Erster Theil Erstes Buch Erstes Kapitel . Der Haidekretscham . Ein ansehnlicher Theil der beiden Lausitzen , namentlich die früher unter sächsischer Botmäßigkeit stehende Niederlausitz , ist mit unermeßlichen Kieferwaldungen bedeckt , welche unter dem Namen der großen Haide bekannt sind . Diese ungeheuren Wälder , auf deren feinem Sandboden nur Haidekraut und dürre Gräser Nahrung finden , erstrecken sich bis in die Nähe der Stadt Görlitz und bergen in ihrem schattigen Dunkel mehrere Städte und eine Menge Dörfer , so wie einzeln gelegene Häuser und Vorwerke . Hie und da unterbricht ein niedriger Höhenzug das einförmige Dickicht , von dem herab man die schwarze Waldung meilenweit übersehen kann . Am Fuße solcher meist kahlen Hügel haben sich an Waldbächen , deren Gewässer grünen Wiesenbänder um die gelben Sandflächen winden , genügsame Menschen angesiedelt , um von Kohlenbrennerei , von Fischfang , dürftigem Ackerbau , Handarbeit und Bienenzucht kümmerlich zu leben . Ergiebiger wird der Boden der Haide an den Grenzen der Oberlausitz . Hier durchschneiden fruchtbare Thäler die rauschende Waldung , ansehnliche tiefe und bereits schiffbare Flüsse bewässern das umliegende Land und sichern den Anwohnern eine heiterere Existenz als ihren in den dürren Haideflächen versteckten Brüdern . Weiterhin gegen die Mark zu verliert sich das fruchtbare Erdreich wieder und die ganze Haide verwandelt sich in einen ungeheuren waldigen Moorbruch , den zahllose Flüßchen , Bäche , Kanäle und Teiche durchschneiden , und in welchem noch ein eigenthümliches Völkchen mit alterthümlichen Sitten still und zurückgezogen haust . Es sind die Bewohner des Spreewaldes . Durch die ermüdende Oede jener sandigen Haide schleppte sich in den letzten Tagen des Septembers 1832 ein ärmliches Fuhrwerk , dessen gebrechlicher Bauart man es ansah , daß es polnischen Juden angehören müsse . Die Räder waren theilweise ohne Schienen , eine zerlöcherte und mit hundert Flicken besetzte Plane von schmutzig grauer Leinwand war über halb zerknickte Reifen ausgespannt , um die darunter Sitzenden gegen Wind und Wetter zu schützen . In liederlichem Geschirr , an Strängen mit zahllosen Knoten und Troddeln , gingen drei muntere polnische Pferde , von denen zwei an die Deichsel , das dritte nach polnischer Sitte mittelst einer Kette an die Achse des Hinterrades gespannt war . Dies letztere Thier , jung und feurig , versuchte selbst in dem fußtiefen Sande häufig zu galoppiren , was ihm bei dem langsamern Schritt der beiden andern Pferde nicht recht gelingen wollte . Vorn in der sogenannten Kelle saß ein untersetzter Kerl im langen schmutzigen Rock der gemeinen polnischen Trödeljuden . Ein struppiger Bart von unsicherer Farbe bedeckte sein ganzes blaurothes Gesicht , ein vielfach eingebogener Filzhut , hie und da zerbrochen , seinen Kopf . In Ermangelung eines Stützbretes für die Füße ließ er die in starken juchtenen Stiefeln steckenden Beine zu beiden Seiten der Deichsel herabbaumeln , so daß sie , wenn die Räder im Sande tief einsanken , oft den Boden streiften . Im Innern dieses Fuhrwerks saßen ein Greis und ein Jüngling von etwa siebzehn Jahren , und auf der an der Seite des Wagens angebrachten eisernen Stiege stand ein jüdischer Knabe von etwa funfzehn Jahren und hielt sich mit beiden Händen an den Tragreifen der Plane fest , um nicht das Gleichgewicht zu verlieren . Dies polnische Fuhrwerk hatte in schräger Richtung auf einem der vielen tiefen Sandwege die Haide aus der Gegend von Priebus her durchschnitten und erreichte jetzt eine hochgelegene Waldblöße , über die eine etwas besser gehaltene Landstraße führte . Links am Fuße des Haidehügels in grünem , von vielen Gräben durchschnittenen Wiesengrunde lag ein Schenkhaus mit Stallung , Scheuer und Schuppen . Hinter den Wiesen sah das graue Dach einer Torfgräberhütte unter den Bäumen hervor , und weiter hin beschrieb die Haide einen schmalen Bogen , durch welchen man die blauen Wasserspiegel mehrerer großer Teiche im Abendschein blinken sah . Die Sonne war dem Untergang nahe und ließ hinter blaugrauen Wolkenschichten eine Menge jener breiten Strahlen auf die Erde fallen , welche der Landmann für Vorzeichen nahen Regens hält . Die breite schwarze Haide jenseits der Teiche ward dabei stellenweise blendend hell erleuchtet , während der Horizont purpurn erglühte und sowohl den interessanten Gebirgsknoten der weit bekannten Königshainer Berge , als auch die einsam gelegene hohe Doppelluppe der Landeskrone mit blitzendem Gold überströmte . Nach dem Einerlei der Haide mußte dieser unerwartete Anblick einer fernen schönen Gebirgsgegend das Auge der Reisenden erquicken . Auch war der polnische Fuhrmann wirklich so überrascht , daß er unwillkürlich die Pferde anhielt und einige Sekunden die heitere Aussicht dummdreist angaffte . Mehr aber noch , als die farbigen Tinten der Abendbeleuchtung , schien dem Juden ein röthlicher Feuerschein in die Augen zu stechen , der aus dem unfern im Thale gelegenen Schenkhause vertraulich einladend heraufwinkte . Fragend sah er sich um nach dem Greise und zeigte dabei mit der Peitsche nach dem rauchenden Schornsteine der Thalschenke . Der Greis nickte bejahend und in leichtem Trabe flog das ärmliche Fuhrwerk den Sandweg hinab und lenkte in den offen stehenden Thorweg des Gehöftes . Ein Knecht , unter dem Schuppen mit Holzspalten beschäftigt , ging den Fremden entgegen behandelte aber den hastig fragenden Juden sehr kurz und machte sich mehr mit den hübschen wohlgenährten Pferden zu thun . Erst als der Greis mit seinem jugendlichen Begleiter abstieg und ihn in wendischer Sprache anredete , erheiterte sich sein Gesicht . Er reichte beiden Fremden die Hand , sagte ihnen ebenfalls auf wendisch , daß sie ein vortreffliches Nachtquartier bekommen sollten , und geleitete sie bis an die Hausthür , ein paar Bündel und Packen dienstfertig ihnen nachtragend . Der Greis war ein hoch gewachsener , von der Last der Jahre nur wenig gekrümmter Mann . Er trug sich ziemlich altmodisch und vollkommen bäurisch . Kurze Beinkleider von schwarzem Leder bedeckten kaum das Knie , blauwollene Strümpfe schützten die Beine und grobe rindslederne Schuhe mit großen messingenen Schnallen umschlossen seine Füße . Außerdem trug er einen dunkelblauen Tuchrock , der von oben bis unten mit sehr breiten übersponnenen Knöpfen besetzt war , über der Brust aber bloß durch zwei silberne Heftchen zusammengehalten wurde und eine bis an den Hals zugeknöpfte Weste von hellerem Tuch sehen ließ . Ein niedriger runder Hut mit sehr breiter muldenartig aufwärts gebogener Krempe bedeckte sein schneeweißes starkes Haupthaar . Als er diesen an der Schwelle des Hauses abnahm , mußte ein fingerbreiter Riemen von schwarzem Glanzleder , den der Alte um das Haar gelegt und vorn auf der Stirn mittelst einer Silberschnalle befestigt hatte , die einen auffliegenden Habicht darstellte , Jedermann auffallen . Dieser Riemen hielt die reiche Haarfülle des Greises fest zusammen und gab dem stramm Einherschreitenden eine überraschende Aehnlichkeit mit irgend einem Helden des Alterthums , wie wir sie aus Abbildungen auf antiken Münzen kennen . Schon von dem Waldhügel herab hatte der Greis die am Wiesenrande liegende Schenke an ihrer ganzen Bauart , noch mehr an dem leuchtenden Heerd- oder Kaminfeuer für einen der vielen gastlichen Haidekretschame erkannt , die in den endlosen Wäldern zerstreut liegen . Er schien darüber sehr erfreut zu sein und seine strengen , tief gefurchten Züge , die in einem Zeitraume von mehr als achtzig Jahren vielen Kummer und schweres Herzeleid erfahren haben mochten , heiterten sich etwas auf , als er in die Schenkstube trat . Es kam ihm Alles darin so bekannt vor , daß er den Arm seines jungen Begleiters drückte und auf der Thürschwelle stehen bleibend mit leiser Stimme zu ihm sagte : » Sieh , Paul , das ist die Heimath Deiner Väter ! « Der Wirth stutzte , als er diese obwohl in deutscher Sprache gemachte Bemerkung hörte und rückte mit größerer Eile , als er sonst zu thun pflegte , ein paar Schemel an den großen in der südlichen Stubenecke befindlichen Tisch . Inzwischen sah der Jüngling sich neugierig im Zimmer um , wo der umfangreiche Kachelofen mit dem großen hellpolirten kupfernen Ofentopfe , und daneben der in die Wand eingemauerte Kamin , auf dem ein knisterndes Kienfeuer hochauf loderte und die dämmernde Stube mit grellem Lichtschein beleuchtete , besonders seine Aufmerksamkeit zu fesseln schienen . Auf der Ofenbank dem Kaminfeuer zunächst saß eine bejahrte Frau mit hagerm , bleichem Gesicht und drehte rastlos beim Schein der Flamme die Spindel . Sie war in schwarze Stoffe gekleidet , nur um das ergrauende Haar , die Stirn mehr als zur Hälfte bedeckend , hatte sie ein zwei Hände breites weißes Tuch geschlungen , das am Hinterkopf in zwei steif auslaufende ohrenähnliche Zipfel zu einem Knoten verknüpft war . Sie sah die Fremden mit großen neugierigen Augen an , ohne sie zu grüßen oder ihren Gruß zu erwiedern , und drehte dann emsig die Spindel fort , dann und wann leise mit sich selbst redend . Ihr ganzes Benehmen ließ errathen , daß sie geistesschwach oder vor Alter kindisch geworden sein mußte . » Ich bitte um Nachtquartier für mich und meine Leute , « sagte jetzt der ernste Greis , am Tische Platz nehmend . » Eine gute Streu und ein Gericht Kartoffeln oder Haidegrütze werdet Ihr wohl für uns haben . « » Für Euch gäb 's wohl auch noch ein Stück geräuchertes Fleisch und frisches Sauerkraut , « fiel der Wirth ein , » und dazu möcht' ich Euch rathen , damit Euer Knecht nicht Hunger leiden darf . Mit Erlaubniß , Ihr kommt aus Polen ? « » Tief aus Polen ! « » Nun ich will hoffen , daß Ihr nicht zu den Rebellen gehört und Eure Papiere in Richtigkeit sind . Die Gensdarmen sind jetzt wachsamer und strenger als vor Jahr und Tag ; denn die Haiden stecken voll verlaufenen Gesindels , das sich heimlich über die Grenzen geschlichen hat . « » Mein Paß steht Euch zu Diensten . « » Daß mich Gott bewahre ! Meinethalb frag' ich nicht , es geschieht blos der Sicherheit der Reisenden wegen . Gäb 's nicht Gensdarmerie , mir zu Gefallen brauchten die Pässe , weiß Gott , nicht erfunden worden zu sein ! Ihr seid kein Pole scheint mir ? « » Von Geburt nicht . « » Sah 's Euch gleich an , alter Vater ! So ehrlich und treuherzig wie Ihr , sieht kein polnischer Bauer aus . « » Muß ich denn gerade ein Bauer sein ? « versetzte der Fremde . » Heut zu Tage trägt mancher einen Rock , der nicht auf seinen Leib gemacht ist . « » Das trifft sich wohl , alter Vater , indeß wer so viel mit Menschen verschiedenen Schlages umgehen muß , wie der Wirth eines Haidekretschams , der bekommt ein scharfes Auge , glaubt mir's , und so leicht ist ihm nicht etwas weiß zu machen ! Ja , ich wollte wetten , daß mehr altwendisches als deutsches Blut in Euren Adern fließt ! « Der Greis sah den Wirth nach dieser Bemerkung mit seinen hellen dunkelblauen Augen scharf an , und da er einen ehrlichen Mann in ihm zu entdecken glaubte , nickte er und rief ihm den wendischen Gruß » Bomhai boh ! « zu , denn bisher war das Gespräch deutsch geführt worden . Schnell und heiter entgegnete der Wirth » Wersh bomhasi ! « schüttelte beiden Gästen die Hand und setzte mit Lebhaftigkeit und jener traulichen Freundlichkeit und sorglos-heitern Laune , die den Wenden eigen ist , die Unterhaltung fort . Inzwischen war auch der jüdische Knecht mit seinem Sohne in das Zimmer getreten und hatte sich abseits vom Schenktische , dem Ofen gegenüber , an einen besondern Tisch gesetzt . Sie verlangten Schnaps und trockenes Brod mit Salz , das ihnen nebst einem Glase Bier ein junges Mädchen vorsetzte . Das Mädchen war stark und kräftig , strotzte von Gesundheit und schien sich um Druck und Noth der Zeit keine Sorge zu machen . Es richtete einige Fragen an die emsige Spinnerin , erhielt aber keine Antwort . Erst , als sie ziemlich heftig ihre Fragen wiederholte und dabei aus Versehen den Faden am Rocken zerriß , sah die alte Frau erzürnt auf . Ein paar Sekunden schien es , als wolle sie eine Fluth von Schimpfreden über das Mädchen ausgießen , plötzlich aber ward ihr Gesicht wieder ernst , ein wehmüthiges Lächeln spielte um den reizlosen faltigen Mund , und den Faden wieder anknüpfend und mit größerer Emsigkeit die Spindel drehend , summte sie erst leise , dann immer lauter eine jener melancholischen Liederweisen vor sich hin , die noch heut bei den Wenden der Lausitzen in Gebrauch sind . Nachdem sie mehrere Verse unverständlich geflüstert hatte , erhob sie plötzlich ihre Stimme ganz laut und der fremde Greis verstand die Worte : » Hinaus sie ihn trugen , Viel Volk hinterher , Jüdevoi ! Vor allen sein Liebchen Ging zwischen zwei Andern , Jüdevoi ! Das Mägdelein weinte Und brach ihre Hände , Jüdevoi ! « Bruchstücke noch jetzt unter den Wenden gäng und geber Volkslieder . Hier ließ sie die Stimme sinken , so daß die nächsten Verse den Zuhörern unverständlich blieben , dann aber , die Spindel heftig an sich reißend , an ihren Brustlatz stemmend und den Faden aufwickelnd , fiel sie wieder laut ein : » Für mich starb der Liebste , Für ihn will ich sterben , Jüdevoi ! Hier hab' ich zwei Messer , Die hat er gekauft mir , Jüdevoi ! Eins senkte sie in sich , Warf 's and'r hint'r ihm her , Jüdevoi ! . Begrabt nun uns Beide Dort unter die Linde ! Jüdevoi ! « Abermals ließ sie die Stimme sinken und erhob sie erst beim letzten Verse wieder zu verständlichem Gesange , indem sie äußerst langsam in zitternden Tönen und Thränen vergießend mehr rief als sang : » Sie liebten sich Beide – In Eines verflochten , Jüdevoi ! In Eines verflochten . « Mit steigender Aufmerksamkeit hatte der junge Begleiter des Greises den Gesang verfolgt . Als nun die spinnende Alte am Schlusse des Liedes die Spindel auf ihren Schooß sinken ließ und schluchzend das Gesicht in die magern Hände drückte , sagte Paul , zu dem Greise gewandt : » Großvater , war das nicht meiner verstorbenen Mutter Lieblingslied ? « » Es war das Lied , das sie nimmer vergessen konnte , die arme Seele ! « erwiederte die alte Wende . » Man kennt und singt es , so wenn die wendische Sprache reicht , zumal , wenn man ein selbst erlebtes Unglück zu beweinen hat . Aber wie , Herr Wirth , wie kommt die alte Mutter zu dem Liede ? « Der Wirth zuckte die Achseln . » David wäre viel zu erzählen , « versetzte er , » wenn ich Euch mit den Einbildungen einer schwachsinngen alten Frau unterhalten wollte . Wir sind darauf gewöhnt und lassen uns nicht mehr durch ihre Gesänge stören . Wohl zehn- und mehrmal täglich pflegt sie das alte Lied abzuleiern , so oft sie ein junges Mädchengesicht erblickt . Es scheint , sie bildet sich dann ein , ihre Tochter stände vor ihr , die ein schlechtes Ende nahm in Folge einer leichtsinnigen Liebelei . Eine alte Klage aller Aeltern , die nie ganz aufhören wird , so lange es noch junge heißblütige Burschen gibt . « Das Mädchen hatte unterdeß ein Linnentuch über den Tisch gebreitet , eine Schüssel kaltes Rauchfleisch und gewärmtes Sauerkraut aufgesetzt , und auch ein paar Gläser Bier eingeschenkt . Dann legte sie neue Kienspäne auf die Kaminplatte und fachte die Flamme mit ihrem Athem an , bis sie knisternd hoch aufflackerte und die geräumige Stube leidlich erhellte . Lichter wurden nicht angezündet , das Kaminfeuer mußte , so gut es gehen wollte , deren Stelle ersetzen . » Nun langt zu , alter Vater , und Du , blonder Junge , sieh munter in die Welt ! « ermahnte der Wirth seine Gäste , selbst zulangend und ein tüchtiges Rippenstück auf seinem hölzernen Teller , deren einen jeder Gast erhalten hatte , emsig zerlegend . » Wart Ihr lange in Polen ? « fragte er den Greis . » Vordem ging viel Volks dahin , auch hier aus der Gegend . Man erzählte sich Wunderdinge von dem billigen Leben in den polnischen Wäldern und von dem leichten Verdienst , den Einwanderer haben sollten , wenn sie die Feld- und Landwirthschaft verständen . Es muß aber doch nicht so gar herrlich gewesen sein , sonst hätten sie wohl schwerlich die martialische Revolution gemacht , die nun ein so klägliches Ende genommen hat ! Habt Ihr auch darunter gelitten , alter Vater ? « » Persönlich bin ich verschont geblieben , « versetzte der Wende , » aber zwei meiner Enkel mußten den Aufstand mit ihrem Leben büßen . Doch laßt uns davon schweigen ! Es ist nicht gut von Dingen reden , die nicht zu ändern sind . « » Gedenkt Ihr Euch wieder ganz in Deutschland niederzulassen ? « nahm der Wirth das Gespräch abermals auf , da es ihm nicht gemüthlich war , sein Mahl stillschweigend zu verzehren . » Das hängt von Umständen ab , « erwiederte der Greis , » und vielleicht könnt Ihr mir selbst über Einiges , das für mich bestimmend sein dürfte , Aufschluß geben . « » Von Herzen gern , Landsmann . Nur zugefragt und Ihr sollt Antwort haben , bis meine Zunge sich nicht mehr rühren kann . « Ihr seid doch hier einheimisch ? « » Hier und aller Orten in der Haide bis hinauf an die Berge in den böhmischen Grenzen . « » Da werdet Ihr vermuthlich in früherer Zeit von einem vielbekannten und in seiner Art berühmten Manne gehört haben , den man zu meiner Zeit nur den Maulwurfsfänger nannte von dem Gewerbe , das er trieb . Wißt Ihr wohl , wo und wann der Mann gestorben ist und ob seine Verwandten noch leben ? Denn Kinder hat er meines Wissens nicht . Wenigstens war er niemals verheirathet . « » So gerade heraus , alter Vater , kann ich auf Eure Frage nicht antworten . Es gibt hier in den Haiden mehrere Maulwurfsfänger , alte und junge , die sich alle nähren , viel herumkommen auf den Dörfern , bei Bauern und Herren leicht Quartier finden und alle , der Eine mehr , der Andere weniger , einen guten Ruf haben . « » Derjenige , den ich meine , kann nicht zehn volle Jahre jünger sein , als ich . Er war nicht aus der Haide , auch kein Wende von Geburt , sondern ein rechter hartköpfiger Oberlausitzer . Bin ich nicht ganz irre , so lebten seine Aeltern auf dem Hahne unterm Hochwalde . Später zog er aus dem Gebirge herunter und kaufte sich auf dem hohen Hübel zwischen Löbau und Herrnhut ein Häuschen . Den Ort nannten sie dazumal insgemein › den Todten ‹ , weßhalb wir den Mann scherzweise oft den todten Maulwurfsfänger hießen . « » Mein Gott , mein Gott , wie ist mir denn ? « sagte der Wirth im Haidekretscham . » Gewiß , ich kenne den Mann und sicherlich leb er noch und treibt sein Gewerbe so sachte hin immer noch fort ; wenn ich mich nur auf seinen Namen besinnen könnte . « » Mit dem Spitznamen hieß er Pink-Heinrich , weil ihm des vielen Sprechens wegen die Pfeife häufig ausging und er fortwährend genöthigt war , aufs Neue Feuer anzuschlagen , was die Oberländer › pinken ‹ heißen . « » Meine Seel' , alter Vater , Ihr habt Recht ! « rief erfreut der Wirth aus , das erhobene Glas wieder niedersetzend , ohne es zum Munde zu führen . » Der Mann lebt und wie Gesund und frisch wie ein junger Bursche und alert wie eine Forelle ! Weiß Gott , wie er es macht , daß ihn nichts auf Erden anficht , weder Krankheit , noch Krieg , noch Kummer noch Arbeit ! Er läuft wie ein Rebhuhn noch heut sein sechs Meilen des Tages und schläft dann auf harter Bank besser , als mancher großmächtige König und Herr in seinen weichen Pfühlen ! Ja das ist noch ein Mann , so unverwüstlich und herzerfreuend , wie die Berge , auf denen er jung geworden ! « Zustimmend lächelnd nickte der Greis freundlich mit dem Kopfe . » Ihr schildert den Pink-Heinrich meiner Jugend , den wackern Helfer in jeglicher Noth , den Freund aller Armen , Nothleidenden und Bedrückten und den unversöhnlichen , aber schlauen Feind rechtloser Gewalthaber ! Er lebt ! Gott , der Mann lebt ! Und wißt Ihr , wo ich ihn treffen , ihn sprechen kann ? « Zwar kam es dem Wirth sonderbar vor , daß sein Gast , der seit langer Abwesenheit tief aus den Wäldern des zerrütteten , mit Blut gedüngten , rechtlos unterjochten Polen kam , mit solchem Jugendfeuer von einem Manne sprach , der in der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr Geltung hatte , als der gemeinste Tagelöhner , indeß war er doch auch zu gutmüthig und mittheilsam , als daß er einen Gast , der noch dazu von Stamm sein Landsmann war , nicht die gewünschte Auskunft hätte geben sollen . Wenn Euch daran gelegen ist , den Maulwurffänger zu sprechen , « versetzte er nach kurzem Besinnen , » so könnte ich Euch wohl einen Ort nennen , wo Ihr ihn sicher trefft , wenn die Witterung nicht ganz zum Davonlaufen schlecht wird . Das Häuschen auf dem Todten hat er längst verkauft , weil 's ihm zu einsam gelegen war und er die Aussicht nicht mehr leiden konnte . Sie hatten ihm nämlich in den ersten zwanziger Jahren oder noch früher kaum eine Viertelstunde von seinen Fenstern am Saum des Waldes ein Rad aufgepflanzt und darauf die Gebeine eines Mordbrenners geflochten , der wohl ein halbes Dorf aus gemeiner Rache in Asche gelegt hatte . Das verdroß ihn und so zog er in das letzte sächsische Dorf auf der Straße von Löbau nach Reichenbach . Was ihn bewegen mochte , gerade diesen Ort zu wählen , weiß ich nicht anzugeben . Es muß aber wohl eine besondre Bewandtniß damit haben . « » Wie so ? « warf der Greis fragend ein . » Ich vermuthe dies blos , weil der Mann so lange ich ihn kenne , und das mögen jetzt an die zwanzig Jahre her sein , alle Sonntage , dir Gott werden läßt , und an denen nicht Hagen oder todbringendes Schneewetter die Wege ungangbar macht , in die Königshainer Berge wallfahrtet . Kennt Ihr den Todtenstein ? « » Ob ich ihn kenne ! « sagte der Greis , die Hände faltend und seine großen blauen Augen mit schauerlichem Ernst zum Himmel aufschlagend . » Nun seht , « fuhr der Wirth fort , den die geheimnißvolle Schweigsamkeit des alten Wenden immer mehr anzog , » heut ist Sonnabend , will's Gott , und wenn Ihr morgen in der Frühe mit Eurem ungläubigen Kutscher aufbrecht und die Richtung nicht ganz verliert , auch Euer gottserbärmliches Gerüll von Wagen nicht auf unsern mitunter holprigen Wurzelwegen zerbricht , so mögt Ihr in den ersten Nachmittagsstunden am Fuße der Königshainer Berge ankommen . Macht Ihr Euch dann auf den Weg und geht schnurstracks nach dem Todtensteine , den Ihr in einer guten halben Stunde vom Gasthofe aus erreichen könnt , so werdet Ihr unter irgend einer der vorspringenden Felsenkanten den Mann , den Ihr sucht , in stilles Nachdenken verloren sitzen sehen ! Ob er ein Anhänger des lieben Heidenthums ist , das vor alten Zeiten in der Gegend gehaust haben soll , oder ob er heimlich Schätze gräbt oder gar mit den Geistern und Holzweibeln Verkehr treibt , die um die schauerlichen Klüfte schweben und ihre unheimlichen Weisen singen , das weiß ich nicht und mag 's auch nicht wissen ! Aber ich will kein Wort wendisch mehr sprechen , wenn Ihr dem Pink-Heinrich nicht am Todtensteine begegnet ! « Sichtlich erheitert reichte der alte Wende dem Wirth die Hand über den Tisch , dankte und trank ihm nach altwendischer Sitte zu . » Gott segne Euch und Euer Haus für diese Auskunft ! « sagte er . » Ruhiger , als ich glaubte , lege ich jetzt mein weißes Haupt auf das Stroh nieder , das auf dem Boden meiner theuren Heimath gewachsen ist ! Schwere , traurige , furchtbare Schicksale vertrieben mich daraus und ich verließ sie mit der lähmenden Gewißheit , sie nie mehr wieder zu sehen . Aber der Herr hat es anders mit mir beschlossen . Er will vielleicht die Wunden , welche seine prüfende Hand meinem armen Herzen in den Jahren der Kraft schlug , jetzt im Alter heilen und einen vollen , segnenden Strahl seiner Gnade mir schenken ! Sein Name sei gepriesen , was mir immer begegnen möge , aber verdreifacht wird mein Glaube werden , der mich stets aufrecht erhalten hat in Noth und Elend , wenn ich diese abgehetzten Glieder endlich nach langer Irrfahrt an meiner Aeltern Grabe zur Ruhe niederlegen sollte . « Der Greis sprach so ernst und feierlich , daß selbst dem etwas neugierigen Wirth , der gern heiter und launig war , die Wiederanknüpfung des Gespräches verleidet ward . Er schwieg gänzlich , auch der jüdische Kutscher mit seinem Sohne flüsterte nur leise , dagegen erhob die spinnende Alte , die schon längst wieder ihrer Gewohnheit nach die Spindel drehte und ein Gespräch nur dann beachtete , wenn Worte darin vorkamen , die irgend ein vergangenes Ereigniß urplötzlich in ihr unklares Gedächtniß zurückriefen , abermals ihre Stimme . Phantastisch die linke Hand schüttelnd , sprach sie in singendem dumpfem Tone : » Zu Haus , im Felde Zwiefache Noth ! Schlimm ist 's für Jeden , Der hat kein Brod ! « Dann fiel sie sogleich in ein lustiges Gelächter , stampfte taktmäßig mit dem Fuße auf das Bänkchen ihres Rockenhalters und sang munter und fröhlich , den Kopf hin und her wiegend und häufig laut dazwischen auflachend , indem sie die Spindel in hohen Bogen um sich tanzen ließ : » Tom tom tinz , Sie buck 'ne Blinz ; Tom , tom tich , Drauf lüstert's mich . Tom tom tin , Sie gab mir ihn ; Tom tom tauf , Ich aß ihn auf . Tom tom ther , Ich wollte mehr ; Tom tom ticht , Sie gab mir 's nicht . Tom tom terr , Da kam der Herr , Tom tom tort , Ich wälzt' mich fort . « » Wollt Ihr nicht Feierabend machen , Mutter Maja ? « sagte jetzt der Wirth zu der wunderlichen Alten , als sie den barocken Gesang endigte . » Ihr habt ja bald einen ganzen Rocken abgesponnen und was soll ich mit dem vielen Garne anfangen bis Weihnachten ? Der Garnsammler kommt nicht vor Neujahr , wie Ihr wißt , und in unserm ganzen Hause gibt 's so viel Mäuse , daß weder Speck noch Flachs einen Tag lang sicher sind . Schade um Euer schönes Gespinnst ! « » Wohl gesprochen , mein Sohn ! Ich will schlafen gehen , « erwiederte die Alte , schob den Rocken bei Seite und steckte die Spindel darauf . » Des Nachts seh' ich die Wassernixen tanzen , und wenn sie singen und mit mir reden , macht 's mir keinen Aerger , wie das dumme Geschwätz der Mägde . Gute Nacht , Jürge ; wünsche angenehme Ruhe , edle Herren ! « Sie stand auf und machte ein paar tiefe Knixe gegen die Fremden , worauf sie langsam die Thür aufstieß und quer über die Hausflur nach ihrer eigentlichen Wohnung schritt . Denn Mutter Maja lebte als Wittwe des früheren Wirthes und als Mutter des jetzigen im Ausgedinge . » Es ist übel mit solchen alten Leuten , « sagte Jürge zu seinen Gästen . » Mit Härte und Gewalt ist nichts von ihnen zu erlangen und Güte und freundliches Zu reden fruchten blos dann , wenn sie grade mit ihrem verworrenen Gedankengange im Einklange stehen . Die arme Mutter ! So treibt sie 's nun alle Tage schon seit Jahren ! Bald bricht sie in herzerschütterndes Weinen aus und singt die traurigsten Lieder unseres Volkes , bald , ehe man die Hand umdreht , lacht und jubelt sie und erinnert sich der schabernäckischen Weisen , mit denen die jungen Burschen ihre Mädchen bei der Spinte und auf dem Felde necken . Denn Ihr müßt wissen , daß Maja die erste Liederkennerin im ganzen Wendenlande ist . Fragt sie , wonach Ihr immer wollt , sie wird Euch Rede stehen und auf jedes Begegniß , auf jede Verrichtung im gewöhnlichen Leben einen passenden Vers , ein Lied oder einen Spruch wissen ! Deßhalb kommen auch Sonntags im Winter die Burschen oft stundenweit her zu mir , um von der Mutter neue Lieder und Melodien zu lernen , und es geht dann in meiner einsamen Schenke häufig lustiger zu , als im besuchtesten Kretscham großer Hofedörfer . « Nach seiner Weise gab der Greis seine Zustimmung durch Kopfnicken zu erkennen . Die heitere , unbefangene Unterhaltung des Wirthes gefiel ihm und er hätte gern noch etwas Näheres über die Verhältnisse des Mannes und seiner alten gestörten Mutter erfahren , da ihm die Schicksale seiner Stammesgenossen immer wichtig erschienen , weil er selbst von den traurigsten nicht verschont geblieben war , allein die Müdigkeit Pauls , der schon während des Essens eingenickt war , und der Wunsch , am nächsten Morgen zeitig wieder aufzubrechen , bestimmten ihn , für diesmal neue Erörterungen zu unterlassen . Er bat daher den Wirth , daß er die Streu für ihn möge bereiten lassen , was dieser bereitwillig selbst unternahm . Der Knecht , der schon geraume Zeit am Ofen gesessen hatte , führte den Juden in den Stall und wies ihm und seinem Sohne auf dem Futterkasten eine warme Lagerstatt an . » Solltet Ihr früher wach sein , als ich oder meine Leute , « sagte der Wirth , nachdem die Streu auf umgestürzten Schemeln bereitet war , so dürft Ihr blos mit dem Deckel des Ofentopfes herzhaft klappern . » Das ist unsere Klingel , für die wir allesammt ein gar feines Ohr haben . Gute Nacht , der Herr behüte Euch ! « Er drückte seinen Gästen nochmals die Hand und ging dann ohne Licht , wie die Uebrigen , in die an die Wohnstube stoßende Schlafkammer . Zweites Kapitel . Eine Eröffnung . Unter halblautem Gebet streckten sich Greis und Jüngling auf die duftige Streu . Wie schläfrig aber auch Paul den ganzen Abend gewesen war , so munter ward er jetzt , als jedes Geräusch um ihn her verstummte . Die bleichen Flämmchen , die noch zuweilen über dem Aschenhäufchen des erlöschenden Kaminfeuers gaukelten , zogen seine Aufmerksamkeit auf sich und beschäftigten seine Einbildungskraft . Die todte Stille der Haide , von keinem Thierlaut unterbrochen , wirkte gewaltiger auf den Geist des Jünglings ein , als das verworrenste Gelärm . Die Nacht war so still , daß nicht einmal das fast nie feiernde leise Rauschen der Wälder , dies Athmen der Natur , gehört ward . Sanft rieselnd schlug ein feiner Regen an die Fenster , dem sich bald das lautere Plätschern einer ausgießenden Dachrinne auf die Steinplatten vor dem Hause zugesellte . Das wiederholte tiefe Aufseufzen des Großvaters sagte ihm , daß auch diesen der Schlummer fliehe . Jetzt mehr als vorher , wo fremde Gesichter ihn störten , zum Reden aufgelegt , sprach er zu dem Greise : » Ihr schlaft auch nicht , Großvater ? « » Mit den Jahren kommt der Schlaf nur langsam , doch laß Dich dadurch nicht in Deiner Ruhe stören , Paul ! « » Mir ist's , als hätt' ich schon ausgeschlafen . Hört nur , wie es regnet ! « » Haidewetter , nichts weiter ! « » Großvater , ich möcht ' Euch was fragen . « » Wer verwehrt es Dir ? « » Haben wir noch weit bis an den Ort , wo meine selige Mutter geboren ward ? « » Nein , Paul ! Wir kommen aber vor jetzt nicht dahin . « » Aber warum denn nicht ? Ich möchte so gern das Haus sehen , wo sie gewohnt , wo sie Euch gepflegt und geliebt hat . « Der Greis richtete sich auf und wendete sein patriarchalisches Gesicht dem Enkel zu . Die hüpfenden bläulich rothen Flämmchen am Kamin beleuchteten ruckweise seine ausdrucksvollen , von Schmerz durchfurchten , aber in Demuth gefaßten Züge . » Paul , « sprach er , » ich habe , als wir zusammen die weite Reise antraten , versprochen , deren Veranlassung und Zweck Dir an dem Tage zu erklären , wo wir das Land unserer Väter betreten würden . Dieser Tag ist gekommen , und da es scheint , als wolle Gott mein Gebet erhören und mir die letzten Stunden meines Lebens aufheitern , so will ich gleich jetzt mein Wort lösen und Dich , so weit es frommt , in das einweihen , was die Zukunft auch von Dir erheischen wird . « » Du hast mich oftmals gefragt , « fuhr der Greis fort , » weshalb ich , da es doch sonst Niemand zu thun pflegt , mit ledernem Riemen mir Haar und Stirn umwinde ? Es geschieht dies zur Erinnerung an eine schwere und furchtbare Vergangenheit , deren Schauplatz diese endlose Haide und deren Umgegend ist . Oft , lieber Paul , ehe die blutige Revolution in Polen ausbrach , hast Du den Zustand der elenden unwissenden Bauern beklagt , die jeder Laune ihrer hochmüthigen , brutalen Herren demüthig nachkommen müssen und nicht einmal murren dürfen , wenn sie unmenschlich gemißhandelt , gleich dem Vieh mit Füßen getreten werden . Es ist dies das beklagenswerthe , empörende Loos aller Leibeigenen , es war auch das meine , Paul , als ich hier lebte , denn Dein Großvater war ein Leibeigener ! « Hier überwältigte das Gefühl den alten Wenden , die Stimme versagte ihm , in lautem Schluchzen und weinend barg er sein Antlitz in die zitternden Hände . » O Gott , o Gott ! « rief Paul . » Wie kann dies möglich sein ! « » Es war noch weit mehr möglich , « versetzte der Greis , sich wieder beruhigend . » Höre mich an und schweige ! – Wir , die wir einem und demselben Herrn unterthan waren , wir erhielten von ihm am Tage der Confirmation den Stirnriemen als Schmuck und Zierde , wenn Du willst als Abzeichen . Wie man den Schaafen mit glühendem Eisen eine Ziffer in ihre Wolle brennt damit kein Anderer sie als sein Eigenthum ansprechen kann , so legte uns unser Herr und Gebieter diesen schimmernden Sclavenring um die freie Stirn , um uns aus allem Volk heraus zu erkennen und sein Recht auf uns geltend zu machen ! Du wirst sagen , wir hätten ja nur dieses Band der Schmach wegwerfen und fliehen dürfen , um frei , um Menschen zu werden , aber das war nicht so leicht ! Einmal ist der in schimpflicher Abhängigkeit geborene Mensch von Natur feig und nur im Augenblick wilder Aufreizung zu selbstständigen Thaten und Entschlüssen fähig , und sodann gab es tausend Verräther aus Furcht vor Strafe . Nie gelang es einzelner Flüchtlingen , für immer zu entkommen . Man entdeckte ihre Spur , ehe sie noch die Grenzen überschritten hatten , und dienstwillig lieferte sie ein Herr dem andern aus ! « » Aber Ihr entkamt ja doch , Großvater Ihr fandet in Polen Aufnahme und ein freies Leben , warum kehrt Ihr nun dahin zurück , wo es Euch so elend erging , und noch dazu mit der Abzeichen der Knechtschaft um die Stirn ? « » Ja , « sagte der Greis , » ich entkam , aber nicht allein , nicht , weil ich es überdrüßig was zu dienen , sondern in Folge eines Ereignisses wovon Du später hören sollst ! – Warum ich hieher zurückkehre und das Band der Sclaverei trage ? Nun , ich suche am Rande des Grabes mein Vaterland auf , um Gerechtigkeit zu fordern oder Rache zu üben ! Und ich habe diesen Reif der Schmach und Schande bis heut getragen , damit er mir in jeder Minute ein ernster Mahner sein möge nicht blos an mein eigenes vergangenes Elend , sondern an die rechts- und naturwidrige Unterdrückung von tausenden meiner Brüder ! Längst hätte ich zu sterben gewünscht , denn ich habe alle meine Angehörigen begraben , wäre nicht die Bitte stärker gewesen , die ich an Gott richtete , mich noch die Zeit erleben zu lassen , wo das Wort Sclaverei nur noch in der Sprache , nicht mehr in der Welt existirt ! So lebe ich noch , und ich fürchte noch lange leben zu müssen , sollte der Herr der Sterne die Wünsche der Sterblichen dem Wortsinne nach erhören ! « » Gewiß , Gott wird Euer Gebet erhören ! « sagte Paul mit der naiven Zuversicht eines jungen Menschen , der noch geneigt ist , die Lehren der Schule ohne Bekrittelung als untrüglich hinzunehmen . » Ihr werdet dann auch Eure Enkelin , meine Schwester , wiedersehen , von der ich Euch so oft heimlich mit der Mutter sprechen hörte , wenn sie heftig weinte und keinen Trost finden konnte . « Ein letztes Aufflackern des Kaminfeuers warf bei diesen Worten helle Lichter auf den Greis . Paul er schrak , als er die entsetzten Mienen des Großvaters gewahrte , die seine Bemerkung hervorgerufen hatte . » Um Gott , Großvater ! « schrie der Jüngling auf und warf sich an die breite Brust des Greises . » Was ist Euch ? Ihr seht ja bleich , wie die steinernen Männer auf den Kirchhöfen , und Eure Augen glühen wie Kohlen ! « » Fürchte Dich nicht , « erwiederte der Alte , schwer aufathmend . » Ich zürne nicht , ich bin auch nicht krank , ich wußte nur nicht , daß schlafende Kinder zuweilen wachen . « » Ich darf also hoffen , meine Schwester zu sehen ? « fragte Paul nochmals . » Deine Schwester ! Nun ja , ja , Du hast oder hattest eine Schwester , aber ich weiß doch nicht , ob Ihr einander liebhaben würdet ! « » Hat denn die selige Mutter nie etwas von ihr gehört ? « » Sie war verschollen oder verloren gegangen , ehe wir auswanderten , « erwiederte ausweichend der Greis . » Das ist traurig ! « sagte Paul . » Ich war immer der Meinung , jener Brief mit dem zerbrochenen Kreuz , der Euch so heftig erschütterte , sei von dieser unbekannten Schwester und ihr gelte unser Besuch , nachdem wir in Polen keine näheren Freunde mehr hatten . « » Allerdings war es jener Brief , den ich noch auf meinem Herzen trage , welcher mich zum Verkauf meines kleinen Höfchens veranlaßte . Er rührte von dem Manne her , den wir morgen aufsuchen wollen . Der Maulwurffänger war , so lange ich in meiner Heimath lebte , mein treuester , uneigennützigster Freund . Er war der Letzte , dem ich beim Abschiede die Hand drückte und der mir wiederholt die Versicherung gab , daß er nie aufhören würde , meiner zu gedenken und nach Kräften für Freimachung meiner Stammbrüder zu wirken . Wir versprachen uns gegenseitig , einander zu schreiben , aber die Sorgen und Mühen schwerer Jahre ließen mich dies Versprechen scheinbar vergessen . Ein einziges Mal bald nach meinem Anlauf meldete ich dem Freunde , wie es mir in der Ferne gehe , und bald kam ein ausführliches Antwortschreiben zurück , das neben manchem lustig klingenden Schwank viel Trauriges enthielt . Mir fehlte es an Zeit und Stimmung , darauf zu antworten , und so erfuhr ich auch nichts mehr von dem aufopfernden Freunde . Nur die Hälfte des Messingkreuzes , das wir beim Abschiede theilten , damit es uns als Erkennungszeichen dienen möge am Tage der Noth oder des Glücks , bewahrte ich sorgfältig auf . Der Brief des Maulwurffängers enthielt die andere Hälfte und eben dies zeigt mir an , daß er mir Eröffnungen von außerordentlicher Wichtigkeit zu machen hat . « » Habt Ihr ihm denn unsere Ankunft gemeldet ? « » Wie hätte ich dies vermocht ! Auch bedarf es dessen nicht ! Ich kenne den Muth und die Ausdauer Heinrichs , der nicht müde werden würde , täglich nach mir auszuschauen und die Hoffnung erst mit dem letzten Athemzuge aufzugeben . Ist er , wie der Wirth versichert , wirklich noch am Leben , so finden wir uns irgendwo zusammen , um uns fernerweit zu berathen . « » Nun dann , Großvater , laßt uns freudig Vertrauen fassen , « sagte Paul . » Unangefochten haben wir den alten theuren Vaterlandsboden betreten , sind herzlich begrüßt worden von diesem Fremden und wissen sogar die Wege , die wir gehen sollen . Weßhalb da noch zagen und fürchten ! Laß uns gemeinschaftlich den Allmächtigen anrufen und auf unsern Knien ihn um Erhörung bitten . Er wird dann die milden Schatten des Schlummers über unsere Augen breiten und die trüben Erinnerungen in unsern Seelen auslöschen , bis das Licht des neuen Tages uns weckt . « Die ungeheuchelte natürliche Frömmigkeit des Enkels rührte den Greis und gab ihm wirklich ein Vertrauen , das eigener Wille nicht mehr lebendig machen konnte . » Amen ! Amen ! « versetzte er . » Du sprichst , wie rechtgläubige Christen handeln sollten . Komm denn und laß uns beten ! « Und der Greis kniete auf sein Strohlager , streckte die Arme nach seinem jungen Enkel aus und schloß ihn fest an seine Brust . Paul aber begann mit bewegter , halblauter Stimme eines jener langen , aus einer Menge Bibelsprüche und Liederversen zusammengesetzten Gebete , worauf die Landleute besonders viel halten , herzusagen . Andächtig und gemessen wiederholte der Greis jeden Satz , und wer diese beiden in hoffnungreiches Gebet tief Versunkenen so treuherzig und kindlich gläubig einander umschlingen gesehen hätte , der würde nicht ungerührt vorüber gegangen sein und , wäre er ein Verächter des Glaubens gewesen , vielleicht mit dem Seufzer des Zöllners an seine Brust geschlagen haben . Wohl eine Viertelstunde beteten Großvater und Enkel . Dann küßte Paul die faltige Stirn des Greises und Beide legten sich wieder auf die harte , prunklose Streu . Noch hörten sie eine Zeitlang das raschelnde Brüseln des feinen Regens an den Fensterscheiben , zählten die Tropfen , die in gemessenen Pausen durch eine schadhafte Stelle des Daches über ihnen auf einen metallenen Gegenstand fielen , und versanken dann unmerklich in einen erquickenden traumlosen Schlummer , aus dem sie erst durch das Knarren der Thür wieder erweckt wurden , welche zur Kammer des Wirthes führte . Drittes Kapitel . Der Todtenstein . Ein kühler Nordwestwind hatte über Nacht die Regenwolken zerstreut und die rein und klar aufgehende Sonne verhieß einen schönen Tag . Mit freundlichem » guten Morgen ! « grüßte der Wirth seine Gäste , die schnell aufstanden und die Strohhälmchen , welche an Haaren und Kleidern hängen geblieben waren , abschüttelten . » Ihr habt eine ruhige Nacht gehabt unter meinem Dache , will ich hoffen ? « sprach der Wirth , klappte den Deckel des Ofentopfes auf und fuhr mit beiden Händen in das noch laue Wasser . » Schönes Reisewetter heut und gute Haidewege ! So ein anhaltender Nachtregen ist der beste Wegausbesserer . Ihr findet harten Sand bis an die bergigen Lande hin . « Ohne die Antwort der Reisenden abzuwarten , schlug er den kupfernen Deckel jetzt drei Mal laut schallend zu , worauf die hübsche Magd vom vorigen Abend den Kopf zur Thür hereinsteckte und nach seinem Begehr fragte . » Zünde Feuer an , Lene ! « befahl der Wirth , » Der Morgen ist schaurig , und ehe die Sonne über die Haide geht , fegt uns der Wind die ganze Stube aus . Du kannst auch ein Kienfeuerchen anmachen der Heimlichkeit wegen und hörst Du , sag' dem Knecht , er solle das faule Judenpack wecken und ihm die Pferde unserer Nachtgäste anschirren helfen ! Ihr wollt doch bei Zeiten aufbrechen , « fuhr er , zu dem Greise gewandt , fort , » oder habt Ihr Euch anders besonnen ? « » Mein Beschluß steht fest . Sobald der Fuhrmann gefüttert hat , brechen wir auf . « » Doch zuvor eßt Ihr noch ein paar Löffel frische Grützsuppe . Die Lene versteht sich auf die Kocherei , wie selten eine Dirne . Euer Lebtage , sag' ich Euch , habt Ihr in Polen keine solche Grützsuppe gegessen , wie ich sie Euch vorsetzen werde . « Dankbar nahmen die Reisenden diesen Vorschlag an und gaben gern schon dem freundlichen Wirthe zu Gefallen zu , daß die genannte Morgenspeise untadelig und überaus vortrefflich sei . Nach diesem derben kräftigen Frühstück berichtigte der Greis die billige Zeche und verabschiedete sich von dem Schenkhalter . » Habt Dank , « sprach er , » für Quartier , Kost und gute Auskunft , die Ihr mir gegeben . Der Herr vergelt's Euch tausend Mal , und sollten wir uns einmal wieder zusammenfinden , will's Gott , so möge unser Wiedersehen ein recht fröhliches sein . Behüt' Euch Gott ! « » Reis't glücklich , alter Vater , und macht gute Verrichtung ! Aber sagt , wollt Ihr mich so fremd wieder verlassen , als Ihr in mein armes Haus getreten seid ? Es ist Sitte bei uns , daß ein Nachtgast seinen Namen zurückläßt . Also , wie nennt Ihr Euch ? « » Jan Sloboda , « versetzte der Greis . » Der Name erlöscht mit meinem Tode , da ich keine männlichen Nachkommen habe . « » Gottes Segen auf Euer Haupt , Jan Sloboda ! « rief der Wirth , schüttelte dem Alten wiederholt die Hand und half ihm in das zerbrechliche Fuhrwerk steigen , das bereits vor der Thür auf die Reisenden wartete . Der schmächtige jüdische Knabe sprang auf den Wagentrim der Kutscher pfiff den Pferden und in munter Trabe ging es fort an dem Wiesenrande hin in die rauschende , harzduftige Haide hinein . Der sandige , vom Nachtregen festgeschlagen Weg führte dicht an den großen Teichen von über , die alle nur durch schmale Dämme getrennt waren und mittelst Schleußen mit einander in Verbindung standen . Zusammen bildete sie eine ansehnliche Wasserfläche , die auf alle Seiten von der dichtesten Haide umschlossen ward . Ein paar Vorwerke , Torfhütten und ein Forsthaus lagen in der Nähe auf ausgerodetem Haideboden . Der Fahrweg streifte fast die Försterwohnung , bog alsdann wieder in die Kieferwaldung ein und verlor sich im Dunkel der hohen , rauschenden Stämme . Die Reisenden brauchten ein paar Stunden , um diese Wälder in querer Richtung zu durchschneiden , und sie würden auf diesem einförmigen Wege lange Weile gehabt haben , wären sie nicht von Zeit zu Zeit an Köhlerwohnungen und Pechsiedereien vorübergekommen , um die es immer ein buntes Gewimmel von Menschen gab . Auf freien , hochgelegenen Plätzen im Walde , über die sich die Straße zog , sahen die Reisenden auch über dem unabsehbaren schwarzen Dickicht die blauen Rauchsäulen der Meiler an hundert Orten zugleich in die kühle Morgenluft steigen . Mit dem Aufhören der Haide nahm die Gegend sogleich einen andern Charakter an . Thäler , Hügel , Berge und Felsgruppen traten zu romantischen Aus-und Ansichten zusammen . Klare , lebendige Bäche hüpften murmelnd über Kies und schimmerndes Gestein . Heitere Dörfer zogen sich in Thälern und an Hügeln hin . Kirchthürme blinkten im Sonnenschein und die hohen Giebel und alten Thurmzinnen manchen Edelhofes sahen aus ehrwürdigem Ulmen- und Eichengebüsch hervor . Das Geläut der Glocken , die zur Kirche riefen , ertönte auf allen Seiten , und berührten die Reisenden ein Dorf , so begegneten sie häufig geschmückten Mädchen und Frauen , die wohl dem ungewohnten Fuhrwerk verwundert nachsahen . Obwohl der Jude seine Pferde tüchtig antrieb , war die Mittagsstunde doch schon vorüber , als das am Fuß seiner romantischen Gebirge prächtig gelegene Königshain den Reisenden sichtbar ward . Paul konnte sich nicht satt sehen an den vielen wechselnden Fernsichten und den sonderbar gestalteten Gipfeln der Berge , die kühn und phantastisch hinter dem im Thale liegenden volkreichen Orte emporstiegen . Hätte Sloboda ihn nicht belehrt , daß er nur uralte Felsgebilde vor sich habe , so würde der schaulustige Jüngling mit Zinnen und Wartthürmen geschmückte ungeheure Burgtrümmer aus dem Mittelalter zu erblicken geglaubt haben . Von einer Menge gaffender Kinder umgeben , erreichte das polnische Fuhrwerk den Gasthof . Hier beschloß der Greis bis auf Weiteres zu rasten , ließ ein Mittagsmahl auftragen und erkundigte sich , gleich einem Fremden , nach den Sehenswürdigkeiten der Gegend und namentlich nach den umliegenden merkwürdigen Felsbergen . Der Wirth war sogleich bereit , jede möglich Auskunft zu geben . Er hielt die Reisenden für Russen schon wegen der ungewohnten Tracht des Greises und pries ihnen die wundervolle Aussicht auf den nahen Bergen , namentlich auf dem Todtensteine , mit beredter Zunge an . » Den Todtenstein , ja , den müssen Sie sehen , meine Herrschaften , « sagte er , auf einem Schemel neben den Reisenden Platz nehmend und behaglich seine Pfeife rauchend . » Das ist ein Felsen , wie es keinen mehr gibt in deutschen Landen ! Die Gelehrten aus Görlitz und Dresden und andern berühmten Städten kommen blos hieher , um die alten Steine zu beschauen , und ich habe von den gelahrten Herren manch wundersames Wort vernommen , wenn sie nachher mit einander bei einem Glase Bier hier an demselbigen Tische über das Gesehene und Gefundene discurirten . Sie müssen nämlich wissen , meine Herrschaften , daß hier herum und weit ins Land hinein , sogar bis hinauf in die Gebirge vor alten Zeiten dumme und blinde Heiden gewohnt haben , von denen die Wenden nach Löbau zu und weiterhin noch ein Ueberrest sind . In meiner Jugend gab 's auch ganz in der Nähe noch einzelne wendische Bauern , jetzt aber sind sie schon seit Jahren theils ausgestorben , theils weggezogen . Es hieß , sie hätten sich nicht mit den Deutschen vertragen können , was leicht sein kann , denn es ist ein hartköpfiges , abergläubisches Volk , das eine Sprache redet , wie sie kein Hund bellt ! – Aber , was ich sagen wollte , die Herren Gelehrten und Bücherschreiber haben es richtig herausgebracht , daß diese alten Heiden auf dem Todtensteine ihre götzendienerischen Opfer gehalten , ihre Feinde geschlachtet und sie nachher mit Stumpf und Stiel verbrannt haben . Denn grausam , ach grausam war das Volk ganz abscheulich ! Letzthin erst , es sind noch keine vier Wochen her , haben ein paar Gelehrte , die über acht Tage lang in den alten Klüften herumgekrochen sind und alle Spalten visitirt und genau beguckt haben , eiserne Ringe gefunden und Kettenglieder und einen steinernen Schlägel , den sie ein Opferbeil nannten , und Blutkrüge und Schüsseln und mehr solch Zeug , was Alles die wendischen Götzenpriester bei ihren Opferfesten brauchten . Deswegen , meine Herrschaften , weil entsetzlich viel Blut da oben vergossen worden ist , heißt der Fels auch bis auf den heutigen Tag der Todtenstein ! « Nach diesen Bemerkungen , die Sloboda dankend hinnahm , erbot er sich , da es gerade Sonntag sei und er weiter nichts zu thun habe , die Reisenden , wenn sie es wünschen sollten , zu begleiten . Damit war aber dem Greise nicht gedient , weshalb er für diese Gefälligkeit dankte unter dem Vorwande , daß er schwerlich schon heut dazu kommen werde , die umliegenden Berge zu besteigen , indem wichtige Geschäfte seine Zeit in Anspruch nähmen , an einem der nächsten Tage dagegen würde es ihm sehr angenehm sein , wenn er ihm einen der Gegend kundigen Führer verschaffen wolle . Der Wirth stand sogleich von seinem Vorhaben ab , da er auf ein längeres Verweilen der Reisenden hoffen durfte , und Sloboda konnte sich nach einiger Zeit in Pauls Begleitung unbemerkt entfernen . Auf Stegen , die ihm noch wohl bekannt waren , führte Sloboda seinen Enkel aus dem Dorfe . Ein vielspuriger Feldweg zog sich den Berg hinan , dessen Gipfel die hohe und breite Steinmasse der granitenen Burg schmückte . Links und rechts war der Berg eine gute Strecke hinauf bebaut , bis Steingeröll , Schlinggewächse und Schwarzholz das fruchttragende Erdreich verdrängten . Etwa einen Büchsenschuß von dem Todtensteine entfernt hörte der eigentliche Weg auf . An dieser Stelle übersah man das reich angebaute Land mit seinen Dörfern , Schlössern und Kirchen bis weit in die Lausitz hinein . Sloboda blieb stehen und kehrte sich um . Eine Thräne rieselte über seine gefurchten Wangen , und indem er Pauls Hand ergriff und auf die sich kreuzenden Pfade deutete , deren eine Menge nach allen Seiten liefen , sprach er : » Das ist der Ort , wo das große Unglück begann ! « » Welches Unglück , Großvater ? « » Das mich vertrieb , mich flüchtig und heimathlos machte und Dich unter einem fremden Volke geboren werden ließ . « » Und das meine arme Mutter nie vergessen konnte ? « » Das sie nie vergessen durfte ! « wiederholte Sloboda mit dumpfem Zornesgrolle . » Ach warum habt Ihr so oft davon gesprochen und mir doch nie gesagt , worin es bestanden hat ! « » Weil es unnütz gewesen wäre ! Doch jetzt Paul , ist vielleicht die Zeit gekommen , wo Du erfahren mußt , was Deine Mutter , Dein Vater , was ich und alle Diejenigen erduldet haben , die vor vierzig und mehr Jahren in diesen gesegneten Fluren lebten ! Darum laß uns eilen ! Dort oben unter den drohenden Granitklippen des Todtensteines wird sich das Räthsel lösen ! « Mit sonderbaren Gefühlen traten die beiden Reisenden in das gelichtete Holz einen schmalen Fußsteig hinanklimmend , der durch niedriges Gestrüpp , durch Wachholderbüsche und Brombeergesträuch grade nach dem Granitfelsen führte , dessen schwarzgraue Breitseite , von Immergrün , Epheu , wildem Wein und Hopfen malerisch umrankt , wie eine ungeheure Burgmauer grade vor ihnen lag . Hie und da wucherte in dürftigem Erdreich eine Kiefer auf dem Gestein und schlang ihre gekrümmten Wurzeln , gleich goldglänzenden Schlangen , um die vorspringenden Felsen . Der Anblick des Todtensteines war imposant und staunend starrte der junge Paul die zerrissenen , wohl achtzig Fuß hohen Wände an , um die jetzt pfeifend der Nordwestwind heulte . Sloboda aber ließ ihm keine Ruhe . Schneller , als man von dem Greise erwarten konnte , schritt er nach einer tiefen Kluft , die den riesigen Granitblock in zwei ungleiche Hälften zerschneidet und den Aufgang zur freien Höhe desselben bildet . Nicht fern von dieser kaum anderthalb Ellen breiten Schlucht sieht man schräg am Gestein eine sitzartige Vertiefung , welche das Volk den » Teufelssitz « nennt . Die Reisenden mochten etwa noch hundert Schritte von dem Felsen entfernt sein , als Sloboda ein Geräusch zu hören glaubte , wie wenn Jemand mit Eisen oder Stahl gegen einen Stein schlüge . » Was war das ? « fragte er mehr sich selbst als seinen neben ihm herschreitenden Enkel . » Ich glaube , es schlug sich Jemand in der Nähe Feuer an , « versetzte Paul und blieb horchend stehen . Indem wiederholte sich das Geräusch deutlich und die Horchenden konnten nicht mehr zweifeln , daß wirklich irgend wer mit Stahl und Feuerstein zu schaffen habe . » Paul , « rief Sloboda mit gepreßter , vor Freude und Erwartung zitternder Stimme , » das ist Niemand als Heinrich , mein Jugendfreund , der ehrliche Maulwurffänger vom Todten ! « Mit verdoppelter Eile kletterten sie nun über das von hohem Farrenkraut , Ginster und anderem Gesträuch wild bewachsene Steingeröll , erreichten die erwähnte Schlucht , in welcher hölzerne Stiegen zur Erleichterung des Hinaufklimmens eingekeilt waren , und erblickten jetzt den moosbewachsenen , von Epheu dachartig überwölbten Teufelssitz . Er war nicht leer , ein Mann hatte ihn eingenommen , der eben damit beschäftigt war , ein frisch angezündetes Stückchen Schwamm auf seine kurze Holzpfeife zu legen , die er mit bedächtigen Zügen tüchtig in Brand zu setzen suchte . Er war so ganz mit Seele und Auge dabei , daß er die Annäherung der Fremden nicht bemerkte . Viertes Kapitel . Der Maulwurffänger . Unschlüssig blieb Sloboda stehen und betrachtete den Rauchenden so gierig , als wolle er ihn mit seinen Blicken durchbohren . Der Mann am Teufelssitze war von untersetzter Statur , stämmig und von breitem Schulterbau . Sein Gesicht ähnelte einem Europäer nur wenig , so dunkelbraun hatten es Sonne und Wetter gefärbt . Wie alle Landleute dieser Gegend trug er keinen Bart . Ein schmales , spitz zulaufendes Kinn , ein kleiner Mund und eine keckgebogene stolze Adlernase , über der sich trotzig eine stark gewölbte , etwas vorspringende Stirn erhob , gaben ihm ein unternehmendes , furchtloses und ungemein listiges Ansehn . Ein offenbar viel getragener und nur bei alten Leuten noch üblicher dreieckiger Hut saß ihm etwas schief auf dem linken Ohr . Neben ihm an dem Felsen lehnte ein langer Stock von rothgebeiztem Schlehdorn , der keine andere Zierde , als ein schmales Lederbändchen am obern Ende trug , um es um die Hand zu schlingen . Als dieser Mann seine Pfeife gehörig in Brand gesetzt hatte , schlug er die Beine über einander und sah aufwärts nach dem Himmel , als wolle er das Wetter erproben . Dabei fiel sein Blick auf die Fremden , die kaum zwanzig Schritte von ihm an einem Felsblock lehnten . Dieser Blick war so merkwürdig , so charakteristisch , daß , wer nur ein Mal von ihm getroffen ward , ihn nie wieder vergessen konnte . Wie ein silberner Funken glitt er aus einem krystallklaren , hellgrauen Auge , in dem ein unbeschreibliches Gemisch von Gutmüthigkeit und Schalkheit , von Humor und Ernst , von Stolz und Demuth lag . Starke und struppige eisgraue Augenbrauen verliehen diesem wunderbarem Auge noch mehr Charakter , während das lang gewachsene Haupthaar , das ein schwarzer Hornkamm am Hinterkopf zusammenhielt , zu scheuer Ehrfurcht aufforderte . Jan Sloboda , « sagte er nach kurzem Zögern , » wenn es nicht Dein Geist ist , der hier umgeht , so tritt näher , denn bei der heiligen Gottesmutter , ich sehe Dich vor mir , wie ehedem in vergangenen Tagen ! « » Du irrst Dich nicht , Heinrich , ich bin Jan Sloboda ! « rief der Wende und warf sich dem Jugendfreunde gerührt an die Brust . Der Maulwurffänger , nicht gewohnt , seine Gefühle rücksichtslos zu offenbaren , erwiederte die Umarmung des alten Freundes herzlich , aber weniger stürmisch , als der heftig ergriffene Greis . Er stand auf und ohne langes Hin- und Herreden Pauls Hand ergreifend , der dieser Begrüßung stumm zugesehen hatte , zog er Beide mit sich fort nach einem Ueberhange , unter dem sich eine breite Moosbank , geschützt gegen den Luftzug , befand . » Hier setzt Euch , Großvater und Enkel , « sprach er heiter lächelnd , » denn daß der schlanke Junge Dich etwas angeht , das ist ihm auf die breite Stirn geschrieben . Also niedergesetzt und dann erzählt , ruhig , ohne Sprung und Leidenschaft ! Hat mein Brief Dich gefunden ? « » Ihm verdanke ich es , daß ich Dich noch ein Mal wiedersehe , daß ich nach vierzig Jahren Deine Hand nochmals in der meinigen fühle , Dich wieder sprechen höre ! « » Ja , « fiel der Maulwurffänger still lachend ein , » ein Erdfahrer wie ich , der mit allerhand schlechtem Gewürm frühzeitig Bekanntschaft macht , wird bei Zeiten klug und hart gegen weltliches Ungemach und menschliche Tücken . Noch fühle ich mich kräftig , wie vor vierzig Jahren , und wenn's mir nachgeht und meinem Willen , so höre ich unter zwanzig Jahren nicht auf , die feinöhrige Brut in ihren Schatzgräbereien zu stören . Aber weißt Du , daß mir bange war vor Dir , Alter ? Der hat lange in's Gras gebissen , dacht' ich , als ich mich hinsetzte und mühselig die paar Zeilen kritzelte . Denn ich rechnete so : entweder er ist vor Kurzem gestorben oder Polen und Russen haben ihn gemeinschaftlich massacrirt . Daß Du trotz dem am Leben bist und obendrein gesund und hier , hier an dem alten Götzensteine , das freut mich von Herzen , Jan ! Wie geht's Deinem Kinde ? « Sloboda zeigte gen Himmel . » Sehr wohl , Heinrich ! Sie ging heim , ehe die Revolution beendigt war . « Also auch schon dahin ! Nun , Alter , das thut nichts . Sie war grade kein apartes Glückskind trotz ihrer Lieblichkeit , und für ihre Jahre hat sie genug erdulden müssen . Aber wieder auf meinen Brief zu kommen : was dachtest Du denn dazu ? « » Ich bin hier und Du fragst noch ? « » Freilich , Jan ! Das Schäkern und Necken hab' ich noch immer nicht verlernt . Verdammt ! Da ist mir richtig mein Kraut wieder ausgegangen ! « Und – pink ! pink ! – schlug Heinrich aufs Neue Feuer an und setzte sein Gespräch gemüthlich fort . » Was veranlaßte Dich zu diesem räthselhaften Briefe ? « » Ein glücklicher Zufall , ein Wunder , wenn Du willst ! Du kennst mein Gewerbe , dem ich von Jugend auf mit Lust und Liebe zugethan war , das mich leidlich nährte und mir die Bekanntschaft vieler bald guter bald böser Menschen verschaffte . Ich hab 's fortgetrieben bis heut , ohne die Lust dran zu verlieren , obschon in neuester Zeit wenig mehr dabei zu verdienen ist , weil die meisten Grundbesitzer sich einbilden , das Maulwurffangen sei keine Kunst , und nun , was ich mit der elastischen Schlinge zierlich und leise bewerkstellige , sie mit plumper Hand mittelst spitzer Fangeisen zu erreichen suchen . Freilich läuft ihnen manchmal eine der blinden Bestien in die grob gelegte Falle , aber ich sage Dir , ein solch gefangenes Thierchen sieht sich nicht mehr ähnlich . Die Stacheln zerfleischen ihm den sammetweichen schwarzen Spenser , den ihnen unser Herrgott angezogen und der mir manchen Speciesthaler eingetragen hat . Na , sei 's wie 's sei , ich mache doch noch immer meine Wege , senke meine schlank gebogenen Schlingen in die Erde und habe meine Freude daran , wenn früh und Abends die frischen Wippen mit meinen Gefangenen wie schwarze Fähnchen über den grün schillernden Saaten aufgerichtet stehen . « » Nach Deiner Auswanderung that mir Niemand etwas zu Leide , « fuhr er fort , » obwohl Mancher heimlich Lust dazu haben mochte . Sie trauten sich nicht an mich , weil sie mich fürchteten und auch nichts Sicheres gegen mich aufbringen konnten . So blieb ich denn völlig ungestört wer ich war , und fing Jahr aus und Jahr ein meine Maulwürfe . Der Edelhof an der Haidenkante , wo damals unser blauhutener Junker hauste , war nach wie vor ein häufiger Aufenthaltsort für mich . Seine Aecker , Wiesen und Ländereien standen unter meinem Messer und ich habe manch tausend Nasenwürfel auf die künstlich gegrabenenen Mördergruben gelegt , aus denen meine Springeisen die fleißigen Arbeiter in die Luft schleuderten . Sieh da begab sich 's in diesem Frühjahr , daß ich auf dem großen Flachsfelde dicht hinter dem Herrenhause eine Falle stellen will , just neben einem hohen frisch aufgeworfenen Maulwurfshaufen . Um Raum zu gewinnen , stoß' ich mit dem Fuße den Erdaufwurf um und ein zusammengerolltes Papier kommt zum Vorschein . Das wundert mich , denn es war mir dergleichen noch nicht begegnet . Sind denn die Maulwürfe Schriftgelehrte geworden , denk' ich , und hebe das Röllchen auf , das ganz sauber in ein wachstuchenes Läppchen eingeschlagen ist . Als ich 's aufwickle , war 's nicht mehr und nicht weniger als ein Bogen gestempeltes Papier , auf einer Seite halb beschrieben , und was mir auffiel , unter der Schrift stand in mir wohlbekannten Zügen der ganze Name unsers saubern Zeisigs von Grafen . Wohl bekomm' ihm das ewige Leben , er ist schon lange todt ! Das machte mich natürlich neugierig und so fange ich denn an zu lesen , lese ein , zwei , drei Mal und glaube immer noch zu träumen , denn ich hatte nichts anderes in Händen , als eine vollkommen giltige , rechtskräftig untersiegelte Verschreibung vom Grafen Blauhut für Röschen – « » Für Röschen ! « unterbrach ihn Sloboda . » Das ist unmöglich , Du hast Dich getäuscht ! Röschen hat nie eine Sylbe davon gesagt ! « » Leider wahr ! Sie hat nie davon gesprochen , daß ich es wüßte , dennoch aber , Freund Jan , ist die Verschreibung da und ich habe sie daheim wohl verschlossen in meiner Lade . « » Es muß ein Irrthum sein , Heinrich ! Wie hätte sich auch das Papier so lange halten können und wie konnte es in den Maulwurfshaufen kommen ? « Heinrich lachte . » Das ist eben das spaßhafte Wunder dabei , « versetzte er . » Unser Herrgott weiß immer Mittel und Wege zu finden , wenn ihm etwas daran gelegen ist , altes furchtbares Unrecht auszugleichen und frühere Missethaten zu bestrafen ! « » Und was stand in dem Stempelpapiere , das Du eine Verschreibung nennst ? « Darin steht , daß Röschen Sloboda , falls sie lebendige Nachkommen hinterläßt , zu Gunsten dieser Kinder nach des Grafen Tode Anspruch haben soll auf den fünften Theil seiner Güter ! Noch mehr ! Das Schreiben führt namentlich die Besitzungen auf , welche ihr von Rechtswegen zufallen sollen , und unter diesen den schon erwähnten Edelhof nebst dem Vorwerke , die großen Fischteiche und die ganze moorige Haidestrecke , die sie links und rechts umgibt . Das und noch mehr kannst Du mit eigenen Augen lesen , wenn Du zu mir kommst ! « » Und aus diesem Grunde allein hieltest Du es für nöthig , mich alten Mann über hundert Meilen hieher zu rufen ? « fragte mit betrübter Stimme und äußerst niedergeschlagener Miene der alte Wende . » Ich glaube gar , « erwiederte Heinrich , indem er die schon wieder erloschene Pfeife durch neuen Schwamm in Brand setzte , » ich glaube gar , Du willst mir Vorwürfe machen , daß ich Dich aus Deinem halbwilden Schlupfwinkel unter vernünftige Menschen gebracht habe ? Rechne doch nur zusammen , was Dir und Deinen Nachkommen dieser Fund nützen kann ! Der Graf ist freilich todt , an ihn können wir uns nicht mehr wenden , aber seine drei Söhne leben und besitzen , was in Folge schlechter und lüderlicher Wirthschaft von den großen Gütern ihrer Vorfahren aus dem allgemeinen Untergang zu retten war . Zwei sind im Auslande , der Aelteste blieb in seiner Heimath . An ihn wenden wir uns . Die Jugendstreiche seines grausamen Vaters sind noch nicht vergessen im Volke . Der Vater erzählt sie dem Sohne , der Sohn dem Enkel , wenn sie den Kindern ein Bild schwerer Zeiten , kummer- und thränenreicher Tage entwerfen wollen . Er hat oft davon hören müssen und es kann und wird ihn nicht überraschen , wenn die Folgen von seines Vaters Schandthaten jetzt an seine Thür klopfen und um Recht bitten . Ich weiß , daß er hochmüthig drein schauen wird , denn er ist von Gemüth nicht viel besser als sein Herr Vater . Er wird die Aechtheit des Papieres läugnen und Dich anfangs abweisen . Später , wenn Du mit gerichtlicher Verfolgung drohst , wird er sich geschmeidiger zeigen und das Ende nach mancherlei Winkelzügen wird sein , daß er Dir eine anständige Geldsumme zahlt , dem Scheine nach , um Dich abzufinden , eigentlich aber um Dein Schweigen damit zu erlaufen . Diese aber wird Dir und Deinem Enkel vortrefflich zu statten kommen . « » Du vergißt , alter , ehrlicher Freund , daß jene Nachkommen , deren die Schrift Erwähnung thut , gar nicht vorhanden sind . « Der Maulwurffänger sah den Wenden mit seinen hellgrauen funkelnden Augen so schlau an , daß Sloboda ganz verwirrt ward . » Diese Nachkommenschaft will ich aus ihrem Grabe erwecken , « sagte er düster und mit einem Blick , in dem ein Gemisch triumphirender Lust , Bosheit und Rachsucht funkelte . » Frage mich nicht , alter Freund , was ich damit sagen will , Du sollst es später erfahren ! Erinnere Dich nur noch der schauerlichen Hochzeitsnacht , des Herbsttages , der Streu in der Haide – « » O ich erinnere mich ! « rief Sloboda aus , sein Gesicht mit beiden Händen bedeckend , als wolle er die Erscheinung eines erschütternden Bildes , das in grausiger Beleuchtung vor ihm aufstieg , von sich abwenden . » Aber sie kam um – ward umgebracht – mit Gewalt , mit Absicht – ich darf nicht daran denken ! « » So heißt es , Jan , und möglich , daß es so ist , den noch verspreche ich Dir , die Schatten der Todten aus ihren unbekannten Gräbern aufsteigen und sie Zeugniß ablegen zu lassen ! Ich will nicht umsonst gelebt haben , nicht umsonst ruhelos Berge und Haide durchwandert sein zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ! Für Dich oder für die allgemeine Gerechtigkeit lebte , forschte , arbeitete ich . Nicht der kleinste Umstand ging meinem scharfen Auge , meinem sich nie trügenden Gedächtniß verloren . Ich habe Alles aufgezeichnet und aus längst vergangenen und verschollenen Begebenheiten ein Netz geschürzt , das Niemand ahnt , am wenigsten Deine Feinde . Du konntest das nicht wissen , was zu meiner Kenntniß gelangte . Deine Flucht hinderte Dich daran . Ich aber sammelte und würde meine Sammlung schon längst benutzt haben , wäre die Zeit günstig dazu gewesen . Jetzt ist der glückliche Augenblick endlich gekommen und nun soll der große Prozeß der Unterdrückten , Gepeinigten , Geknechteten gegen ihre Unterdrücker und Peiniger beginnen und ich verlange von Dir weiter nichts , als daß Du zuerst Deine Stimme als Kläger erhebst ! « Obwohl Sloboda kaum eine Ahnung von dem Vorhaben des Maulwurffängers hatte , setzte er doch ein so unbedingtes Vertrauen in die Redlichkeit dieses seltenen , eigenthümlichen Charakters , daß er ohne Zaudern seine Einwilligung dazu gab und als Kläger aufzutreten erklärte . » Top , es gilt ! « sagte Heinrich mit jenem schlauen und gutmüthigen Lächeln , das stets über seine braunen Züge lief , wenn er einen weislich entworfenen Plan seinem Gelingen sich nähern sah . » Ehe wir jedoch die Feindseligkeiten eröffnen , will ich mit meinem Bruder , dem Schulmeister , Rücksprache nehmen . Bei all seinen oft beschränkten Ansichten hat er doch einen praktischen Blick und hinlängliche Rechtskenntnisse , um in den vertrackten Formeln nicht zu verstoßen . Auch kann er gut schreiben , weshalb er die ganze Unglücksgeschichte bis in alle kleinsten Einzelnheiten zu Papiere gebracht hat . Solche Schriften sind gute Gedächtnißaufhelfer , und wenn mir irgend etwas nicht mehr ganz deutlich vor der Seele steht , so werfe ich einen Blick in die Schreiberei und frische die erbleichenden Farben wieder auf . « Sloboda , von dem Gehörten ganz betäubt , schüttelte mehrmals den Kopf , als könne und dürfe er nicht daran glauben . Nach einer Weile fragte er lebhaft : » Wie ist Nathanael gestorben ? Ich habe oft in der Fremde sein Schicksal beklagt , obwohl er glücklicher war als ich ! « » Er starb den Tod der Armen , « versetzte Heinrich . » Fasse Dich nur in Geduld , Du sollst über Nichts in Zweifel gelassen werden und Alles soll beitragen , Deine Feinde , die immer auch die meinigen sein werden , zu demüthigen , wo möglich zu stürzen , Dich aber zu erhöhen . « » Ich verlange nicht darnach , Freund , ich will mich glücklich schätzen und dem Vater im Himmel danken , wenn ich in nicht gar langer Zeit ruhig und glaubensvoll sterben und dann sagen kann : Gott Lob , Deine Gnade hat sich wunderbar an mir und den Meinigen offenbart ! « » Das ist , nimm mir 's nicht übel , Jan , ein Bischen wendisch gesprochen ! Die göttliche Gnade mag eine ganz hübsche Einrichtung sein , zu der wir in schlimmen Stunden Alle unsere Zuflucht nehmen können , allein mein Kopf- und Ruhekissen will ich mir nicht damit ausstopfen lassen . Ein Stück redlicher Wille und geistige Kraft reichen schon eine Weile aus und befriedigen mehr als die liebe Gnade , und überdies taugt es in dieser verdorbenen Welt oft gar nichts , wenn man allzu häufig von ihr Gebrauch machen will . Ich halt 's in diesem wie in manchem andern Punkte mit meinen Landsleuten , den Bauern , die immer und immer , wenn ihnen der Pfarrer hundert erquickliche Predigten von Vergeben und Hinhalten des andern Backen vorgesagt hat , auf die einfachen und vernünftigen Worte zurückkommen : So denke ich eben auch , Herr Pfarrer , aber ich will justement mein Recht und sollte mich 's den letzten Groschen kosten ! – Diese Bauernregel , Freund Jan , ist ein Satz voll Weltweisheit , den Niemand vergessen sollte , am wenigsten der Arme , der Gedrückte . Erst wenn jeder Arme unablässig nach dem Rechte schreit und Blut und Gut , so viel er eben davon hat , willig dafür hingibt , erst dann wird es besser werden mit dem Volke . In meinen Gedanken stelle ich mir unter dieser Zeit der allgemeinen Rechtsherrschaft das vor , was die Gottesgelehrten das tausendjährige Reich nennen . « Während Heinrich wieder Feuer anschlug , fuhr er fort : » Bisher , Alter , habe ich von dem gesprochen , was sich hier zugetragen hat , jetzt , dächte ich , wär' es Zeit , daß Du auch mir Dies und Jenes von Deinen Erlebnissen mittheiltest . Ich sehe , daß Röschen Dich zum Großvater gemacht hat , denn der Page da hat die ganzen Augen der Mutter . « » Paul ist mein Enkel , Du hast es errathen , der einzige noch übrige Sprößling meines unglücklichen Kindes ! – Lieber Gott , was soll ich viel von meinem Leben voll Arbeit , Mühseligkeit und Drangsal sprechen ! – Als ich mit den Meinigen nach jenem entsetzlichen Ereignisse die Flucht ergriff , nahm ich den niederschmetternden Eindruck des Erlebten mit mir in die Fremde . Froh und heiter ward ich nur auf Stunden . Es gelang mir , durch große Sparsamkeit und unermüdliches Arbeiten nach Jahren etwas vor mich zu bringen , wobei meine Tochter mit ihrem Manne mich redlich unterstützte . Röschen gebar ihrem Gatten drei Söhne , wovon Paul der jüngste ist . Sie wuchsen zu unser Aller Freude kräftig auf und ihre Aeltern glaubten , daß vor dem dereinstigen Glück dieser Kinder ihr eigenes Unglück endlich ganz in den Hintergrund treten werde . Obwohl die Aeltern es wünschten , daß sich die um Vieles älteren Brüder Pauls vortheilhaft verheirathen möchten , blieben sie doch ledig , zu unserm Glück , muß ich sagen nach dem , was später sich ereignete . Ich übergehe die kleinen Erlebnisse im Hause , da sie von keiner Wichtigkeit sind . Unser Umgang war so beschränkt , daß wir eigentlich nur unter uns allein lebten und einen kleinen Staat für uns bildeten . Wir waren den Umständen nach zufrieden , denn was wir besaßen , darüber konnten wir nach Belieben verfügen . Es gab keinen Herrn , der uns plagen und schinden durfte , obwohl wir nur zu oft dies Schauspiel bei den armen verdummten Bauern traurigen Blickes mit ansehen mußten . – Da brach die Revolution aus und gestaltete das ganze Land um . Alles , was Waffen tragen konnte , mußte freiwillig oder gezwungen unter die Reihen der Vaterlandsvertheidiger eilen . Auch Pauls ältere Brüder theilten mit tausend Andern das nämliche Schicksal . Sie schlossen sich den gefürchteten Sensenmännern an , und obwohl sie mit ihren Herzen nicht Polen waren , muß ich ihnen doch das Zeugniß geben , daß sie rühmlich und heldenmüthig ihr zweites Vaterland gegen die hereinbrechenden russischen Heere vertheidigten . Bei Ostrolenka fiel der Aelteste , mit Wunden bedeckt kehrte sein Bruder zu uns zurück , um uns die Trauerkunde zu überbringen . Die Mutter warfen Schreck , Kummer , Verzweiflung aufs Krankenlager . Nach kurzer Rast verließ uns der kaum von seinen Wunden Genesene abermals , diesmal in Begleitung seines Vaters . Es galt die Vertheidigung der Hauptstadt , zu der auch ältere Männer dringend aufgerufen wurden . Vater und Sohn schieden mit stummem Händedruck von meiner weinenden Tochter und von Paul , der allein mit mir und zwei jüdischen Dienstboten bei der Kranken zurückblieb . Ich habe die Scheidenden nicht wiedergesehen . Russische Kartätschenkugeln zerrissen Beide in einem Augenblicke auf den Schanzen von Wola ! Dieser neuen Todesbotschaft erlag auch Röschen . Sie ruht , von Immergrün umrankt , in den polnischen Wäldern ! Ich gedachte bald neben sie gebettet zu werden , als Dein Brief das erlöschende Licht meines Lebens von Neuem anfachte und mich um Kraft zu dieser schweren , gefahr- und mühevollen Reise zu Gott bitten ließ . – Ehe ich aufbrach , verkaufte ich mein Besitzthum an einen vornehmen Russen , dem ich das Leben gerettet hatte und der aus Dankbarkeit dafür nicht wissen wollte , daß zwei meiner Enkel gegen ihn gekämpft hatten . Er verschaffte mir zugleich die nöthigen Papiere , um nicht an den Grenzen als Flüchtling aufgegriffen und zur Strafe nach Sibirien transportirt zu werden . So kam ich denn glücklich nach Preußen , erreichte die heimischen Haiden und sah Dich wieder , den ich hundert Mal unter den Todten geglaubt und gesucht hatte !– « » Pink-Heinrich stirbt nicht so geschwind , « versetzte gutmüthig lachend der Maulwurffänger , sich selbst mit seinem immerwährenden Feueranschlagen persifflirend . » Aber das muß ich sagen , Jan , ein Glücksvogel bist Du grade nicht geworden , ausgenommen , daß Du selber dem gefräßigen Unthiere , das wir so bescheiden Tod nennen , entgangen bist . Freut mich nur , daß meine alten Augen wenigstens ein Stiftchen von dem lieben saubern Haideröschen sehen , in das ich mein Lebtage vernarrt gewesen bin . Gott gebe ihr eine sanfte Ruhe und Dir , ihrem Ebenbilde , eine fröhliche Zukunft ! « Der Maulwurffänger reichte bei diesen Worten dem Jünglinge seine braune , schwielige Hand , die Paul mit Herzlichkeit drückte . Nur unvollkommen mit den seltenen Schicksalen seiner Aeltern bekannt , vermochte er nicht ein Wort in das für ihn äußerst wichtige Gespräch der beiden alten Freunde zu streuen . Seiner gespannten Aufmerksamkeit entging keine Sylbe von Heinrich's freilich immer dunkler und geheimnißvoller sich gestaltenden Mittheilungen , aber er mußte ihm in natürlichem Rechtsgefühle vollkommen beistimmen und seine noch in undurchdringliche Schleier gehüllten Pläne durchaus billigen . Deshalb sagte er jetzt zu dem alten , graden Manne : » Ich danke Euch , Freund meiner verstorbenen Mutter und meines Großvaters , für den Eifer , womit Ihr Euch bereit erklärt , einer Angelegenheit Eure Kräfte und Geistesgaben zu widmen , von der ich gegenwärtig wenig mehr begreife , als daß dies Alles mir dereinst im Falle des Gelingens zu Gute kommen soll . Gibt es dabei eine Rolle , die meine Kräfte nicht übersteigt , so möchte ich Euch bitten , mir diese zu übertragen . Ich habe schweigen gelernt und mißbrauche kein mir geschenktes Vertrauen ! « » Brav gesprochen , mein Sohn ! Just so dachte und handelte auch Deine Mutter , das schöne , reizende Kind der braunen Haide ! – Doch genug für heut , ihr Lieben ! Ich merke , der Wind macht sich wieder auf und treibt ein Rudel Wolken vor sich her , die nicht das freundlichste Aussehen haben . Das Wichtigste wißt Ihr jetzt . Morgen , will's Gott , gehen wir unserm Ziele ein paar Schritte näher ! Wo habt Ihr Euer Quartier aufgeschlagen ? « » In der Königshainer Schenke bei einem Wirthe , der fürs Leben gern den Führer gemacht hätte ! « » Ha ha ha ! Ich kenne den Götzenleopold ! Was bei ihm einkehrt , muß sich auch seine gelehrten Bissen in Suppe und Kaffee brocken lassen . Immer laßt ihn reden , bleibt bei ihm heut Nacht und morgen bis Nachmittags , dann aber macht Euch auf mit Zug und Zeug und kommt in mein stilles Haus . Ich wohne in B ... , ein ganz natürlich gemalter Maulwurf , wie er grade aufstößt , zeigt Euch schon von weitem mein Haus an . Ihr trefft mich des Abends sicher , den Tag über muß ich herumstreichen , da ich verschiedene Geschäftsgänge zu besorgen habe . « » Gott behüte Dich ! « sprach Sloboda , dem Freunde zum Abschiede die Hand schüttelnd . » Er hat es wunderbar mit mir vor , seh' ich , und will mich nicht zu Schanden werden lassen zum Jubel meiner Feinde . Morgen Abend , wenn die Sonne zur Ruhe geht , wird Jan Sloboda mit seinem Enkel an Deine gastliche Thür klopfen . « » Wer da klopfet , dem wird aufgethan ! « citirte listig blinzelnd der Maulwurffänger , langte Stahl und Stein aus seiner Westentasche und verschwand , dem Steine häufige Funken entlockend , hinter dem bergenden Tannicht . Sloboda und Paul stiegen schweigend den Berg hinab nach Königshain , wo sie Götzen-Leopold den ganzen Abend hindurch mit Geschichten und Sagen vom Todten- und Hochsteine unterhielt , die dem alten Wenden größtentheils bekannt waren , den jugendlichen Paul aber höchlichst ergetzten . Fünftes Kapitel . Die Unterredung . Heinrichs Wohnung lag etwa eine Stunde hinter den Königshainer Bergen im Dorfe B ..... und bestand aus einem kleinen wohl eingerichteten und in baulichem Stande erhaltenen Häuschen . An Raum war darin kein Ueberfluß , dennoch konnte der Maulwurffänger im Nothfalle drei bis vier Gäste beherbergen , ohne dadurch zu sehr beschränkt zu werden , denn es stand und lag jedes Ding am rechten Orte . Heinrich hatte noch einen Hausgenossen , den früheren Besitzer der Wohnung , der sich nach dem Verkaufe derselben , wie dies in der Gegend uralter Brauch ist , das Gedinge ausgemacht hatte . Es war dies ein stiller , alter Mann von großer , fast übertriebener Frömmigkeit , die stark nach Herrnhuterei schmeckte . In der Jugend war er lange Soldat gewesen , hatte als sächsischer Dragoner tüchtig dreingeschlagen , bei einem Ueberfalle des Feindes aber das Unglück gehabt , daß er , um sicherem Tode zu entgehen , sich auf einen Thurm retten und , um auch hier nicht entdeckt zu werden , aus dem Fenster steigen und an dem blechernen Vorsprunge desselben mit beiden Händen so lange festgeklammert hängen mußte , bis er aus seiner fürchterlichen Lage befreit wurde . Schreck , Todesangst , übermenschliche Anstrengung und Dehnung aller Flechsen zogen ihm bald darauf eine Schwäche in den Armen zu , in Folge deren er einen ehrenvollen Abschied erhielt . In seine Heimath zurückgekehrt ging diese Schwäche in vollständige Lähmung über , so daß er beide Arme nicht mehr ordentlich brauchen konnte und sich auf Arbeiten legen mußte , die keine Anstrengung der Muskeln erforderten . Schlenker hütete in Heinrichs Abwesenheit das Haus gleich dem treuesten Kettenhunde , vertrieb sich die Zeit mit Lesen religiöser Bücher , namentlich solcher , die Missionsangelegenheiten behandelten und über die Ausbreitung des Christenthums in Asien und auf den Inseln des stillen und indischen Meeres ein Langes und Breites berichteten . Für solche Bücher gab er jährlich ein hübsches Sümmchen aus . War er aber des Lesens müde , so pappte er Düten von allen Größen , die er an die Landkrämer verkaufte , oder reinigte , säuberte und glättete die gegerbten Fellchen der Maulwürfe , welche Heinrich in freien Abendstunden auf mancherlei Weise zu verarbeiten und für sich einträglich zu machen wußte . Hinsichtlich ihrer religiösen Ueberzeugung waren diese beiden Hausgenossen niemals gleicher Meinung . Heinrich tadelte Schlenker's Hinneigung zum Pietismus und zu zeitraubendem Bitten und Beten , und Schlenker eiferte wieder über den argen Weltsinn seines Hauswirthes und über dessen sündlichen Hang , andern Leuten gelegentlich eine Nase zu drehen . Daß er ihn noch nie in der Kirche gesehen hatte , konnte er ihm vollends gar nicht vergeben . Dennoch aber war er ihm von Herzen gut und konnte Nächte lang in seinem hartgesessenen alten Lederstuhle auf ihn warten und sich die Augen müde lesen , wenn Heinrich , ohne ihn zuvor davon zu benachrichtigen , nicht nach Hause kam . Besser vertrug er sich mit Heinrichs Bruder , dem Schulmeister Gregor . Dieser war ein Verehrer des Wortglaubens , der nie über irgend eine religiöse Frage oder über einen tiefsinnigen vieldeutigen Spruch der Schrift Zweifel hegte . » Was geschrieben steht , das steht geschrieben , « war sein Grundsatz . Nach diesem brachte er den Kindern die Grundlehren des Christenthums bei und hatte seit einem halben Jahrhunderte beinahe ein paar Generationen zu gehorsamen Unterthanen und zufriedenen Staatsbürgern erzogen . Gregor theilte keineswegs die sehr revolutionären Ansichten seines Bruders , obwohl er dessen größere Geistesgaben willig anerkannte . Nur zuweilen , wenn Heinrich es ihm nach seiner Meinung zu arg trieb , erlaubte er sich , ihn zu ermahnen und sich als christlicher Schullehrer zu zeigen . In solchen , äußerst selten vorkommenden Fällen konnte Gregor sogar beredt werden , während er in der Regel bei aller Aufmerksamkeit , die er nahen und fernen Ereignissen , politischen und religiösen Bewegungen schenkte , doch stets so einsylbig blieb , daß er geradezu häufig albern erschien . Täglich kam dieses Kleeblatt bei sinkendem Abende zusammen , um sich über die Weltangelegenheiten zu unterhalten , deren Heinrich immer eine Menge von seinen Herumstreifereien mit heim brachte . Häufig geschah es dann , daß sowohl Schlenker als auch Gregor über die frivolen Anmerkungen des Maulwurffängers unwillig wurden und im Zorne die Stube verließen . Beide kehrten jedoch sogleich wieder um , der Schulmeister an der Hausthüre und der ehemalige Dragoner an der Stiege zur Kammer , um nochmals die Stubenthüre zu öffnen und dem schlau lächelnden Haberecht eine gute Nacht zu wünschen . Am Abende nach dem Zusammentreffen der alten Freunde am Todtensteine waren alle drei beinahe gleichaltrige Männer in Heinrichs Zimmer versammelt , das überall Spuren von der Beschäftigung seines Bewohners trug . Zu beiden Seiten eines schmalen und etwas trüben Spiegels , an dessen oberem Theile die Geschichte vom keuschen Joseph mit karminrother Farbe auf Glas gemalt war , hingen eine Menge länglich runder glänzend heller und feiner Drähte an hanfenen Bindfäden . Hinter dem Spiegel , an den Fensterstöcken und in allen vier Winkeln des Zimmers staken und lehnten große und kleine Bündel biegsamer Birken- , Eichen- und Buchenstäbe , die zu schnellem Gebrauch am einen Ende bereits zugespitzt und etwas gekrümmt waren . Ein Einschnitt am obern Ende , um die Bindfäden darum zu schlingen , war an keinem vergessen . Der Maulwurffänger saß hinter seinem großen Tisch von ungemaltem weißen Lindenholz und beschäftigte sich , die feinen , zarten und wie Seide glänzenden Fellchen der Feldthiere , die er mit so großem Geschick zu verderben wußte , in ausgehöhlte lange Hölzer fest zu kleben , aus denen er dann Blaseröhre machte , die guten Abgang fanden . Schlenker hatte sich am Ofen postirt , die Beine über einander geschlagen und die breiten , großen Hände seiner lahmen und abgemagerten Arme um das eine Knie geschlungen . Er hörte mit größter Aufmerksamkeit der Erzählung Heinrichs zu , die sein Zusammentreffen mit Sloboda und dessen Enkel schilderte . Auf einem freistehenden Schemel endlich , in ansehnlicher Entfernung vom Tische , wo der Maulwurffänger handthierte , und fast in der Mitte des Zimmers saß Gregor der Schulmeister in seiner altmodischen halbbäuerischen Tracht , denn er ging , wie die alten Leute auf dem Lande , in kurzen schwarzen Manchesterhosen , Strümpfen und Schuhen mit großen silbernen Schnallen , und einem entsetzlich langen und weiten Rocke , dessen Taille grade um eine halbe Elle zu lang war . Ein dreieckiger Hut bedeckte sein viereckiges Haupt gleich dem seines verwegenen Bruders . Gregor hatte die Gewohnheit , sobald er sich irgendwo setzte , seinen Körper nicht allein in eine rechtwinklige Lage zu bringen , was äußerst komisch aussah , sondern auch die Schöße seines Rockes jedesmal sorgfältig zurückzuschlagen und seine prallen Schenkel Jedermann zu zeigen . Den Grund davon konnte Niemand erfahren , und so oft auch Spötter und Witzbolde sich darüber lustig machten , befreite sich der Schulmeister doch immer wieder von den ihm lästigen Rockschößen , indem er rund und nett erklärte , daß es ihm unmöglich sei , anders in sitzender Stellung sich wohl zu befinden . » Es ist aber doch mit tausend Schrecken ! « sagte Schlenker , als der Maulwurffänger eine Pause machte . » Ja rede mir nur Einer von Krieg und Kriegsnoth ! Ich weiß ein Lied davon zu singen , daß es Gott im Himmel erbarme ! « Und der tapfere Dragoner griff nach der neben ihm stehenden zinnernen Schnupftabaksdose , öffnete sie und schüttete sich eine tüchtige Prise auf die Außenseite seiner rechten Hand . Dann schob er die linke darunter und führte beide Hände dadurch , daß er ihnen mit dem Beine einen tüchtigen Ruck gab , an die Nase , die begierig das wohlriechende Kraut einschlürfte . Klotzartig fielen die Hände wieder auf den Schooß zurück , wo sie ein buntes Taschentuch erhaschten , dessen Grundfarben nicht mehr zu erkennen waren . Nachdem auch dies seine Dienste verrichtet hatte , wußte Schlenker dem rechten Arme einen solchen Schwung zu geben , daß er sich mit der Hand bis zur Stirn erhob . Hier setzte sich der Zeigefinger über dem Auge fest und wackelte beim Sprechen fortwährend wie ein bewegliches Horn hin und her , während Schlenker jeden Satz durch eine schütternde Bewegung des Oberkörpers begleitete . Nur in solcher Stellung pflegte er längere Zwiegespräche zu führen oder ernste Ermahnungsreden an Heinrich zu halten . » Aber , Freund Heinrich , « fuhr er fort , » bildet Euch nur nicht ein , Ihr mit Eurem Briefe hättet den Wenden hieher citirt ! Wenn Ihr das glaubt , so thut Ihr Sünde , sag' ich Euch ! Daß Jan Sloboda noch lebt und daß Euer Brief wirklich in seine Hände kommen muß , noch mehr , daß , der alte Mann auf Eure Krakelfüße hört und spornstreichs hundert und so und so viel Meilen herkutschirt , endlich Euch gar bei dem alten Götzendieneraltar trifft und Euch flugs erkennt ; das , seht Ihr , das ist Gottes allmächtige Fügung ! Und weil 's justement so gekommen ist und auch kein Stäubchen anders , darum und dessentwegen glaube ich und will 's gegen eine Million behaupten , daß Eure Sache gerecht ist und einen gott- und menschengefälligen Fortgang haben wird . « » Natürlich , natürlich ! « sagte der Schulmeister , seinen langen Rohrstock mit dem glänzenden Silberknopfe bald mit der linken bald mit der rechten Hand zwischen den Beinen drehend . » Gottgefällig ist sie zuverlässig , « erwiederte Heinrich , ein neues Fellchen aufleimend , » den Menschen wird aber , sollt' ich meinen , ihr glücklicher Fortgang verdammt viel Herzeleid machen . Ihr könnt dann Gelegenheit haben , Freund Schlenker , Eure Gebete an den Mann oder vielmehr an den lieben Gott zu bringen , denn an Flüchen , die auf Vergebung harren , wird kein Mangel sein . Da kenne ich meine Leute zu gut ! « » 's Ist gar mit tausend Schrecken , was Ihr für ein gottvergessener Spötter seid ! « sagte Schlenker . » Manchmal mach ' ich mir ordentlich ein Gewissen darüber , daß ich mit Euch umgehe , zumal vor dem Einschlafen , wo einem die unrechten Gedanken am ärgsten zusetzen . « » Setzt Euch lieber die Schlafmütze auf , « erwiederte der Maulwurffänger . » Das hält warm und soll ein vortreffliches Mittel sein , einen gesunden und dauernden Schlaf herbeizuführen . « » Natur , ganz Natur ! « meinte Gregor . » Also heute kommt der wendische Mann , der so viel erfahren hat ! « » Heute , wenn Du's erlaubst , Bruder Schulmeister . Ich habe ihn zu mir eingeladen sammt seinem Enkel und schon mit eigenen Händen die Betten für sie aufgeschlagen . Mich wundert's , daß sie noch nicht hier sind ! Wie weit , Bruder , bist Du mit der Auszeichnung dieser verwickelten Geschichte ? « » Ich simulire schon geraume Zeit , wie ich das zuletzt Vernommene schicklich in Worte fasse . Es ist ein wichtiger Casus , höchst wichtig und für ein Chronikon wie geschaffen . Ich werde noch eine Nacht dem angestrengtesten Nachdenken opfern . « » Mach 's , wie Du willst , nur vergiß nichts Hauptsächliches . « » Natürlich , natürlich ! Alles Hauptsächliche ist natürlich . « » Kann sein , bei Euch Schulmeistern , bei uns andern Menschen ist das Hauptsächliche manchmal ganz verflucht unnatürlich ! Wer's nicht glauben will , der denke doch nur an diese vermaledeite Grafengeschichte ! Du weißt es ja so gut , wie ich , Bruder Gregor ! « Der Schulmeister wollte auf diese Bemerkung eigentlich blos mit einem beistimmenden Kopfnicken Antwort geben , es fuhr ihm aber doch unwillkürlich ein höchst überflüssiges » ganz Natur « heraus , worauf er seine Miene wieder in die würdevollsten Lehrerfalten zu legen suchte . Schlenker , der sich über die Antwort Gregors höchlichst verwunderte , konnte sein Staunen ebenfalls nicht bemeistern und rief sein ihm sprichwörtlich gewordenes » 's ist gewiß und wahrhaftig mit tausend Schrecken ! « was denn dem Maulwurffänger Veranlassung gab , mit der ironischsten Betonung , die ihm zu Gebote stand , und mit jenem vergnüglichen Lachen , das nie laut ward , sondern in der Kehle wieder erstarb , zu betheuern , es sei wirklich mit tausend Schrecken ! – In diesem Augenblicke klingelte messingbeschlagenes Riemenzeug vom Wege her , drei muntere kleine polnische Pferde kamen in schnellem Trabe auf das Haus zu , dessen Maulwurf am Giebel schon von weitem zu erkennen war , und rissen das ärmliche Judenfuhrwerk so schnell über die steinige Straße , daß die Speichen in den Felgen seufzten und ächzten . » Da kommen sie ! « sagte Heinrich in seiner gemüthlichen Ruhe und legte das beinahe fertige Blaserohr weg . » Ich bitt' Euch , Schlenker , fallt mir den Alten nicht gleich mit Euern frommen Redensarten an , daß er nicht denkt , er komme in ein Brüderhaus , und Du , Bruder , laß die steifen Complimente sein ! Das dumme Zeug taugt nichts . « » Disciplin , blos Disciplin , « sagte Gregor höchst bedächtig . » Dummes Zeug ! « wiederholte Schlenker die Hände faltend . » Fromme Redensarten nennt der gottlose Mann dummes Zeug ! Himmlischer Vater , ich bitte Dich , hör' ihn nicht , denn er weiß wahrlich nicht , was er spricht ! – « Inzwischen hatten Sloboda und Paul den polnischen Planwagen verlassen und wurden von Heinrich ins Zimmer geführt . Neugierig starrten Gregor und Schlenker die Ankömmlinge an , die ihrerseits keine Rücksicht auf sie nahmen . Erst als Heinrich ihre Namen nannte , wünschte der ernste Sloboda Beiden einen guten Abend und reichte Jedem die Hand zum Gruße . » Ehe wir eins ins andere reden , Freund Jan , « begann der Maulwurffänger , » sage mir , was Du mit Deinem Judengesindel anfangen willst . In mein Haus nehme ich das Volk nicht auf , und ob sie der Kretschamwirth beherbergt , bezweifle ich auch ; denn wir haben ein Gesetz in den Lausitzen , nach dem Niemand verbunden ist , das Volk von Schacherern und Betrügern über Nacht bei sich zu behalten . « » Ich werde sie ablohnen , « erwiederte Sloboda . » Pferde und Wagen sind ihr Eigenthum und von mir nur auf die Dauer der Reise gemiethet . Brauche ich später wieder einen Wagen , um meine etwas stumpf gewordenen Glieder fortzuschleppen , so wirst Du schon für ein leidliches Transportmittel sorgen . « » Natürlich , ganz Natur ! « sagte Gregor der seinen langern hagern Körper wieder auf den Schemel hatte niederknicken lassen . Da sich der Wende schon früher mit seinem jüdisch-polnischen Fuhrmann über den Preis geeinigt hatte , war die Ablohnung bald geschehen und mit einem wohlthuenden Gefühl heimischer Sicherheit sah er das ärmliche Gefähr mit den wild davon galoppirenden Pferden im Sandstaub der Straße hinter dem Dorfe verschwinden . » Ihr seid ein vielgeprüfter Mann , « redete jetzt Schlenker den Wenden an , ihm seine steif herabhängende kühle und stets feuchte Hand aufdringend , › bedenkt aber nur , daß wen Gott lieb hat , den züchtigt er ! ‹ und Ihr werdet genugsame Ursache finden , ihm ein Hosiannah anzustimmen ! » In der Perlenburger Bibel könnt Ihr eine grausam prächtige Abhandlung über das Hosiannahsingen lesen – ich will sie Euch nach dem Abendsegen bringen – denn es ist gar mit tausend Schrecken , was der Herausgeber dieses seltenen Bibelbuches für ein hochgelahrter Mann gewesen sein muß ! « Hochgelahrt , sehr hochgelahrt ! « betheuerte Gregor , die in Unordnung gekommenen Rockschöße behutsam bis an die Schemellehne zurückschiebend . » Ich danke Euch ! « erwiederte Sloboda , die Bank hinter dem Lindentische einnehmend . » Meine Augen legen mir ab , so daß ich des Abends bei Licht nicht mehr gut Gedrucktes lesen kann , es wäre denn sehr große Schrift . « » O eine Schrift für Blinde ! « » Halt Dein Maul , Freund Schlenker ! « fiel Heinrich dem Frommen in die Rede . » Was wir zusammen mit einander zu verhandeln haben , geht allem Bibellesen vor ; hat Jan später noch Lust dazu , so könnt Ihr ihn meinetwegen in's Gebet nehmen , so lange Ihr wollt , und ihm alle Lügen hererzählen , die Ihr Euch von den Missionsblättern aufbinden laßt . « » Lügen , Bruder Heinrich , ist in diesem Falle kein gewähltes Wort , « bemerkte der Schulmeister , » ich würde lieber Unrichtigkeiten sagen . Lehrer der christlichen Religion pflegen nicht zu lügen . « » Wie Du willst , Gregor , meinethalben bring 's zu Papiere . « Natürlich , natürlich ! « Schlenker schüttelte den Kopf , setzte sich wieder auf die Ofenbank , die Beine über einander schlagend und beide Hände gefaltet über seine Knie legend . In dieser Stellung verharrte er den ganzen Rest des Abends und hörte mit größter Spannung dem Gespräche Heinrichs mit Sloboda zu . Nur wenn er das Bedürfniß fühlte , eine Prise Tabak zu nehmen , machte er regelmäßig die schon beschriebenen wunderlichen Bewegungen . Auch Gregor mischte sich nicht in das Gespräch , nur bei Stellen , die ihn besonders ansprachen oder wo sein Bruder sich direct an ihn wandte , ließ er sein bekräftigendes » Natürlich « hören . Das Erste , was der Maulwurffänger hervorholte , war jenes räthselhafte Papier , dessen Entstehung sich eben so leicht erklären ließ , als es beide befreundete Männer wunderte , daß nie ein Wort davon zu ihrer Kenntniß gelangt war . Nur die Annahme , daß Röschen in Folge des Verlustes der Verschreibung an deren Giltigkeit völlig verzweifelt sein möge , und deshalb mit Absicht über deren Empfang gänzliches Stillschweigen beobachtet habe , gab im Nothfall den Schlüssel dazu her . Als sich Sloboda von der Aechtheit des Papieres und der Handschrift des Grafen vollkommen überzeugt hatte , drang er in Heinrich , ihn mit seinen Plänen und Schritten , die er beabsichtige , bekannt zu machen . Der Maulwurffänger war dazu bereit und ließ sich in eine genaue Auseinandersetzung des Geschehenen ein , alles Muthmaßliche vor der Hand noch ganz bei Seite schiebend . » Du mußt vor Allem wissen , « sagte er , » daß die früheren mächtigen Grafen von Boberstein schon seit Jahren weiter nichts sind , als speculirende Handelsherren , die sich in dieser neuen Eigenschaft des Grafentitels begeben haben , da das Markten und Feilschen allem Adel schlecht zu Gesicht steht . Sie nennen sich jetzt als Großhändler einfach Herren am Stein . Solcher Herren am Stein leben gegenwärtig noch drei , wovon zwei schon sehr lange auf großen Reisen sind , wie es heißt , der älteste aber auf seinem Grund und Boden geblieben ist . Ich will dem Manne , den ich nur selten gesehen habe , nichts Böses nachsagen , nur so viel bemerke ich , daß ihn der Ruf als hartherzig und egoistisch schildert . Den Rest des väterlichen Erbes , in nicht viel mehr bestehend als dem Grundbesitz der zur eigentlichen Stammburg gehörenden Ländereien , hat er klug angelegt , indem er , die Zeit und ihre Bestrebungen richtig deutend , eine bedeutende Fabrik errichtet hat und wohl gegen tausend Arbeiter darin beschäftigt . « » Wenn das der maßlos stolze Blauhut geahnt hätte , « fiel Sloboda ein , » er würde sich noch im Grabe umwenden vor Aerger und Zorn ! Aber was fabriciren denn die ehemaligen Herren Grafen ? « » Röcke für die Ungläubigen , « versetzte der Maulwurffänger mit boshaftem Lächeln . » Für die Ungläubigen ? « » Wie ich Dir sage , Jan , für die Ungläubigen ! Die Herren am Stein spinnen nämlich Baumwolle , ein Artikel , von dem man behauptet , daß sich mit leichter Mühe die Erde von dem gegenwärtig vorhandenen Vorrathe desselben drei- bis viermal einwickeln lassen könnte . Mir gefällt es eigentlich von den großen Herren , daß sie jetzt bedacht sind , das nackte Elend , die heulende Armuth , den frierenden Mangel mit ihrer Hände Arbeit zu bekleiden , woran sie selbst schwerlich denken werden . Früher sannen sie immer nur darauf , den Leuten die Kleider vom Leibe zu reißen , was ihnen , wie Du ja weißt , besonderes Vergnügen machte . So ändern sich die Zeiten ! – Nun , wie gesagt , diese großmächtigen Herren sind jetzt großmächtige Baumwollenspinner und nebenbei Garnbleicher geworden . Beide Geschäfte sind in gutem Gange und mögen ' was Tüchtiges eintragen . Ich schließe dies daraus , daß der Aelteste am Stein im vorigen Jahre den Versuch machte , ein Stück Land , das seinen Vorfahren gehörte , beim Tode seines verschuldeten Vaters aber in fremde Hände übergegangen war , durch Kauf wieder an sich zu bringen . Ob es ihm gelungen ist , weiß ich nicht , denn ich bin seit langer Zeit nicht mehr in jene Gegend gekommen , die mich , wie Du leicht denken kannst , nicht sehr anlockt . « » Wo wohnen sie denn ? « » Auf der Burg Boberstein . « » Auf dem zerstörten Schlosse des alten Grafen ? « » Auf jenen schwarzen Trümmern hat der gegenwärtige Herr am Stein die himmelhohen Gestocke seiner großen Spinnerei erbauen lassen . Er selbst bewohnt ein bescheidenes Häuschen dicht unter dem Felsen , wovon er seinen neuen Namen als Handelsherr entlehnt hat . Unter seines Gleichen nennt er sich nach wie vor Graf von Boberstein . « » Dies kann , scheint mir , unser Geschäft sehr erschweren , da sich der jetzige Herr am Stein gar nicht auf die Sache einlassen wird . « » Man muß es versuchen , Jan , und einige krumme Wege nicht verschmähen . Ihn zu kirren , habe ich mir folgende List ausgedacht . Wir besuchen ihn in seiner Spinnburg als Fremde , die seine großartigen Werke zu besehen wünschen . Um mehr Respect einzuflößen , geben wir uns für Russen aus , das öffnet uns alle Thüren , oder ich müßte unsere deutschen Herren nicht kennen . Er wird keinen Zweifel in unsere Aechtheit setzen . Haben wir uns nun auf's Genaueste über den Zustand der Fabrik , über ihre in- und ausländischen Verbindungen und so fort Kenntniß verschafft , so bringst Du wie von ungefähr das Gespräch auf die Grafen von Boberstein und fragst naiv , als wissest Du gar nichts von der noblen Race , was denn aus ihnen geworden sein möge ? Das altadlige Blut wird diese Frage nicht ruhig hinnehmen und der Baumwollenspinner keine Minute anstehn , sich mit selbstgefälligem Stolz als Stammhalter des alten Geschlechtes uns vorzustellen . Was dann zu thun sein wird , hängt von den Umständen ab . Jedenfalls genügt dieser Besuch , uns Fuß fassen zu lassen und uns die Herren am Stein als die wahren Grafen von Boberstein kennen zu lehren . Noch wird es nöthig sein , daß der Fabrikherr dieses Geständniß vor vielen Zeugen ablegt . « » Natürlich , natürlich ! « sagte der Schulmeister . » Mich schaudert , jene Gegend wieder zu betreten , « erwiederte düster der alte Wende . » Alle Schrecknisse werden wieder aufsteigen vor meinen Augen und beim Dienst der Leibeigenen werde ich alle Pein nochmals empfinden , die ich und die Meinigen so lange Jahre ertrugen . « » Laß Dich davon nicht abschrecken , « sagte Heinrich beruhigend . » Auch in dieser Hinsicht haben die Jahre eine völlige Umwälzung bewirkt . Die jetzigen Herren am Stein haben so wenig über einen Unterthanen zu gebieten , wie ich . Es gibt bei uns keine Leibeigenen mehr seit jener Katastrophe ! Das Volk ist frei , wie die Herren , es kann sich jetzt beliebig in vollkommenster Freiheit ertränken , erhängen , erschießen oder freiwillig verhungern . Die Hungerfreiheit , sagt man , sei die am häufigsten vorkommende , weshalb es Hunderte gibt , die sie um einen Spottpreis losschlagen , und sich als Knecht bald der Menschen , bald der Maschinen verdingen . « » Nun so vergeb' ich dem Feinde meiner Familie seine Ungerechtigkeiten , « sagte Sloboda feierlich , » ja ich segne seine Frevel , da sie Ursache geworden sind , eine Einrichtung aufzuheben , die kein göttliches Gesetz billigen kann ! Wo es keine Leibeigenen gibt , da steht die Thür des Paradieses offen ! Nur der freie Mensch ist das Ebenbild Gottes , der Knecht ein verkrüppeltes Scheusal , Mitleid und Abscheu in gleichem Maße erregend ! « » So glauben wir , Jan , und wohl uns , daß wir diesen Glauben haben , geht man aber der Sache näher auf den Grund , so mindert sich unsere Freude , wird unser Entzücken herabgestimmt . Das Wort › Freiheit ‹ hat die neue Zeit wirklich an's Licht gebracht , ihr Wesen aber liegt noch tief verborgen im Schooße der Zukunft ! Vielleicht muß das Menschengeschlecht noch einige Revolutionen , wie jene erste französische , erleben , ehe dies heilige Kind , dieser wahre Sohn Gottes und der Menschen , zum Heil der Welt geboren wird ! « » Mein lieber Heinrich , « unterbrach hier Schlenker den Maulwurffänger , » wenn Ihr noch lange so fortfahrt in der Gotteslästerei , so muß ich , ich mag nun wollen oder nicht , die Stube meiden ! Es drückt mir das Herz ab und bringt mich um alle gottseligen Gedanken ! Bedenkt doch , es ist ja mit tausend Schrecken ! « » Ganz Natur ! « betheuerte Gregor . » Nun so geht zum Teufel ! « versetzte Heinrich kurzab , verdrießlich , daß ihn der Fromme in seinen besten Gedanken unterbrochen hatte . Schlenker stand beleidigt auf , der Schulmeister folgte . » Es steht in der Schrift , « sagte der Fromme , » wir sollen nicht sitzen im Rathe der Spötter und Thoren ! Darum verlasse ich Euch , Heinrich , bis daß Ihr in Euch gehet und Euch bekehrt ! « Gregor nickte stumm mit dem Kopfe und schritt dem voranwackelnden Schlenker , dessen Strümpfe bis auf die Schuhe herabhingen , steif und gravitätisch nach . Kaum aber war die Thür hinter den beiden wunderlichen Leuten zugefallen , als sie Gregor auch schon wieder aufriß und beide die Köpfe durch den Spalt hereinschiebend , der Schulmeister den seinigen über den Schlenker's , dem Maulwurffänger eine gute Nacht wünschten . – » So sind nun die Menschen , « nahm Heinrich lächelnd wieder das Wort . » Die Wahrheit mögen auch die Besten und Gutherzigsten nicht hören , und doch verlangt man , es solle besser werden auf Erden ! – Sieh , Sloboda , das allein verbittert mir oft die reinsten Stunden und läßt mich zuletzt an allem Großen und Dauernden verzweifeln ! Ich bin weder so klug noch so beschränkt , wie die großen Gelehrten ; ich habe auch in ihrem Sinne wenig gelernt . Meine Schule war und ist noch die Erfahrung , die Beobachtung , das große und kleine Leben des Volkes und der Natur . Was mit diesem nicht übereinstimmt , halte ich für unächt , für erkünsteltes Product irgend eines verkünstelten Geistes ! – Ich spreche selten mit Jemand von diesen meinen Ansichten , denn ich finde selten Gehör und habe es mir schon oft müssen gefallen lassen , daß mich vornehme Leute einen verschrobenen Narren nannten . – Nun was thut's ? Ein Licht , das , vom Zufall angezündet , unsern Geist mit klarer Helligkeit erfüllt , können auch die witzigsten Spötter nicht auslöschen . Deshalb lasse ich Spott und Scherz über mich ergehen , wie ich es mir erlaube , gelegentlich dieselbe Münze ebenfalls auszugeben . Es wird aber nur zu bald eine Zeit kommen , in der Viele , wo nicht alles Volk erkennen werden , daß es noch sehr jämmerlich aussieht in unsern wohlgeordneten Staaten , daß unsere Gesetze häufig nur die Stützen der Willkür sind und daß , wie ehedem die rohe Gewalt , jetzt das kalte Metall die Alleinherrschaft in der Welt ausübt ! Die Sclaverei hebt man auf und die Engländer , hab' ich in den Blättern gelesen , wollen alles Ernstes den verruchten Menschenhandel abschaffen , aber Niemand denkt daran , den immer härter werdenden Sclavendienst inmitten unserer christlichen Gesellschaft aufzuheben ! Man kennt und steht ihn nicht , oder will ihn nicht sehen und kennen ! Wir , Sloboda , in deren Gedächtniß noch unverwischt die Schrecken brutalen Herrendienstes leben , wir wollen uns mit dieser neuen Sclaverei , die sich über die ganze alte Welt verbreitet hat , genauer bekannt machen und morgen am Tage unsere Wallfahrt beginnen . « » Soll Paul uns begleiten ? « » Nein , er wird stören . « » Ich werde Euch hier erwarten , Großvater . « » Erwäge , was ich Dir gesagt habe , « ermahnte nochmals Heinrich den Greis . » Nur List kann uns zum Ziele führen . Wenn der Tag graut , werde ich Dich wecken . « » Gute Nacht ! Ich werde bereit sein , « versetzte Sloboda und zog sich mit Paul in die enge Kammer zurück , die der Maulwurffänger für seine Gäste in Bereitschaft gesetzt hatte . Sechstes Kapitel . Der Herr am Stein . Auf der Felseninsel eines kleinen , aber tiefen See 's mitten in der Haide lag die Fabrik der Herren am Stein . Zwei thurmhohe Schornsteine , aus roth gebrannten Backsteinen erbaut , ragten hoch in die Luft und fesselten die Blicke des einsamen Wanderers schon in meilenweiter Entfernung durch ihre langen und breiten schwarzen Rauchwimpel , die weithin über die stille Waldung wehten . Die vielen Sandwege , die von allen Seiten durch die Haide nach dem See führten , einigten sich an dessen Ufern in einem breiten Landungsplatze , an welchem stets eine Fähre lag , die mit den Dampfmaschinen der Fabrik in Verbindung stand und sehr häufig Waarenballen und ab- und zugehende Geschäftsund Arbeitsleute bald nach der Insel , bald von dieser zurück an's feste Land übersetzte . Etwa eine volle Stunde rund um diesen See bestand die Haide aus schönem , jungem , überaus harzreichem Kiefer- und Fichtenholz , durchwachsen von üppig wucherndem Gestrüpp . Die Schlankheit der Stämme und ihre in Vergleich mit der übrigen Waldung unbeträchtliche Höhe zeigten deutlich , daß dieser Theil der Haide vor einigen Jahrzehnten ganz ausgerottet und erst später wieder bepflanzt worden sein mußte . Unweit des Ufers auf der felsigen Insel fiel ein heiteres , in leichtem , geschmackvollem Styl erbautes Wohnhaus in die Augen . Es bestand blos aus einem Erdgeschoß und erstem Gestock und war mit niedrigem Schieferdache versehen . Grüne Jalousien vor den Fenstern , ein wohlgepflegter Blumengarten mit einem Pavillon , den ein dunkelblaues Dach mit glänzendem Goldknopf zierte , gaben ihm das Ansehen einer ländlichen Villa . Hinter diesem Wohnhause zog sich der Weg in mehrfachen Krümmungen den Granitfels hinauf bis zum Thor der Fabrik , deren fünfstockige weißglänzenden Gebäude mit ihren zahllosen Fenstern ein großes Fünfeck bildeten und einen sehr geräumigen Hof umschlossen . Ein Blick genügte , um jeden Wanderer zu überzeugen , daß diese Fabrikgebäude auf den festen Trümmern alten Gemäuers errichtet worden waren , deren Ueberreste mit den gothischen Verzierungen unverkennbar auf ein hohes Alter hinwiesen . Das alte Thor mit seinen Spitzbogen , der ein feingemeißeltes mit Moos und Flechten überzogenes Wappenschild umschloß , und über diesem ein verwitterter starker Mauerkranz mit Schießscharten konnten nicht eine Minute in Zweifel lassen , daß hier ehedem ein altes ehrwürdiges Feudalschloß aus den bessern Zeiten des Mittelalters gestanden habe . Die große Menge von Arbeitern , welche in der Fabrik auf dieser Insel beschäftigt waren , hatte die nächste Umgebung derselben seit einigen Jahren bedeutend lebhafter gemacht , als andere Gegenden der Haide . Ein kleines Dorf war mitten im Walde entstanden , ausschließlich von den Arbeitern und ihren Familien bewohnt . Hie und da hatte man die Haide gelichtet und Kartoffelfelder nebst einigen Wiesen zu gewinnen gesucht , die von murmelnden Waldbächen , welche in den See mündeten , bewässert wurden und das allernöthigste Futter für die wenigen Ziegen lieferten , welche die armen Häuslerfamilien hielten . Weiterhin gab es Pechhütten und Kohlenbrennereien , die auf Kosten der Fabrikherren betrieben wurden . Alles Holz , was zum Kohlenbrennen nicht tauglich war , zog die Fabrik an sich und verwandte es zu Heizung der Dampfmaschinen . Am dritten Tage nach der im vorigen Kapitel mitgetheilten Unterredung zwischen Heinrich und Sloboda war Adrian von Boberstein , Besitzer und Leiter der Fabrik , in dem erwähnten villaartigen Hause am Seeufer beschäftigt , mit seinem ersten Buchhalter die Rechnungen durchzusehen . Adrian war acht und dreißig Jahre alt , hatte ein wohlgefälliges Aeußeres und einen vornehmen Anstand , der eher einen Diplomaten , als einen Fabrikherrn in ihm hätte vermuthen lassen . In gewisser Hinsicht stand auch seine Handlungsweise damit im vollkommensten Einklange . Adrian war einer jener klugen Diplomaten der Industrie , die in unsern Tagen mehr als die der Politik die Geschicke der Völker bestimmen und jene unheimlichen Beschlüsse über Krieg und Frieden entwerfen , von denen das Wohl der europäischen Gesellschaft abhängig ist . Mit übergeschlagenen Beinen in einem weichgepolsterten Lehnstuhl von massivem Mahagonyholze nachlässig ruhend und eine aromatisch duftende Cigarre von ächtestem Havannah rauchend , deren tief dunkelblaues Gedüft er mit wohlgefälligem Lächeln verfolgte , ließ sich Adrian von dem Buchhalter Bericht erstatten über die Ausgaben der letzten Woche an Arbeitslohn . Der Buchhalter las : » Hundert und zwanzig Feinspinnern jedem Einzelnen einen Thaler fünf Silbergroschen . « » Streichen Sie für nächste Woche diese fünf Silbergroschen , Herr Vollbrecht , « unterbrach Adrian den Vortragenden . » Die letzten Briefe meiner Correspondenten in Leipzig , Hamburg , Wien und andern Plätzen berichten , daß uns ein großer Gewinn sicher ist , wenn wir auf den nächsten Messen alle Concurrenten durch Billigkeit unserer Wolle aus dem Felde schlagen können . Dies läßt sich leicht durch eine Herabsetzung des Arbeitslohnes erreichen , der ohnehin zu hoch war . « » Aber Herr Graf – « Herr am Stein , lieber Vollbrecht , wenn 's beliebt ! « » Nun denn , Herr am Stein , die Arbeiter klagen schon seit langer Zeit , daß sie mit dem jetzigen Lohne kaum mehr ihre Familien unterhalten können ! Der harte Winter von 29 auf 30 ist sehr vielen dieser Armen gefährlich geworden und hat ihre geringen Ersparnisse gänzlich erschöpft . « » Desto besser , so haben wir sie in unserer Gewalt ! Es ist nicht gut , wenn der Arbeiter wohlhabend wird . Das macht ihn nur stolz , brutal , aufsätzig , wie wir's vor einigen Jahren schon einmal erleben mußten . Damals hätte es noth gethan , wir hätten diese Elenden mit Bitten bestürmt und sie vom Kopf zur Zehe übergoldet , nur um ein paar Hände zu bekommen . Ich habe mir diese Lehre gemerkt und mich fest entschlossen , es nie wieder dahin kommen zu lassen . Noch einige Jahre und die im Wohlleben schwelgenden Arbeiter wären unsere Gebieter geworden ! Gott Lob , mein und einiger Collegen System hat bereits angefangen , Früchte zu tragen ! Das unmerkliche Schmälern des Lohnes , durch die große Concurrenz leicht zu rechtfertigen , hat diese Uebermüthigen uns wieder unterthänig gemacht . Sorglos verpraßten sie inzwischen ihre Ersparnisse , der schwere Winter half auch mit zehren und jetzt haben sie nichts mehr als ihr gutes Auskommen von einem Tage zum andern . Was wollen sie mehr ? Ihr Verdienst wird ihnen pünktlich zur Stunde ausgezahlt , während wir armen Speculanten die Gefahr des Wagens stets mit in Anschlag bringen und sie häufig genug mit Gleichmuth überwinden müssen . « » Sie sprechen von einem guten Auskommen Ihrer Arbeiter , Herr am Stein , und müssen doch wissen , daß schon seit Jahr und Tag die Kartoffel der Meisten alleinige Nahrung ist ! « » Kartoffeln sind eine sehr nahrhafte Kost und geben Kraft . Man merkt 's an den vielen Kindern dieser Spinner und Weber ! Und überdies gibt es noch Hunderttausende , für die ein Menschenfreund auch sorgen muß . Der Arme will sich kleiden , will sich billig kleiden , mithin dürfen baumwollene Stoffe nicht theuer sein . Streichen Sie also ganz ruhig die fünf Silbergroschen ! « Kopfschüttelnd gehorchte der Buchhalter und fuhr fort : Sechzig Wollzupfern einem Jeden 171/2 Silbergroschen . « » Sind das nicht Mädchen von vierzehn bis siebzehn Jahren aus den Gemeindehäusern ? « » Allerdings , Herr am Stein . « » Und diese bekommen wöchentlich einen so hohen Lohn ? Das geht nicht , das muß geändert werden ! Machen Sie 15 Silbergroschen bis nach Beendigung der Leipziger Michaelismesse ! Das Wollezupfen ist eine bloße Tändelei , keine Arbeit . Man muß unnöthige Ausgaben ersparen , um so mehr , als ich nächstens eine dritte Dampfmaschine zu stellen genöthigt bin , um den Anforderungen der Zeit zu genügen . « » Es sind Waisen , Herr am Stein ! « sagte Vollbrecht bedeutungsvoll . » Keines dieser armen Mädchen besitzt mehr als einen Anzug , nicht einmal an Sonn- und Feiertagen können sie sich , wie ihre glücklicheren Schwestern , das Haar mit einem bunten Tuche umwinden . Sie müssen von ihrem Verdienste all' ihre Bedürfnisse bestreiten und Eine oder die Andere theilt wohl auch noch einer kränkelnden , hinfälligen Mutter etwas davon mit ! « » Lieber Vollbrecht , « versetzte Adrian ruhig , wenn ich mich um den häuslichen Kummer meiner mehr als tausend Arbeiter kümmern und ihn heilen wollte , so müßte ich die Schätze des Krösus besitzen . Ich bin selbst nicht reich , wie Sie wissen , ich suche nur die mir verliehenen Mittel auf eine unserer Zeit angemessene Weise anzulegen und zum Besten der Menschheit zu vermehren . Wem mein Lohn nicht behagt , den will ich nicht halten . Er mag gehen und wo anders sein Unterkommen suchen . Was ich zahlen kann , das gebe ich , und junge Mädchen gedeihen am besten , wenn sie frugal leben . Das macht sie nicht üppig . « Der Buchhalter las seufzend weiter : » Achtig Spindelknaben , jedem Einzelnen zehn Silbergroschen . « » Eigentlich sollte ich diesen Lohn ebenfalls verringern , indeß mag er für die nächsten Wochen noch fortbestehen , da in letzter Zeit mehrere Unglücksfälle vorgekommen sind . Ich will nicht unbillig sein und die Gefahr der Beschäftigung so gut wie die Beschäftigung selbst bezahlen . Fahren Sie fort , Vollbrecht . « » Den Käutchenschlingern , jedem Einzelnen zwanzig Silbergroschen . « Setzen Sie 15 für die Zukunft ! Diese Arbeit wird vom nächsten Montage an eine bloße spaßhafte Unterhaltung sein , sobald die Käutchenmaschinen aufgestellt sind ! « » Ich erlaube mir , Ihnen zu widersprechen , Herr am Stein . Die Arbeit wird durch die Maschine erschwert , da der Arbeiter beinahe noch ein Mal so viel Käutchen liefern muß , als früher , wo er blos mit seinen eigenen Händen arbeitete ! Legen Sie den armen Menschen , die ohnehin meistentheils in Ihrer Fabrik Verunglückte sind , lieber einige Groschen zu , da sie einen bedeutenden Vortheil durch die Maschinen gewinnen . « » Vom Gewinn lebt der Kaufmann , für den Gewinn speculirt er . Die Maschinen kosten Geld , viel Geld , und ehe die Arbeiter das Käuteln auf denselben lernen , werden sie mir manches Schock Garn verderben . Schreiben Sie 15 statt 20 und halten Sie mich nicht länger durch Ihre humanistischen und kosmopolitischen Einwürfe auf . « Nach dieser , in spöttischem Tone vorgebrachten Bemerkung enthielt sich Vollbrecht jedes neuen Einwurfes bei den noch häufigen Lohnverkürzungen , die Herr am Stein zu besserm Gedeihen seiner Fabrik anordnete . Der reiche Mann that dies mit dem heitersten Gleichmuth , ohne eine Miene zu verziehen oder nur seine bequeme Lage im prächtigen Polsterstuhle zu ändern . Er wußte , daß er ungestraft so verfahren durfte , da er längst vielleicht noch genauer von dem Zustande seiner Arbeiter unterrichtet war , als der menschenfreundliche , an fremdem Unglück innig Antheil nehmende Vollbrecht . Adrian gründete eine mit diplomatischer Schlauheit berechnete Speculation auf diese Lohnverkürzung , die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mißglücken konnte . Es lag nämlich in seinem Plane , während des Winterhalbjahres bei heruntergesetztem Lohne noch einige hundert Arbeiter mehr anzunehmen und deshalb eine dritte Maschine zu stellen . Durch so viele Hände hoffte er binnen sechs Monaten so viel Waare zu liefern , daß er andern Concurrenten damit den Rang ablaufen und durch billigere Preise sie nicht allein für kurze Zeit völlig beseitigen , sondern sie auch zwingen könnte , ihren Arbeitern ebenfalls geringeren Lohn zu geben , was dann seinerseits eine abermalige Lohnverkürzung zur Folge haben mußte . Durch diese doppelte Betrügerei oder fein angelegte Speculation mußte Adrian über hunderttausend Thaler rein verdienen . Sie machte ihn ferner zum Ersten in seinem Fache und lieferte alle Arbeiter , die ihm früher die Zähne gewiesen hatten , so ganz in seine Gewalt , daß sie völlig von seiner Gnade abhängig wurden . Mit dem Ueberschuß des neu gewonnenen Kapitals wollte Adrian einen Theil der Güter wieder an sich bringen , die sein wilder sittenloser Vater durch schlechte Wirthschaft , verbunden mit den lang dauernden Kriegsstürmen und den gewaltigen Umwälzungen in allen Verhältnissen , verloren hatte . Inzwischen setzte sich die Fähre vom Seeufer her nach der Insel zu in Bewegung , beladen mit einer Menge Ballen und vielen Menschen . Adrian sah dies aus den Fenstern seines Arbeitszimmers , achtete jedoch wenig oder gar nicht darauf , da sich das nämliche Schauspiel täglich mehrmals wiederholte . Der Buchhalter packte seine Bücher zusammen und entfernte sich , doch kehrte er schon nach einigen Minuten wieder zurück , um dem Herrn am Stein zu melden , daß zwei Fremde ihn zu sprechen und die Fabrik zu sehen begehrten . Adrian hatte es gern , wenn man im Auslande von seinem Etablissement sprach . Er wies daher Niemand zurück , der Interesse für Maschinenwesen und Industrie zeigte , vielmehr ließ er sich meistentheils herab , Fremde selbst herumzuführen und mit großer Zuvorkommenheit alle ihre Fragen zu beantworten . Er bat also auch jetzt , die fremden Ankömmlinge vorzulassen , damit er sich mit ihnen unterhalte und nach dem Grade ihrer Bildung sein eigenes Betragen abmesse . Gewohnt , immer nur Personen aus den vornehmen oder den vorzugsweise so genannten gebildeten Ständen unter den wißbegierigen Besuchern zu finden , war er überrascht jetzt auf ein Mal zwei Männer des niedern Volkes zu erblicken , die noch dazu ihrer veralteten Tracht nach mit der Zeit wenig fortgeschritten zu sein schienen . Diese Fremden waren , wie unsere Leser schon errathen haben , der Wende Sloboda und sein Freund der Maulwurffänger . Beide gingen so gekleidet , wie wir sie bereits kennen , nur hatte Sloboda auf Anrathen seines Freundes den schmalen Lederriemen , den er für gewöhnlich um Stirn und Haar schlang , abgelegt , um durch ihn nicht Anlaß zu Vermuthungen zu geben , die er jetzt noch nicht hervorgerufen wissen wollte . Adrian empfing die beiden alten Männer mit kühler Höflichkeit , indem er nach ihrem Begehr fragte . Sloboda antwortete darauf , er komme aus dem Innern Litthauens , um die Fortschritte der Industrie in Deutschland und namentlich die außerordentlichen Verbesserungen hinsichtlich der Maschinenspinnerei , die bei ihnen noch nirgends eingeführt sei , kennen zu lernen . Er selbst sei von Geburt Deutscher , habe sich von jeher mit dem Manufactur- und Fabrikwesen beschäftigt , und gehe damit um , die große Wohlthat der Maschinenspinnerei auch seinen jetzigen neuen Landsleuten wo möglich zu Theil werden zu lassen . Diese ohne Schüchternheit und Zurückhaltung gegebene Erklärung ihres Besuches ererregte kein Mißtrauen in Adrian , sie machte ihn eher etwas freundlicher , da er sich für Rußland interessirte , und während er die beiden Männer ihm zu folgen einlud , stellte er manche Frage an den Wenden über die gegenwärtige Lage Polens nach dessen Unterjochung durch die Russen , über die dortigen Aussichten für Industrie und dergleichen , die Sloboda bereitwillig und zu seiner Zufriedenheit beantwortete . Dabei hatten sie den sich krümmenden Felsenweg zu den Fabrikgebäuden erstiegen und das alte , vollkommen erhaltene Eingangsthor des ehemaligen Grafenschlosses erreicht . Sloboda blieb stehen und betrachtete aufmerksam die gothischen Steinschnörkel und das colossale Wappenschild , von zwei Löwen gehalten , in deren geöffneten Rachen Sperlinge ihre Nester gebaut hatten . » Es fällt Ihnen gewiß auf , « sagte Adrian , » daß Sie über dem Eingangsthore einer Spinnfabrik ein gräfliches Wappen von uralter Herkunft erblicken . Andere Zeiten , andere Sitten , meine Herren , könnte man hier sagen ! Ehemals stand hier ein stattliches Feudalschloß , deren Besitzer mächtige Herren waren und sich rühmen durften , es an Reichthum jedem Fürsten gleich zu thun . Unglückliche Ereignisse , Stürme der Zeit , die Niemand voraussehen , Niemand abwenden kann , brachen die festen Mauern auch dieses Schlosses , und damit wenigstens sein unzerstörbar fester Grund etwas nütze , ward vor mehreren Jahren auf die Trümmer der alten Burg die Fabrik erbaut , die besser , als die früheren Bewohner des Schlosses , Wasser , Wald und Sumpf , welche sie rings umgeben , sich auf nutzbare Weise zinsbar zu machen versteht . « » So etwas kommt häufig vor in unsern Tagen , « versetzte der Maulwurffänger . » Es scheint überhaupt die Aufgabe der neuen Zeit zu sein , alle Ungleichheiten , an denen die Vergangenheit krankte , nach und nach auszugleichen und dadurch gewissermaßen die Verbrechen der Geschichte bessernd zu bestrafen . « » Nicht übel ! « meinte Adrian . » Ihr macht demnach die Zeit zum Zuchtmeister , was sie freilich von jeher gewesen ist , nur daß sie jetzt ihre strafende Hand gegen andere Personen und Geschlechter erhebt , wie früher . « » Das ist eine sehr weise Einrichtung , Herr am Stein , « bemerkte Sloboda , der bisher unverwandt das steinerne Wappen betrachtet hatte .