Erster Teil 1 » Nun , Meister Schwan , für diesmal ist Er christlich durchgekommen , straf mich Gott ! Ohne Willkomm und Abschied ! Herr Gott von Dinkelsbühl , tut mir fast leid , daß ich Ihm nicht ein paar aus dem ff auf Sein gesundes Leder aufmessen darf , aus purer Freundschaft . Und dazu bloß ein halb Jahr ! Aber ich hoff , so ein heißgrätiger Bursch wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unserer lustigen Kartaus bekommen . Aufs Frühjahr spätestens , wenn die Bäum ausschlagen , werden wir wieder die Ehre haben . Ich will derweil ein paar tüchtige Haselstöcke ins Wasser legen , damit sie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm , wenn 's heißen wird : › des Ebersbacher Sonnen wirts sein Gutedel ist wieder da . ‹ Adjes , Meister Schwan , glückliche Reise und nichts für ungut . « Es war unter dem Tore des Ludwigsburger Zucht-und Arbeitshauses , wo einer der Aufseher einem jungen Menschen dieses spöttische Lebewohl sagte . Dem untersetzten stämmigen Burschen konnte niemand im Ernste den Meistertitel geben , denn er schien kaum zwanzig Jahre alt zu sein . Auch sah er sehr sauer zu der Ehrenbezeigung , die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam ; sein breites rotwangiges Gesicht spannte sich zu einem trotzigen Ausdruck , den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte . Er hielt die Augen , wie aus Verachtung , zu Boden geheftet , aber dann und wann schoß er seitwärts einen Blick hervor , der wie ein bloßes Messer funkelte . Der Aufseher gab ihm statt des » Abschieds « , den er ihm gerne zugedacht hätte , einen derben Schlag auf die Schulter und ging lachend hinweg . Der entlassene Sträfling ballte die Faust und sah ihm mit ingrimmigen Blicken nach . Eben wollte er mit einer Gebärde , welche ein nichts weniger als anständiges , aber um so aufrichtigeres Gesinnungsbekenntnis enthielt , dem Zuchthause den Rücken kehren , als er , noch einmal umschauend , einen Gegenstand gewahrte , der den Haß auf seinem derben lebhaften Gesichte plötzlich in das entschiedenste Widerspiel verwandelte . Es war ein Greis , der in der Gebrechlichkeit des Alters an einem Stabe über den Hof gegangen kam ; er trug schwarze Kleidung , und die beiden weißen Überschlägchen , die ihm von der Halsbinde herabhängend auf der Brust spielten , bezeichneten seinen geistlichen Stand . Seine Erscheinung machte einen sichtlichen Eindruck auf alle Begegnenden ; die ausgelassensten Züchtlinge verstummten , als er im Vorübergehen einen Blick auf ihre Arbeiten warf ; der rohe Aufseher wich ihm von weitem aus . Jedem bot er seinen zuvorkommenden Gruß ; er war immer der erste , der das schwarze Käppchen über den spärlichen weißen Haaren lüpfte , und doch sollte es ihm offenbar dazu dienen , sein greises Haupt vor der Herbstluft zu schützen ; denn neben dem Käppchen trug er den dreieckigen Hut unter dem Arm . Der junge Mensch war unter dem Tore des Zuchthauses stehengeblieben . In seinen Mienen zuckte es wie Gewitter und Regenschauer ; aber zum Weinen schienen diese Züge zu derb . Unwillkürlich bewegte er den Fuß , um dem alten Geistlichen entgegenzulaufen ; er besann sich jedoch wieder und blieb schüchtern stehen . Als jener näher kam , zog er die Mütze und trat ihn mit einer linkischen Verbeugung an . Man konnte denken , wenn er ein Hund gewesen wäre , so wäre er mit freudigem Winseln an ihm emporgesprungen und hätte ihm Gesicht und Hände geleckt . So aber war er ein Wesen , um das der Zuchthausaufseher schwerlich seinen Pudel hergegeben hätte , ein entlassener Sträfling , ein unbändiger Mensch , voll Trotz und Roheit ; und doch regte sich in seinem Herzen etwas , das wir auch in den winselnden Tieren ahnen und das die Bibel mit den Worten bezeichnet : das Seufzen der Kreatur . » Mit Verlaub ! « stammelte er , – » ich wollte nur dem Herrn Waisenpfarrer Adieu sagen , weil der Herr Waisenpfarrer immer so gut gegen mich gewesen ist – ich hätt ja nicht fortgehen können ohne das . « Der Waisenpfarrer – denn dieser war es , dem die Seelsorge im Zuchthause oblag – neigte sich mit freundlichem Lächeln zu ihm . Er hatte aus den verlegenen , halb verschluckten Worten des sonst sehr anstelligen Burschen den rechten Kern herausgehört . » So ist Er denn also jetzt frei , Friedrich ? « sagte er zu ihm . » Ich wünsch Ihm von Herzen Glück . Nun gebrauche Er aber auch seine Freiheit so , wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß . « Ich versteh schon , Herr Waisenpfarrer ! « erwiderte der Jüngling , der mit der ersten Anrede seine Beengung weggesprochen und sich in einen Ton bescheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte . » Ich versteh schon . Das ist wie mit dem Wein . Der ist auch eine Gottesgabe . Wenn man aber solche Gottesgabe zu hart strapaziert , so wirft sie den Menschen hin , daß er gleichsam wie vierfüßig wird . Dagegen , wenn man sie mit Maß genießt , so erfreut sie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf . Grade so ist 's auch mit der Freiheit . Wenn man von der über Durst trinkt , so kann sie einen auch wohin werfen , wo zum Beispiel keine Freiheit mehr ist . « Bei diesen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude , das er soeben verlassen hatte , und seine weißen Zähne blinkten lachend zwischen den kirschroten Lippen hervor . » Ja , so ist's , mein Freund « , versetzte der Geistliche . » Man pflegt wohl zu sagen : ich nehme mir die Freiheit , das und das zu tun . Das ist nur so eine höfliche Redensart . Mancher aber nimmt sich mehr Freiheit , als er einem andern gönnt , und tut einem andern etwas , was er sich selbst nicht angetan wissen will . Das aber ist zu viel Freiheit , und Er weiß wohl , was zu viel ist , das ist vom Übel . Eigentlich sollten wir unsere Freiheit bloß dazu anwenden , um einander lauter Liebes und Gutes zu tun ; denn wenn die Menschen alle einander dienen würden , dann wäre ja ein jeglicher so wie ein Diener auch wieder ein Herr , und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt . « Ja , wenn alle so wären , wie der Herr Waisenpfarrer , dann wär 's keine Kunst , ihnen zu dienen . Aber so ist 's nicht in der Welt . Da ist viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit , nicht bloß solche , die den Nebenmenschen übervorteilt , sondern auch Bosheit , die ihm ohne allen Grund die Milch sauer macht , und wenn man auf so einen Giftmichel trifft , so meint eben die Faust gleich , sie müsse ein Wörtlein mit ihm reden . « » Mein Sohn « , sagte der alte Geistliche , » man hat den Verstand dazu , daß man der Faust nicht ihren Willen läßt . Und es kommt nur darauf an , daß man einem Menschen seine gute Seite abgewinnen lernt . Eine gute Seite hat auch der Schlimmste . Wenn man aber einmal diese gefunden hat , so ist's , als hätte man den Schlüssel zu einer sonst verschlossenen Türe , und wenn man hineingeht , so trifft man oft auf Dinge , die man gar nicht hinter dieser Türe gesucht hätte . Da ist zum Exempel ein gewisser Friedrich Schwan . Den hat man mir geschildert als einen rohen , verworfenen Burschen , dessen Herz keiner guten Regung fähig sei – Faust in Sack ! Die Leute urteilen eben nach der Außenseite – und wie ich ihn nun selber kennenlernte , da fand ich in ihm einen Menschen , dessen Herz wie ein wild aufgeschossenes Reis ist , trotzig und aufrührisch gegen jedes rauhe Lüftchen , weich und geschmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenstrahl , einen Menschen , der gegen harte Worte und Behandlungen störrisch bleibt und den man mit Güte um den Finger wickeln kann . Ist 's nicht so ? « Ja , so ist's , Herr Waisenpfarrer « , antwortete der junge Mensch verlegen und gerührt . » Nun , das ist aber auch keine Kunst , gegen Gute gut zu sein . Wenn 's weiter nichts wäre als das , so würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen , statt durch die schmale . « » Das ist wahr , Herr Waisenpfarrer « , erwiderte der junge Mensch bedenklich . » Aber wenn alle Menschen unterdiensthaft gegeneinander wären , wie Sie vorhin gesagt haben , so wäre es gerade dasselbe Ding . « » Allerdings . Aber da die Menschen im allgemeinen bis jetzt nicht geneigt sind , uns die Himmelspforte so breit und bequem zu machen , so dürfen wir deshalb der schmalen nicht untreu werden . Wir müssen gegen unsere Nebenmenschen gerade so liebreich und dienstfertig sein , wie sie eigentlich gegen uns sein sollten , unangesehen , ob sie es sind oder nicht . Vielleicht gewinnen wir sie dadurch und bewegen sie , unser Beispiel nachzuahmen . « » Ja , ja , Herr Waisenpfarrer « , fiel der junge Mensch lebhaft ein , » das ist gerade , wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen werden soll . Da kommt es nur drauf an , daß einmal ein Anfang gemacht wird , der für den Fortgang und fürs Fertigwerden Bürgschaft gibt , und ist also ein kleines umgepflügtes Flecklein fast schon so wichtig wie das ganze künftige Neubruchland . « » Er hat mich gar wohl gefaßt « , versetzte der alte Herr mit freundlichem Lächeln . » Wenn das Reich Gottes auf Erden erscheinen und ihm die Stätte bereitet werden soll , so tut es zuerst not , daß ein Kern von guten Menschen gezogen wird , von welchen die Güte und der Segen allmählich auf die andern übergehen kann . Die müssen aber festhalten wie ein Häuflein Streiter , von denen der Ausgang einer Schlacht abhängt . Ja , mein Sohn « , fuhr er fort und legte ihm die abgemagerte Hand auf dieselbe Schulter , welche vorhin der Aufseher so unsanft berührt hatte , » da muß man den Pflug über das trotzige Herz gehen lassen , da muß man eine Beleidigung nicht mit Tätlichkeiten erwidern , die ins Zuchthaus führen . Vielmehr , wer zu jenen Kerntruppen gehören will , der muß gegen seinen Feind gar noch ein gutes Wort und ein freundlich Gesicht aufzuwenden haben , und was noch weit mehr heißen will , es muß ihm sogar von Herzen gehen . « Der Jüngling , der irgendeinen Widersacher im Geiste vor sich stehen sehen mochte , trat bei dieser Zumutung betreten einen Schritt zurück . Die Größe der Aufgabe war ihm augenscheinlich schwer aufs Herz gefallen . – » Aber « , sagte er , » da wird mancher denken , wie es im Evangelium heißt : das ist eine harte Rede , wer kann sie hören ? « Der Greis lächelte . » Mein junger Freund ist sehr bibelfest « , versetzte er , » ich bemerke das heut nicht zum erstenmal . Die besten Kernsprüche , die schönsten Liederverse hat er fest im Kopfe behalten , aber ob auch in einem feinen Herzen ? Das ist nun die Frage . Diese schönen Stellen , welche die Jugend in den Schulen auswendig lernt und oft recht gedankenlos dahersagt , sind Samenkörnern zu vergleichen . Nun ist es zwar um ein Samenkorn ein edles Ding , aber der aufgewachsene Baum und seine Früchte sind doch noch etwas ganz anderes . Oh , mein lieber Friedrich , ich fürchte « – bei diesen Worten hob er liebreich den Finger gegen ihn auf – , » ich fürchte , dieses trotzige Gemüt muß noch durch Leiden gebeugt und recht umgebrochen werden , wenn es ein Boden werden soll , darin der Same zu Früchten aufgehen kann . Mein Sohn , habe Er immer den vor Augen , von dem wir jene Sprüche überkommen haben , der nicht schalt , da er geschlagen ward , und nicht dräuete , da er litt . Ich will Ihm aber nicht mit einem Male ein Werk auflegen , das für manche zartere Seelen noch zu schwer ist . Fange Er im Kleinen an , mein lieber Sohn . Strebe Er , sanftmütig zu werden . Denke Er immer zur rechten Zeit daran , den aufquellenden Zorn zu bezähmen ; denn der Zorn hat einen bösen Urahn , den Mörder von Anbeginn , und wenn man ihn herausläßt , so gleicht er der Kugel , von der das Sprichwort sagt : › wenn sie aus dem Rohr ist , so ist sie des Teufels ‹ . Vor allem aber will ich Ihm eines ans Herz legen . Er ist vermöglicher Leute Kind , und in einem Wirtshause fallen manche Brocken ab . Benütze Er diese Gelegenheit , um Gutes zu tun und nach Seinen Kräften den traurigen Unterschied , der in der Welt ist , ein wenig auszugleichen . Er kann , ohne Seinen Vater zu übervorteilen – und das darf Er ja nicht tun ! – , manchem armen Schlucker etwas zufließen lassen . Ich sage das nicht , daß Er meinen soll , Er könne sich ein Verdienst vor Gott damit erwerben . Aber der rechte Glaube wird auch immer die rechten Werke gebären , und hinwiederum , wer die rechten Werke tut , der setzt zugleich sein Inneres in die rechte Verfassung , wie sie vor Gott sein soll ; denn Gutes tun macht ein gelindes Herz . Deshalb , mein Sohn « , beschloß er mit einem unbeschreiblich heitern und scherzhaften Lächeln , » will ich Ihm , da Er noch so jung ist , nicht zumuten , daß Er gleich als Flügelmann unter jene Kerntruppen tritt , von denen ich gesprochen habe . Suche Er nur zuerst als Marketender bei ihnen anzukommen , dann kann Er sich allmählich weiter aufdienen , bis – « Ein Geräusch unterbrach ihn , das ihm den frommen Scherz aufs kläglichste verbitterte . Unzweideutige Schläge hallten von dem untern Stockwerk her , dem der Geistliche und sein aufmerksames Beichtkind nahe standen . Sie folgten mit unerbittlicher Regelmäßigkeit aufeinander , so daß der Greis die schwache Hand ausstreckte , als ob diese abwehrende Gebärde der Grausamkeit ein Ende machen könnte . Man hörte kein Geschrei , sondern nur ein dumpfes Knurren , in welchem jedoch der menschliche Ton zu unterscheiden war . Dieses Knurren , das sich in Zwischenräumen wiederholte , machte den Vorgang weit unheimlicher , als wenn die lautesten Wehklagen ihn begleitet hätten . Der junge Friedrich ballte die Faust gegen das Gebäude . » Diese Prügelhunde ! « rief er , » es ist ihnen nur wohl , wenn sie zuschlagen können . « Der Waisenpfarrer legte ihm wieder die Hand , die aber diesmal zitterte , auf die Schulter . » Mein Sohn « , sagte er , » die Menschen haben es mit der Sünde verdient , daß der Schmerz und das Wehtum in die Welt gekommen ist . Wo aber Strafe ist , heißt es , da ist Zucht , und wo Friede ist , da ist Gott . « Die Schläge hallten dazwischen fort . Der Greis brach mit einem tiefen Seufzer die Unterredung ab . » Nun lebe Er wohl , mein lieber Friedrich « , sagte er . » Gott sei mit Ihm auf allen Seinen Wegen . Denke Er an das , was ich Ihm gesagt habe , damit wir uns fröhlich und ebendarum niemals mehr an diesem Orte wiedersehen . « Er drückte ihm die Hand und wankte , so eilig als er es vermochte , an seinem Stabe dahin . Zwar hatte auch er die Meinung seinerzeit ausgesprochen , daß durch grausame Züchtigungen der Wille Gottes erfüllt und sein Kommen vorbereitet werde , aber er schien doch nicht gern dabei zu sein und hatte es in diesem Augenblick wohl tief empfunden , daß das Reich Gottes , so wie er es verstand , noch sehr ferne sei . Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenstern des Zuchthauses stehen und lauschte dem Geräusch der Pein , vor welchem sein ehrwürdiger Beichtiger entflohen war . Er fühlte zwar nicht geringe Entrüstung über die Gewalt , die hier einem Menschen angetan wurde , aber der Schmerz des Armen verursachte ihm , der selbst schon manchen derben Puff ausgehalten hatte , kein besonders zartes Mitgefühl . Die Schläge hörten endlich auf . Bald hernach öffnete sich die Türe , und von einer unsichtbaren Hand geschleudert , kam ein Mensch herausgeflogen . Der Stoß war nicht eben sanft gewesen , doch hie der Hinausgeworfene sich wie eine Katze auf den Füßen . Sein Gesicht zeigte trotz der zigeunerischen Farbe die Spuren überstandener Anstrengung , es war dunkelrot , und ein schielendes Auge gab diesen jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck . Der junge Zigeuner , der soeben einen rauhen Abschied durchgemacht hatte , schüttelte sich am ganzen Leibe , er kehrte sich gegen das Zuchthaus um , streckte die Zunge , so lang er konnte , heraus und ging dann gemächlich seiner Wege . » Ich glaub , sie haben dich mit ungebrannter Asche gelaugt , und das scharf « , sagte Friedrich , als er an ihm vorüberkam . » Ich glaub auch « , war die trockene Antwort des Zigeuners , der einen Blick aus seinem scheelen Auge über den Frager hinlaufen ließ und sich von dannen machte . Friedrich , der auf den Burschen neugierig geworden war , folgte ihm von weitem nach . Aber erst als sie Ludwigsburg mit seinen vornehmen regelrechten Straßen hinter sich hatten , wagte er , die Gesellschaft des verachteten Zigeuners aufzusuchen . Dieser schien nachlässig vor sich herzuschlendern , und doch hatte er Mühe , gleichen Schritt zu halten und ihn endlich einzuholen . » He , wohinaus , Landsmann ? « schrie er ihn an . » Dem Hohenstaufen zu « , antwortete der Zigeuner seitwärts herüber , ohne sich in seinem Gange aufhalten zu lassen . » Dann haben wir ja schier gar einen Weg « , sagte Friedrich , an seiner Seite gehend . » Der meinige führt nach Ebersbach . « » Da können wir wenigstens eine Strecke weit beisammenbleiben « , erwiderte der Zigeuner . Die beiden jungen Burschen gingen nun mit wackeren Schritten durch die Ebene und dann jenseits des Neckars über die Anhöhen hin , welche zwischen diesem und der Rems liegen , und machten nach einer tüchtigen Wanderung bei einem einsamen Wirtshäuschen halt , wo Friedrich seinen Gefährten zu Gaste lud . Eine Flasche vom Saft des Apfels und ein Rettich , der den Sommer überlebt hatte , war alles , was ihm ein paar gesparte Pfennige aufzutischen erlaubten . Die vorgerückte Jahreszeit ließ sich so mild an , daß die beiden Wanderer im Freien auf der verwitterten Bank unter dem alten Apfelbaum ihr Mahl verzehren konnten . Hungrig und durstig griffen sie zu und ließen sich 's nach der Weise der Jugend schmecken . Wie lustige Sperlinge genossen sie der wiedererlangten Freiheit , schalten auf das Gefängnis , von dem sie herkamen , spotteten über die Schwachheiten der Aufseher und erzählten sich lose Streiche , womit sie deren Wachsamkeit umgangen hatten . Unter Plaudern und Lachen war die Flasche nur allzubald geleert . Sie kehrten alle Taschen um , bis sie in der erdenklich kleinsten Münze , aber auch mit dem erdenklich größten Jubel die nötige Summe zusammengebracht hatten , um eine zweite zu bestellen . » Wie bist du denn eigentlich « , fragte Friedrich unter dem Einschenken , » in den Gasthof zur Kardätsche geraten ? Mit bloßem Vagabundieren hast doch so jung nicht so hoch in die Wolle avancieren können . « » Nein « , erwiderte der Zigeuner unbefangen , » ich hab krumme Finger gemacht . « » Pfui « , rief Friedrich , » Stehlen , das ist was Hundsgemeines , heißt das , wenn – « » Von z'wegen was seid Ihr hineingekommen ? « unterbrach ihn der Zigeuner etwas rasch . Ungeachtet des Ärgers über die biderbe Bemerkung vergaß er nicht , daß sein Genosse der herrschenden Nation angehörte und daß er den größeren Teil der Zeche bezahlt hatte : Grund genug , ihn in der majestätischen Mehrzahl anzureden . – » Man wird Euch auch nicht bloß um der Kostbarkeit willen hinter Glas und Rahmen aufgehoben haben . « » Ich hab einen durchgeprügelt und das lederwindelweich . Der Heuchler gab dann vor , er könne den Arm nicht mehr gebrauchen . Es war aber erlogen , und so schickten sie mich eben auf ein halb Jahr an das Örtchen , von dem man nicht gern red't . « Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Gesicht . » Und habt Ihr Euch niemals an fremdem Eigentum vergriffen « , fragte er , » daß Ihr da so auf dem höchsten Gaul sitzen könnt ? Seid Ihr niemals einem andern in die Äpfel gegangen oder in die Kirschen ? Denn « , setzte er eifrig hinzu , » Stehlen ist Stehlen , das sag ich . « » Ja , meinem Vater bin ich wohl über die Kirschen gegangen und auch über die Geldlade . Aber das ist was anderes , das geht ja vom eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt . Das ist nicht gestohlen . Stehlen heißt , wenn man fremden Leuten das Ihrige nimmt , und das ist eine Schmählichkeit . « » Wenn bei uns einer « , versetzte der Zigeuner höhnisch , » seine Eltern bestehlen würde , so könnte seines Bleibens nicht mehr sein ; der ärgste Spitzbube würde ihn verachten und anspeien . Bei uns ist es Sitte , daß man die Eltern ehrt und liebt und daß man ihnen eher zubringt , als daß man sie bestiehlt . Dafür lassen sie es aber auch an ihren Kindern nicht fehlen , sie geben ihnen den letzten Bissen vom Munde weg , und des halb ist es gar nicht möglich , daß so etwas bei uns vorkommt . Ist mir auch eine ganz besondere Lebensart , daß ich einen Fremden schonen soll , der mich nichts angeht , und soll mich dagegen an meinem Vater vergreifen , der mir der Nächste ist in der Welt . Das bring mir ein anderer in den Kopf , mir ist es zu hoch . Kommt mir gerade vor , wie wenn im Krieg einer sich von den Feinden abwenden wollte und auf seine Freunde schießen . « Friedrich war betroffen . Sein gesunder Verstand sagte ihm , daß etwas Wahres an dieser Ansicht sei , und doch konnte er sie nicht zugeben , da sie den Sitten und Gewohnheiten , unter denen er aufgewachsen , völlig widersprach . Die beiden jungen Leute stritten eifrig und konnten sich lange nicht verständigen . Darin waren sie zwar einer Ansicht , daß auf die » Herrschaft « keine strengen Begriffe von Eigentum anzuwenden , daß die Tiere im Walde , die Fische im Wasser eigentlich Gemeingut seien ; aber über den Rest des großen Kapitels vom Mein und Dein konnten sie nicht einig werden . » Stehlen und Stehlen ist zweierlei « , rief Friedrich zuletzt . » Geh du nach Ebersbach und frag von Haus zu Haus , ob die Leut nicht einen Unterschied machen , und die Leut müssen doch auch wissen , was sie tun . Überall gilt 's für eine größere Schande , wenn einer einem Fremden was stiehlt , als wenn er's den Eigenen nimmt ; denn da bleibt's ja in der Familie . « » Dann sollte man ihn auch in der Familie abmurxeln « , sagte der hartnäckige Zigeuner , » und jedem davon ein Stück zum Kochen geben , wenn eure Gesetze so schlecht sind , daß sie bloß den einen Diebstahl strafen , den andern aber nicht . « » Oha « , sagte Friedrich , » umgekehrt ist auch gefahren . Selbiges ist anders . Die Gesetze , die sind so überzwerch wie du , die behaupten auch , Stehlen sei Stehlen . Wie es herauskam , daß ich meinem Vater ein paar hundert Gulden genommen hatte , die er mir nicht gutwillig geben wollte , um in die Fremde zu gehen , da taten sie mich geschwind nach Ludwigsburg zum Wollkardätschen , ob ich gleich erst ein unverständiger vierzehnjähriger Bube war . Damals hab ich auch gelernt , was der Willkomm und Abschied für höfliche Komplimente sind , und hab empfunden , wie es patscht , wenn Haselholz und Hirschleder zusammenkommen . « Der Zigeuner schlug ein lustiges Gelächter auf . » Aber nicht wahr « , rief er triumphierend , » mit einem solchen Leibschaden noch stundenlang drauflos marschieren und dann auf einem hölzernen . Bänkchen herumrutschen , das könnt auch nicht ein jeder . « » Nun , nun « , entgegnete Friedrich , » man merkt 's dessenungeachtet wohl , wo du dermalen deine schwache Seite hast . Du sitzt ja so windschief da , als wenn das Bänkchen unter dir brennte , die armen Seelen in der Hölle , die auf dem Glufenhäfelein sitzen , können nicht öfter wechseln und nicht possierlicher den Fuß an sich ziehen . Aber das muß man dir lassen : mannlich hast du dich gehalten . Wenn ich nur noch ein paar übrige Kreuzer hätt , so ließ ich dir einen Kirschengeist zum Einreiben kommen . « » Einreiben ! Wer wird auch die Gottesgabe so sündlich verschwenden ! Den Kirschengeist muß man innerlich brauchen , von innen heraus kuriert er noch einmal so schnell . « » Das glaub ich dir ! « lachte Friedrich . » Überhaupt hab ich schon oft gedacht , ihr Zigeuner müsset ein gutes Fell haben , stich- und kugelfest . Man könnt's , schätz ich wohl , zum Überzug für ein schwaches Gewissen brauchen . « » Es dient oft auch dazu . Ja , eine gute Haut , die muß der Zigeuner haben , und hartgesotten muß er sein , wenn er solch mühseliges Leben aushalten soll . Frost und Hitze muß ihm gleichviel gelten . Halbnackt muß er gehen können , wenn ihm der gefrorne Schnee unter den Füßen kracht , und die schwerste Bürde muß ihm wie ein Flaum sein , wenn ihn die Sonne mittags auf die Glieder sticht . Sein Lager ist unter Gottes freiem Himmel , und in böser Nacht hat er 's nicht immer so gut , daß er auch nur im Hüterhäuschen unterkriechen kann . Oft hat er nur einen Baum zum Obdach , unter dem schläft er zufrieden , wenn der Sturm durch die Äste fährt und die Blätter schüttelt , daß ihm der kalte Regen auf die Stirne tropft . « » Herr Gott « , rief Friedrich mit rauher Rührung , » ich kann doch auch was vertragen , aber so ein Leben muß ja den besten Mann umbringen ! Mußt du nicht selber sagen , daß es vernünftiger wäre , wenn ihr das Heidenleben aufgäbet , eine christliche Ordnung anfinget und ließet euch mit andern ehrlichen Christenmenschen in Handel und Wandel ein ? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf , der sie regiert , der wird nicht sobald mit leerem Magen ins Bett gehen und nicht im kalten Regen schlafen dürfen . « » Wir sind so gute Christen wie ihr « , versetzte der junge Zigeuner eifrig , » es mag sich fragen , ob wir nicht besser sind ? Aber wie wollten wir denn mit euch leben ? Ihr stoßt uns ja aus und wollt keine Gemeinschaft mit uns haben . Wie kann der Zigeuner , dem ihr mit Verachtung die Türe weiset , sein ehrlich Brot bei euch verdienen ? Ich bin aus einer Familie , die schon seit zweihundert Jahren hier im Württembergischen , dann im Deutschherrischen drunten und in den beiden Markgrafschaften am Rheine drüben hin und wieder zieht . Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntschaften , aber ich möchte doch auch in all diesen Landen einen einzigen Menschen sehen , wenn unsereiner z.B. käme und ihm sagte : › Ich will ein ander Leben führen und ein ordentliches Wesen anfangen , da bin ich , nimm mich auf , teile dein Haus und dein Brot mit mir , soviel als dir meine Dienste wert sein mögen ‹ – den Menschen möcht ich sehen , der darauf sagen würde : › Tritt ein und bleibe bei mir . ‹ Auch unter den Unsrigen möcht ich den Menschen sehen , dem es im Schlaf einfallen könnte , eine solche Bitte zu tun . Denn jeder weiß die Antwort im voraus und weiß , wie man beiderseits voneinander denkt . Das ist jetzt eben einmal von Anbeginn so und wird auch nicht mehr anders werden . Ich weiß wohl , ein mancher von den Meinigen ist eines bösen Todes gestorben , und wie könnte es auch anders sein ? Das Element , in dem einer lebt , ist natürlicherweise auch zuletzt sein Tod . Das ist allenthalben so . Wer sein Leben lang im Hanfsamen sitzt wie ein freier Spatz , der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes Ende . Man tät's wohlfeiler nehmen , wenn man 's haben könnte . Ein paar fette Kapitälchen verzinsen , essen und trinken , was gut schmeckt , mit vier Schweißfuchsen fahren oder auch nur mit zweien , – meint Ihr , der Zigeuner habe zu einem solchen gemächlichen Leben nicht so viel Genie als irgend jemand in der Christenheit ? « » Mir zweifelt 's gar nicht ! « lachte Friedrich . – » Aber jetzt kann ich auch auf einmal begreifen , warum du es für so schandhaft hältst , wenn von euch einer seinem eigenen Vater etwas nehmen würde , und an diesem Beispiel wird mir 's klar , daß du eigentlich Ehr im Leibe hast . Denn die Moral ist bei euch im Grund die nämliche wie bei uns , nur daß sie natürlicherweise umgekehrt ist . « Mit diesen Worten , die zwar keine klare Anschauung des Standpunkts , aber doch eine gewisse Ahnung desselben verrieten , suchte er die obschwebende Streitfrage zu lösen . » Aber es wird spät « , fuhr er fort , » und wenn wir die Buttel auch auswinden wie ein Leintuch in der Wäsche , so pressen wir doch keinen Tropfen mehr raus . Weißt was ? Komm du mit mir über Ebersbach , ich will dir einen heidenmäßigen Kirschengeist einschenken zur inwendigen Kur . Ob du links am Staufen vorbeigehst oder rechts , das ist gehopft wie gesprungen . « » Ja , es ist am End ein Ding « , entschied sich der Zigeuner , » und auf eine Stunde soll mir 's nicht ankommen . « Die beiden jungen Burschen erhoben sich und stiegen die gelinden Anhöhen hinab , an deren Fuße das Filstal sich gegen den Neckar öffnet . Wohlgemut schlenderten sie die Straße an dem Flüßchen aufwärts ; der Zigeuner pfiff gellende Weisen , Friedrich aber schwieg still , und unter seiner breiten Stirne schien ein mächtiger Gedanke zu arbeiten . Die Worte des Waisenpfarrers gingen ihm im Sinne herum ; das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn stolz gemacht , und es war ihm zumute , als ob er gar nichts nötig hätte als ein bißchen guten Willen , um ein großes Werk zustande zu bringen . Sie waren wohl eine gute Stunde so zugeschritten , ohne ein Wort miteinander zu reden , als Friedrich auf einmal stehenblieb und seinen Gefährten kräftig am Arme faßte . » Und ich sag dir « , rief er , » du bleibst bei mir ! Ich will dir zeigen , daß ich auch ein guter Christ bin . Wenn ich dein armes verstoßenes Volk in das Erbe einsetzen könnte , das von Gott und Rechts wegen einem so gut gehört wie dem andern – mit einem Schlag wollt ich das tun . Nun kann ich aber weiter nichts , als an einem einzelnen , der mir unter die Hände kommt , ein christlich Werk verrichten . Du gehst mit mir , da ist keine Widerrede , die Sonne von Ebersbach hat Raum für viele ! Da wird sich schon ein Plätzlein für dich finden im Haus und ein Stuhl am Tisch und ein Brocken in der Schüssel . Zu tun gibt 's auch immer etwas , du dienst meinem Vater als Knecht , wie ich , und sollst es nicht schlechter haben als ich . An Frost und Schneepatschen , an Last und Hitze wird 's zwar nicht fehlen , je nachdem die Jahreszeit ist ; aber das Schlafen im kalten Regen und alles andere , was dazu gehört , das soll und muß ein Ende haben . Komm her , schlag ein . « Der andere hatte ihn anfangs mit seinem scheelen Auge verwundert angesehen ; die Zuversichtlichkeit seiner Rede schien aber jedes Bedenken bei dem Zigeuner verwischt zu haben , und er tat , wie ihn sein Gefährte hieß . Friedrich erwiderte seinen Handschlag mit einem noch kräftigeren , und zufrieden , wie wenn sie einen guten Markthandel abgeschlossen hätten , setzten sie ihren Weg miteinander fort . Der Tag begann sich eben zu neigen , da breitete sich das Ziel ihrer Reise , ein beträchtlicher Flecken , in angenehmer Talweite zwischen den Anhöhen wohlgelegen , freundlich und heimatlich vor ihren Augen aus . 2 » Frau Sonnenwirtin , jetzt ist 's an mir ! « rief der ältere von zwei Männern in hellblauen Wämsern , die am Wirtstische saßen . » Bringt nur gleich zwei Bouteillen auf einen Streich . Und wenn das Vermögelein draufgehen sollte , der Friede muß stet und fest sein . Man sagt ja , ein Prozeß sei etwas Fettes . Nun gut , auf etwas Fettes muß man brav trinken , damit 's einem den Magen nicht verdirbt . « » Nach Befehl ! « erwiderte die Wirtin , eine große schlanke Frau , aus deren gelblichem Gesichte starke Knochen hervortraten ; und die Flaschen auftragend fuhr sie fort : » G'segn's Gott , ihr zwei Müller , Ober und Unter ! Das ist das wahre Wasser auf eure Mühlen und wird sie besser treiben als das Haderwasser , dem ihr einige Zeit her den Zugang verstattet habt . Ja ja , ich gratulier ! Ein fetter Vergleich ist besser als ein magerer Prozeß . Das Sprichwort sagt 's zwar umgekehrt , aber ich hab doch recht . Auch ist's gescheiter , das Geld in die Sonne zu tragen , als zum Advokaten , denn bei dem wär't ihr doch nicht so ' ring durchgekommen , wie mit so ein paar Bouteillen Zehner . « Die beiden Zunftgenossen , welche einen über ihre Gerechtsame entstandenen Streithandel noch beizeit geschlichtet hatten , ließen ihrer guten Laune vollen Lauf . Sie saßen schon den halben Nachmittag hinter ihrer Friedensflasche und hatten , wie das in solchen Fällen zu geschehen pflegt , die streitigen Punkte sowie die Gründe , die zur Beilegung rieten , mehr als ein dutzendmal umständlich durchgesprochen . Lachend trank der jüngere der Wirtin zu , der ältere aber bedachte sie mit einer derben Liebkosung . – » Was die Sonnenwirtin noch ein fester Kerl ist ! « rief er , » ich glaub , die wär Manns genug , um noch Zwillinge zu bringen . « Die Frau schoß einen scharfen Blick aus ihren grauen Augen auf den Necker , stieß ihn mit einem halb scherzhaft , halb ernstlich gemeinten Scheltwort zurück und verließ , ihren Geschäften nachgehend , das Wirtszimmer . » Ich glaub , Euch juckt 's schon wieder nach einem Prozeß , Vetter ! « sagte der jüngere Müller lachend . » Paßt nur auf , die da versteht keinen Spaß . Ihr werdet wohl wissen , daß man ihr kein gebrannteres Herzeleid antun kann , als wenn man sie an ihre Kinderlosigkeit erinnert . « » Weiß wohl « , entgegnete der andere , » und ebendarum hab ich 's getan , weil ich die neidige , gelbe , giftige Kröte noch gelber sehen will , als unser Herrgott sie geschaffen hat . – Komm her , Peter « , unterbrach er sich , einem Eintretenden zurufend , » du hast treulich mit zum Frieden geraten , nun ist's billig , daß du auch mit uns trinkst . Ihr werdet nichts dagegen haben , Vetter , wenn ich meinem Knecht einschenke ? Hol dir ein Glas und geh her . « Der Knecht tat , wie ihm geheißen wurde , und setzte sich dann hinter einen andern Tisch auf die Bank , die vorm Ofen längs der Wand hinlief . Von dort aus nahm er seinen wohlberechtigten Anteil am Gespräch , stellte sich auch in seinem Reden und Benehmen völlig auf den Gleichheitsfuß mit seinem Herrn und dessen Gefährten ; nur dadurch , daß er nicht unmittelbar bei ihnen Platz nahm , beobachtete er den Standesunterschied . » Der gelbe Neidteufel ! « fuhr der obere Müller fort . » Man darf nur den Sonnenwirt vergleichen , was er unter seinem ersten Weib für ein Mann war , und was er unter dem dürren Rippenstück für einer geworden ist . Damals war er aufgeweckt und kameradschaftlich und gar nicht b'häb in Handel und Wandel und Geldsachen . Jetzt ist er schwach und hat keinen eigenen Willen mehr , dabei aber gegen andere Leute ein wahres Untier an Geiz und Hochmut . Der alte Kerl , er trägt den Kopf wie ein Edelmann und meint wahrhaftig , er sei aus anderem Teig gebacken als wie unsereiner . « » Das macht eben der Reichtum « , sagte der Knecht von seiner Bank herüber . » Ja , er ist grausig reich « , versetzte der untere Müller . » Der Holzschlegel rindert ihm auf der Bühne . Er wird wohl auf zwölftausend Gulden geschätzt . Aber freilich , wie Ihr sagt , Vetter , so verhält sich 's : er ist b'häb und faßt das Tuch an fünf Zipfeln . « » Ja , und guckt in neun Häfen zumal « , fiel der andere ein . » Wo der gedroschen hat , darf man kein Korn mehr suchen « , ergänzte der Knecht . An all dem ist das vorteilhaftige böse Weibsbild schuldig ! Sie will alleweil oben hinaus ; sie möcht's gern der Pfarrerin und der Amtmännin gleichtun , schmeichelt sich auch bei ihnen an und verlästert andere Leute , denn das hören solche Frauen immer gern . Oh , die ist falsch wie Galgenholz . Und wie ist sie nur mit ihren Stiefkindern umgegangen ! Die hat sie von Anfang an zurückgesetzt und verkürzt , in der Meinung , sie werde eigene bekommen , und wie das nicht eingetroffen ist , so hat sie 's ihnen aus Mißgunst noch ärger gemacht . Die älteste Tochter hat den kahlköpfigen , trockenen Krämer da drüben geheiratet , um nur aus der Hölle loszuwerden . Die andere , die Magdalene , tät , schätz ich wohl , mit einem Frosch vorliebnehmen , wie die Prinzessin im Märlein . « » Ihr trefft den Nagel auf den Kopf , Vetter ? « rief der jüngere Müller mit mürrischem Lachen . » Wie ? oder wißt Ihr's nicht ? Hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden ? « » Nun , was ist 's denn ? « » Habt Ihr den Laubfrosch noch nie aus und ein gehen sehen ? Wißt Ihr denn nicht , was man für Werg an der Kunkel hat ? « Der andere schüttelte den Kopf . » Das Ausrufungszeichen in dem froschgrünen Rock ! « fuhr der jüngere hitzig fort . » Er sieht akkurat aus , wie Ihr ihn gestempelt habt . Seid Ihr denn heut ganz auf den Kopf gefallen ? « » Was , der Bartkratzer , der sogenannte Herr Chirurgus , der Heuchler , der Kopfhänger , die magere Kuh Pharaonis ? Jetzt wird mir 's anders ! Jetzt hab ich eine Stärkung vonnöten ! Kommt , Vetter , ich will 's an Euch hinlassen . « Damit erhob er sein Glas . » Ich will's ausstehen « , erwiderte der andere mit sauersüßer Miene , kam ihm mit dem seinigen entgegen , und sie stießen miteinander an . Nachdem der Knecht durch einen Wink beschieden worden war , den Dreiklang voll zu machen , lehnte sich der ältere Müller in seinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort : » Ei so guck einer ! Der Alte schlägt seine Mädchen doch recht unterm Preis los , denn die paar Fußbreit Grundherrschaft , die der grüne Darmfeger besitzt , werden justement einen Sack Erdbirnen ausgeben , und was er jahraus , jahrein mit seiner Rasiererklinge aus den hiesigen Schweinsborsten und Igelsstacheln heraussticht und schabt , das wird ihn auch nicht gerade fett machen . Die Figur gibt's . Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit einem Schlag . So ein Schlucker darf kein groß Heiratgut fordern ; da behält der Schwäh' rvater seine Kronentaler brav in der Truhe und hat noch den Profit , daß ihm der fromme Schwiegersohn , so oft er den Morgen- und Abendsegen liest , um ein baldsanftseliges Ende betet . Seine erste Tochter wird auch nicht viel mitbekommen haben , wie er sie hinausgegeben hat ; denn ich seh just nicht , daß ihr Eh' krüppel sonderlich stark spekuliert , weder in Käs noch in Schwefelhölzlen . Ekonträr , im Gegenteil , seine Firma geht einen sehr bedächtlichen Gang und blüht wie die späten Obstsorten ; ich glaub , er hat 's aufs langsam reich werden angelegt . Aber es ist doch ein Herr Handelsmann , in Stuttgart heißen sie 's gar Kommerzienrat , und das ist Numero zwei . Den neuen Schwiegersohn kauft er vielleicht noch wohlfeiler , und das ist noch ein kostbarerer Artikel , das ist gar ein halber Doktor . Die Frau Chirurgussin wird sich natürlicherweise Flügel an die Haube machen lassen müssen , wenn sie mit der langen froschgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will . Schad ist 's übrigens um die Magdalene . Sie gäb grad so einen Arm voll für einen wackern Junggesellen , wie Ihr z.B. , Vetter . Aber so weit gibt sich der Hochmut nicht herunter , unsereiner ist ihm nicht gut genug ; so eine Rasierklinge ohne Handhab ' schneid't ihm immer noch besser . O blinde Welt ! Die Hand vom Butten , Vetter , 's sind Weinbeeren drin . « » Meinthalben Rosinen und Zibeben ! « fuhr der jüngere auf . » Habt Ihr mich auf der Muck ? Wollt Ihr mich ins Gered bringen ? Ihr schwätzt mir da recht hinterfür heraus , wie ein Mann ohne Kopf ! Was will ich von dem Mädle ? Habt Ihr wo läuten hören ? Bin ich dem Sonnenwirt auf irgendeine Art oder Weise zu Hof geritten ? Zwar , es fragt sich noch , wenn er einen wohlfeilen Schwiegersohn finden will , ob ihm nicht einer so gut ist wie der andere . Wenn 's im Abstreicht geht , darf auch ein Bettelmann zur Auktion kommen , und das ist doch just nicht meine Nummer , wie Ihr selber am besten wißt . Übrigens kann mir die ganze Sippschaft gestohlen werden . Macht mir nichts vor ! In dem Punkt versteh ich keinen Spaß . « Na , wollen den Geist ruhen lassen « , versetzte der ältere . » Aber soviel ist gewiß , wenn die erste Frau , die rechte Mutter , noch am Leben wär , so fiel die Aussteuer ein wenig größer aus und der Hochmut ein wenig kleiner . « » Ja , und mancher böse Auftritt wär unterblieben und mancher Lärm und Spektakel bei Tag und auch bei Nacht , der die Sonne mehr in Finsternis als in Glanz brachte bei der Gemeinde . Und die Hauptsonnenfinsternis wär gewiß auch nicht so schwarz ausgefallen unter dem linden Regiment der rechten Mutter . « » Was meint Ihr damit ? Ja so , jetzt geht mir auf einmal ein Licht auf . Ihr sprecht vom Gutedel , vom jungen Sonnenwirtle. Mag leicht sein , daß der mit Verstand und Güte gradgebogen worden wäre , der knorrige Hagbuchenstock . Zwar ist es schwer zu sagen , ob das Mutterherz den rechten Weg gefunden hätte nachmals , wie es nötig wurde ; denn die selige Sonnenwirtin war eben die gute Stunde selber und den Stab Wehe hat sie nimmermehr zu führen verstanden . Der Sonnenwirt sah dem Früchtlein auch in allweg zuviel durch die Finger , solang sie lebte und solang der Erbprinz die Nüsse noch mit den Milchzähnen knackte . Er hielt ihn zwar fleißig zur Schule an und sah auch sonst zum Rechten ; aber ich weiß nicht , es hat eben doch an etwas gefehlt . « » Ja « , lachte der jüngere Müller , » wohlgezogen , aber übel gewöhnt , das war er von Anfang an . « » Ist denn ein Sohn da ? « fragte der Müllersknecht von seiner Bank herüber . Sein Dienstherr sah ihn verwundert an . » Ja so « , sagte er nach einer Weile , » du hast dich schon so bei mir insinuiert , daß ich schier gar gemeint hätte , du seiest seit Jahr und Tag in meinem Haus , und bist doch erst eine Woche da . Freilich auf die Art hast du den jungen Sonnenwirtle noch nicht zu Gesicht kriegen können . Wundert mich übrigens , daß du in deinem Deizisau nichts von ihm gehört hast ; denn er ist ein Gewaltiger vor dem Herrn , und wenn man ihm nicht den Krattel beizeiten vertreibt , so kann er , schätz ich wohl , im ganzen Land bekannt werden . « » Wo ist er denn ? « fragte der Knecht . » Er ist an einem Örtlein , wo du nicht gern hinkämst « , war die Antwort , und die beiden Müller brachen in ein Gelächter aus . » Jetzt rat einmal . « Die Tür ging abermals auf , und ein Mensch in hohen Wasserstiefeln trat herein . Er trug einen Kübel , den er vorsichtig auf einen Stuhl setzte . » Ist die Frau nicht da ? « fragte er . » So , du bist's , Fischerhanne ? « rief der obere Müller . » Was hast denn da ? Du gehst ja mit dem Kübel so sachte um , wie wenn du Perlen in der Fils gefunden hättest . « » Guten Abend , ihr Mannen « , sagte der Fischer . » Tut 's so ? ist 's schon Feierabend ? Nein , die Perlen geraten nicht hierzuland , außer in der Glasfabrik . Forellen sind's , frisch aus dem Bach , ich hab sie nur geschwind im Kübel hergetragen . « » Was meint Ihr , Vetter ? Wie wär's , wenn wir so ein paar Silberfischlein in die Küche schicken täten ? Der Wein schmeckt noch so gut dazu . Wie , Fischerhanne , gib her , laß einmal sehen , was hast für War ? « » Ich kann keine davon hergeben « , sagte der Fischer . » Die Alte tät mich mit dem Besen zum Haus hinausjagen . Sie hat morgen ein Pfarrerskränzlein , und da braucht sie die Fusch alle . « » So , so , die hochwürdigen Herren begnügen sich nicht mit dem geistlichen Fischzug und wollen daneben auch leibliche Gräten beißen ? « » Ihr lebet ja auch nicht vom Wasser allein , obgleich Ihr Müller seid « , erwiderte der Fischer , indem er trotz seiner abschlägigen Antwort den Kübel herüberholte und mit seinen zappelnden Insassen auf den Tisch setzte . » Pflanz dich nur her « , sagte der andere . » Du gehörst ja in ein Element mit uns . Ein Glas Wein für den Fisch ! Willst nicht ? Und meinethalb noch einen Freitrunk drüber , daß der Weinkauf richtig ist . « » So macht nur geschwind , daß die Alte nicht dazu kommt « , erwiderte der Fischer . » Aber mehr als einen auf den Mann kann ich nicht hergeben , und hier könnet ihr sie auch nicht essen , denn die Sonnenwirtin darf beileib nichts davon wissen . « » Freilich , 's ist ein halber Kirchenraub ! « rief der ältere Müller lachend , fuhr in den Kübel , griff mit sicherer Hand eine große schöne Forelle heraus , zu welcher der Fischer gewaltig sauer sah , schlug sie mit dem Kopf gegen die Tischecke und steckte sie eilig in die Tasche . Der jüngere war ebenso schnell seinem Beispiel gefolgt . So , Fischerhanne « , sagte der ältere , nachdem sie den Handel beendigt hatten , » wir wollen das Element leben lassen , das unsere gemeinschaftliche Nahrung ist . Nahrung , wohlverstanden ! Denn für den Hunger ist 's zwar gut , aber nicht für den Durst . Der Eulenspiegel hat's allezeit den starken Trank geheißen ; es treibe Mühlräder , sagte er , und deshalb sei es ihm zu stark für seine Natur . « Er klingelte am Glase , um noch eine Flasche zu bestellen . » Aber jetzt ist 's recht « , rief er , als die Türe aufging ; » jetzt kommt auch einmal die Oberkellnerin , die Magdalene . Komm her , du Hübsche und du Feine , da gibt's schmachtende Herzen zu laben . « Das Mädchen , das auf den Ruf der durstigen Sturmglocke erschienen war , konnte man nicht ansehen , ohne ihr freundlich gesinnt zu werden . Sie trug auf einem wohlgewachsenen Körper ein rundes , unschuldiges , gutmütiges Gesichtchen , ein weiblich mildes Abbild von den derben Zügen ihres Bruders und zugleich eine Bürgschaft , daß auch hinter dieser rauhen Schale ein guter Kern verborgen sein könnte . » Hab ich 's nicht gesagt ? « rief der ältere Müller , » und es verlohnt sich der Müh , es zweimal zu sagen ; wiewohl wir nicht in der Mühle sind ! Das Mädle gäb einen staatsmäßigen Arm voll , nicht zu viel und nicht zu wenig , für einen braven Junggesellen . « Er blickte dabei mit einer Spaßvogelsmiene auf den andern . » Wenn Ihr sie zu Eurer Käther hin heiraten wollt , so müßt Ihr eben ein Türk werden « , erwiderte dieser trocken . » Aber jetzt ist 's wieder an mir ! Eine Buttel für mich ! « rief er barsch , auf die Flasche deutend , dem Mädchen zu und konnte es doch nicht lassen , ihr nachzublicken , bis sie in der Türe verschwand . Sie war feuerrot geworden und hatte die Flasche mit niedergeschlagenen Augen vom Tische genommen . » Und wie sie so leibhaftig geht und steht ! « rief der erste , der nicht müde werden konnte . » O du Milch und Blut ! « Magdalene erschien nicht wieder . Statt ihrer kam die Hausfrau , stellte die gefüllte Flasche auf den Tisch und nahm die Forellen , die der Fischer indessen auf den Stuhl zurückgebracht hatte , mit hinaus . » Da trink , Fischer ! « rief der jüngere Müller einschenkend . » Der treibt die Seelenmühle , vielleicht treibt er dir auch ein wenig Blut in die farblosen Backen . « » Ja , das ist wahr , du siehst aus , wie wenn du's mit einer Wasserjungfer hättest « , sagte der ältere . » Und so alt bist du geworden , Kerl ! « fügte der jüngere hinzu . » Wenn man sich tagtäglich im Wasser hetzen und verkälten muß und hat magere Bissen dabei « , entgegnete der Fischer unmutig , » so ist 's kein Wunder , wenn der Firnis abgeht . « » Wie alt bist denn , Fischerhanne ? Du siehst aus , wie wenn du schon das Schwabenalter erreicht hättest , und bist doch , glaub ich , mit dem Sonnenwirtle aus der Schul gekommen . « Ja , den hat man aber auch sorgfältiger aufgehoben als mich , da ist 's kein Wunder « , versetzte der Fischer mit hämischem Tone , und ein Strahl leuchtete flüchtig in seinen toten grauen Augen auf . » Der ist ja so gut verwahrt , daß ihn kein rauhes Lüftle anwehen kann . Wie lang sitzt er denn noch im Zuchthaus ? « » Er wird seine Zeit jetzt so ziemlich abgesessen haben . « » Was , der Sonnenwirt hat einen Sohn im Zuchthaus ? « rief der Müllerknecht aus voller Lunge herüber . Er hatte die frühere Antwort nicht recht begriffen . » Sachte , Peter , sachte mit der Braut ! « sagte sein Herr und hielt ihm die Flasche hin , um einzuschenken . » Mußt nicht so laut schreien . Im Haus des Gehenkten ist nicht gut vom Strick reden . « » Aber wie ist so was möglich ? Guter Leute Kind im Zuchthaus ! « sagte der Knecht leise , auf den äußersten Rand seiner Bank vorrückend , die Hände auf den Knien und den Kopf soweit als möglich vorgestreckt . » Es ist just kein Wunder « , versetzte der Fischer . » Er ist eben ein heißgrätiger , unbändiger Bursch « , sagte der jüngere Müller . » Ei , du kennst ihn ja am besten , Fischerhanne « , rief der ältere . » Gib acht , Peter , der kann's dir sagen , der ist mit ihm in die Schul gangen . « » Da wirst du wenig Gut's von ihm zu hören bekommen « , lachte der jüngere Müller . » Wenn der Sonnenwirtle am Jüngsten Tag dem Fischerhanne gegenüber gestellt werden tät , und es käm auf sein alleiniges Zeugnis an , wie sein Urteil in der andern Welt lauten sollt , ich glaub , der Frieder müßt in die unterste Hölle fahren . « » Wahr ist 's « , sagte der Fischer , » ich kann ihn nicht leiden und hab ihn nie leiden können . Wir sind einander von Anfang an spinnenfeind gewesen . Ich weiß eigentlich selbst nicht recht , wie's gekommen ist , 's ist weiter nichts Besonderes zwischen uns vorgefallen . Die Buben hadern und raufen viel miteinander und werden doch nachher oft die besten Freunde . Aber bei uns hat der Haß immer tiefer gefressen ; es ist , als ob's uns von Natur eingepflanzt gewesen wäre . Das erstemal , daß wir einander zu Gesicht kriegten , sah er mich mit bösen Augen an , und ich war wider ihn und er wider mich . « » Da ist auch kein Wunder dran « , meinte der untere Müller . » Ob seine Augen , die er an dich hingemacht hat , so bös gewesen sind , das weiß ich nicht , er ist nicht gerade besonders gezeichnet in den Augen . Aber er war ein Muttersöhnchen , hatte immer was zu beißen und zu knacken ; mit den Gröschlein und Sechserlein von den Döten und Dotinnen konnte er allzeit den großen Hansen machen ; und in der Schule saß er beständig obenan , denn das Spruchbuch und den Katechismus lernte er wie's Wasser . « » Ich weiß schon , wo du hinauswillst , Georg « , versetzte der Fischer , ohne Gesicht oder Augen zu erheben . » Es ist wahr , ich bin ein armer Teufel , und ein Bub , der im Wachsen ist , hat einen starken Appetit , und es mag sein , daß mir die überflüssigen guten Bissen , die man bei ihm sah , manchmal zu schaffen machten ; aber so gar mißvergünstig bin ich doch nicht , und werd 's auch damals nicht gewesen sein . Seine Gelehrsamkeit hat mir 's auch nicht angetan . Der Ehrgeiz hat mich nie gestochen ; meine Vorfahren sind arme Fischer gewesen , soweit man hier in Ebersbach zurückdenken kann , und darum hab ich auch weder Vogt noch Professor werden wollen . « » Aber womit hat er dir 's denn angetan ? « » Warum stellen sich Hund und Katze wider einander , wenn sie einander ansichtig werden ? Warum gibt's Leute , die manche Tiere nicht leiden können ? Gerade so geht 's auch dem Menschen mit dem Menschen . Ein Gesicht gefällt einem , ein anderes ist einem zuwider . Übrigens hat er 's nicht an tätlichem Anlaß fehlen lassen . Er war ein stolzer , übermütiger Bub , der keinen was neben sich gelten ließ . Beim Soldätlesspiel war er der General , und wenn man Räuberles spielte , mußte er der Hauptmann sein . Kommandieren und die andern herumpudeln , das war sein Pläsier . Die ihm recht untertänig waren , denen spendierte er , was er nur aufbringen konnte . Mir hat er nie was geschenkt . « » Das muß man ihm lassen « , sagte der ältere Müller , » gutherzig und freigebig ist er allezeit gewesen . « » Ja , aber da hat der Fischerhanne doch recht « , fügte der jüngere hinzu , » am gutherzigsten war er eben gegen solche , die seinem Stolze am besten hofieren konnten . « » Gutherzig ? « rief der Fischer . » Eine eigene Art von Gutherzigkeit hat er von jeher gehabt . Er war noch nicht acht Jahre alt , so jagte er den Nachbarn zum Spaß die Hühner fort , aus purer guter Laune schlug er ihnen die Gänse tot , hetzte die Hunde auf Weiber und Kinder und lachte wie ein kleiner Teufel über ihre Angst . Und wie er dann zu seinem Namenstag eine Flinte bekam , da hieß es erst : Hellauf ! Da schoß er mitten im Ort auf Hühner , Enten , Gänse , was er erwischen konnte , und der Sonnenwirt bezahlte den Schaden und war stolz darauf , daß er ihn zahlen konnte ! « » Und noch mehr darauf , daß die Blitzkröte schon so ein guter Schütz war « , fiel der jüngere Müller ein . » Das war 's ja eben ! Durch die Nachsicht , die man ihm schenkte , und durch den Beifall der Speichellecker , die bei den Eltern einen Stein im Brett gewinnen wollten , wurde er immer noch mehr verhetzt , und so kam er von einem Schabernack zum andern . Die ärgsten Streiche erfuhr der Alte gar nicht , die sind von der Mutter vertuscht worden . Da ist mancher Sechsbätzner , mancher Krug Wein als Schmerzensgeld hinter seinem Rücken aus der Sonne gewandert . « » Wenn man dem Ding nachdenkt « , sagte der obere Müller , » so hat es mit so einem verzogenen Söhnle eigentlich nicht anders kommen können . Ich glaub , ein anderer war auch so geworden . « » Vielleicht lauft er sich die Hörner noch ab « , versetzte der jüngere . » Wiewohl , es wird schwer halten . Er ist eben einmal an die Gewalttätigkeit gewöhnt . Wenn man ihm irgendwie einen Riegel vor die Tür schiebt , so muß er mit dem Kopf durch die Wand , das tut er nicht anders . « » Ja , und sein Hochmut wird ihn auch nicht anders werden lassen « , sagte der Fischer , » denn das ist der Hauptteufel , der ihn reitet . « » Der steckt in der ganzen Sippschaft . Ist die Magdalene vorhin wieder hereingekommen ? Nein , weil man sich einen kleinen Spaß mit ihr herausgenommen hat , so hat sie den Wein durch die Mutter geschickt . « » Aha ! « sagte der ältere Müller leise , dem Fischer zuwinkend , » hast ihn hören trappen ? « » Immer hat er sich für was Besonderes gehalten « , fuhr dieser fort , ohne auf die Bemerkung achtzugeben . » Ha , wenn ich nur daran denke , was er mir einmal für eine Zumutung gemacht hat ! Das war das einzige Mal , daß ich was Apartes in die Schule mitbrachte , wo ich mir was drauf zugut tun konnte . Der Herzog war eben vorher durch den Flecken gefahren , und da fand meine Mutter auf der Straße ein kleines Stück hellblauen Sammet , Gott weiß , woher und wie er auf den Boden gefallen war . Meine Mutter wußte nicht , was damit tun , nun zerschnitt sie 's in Läpplein und machte mir eine Windmühle , wißt ihr , wie's die Buben an Stecken haben ; wenn sie damit springen , so dreht sich 's herum . Das Ding sah hoffärtig aus , und die ganze Schule hatte Respekt davor . Den Sonnenwirtle aber verdroß es , daß er mir's zum erstenmal nicht gleichtun konnte ; er ließ sich aber nichts anmerken , sondern verspottete mich und schalt mich den herzoglichen Windmüller . Da war 's auch bei den andern aus , ich konnte mich allein an meiner Windmühle ergötzen ; sie sahen mich nicht mehr darum an . Ein paar Tage drauf ist meine Windmühle weg . Ich hatte niemand anders im Verdacht als den Frieder und sagt 's auch den andern Buben . Wie der 's aber hört , so speit er Gift und Galle , paßt mir auf , und an der Rathausecke stellte er mich , wie ich mich unterstehen könne , ihn zu bezichtigen , daß er mich bestohlen habe . Jetzt , was meinet ihr , daß er mir zugemutet hat ? Ein Messer nahm er in die Faust , und mir bot er ein anderes dar und sagte , ich solle mich wehren . Natürlich hab ich mich dafür bedankt , und dann fiel er über mich her und prügelte mich durch ; denn er war weitaus der Stärkste von uns allen . « » Und hatte er wirklich die Windmühle gestohlen ? « » Nein , ich fand sie hernach wieder ; ich hatte sie nur verlegt . Auch hätt ich 's nicht so schwer genommen , nicht einmal die Prügel bekümmerten mich , wiewohl er immer eine harte Tatze hatte . Nein , aber der Hochmut , daß er den fürnehmen Herrn spielen wollte und sich duellieren , wie ein Edelmann , das hat mir ihn zuwider gemacht . Und er war dazumal ein Bub von zehn Jahren . Wenn das am grünen Holz so ist , wie wird 's am dürren werden ? « » Duellieren hat er sich wollen , wie ein Offizier ? « rief der Knecht . » Ei , so verreck ! « » Da hat sich das adelige Blut frühzeitig geregt « , sagte der jüngere Müller lachend . » Wenn die selige Sonnenwirtin nicht so ein kreuzbraves Weib gewesen wär « , versetzte der ältere Müller , » so könnt man auf allerlei Gedanken kommen . « » Und was ist denn sein Vater Großes ? « fuhr der Fischer eifrig fort . » Er mag meinethalb für ein paar Batzen hochmütig sein , aber alles hat seine Grenzen . Er ist Wirt , muß den Leuten für ihr Geld Kratzfüße machen ; er ist Viehhändler , patscht jedem Roßkamm in die Hand ; er ist Metzger , muß den Ochsen und Säuen im Gedärm herumfahren . « » Es müßt's nur das Metzgerhandwerk machen « , sagte der ältere Müller , » damit übt er eine Art von Blutbann aus , und das ist doch was Adeliges . « » Ja « , rief der andere , » und darin stehst du ihm nach , Fischerhanne . Denn du und die , über deren Leben und Tod du Gewalt hast , haben kein Blut . « » Oder nur weißes . « Die andern lachten . » Sorget nur nicht für mich ! « sagte der Fischer etwas ärgerlich . » Meine Untertanen haben auch Blut . « » Ja , und Galle . « » Ja , und beißen können sie auch . « » Aber der Ochs hat Hörner . « » Wenn er zu hitzig stoßt , so brechen sie ab . « » Wenn sie nur schon abgebrochen wären ! « sagte der ältere Müller . » Aus dem Burschen könnt noch was Tüchtig's werden . Ich wollt , man tät ihn mir anvertrauen , ich zög ihn durchs Kammrad , daß er geschlacht würde . « » Nichts Gewisses weiß man nicht , – heißt's im Sprichwort « , erwiderte der jüngere . Ja , es ist nicht so leicht , mit ihm fertig zu werden « , sagte der Fischer . » Er ist ein böser Bub . « » Wenigstens mutwillig und unbändig « , versetzte der ältere Müller . » Unter allen Streichen , die ich von ihm weiß , hat mir einer immer am besten gefallen . Da war vor ein Jahr sieben oder achten ein Hausknecht hier in der Sonne , wißt ihr , der Mathes – ich seh ihn heut noch vor mir , 's ist so ein persönlicher langer Kerl gewesen , und etwas langsam im Geist . Der wollte gescheiter sein als der Frieder , und das konnte mein Frieder nicht vertragen . Was tut er also ? Um Mitternacht schleicht er aus dem Bett , die Stiege hinunter , bricht den Fuhrleuten in die Güterwagen vor dem Haus auf der freien Straße ein und bringt den Raub seinem Vater übers Bett . Der Knecht , den andern Tag , der ist natürlich schön ausgelacht worden ob seiner Wachsamkeit . Und das hat der stolze Bub mehr als einmal getan , und der gute Mathes konnt ihn nie erwischen . Das Ding hat ihm das Leben so sauer gemacht , daß er 's nicht in der › Sonne ‹ aushalten konnte . Es trieb ihn aus dem Dienst , ich glaub , er dient jetzt in Beutelsbach drüben , das alte Beuteltier . « Der Müllerknecht hatte Mund und Augen aufgesperrt . » Verfluchter Bub ! « sagte er endlich . » Das hat der › Sonne ‹ gute Kundschaft bringen können . Ich wär auch eingekehrt und hätt mich zum Spaß berauben lassen , pur aus Fürwitz . « » Es ist doch eine gefährliche Übung « , sagte der Fischer . » Wenn die Katze das Mausen verschmeckt hat , so läßt sie nicht mehr davon , und was eine Distel werden will , das fängt zeitig an zu brennen . Es ist nicht lang angestanden , daß er seine G'studiertheit an einer Geldkiste ausgelassen hat . « » Was ? « rief der Knecht . » Ist er im Ernst eingebrochen ? « » Pst , Peter , schrei leis ! « erwiderte sein Herr . » Ja , aber nur bei seinem Vater , und der hat 's ja . « » Vierhundertunddreißig Gulden sind doch keine Kleinigkeit « , sagte der Fischer . » Vierhundertunddreißig Gulden ! « rief der Knecht . » Da wundert's mich nicht , daß er im Zuchthaus sitzt . Und sein eigener Vater hat ihn hineinsperren lassen ? « » Er konnte es nicht vertuschen , wenn er auch gewollt hätte . Übrigens ist 's nicht seine diesmalige Zuchthausstrafe , denn das ist schon die zweite . Damals aber war er erst vierzehn Jahr alt . « » Das ist aber doch auch hart « , meinte der Knecht , » einen vierzehnjährigen Buben ins Zuchthaus zu schicken . « » Laßt mich reden , ihr Mannen ! « sagte der jüngere Müller , » ich kann am besten erzählen , wie die Sach zugegangen ist , ich hab ja auch einen Spieß in selbigem Krieg getragen . Wahr ist's , und was wahr ist , das muß wahr sein , dem Frieder hat sich das Blättlein übel gewendet , wie ihm Gott seine Mutter nahm . Von der Stund an hatte alles , was er tat , eine andere Farbe . « » Das ist eben der Unterschied « , fiel der ältere Müller ein , » ob man etwas mit Liebe ansieht oder mit Haß . Und den Haß , den hat das Ripp , die jetzige Frau , ins Haus gebracht ; die Liebe aber ist mit der ersten ins Grab gegangen . « » Verzogen war er , das ist richtig « , fuhr der jüngere fort . » Aber es kommt nur drauf an , was man dem Kind für einen Namen gibt . Vormals hieß man 's artig , witzig , aufgeräumt ; nachher hieß man 's übermütig , tückisch , boshaft . Und wo man früher Anzeichen von Mannhaftigkeit gelobt hatte , da sah man jetzund nichts mehr als den hellen lautern Teufelstrotz . « » Mir ist's von Anfang an so vorgekommen , selbiges Kind « , sagte der Fischer . » Da sind deine Augen just für die Stiefmutter recht gewesen , Fischerhanne . Ich glaub auch , sie hat dir die Augen abgekauft ; ich will davon schweigen , aber du hast immer einen Stein bei ihr im Brett gehabt , und ich weiß nicht , ob die Fische , die du ihr zugetragen hast , immer aus dem klaren Wasser gekommen sind . « » Selbige Augen « , unterbrach ihn der andere Müller , » hat sie dann auch dem Sonnenwirt eingesetzt , und da hat der alte Esel seinen Sohn gleich in einem andern Lichte gesehen . « » Freilich , weil er immer ärger geworden ist « , sagte der Fischer . » Mach kein' so krummen Kopf ! Narr , er ist ärger geworden , weil man ihn ärger gemacht hat . Und das muß man sagen , für seine Schwestern hat er sich ritterlich gewehrt und hat nicht leiden wollen , daß man sie wie Stallmägd behandle . « » Ja , und dann hat 's eben wüste Auftritte gegeben . « Ja , und dann hat er seine Mutter geprügelt « , sagte der Fischer . » Wenn er ihr doch nur ein Dutzend Rippen eingeschlagen hätte ! « versetzte der ältere Müller . » Brauchst 's ihr aber nicht wieder zu sagen , Fischerhanne « , setzte er etwas erschrocken hinzu , » oder 's ist aus mit der Freundschaft . Du weißt , ein Mensch hat allezeit den andern nötig . « » Wie kam er denn aber zum Stehlen ? « fragte der Knecht . » Ich will's dir sagen « , fuhr der jüngere Müller fort . » Wie er sah , daß er doch immer den kürzern zog , weil sein Vater auf seiten der Stiefmutter war , so wollte er in die Fremde gehen und begehrte einen Zehrpfennig nach Amerika . « » Nach Amerika ? « rief der Knecht . » Das ist ja ein Weltskerl ! « » Der Alte aber « , fuhr der Müller fort , » war dazumal schon b'häb geworden und behielt die Schlüssel zur Geldtruhe fest im Sack ; auch meinte er , der Bub , der erst vierzehn Jahr alt war , sei noch zu jung zum Reisen , und darin hatte er gänzlich recht , denn der Bub ist nachher richtig auch nicht gar weit gekommen und nicht gar lang fortgeblieben . Der aber meinte , was man ihm nicht gutwillig gebe , das könne er ja mit Gewalt nehmen , und beerbte seinen Vater vor der Zeit , noch eh ihm der Alte aus der Helle gegangen war . « » Oder aber « , sagte der ältere Müller , » er hat als sein eigener Richter seine Jahr und seine Taschen vollgemacht und eben sein Mütterliches eingesackt . « Es ist just , wie man's ansieht . Übers Geld zu kommen und die Schlösser aufzumachen , war dem G'studierten , wie ihn der da heißt , eine Kleinigkeit ; er hatte ja dem Alten schon mehrmals den Spaß gemacht . Kurz und gut , er nahm ihm vierhundert Gulden , brachte sie ihm aber nicht übers Bett . « » Vierhundertunddreißig ! « fiel der Fischer ein . » Mein' twegen vierhundertunddreißig , wenn das Sündenregister voll sein muß . Du mußt 's ja wissen , denn du bist der erste gewesen , Fischerhanne , der ihn des Einbruchs zieh . « » Hab ich gelogen ? « fragte der Fischer . » Ja , die Wahrheit hast du gelogen . « » Dann ist er durchgegangen ? « fragte der Knecht . » Ja , aber er kam nicht nach Amerika , sondern bloß bis Heilbronn . Dort ließ er sich bei den kaiserlichen Husaren anwerben als Freiwilliger . Pferd und Montur bezahlte er flott von seinem eigenen Geld . Wenn er nur bei ihnen geblieben wär ! « » Ist erst noch wahr ! « rief der ältere Müller . » Der Kerl hätt 's zu was bringen können . Der ? der hätt General werden können . « » Ist er denn desertiert ? « fragte der Knecht . » Nein , aber nach zehn Wochen stach ihn der Fürwitz , ob man ihn zu Ebersbach vergessen habe , und da kam er mit einem Urlaubspaß als Husar angeritten . Das war ein Aufsehen ! Dem Amtmann trotzte er ein Attestat ab , daß er von ehrlichen Leuten geboren sei . Beweisen konnte man ihm nichts , wiewohl das Geschrei und der Verdacht wegen der vierhundert Gulden allgemein war , und niemand wagte , ihn zu greifen , den kaiserlichen Husaren , bis er im Hecht bei der Zeche schwedische Dukaten , auch halbe Gulden blicken ließ . Diese verrieten ihn , denn sie waren von seines Vaters Geld . Nun gab 's Lärm im Ort . Der Frieder aber sprang in den Sattel , jagte den Flecken auf und ab mit gezogenem Degen – den Fischerhanne hätt er schier gar erritten ; er hieb nur einen Zoll zu kurz , so hätt man sehen können , ob du weißes Blut hast oder rotes – und drohte mit sechzehn andern Husaren , mit denen er den Flecken besetzen wolle . Die kamen aber nicht . Dem Amtmann ritt er vors Haus , klopfte auf den Schenkel , höhnte und drohte . Von da ging 's vor die › Sonne ‹ , wo er's ebenso machte . Kurz , er trieb allen erdenklichen Übermut , wie ein losgelassener Eber ; denn natürlich , er war betrunken . Wie er nun vollends seine Pistolen losschoß und niemand seines Lebens mehr sicher war , da mußte die Bürgerschaft ein Einsehen haben . Ich gesteh's , und es reut mich jetzt noch nicht : ich lud meine Flinte mit Schrot , der Zeiger Frank und der Spanner Eberhard , des Chirurgen Bruder , taten desgleichen – wer ihn eigentlich getroffen hat , weiß ich nicht . Aber er stürzte vom Gaul wie ein Mehlsack . Das Pferd war hin , er selbst hatte den linken Fuß voll Schrot , und also war's leicht mit ihm fertig werden . « » Das ist ja ein Mordkerl ! « rief der Knecht . » Aber hat es Euch und den andern Schützen keine Ungelegenheit gemacht « , fragte er weiter , » daß ihr der Obrigkeit so mir nichts , dir nichts ins Handwerk gegriffen habt ? « Bewahr ! « lachte der Müller . » Obrigkeit und Bürgerschaft waren froh , daß sie die Belagerung überstanden hatten , und der Amtmann hat , glaub ich , dem Vogt nichts davon berichtet , auf was Art der Sturm abgeschlagen worden sei . « » Und seitdem « , fragte der Knecht , » sitzt er im Zuchthaus ? « » Ich hab dir 's ja gesagt « , erwiderte sein Herr , » daß er jetzt zum zweitenmal drin ist . « » Was ? Ist er seinem Vater abermals über den Geldkasten gegangen ? « » Nein , in dem Fach hat er ein Haar gefunden und hat ihm abgesagt . « » Man kann ihm nichts Böses nachsagen « , versetzte der Fischer , » bis auf das , was man nicht weiß . In einem Wirtshaus läßt sich manches verschleppen , man kann da nicht so nachrechnen , wo die Sachen hinkommen . Ich möcht doch auch wissen , aus welchem Beutel er auf dem Tanzboden immer so dick getan hat . « » Ich glaub , er hat dem Herzog hier und da einen Hirsch weggebüchst « , sagte der jüngere Müller . » Ja , ja « , rief der Fischer , » die Flinte , die er als Bub von seinem Vater kriegte , hat ihre Früchte getragen . Das ist die zweite gefährliche Kunst , die er schon gelernt hat , eh er hinter den Ohren trocken war . « » Nu , wenn 's weiter nichts ist « , sagte der ältere Müller , » so wollt ich nur , er tat alles wegbüchsen , was mit Geweih und Hauer in Wald und Feld spaziert . Das wär ein Verdienst , für das man ihm , weiß Gott , bei allen Gemeinden im Ländle das Bürgerrecht geben dürfte . « » Freilich « , stimmte der Knecht ein , » Wildern ist keine Sünd , nur darf 's nicht herauskommen . « Und gegen diesen festen Glaubenssatz wagte selbst der hartnäckig grollende Fischer nichts einzuwenden . » Was hat ihn denn zum zweitenmal in das Ding da , das man nicht gern beim Namen nennt , gebracht ? « fragte der Knecht weiter . » Seine Gewalttätigkeit « , antwortete der Fischer . » Eine Prügelei « , erwiderte der jüngere Müller gleichmütig . » Was die Prügelei betrifft , da kann ich nicht wider ihn sein « , sagte der ältere . » Gib acht , Peter , das mußt dir erzählen lassen , das ist ein Staatsstückle . Der Kreuzwirt – den kennst du ja , er hat seinen Namen nicht umsonst , denn er ist gar ein frommer Kreuzträger und eine wahre Kreuzspinne dabei – der hatte von jeher ein scheeles Aug auf den Frieder gehabt . « » Auf den Alten auch . Der verzeiht's ihm heut noch nicht , daß er ihn beim Kirchenkonvent angebracht , weil er einen Ochsen geschlachtet hatte am Sonntag . Der Sonnenwirt wurde damals um ein Pfund Heller gestraft . « » Auch den Frieder « , fuhr der ältere Müller fort , » hat er einmal bei seinem Vater verschwätzt , so daß er Hiebe von ihm kriegte . Der Alte hat nachher selber eingestanden , er habe dasmal seinem Sohn unrecht getan . « » Ja « , fiel der jüngere ein , » ich hab's mit meinen eigenen Ohren gehört , und ich war dabei , wie er zum Frieder sagte , er solle es nur dem Kreuzwirt bei Gelegenheit wieder eintränken . « » Und dies ist auch gekommen « , fuhr der ältere fort . » Denn so eine Teufelsgelegenheit bleibt niemals aus . Nun , was geschieht ? Auf dem Heimweg vom Kirchheimer Markt trifft der Frieder mit dem Kreuzwirt zusammen , und der fängt an , ihn zu hänseln und zu rätzen , denn so gottselig er sich stellt , das Necken und das Kratzen kann er nicht lassen . Zuletzt , wie er noch nicht genug hatte , kommt er auch auf die Zuchthausstrafe , die der Frieder durchgemacht hatte , und sagt zu ihm : › Du bist ein ganz geschickter Kerl , dir kann 's nicht fehlen , du verstehst ja zwei Handwerk , das Metzgen und das Wollkardätschen ; wenn dir 's in einem fehlschlägt , so kannst du dich auf das andere werfen . ‹ – Er das sagen , und der Frieder ihn am Kragen nehmen und zu Boden werfen , das war eins . Der hat Prügel gekriegt ! Nun , der Fischer weiß ja , was der Bub für eine Tatze hat . « » Es ist ihm recht geschehen « , sagte der jüngere Müller . » Einen Gefallenen muß man aufheben undnicht noch tiefer niederdrücken . « » Paß nur auf , Peter , jetzt kommt erst der Hauptspaß « , fuhr der ältere fort . » Wie er ihn genug geprügelt hatte und ausschnaufen mußte , so sagt er zu ihm , er solle ihm jetzt versprechen , daß er dessentwegen nicht klagbar werden wolle . Der Kreuzwirt , am Boden , verspricht's mit Ach und Krach und schwört's ihm hoch und teuer . Der Frieder aber , wie er den Schwur hört , fällt er abermals mit neuer Kraft über ihn her . › Sieh , meineidige Kanaille ‹ , sagt er , › ich weiß , daß du doch nicht Wort hältst , und dafür will ich dich gleich im voraus prügeln . ‹ « » Das ist ja ein Fetzenkerl ! « rief der Knecht mit ungeheuchelter Bewunderung aus . » Der Kreuzwirt klagte auch richtig beim Amt , und da kam eben mein Frieder noch einmal auf ein halb Jahr nach Ludwigsburg . « » Es heißt von ihm wie vom Esau « , sagte der Fischer : » › Seine Hand war wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn . ‹ « » Hast das fromme Sprüchle vom Kreuzwirt gelernt ? « spottete der jüngere Müller . » Nein « , fuhr er fort , » dem haben seine Prügel gebührt , und ich bin dem Frieder nicht feind darum . Wenn nur die Schand nicht wär , denn Zuchthaus ist eben einmal Zuchthaus . « » Meint Ihr , Vetter ? « rief der ältere . » Es kommt auch darauf an , von wegen was man ins Zuchthaus kommt . Und wenn einer sonst guter Leute Kind ist , so kann man so einen Unschick wieder vergessen . Wenn er jetzt unter eine tüchtige Hand käm und gehobelt würde – in zehn Jahren könnt er der angesehenste Mann sein und tat kein Hahn mehr darnach krähen , daß er in seinen jungen Jahren hat das Wollkardätschen erlernen müssen . « Ein rascher Hufschlag unterbrach das Gespräch . Der jüngere Müller trat ans Fenster . » Was der Sonnenwirt noch stet auf dem Gaul sitzt « , bemerkte er . » Er muß einen guten Handel gemacht haben ; er sitzt so aufrecht und trägt die Nase so hoch . « Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem Arm . Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüsseln . Ein Tisch in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Essen aufgetragen . Das Gesinde erschien , Knechte und Mägde . Draußen hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn . Endlich trat er selber ein , untersetzt und etwas beleibt , in Gestalt und Angesicht seinem Sohne ähnlich . Aus seinen Gesichtszügen sprach derselbe Trotz , derselbe Eigensinn , nur daß dieser Ausdruck bei ihm , dem gebietenden Herrn des Hauses , mehr das Bewußtsein der anerkannten Rechtmäßigkeit und eben darum auch mehr herrische Strenge hatte . Wenn man jedoch sein Gesicht näher prüfte , so fand man , daß die innere Naturkraft nicht so groß war als das Ansehen , das er sich geben zu müssen glaubte . Er grüßte die Gäste kurz und setzte sich ohne viel Umstände mit seinen Hausgenossen zu Tische . Für ihn wurde besonders aufgetragen , und ein Teller mit Besteck lag vor ihm , während die andern alle , die Hausfrau nicht ausgenommen , gemeinsam aus der Schüssel speisten . Unter dem Geklirr der Löffel flüsterten die Gäste zusammen , und manche bittere Bemerkung , manche boshafte Spottrede wurde den Essenden , ohne daß sie es hörten , als Tischsegen zugeworfen . » Der Sonnenwirt meint , man müsse es für eine Gnad halten , wenn man nur in seinem Haus noch trinken dürfe « , sagte der ältere Müller . Wenigstens ein anderer Wirt « , erwiderte der jüngere – » wenn er auch noch so hungrig und durstig ist , setzt er sich ein Vaterunser lang zu den Leuten hin , und wenn er auch weiter nichts sagt als : › Auch hiesig ? ‹ und › Tut 's so beieinander ? ‹ und › Wohl bekomm 's ! ‹ so sieht man doch , daß er Lebensart hat , und dann kann er ja wieder aufstehn und seinem Geschäft nachgehen . Aber der ! Ja , wenn wir Pfarrer wären oder Schreiber , so würd er sich eine Ehr draus machen . Aber wir sind eben nicht weit her , wir sind ja bloß seine Mitbürger . « » Seht nur die Alte , Vetter ! « sagte der ältere und stieß ihn an . » Seht , wie sie ihren Leuten auf die Mäuler guckt , wie sie ihnen die Bissen zählt , wie sie dem Löffel , der aus der Schüssel kommt , mit den Augen nachfolgt . Was sie für ein Gesicht macht , wenn sie meint , es hab eins zu vollgeladen oder komm zu oft angefahren . « » Halt , jetzt ist die Sippschaft erst vollständig , jetzt kommt der Freier ! « unterbrach ihn der jüngere , verstohlen mit dem Finger auf einen Mann mit spitzem , knochigem Gesichte deutend , der , mit einem hellgrünen Leibrock angetan , ins Zimmer trat und sich nach einer stattlichen Begrüßung an einen Tisch zunächst dem Speisetisch setzte . » Schau , schau ! Der grüne Chirurg ! « erwiderte der andere . » Der macht Kratzfüß ! Was die Alte ihr Spinnengesicht umwandelt , als ob sie Honig und Marzipan gefressen hätt . Sogar der Sonnenwirt nickt ihm freundlich zu , die Sache muß richtig sein . Aufgepaßt , Vetter ! Seht Ihr , wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt , und zwar von des Sonnenwirts eigenem Essen . Ja , ja , mit Speck fängt man Mäuse . Was er Komplimente macht ! Er will's nicht annehmen , aber die Essensstunde hat er sich wohl gemerkt , der Schmarotzer . « » Er will eben von der Gelegenheit profitieren , solang sie da ist . Er weiß wohl , daß nicht alle Tag Kirchweih ist . Wenn er einmal ernstlich angebissen hat , so wird man ihm das Gasthütlein schon herunterziehen , und dann kann er die Finger darnach lecken . « » Ihr könnt die Leute recht heruntermachen « , sagte der Fischer . » B' hüt Gott beieinander , ich will nur heimgehen , sonst werd ich noch angesteckt . « » Gut Nacht , Fischerhanne , und halt reinen Mund . « » Wes Brot ich ess , des Lied ich sing ! « versetzte der Fischer etwas zweideutig und wandte sich mit einem » G'segn' Gott « , das er dem Speisetische zurief , nach der Türe . In diesem Augenblick ging die Türe auf , und herein trat der Sohn des Hauses . Aus seinem von der Wanderung geröteten Gesichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten Tat , einer Tat , welche dem Himmel die erste Genugtuung für bisher begangene Fehltritte darbieten sollte . Dieser Ausdruck gab seinem Gesicht eine auffallende Ähnlichkeit mit den Zügen seiner Schwester . Da stieß er unter der Türe auf den Fischer , der ihm wie ein böses Vorzeichen entgegentrat , und sein Gesicht verfinsterte sich . Einen Augenblick maß er ihn schweigend mit den Augen . » Du auch da , Giftmichel ? « sagte er , indem er an ihm vorüberging . Der Fischer fletschte die Zähne gegen ihn und machte sich hinaus . Friedrich blieb ein wenig stehen , um sich zu sammeln ; dann näherte er sich dem Tische und trat zu seinem Vater , der bereits durch einen Wink der Frau auf ihn aufmerksam gemacht worden war und ihm schweigend entgegensah . » Grüß Gott , Vater ! « redete er ihn an . » Da bin ich wieder und versprech Euch , daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden soll , denn ich bin nun kein Kind mehr , und wenn ich Euch bisher oft durch meinen Unverstand betrübt habe , so hab ich mir jetzt vorgenommen , Euch hinfüro ein treuer , gehorsamer Sohn zu sein . « » Mach nicht so viel Redensarten ! « sagte der Alte . » Wenn dir's Ernst ist , so tu's , ohne davon zu reden ; aber versprich nichts , was du nicht halten kannst . Setz dich und iß . « » Ja , Vater , aber ich hab zuvor eine großmächtige Bitte « , fuhr Friedrich fort , ohne sich durch den Empfang irremachen zu lassen . » Ich möcht eine Seele vom Verderben retten , und das kann ich nicht , wenn Ihr mir nicht dazu helft . « Der Alte erhob sein Gesicht . Die Stiefmutter sah ihn mit gespannter Neugier und finsterer Miene an . Er hatte sie noch nicht gegrüßt , er hatte nur für seinen Vater Augen gehabt . » Ihr meint gewiß , Vater « , sprach er weiter , » da , wo ich herkomme , hab ich nur lauter schlechtes Zeug gelernt . Aber so ist 's nicht , vielmehr bin ich in gute Hände geraten und hab Christentum gelernt . Ich hab gelernt , daß jeder gute Christ und redliche Mensch seinen verachteten Mitbrüdern aufhelfen müsse . Weil das aber nicht einer für alle tun kann , so mein ich , es sei genug , wenn ein Mensch oder eine Familie sich eines einzigen annimmt . « » Wo will denn das hinaus ? « fragte der Alte barsch . » Vater , ich hab Euch einen Menschen mitgebracht , der keine Heimat hat , eine vater- und mutterlose Waise , denn das ist er , und wenn auch seine Eltern noch leben . Und ich bitt Euch , so lieb Euch Euer Sohn sein mag , der Euch freilich schon Kummer und Verdruß gemacht hat – so lieb es Euch sein mag , daß der ungeratene Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde , so hoch bitt ich Euch , Vater : laßt den Menschen , den ich mitbringe , als Euren Knecht in Eurem Hause sein . « » Wo ist er denn ? « fragte der Alte ungeduldig . » Er wartet hinterm Haus am Garten . « Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink , und er schlich sich unbemerkt hinaus . » Wer ist er denn ? « fragte der Alte weiter . Friedrich schwieg eine Zeitlang in sichtlicher Verlegenheit ; die siegesfrohe Zuversicht , die er bei seinem Eintreten gezeigt hatte , war allmählich von ihm gewichen . » Vater « , hob er endlich an , » Ihr werdet in Eurem Herzen nicht sogleich die Stimme finden , die für ihn spricht . Man hat gegen diese Leute manches einzuwenden , und das ist auch kein Wunder , denn man behandelt sie auch danach . « » Mach 's kurz und gut « , rief der Alte und schlug auf den Tisch . » Was ist das vor eine Manier ? Wenn's was Rechtes ist , so sag 's frei heraus , und ist's was Dummes , so halt das Maul ! Was brauchst du mir durch die Ränkeleien da das Essen zu verderben . « Indessen war der Chirurg wieder eingetreten . » Es ist ein Zigeuner « , sagte er langsam und nachdrücklich , indem er zu dem Tisch trat . » Ein Zigeuner ? « rief die Stiefmutter und schlug ein gellendes Gelächter auf . Die beiden Müller und der Knecht , welche aufmerksam zugehört hatten , lachten aus vollem Halse mit . Auch das Gesinde am Tische stimmte in das Gelächter ein , doch nur allmählich und schüchtern , da der Sonnenwirt nicht mitlachte , sondern die Stirne in dräuende Falten gelegt hatte . Magdalene war mit einem wehmütigen Blick auf den Bruder hinausgegangen . » Ich weiß wohl , Vater , daß es eine Zumutung ist « , fuhr Friedrich unerschrocken fort . » Aber soll's denn der arme Teufel büßen , daß seine Eltern Zigeuner gewesen sind ? « Der Chirurgus unterbrach ihn . » Das hängt vielleicht « , sagte er mit etwas näselnder Stimme , » das hängt vielleicht mit der Prädestination zusammen , die der Herr Pfarrer predigt . « » Ich red mit meinem Vater und nicht mit Ihm ! « warf Friedrich stolz von der Seite dem Chirurgus zu . » Wie kann man denn verlangen , daß diese Leute ehrlich werden sollen , wenn man nicht endlich einen Anfang mit ihnen macht ? Und wie kann man denn anders anfangen , als mit dem christlichen Zutrauen , das man in einem christlichen Hause einem von diesen armen Leuten schenkt ? Wenn man dann in einem Haus angefangen hat , so machen's die andern nach , und eben darum sprech ich zu Euch , Vater , weil Ihr ein angesehener Mann seid und ein Beispiel geben könnt . « Die Stiefmutter hatte inzwischen Blick und Winke mit dem Chirurgus ausgetauscht . » Wie sieht er denn aus ? « fragte sie jetzt mit dem Tone der Neugier . » Er schielt auf einem Aug' und sieht aus wie ein leibhaftiger Galgenvogel « , antwortete der Chirurgus . » Was will denn Er ? « fuhr Friedrich erzürnt herum . » Wenn man Ihn auf ein Erbsenfeld setzen tät , so könnt man vor den Spatzen sicher sein . « Der alte Sonnenwirt fuhr auf und versetzte seinem Sohne eine derbe Ohrfeige : » Ich will dir unartig gegen meine Gäste sein . Man muß dir die Äste abhauen , wenn du zu krattelig wirst . Halt 's Maul jetzt und pack dich . Ich will dich heut nicht mehr vor Augen haben . Das käm mir geschlichen , einen Zigeuner ins Haus zu nehmen . Das wär eine Gesellschaft für dich . « Friedrich sah seinen Vater an . Einen Augenblick hatte seine Hand gezuckt ; dann aber wandte er sich ruhig nach der Tür . » Ich glaub , ich wollt , ich wär wieder im Zuchthaus « , sagte er , während er hinausging . Die beiden Müller zahlten ihre Zeche und standen auf . Der Sonnenwirt , der sich ebenfalls erhoben hatte , wünschte ihnen , freundlicher als zuvor , gute Nacht . » Der Bursch ist doch ziemlich mürb geworden « , sagte er zu dem älteren , » er hat nicht gegen die Ohrfeige rebelliert , und es hat den Anschein , als ob er jetzt das vierte Gebot in Ehren halten wollte . « Der Müller , geschmeichelt durch diese vertrauliche Anrede , blieb etwas zurück , während der jüngere nebst dem Knecht die Wirtsstube verließ . » Ja « , sagte er zum Sonnenwirt , » der Frieder ist nicht so unrecht , man wird 's noch erleben . Was , die Zigeunergedanken werden ihm schon vergehen . Um den ist mir 's gar nicht angst . Man muß ihn eben jetzt noch ein wenig kurz aufzäumen , dann wird er schon gut tun . Und das bißle Ungelegenheit , das er in seiner unverständigen Jugend gehabt hat , wird ihm unter vernünftigen und christlich denkenden Leuten ins künftige nicht aufgerechnet werden . Er ist ja guter Leute Kind . Ja , ja , Herr Sonnenwirt , der kann sich einmal seine Frau holen , wo er will . Wofern aber jemals eins so töricht sein wollt und wollt ein Haar in der Partie finden , so will ich nur so grob sein und will 's frei heraussagen , Herr Sonnenwirt , für mein Gretle wär er mir immerhin gut genug . Jetzt habt Ihr gehört , wo Ihr anklopfen könnt , wenn Ihr keine bessere Schmiede wisset . « In dem Gesicht des Alten , das erst ganz wohlgefällig ausgesehen hatte , zog allmählich der Ausdruck unendlichen Spottes auf . Er sah den Müller mit halb zugekniffenen Augen an , so daß dieser in Verlegenheit geriet und die Hände aus den Wamstaschen , wo sie während seiner Rede gesteckt hatten , hervorholte . » So , meint Ihr ? « erwiderte er trocken und stieß dann ein hochmütiges Gelächter aus . » Nichts hab ich gemeint ! « rief der Müller wütend . » Ihr könnt meinethalben Euren Galgenstrick verknöpfeln und verbandeln , wo Ihr wollt . « Er ging und schlug die Türe hinter sich zu , daß das Haus davon erdröhnte . Indessen war Friedrich zu dem Zigeuner hinabgegangen , der , verabredetermaßen seines Bescheides harrend , an dem Gartenzaune lehnte . Er reichte ihm ein Fläschchen , ein Brot , eine Wurst und ein Stückchen Geld . Das letztere hatte er sich unterwegs von seiner Schwester geben lassen ; bei den Lebensmitteln mochte ihm in etwas uneigentlicher Form die Lehre des Waisenpfarrers vorgeschwebt haben . » Da nimm , iß und trink « , sagte er mit einer sonderbaren Hast und Heftigkeit , » und dann mach , daß du zum Teufel kommst . « Der Zigeuner griff gleichmütig zu , dann heftete er sein scheeles Auge auf den Wohltäter . » Was , und mit dem Dienste ist 's nichts ? « sagte er . » Schweig still und mach mich nicht scheu ! Ich bin so schon wild genug . Trink deinen Kirschengeist ! Sieh , ich hab dir Wort gehalten , soviel an mir gewesen ist . « Der Zigeuner schnitt eine höhnische Fratze : » Blitz und Mord ! « rief er , » so wohlfeile Versprechen kann mir ein jeder tun und mich ein paar Stunden umführen . Ich seh schon , wie 's steht . Das Christentum hat , scheint's , auf einmal ein Loch gekriegt und , nach dem einen feurigen Backen zu schließen , gar noch einen Plätz auf das Loch . « Friedrich stieß einen Schrei aus , wie nur der tollste Jähzorn ihn eingeben kann , warf sich über den Zigeuner her und ließ ihn seine Faust aus Leibeskräften fühlen . Der Zigeuner war bloß darauf bedacht , sein Fläschchen vor Schaden zu hüten , übrigens wehrte er sich nicht gegen die Schläge , die er in reichlichem Maße bekam , sondern brach statt dessen in ein schallendes Gelächter aus . Bei diesem Lachen hielt Friedrich betroffen inne . » Hund , was lachst ? « fragte er zornig . Der Zigeuner schüttelte sich . » Herzensbruder « , sagte er , » ich muß lachen , daß dich das Mitleid und der Jammer zum Prügeln treibt . So was ist mir noch nie vorgekommen . « Er leerte das Fläschchen auf einen Zug , schleuderte es mit einem » Juhu « hoch empor , und während es klirrend zu Friedrichs Füßen niederfiel , schallte das Jodeln des Zigeuners schon aus einiger Ferne herüber . Verblüfft starrte ihm Friedrich nach . 3 Es war inzwischen dunkel geworden . Friedrich wollte eben ins Haus zurückkehren , als er eine Gestalt herausschlüpfen sah , in der er seine Schwester Magdalene erkannte . Sie ging in das Gärtchen , und er hörte sie dort am Brunnen Wasser pumpen : denn es ist eine unlöbliche Gewohnheit der Leute , das Wasser , das sie morgens frisch haben könnten , abends zu holen und über Nacht stehenzulassen . Bald aber hielt sie in dieser Verrichtung inne und fing leise zu weinen an . Er wollte zu ihr treten , da kam jemand aus dem Hause nachgegangen , horchte eine Weile umher , fuhr , ohne ihn zu bemerken , ins Gärtchen hinein , und die gellende Stimme der Stiefmutter rief : » Wo bleibst du denn , lahmes Mensch ? Was dröhnsest da so lang ? « Magdalene antwortete mit stockender und gedrückter Stimme . » Was ? Ich will nicht hoffen , daß du heulst ! « fuhr die Stiefmutter sie an . Das Mädchen schwieg . » Was hast du denn ? « fragte die Alte hart und lieblos weiter . Als das Mädchen abermals keine Antwort gab , rief sie : » Das muß was Besonders sein . Der Herr suche mich nicht so schwer heim und lasse mich 's nicht erleben , daß du dich am End gar vergangen haben wirst . « » Oh , Mutter « , rief Magdalene , die hier plötzlich ihre Stimme fand , » wie könnt Ihr mich so verschänden ! Ihr solltet Euch der Sünde fürchten , so etwas so laut vor der Nachbarschaft zu sagen , da Ihr doch wißt , wie ungerecht Euer Gerede ist . Ihr müßt's ja selber am besten wissen , daß ich Euch niemals aus den Augen gekommen bin . « » Nun , nun , ich will ja weiter nichts gesagt haben , als daß das Heulen und Aunxen überflüssig ist , wenn man ein gut Gewissen hat . « » Mein Gewissen ist gut « , erwiderte Magdalene unmutig . » Wenn nur auch alles andere so gut wäre . « » Ei was , es steht alles gut . Mach jetzt nur , daß du ins Bett kommst . Du mußt morgen mit hellen Augen und roten Backen aufstehen , weißt wohl , warum . « » Oh , Mutter , seid barmherzig und bringt den Vater auf andere Gedanken ! Auf meinen Knien wollt ich Euch anflehen , wenn ich wüßte , daß es bei Euchanschlüge . « » Still mit den Narreteien da ! « » Mutter , ich hab einen Abscheu vorm Heiraten . Ichwill Euch bei den höchsten drei Namen schwören , ledig zu bleiben mein Leben lang . « » Damit wär mir gedient ! « rief die Stiefmutter mithöhnischem Lachen . » Was ein recht's Mädle ist , dashat eine wahre Begier aufs Heiraten und kann nicht bald genug eine eigene Haushaltung überkommenwollen , um darin tätig und fleißig zu sein nacheigenem Sinn . Ein recht's Mädle sucht seinen Elternvom Hals zu kommen , sobald es kann , und willnicht als eine unnütze Brotesserin zu Haus auf derfaulen Haut liegen . « » Lieg ich auf der faulen Haut ? « entgegnete Magdalene vorwurfsvoll . » Werd ich nicht gepudelt vom frühen Morgen bis in die späte Nacht ? Hab ich dasbißle Essen nicht so gut verdient , wie wenn ich Eure Magd wär ? « » Nun , so sei froh , daß du jetzt bessere Tage kriegst . « » Ich will keine bessere Tage , ich bin ja zufrieden . Ich will noch härter arbeiten , will Euer Kehrbesen sein und Eure Ofengabel , will schlumpen und pumpen , nur laßt mich bleiben wie ich bin . « » Das wär ein Kunststück ! Bin ich eine Hex ? Kann ich dich halten , daß du bleibst , heut wie gestern , und morgen wie heut ? Kann ich's verhindern , daß du eine alte Jungfer wirst ? « Eine alte Jungfer kann auch in Himmel kommen . « » Ja , aber durchs Nebentürle . Und jetzt hör auf mit dem Geschwätz . Es ist eine Ehr für dich , daß dich der Chirurgus nehmen will , so ein Herr ! Wart , wenn du an seinem Arm daher stratzen kannst , das wird eine Hoffärtigkeit sein ! Du verdienst's gar nicht , daß es so hoch hinaus soll mit dir ! « » Freilich verdien ich 's nicht ! Er soll eine andere nehmen , meinetwegen die verwitwete Herzogin , die tät vielleicht besser für ihn passen . « » Was hast du gegen den Chirurgus ? « rief die Sonnenwirtin zornig . » Was kannst du wider ihn sagen ? « » O Mutter « , begann das Mädchen nach einer Weile mit bebender Stimme , » denkt an Eure eigene Jugend zurück – er ist so alt – und so – « » Du wüste Strunz du ! « rief die Sonnenwirtin . » So , da liegt der Has im Pfeffer ? Der Ehstand ist eine christliche Anstalt , dem Herrn zum Preis , und nicht für Üppigkeit und Fleischeslust . Wenn du so liederliche Gedanken hast , so bet , daß sie dir vergehen , oder behalt sie wenigstens bei dir und schäm dich . Wenn die Leut wüßten , daß du so fleischlich denkst , sie täten mit Fingern auf dich zeigen . « Magdalene schluchzte : » O Mutter , Mutter ! « » Ja , Mutter ! « spottete jene . » Ich weiß wohl , was Jesus Sirach einer Mutter einschärft im Sechsundzwanzigsten : › Ist deine Tochter nicht schamhaftig , so halte sie hart , auf daß sie nicht ihren Mutwillen treibe , wenn sie so frei ist . Wie ein Fußgänger , der durstig ist , lechzet sie und trinket das nächste Wasser , das sie krieget , und setzet sich , wo sie einen Stock findet , und nimmt an , was ihr werden kann . ‹ « » Paßt das auf mich ? Ich will ja lieber gar keinen ? « rief Magdalene laut weinend . Ohne sich irremachen zu lassen , fuhr die Sonnenwirtin fort : » Ich bin auch jung gewesen , aber in der Furcht Gottes , und so freches Zeug ist mir nicht im Schlaf eingefallen , geschweige daß es mir über die Lippen gekommen wäre . Dein Vater , wie ich ihn genommen hab , ist auch kein heurig's Häsle mehr gewesen . Im Gegenteil , dein Bräutigam ist dir noch näher im Alter . Wo ist der Mensch , dem 's in der Welt nach seinem Kopf geht ? Ein Christ muß sich in das schicken , was unser Herrgott über ihn verhängt . Jetzt heul , soviel du willst , heut mein' thalben die ganze Nacht da unten . Aber morgen hat 's ein Ende mit dem Heulen , oder wenn 's dich zu sauer ankommt , so wird dir dein Vater schon ein freundliches Gesicht herausbringen helfen , du weißt , er hat Mittel und Wege . Jetzt gut Nacht , Jungfer Braut . « Die Alte schoß aus dem Gärtchen in das Haus zurück , wie ein unheimlicher Nachtvogel . Friedrich eilte , sich zu seiner Schwester zu gesellen , denn , dachte er , die kann's brauchen . Sie wär in der Dunkelheit leicht zu finden ; er durfte nur dem Schluchzen nachgehen , das ihren jungfräulichen Busen zu zersprengen drohte . Stillschweigend faßte er ihre Hand . Sie hatte ihn nicht kommen hören ; erschrocken und zornig riß sie die Hand weg und rief : » Wer ist da ? « » Gut Freund , Schwesterle . Hat der gelbe Drach wieder Gift gespien ? Was ist denn das für ein Bräutigam , dem du die alten Knochen wärmen sollst ? « » Ach Gott , der Chirurg ! « » Was ! der Zaunstecken ? « – Und nun folgte eine Flut von Scheltwörtern , die immer drolliger wurden , so daß das arme Mädchen zuletzt selbst darüber lachen mußte . Plötzlich aber fiel sie in das vorige Weinen und Schluchzen zurück und warf die Arme um den Hals des lustigen Trösters : » O lieber Bruder ! « rief sie – sie mochte nicht Frieder sagen wie die andern , und Friedrich klang ihr zu vornehm , zu gewagt – » lieber Bruder , ich wollt , ich wär bei unserer Mutter ! Sieh , ich bin dir die ärmste Kreatur auf der ganzen Gotteswelt ! Morgen soll der Verspruch sein , und das ist mein Tod . Ich kann ihn nicht ansehen , er ist mir zu arg zuwider ! « » Soll ich ihn zerbrechen ? « fragte er grimmig durch die Zähne . » Um Gotteswillen , fang keine Händel an ! Du würdest mich nur aus dem Regen in die Traufe bringen . « Sie schwieg eine Weile und fuhr dann verzagend fort : » Es gibt nur ein einziges Mittel , um aus dem Jammer hinauszukommen . « » Vermutlich . Was denkst du ? « » Ich spring in die Fils , und das noch heut nacht . « Friedrich lachte überlaut . » Du arm's Närrle ! Das müßtest du künstlich angreifen bei dem niedern Wasserstand . Nein , das ist nicht der Weg . Ich weiß einen andern – und der wär ganz sicher , sobald man sich fest darauf verlassen könnte . « » Du bist ein leidiger Tröster . « » Ja sieh , Kind , es steht ganz bei dir , und du hast 's in der Hand , ob das Mittel zuverlässig sein soll oder nicht . Kannst du dich auf dich selbst verlassen ? « Er sprach diese letzten Worte mit besonderer Stärke , und es lag dabei etwas Geheimnisvolles in seiner Stimme , so daß seine Schwester ihn verwundert ansah . » Ich weiß nicht , wo du hinaus willst « , sagte sie . » Der Mensch kann alles , was er will « , hob er an . » Heißt das , ich hab mich nicht ganz richtig ausgedrückt . Der Mensch kann nicht alles , was er will , denn ich mag wollen , so viel ich will , so kann ich z.B. nicht Tag aus Nacht machen . « Er schwieg eine Weile , um seine Gedanken auf der ungewohnten Spur zu sammeln . » Ja , das kann ich auch nicht « , sagte Magdalene dazwischen , mit einem Tone , welcher deutlich verriet , daß ihr das eine brotlose Weisheit dünke . » Wart nur , ich bin noch nicht auf dem rechten Trumm . Ich hätt eigentlich sagen sollen : der Mensch kann alles , was er nicht will . « » Jetzt hör auf ! « rief Magdalene unwillig . » Du bist dem Narren übers Säckle kommen . Wenn du mir keinen bessern Rat weißt als solches Kauderwelsch , so muß ich ungetröstet ins Bett gehen . « » Ich schwitz wie ein Magister « , sagte er . » Ich möcht dir das Ding recht glatt eingeben und bring 's nicht richtig heraus . Aber halt , jetzt geht's . So hätt ich sagen sollen : was der Mensch nicht haben will , das kann er sich vom Leib halten . « » Da , halt uns den Regen vom Leib , weil du so ein überstudierter Kopf bist « , sagte Magdalene spottend . Es fing nämlich soeben zu tröpfeln an . » Gegen den Regen sind Schirme gewachsen , oder auch zum Beispiel die Laube dort . Komm , wollen uns drin bergen , denn es macht nicht bloß naß herunter , sondern auch recht kühl , und ich bin noch lang nicht fertig . « Die beiden Geschwister gingen miteinander nach der Laube . Sie wär noch sommerlich genug überrankt , um vor dem Regen zu schützen , der jetzt in größeren Tropfen auf die Blätter niederschlug . » Den Regen kann man sich allerdings vom Leib halten , wenn man irgendwo unterzustehen vermag « , fuhr Friedrich fort . » Aber ich seh jetzt doch , daß mein Gleichnis nicht auf alles paßt . Denn , wenn mich zum Beispiel ein Blitz trifft , so kann ich ihn nicht – « » Behüt uns Gott ! « unterbrach ihn seine Schwester . » Unberufen , unberufen , unberufen ! « – Nachdem sie sich beeilt hatte , diese Zauberformel gegen böse Einflüsse und Vorbedeutungen dreimal auszusprechen , machte sie ihm lebhafte Vorwürfe wegen seiner sündlichen Rede . » Das ist nur so figürlich gesagt « , erwiderte er . » Ich hab dir bloß zeigen wollen , daß es Dinge in der Welt gibt , die man sich nicht vom Leib halten kann , wo man konträr wollen muß , man mag wollen oder nicht . Jetzt kann ich dir aber auch um so besser beweisen , daß es dafür andere Dinge gibt , die man sich vom Leib halten kann , wenn man nur recht tüchtig will . Zum Beispiel den Chirurgen – « » Gott Lob und Dank , endlich kommst du doch auf den rechten Text . Aber sag nur einmal , wie ? « » Du nimmst ihn eben nicht . « » Aber wenn der Vater sagt : du mußt ? « » Dann sagst du : ich will nicht . « » Kann ich mir dann auch die Streich vom Leib halten ? « » Ja sieh , lieb's Kind , das ist 's eben , darauf hab ich von Anfang an hinaus gezielt , und jetzt ist der Text vollständig . Vogel friß oder stirb ! das ist der Text . Wenn aber das Vögele nicht fressen will , und es will eben um keinen Preis nicht , so muß es zwar sterben , aber die Sach ist doch nach seinem Schnabel gegangen .