I Flametti zog die Hosen an , spannte die Hosenträger und brachte durch mehrfaches Wippen der Beine die etwas straff ansitzende Hosennaht in die angängigste Lage . Er zündete sich eine Zigarette an , stülpte die Hemdärmel auf und trat aus dem Schlafgemach in das Gasfrühlicht seiner geheizten Stube . » Kaffee ! « befahl er mit etwas verschlafener , rauh gepolsterter Stimme . Er strich sich die haarigen Arme und gähnte . Trat vor den Spiegelschrank , zog sich den Scheitel . Er bürstete Hosen und Stiefel ab , setzte sich dann auf das weinrote Plüschsofa und öffnete zögernd die Schieblade des vor dem Sofa stehenden Eßtisches . Dort befanden sich seine Rechnungsbücher , seine verschiedenen Kassen , Quittungshefte und die brandroten Briefkuverte , die die Anschrift trugen » Flamettis Varieté-Ensemble « . Er stellte die Gagen zusammen – es war der fünfzehnte – und fand , daß er zu zahlen habe : dem Jodlerterzett ( Vater , Mutter und Tochter ) , nach Abzug der à conti Fr. 27.50 dem Kontorsionisten , nach Abzug der à conti , , 2.27 dem Damenimitator ( keine à conti ) , , 60. — der Soubrette und dem Pianisten ( zusammengenommen , sie lebten zusammen ) , nach Abzug der à conti , , 15. — Zusammen Fr. 104.77 Dagegen befanden sich in der Kasse : für das Terzett ( hier war Genauigkeit geboten , die Leute waren unruhig , aufsässig und Anarchisten ) Fr. 27.50 für den Kontorsionisten ( dem gab er die Gage unter der Hand ) , , — . — für den Damenimitator ( bei schlechtem Geschäftsgang hatte Flametti für ihn nur jeweils die Hälfte der Gage allabends zurückgelegt ) , , 30. — für das Pianisten-Soubrettenpaar ( strebsame , ruhige Leute , die Anspruch machten auf Solidität ) , , 15. — Flametti addierte Fr. 72.50 Er zog die Summe von den Fr. 104.77 ab . Blieben 32.27 , die aus der Haupt- und Betriebskasse noch nachzuzahlen waren . Er öffnete auch diese Kasse und fand darin bar Fr. 41.81 » Neun Franken vierundfünfzig Vermögen ! « Er schloß die verschiedenen Kassen ab , schob die Schieblade zurück , schloß auch diese und steckte die Schlüssel zu sich . Seine linke Augenbraue flog hoch , für einen Moment . Er tat einen kräftigen Zug aus der Zigarette und blies den Rauch aus der Lunge . » Lausige Zeiten ! « brummte er . » Aber wird sich schon geben . Nur kalt Blut ! « Ein kleiner Schalter öffnete sich , der das Wohnzimmer mit der Küche verband , und ein übergroß langes , mürrisches Gesicht erschien in der Öffnung . Eine große , magere Hand schob ein Tablett mit Kaffee , Milch und Zucker durch die Öffnung . Dann ging auch die Türe und eine hörbar schnaubende ältere Frau erschien , mißmutig , verdrießlich , rußig , in schlappenden , grauen Pantoffeln , mit schmutzigem Rock von undefinierbarer Farbe und mit aufgestecktem Haar , das wie das Nest einer Rauchschwalbe aussah : Theres , die Wirtschafterin . Sie schleppte sich zum Tisch , zog die Tischdecke weg und legte sie knurrend zusammen . Schlappte langsam und uninteressiert zum Schalter , nahm das Tablett und stellte es auf den Tisch . Ohne ein Wort gesprochen zu haben , brummte sie wieder hinaus , die Tür lehnte sich hinter ihr an , und von draußen schloß sich der Schalter . Flametti goß sich Kaffee ein . Er nahm den Hut vom Haken , legte die Joppe an , die über der Stuhllehne hing , holte aus einer Ecke sein Angelgerät , aus dem Büfett einige Blechdosen von unterschiedlicher Größe und war bereit . Nein , die Ringe ! Er drehte die Ringe von den geschwollenen Fingern , den Totenkopfring und den Ehering , legte sie in das Geheimfach im Schrank , schloß den Schrank ab , steckte den Schlüssel zu sich und ging . Auf der Postuhr schlug es halb sechs . Er hatte ein kleines Stück Fluß gepachtet , inmitten der Stadt , nahe der Fleischerhalle . Dahin begab er sich . Eine kurz angebundene Melodie vor sich hinpfeifend , den Kopf energisch gegen das Pflaster gesenkt , bog er aus der kleinen , verräucherten Gasse . Im Automatenrestaurant nebenan fegte , gähnte und scheuerte man . Ein Polizist auf der anderen Straßenseite , nahe beim übernächtig nach Salmiak duftenden Urinoir , sah ziemlich gelangweilt , die Frühluft schnuppernd , über das Kaigeländer ins Wasser . » Salü ! « grüßte Flametti , knapp und geschäftig an ihm vorüberstapfend , mit dem guten Gewissen des Bürgers , der seinen Angelschein wohl in der Tasche trägt und die Obrigkeit , ihre unteren Chargen insonders , nicht zu umgehen braucht . » Salü ! « rief er und fuhr mit der Hand gradaus vom Hutrand weg in die Luft . Der Polizist brummte etwas zur Antwort , das etwa » Guten Morgen « heißen sollte . Der Gruß war aber nicht eben freundlich . Auch nicht unfreundlich . Vielmehr : verschlafen beherrscht . Man kann nicht leugnen , daß sogar Sympathie darin lag , jedoch in wohldosierter Mischung mit einer Art Mißtrauen , das auf der Hut ist . Die Gasse , aus der Flametti kam , stand nicht eben im besten ortspolizeilichen Ruf . Der Morgen indessen war viel zu verheißend , als daß Flametti sich hätte die Laune verderben lassen . An der Fleischerhalle vorbei , die Kaitreppe hinunter , begab er sich , guter Beute gewiß , an den Steg . Er prüfte die Angelschnur , machte den Köder zurecht , klappte den Rockkragen hoch – es war frisch – und blies sich die Hände . Gleich der erste Fang war ein riesiger Barsch . Der Fisch flirrte und glänzte , flutschte und klatschte . Das Wetter war grau . Blaugrauer Nebel blähte die Türme am Wasser , die Schifflände mit ihren grünweiß gestrichenen , sechsstöckigen Häusern , den rasch vorüberstrudelnden Fluß und die jenseits hoch über die Häuser hängenden Stadtgartensträucher . Flametti löste die Angel , ließ den Fisch in das Netz hineinschnellen , brachte den Köder in Ordnung und warf die Angel zum zweitenmal aus . Er sah sich um nach dem Polizisten . Der war verschwunden . » Überflüssiges Element ! « brummte er , zupfte am Köder , um die Aufmerksamkeit der Fische zu erregen , machte die rechte Hand frei und schneuzte sich kräftig in ein derbes , rotbedrucktes Taschentuch . » Geschmeiß ! Größere Faulenzer gibt es nicht ! « Auf der Straße ließ sich ein drohendes Brummen und Surren vernehmen , das ratternd und knatternd näherkam : ein frühester Autowagen der » Waschanstalt A.-G. « . Das Vehikel puffte , böllerte , walzte vorüber . Der ganze Kai vibrierte . Ein Ruck an der Angel : ein zweites Tier hatte angebissen . Diesmal ein Rotauge . » Gut so « , zwinkerte Flametti , » darf so weitergehen ! « Fabrikarbeiter kamen vorüber . Sie marschierten zur Bahn . » Hoi « , riefen sie hinunter , » gibt 's aus ? « Salü ! « drehte sich Flametti um . Sie gestikulierten in Eile vor sich hin und verschwanden . Das Wasser floß graugrün und undurchsichtig . Die Möwen strichen sehr niedrig und zischten über die Brücken hinweg . An der Häuserfront der Schifflände öffnete sich ein Fenster , und eine junge Frau sah nach dem Wetter . » Salü ! « rief Flametti hinüber . Sie lachte und schloß das Fenster . Ein Kind schrie , und eine Turmuhr schlug . Die Glocken einer katholischen Kirche läuteten . Auch in der Fleischerhalle regte es sich . Auf der Gemüsebrücke fuhren die Händler Obst und Kartoffeln an . Der dritte Fang war ein armslanger Aal . An der Grundangel kam er nach oben . Schwarz wie der Schlamm und die Planken , aus denen er kam , trug er deutliche Spuren von Rattenbiß . Auf den Kaiquadern schlug ihn Flametti zu Schanden . Schulkinder und ein von entmutigendem Beruf heimkehrendes Fräulein , die sich oben am Geländer versammelt hatten , schrien laut auf vor Entsetzen . Das Fräulein lächelte . » Servus , Margot ! « rief Flametti hinauf aus der Kniebeuge , eifrigst mit seinen Geräten beschäftigt . Sie lachte und hielt die ringbesäte Hand in Verlegenheit vor ihre schlechten Zähne . Die Kinder sahen sie neugierig an und musterten ihren bunten Aufputz . Übers Geländer gebeugt , ließ sie ihr Täschchen schaukeln , die Hand am Munde , und rief , auf den heftig sich krümmenden Fisch hinzeigend : » Noch so einen , für mich ! « » Was zahlst du ? « wischte Flametti sich die Hände ab , um weiterzufischen . » Zahlen ? « rief sie und schaute dabei unternehmend nach allen Seiten , » erst heraus damit ! « ; was der Dienstmann im blauen Leinenkittel , der sich inzwischen mit seinem Karren an der Ecke der Fleischerhalle versammelt hatte , als den besten Witz des bisherigen Morgens verständnisinnig zur Kenntnis nahm und lächelnd quittierte . Flametti hatte Glück . Als die Uhr acht schlug , nahm er seine Büchsen , Angeln und Netze und begab sich nach Hause . Auf zehn Kilo schätzte er , was er gefangen hatte . Damit ließ sich leben . Er stellte das Angelgerät an seinen Platz zurück , ging in die Küche und suchte der Wirtschafterin aus dem Netz die Rotaugen heraus für den Mittagstisch . Nahm dann mit einem kräftigen Ruck seine Last wieder auf und stapfte davon . Schnurstracks begab er sich ins Hotel Beau Rivage , wo er bekannt war , verlangte den Küchenmeister zu sprechen und bot ihm die Fische an . » Schau her « , sagte er , » hast du so einen Aal gesehen ? « Er packte den schleimigen Aal , der sich zu unterst ins Netz verkrochen hatte , und ließ das Tier , das sich heftig sträubte und ringelte , durch die geschlossene Faust in das Netz zurückgleiten . » Schau den Barsch ! « sagte er und jonglierte den fettesten Barsch auf der flachen Hand . Dann wischte er sich mit dem Taschentuch seine Finger ab . Man wurde handelseinig . Der Küchenmeister stellte einen Schein aus , und Flametti nahm bei der Büfettdame dreißig Franken in Empfang . Er hatte das leere Netz zusammengerollt , dankte verbindlichst und machte sich auf den Heimweg . Das Wetter hatte sich aufgeklärt . Die herbstgelben Bäume der Seepromenade hoben sich scharf und klar gegen den hellblauen Himmel ab . Die Möwen strichen mit schwerem Flügelschlag langsam und mächtig den Fluß entlang , ballten sich kreischend zu einem wirren Schwarm und kreisten in schönem Bogen , eine leis auf die andre folgend , vor einem Spaziergänger , der ihnen Brösel zuwarf . Mit langen Schnäbeln haschten sie geschickt im Flug . Flametti war bester Laune . Er schwenkte in eines der kleinen , am Kai liegenden Zigarrengeschäfte und erstand sich eine frische Schachtel › Philos grün ‹ . Mit Gentlemanpose warf er ein Fünffrankenstück auf den Ladentisch . Er schob das Wechselgeld in die Hosentasche , ohne viel nachzuzählen , klimperte , fuhr mit der Hand an den Hut , sagte » Salü ! « und marschierte weiter . » Salü , Fritz ! « rief er , die Hand am Hut , einem Bekannten zu , der aus einer kleinen Seitengasse bog . » Was kosten die Kressen ? « fragte er im Vorbeigehen einen Gemüsehändler unter den Arkaden . Und vor dem Fenster eines Bazars blieb er stehen , musterte mit Kennerblick die ausgestellten orientalischen Waren , ging hinein und erstand einen hellblauen Tschibuk mit Goldschnur , der ihm für seine Ausstattungsnummer › Im Harem ‹ fehlte zum Sultanskostüm . Er war sehr zufrieden mit seinem Kauf , stapfte den Kai entlang und begegnete Engel , dem Ausbrecherkönig , Engel , seiner Kreatur , die vor kurzem noch Monteur gewesen , dann zum Varieté übergegangen war . » Salü Max ! « grüßte Engel familiär , doch in respektvoller Distanz . » Auch schon munter ? « Max machte Halt , ein wenig degoutiert , seinen Lieblingsgruß aus fremdem Mund zu vernehmen . Ziemlich nachlässig und nebenhin sagte er » Salü ! « , nahm die Zigarette aus dem Mund und kniff das rechte Auge zu . » Das war ein Gaudi heut nacht ! « legte Engel los , » hättest dabei sein müssen ! Der Pips war mit und die Margot und die lange Mary und eine ganze Gesellschaft aus Chaux-de-Fonds . Unten bei Mutter Dudlinger . Fünf Schampusflaschen haben wir die Hälse gebrochen . Und ein Lärm ! Da war Pinke-Pinke ! « Mit sportsmännischer Nachlässigkeit hielt er den Arm lang ausgestreckt und tippte die Zigarettenasche gegen die Gosse . Max war sehr uninteressiert . Die Abenteuer seines schmächtigen , für Zusteckereien allzu empfänglichen Ausbrecherkönigs imponierten ihm nicht . » Komm mit ! « sagte er unvermittelt und packte den Ausbrecherkönig beim Arm , » trinken wir im › Ochsen ‹ 'ne Halbe ! « Und sie schwenkten hinüber über die Gemüsebrücke zum › Roten Ochsen ‹ . » Du , Max « , meinte Engel und versuchte , mit dem mächtig ausschreitenden Flametti gleichen Schritt zu halten , » sag ' mal aufrichtig : Hast du der Margot einen Aal versprochen ? Sie sagt's nämlich . « Flametti blieb stehen . » Jawohl , ich , einen Aal , der Margot ! Hab' die Aale grad zum Verschenken ! So seh' ich aus ! « » Na , also ! « beschwichtigte Engel . » Weißt du , Margot ist man 'n verrucktes Frauenzimmer . Hab 's ja gleich gesagt . « Der Ochsenwirt war nicht zu Hause . Eigentlich war man hingegangen , um ein Geschäft auszumachen . Man nahm einige Glas Münchner , standesgemäß , Flametti zahlte , Engel nahm die Hüte vom Haken . Dann ging man zum Essen . Mutter Dudlinger , die Dame , bei der sich Herr Engel mit der Gesellschaft aus Chaux-de-Fonds ein so lustiges und vornehmes Rendez-vous gegeben hatte , Eigentümerin des Hauses , in dem auch Flametti wohnte , lag ihrer Gewohnheit gemäß unterm Fenster , als die beiden Männer in die kleine Gasse bogen . Sie sonnte den Busen und lächelte ihnen mit einem wohlwollenden Nicken des Kopfes Willkomm zu . Dieser Busen ! Er nahm die ganze Breite des Fensters ein und drängte dabei den wahrlich ungraziösen , fast könnte man sagen plumpen Körper zurück , der auch seinerseits aus dem grauen , schmuggeligen Hause heraus nach Licht und Sonne begehrte . Diese Brüste ! Sie blähten sich auf , quollen über , und nur mit Mühe hielt sie der speckige Rand der schwarzen , zusammengehaftelten Kammgarnbluse zurück , sich über die Fensterbank auf das holprige Pflaster zu stürzen . Die Sonnenstrahlen vom Giebel des Automatenrestaurants kamen der Bluse zu Hilfe . Steil stellten sie sich – es war Mittag – gegen besagte Fleischesfülle . Mutter Dudlinger allein schien nichts zu bemerken vom Widerstreit ihrer Massen im Kampf ums Licht . Harmlos und freundlich lag ihre Seele gewissermaßen zwischen Busen und Körper mitten inne und schaute , umhegt von sanft hängendem Speck , aus listigen Äuglein gutmütig heraus . Flametti grüßte hinauf , den Kopf stark in den Nacken gebeugt . Die Gasse war eng . Und Herr Engel ebenfalls grüßte hinauf , rief wie Flametti » Salü ! « und griff an den Hut . Mutter Dudlinger streckte den Kopf aus dem Fenster , schluckte den Speiserest , der sich vom Mittagessen unversehens noch irgendwo zwischen den Speicheldrüsen gefunden hatte , und verfolgte voll Sympathie den Eintritt der stattlichen Männer in ihr gastfreies Haus . Sie bemerkte dabei zu ihrer Verwunderung heute zum ersten Mal , daß unter dem Fenstersims eine ganze Anzahl höchst niedlicher Schmutzfähnchen flatterten , die sich aus langen , auf das Gesims gefallenen Regentropfen gebildet hatten und über die Hausfront hinunterwehten . Die Männer stiegen indessen die steile Treppe hinauf , und Engel befand sich , immer hinter Flametti stapfend , von Stufe zu Stufe mit kindlicheren Gefühlen den rückwärtigen Massen seiner mütterlichen Protektorin gegenüber , die mit gelüpftem Posterieur noch immer die Regenfähnchen der Hausfront bestaunte . Es war eminent ! Ein lächerlich kleiner Erker war der Unterbau dieser ganzen bedenklichen Last , die man Mutter Dudlinger nannte . Unterbau einer Fülle , von der man sich von der Straße aus nicht einmal einen Begriff machen konnte . Ein Wunder , daß dieser Erker im nächsten Moment nicht krachend zusammenbrach und samt der guten Mutter Dudlinger in eine mysteriöse Tiefe hinunterstürzte . Erstaunlich , wenn man's bei Tag besah , daß man in diesem Erker sogar zu dreien sitzen konnte ! Und Engel hatte mit Mutter Dudlinger und Mary zu dreien darin gesessen . Man hatte gesprochen vom Krieg , vom Konzert , von den schlechten Zeiten ; im Zimmer nebenan hatten die Sektpfropfen geknallt , und Mary hatte gegähnt , weil ihr Kavalier aus Chaux-de-Fonds eine Anspielung machte auf ihre Gesundheit . Da hatte sie sich natürlich zurückgezogen und spielte die Beleidigte . Und Mutter Dudlinger hatte die Blätter der künstlichen Rebe zurechtgebogen und eingesprochen auf Mary . Aber es half nichts . Sie war beleidigt . Als Flametti und Engel oben in die Stube traten , stand die Suppe bereits auf dem Tisch . Um den Tisch saßen : Herr und Frau Häsli nebst Tochter , das Jodlerterzett ; Herr Arista , der Damenimitator ; Fräulein Laura , die Soubrette , und Herr Meyer , der Pianist ; Bobby , der Schlangenmensch , und das Lehrmädchen Rosa . Sämtlich mit Löffeln und Schlucken beschäftigt . Herr Häsli hatte die Serviette vorgebunden , damit er sein gutes Hemd nicht beflecke . Bobby schlarpste . Jennymama , Flamettis Frau , saß malerisch auf der Sofakante bei der Schlafzimmertür , rosig wie eine Venus , im lachsfarbenen Schlafrock , den sie mit der rechten Hand sorgsam über die Hüften geschlossen hielt . Das offene Haar , mit Wasserstoffsuperoxyd gebeizt , war flüchtig zurückgestrichen . Die Suppenschüssel dampfte . Und der Pianist benutzte den günstigen Augenblick , um sich zum dritten Mal Suppe zu schöpfen . » Mahlzeit ! « sagte Flametti breit . » Mahlzeit ! « erwiderten sämtliche Mitglieder des Ensembles . Flametti hängte seinen Hut an die Tür und begab sich , um den Tisch herum , an seinen frei gebliebenen Platz auf dem Sofa . Fräulein Rosa stand sogleich auf und griff nach der Terrine , um Suppe nachzufüllen . Fräulein Theres , die Wirtschafterin , kam herein , um nach den Bedürfnissen zu sehen . Durch den offenstehenden Bretterverschlag aus dem Nebenzimmer grüßte das Krukru der kichernden Turteltauben , die Flametti für seine Zauberkunststücke pflegte . » Setz dich , Engel ! « rief Flametti gütig dem zögernden Ausbrecherkönig zu , der nicht zum Ensemble gehörte , aber darin nach Bedarf gastierte und für tausend wichtige Bühnenzwecke bestens verwendbar war . » Merci , Max ! Laß nur ! Ich finde schon Platz ! « Er nahm den Stuhl , den Rosa ihm aus dem Verschlag herbeiholte , und setzte sich zu dem Schlangenmenschen . Die beiden mußten sich so in das obere Tischende teilen ; aber sie kamen zurecht miteinander , sie waren ja Freunde . Schwieriger gestaltete sich die Platzfrage an der Längsseite des Tisches , wo der Damenimitator , das Jodlerterzett und die Soubrette saßen . Fräulein Laura und Herr Arista waren verträglich . Sie fanden sich ab . Ganz unverträglich aber und bissig , sowohl untereinander wie den anderen gegenüber , waren die Jodler , die Mutter insonders . Frau Lotte Häsli spie Gift und Galle , wenn man nur an sie tippte . Nun saßen die drei eng aneinandergedrückt . Kaum konnten sie mit den Gabeln auslangen , um einen Fisch zu spießen . Kaum mit den Ellbogen hervorkommen , um eine Platte zu greifen . Frau Häsli auf dem Mittelplatz , zwischen Herrn Häsli und seiner Tochter , warf wütende Blicke voller Verachtung und Hohn auf den Gatten , der lammfromm dasaß und mit hochgezogenen Augenbrauen den Mund vollstopfte , statt sich zu beschweren . Sie fletschte die Zähne und trat ihm wohl fünfmal hintereinander in einem bestimmten , bösartigen Rhythmus auf den Fuß . Die Tochter , herausgefordert durch solche forcierte Unverträglichkeit der Mutter , puffte ihr mit dem linken Arm in die rechte Seite , anscheinlich , um sie auf die Blamage aufmerksam zu machen , in Wahrheit aber mit solch erbittertem Nachdruck , daß jeder Unbefangene merken mußte , sie nütze nur die Gelegenheit aus , ihr eins zu versetzen . Der Pianist , dem Ausbrecherkönig gegenüber , schmunzelte in seinen Teller hinein und erwiderte sehr belustigt die Zeichen des mit dem Kopf andeutenden Schlangenmenschen , der seinerseits mit Messer und Gabel den Fisch zerhackte , daß sich die Gräten bogen . Frau Häsli wurde aufmerksam und war rot vor Wut . Doch beherrschte sie sich , drängte den Ärger zurück und rief mit unglaublich gesüßter , doch etwas gewaltsam flott gemachter Zutraulichkeit : » Na , Herr Direktor , wie geht's , wie steht's ? Geld brauchen wir . Können wir dann auch die Gage kriegen ? « Herr Häsli war konsterniert . Eben wollte er eine neue Fracht Fisch auf der Gabel zum Munde führen und hatte schon auf dem Messerrücken den Kartoffelsalat bereit , um ihn zum selben Zweck auf die Gabel zu wälzen . Da mußte er dieses unglaublich taktlose Wort vernehmen , jetzt bei Tisch , wo man aß , wo Flametti gerade gekommen war und kaum saß . Die schon erhobene Gabel senkte sich auf den Teller zurück . Herrn Häslis straffes Gesicht bekam Käsefarbe . Die Augen , eben noch versöhnlich und ungestört an der spitzen Nase vorbei auf das Messer gerichtet , schnellten mit einem hörbaren Ruck nach rechts gegen die biestige Ehehälfte , und es hätte nicht viel gefehlt , so wäre er aufgesprungen , ihr eine Watsche herunterzuhauen . Aber dabei hätten Stühle umfallen müssen , weil man so eingekeilt saß . Dabei wäre notwendig das Tischtuch heruntergezerrt worden . Also beherrschte er sich und blieb , zitternd vor Empörung , in drohendster Pose erstarrt , still sitzen . Das war doch die Höhe ! Herr Häsli kannte Flametti seit Jahren . Wußte , daß er die Gagen nie schuldig blieb . Wußte , daß die Verlegenheit , in der sich Flametti befand , nur momentan war und nichts besagte . Wußte auch , daß die vielen Fischgerichte , die Flametti da auftischen ließ , nur seinen guten Willen verrieten , durchzuhalten um jeden Preis . Da soll einem nun die Geduld nicht reißen , wenn solch obstinates Weibsstück in ihrer spitzigen Kribbeligkeit keine Raison annahm ! Man hat doch Erziehung ! Man ist doch kein Schubiack ! Man hat doch , zum Teufel , die Welt gesehen ! Herr Häsli hatte indessen gut denken ! Er war ein Faulenzer , ein Nichtstuer , er hatte sich immer nur den Magen gestopft und die Frau schuften lassen . Beim Norddeutschen Lloyd war er Steward gewesen . In unterschiedliche Phonographen hatte er gejodelt zu Berlin und Paris . War auch mal II. Klasse gefahren , von Potsdam nach Wien , eines Phonogramms wegen . Aber was schon ! Das war vor Jahren , als er die Stimme noch hatte . Das war vorbei . Jetzt hatte sie , Lotte Häsli , ihn durchzuschleppen . Wie ein Lastvieh kuranzte er sie . Immer singen und singen . Bei zwanzig Grad Kälte in den eiskalten , verschmierten , kleinen Hotels . Tagaus , tagein . In Bern : dreißig Nummern an einem Sonntag , von nachmittags drei bis nachts elf . Sie hatte es durchgemacht . Sie hatte genug . Sie kannte die Herren Direktoren . Aus war's . Sie wollte nichts mehr wissen davon . Wenn einer ihr nur in die Nähe kam – genügte schon , daß er ein Mannskerl war – fuchtig wurde sie . Die Hand weg ! Wenn man nicht einmal ordentlich zu essen kriegen sollte bei solchem Betrieb , ja geschuriegelt wurde – immer nur singen und singen und etwa noch Schläge – lieber den Strick um den Hals ! Frau Häsli hatte zu essen nicht nachgelassen . Mit Messer und Gabel hantierte sie eifrig . Zwei schwarze Löckchen fielen ihr zier und adrett , schwarze Bockshörner , leicht in die Stirn . Diese Stirn , eigensinnig , gedrungen , von einer kurzen , nur schlecht verheilten Narbe gezeichnet , war nicht eben häßlich . Mach' mal 'n bißchen Platz ! « rief sie der Tochter zu , um deren Fuß sich unter dem Tisch der Damenimitator lebhaft und dringend bewarb . Frau Häsli gelang es , durch Aufwärtsschieben der Ellbogen ihrem Brustkorb etwas mehr Luft zu verschaffen . Toni , die Tochter aber , kam sich ganz persönlich verletzt und gepiesackt vor . Was konnte sie dafür , daß dieser verfettete Damenimitator so aufdringlich war ! Sie hatte ihm ihren Fuß überlassen , weil sie sich doch vergewissern mußte , ob er auch wirklich angelte . In diesem Moment war ihr das häßliche » Mach ' mal 'n bißchen Platz ! « ans Ohr gedrungen . Überhaupt : mit dem Damenimitator hatte sie nichts , wenn er auch Lackschuhe trug und einen gebügelten , kaffeebraunen Anzug . Wer weiß , ob er überhaupt bei einer Jungfrau schlafen konnte . Es war eine bekannte Sache , daß es Damenimitatoren an so manchem fehlte , was eine Toni Häsli reizen konnte . Sie schob ihren Stuhl zurück , stand auf und sagte ziemlich schnippisch : » Ich kann ja auch in der Küche essen , wenn hier zu wenig Platz ist ! « Die Mutter hatte sich aber bereits zurechtgefunden , das Rotauge , auf das sie es abgesehen hatte , aufgespießt und auf den Teller herüberbefördert . Mit einem hörbaren Plumps ließ sie sich auf den Stuhl zurückfallen und sagte verwundert : » Was willst du denn ? Was paßt dir denn nicht ? Kannst du dich nicht ein bißchen schicken ? Wenn der Platz knapp ist ? Sei froh , daß du so gutes Essen bekommst . Schau mal diese Forelle an « – dabei zerrte sie den Fisch mit der Gabel auf ihrem Teller hin und her – » so was Feines verdienst du gar nicht ! Dankbar solltest du sein , daß man dich durchschleppt . « Herr Häsli saß noch immer erstarrt in furchtbarer Pose , eine knödelessende Schießbudenfigur . Von der Mutter weg wandte er seine Augen zur Tochter . Ohne viel Erfolg . Toni setzte sich zwar wieder hin , konnte sich aber nicht verkneifen , die Mutter darauf aufmerksam zu machen : » Es sind ja gar keine Forellen . Es sind ja Rotaugen . « » Na « , beschwichtigte Jenny , » sie ist ja noch jung . Versöhnt euch ! Morgen gibt 's Paprikabraten mit Spaghetti und Tomatensauce . Kinder ! Ein feiner Fraß ! « Und sie hob den Zeigefinger hoch und ließ einige fettgurgelnde , selige Laute hören . Flametti hatte das Hemdbördchen geöffnet , um es bequemer zu haben . Mit den Oberarmen den Tisch festhaltend , lag er vor seinem Teller , den Kopf hart über dem Tellerrand , und schlarpste gierig die Suppe . Das Plüschsofa hatte sich unter seinem Druck gesenkt mit einem Knacken der Federn , das wie ein Magenknurren Flamettis fortdröhnte . Als er nun die baumwollenen Hemdärmel aufkrempelte , konnte man so recht sehen , was für ein Riese er war . Die Muskeln der Oberarme stiegen in einer steilen Schwellung zum Schulterblatt . Teller , Arme und Kopf bildeten ein einziges , muskulöses Dreieck . Blutunterlaufen , vom Sitzen , schwollen seine Augen . Ganz allein hielt er das Sofa und von dort aus den Tisch in Schach . Er sprach nicht viel . Für die Worte der Häsli wegen der Gage hatte er nur ein kurzes , brummiges » Ja , ja . Sowie das Essen vorbei ist « . Was ihn ein wenig wurmte , war die Aufdringlichkeit dieser Person , die immer etwas zu bestellen hatte , immer Stank mitbrachte . Als Herr Häsli dann jene Schießbudenpose an nahm , konnte Flametti sogar ein heimliches Gaudium nicht verbergen . Er senkte den Kopf noch tiefer und blies die Backen auf , um nicht loszuprusten . Ihm machte es einen Heidenspaß , wenn das Ehepaar sich » anblies « . Eine bösartige Rippe , diese Alte . Der kleine Häsli ein Schlappier , daß er sich das so gefallen ließ . Aber ihr Gesang : alle Hochachtung ! Das mußte man ihnen lassen . Was Exaktheit , Klangfarbe und Schulung betraf : weit und breit keine Besseren . Flametti war mit der Suppe fertig . Ein einziger Fisch lag noch auf der Platte , und Engel holte weit aus , um ihn an sich zu bringen . Rosa beeilte sich , aufzufüllen . Jenny , gesättigt , nahm ihr offenes Haar aus dem Nacken und flocht es zusammen . » Na , kommt das Zeugs bald ? « rief Flametti zum Schalter , legte mit breiter Oberlippe den Eßlöffel trocken , drehte ihn um und leckte auch die Kehrseite gründlich ab . Bobby zerriß ein Stück Brot und stopfte es in den Mund . Die Häslis standen auf , sagten » Mahlzeit ! « , gingen aber noch nicht , denn es sollte ja Gage geben . Auch der Pianist und die Soubrette standen jetzt auf . Der Damenimitator , aus Höflichkeit , blieb noch sitzen . » Mahlzeit ! « rief Flametti . Aber für ihn begann die Sache jetzt erst . Und auch Herr Engel wurde loyal , faßte Mut , und sie stocherten um die Wette nach den pauvren Fischleins . Engeln drohte dabei die Hose zu rutschen . Aber er hielt sie fest mit der linken Hand und rief zu Flametti hinüber : » Max , weißt du noch : › Bratwurstglöckli ‹ ? « Dort muß vor Zeiten eine ungeheure Fresserei stattgefunden haben . Denn die beiden lachten einander an , verständnisinnig , und verdoppelten ihre Anstrengungen . Flamettis Varieté-Ensemble hatte einen Ruf und war beliebt . › Bestrenommiert ‹ stand auf den Plakaten . Und durch › bestes Renommé ‹ , von dem nur die Neider behaupteten , es rühre von Flamettis Renommage her , unterschied sich das Ensemble von der Konkurrenz . Ferreros › Damen-Gesangs- und Possen-Ensemble ‹ war › geschätzt ‹ , › glänzendst ‹ , › weltbekannt ‹ . Aber beliebt ? Nein . Bestrenommiert ? Nein . Es war › vornehmst ‹ , infolge der vereinten Eleganz und Reserviertheit seiner Damen . Auch Pfäffers › Spatzen ‹ konnten da nicht mit . Sie hatten weder jene geheimnisvolle Anziehungskraft , die Flamettis Ensemble eigen war , noch jene gewisse Eigenart und Popularität . Pfäffers › Spatzen ‹ waren , wenn man ihren Wert auf einen Nenner bringen wollte , › altbewährt ‹ , › solid ‹ , › reichhaltig ‹ , › anerkannt ‹ . Ihre Force : › dezentes Familienprogramm ‹ , mit ausgeschnittenen Kleidern und Broschen , die , wie Flametti höhnte , am Bauchnabel saßen . Nein ! Auch von ihnen ging jene Wirkung nicht aus , die Wärme und Begeisterung verbreitete , Einladungen zu Bier , Wein und Sekt mit sich brachte ; Wagenpartien , Abenteuer und Schicksale im Gefolge hatte . Worin lag die geheimnisvolle Anziehungskraft der Flamettis ? Darüber zerbrach sich mancher den Kopf . Flametti zahlte weder die besten Gagen , hatte infolgedessen auch nicht die ersten Kräfte , wie Ferrero . Noch hatte er die besten Schlager , wie ebenfalls Ferrero , der Jude war , raffiniert , geschickt , tüchtig , und der infolge seiner › Vornehmheit ‹ die besten Verbindungen hatte . Noch waren Flamettis Nummern mit soviel Fleiß , Sorgfalt und Interesse herausgebracht wie etwa die Gesangs-Ensembles von Pfäffers › Spatzen ‹ . Auch deren farbenprächtige , teure Matrosen- , Schornsteinfeger- und Mausfallenhändler-Kostüme hatte er nicht , die Fabrikware waren und Gesprächsthema weit und breit . Worin also bestand Flamettis Überlegenheit ? Er war ein Kerl sozusagen , ganz persönlich . Artist von reinstem Wasser . Er hatte ein Auge , verstand , seine Leute sich auszusuchen . Er war : eine Persönlichkeit gewissermaßen . Kein Ferrero , der früher mit Lumpen gehandelt hatte . Kein Pfäffer , der seinen Weibern zurief : » Kinder , macht 's euch bequem ! « und dann im Hemd mit ihnen den › Kleinen Kohn ‹ einstudierte . Fleiß ? Verachtete er . Der echte Artist schläft morgens bis gegen elf . Wenn man bis in die Nacht hinein gearbeitet hat , oft die schwierigsten Nummern , kann man nicht in aller Herrgottsfrühe wieder auf den Beinen sein . Proben ? Jawohl ! Aber mit Maß und Ziel . Es hat keinen Sinn , den Leuten die Lust an der Arbeit zu nehmen , sie tot zu hetzen mit Proben . Auf die Eingebung kommt es an . Nicht auf den Drill . Wer es nicht in den Fingerspitzen hat , der wird es auch auf der zwanzigsten Probe nicht haben . Man ist doch nicht beim Kommiß ! Artisten sind keine Studiermaschinen . Und wenn schon Proben , dann nicht zuviel Pünktlichkeit . Pünktlichkeit soll der Teufel holen . Es muß aus dem Handgelenk kommen , spontan . Flamettis Proben waren unberechenbar . Wenn eine angesetzt war , fand sie sicher nicht statt . Wenn eine stattfand , war sie sicher nicht angesetzt . Das Ganze blieb mehr der Inspiration , dem persönlichen Einfall und Zufall belassen . Extempores ? Prachtvoll ! Er selbst war ein Extempore von Kopf bis zu Fuß . Vielseitig , unberechenbar , auch in seinem Repertoire . Nur kein festes Programm ! Nichts langweiliger als das . Bei Ferrero hing das Programm jeden Abend punkt acht beim Kapellmeister am Klavier . Bei Flametti gab 's überhaupt keines . Oft wußte er fünf Minuten vor seinem Auftritt noch nicht , solle er den › Mann mit der Riesenschnauze ‹ bringen oder die › Feuernummer ‹ . Sprudeln muß man : das war sein oberster Grundsatz . Auch bei Engagements : Flametti hatte das renommierteste Ensemble . Und doch keineswegs die renommiertesten Kräfte . Im Gegenteil : darin gerade bestand sein Genie , daß er verstand , Kräfte zu entdecken , zu finden , ja aus dem Nichts zu stampfen . Flamettis Personal war : interessant . Er hatte eine Nase für natürliche Begabung . Auf Agenten , Kritiken und Renommage gab er nichts . Selber sehen ! Kerle brauchte er , Personnagen . Talent kam in zweiter Linie . Mochte das Talent einen Knacks haben , die Stimme einen Knacks , die Figur einen Knacks . Wenn nur der Kerl , der dahinterstand , etwas zu sagen hatte . Flametti hatte einen Blick für die gebrochene Linie . Einen Blick für jenen Moment , in dem etwa eine Kabarettistin reif wurde fürs Varieté . Da setzte er ein . Da bemühte er sich . Da lief er . Und immer : das menschliche Interesse an seinem Mitglied stand im Vordergrund . Herr oder Dame : ihn interessierte zumeist , was sie erlebt und gesehen hatten . Gute Manieren . Kein Engagement ohne tagelange vorherige Beobachtung . Schicksale muß jemand gehabt haben , um interessant zu sein für Flamettis Ensemble . Schicksal brachte Vielseitigkeit mit sich , Überraschungen , Anlagen , Geist . Seine Mitglieder mußten sich bewegen können . Welt mußten sie haben . Versiert mußten sie sein . Vornehmheit war nicht seine Sache . Dahinter steckte nicht viel . Deklassierte Menschen , gerempelte Personnagen sind die gebornen Artisten . Im Druck muß man gewesen sein , um Artist zu werden . Unter fünfzig Mädels , die auf der Straße das Täschchen schwenkten , waren zwanzig Soubretten . Es kam nur darauf an , sie davon zu überzeugen . Unter fünfzig Apachen , die keiner beachtete , zwanzig Ausbrecherkönige , Zauberkünstler , Jongleure . Es kam nur darauf an , sie zu finden und durchzusetzen . Und gerade darin bestand Flamettis Genie , seine Popularität , seine Magie . In seinem Ensemble wurden Sprachen gesprochen : englisch , französisch , dänisch , sogar malayisch . Man hatte die Welt gesehen . Man hatte sich redlich bemüht und kannte das Leben . Gefängnis , Skandal , Freudenhaus , Fahnenflucht waren kein Einwand . Artisten kommen aus einer anderen Welt . Sind keine Bürger . Aus Unterdrückung werden Artisten . Wo keine Defekte sind , sind keine Menschen . Buntheit , Zauber , Exotik : nur aus Verzweiflung . Dementsprechend war auch Flamettis Verhältnis zu seinen Artisten . Kameradschaft , nicht Abhängigkeit . Freiheit , nicht Zwang . Vertrauen , keine Verträge . Gage muß sein : sowieso . Aber was nützte der beste Vertrag , wenn der Direktor einmal nicht zahlen konnte ? Hier setzte Flamettis Verläßlichkeit ein . Er war dann imstande , mit Angeln sein ganzes Ensemble zu halten . Ein anderer Direktor stellte die Zahlungen ein . Bei Flametti konnte man aus- und eingehen , auch wenn man nicht mehr auf seinen Brettern stand . Bei welch anderem Direktor noch ? Was Flametti besaß , gehörte auch seinem Ensemble . Es war nicht sein Ehrgeiz , Geld zu machen , Bankkonto und dergleichen . Sein Ehrgeiz war , eine Truppe zu haben . Kostüme ? Machte man selbst . Nummern ? Erfand man sich . Er selbst , Flametti , hatte er nicht aus einer Robbe ein Seeweibchen gemacht , als Not am Mann war ? Und aus Engel einen Ausbrecherkönig ? Demselben Engel , der Speckschneider gewesen war bei der Handelsmarine ? Eine Kiste hatte er ihm gebaut , woraus mittels einer im Innern angebrachten Mechanik selbst bei vernageltstem Zustand leicht zu entkommen war . Handfesseln hatte er ihm gearbeitet mit einem Raffinement , daß › Henry ‹ mit einem Ruck seiner zarten Gelenke innerhalb drei Minuten im Freien stand . Freilich : Solche Gelenke aus gutem Hause gehörten dazu und ein wenig Geschick . Aber › Henry ‹ schaffte es . Kein Mensch hätte vorher daran geglaubt . Eine Berühmtheit war aus ihm geworden , über Nacht . Welcher Direktor erlebte die Überraschung , daß seine Soubrette als Gamsbua auftrat und Schnadahüpfl sang , nur aus Jokus ? Oder daß der Pianist die Klampfn nahm und der Jodler das Piston ? Flametti legte auch keineswegs Wert darauf , jeden Abend zu spielen . Besonders nicht in den kleinen Beiseln , wo man um sechs Uhr abends schon auf dem Posten sein mußte , wo das Wasser von der Decke tropfte und die Klaviere jämmerliche Drahtkommoden waren , unmöglich , Töne darauf hervorzubringen . Mochte Jenny recht haben : man solle auch die kleinen Geschäfte annehmen ; man müsse ja auch die Gagen zahlen . Aber man war doch nicht in der Tretmühle ! Man war doch nicht auf der Welt , um sich abzustrapazieren ! Keine Überarbeitung : das war man seinem Ensemble schuldig . Flametti verlangte dafür nur seinerseits etwas Entgegenkommen : Anstand und guten Willen . Benehmen . Oder er wurde › verruckt ‹ , was besagte : schlug alles kurz und klein , rannte Köpfe an die Wand , ging mit dem Messer los auf die Bande . » So , Kinder « , rief Flametti , wischte sich den Mund ab und legte die Serviette hin , » jetzt kommt die Gage ! « Er nahm den Schlüssel aus der Hosentasche , schloß die Schieblade auf und rief , auf das Eßgeschirr zeigend : » Weg mit dem Zeugs ! « Rosa beeilte sich , das Geschirr wegzutragen . Das Ensemble spitzte die Ohren . Auch Engel hörte nun auf zu essen . Und alle kamen näher . » Monsieur Arista « , begann Flametti , » sechzig Franken . Stimmt's ? Quittieren Sie . « » Stimmt « , sagte Arista , » danke schön . « Quittierte mit dem Tintenstift , den Flametti ihm hinschob , und strich das Geld ein . » Bobby – zwei Franken siebenundzwanzig – hier . Stimmt's ? A conto zweiten soundsoviel , à conto vierten soundsoviel , à conto fünften , à conto achten . « Er zeigte auf die einzelnen auf der Quittung verrechneten Posten . » Stimmt , stimmt « , sagte Bobby . » Danke ! « » Hier – quittieren ! « Bobby quittierte . » Herr Meyer – zehn Franken . A conto vierten – fünf Franken . A conto achten – fünfzehn Franken . A conto zwölften – fünf Franken . Stimmt's ? « Ja , stimmt . Danke . « » Laura – fünf Franken . A conto , à conto , à conto , à conto . « Flametti zeigte wieder die einzelnen Posten auf der Quittung . » Ja , stimmt schon « , zögerte die Soubrette , ein wenig verwirrt und enttäuscht . Eigentlich hatte sie zehn Franken erwartet . Sie konnte sich aber auch irren . » Immer dieselbe Sache « , maßregelte Flametti . Nie wußte sie , wieviel sie zu bekommen habe , und immer handelte es sich um etliche fünf Franken , die sie vergaß . Aber die Sache klärte sich auf , und auch diese Auszahlung ging glatt vonstatten . » Quittieren Sie « , sagte Flametti und schob dem Pianisten-Soubrettenpaar die Formulare hin . Herr Meyer wollte die fünfzehn Franken einstweilen zusammen an sich nehmen . Aber Laura war keineswegs einverstanden . » Nein , das gibt es nicht ! « erklärte sie ziemlich verliebt , » das ist mein Geld ! Das habe ich verdient ! « und suchte ihrem Freunde Meyer den Fünfliver zu entreißen . Und als ihr das nicht sofort glückte , ein wenig ärgerlich : » Was fällt dir denn ein ? Wir haben doch keine Gütergemeinschaft « , was Herr Meyer spöttisch zugab . » Wie sie sich haben ! « flötete süß Frau Häsli . » Wie sie sich necken ! Seht nur ! « Wo ein Krakeel in Aussicht stand , war sie stets voller Freundschaft und Sympathie . » Na so nimm schon deinen Fünfliver ! « murrte der Pianist und schob sehr unwirsch der Soubrette das Geldstück hin . » Grüatzi ! « sagte der Schlangenmensch , steckte sich eine Zigarette an und verschwand . » Addio « , sagte Herr Arista , machte der Jodeltochter insgeheim ein feuriges Zeichen und verschwand . » Netter Mensch « , bemerkte Frau Häsli zu seinem Abgang . » So bescheiden und lieb ! « » Mahlzeit ! « sagte Herr Engel , der hier nichts zu erwarten hatte , » komme später nochmal vorbei « , und ging ebenfalls ; was Fräulein Rosa sehr komisch fand , denn sie bückte sich blitzschnell nach Nettchen , dem Dackel , hob ihn hoch und drehte sich tanzend mit ihm auf dem Absatz . » Wer kommt jetzt ? « fragte Flametti geschäftig , aber mit ein wenig verringerter Sicherheit . » Richtig : Häsli . « Und beeilte sich , die Summe aufzuzählen . » Siebenundzwanzig Franken fünfzig . « » Waaaas ? « rief Frau Häsli , wie von der Tarantel gestochen . Sie beugte den Oberkörper weit in den Hüften vor und blieb wie erstarrt so stehen . » Siebenundzwanzig Franken fünfzig « , wiederholte Flametti und setzte den Tintenstift überrascht mit dem stumpfen Teil auf den Tisch . » Siebenundzwanzig Franken fünfzig ? Häsli , komm ! « Sie packte den Gatten am Ärmel . » Häsli , komm ! Das ist nichts für uns . « Häsli drehte sich auf dem Absatz und machte sich los . Er war unangenehm berührt . » Marsch , marsch , fort , komm ! « drängte die Jodlerin und packte ihn von neuem heftig am Ärmel . Sie gab keinen Pardon . » Na , mal langsam ! « brummte Flametti . Und ihre Tochter zog eine mißmutige Schnute und stampfte hörbar ungehalten » Mutter ! « Aber Frau Häsli ließ sich nicht beirren . » Nein , das ist nichts für uns ! « tobte sie und schüttelte abweisend die erhobene Hand . » Die Häslis sind nicht diejenigen , die sich drücken lassen . Ich kenne das schon ! Ich weiß schon , worauf das hinausläuft . Häsli , komm ! « » Na was ist denn ? « interessierte sich Jenny , begütigend und phlegmatisch . Sie kam aus dem Schlafzimmer und steckte sich friedlich das Haar auf . » Himmelherrgottsakrament ! « fluchte jetzt Flametti und schnellte vom Sofa auf . » Was gibt 's denn ? Was paßt euch denn nicht ? Was wollt ihr denn ? Macht doch den Schnabel auf , wenn euch etwas nicht paßt ! « Die Zornadern waren ihm angeschwollen . Er sah aus wie ein tanzender Fakir . Häsli bekam 's mit der Angst , schüttelte die Frau ab und meinte kleinlaut : » Max , rechn' 's mal vor ! « » Da ist gar nichts vorzurechnen ! « schnitt ihm die Alte das Wort ab . » Gar nicht nötig . Wenn ich hör : siebenundzwanzig Franken fünfzig , dann hab' ich schon genug . Dann braucht man mir gar nichts mehr vorzurechnen ! « Und nestelte zitternd an ihrer Bluse . » Was wollt ihr denn ? « schrie Flametti noch lauter und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn . » Fünfzig Franken Vorschuß bei Engagementsantritt – – « Beide nickten , Frau Häsli so hastig , als ob sie nicht abwarten könne , weiter zu hören . » Dreißig à conto an Häsli nach Bern – « » So ? So ? « unterbrach Frau Häsli . » Dreißig à conto nach Bern für die Lumpenmenscher , für die Reitschuldamen , für die Fetzen ? « Ihre Stimme schnappte über . » Dreißig à conto nach Bern « , bestätigte Herr Häsli in aller Ruhe . » Toni , komm ! « rief Frau Häsli und packte die Tochter am Arm . » Toni , komm ! Spuck deinem Vater ins Gesicht ! Sieh ihn an , wie er dasteht ! Als wenn er nicht auf drei zählen könnte ! Dreißig à conto nach Bern ! Und wir hungern zuhaus ! « Jetzt wurde aber auch Herr Häsli fuchtig . » Soll ich vielleicht von der Luft leben ? Hab' ich dir nicht zehn Franken davon geschickt und den Koffer ausgelöst ? « » Was für einen Koffer ausgelöst ? Die alte Scharteke ! Den Koffer hat er ausgelöst ! Dreißig Franken braucht er dazu . Wasserrutschbahn fahren mit den Menschern ! Mit den Kellnerinnen scharwenzeln ! Herr Häsli hinten , Herr Häsli vorne ! Schau mich nicht so an , Mensch ! « Mit ausgebreiteten Händen und vorgereckter Stirn stand sie da , im Begriff , ihm an die Gurgel zu fahren . Mutter ! « suchte die Tochter zu beschwichtigen . » Dummes Weib ! « brachte Herr Häsli mit aller Ruhe und Verachtung auf , sah die Alte an , als zweifle er an ihrem Verstand , und sah wieder von ihr weg . » Na , was wollt ihr also ? « schrie Flametti und wühlte krampfhaft und hitzig in seinen Papieren , um die Belege zu finden . » Weiter ! « drängte die Alte , » nur weiter ! « » Zwanzig à conto an Toni am siebenten . « » Stimmt , stimmt ! « drängte die Alte , » nur weiter ! « Die zwanzig Franken waren für eine Seidenbluse der Mutter . Jetzt war aber Herr Häsli seinerseits erstaunt . » Zwanzig Franken ? Für was ? « fragte er sprachlos . » Kümmer ' dich nicht ! « rief Frau Häsli . » Laß dir lieber vorrechnen , was noch weiter kommt . Damit du siehst , was für ein Peter du bist ! « » Ja , dann freilich ! « verzichtete Herr Häsli . » Da hat ja alles keinen Zweck ! Da kann man ja schuften wie man will ! Wenn es hier nur so zwanzigfrankenweise weggeht ! Fünf Tage ist man fort , und zu Haus verbrauchen sie zwanzig Franken für Kino , Schokolade , für Putz und Schnecken ! « » Kümmer ' dich um dich ! « schrie Frau Häsli . Der Geifer stand ihr in den Mundwinkeln . » Auf den Hund möcht ' er einen bringen , und einem nicht einmal die paar Fetzen gönnen , die man auf dem Leibe hat ! Dich kenn' ich , mein Lieber ! Ich weiß ganz genau , was du vorhast mit uns ! « Nun muß man wissen , daß mit Frau Häsli nicht zu spaßen war . In Antwerpen und St. Pauli hatte sie Matrosen bedient . Ein Gummiknüttel gehörte zu ihrer Ausrüstung , und die Kassiertasche war mit Eisenketten am Lederriemen befestigt . Kerle hatte sie niedergeschlagen , baumslang , wenn es drauf ankam . Der Varietéberuf war ihr zu still . Mit der ließ sich nicht spaßen . Also gab auch Herr Häsli klein bei , und weiter ging 's mit der Abrechnung . » Dann am zwölften zweiundzwanzig Franken fünfzig vorgestreckt für Zimmer und Konsumation – – « Die Häslis bewohnten zusammen ein Zimmer in einem Gasthof , das sich die Damen selbst ausgesucht hatten , das aber Flametti bezahlte , weil er Verbindungen hatte mit dem Wirt . » Schon gut , schon gut « , winkte Frau Häsli ab , » ich weiß schon genug . Bleiben siebenundzwanzig Franken fünfzig . Stimmt schon . Ja , stimmt schon . Häsli , quittier ! Wir gehen . « Dabei schob sie die Tochter mit beiden Händen wie aus einer Verbrecherkneipe vor sich zur Tür . » Wir verzichten . Kannst alles selber nehmen . Ich für meinen Teil will nichts davon haben . Wir verdienen uns schon unser Brot . « Und Frau Häsli nebst Tochter waren verschwunden . Nettchen bellte . Jenny färbte sich rosenrot im Gesicht vor verhaltenem Ärger . Herr Häsli quittierte , und Flametti schob ihm das Geld hin . » Mahlzeit , Max ! « sagte Herr Häsli geknickt und bedauernd . » Nichts für ungut ! « und reichte Flametti die Hand . » Salü ! « sagte Flametti offiziös und packte seine Sachen ein . Auch Herr Meyer und Fräulein Laura gingen . Eigentlich hatten sie um Zulage bitten wollen . Die Gelegenheit schien ihnen aber nicht günstig . II » Siehst du die Anarchisten « , sagte Jenny , als alle gegangen waren , » siehst du sie jetzt ? Brauchst nur mal ein paar Tage kein Geschäft zu haben – gleich werden sie üppig . Nur in Verlegenheit braucht man zu kommen – schon laufen sie fort . Forellen müßt ich ihnen vorsetzen , das Kilo für acht Franken . Dann solltest du sehen ! Diese Häsli – ach du mein Gottchen , wie sie hier ankam ! Aus Gnade und Barmherzigkeit hat man sie aufgenommen . Das ist der Dank . Ausgehungert waren sie , daß Gott erbarm . Jetzt sind sie auf einmal vornehm . – Was machen wir nur , Max ? Du wirst sehen , sie laufen uns fort ! « Aber Max hatte keine Lust zu Meditationen . » Ah was ! « sagte er unwirsch und kramte verärgert in seiner Tischschublade . Die Tür ging auf , und herein kam Fräulein Theres , lendenlahm und verdrießlich . Der Rheumatismus plagte sie heut ganz besonders . In der matt herunterhängenden Hand hielt sie einen angerauchten Stumpen und blies mit spitzem Munde den Rauch von sich . Unaufgefordert nahm sie Platz , knetete schmerzhaft ihren Gichtschenkel und drehte sich schnaufend auf dem Stuhl . » Frau « , sagte sie , » wird gebügelt ? « » Jawohl , Theres , mach' die Eisen heiß . « Und Theres erhob sich mühsam und troßte ab , um die Eisen heiß zu machen . Und Fräulein Rosa legte den Bügelteppich auf den Tisch und holte den Wäschekorb aus dem Bretterverschlag , um die Wäsche einzuspritzen . Flametti aber hatte beim Abschließen der Schieblade einen Schaden am Schloß gefunden , zückte den Hausschlüssel und hämmerte damit am Schlüsselloch . Es klopfte . Die Türe ging auf , und herein trat Fräulein Lena , vormals Pianistin bei Flametti . » Grüatzi ! « sagte sie und schob sich in drei freundlichen Wellen herein . » Tag , Lena ! « nickte Jenny , » komm nur herein ! « » Wenns erlaubt ist ! « sagte Lena . » Tag , Lena ! « bekräftigte Flametti , ohne aufzusehen ; so versunken war er in seine Reparatur . » Bügelt ihr ? « fragte Lena . » Ja , wir bügeln « , wischte Jenny sich die Schweißhände an den Busen . Theres brachte das Bügeleisen , und Lena nahm ihren Stuhl . » Schöne Sachen hört man ! « rückte sich Lena auf ihrem Stuhl zurecht . » Um Gotteswillen , Lena , was gibt es denn ? « » Ja , ja « , seufzte Lena . » Was denn , Lena ? Sprich doch ! « Und zu Rosa : » Geh mal raus in die Küche ! Ich ruf' dich dann ! « Flametti hämmerte angelegentlich und beflissen am Schlüsselloch . » Also hört zu « , strich Lena ihren Rock zu den Füßen , » sie machen euch aus , wo sie können . Sie erzählen , daß es rutschab geht : ihr zahlt keine Gagen mehr ; es gibt nichts zu essen . Ihr bekommt keine Geschäfte mehr . Grad hab' ich den Bollacker getroffen . Mit dem hat 's doch die Häsli . Von einem Türken haben sie erzählt und von Opium . Ich weiß ja nicht , was ihr da habt . Aber sie sagten , es sei ihnen zu brenzlich und sie sähen sich nach einem anderen Engagement um . « » Was haben sie erzählt ? « duckte sich Jenny . » So eine Gemeinheit ! So eine Niedertracht ! Hörst du , Max , was sie ausstreuen ? Wie sie sich rächen ? Ihren Gadsch hat sie instruiert , daß er herumgeht und uns das Geschäft verdirbt ! So eine Infamie ! – Weißt du was , Max ? Die wollen selbst anfangen . Die laufen uns fort . – Wir , keine Geschäfte mehr ! Lena , man läuft sich die Füße wund , daß wir spielen ! An der Haustür fängt man uns ab ! Wir brauchten nur rübergehen zum › Krokodil ‹ ! – Du kennst doch das › Krokodil ‹ ! Eins A , dreihundert Franken Draufgeld ! Aber wir wollen nicht , weil wir neu einstudieren . Weißt du : der Braten war bißchen angebrannt . Das hat diese Alte so verbiestert , daß sie jetzt überall ausschreit , sie hätte zu hungern bei uns . Du kennst doch unsere Kost ! Warst drei Jahre bei uns . Hast du dich je zu beklagen gehabt ? Ist dir je etwas abgegangen ? « Lena schüttelte den Kopf . Nein , sie hatte sich nie zu beklagen gehabt , noch war ihr je etwas abgegangen . Max hämmerte gewaltsam mit seinem Hausschlüssel am Schiebladenschloß . » Na , gut ' Nacht ! « rief Jenny , » ich sollte der Direktor sein ! Ich würde sie anders zwiebeln ! Hier die Gage , soundsoviel Abzug und den Schuh an den Hintern ! Treppe hinunter . « » Ja ja , ich hör' schon ! « fuhr Flametti jetzt auf . » Ich hör' schon . Bin doch nicht schwerhörig ! Dummes Geschwätz ! « Jenny war überrascht . Fräulein Lena ebenfalls . Er hatte doch gar nicht zugehört ! Er hatte doch an dem Schloß laboriert ! Flametti stand auf , sehr rasch , krempelte seine Hemdärmel herunter , knöpfte das Halsbördchen zu und ging in die Küche , um sich die Hände zu waschen . Er kam zurück , nahm Joppe und Hut und ging . » Da hast du es ! « klagte Jenny , » da geht er . Ach Lena , ich bin ganz verzweifelt ! So macht er es immer . Seit er die Geschichte hat mit dem Türken , ist er wie verdreht . Kaum den Löffel aus dem Mund – fort ist er . Alles mögliche hab' ich versucht . Er hört mich nicht einmal an . Wir gehen zu Grund . Ich seh 's ja . Was soll ich nur machen ? « » Tja « , meinte Lena , » was ist da zu machen ? « Flametti war dieser › Summs ‹ zuwider . Gewiß , er liebte seine Frau . Sie war ein wenig furchtsam von Gemüt und leicht zu Übertreibungen geneigt , wie alle furchtsamen und aufgeregten Gemüter . Aber sie meinte es gut , war keine böse Natur und er hätte ihr gerne ein wenig Gehör schenken dürfen . Doch er schätzte es nicht , seine innersten Geschäfts- und Familiengeheimnisse coram publico verhandelt zu sehen . Gewiß , das Geschäft ging schlecht . Schlechte Zeiten und keine Schlager . Gewiß , ein Ensemble von zehn lebendigen Menschen verlangt , sich standesgemäß zu nähren , zu kleiden und zu Triumphen geführt zu werden . Obendrein : eine Konkubinatsstrafe von hundertachtzig Franken war zu zahlen – der Beamte der Kriminalabteilung hatte zweimal bereits die Quittung präsentiert – und von der Fischerei konnte man das nicht bestreiten . Das wußte Flametti selbst . Aber Schlager fallen nicht vom Himmel . Er hatte schon seine Pläne . Man brauchte ihn nicht zu hetzen und die halbe Nachbarschaft dabei zuzuziehen . Gar diese Lena : Ein schönes Stück Malheur ! Die mußte dann gerade noch kommen ! Grausliches Weib ! Keine galante Erinnerung aus seiner Direktorenzeit war Flametti unangenehmer als diese . Ein Vampir . Nicht von der Spur wich sie , wenn sie einmal Blut geleckt hatte . Tüchtig war sie , als Pianistin . Russisch sprach sie auch , von Lodz her . Aber ein Mundwerk hatte sie wie ein Schwert . Eine böse Zunge . Und das nun verstand Flametti nicht , wie Jenny sich mit ihr einlassen konnte . Man soll ihn in Ruhe lassen . Er wird es schon machen . – Die Hände in beide Hosentaschen gesteckt , so daß der Rockschoß weit hinten abstand , den breitkrämpigen Filzhut tief in die Stirne gerückt , froh , seinem häuslichen Glück entronnen zu sein , schickte Flametti sich an , einen Gang zu unternehmen durch sein Revier . Dieses Revier nannte sich » Fuchsweide « und war der Konzert- und Vergnügungsrayon aller lebenslustig-abseitigen Kreise der Stadt . Treffpunkt der großen Welt , Schlupfwinkel einiger unsicherer Elemente , zugegeben . Aber alles in allem ein Monaco und Monte Carlo im kleinen . Flametti fühlte sich frei wie ein Fürst . Aller Hader fiel von ihm ab . Aller Kleinmut verließ ihn . Hier kannte er jeden Weg , jeden Steg ; jede Kneipe , jede Latrine . Hier war der Felsen , hier mußte gesprungen werden . Hier fielen die Würfel , hier war man zu Hause . Vorbei am Alteisengeschäft des Herrn Ruppel und an der › Drachenburg ‹ ; vorbei an der Fischhandlung › Teut ‹ mit ihren Riesenaquarien voll stumpfsinniger Hechte und Karpfen , vorbei an › Hähnleins Kleiderbazar ‹ und › Lichtlis Frisiersalon ‹ ; vorbei am › Olivenbaum ‹ und an der › Tulpenblüte ‹ , schwenkte Flametti in die Hauptverkehrsader der Fuchsweide , die bucklige Quellenstraße ein . Er verlangsamte seine Schritte und klimperte , überlegend , mit dem Geld in der Tasche . Er schnupperte in der Luft , die nach Kaffee roch , und zündete sich eine Zigarette an . Hier war der Korso ! Hier war der Betrieb ! Es weitete sich seine Brust und er atmete auf . Kein Gesicht , das er nicht kannte . Kein Laden , mit dessen Inhaber er nicht schon Tausch und Geschäfte hatte . Auf dem › Mönchsplatz ‹ saßen die Katzen und putzten sich in der Sonne . Es war eine Unmenge Katzen , graue , schwarze und rote . Aber es war Platz genug für sie da . Nachts sangen sie hoch auf den Dächern . Auf dem › Mönchsplatz ‹ lärmten die Kinder . Sie putzten einander die Nasen , banden einander die Hosen zu , säuberten sich die Köpfe . Aber um jeden Kopf legte die Sonne eine kleine Gloriole . Über den › Mönchsplatz ‹ sprang Fräulein Frieda , die Kellnerin , daß die Röcke flogen . » Servus Flametti ! « rief sie . Es war eine Lust zu leben . Die Niedermeyers hatten Umzug heute . Auf ein Rollwägelchen hatten sie ihre Sachen gepackt ; auch den Kanarienvogel . Der Mann schob . Die Frau half drücken . Die Kinder halfen auch drücken und der kleine Peter hob die Sachen auf , die vom Wagen herunterfielen . » Wo wohnt ihr jetzt ? « rief Flametti . Und Herr Niedermeyer rief ; » Kuttelgasse 33 , V. ! « » Angenehmer Flohbiß ! « rief Flametti zurück . Er war ein großer Mann und konnte sich 's leisten . Die Hände in den Hosentaschen , breitspurig und schwer , den Schritt wuchtig aufs Pflaster gesetzt , ging er hinüber zur Postfiliale . » Eine Fünferkarte ! « Der Beamte händigte ihm die Karte aus und Flametti schrieb an Herrn Fritz Schnepfe , Vartietélokal , Basel : » Werter Freund ! Teile mir , bitte , umgehendst mit , ob du geneigt bist , Flamettis Varietéensemble zu engagieren für die Zeit vom 1. bis 31. Dezember laufenden Jahres , sowie die Bedingungen . Wir haben lauter neue Nummern , erstklassige Attraktionen , und es dürfte nur in deinem Interesse sein , dir mein Ensemble für die allfällige Zeit zu sichern . Hochachtungsvoll Dein Flametti . « Kehrte dann zurück in die Quellenstraße und lenkte , am Luftgäßlein vorbei , vorbei an dem kleinen , aber seiner Weine wegen berühmten Gasthaus zu den › Drei Sternen ‹ , vorbei am Mordloch mit den Gastwirtschaften › Hopfenzwilling ‹ und › Jerichobinde ‹ , vorbei an der Stutenreite , in die Obere Träufe . Es war ein Gang voller angestrengter Gedankenarbeit . Im Gehen pflegte Flametti zu denken . Bei scheinbarem Schlendern fand er die besten Entschlüsse . Zwei Herren kamen die Straße herunter , geradenwegs auf ihn zu . Verflucht nochmal ! Der eine elegant , schwarzer Schnurrbart aufgekräuselt , glattes , feistes Gesicht und glänzende Drehaugen . Der andere hager , fanatisch , nervös : » Peter und Paul « . Ein Schäferhund , leichte Patten , tief wehender Hängeschwanz , folgte ihnen wippend auf dem Fuß . Flametti steckte die Hände noch tiefer in seine Taschen , festigte seinen Gang um ein Erhebliches und grüßte forciert : » Salü ! « Die beiden nahmen ihn scharf aufs Korn , musterten unauffällig mit einem kurzen Blick seinen Anzug und gingen vorüber . Herr Abraham Cohn stand unter der Tür seines Magazins › Zum Chnusperhüsli ‹ . Er deutete mit dem Kopf nach den beiden sacht gehenden Beamten . Flametti benutzte die Gelegenheit , stehenzubleiben und meinte : » Die Apostel gehen um ! « » Was wolln se ? « meinte Herr Cohn , » mer muß se hamm . Wär mer sonst sicher ? « Flametti trat ein und kaufte eine Tüte Leckerli . Er ging weiter und kehrte ein im Gasthaus › Zum Vogel Strauß ‹ , wo die ausgestopfte Gebirgsgemse und der balzende Auerhahn standen , rechts und links vom Entrée . Der Auerhahn trug die Fischkarte mit beigedruckten Preisen um den Hals gehängt . Die Gebirgsgemse fletschte die Zähne , ganz unnötigerweise , und sah todesmutig gen Himmel , ein Symbol ihrer Heimat . Auf dem Sockel aus Felsen und Moos lagen zerstreut die Haare , die sie gelassen hatte im Kampf mit der Scheuerbürste des Hausknechts . Flametti trat ein und überflog mit einem Adlerblick die drei Gäste , die hier versammelt waren . Verflucht nochmal ! In der Ecke saß Kranemann ! Kranemann , das Moskitogesicht ; Kranemann , die geschniegelte Niedertracht und Korrektheit ; Kranemann , Flamettis erbittertster Feind . Das war nicht vorauszusehen . Einen Moment überlegte Flametti . Sollte er umkehren ? Sollte er tun , als habe er sich im Lokal geirrt ? Sollte er an den Hut fassen und grüßen : » Salü ! Komme später « ? Da stand aber Kranemann schon auf , kam auf ihn zu , wie von ungefähr , und sagte : » Ah , Flametti ! – was ist mit der Quittung ? Wann wird sie eingelöst ? Höchster Termin ! « » Hoi , hoi , hoi ! « bockte der und trat einen Schritt zurück . » Nur langsam ! Laß erst mal absitzen , damischer Kerl ! « Und beschloß jetzt zu bleiben . » Nix da ! « rief Kranemann und faßte ihn leicht beim Kragen , » heut ist der letzte Termin ! Zahlen ! « und warf ein Zwanzig-Centimes-Stück auf den Tisch . Und wieder zu Flametti : » Den › damischen Kerl ‹ werden wir uns merken . Wir sprechen uns noch ! « Schob seine Röllchen zurück und verschwand . » Was hat 's denn ? « fragte der Wirt neugierig , drückte den schwarzen Kneifer fester auf die Nase und kam näher . Auch die Gäste am Kartentisch waren aufmerksam geworden . » Na « , sagte Flametti , » was hat's ? Du kennst doch das damische Luder ! « Der Wirt schien das › damische Luder ‹ durchaus nicht zu kennen . » Ne Halbe ? « rief die Kellnerin . Und Flametti nahm Platz . » Du mußt nämlich wissen « , vertraute er dem Wirt , » ich hab' doch die Konkubinatsstrafe , weil wir nicht verheiratet waren . Nun hab' ich doch inzwischen geheiratet und prozessiert . Und da haben sie abgelehnt . Nun macht's mit den Prozeßkosten zusammen seine hundertachtzig Stein . Und die wollen sie haben von mir . Und dieser Kerl war doch früher Latrinenbesitzer . Dann ist er zur Polizei übergegangen . Das ist dieser Kranemann . Und das dumme Luder meint nun , er kann mich schikanieren . – Siehst du , er tut mir ja leid . Aber es ist doch zu fad : wo man hinspuckt , stolpern einem diese traurigen Kreaturen über die Füsse ! « » Ah , so so so so ! « verstand jetzt der Wirt , » das ist der Kranemann . Ja , so zahl' doch die paar Stein ! Dann hast du doch Ruhe ! Man immer berappen ! « Siehst du « , kippte Flametti sein Bier , » jetzt erst recht nicht ! Jetzt sollen sie sich mal die Beine in den Leib laufen ! « » Tja « , meinte der Wirt bedenklich , » die verstehen keinen Spaß . Da ist 's schon das Gescheitste , man gibt nach . « Er lächelte schablonig und strich sich die Hände . » Maidche , komm her ! « rief Flametti der Kellnerin und zog die Tüte mit den Leckerli aus der Rocktasche . » Das ist für dich ! « Und Maidche nahm beschämt die Leckerli in Empfang . » Ein Don Juan , dieser Flametti ! « versicherte der Wirt seinen schmunzelnd weitertrumpfenden Gästen . » War der Mechmed da ? « fragte Flametti die Kellnerin . » Nein , bis jetzt nicht . « Flametti sah nach der Uhr , geschäftsmäßig , ohne indessen verabredet zu sein . Nach der dritten Halben , als er eben gehen wollte , öffnete sich die Tür und herein trat Mechmed . Ali Mechmed Bei hieß der Türke . Er wohnte im Parkhotel und kam aus Aleppo . Und darin hatte Jenny wohl recht , daß Flametti ein wenig verdreht war im Kopf , seit er den Türken kannte . Ali Mechmed Bei : schon der Name faszinierte Flametti . Eunuchen , Sklaven und Harem wirbelten vor seinen aufleuchtenden Augen , wenn er in heimlichen Stunden den Namen vor sich hinsprach . Ali Mechmed Bei : enorme Gelder mußte er haben . Man wußte nicht recht , was er eigentlich trieb . Aber er kam häufig in den › Vogel Strauß ‹ , und dort hatte Flametti seine Bekanntschaft gemacht . Ein großes Tier mußte er sein unter seinesgleichen . Denn er hatte noble Allüren an sich . Dämonisch zog er die dichten , weißen Augenbrauen hoch , wenn man ihn ansprach , und pflegte mit den Fingern zu trommeln auf der Tischdecke . » Tja , mein lieber Freund ! « sagte er dann , nickte mit dem Kopfe in einer weltmännisch-gewitzigten Weise und sah nach der Decke , wo er jede Fliege , jeden Schnörkel der Tüncherarbeit eingehend verfolgte . Tiefe kaffeebraune Tränensäcke hingen ihm unter den Augen , und diese Augen selbst blickten in abgründiger Melancholie . Horrende Trinkgelder gab er , besaß einen Geldbeutel aus Affenhaut und roch , seiner orientalischen Herkunft gemäß , nach Zwiebel , Henna und Kokosnuß . Dieser Türke Mechmed trat jetzt ins Lokal , und Flametti verfolgte jede seiner Bewegungen mit glühender , heißhungriger Sympathie . Paletot und Regenschirm hing Herr Mechmed an den Kleiderhaken , und es kann zugestanden werden , daß die kleine , untersetzte Gestalt , die jetzt , zerfallen und morbid , aber freundlich lächelnd auf Flametti zukam , den mysteriösen Gestus jener Leute hatte , die im Traum wiederkehren . Jener Leute , die sehr wohl die Macht besitzen , ein Varietéunternehmen zugrunde zu richten , dessen Direktor nicht Zurückhaltung zu wahren weiß . Dieser Türke Mechmed nämlich , dessen Smoking ölig glänzte , dessen Äußeres fadenscheinig war , besaß ein Opiumlager , hier am Platz , auch Kokain und Haschisch , im beiläufigen Werte von vierzigtausend Franken , nur prima reine , unverfälschte Ware , erste Qualität , das er – je nun ! – geschmuggelt hatte , und das er – verstehen Sie ! – ohne Profit , nur weil es ihn behinderte , bereit war , bei konvenierender Gelegenheit abzustoßen . Und da Flametti sozusagen Fachmann war – er rauchte Opium in der Zigarette , nahm es wohl auch im Bier – , den Rummel verstand , ein Kerl war , so sollte er , bei Gelegenheit , mal sehen , was sich tun ließ . Man hat Bekannte , einen Arzt , einen Advokaten , einen Geschäftsfreund . Ist ja 'ne Bagatelle , vierzig Mille , liegt ja auf der Straße , ist ja gefunden , ist ja ein Dusel . So sollte er also mal sehen , ob man nicht , unter der Hand , vielleicht einen Interessenten fände . Und Flametti hatte sich auch umgesehen , seit acht Tagen – Geschäft ist Geschäft ! Spitzbuben gibt es hier wie dort ! – und einen Interessenten gefunden . Aber jetzt wollte er auch wissen , wofür . » Siehst du , Mechmed « , begann Flametti , als Mechmed Platz genommen , die Nase geschneuzt und sich ein Helles hatte kommen lassen , das er mit den Händen wärmte , » ist ja alles schön und gut . Wir kennen uns jetzt seit vierzehn Tagen . Wir haben Brüderschaft getrunken . Aber wir müssen doch jetzt einmal weiterkommen . Dein Paß ist abgelaufen – wann ? « » Zweiundzwanzigsten . « » Zweiundzwanzigsten . Bis dahin mußt du das Quantum los sein . « Mechmed nickte , allem Anschein nach ganz vertrottelt und schläfrig . Flametti rückte seinen Stuhl näher ran und zündete sich eine neue Zigarette an . » Hör ' mal zu : ich bin doch kein dummes Luder , versteht sich . « Mechmed nickte . » Du brauchst also innerhalb vierzehn Tagen einen Käufer . – Zwanzig Prozent ! « Mechmed nahm die Zigarette aus dem Mund , hielt sie zwischen Zeige- und Mittelfinger weit von sich weg , blies langsam den Rauch aus und überlegte einen Moment . » Zwanzig Prozent Provision ? « sagte er dann und wiegte den Kopf , » gut ! Abgemacht ! Was heißt ? « und war sehr verwundert , wie man an seiner Courtoisie zweifeln konnte . » Langsam ! « sagte Flametti . » Ich hab' den Käufer . Drei Tage Bedenkzeit . Vierzig Mille bar auf den Tisch des Hauses . « Mechmed wurde plötzlich sehr lebendig . Mit einem Ruck fuhr er auf seinem Stuhle herum . Sein Ellbogen auf der Stuhllehne stach spitz gegen die Kellnerin , die mit einem geschickten Seitwärtsschwenken der Hüften den Tisch passierte . » Aber « , sagte Flametti und kreuzte die Arme vor sich auf dem Tisch , » ich muß nochmal Proben haben und zwei Mille Vorschuß . « Wenn man acht Mille Provision zu erwarten hatte , konnte man wohl zwei Mille Vorschuß verlangen . » Nix Proben ! « lehnte Mechmed schwerfällig ab , die Hand am Ohr , um besser folgen zu können . Flametti lächelte . » Sei mal vernünftig , Mechmed « , begann er von vorne , » mein Geschäft leidet . Seit acht Tagen bin ich nun unterwegs , dir einen Käufer zu suchen . Rechne die Spesen ! Man trifft sich im Café , zahlt die Zeche standesgemäß . Verabredungen da und dort , hin und her . Du weißt selbst , wie das ist – – « » Wie heißt der Käufer ? « fragte Mechmed , ohne den Kopf zu drehen . Flametti wich aus . » Wie heißt er ? Tut nichts zur Sache . Prima prima . Kassa . Zahnarzt . « Es handelte sich also um den Zahnarzt , der Jennys Goldkronen geliefert hatte , einen Herrn von unzweifelhafter Solvenz , gewiß , der aber bis dato weder von des Herrn Mechmed Opiumlager , noch von Flamettis Hoffnung und Agentur die leiseste Ahnung hatte . » Tja , mein lieber Freund ! « trommelte Mechmed auf der Tischkante und sah zur Decke , » wird sich nicht machen lassen . Sieh mal her ! « und er entnahm seinem Portefeuille einen ganzen Pack fremdartig kuvertierter Briefe , mit denen er eine Hausse aller orientalischen Narkotika und die gierige Nachfrage nach diesen Artikeln spielend belegte . » Was heißt das ? « stutzte Flametti , ein wenig rauh . » Das heißt – – : « – der Türke gähnte , schüttelte den Kopf und bestellte einen Zwiebelsalat – » läßt sich nicht machen . Unter fünfzig Mille ausgeschlossen . Offerten : Papierkörbe voll . « Und er zog die Briefe aus den Kuverts . Flametti sah den Türken in blaue Fernen entschwinden . Perdu. Futsch . Aus . Ihm schwindelte . Aber er versuchte , der Situation gewachsen zu sein . » Mechmed « , sagte er , räsonnabel genug , » du bist kein Filz und ich bin kein Ganeff . Ich weiß : es kommt dir nicht darauf an , wenn du siehst , daß was läuft. Gut : ich verzichte auf die Proben . Macht fünfzig Franken . Weg damit !