine Ulele hat viel zu tun . Sie geht auf Freiersfüßen . Wenn sie zum Frühling eingesegnet wird , muß der Vater schon seine Frau haben . Denn dann will sie in die große Welt , ihr Glück machen . Sie weiß eine , die hat dreihundert Taler , und eine andere , hie hat noch mehr . Aber an der hängen zwei Kinder , deren Vater sie manchmal besucht . Und die Ulele meint mit Recht , das werde Streitigkeiten geben , wenn sie selbst als Vermittlerin nicht mehr im Lande ist . Sie wird also wohl die erste wählen , aber der muß noch viel zugeredet werden , denn sie fürchtet , der Weg der Vorgängerinnen werde alsbald auch der ihrige sein . So hat man seine Sorgen , auch wenn man noch Kind ist . Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit Monaten nichts mehr gesehen , und die Hilfeleistung bei seiner Frau muß die kleine Ulele für sie mit übernehmen . Es bleibt also nur der fromme Taruttis , an den man sich halten kann . An jedem Sonntagabend gibt 's eine Versammlung bei ihm . Zu der kommen die Gebetsleute weit und breit , und manchmal sind Stube und Vorflur so voll , daß die Haustür offen stehen muß , und dann zieht der eisige Wind wie mit Peitschenhieben über die Köpfe . Aber schön ist es trotzdem . Andächtige Lieder werden gesungen , Sündenbekenntnisse abgegeben , und meistens kriegt der heilige Geist einen oder den anderen zu packen , so daß er aufsteht und mit Zungen redet , während die anderen horchen und weinen . Das ist dann ein rechtes Sonntagsvergnügen . Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme noch nicht , denn das Abtun des Irdischen ist wenig nach ihrem Geschmack . Aber sie werden als Gäste geduldet , zumal der Tag der Erleuchtung auch ihnen nicht ausbleiben kann . Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen und Weststurm . Dann hat der Schnee sich gelöst , und die Welt ist zu Torfschmutz geworden . Dann riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin , und doch sind gar wenige Pferde ringsum . Nur der Wohlhabende kann sich eins halten . Aber Jons und Erdme wissen , daß , wenn die Zeit erfüllt ist , ihnen ihr Pferdchen nicht fehlen wird . Jahre und Jahre kann es dauern , aber kommen wird es gewiß , genau wie das Fettschwein gekommen ist , um das der Schlachter schon lange herumstreicht . Aber vorerst wird was anderes kommen – etwas , das einst in Samt und Seide gehen wird und wofür der Sohn eines Gendarmen schon längst nicht mehr gut genug ist . Ein großer Besitzer muß es sein , wie die reichen Herren der Niederung , die hundert Kühe halten und deren Käsereien mit Dampf betrieben werden . Billiger macht die Erdme es nicht , wenn selbst der Jons mit sich handeln läßt . Um Mitte März kann das Kleine schon da sein . Und der März steht vor der Tür . Die Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee , und wenn mittags die Eiszapfen tropfen , klingt es wie Frühlingsmusik . Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn . Mühselig schleppt sie sich ins Haus . Die Erdme ist noch ein Wiesel dagegen . » Nachbarin , « sagt sie . » Ich weiß , deine Stunde wird bald kommen . Ich hab' eine Bitte an dich . « » Was für eine Bitte ? « fragt die Erdme . » Sieh mich an , « sagt sie darauf . » So quiem' ich nun schon an die zehn Jahr . Und die Wirtschaft kann nicht gedeihen . Hätte der liebe Gott ein Einsehen , so würd' er mich zu sich nehmen , damit der Witkuhn sich nach etwas Besserem umsehen kann . Aber so werd' ich ihm zur Last liegen , wer weiß wie lange . « Sie weint , und die Erdme sagt zu ihr , was man so sagen kann . » Darum sollst du mir das Versprechen geben , « fährt sie fort , » daß du es bei der Hebamme nicht bewenden läßt , sondern dir auch den Doktor bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß . « » Um Gotteswillen ! « schreit die Erdme ganz erschrocken . » Das kostet zehn Mark ! « » Das haben wir auch schon überlegt , « meint die Nachbarin , » und der Witkuhn hat gesagt , wenn ihr es noch knapp habt , die zehn Mark gibt er mit Freuden . « Die Erdme wird heißrot , denn sie denkt an das , was im Frühherbst passiert ist . Und sie sagt : » Dank deinem Mann , Nachbarin , aber soviel haben wir selber . Nur sollt' es für die Kuh gespart bleiben . « » Die Kuh kann krepieren , « sagt die Witkuhn , » und dann spart man sich eine neue . Aber wenn man selbst zuschanden ist , dann spart man sich keine mehr . « Die Wahrheit leuchtet der Erdme ein , und sie gibt das Versprechen . Sie kann es ruhig tun , auch für den Jons . Nur wie es mit dem Fuhrwerk werden wird , weiß sie noch nicht . Denn wenn der Doktor sich selbst eins bestellt , so kostet es weitere zehn Mark . Aber Witkuhn hat auch dafür schon Rat geschafft . Er hat mit einem der besseren Besitzer gesprochen , und der wird sein Pferdchen gerne hergeben , wenn es erst so weit ist . Und jetzt ist es so weit . Die Erdme liegt und schreit wie ein Tier . Seit Stunden folgt eine Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm aus dem Leibe reißen . Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett , anzusehen wie ein rotbärtiger Riese – Perkuhn , der Donnergott , muß so ausgesehen haben – , und blickt aus großen , rollenden Gottesaugen auf sie herab und sagt mit einer Stimme , bullrig und gut wie abziehendes Ungewitter : » Na–a ? Kommt es denn immer noch nicht ? « Nein , es kommt immer noch nicht . Und kommt auch die ganze Nacht hindurch nicht . Wenn eine Wehe heranjagt , dann kriegt sie seine Knie zu fassen und kneift sich darin fest , daß er lachend schreit : » Wirst du wohl loslassen ! « Aber sie kneift nur noch fester . Zuerst , wie er gestanden hat , ist er weit höher gewesen als die Decke des Zimmers ; nur ganz gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt , und auch jetzt , wie er neben dem Bett auf der Hocke sitzt , erscheint er noch immer so groß wie etwa ein Pferd . Aber dann ist es ihr , als wird er langsam kleiner und kleiner . Mit jeder Nachtstunde wird er kleiner . – Wie es gegen den Morgen geht , denkt sie mit einmal : » Für zehn Mark wird er das gar nicht machen . « Und sie fängt vor Angst und Ungeduld zu weinen an , weil es so teuer wird . Er wiederum denkt , daß es die ausgestandenen Schmerzen sind , die ihr die Tränen zum Fließen bringen . Und wie er ihr tröstend die Hand beklopft , da ist er schon ganz klein . Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht und kippt mit seinem mächtigen Schmerbauch nach hinten zurück , so daß die Beine hoch in der Luft herumrudern . Da weiß sie , was es ist . Die Lehmschicht und der Moorboden haben dem mächtigen Körper nicht standhalten können , und die vier Beine der Hocke sind unter ihm in die Tiefe gesunken . Und da befällt sie ein Lachen . Sie lacht und lacht , und aus dem Lachen heraus kreischt sie hell auf , denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke geschnitten , und – wupp ! – ist die Katrike da ! Nachher , wie er gehen will , dreht der Jons demütig die Mütze in der Hand und fragt ihn , was es wohl kostet . Da sieht er sich in der Stube um , besieht den grünbunten Schrank und den goldrahmigen Spiegel und sagt : » Nun , nun , ihr scheint ja ganz wohlhabende Leute zu sein . Gebt mir also « – der Erdme steht das Herz still vor Angst – » gebt mir also – drei Mark . « Und die Erdme denkt jubelnd : » Wenn das so billig ist , krieg' ich nächsten Frühling ein zweites . « 9 Man müßte lügen , wollte man sagen , daß das nun folgende Jahr für den Jons und die Erdme kein gesegnetes gewesen sei . Das Schwein wird gut verkauft , und die Kuh zieht ein . – Sie ist die klügste , die schönstgefärbte , die milchreichste Kuh , die es auf Erden je gegeben hat . Die Milch muß morgens und abends zur Sammelstelle getragen werden und bringt manchen nützlichen Groschen . Das Schlimme ist nur , daß es an Futter fehlt , denn auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst , wenn es Jahre und Jahre bebaut ist , und seine Bewohner helfen sich dadurch , daß sie im Umkreis – bis über den großen Strom hin – jedes Rasenstück pachten , das irgend zu pachten ist . So geht auch Jons auf die Suche , findet aber nichts , was nahe genug gelegen wäre , daß man das Heu auf der Karre heimschaffen könnte . In all den Sorgen mutz also wohl oder übel der Moorvogt heran , der ja am besten Bescheid weiß . Sie tun also so , als hätten sie kein schlechtes Gewissen , stecken für alle Fälle die schuldig gebliebene Pacht in die Tasche und gehen zu ihm . Er sieht sie lange und nachdenklich an , schlägt dann ein großes Buch auf – das Buch gewiß , in dem all ihre Sünden stehen – und sieht sie darauf wieder an . Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß , und er denkt : » In Gottes Namen . « Damit zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt sie auf den Tisch . » Schad ' um das schöne Geld , « denkt die Erdme . Aber wenn man so angesehen wird , was kann man da machen ? » Es war Zeit , « sagt der Moorvogt – weiter nichts – und schreibt ein Zeichen in das Buch . Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen Bewußtsein seiner Rechtlichkeit und sagt mit Würde : » Die Pacht fürs zweite Jahr wird auch bald da sein . « » Das wär' nun nicht nötig gewesen , « denkt die Erdme , aber weil es doch mal heraus ist , will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt hinzu : » Es fällt uns ja schwer , aber unsere Verpflichtungen erfüllen wir pünktlich . « Der Moorvogt kneift die Lippen ein , als will er ein Prusten verstecken , und der Erdme wird sehr verdrießlich zumut . Man weiß mit dem Manne nie , wie man dran ist . Er breitet eine große Plankarte aus und fragt dann : » Wieviel Kartoffelland nehmt ihr dieses Jahr in Arbeit ? « » Wenn's Glück gut ist , « sagt die Erdme , » wird die Hälfte von dem Gepachteten fertig . « Er wiegt langsam den Kopf , sieht sie wieder eine Weile an und sagt dann : » Für ordentliche Leute hab' ich immer noch ein Stückchen Wiese bereit , das nicht zu weit liegt . « » O Gott , o Gott , « denkt die Erdme . » Wie erträgt der Mensch so viel Glück ? Erst die Wiese und dann auch noch gelobt werden . « » Außerdem , « fährt der Moorvogt fort , » ist der Fiskus bereit , Ansiedlern , die sich bewähren , zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel unter die Arme zu greifen . Das gibt dann die doppelte Ernte . « Das wird der Erdme zu viel . Sie kriegt das Heulen , rennt hinaus und rennt schnurstracks nach Hause . Der Jons kann sehen , wo er bleibt . Dann wirft sie sich über die Wiege der kleinen Katrike und erzählt ihr die ganze Geschichte . Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher einmal in Samt und Seide gehen wird , erzählt sie ihr auch . Wie der Jons nachkommt , der inzwischen alles festgemacht hat , fällt ihr ein , daß der Moorvogt , wenn er sie so sehr belobt , von ihren nächtlichen Fahrten unmöglich was wissen kann . Die kleine Ulele hat sie gewiß umsonst in Angst gejagt . Und ihr gutes Gewissen kennt keine Grenzen . Unschuld liebt Blumen . Der Garten muß angelegt werden , sonst wird 's für den Sommer zu spät . Zu Staketen ist das Geld noch nicht da , Weidenruten tun 's auch . Wenn die bloß nicht immer von neuem losgrünen wollten . Tag für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden , sogar die Brandmauer zwischen Kochherd und Ofen schlägt noch einmal aus , weil die Ruten , die ihr den Halt geben sollen , sich in dem Glauben befinden , sie seien zu neuem Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt . So will alles leben und gedeihen , selbst wenn es längst tot ist . Und der Jons und die Erdme sollten nicht gedeihen , in denen doch Leben steckt für zehne ? Sonnenblumen , Krauseminze , Schnittlauch und Fenchel werden gesät , vor allem aber die Raute , die Mädchenblume , die Brautblume . Denn wenn die Katrike heiratet , muß sie sich ihren Kranz aus dem eigenen Garten winden . Das schickt sich für eine Vesitzerstochter nicht anders . – – Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles zum dritten Mal Hochzeit . Die Kleine hat viel Plage gehabt , und erst die Überzeugung , die sie der künftigen Stiefmutter beibrachte , daß sie selbst einmal etwas sehr Reiches werden wird , hat , als sie noch zögerte , den Ausschlag gegeben . Sie ist eine hübsche Person zu Ende der Zwanzig mit einem gutherzigen und gekränkten Gesicht . Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen deutschen Kleide und einer Jettbrosche unter dem Halse , sieht sie aus , als ob sie gekommen wäre , ihr eigenes Begräbnis zu feiern . Aber die kleine Ulele weicht ihr nicht von der Seite und erzählt ihr immer aufs neue , wie herrlich hier alles bestellt ist und was für vornehme Gäste die Stube erfüllen und daß es für ihre dreihundert Taler eine bessere Verwertung nicht gebe . Der große Smailus dagegen streicht seinen rundbogigen Schnurrbart , sieht kühn in die Weite und berichtet jedem , der es längst weiß , dies sei nun schon seine Dritte . Und hernach , wie er betrunken ist , setzt er hinzu , wenn daraus eine Vierte und Fünfte würde , ihm wäre es ganz recht . Aber da hat ihn die Ulele bald beiseite geschafft . Abends spät , wie viele der Gäste schon weg sind und die verlassene junge Frau aus dem Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht , als möchte sie rasch wieder anspannen lassen , da nimmt die kleine Ulele die Erdme beiseite und sagt : » Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach der Stadt , um das Nähen und die Putzmacherei zu erlernen , denn das muß immer das erste sein , weil man zugleich die Abendschule besuchen kann . Aber ich seh' ein , ich kann die Stiefmutter , bis sie ein Kindchen hat , nicht ganz allein lassen . Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben . Von dort wutsch' ich des Abends manchmal herüber und red' ihr gut zu . Dich , Erdme , aber bitt' ich , daß du oft um sie bist . Der Vater meint es nicht schlecht , aber sein Wesen könnt' sie verschrecken . « Und die Erdme verspricht es und denkt : » Zusammen mit der kranken Witkuhn sind es schon zwei . Die Katrike noch gar nicht gerechnet . « Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge Frau und erzählt , wie verzagt sie einmal gewesen ist , als sie aufs Moor hat hinausziehen sollen , und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte . Und die junge Frau meint traurig : » Aber deiner war jung und war auch kein Witmann . « Dagegen läßt sich nichts sagen . Darum küßt sie sie bloß , und hält ihr die Hände . Und langsam beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten Fladen . Der Witkuhn ist auch da – ohne die Frau – , aber er spricht die Erdme nicht an . Sie muß selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten erinnern . » Es war doch so hübsch , Nachbar , « sagt sie , » darum komm nur immer herüber . Was nicht sein soll , das hab' ich vergessen . « Er sagt : » Du bist gut gegen die kranke Frau und darum auch gut gegen mich . Ich bete für dich am Morgen und Abend , aber kommen – das kann ich nicht . « Sie ärgert sich , daß es nicht nach ihrem Willen gehen soll , und nimmt sich vor , ihn nächstens kirre zu kriegen . Wie sie nach Hause gehen , der Jons und sie – sie führt ihn natürlich , denn hätt' er sich nüchtern gehalten , so wär 's eine schlechte Hochzeit gewesen – , da sieht sie auf dem Weg den grauen Schatten herumlaufen , der voriges Jahr , als sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich ausruhen wollten , mit seinem Getanze dazwischen gefahren war . Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis und denkt auch an die Wassersnot , vor der sie manch liebes Mal zittert , wenn sie voll Stolz ihr wachsendes Eigen besieht . Sie weiß nicht , wie es geschieht – , sie hätt' es auch nicht für möglich gehalten , aber sie muß das Stück Fladen hervorziehen , das sie heimlich eingesteckt hat , und es ihm hinreichen . Und sagt : » Da nimm , Nachbar , und wenn du Hochzeit machst , gibst du mir auch was . « Er greift zu wie ein Verhungernder und prustet und faucht und läuft rasch davon , als muß er den Raub in Sicherheit bringen . Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen . Denn sie denkt , er werde nun ein Recht an sie haben und verlangen , daß sie mit ihm redet , wenn er des Wegs kommt . Und es redet doch sonst niemand mit ihm . Selbst der fromme Taruttis tut es nicht . Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen . Nie hat er sie anzuhalten versucht , und manchmal ist er vor ihr sogar auf die Seite gegangen . – – – Die Erdme hat mächtig zu tun . Kind und Kuh verlangen Wartung , eines so viel wie das andere . Und ein Ferkel ist auch wieder da . Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr schwer , und die junge Frau Smailus muß eingewöhnt werden , sonst läuft sie womöglich wieder davon . Jetzt sieht die Erdme erst , was sie an der kleinen Ulele gehabt hat . Aber klein ist die schon lange nicht mehr . Wenn sie zum Sonntagsbesuch kommt , dann trägt sie ein Fräuleinskleid und einen Strohhut mit Blumen . Sie nimmt die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich mit ihr in das Kieferngestrüpp , das nicht höher ist als der Vater und dessen Nadeln büschelweis stehen wie Haare auf Warzen . » Ach , wie ist es schön , so in einem grünen Walde zu sitzen « , sagt sie dann , » und die gesegnete Flur zu erblicken ! « Und dabei zeigt sie nach den struppigen Kartoffeln und auf das brandige Moor , auf dem nichts weiter wächst als Torf in kohlschwarzen Haufen . Und alsbald hat sie die junge Frau für acht Tage wieder getröstet . Eines Sonntags sagt sie zur Erdme : » Gott sei Dank , jetzt wird sie's leichter haben , denn es ist zugesät bei ihr . « Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich . Oft muß die Erdme heran , der traurigen Frau den Kopf zu halten , wenn sie sich weinend erbricht und immer nach Hause will . Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit . Da heißt es , sich dreifach zusammennehmen und sich nichts merken lassen , sonst geht die Wirtschaft den Krebsgang . Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt auch für die Wiese zu sorgen . Die Karre nimmt er des Morgens meist mit und schiebt sie des Abends mit Grünfutter beladen nach Hause . Dazu kommt noch die Heuaust , das Mähen , das Wenden , das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen , wenn der Regen alles durchweicht hat . Man kann es wohl verstehen , daß er maulfaul wird und kaum Antwort gibt , wenn man ihn fragt . Wäre die kleine Katrike nicht da , gäb 's wenig Unterhaltung im Hause . Aber die lacht schon , macht Brummchen und zappelt , solange man Zeit hat zum Spielen . Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig Scheffel . Davon darf man sogar verkaufen . Milchgeld , Taglohn , Ertrag des Schweines kommen dazu . Man kann fürs nächste Jahr an eine weitere Pachtung denken . Der zweite Winter vergeht wie der erste . Nur daß die Erdme ein Spielzeug hat und daß die Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt . Im April kommt die kleine Urte zugereist . Ganz leicht und plötzlich ist sie gekommen . Der Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen . Nun sind es schon zweie , und darum wird Schluß gemacht . Das Nötige hat die Erdme als Mädchen gelernt . Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig gewesen . Noch bleibt Zeit genug für die Frühjahrsbestellung . Am neunten Tage nach der Geburt hat die Erdme schon wieder bis an die Knie im eiskalten Schlamm gestanden . So ein Kerl ist die Erdme . Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus gehabt , aber daran ist ihr Herzweh wohl schuld . Was wäre erst ohne die Ulele geworden ! Mit einem Male ist sie dagewesen , hat Hebammendienste getan , hat das Kind gewartet so gut wie die Mutter und hat dabei noch in den Büchern gelesen . Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt : » Nun wird es wohl gehen , daß ich weg kann . Wenn ihr das Kleine nicht hilft , hilft ihr nichts auf der Welt . « Die Erdme fragt sie , wo sie eigentlich hin will . Und sie sagt : » Zuerst nach Königsberg und dann nach Berlin . Denn diese kleinen Nester sind nichts für mich . Nicht einmal , was ein kleidsamer Hut ist , versteht man da . Auch muß ich des Abends die Schreibmaschine erlernen sowie die Schnellschrift , die man Stenographie nennt . Dann muß ich noch einmal aufs Land , das heißt auf ein Rittergut , um die Wirtschaft zu lernen und die Verwaltung . Wenn ich das ordentlich verstehe , gehe ich in ein großes Getreidegeschäft und mach' mich dort unentbehrlich . Vielleicht , daß der Prinzipal mich dann heiratet , weil er einsieht , daß ohne mich doch nichts mehr los ist . Aber im Grunde glaub' ich es nicht . Denn die Männer sehen mich nicht an . « » Du bist ja noch so jung , « sagt die Erdme . » Das ist wahr , « sagt sie , » Busen hab' ich noch gar nicht . Vielleicht werd' ich auch nie einen kriegen . Ich hab' immer gedacht , ich werd' durch das Mannsvolk in die Höhe kommen , aber das muß ich mir wohl aus dem Kopf schlagen . Und es wird ja auch so gehen . « Und die Erdme lacht und sagt : » Du mit deinen fünfzehn – was kannst du da Großes verlangen ? « » Um mich herum liebt sich schon alles , « gibt sie zur Antwort , » bloß mich wollen sie nicht . « Und Erdme , die erst sehr neidisch gewesen ist , sieht auf die Wiege , in der Kopf an Kopf die Urte und die Katrike liegen , beide mit Lutschpfropfen im Munde , und denkt : » Euch wird es nicht so gehen , denn ihr habt von meinem Blut in den Adern . « Und es ist , als ob die Ulele ihren Gedanken erriete , denn sie sagt seufzend : » Ja , wenn man so eine wäre wie du ! « » Was willst du damit sagen ? « fragt die Erdme argwöhnisch . » Weißt du etwas von mir ? « » Das gerade nicht , « sagt sie , » aber – aber – « Und sie druckst und druckst und kommt nicht zu Rande . Schließlich , wie sie gehen will , dreht sie sich noch einmal um und sagt : » Eine Bestellung ist es eigentlich nicht , das würde sie sich nicht getrauen . Aber wünschen tut sie gewiß , daß du es erfährst . « » Wer ? Was ? « fragt die Erdme ganz erstaunt . Also : die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen wie zu einer Alten . Das Elend mit ihrem Manne reißt ihr das Herz aus dem Leibe . Wenn er nicht da ist , sitzt sie in Angst , er könne sich ein Leid antun . Und ob es keine Möglichkeit gebe , daß die Erdme sich seiner erbarme . Die Erdme erschrickt . Wenn die eigene Frau sich wirklich so an der Natur und der Religion versündigt , dann muß es wohl schlimm stehen . » Warum hängt er sich gerade an mich ? « fragt sie . » Mädchen , die ihm gern einen Gefallen täten , laufen genug herum auf dem Moor . « Die Ulele macht eine pfiffige Nase . » Das ist es gerade , « sagt sie . » Ursprünglich wäre ihm wohl jede die Rechte gewesen , aber wenn eine ihm nah kommt , schrickt er zurück . Früher , als ich noch dümmer war und nicht wußte , warum , da hab' ich mich ihm manchmal auf den Schoß setzen wollen , aber da hat er mich von sich gewiesen wie das höllische Feuer . Nun aber hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt . Ich verstehe ja nicht viel davon , aber ich meine , wenn der Jons nichts erfährt , könntest du ihm wohl einmal Mitleid erweisen . Wollte er mich , ich tät's , aber ich bin ihm wohl noch zu klein . « Die Erdme fühlt , daß sie heiß wird von Kopf bis zu Füßen . » Du verstehst wirklich noch nichts davon , « sagt sie und schiebt die Ulele hinaus und nimmt auch keinen Abschied von ihr . Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr nicht mehr aus dem Kopf . Sitzt der Jons ihr gegenüber , stumm und schwer , wie es seine Gewohnheit ist , dann sieht sie ihn immerzu an und denkt : » Soll ich – soll ich nicht ? « Und ihr Entschluß ist dann stets : » Nein , ich soll nicht . «