1. Die Altertümer Mit dem an der Spitze dieses Buches stehenden lateinischen Spruche des seligen , nunmehr längst vergessenen Egesippus führe ich die Leser in das Buch und mit dem Buche in mein altes , fern von hier stehendes Vaterhaus ein . Der Spruch spielte einmal eine Rolle in einer meiner Auszeichnungen in der Schule , und schon deshalb hatte ich ihn mir für alle meine Zukunft gemerkt ; allein er fiel mir nachher immer wieder ein , wenn ich so in den Räumen meines Vaterhauses herum ging ; denn das Haus stak voll von verschiedenen Dingen unserer Vorfahren , und ich empfand wirklich , in den Dingen herum gehend , die seltsamliche Freude und das Vergnügen , von denen Egesippus in seinem Spruche sagt . Dieses Vergnügen haftete aber nicht etwa bloß in dem Geiste des Kindes , sondern es wuchs mit mir auf , der ich noch immer alte Sachen gerne um mich habe und liebe . Ja ich denke oft jetzt schon , da ich selber alt zu werden beginne , mit einer Gattung Vorfreude auf jene Zeit hinab , in der mein Enkel oder Urenkel unter meinen Spuren herum gehen wird , die ich jetzt mit so vieler Liebe gründe , als müßten sie für die Ewigkeit dauern , und die dann doch , wenn sie an den Enkel geraten sind , erstorben und aus der Zeit gekommen sein werden . Das hastige Bauen des Greises , die Störrigkeit , auf seine Satzungen zu halten , und die Gierde , auf den Nachruhm zu lauschen , sind doch nur der dunkle , ermattende Trieb des alten Herzens , das so süße Leben noch über das Grab hinaus zu verlängern . Aber er verlängert es nicht ; denn so wie er die ausgebleichten geschmacklosen Dinge seiner Vorgänger belächelt und geändert hatte , so wird es auch der Enkel tun ; nur mit dem traurig süßen Gefühle , mit dem man jede vergehende Zeit ansieht , wird er noch die Andenken eine Weile behalten und beschauen . Diese Dinge empfindend erschien es mir nicht zwecklos , den Spruch des Egesippus an die Spitze eines Gedenkbuches zu stellen , das von meinem Urgroßvater und seiner Mappe handelt . Ich will die Erzählung von ihm beginnen . Mein Urgroßvater ist ein weitberühmter Doktor und Heilkünstler gewesen , sonst auch ein gar eulenspiegliger Herr und , wie sie sagen , in manchen Dingen ein Ketzer . Das alles ist er auf der hohen Schule zu Prag geworden , von wo er aber , da er kaum den neuen Doktorhut auf hatte , seinem eigenen Ausdrucke nach wie ein geschnellter Pfeil fortschießen mußte , um sein Heil in der Welt zu suchen . Die Ursache , warum er so schnell fort gemußt hatte , hat er , der Erzählung meines Großvaters zu Folge , nie dazu gesetzt . Welche sie auch gewesen ist , so hat sie ihn doch zu jener Zeit in die schöne Waldeinsamkeit seiner Heimat geführt , wo er sofort viele Meilen in der Runde kurierte . Vor wenigen Jahren erzählte von ihm noch manche verhallende Stimme des Tales , ja in meiner Knabenzeit kannte ich noch manchen verspäteten Greis , der ihn noch gekannt und mit seinen zwei großen Rappen herum fahren gesehen hatte . Als er uralt und wohlhabend geworden war , ging er endlich auch den Weg von manchem seiner einstigen Pflegebefohlenen , und hinterließ meinem Großvater Ersparnisse und Hausrat . Das Ersparte ist zuerst fortgekommen , und zwar im Preußenkriege ; der Hausrat aber ist noch stehen geblieben . Von der Art und Weise des Doktors , die sehr abweichend von der der andern gewesen sein soll , haben sich nach seinem Tode noch lange die Bruchstücke im Munde der Leute erhalten ; aber die Bruchstücke schmolzen wie Eisschollen , die im Strome hinab schwimmen , zu immer kleineren Stücken , bis endlich der Strom der Überlieferungen allein ging und der Name des Geschiedenen nicht mehr in ihm war . Die Geräte und Denkmale sind auch immer verkommener und trüber geworden . Von diesen Denkmalen möchte ich sprechen , da Sie einst meine schauerliche innere Freude waren . Aber seltsam , wenn ich recht weit zurück gehe , so ist es eigentlich Trödel , der gar so tief wirkte , nicht Dinge , denen ich heute mein Augenmerk schenke . Da ist tief in dem Nebel der Kindheit zurück eine schwarze Weste , die so wundersam war ; ich höre noch heute die Leute staunen und rufen , wie nun gar kein so unverwüstlicher Levantin mehr gemacht werde , und wie man das Alte aufbewahren und achten soll – dann trieb sich unter unsern Spielsachen eine dunkle , verwitterte Hutfeder herum , deren Rückgrat geknickt war – aus den Spänen und Splittern der Holzlaube blickte einmal eine geschundene Deichsel hervor – im Garten wucherte noch unausrottbar die Angelikawurzel ; daneben stand ein grauer Stamm , dessen zwei einzige grüne Äste noch alljährlich schwarze Vogelkirschen trugen und im Herbste blutrote Blätter fallen ließen ; – dann waren zwei himmelblaue Wagenräder , die ich als Knabe einmal sauber abzuwaschen strebte , weil sie von darauf geworfenen Pflügen und Eggen voll Kot geworden waren ; – dann bestand , weil man sagt , daß der Doktor ein vornehmes Fräulein soll geheiratet haben , auf Diele und Scheune noch allerlei den jetzigen Bewohnern unbekannter Kram , der wohl nicht aller von ihm herrühren mochte ; aber wenn unter die berechtigten Hausdinge etwas Wunderliches geriet , das niemand erklügeln konnte , sagte man immer : » Das ist vom Doktor « ; denn obwohl wir ihn als unsern reichsten Vorahn sehr ehrten , so hielten wir doch insgeheim sämtlich dafür , daß er ein Narr gewesen sei . Es mochte damals noch viel mehr Altertümliches gegeben haben , wenn wir Kinder den Schauer vor so manchem unrichtigen Winkel hätten überwinden können der noch bestand , und wohin sich seit Ewigkeit her der Schutt geflüchtet hatte . Da war zum Beispiele ein hölzerner , dunkler Gang zwischen Schüttboden und Dach , in dem eine Menge urältester Sachen lag ; aber schon einige Schritte tief in ihm stand auf einem großen Untersatze eine goldglänzende heilige Margaretha , die allemal einen so drohenden Schein gab , so oft wir hinein sahen ; dann waren die unentdeckten allerhintersten Räume der Wagenlaube , wo sich verworrene Stangen sträubten , alternde Strohbünde bauschten , noch bekannte Federn längst getöteter Hühner staken , tellergroße schwarze Augen aus den Naben alter Räder glotzten , und daneben im Stroh manch tieferes Loch gor , so schwarz wie ein Doktorhut . Ja die Scheu steigerte sich , da einmal der Knecht gesagt hatte , daß man durch die Sachen hindurch in die Haberstelle der Scheune kriechen könne , was wohl bestaunt , aber nicht gewagt wurde . In der Finsternis der Truhe bewahrte auch lieb Mütterlein manche Kostbarkeiten auf , die keinen andern Zweck hatten , als daß sie immer liegen blieben , und die wir gelegentlich zu sehen bekamen , wenn sie einmal etwas Seltenes suchen ging und wir die Köpfe mit in die Truhe steckten . Da war eine Schnur angefaßter rasselnder , silberner Gupfknöpfe , ein Bündel Schnallen , langstielige Löffel , eine große silberne Schale , von der sie sagten , daß der Doktor das Blut der vornehmen Leute in dieselbe gelassen habe , – dann waren zwei hornerne Adlerschnäbel , einige Bündel von Goldborden , und anderes , was in der Dunkelheit so geheimnisvoll leuchtete , und worin wir nie kramen durften , weil die Mutter bei solchen Gelegenheiten stets nicht Zeit hatte , sondern zusperren und fort gehen mußte . Zuweilen aber , wenn die obere Stube , wo die Gastbetten standen und die Festkleider hingen , einmal gelüftet und abgestäubt wurde und die Mutter eben bei Laune war , zeigte sie wohl gerne etwa einer Nachbarin und auch uns Kindern , die immer dabei standen , manches von der Ahnentafel bürgerlicher Häuser , die ich so liebe , der Truhe der Brautkleider . Wie Reliquien pflegte man sonst derlei Kleider aufzubewahren und bei Gelegenheiten vorzuzeigen ; aber diese Ehrfurcht nahm in den Zeiten ab , und endlich kam der schwarze Frack , in dem wir zur Trauung , zum Besuche , zum Spaziergange gehen – was soll daher an ihm sein , das der Aufbewahrung würdig wäre ? Wenn Mütterlein nun die steifen , eckigen Dinge herauszog und in der Sonne spielen ließ , da standen wir dabei und staunten die verschossene Pracht an . Da kamen sammetne , seidene , goldstarrende Dinge zum Vorschein , die da rauschten und knisterten und unbekannt waren . Vom Doktor ist noch der ganze veilchenblaue Sammetanzug übrig , mit den vielen Schleifen und unten Goldblümchen , dann mit den Bandschuhen und schwarzem Barett . Das aschgraue Seidengewand seiner Braut hatte hinten einen Zipfel als Schleppe hinaus , es war ein goldener Saum da , und aus dem Innern lauschte das schwefelgelbe seidene Unterfutter . Insonderheit war auch der Rock der Großmutter , der meßgewandstoffig und unbiegsam war , mit den vielen Falten und großen Seidenblumen . Des Vaters langer rötlicher Brautrock , in dem ich ihn oft an Oster- und Pfingsttagen zur Kirche gehen sah , hatte schon das Schicksal , daß er zerschnitten wurde ; denn als der Vater tot war und ich in die Abtei studieren ging , da wurde für mich ein neues Röcklein daraus gefertigt , in welcher Gestalt er aber von meinen Mitschülern stets nur Hohn und Spott erntete , obgleich mir mein kleines Herz jedesmal um den verstorbenen Vater sehr weh tat , wenn ich an Sonntagen das so oft verehrte Tuch auf meinen Armen sah . Früher mochten noch mehrere Gedenksachen allgemach den Weg der Zerstörung und Vergessenheit gegangen sein . Ich denke noch klar eines Wintermorgens , an dem man daran ging , das Ungeheuer eines weichen Schreines mit Äxten zu zerschlagen , das seit Kindesdenken prangend mit dem eingelegten Worte › Zehrgaden ‹ wie ein Schloß neben der Küche gestanden war , und ich weiß noch heute recht gut , wie ich damals als winziges Kind einen beinahe bitteren Schmerz empfand , als der wunderbare kaffeebraune Berg vor mir in lauter schnöde Späne zerfiel , im Innern zu höchster Überraschung so gewöhnlich weiß wie die Tannenscheite im Hofe . Lange nachher hatte ich immer ein Gefühl verletzter Ehrfurcht , so oft ich die große lichte Stelle an der Mauer sah , wo er gestanden war . Und wie vieles mochte in der vordenklichen Zeit verloren sein . Wie oft , wenn wir Wallfahrer spielten und ein Fähnlein auf einem langen Stabe trugen , dazu wir einen Lappen aus dem Kehrichte gezogen hatten , mochte der Lappen aus einem schmeichelnden Kleide gewesen sein , das einst die Glieder eines lieben Weibes bedeckt hat . Oder wir saßen im Grase , streichelten mit den Fingern an den schillernden Fäden des hingesunkenen Fähnleins und sangen : » Margaretha , Margaretha « ; denn die Mutter hatte uns oft von einer Margaretha erzählt , die eine schöne , weiche Frau unserer Vorfahren gewesen sein soll . – Wir sangen : » Margaretha , Margaretha « , bis wir selber eine Art Furcht vor dem Lappen hatten . Wie der Mensch doch selber arbeitet , daß das vor ihm Gewesene versinke , und wie er wieder mit seltsamer Liebe am Versinkenden hängt , das nichts anderes ist , als der Wegwurf vergangener Jahre . Es ist dies die Dichtung des Plunders , jene traurig sanfte Dichtung , welche bloß die Spuren der Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit prägt , aber in diesen Spuren unser Herz oft mehr erschüttert als in anderen , weil wir auf ihnen am deutlichsten den Schatten der Verblichenen fortgehen sehen , und unsern eignen mit , der jenem folgt . Darum hat der Großstädter , der stets erneuert , keine Heimat , und der Bauerssohn , selbst wenn er Großstädter geworden ist , hegt die heimliche , sanft schmerzende Rückliebe an ein altes , schlechtes Haus , wo die Bretter , Pfähle und Truhen seiner Voreltern standen und stehen . Wenn die Gebeine eines Gewesenen schon verkommen sind , oder zerstreut in einem Winkel und im Grase des Kirchhofes liegen , stehen noch seine bleichenden Schreine in der alten Wohnung , sind zuletzt die beiseite gesetzten ältesten Dinge , und werden so wieder die Gespielen der jüngsten , der Kinder . Es ist etwas Rührendes in diesen stummen , unklaren Erzählern der unbekannten Geschichte eines solchen Hauses . Welches Wehe und welche Freude liegt doch in dieser ungelesenen Geschichte begraben , und bleibt begraben . Das blondgelockte Kind und die neugeborne Fliege , die daneben im Sonnengolde spielt , sind die letzten Glieder einer langen unbekannten Kette , aber auch die ersten einer vielleicht noch längern , noch unbekannteren ; und doch ist diese Reihe eine der Verwandtschaft und Liebe , und wie einsam steht der einzelne mitten in dieser Reihe ! Wenn ihm also ein blassend Bild , eine Trümmer , ein Stäubchen von denen erzählt , die vor ihm gewesen , dann ist er um viel weniger einsam . Und wie bedeutungslos ist diese Geschichte ; sie geht nur zum Großvater oder Urgroßvater Zurück , und erzählt oft nichts als Kindtaufen , Hochzeiten , Begräbnisse , Versorgung der Nachkommen – aber welch ein unfaßbares Maß von Liebe und Schmerz liegt in dieser Bedeutungslosigkeit ! In der andern , großen Geschichte vermag auch nicht mehr zu liegen , ja sie ist sogar nur das entfärbte Gesamtbild dieser kleinen , in welchem man die Liebe ausgelassen , und das Blutvergießen aufgezeichnet hat . Allein der große , goldene Strom der Liebe , der in den Jahrtausenden bis zu uns herab geronnen , durch die unzählbaren Mutterherzen , durch Bräute , Väter , Geschwister , Freunde , ist die Regel , und seine Aufmerkung ward vergessen ; das andere , der Haß , ist die Ausnahme , und ist in tausend Büchern aufgeschrieben worden . Da der Vater noch lebte , durfte von des Doktors Habschaften nichts verrückt werden , da er ihn hoch verehrte und fast ausschließlich immer in einem ledernen Handschriftenbuche desselben las , welches Buch aber später ganz abhanden gekommen war . In jener Zeit stand der alte Hausrat noch wie eine eherne Chronik umher ; wir Kinder lebten uns hinein , wie in ein verjährtes Bilderbuch , dazu der Großvater die Auslegung wußte und erzählte , er , der der eigentlichste , lebendigste Lebensbeschreiber seines Vaters , des Doktors , war . Wenn er manchen Abend zwischen diesen Denkmalen niedersaß und in dem Buche seiner Jugend nachsann , dessen Zeichen bloß tiefe Stirnrunzeln und weiße Haupthaare waren , und von den Taten und Abenteuern des Doktors erzählte , von seiner Furchtlosigkeit bei Tag und Nacht , in Wald und auf Haiden , wenn er so zu seinen Kranken fuhr – wie er Scherze und Schnurren trieb wie er Arzneigläser hatte , die rot und blau glänzten , wie Karfunkel und Edelstein – wie er Macht hatte über die Dinge auf der Erde und in der Luft – – und wenn nun das eine und andere Gerätstück , wie es ja noch leibhaftig vor uns stand , anfing , in der Geschichte mit zu spielen , bald , weil es in einem bedeutungsvollen Augenblicke in ihm krachte , oder plötzlich ein Glas den Platz wechselte – bald , weil ein Schwerverwundeter darauf ächzte , wie ihm der Doktor den Körper wieder fügte , den ein Waldbaum gänzlich auseinander geschlagen hatte – bald weil ein unergründlich Geheimnis der Heilkunde darinnen verschlossen gewesen ; so ergoß sich eine unsägliche Bedeutung und Zauberei um die veralteten Gestalten ; wir getrauten uns kaum hinzusehen , wie alles in hellem Kerzenlichte umher stand und entschiedene Schatten warf ; tief hinten ein Schrank , hoch und dünn , wie Ritterfräulein , die in ein Leibchen gepreßt sind ; es war , als stünden Dinge auf ihm , die am Tage gar nicht dort stehen – dann der Arzneischragen , der gleichsam heimlich immer glänzender wurde – der Ahorntisch mit dem eingelegten perlenmutternen Osterlamme – die Uhr mit der Spitzhaube – der lange Lederpolster auf der Bank mit Bärentatzen , die wie lebendige griffen – endlich am Fenster , mit bleichen Tropfen des hereinscheinenden Mondes betupft , das Schreibgerüste , vielfächrig , gotisch , mit einem kostbaren Geländer , auf dem braune Frösche paßten und gleißten , die Schreibplatte überwölbt mit einem hölzernen Baldachine , wie mit einem Herdmantel , darauf oben ein ausgestopfter Balg saß , den man nicht mehr kannte , und den wir jedes Abends fürchteten – und wenn der einzige Hort , der Vater , der auf diese Erzählungen nichts hielt , in der Ofenecke eingeschlummert war und der Mondenglanz der scharfen , taghellen Winternacht in den Ecken der gefrierenden Fensterscheiben starrte , so wehte ein solches Geisterfieber in der Stube , es hatte selbst die Mutter so ergriffen und war über die Mägde hinaus gekommen , die gerne in der Küchenstube daneben saßen und spannen , daß , wenn jetzt jemand am äußeren Tore geklopft hätte , es unmöglich gewesen wäre , sich ein Königreich zu verdienen , bloß dadurch , daß eines hinaus gehe und schaue , wer es sei . Ich dachte mir damals oft , wie denn ein so unsägliches Gewimmel von überirdischen Dingen und ganz unerhörten Ereignissen in dem Leben eines einzigen Menschen , dieses meines Urgroßvaters , gewesen sein könne , und wie jetzt alles so gewöhnlich und entblößt ist – kein Geist läßt sich mehr sehen oder hören , und wenn der Vater in der Nacht von etwas aufgehalten wird , so sind es schlechte Waldwege gewesen , oder es ist ein Regen eingefallen . » Ja wohl , « pflegte die Großmutter zu sagen , wenn auf diese Dinge die Rede kam , » alles nimmt ab , der Vogel in der Luft und der Fisch im Wasser . Wenn sonst in den Losnächten oder Samstag abends aus den Pfingstgräben oder der Hammerau deutlich ein Weinen oder Rufen gehört wurde , so ist heute in den Gegenden alles stille und ausgestorben , selten , daß einem noch ein Irrlicht begegnet , oder der Wassermann am Ufer sitzt . Die Leute glauben auch heut zu Tage nicht mehr so fest wie sonst , obwohl die Alten , die dies erzählten , ebenfalls keine Toren waren , sondern furchtlose , aufgeklärte Männer . Wie gerne will die Jugend alles besser wissen , und kömmt doch mit den Jahren immer wieder auf die Reden der Alten , und gesteht es ein , daß sie darauf kömmt . « So pflegte meine Großmutter zu sagen ; ich aber hörte ihr mit begierig hingerichteten Augen zu und brauchte gar nicht auf ihre Worte zu kommen ; denn ich glaubte ohnehin alles gerne und fest . So war es in meiner Kindheit , und so flossen die Jahre dahin . Die Jahre waren damals sehr , sehr lange , und es verging ungemein viele Zeit , ehe wir ein wenig größer geworden waren . Da endlich ich als der Älteste ziemlich herangewachsen war , starb der Vater , und ich mußte bald darauf in die Abtei in die Studien . Später kam ein Stiefvater und eine neue Regierung in das Haus . Es wurden neue , schöne Geräte gemacht , und alle die alten Dinge , die früher da gewesen waren , mußten in die braungebeizte Hinterstube zurück , die gegen den Garten lag und unbewohnt war . Dort blieben sie in Raschheit hingestellt und in Verworrenheit stehen . Auch in mein Haupt waren nach und nach andere Gedanken und andere Bestrebungen gekommen . Aber einmal in den großen Herbstferien besuchte ich die alten Sachen wieder . Mir kam bei , daß ich sie ordnen könnte . Ich tat es , richtete die braune Stube mit ihnen ein , und stand dabei , wie der sanfte , schwermütige Herbstglanz der Sonne so an ihnen hin streichelte und sie beleuchtete . Allein ich mußte wieder in die Abtei , und wie die Zeit der dort festgesetzten Studien vergangen war , kam ich gar in die große , ferne Stadt . Nun erschienen harte Jahre , die Bestrebungen des Mannes kamen und verdeckten wie mit Nebel das fernabliegende Land der Kindheit . Viele Dinge wurden erstrebt und gelitten , und da endlich die Zeit eingetreten war , in der der Mensch die Sehnsucht hat , den sachte vergehenden Lebensstrom in holden Kindern wieder aufquellen zu sehen , mochte es ein liebes Weib mit meinem Herzen wagen , und wir traten vor den Altar der Ehe . Dieses Ereignis führte mich wieder in mein Kindheitsland zurück . Da nämlich Mütterlein zu Hause sehr betrübt war , daß sie wegen Kränklichkeit nicht kommen konnte , die Brautkrone flechten zu helfen und den heiligen Kirchengang zu sehen , beschlossen wir , um ihr Ersatz zu geben , die ersten Tage unseres neuen Standes in der Heimat zuzubringen . Wir packten auf , Wälder , Berge gingen an uns vorüber , und eines schönen Sommertages kamen wir in dem längst verlassenen Hause an . Mütterlein war ein altes Weib geworden , die neuen , schönen Geräte , die zu meiner Studienzeit gekommen waren , waren jetzt auch alt und verschossen ; keine Großeltern gingen mehr im Hause herum , aber dafür spielten die kleinen Kinder der Schwester , die selbst ein Kind gewesen , da ich fort ging , an der Stelle , wo wir einst gespielt hatten – nur die Liebe und Güte ist jung geblieben . Mit dem gewohnten Sonnenscheine der Freundlichkeit in den verfallenen Zügen , mit den gewohnten guten Augen nahm die Mutter jetzt die junge , blühende Tochter an , verehrte sie und tat ihr Gutes . Es kamen Tage , die einzig unvergeßlich sind , Tage unter Menschen desselben Herzens und derselben unverfälschten Liebe . Ich führte meine Gattin durch alle Wälder meiner Kindheit , ich führte sie an rauschende Bäche und an ragende Klippen , aber ich führte sie auch durch die schönen Wiesen und durch die wogenden Felder . Hier ging Mütterlein mit und zeigte der fremden Tochter , was von all den Dingen unser sei , und was eben darauf wachse . Alles war so herrlich und prangend wie sonst , ja es war noch prachtvoller und ernster , als ich es einst begreifen konnte . Nur das Haus war kleiner geworden , die Fenster niedriger und die Stuben gedrückt . Alles , was sonst unendlich war , die dunklen Gänge , die gähnenden Winkel , das war nun klar , und was darinnen lag , war Wust . In der braunen Stube standen die alten Dinge in der Ordnung , wie ich sie einstens hingestellt hatte , oder eigentlich , sie hingen kaum mehr an den Wänden herum . Das einzige Schreibgerüste stand noch dicht und fest mit allen seinen Zieratengeländern und Fröschen da , ein wahres Kunstwerk in uralter Eichenschnitzerei . Die Mutter gab es mir auf meine Bitte gerne zum Hochzeitsgeschenke . All das andere aber waren gewöhnliche Trümmer und Reste ; die Fugen klafften , das Licht schien durch sie , der Holzwurm hatte die Balken angebohrt , und der Staub rieselte heimlich in seine Gänge . Als ich weiter durch das Haus wandelte , war hier eine Holztreppe weggenommen , dort eine andere aufgestellt – ein Geländer war hier herabgebrochen , dort eines befestiget worden – das Brunnenwasser rann in eine neue Kufe , die Gartenbeete waren in einer anderen Richtung , verschiedene Dinge standen darauf , und der graue Baum war gar nicht mehr da – in der Holzlaube war manches anders , aber hinten standen genau noch die alten Stangen und staken die alten Strohbünde ; aber ein schwermütig klares Licht der Gegenwart lag auf allen Dingen , und sie blickten mich an , als hätten sie die Jahre meiner Kindheit vergessen . – So verging Woche um Woche in den neuen , erst wieder bekannt werdenden Räumen . Aber eines Tages , da eben ein grauer , sanfter Landregen die Berge und Wälder verhing , verschaffte mir das Haus etwas , das ich nicht suchte , und das mich sehr freute , weil es mir gleichsam das ganze versunkene , aufgehobene Märchen darin gab . Mütterlein , Gattin und Schwester saßen im Hofstübchen und verplauderten die Zeit , weil draußen Straße und Garten in Wasser schwammen ; ich , gleichsam aus einem alten Zuge der Kindheit , der gerne das sanfte Pochen des Regens auf Schindeldächern hörte , war fast bis auf den äußersten Boden emporgestiegen und geriet auch in den Gang zwischen Schüttboden und Dach . Da stand noch die goldglänzende heilige Margaretha auf demselben Platze , auf dem sie vor so vielen Jahren gestanden war . Eine Menge weggeworfener Sachen lag , wie einst , um sie herum . Jetzt fürchtete ich den düsteren Goldschein nicht mehr , sondern ich holte die Gestalt hervor , um sie zu betrachten . Es war ein sehr altes , gut vergoldetes , hölzernes Standbild , halb lebensgroß , aber in dem Laufe der Zeiten war es bereits vielfach abgerieben und zerschleift worden . Ich dachte mir , daß es etwa von einer eingegangenen Feldkapelle unserer Besitzungen herrühre , aus Zufall in den Gang gekommen und hier vergessen worden sei . Aber fast sollte man glauben , daß es keinen Zufall gäbe . – Daß das Bildnis hier stand , daß es heute regnete , daß ich herauf stieg und es wegnahm – das sind lauter Glieder derselben Kette , damit das werde , was da ward . Als ich nämlich die Bildsäule wieder auf ihr Untergestelle setzen wollte , hörte ich , daß dieses keinen Ton gab wie ein Block , sondern wie ein hohler Raum ; ich untersuchte es näher , und fand in der Tat , daß es eine sehr alte , verschlossene Truhe sei . Ich war neugierig , holte mir in der Wohnung unten Brechwerkzeuge , stieg wieder in den Gang hinauf , befreite zuerst den Deckel von dem zollhohen Staube , der darauf lag , sprengte mit dem Eisen seine Bande und öffnete ihn . Was sich mir nun zeigte , war ein Knäuel von Papieren , Schriften , Päckchen , Rollen , unterschiedlichen Handgeräten , Bindzeugen und anderem Gewirr – aber weit hinaus herrschten die Papiere vor . Es gibt in jedem Hause Dinge , die man nicht weg wirft , weil doch ein Teil unseres Herzens daran hängt , die man aber gewöhnlich in Fächer legt , auf welche dann nie mehr ein Auge fällt . Daß es hier so sei , begrifflich augenblicklich , und sogleich im Gange sitzen bleibend , neben mir den schwachen Goldschimmer der Bildsäule , ober mir das leichte Trippeln des Regens , fing ich die Untersuchung an , und nach einer Stunde saß ich schon bis auf die Knie in Papieren . Welch seltsame , sonderbare Dinge ! Da waren ganz unnütze Blätter , dann andere , auf denen nur ein paar Worte standen , oder ein Spruch – andere mit ausgestochenen Herzen und gemalten Flammen – meine eigenen Schönschreibbücher , ein papierner Handspiegel , von dem aber gerade das Spiegelglas herausgebrochen war – Rechnungen , Rezepte , ein vergelbter Prozeß über eine Hutweide – dann unzählige Blätter mit längst verklungenen Liedern , Briefe mit längst ausgebrannter Liebe , nur die schön gemalten Schäfer standen noch am Rande und stellten sich dar – dann waren Schnitte für Kleider , die jetzt niemand mehr trägt , Rollen Packpapiers , in das nichts mehr gewickelt wird – auch unsere Kinderschulbücher waren da aufbewahrt , und das Innere der Deckel trug noch die Namen von uns allen Geschwistern ; denn eines hatte sie von dem andern geerbt , und gleichsam als sei es das letzte und ewige , hatte es den Namen des Vorgängers mit fester Linie ausgestrichen und den seinigen mit der großen Kinderschrift darunter gesetzt . Daneben standen die Jahreszahlen mit gelber , schwarzer und wieder gelber Tinte . Als ich so diese Bücher heraus legte und der Blätter , auf denen viel hundertmal die Kinderhände geruht haben mochten , sorgsam schonte , daß sie mir nicht auseinander fielen , kam ich auch auf ein anderes Buch , das diesen gar nicht glich und von jemanden ganz andern herrühren mußte als von einem Kinde . Durch Zufall lag es hier unter den Büchern der Kinder , aber es war von einem Greise , der längstens gelebt hatte , und der längstens schon in die Ewigkeit gegangen war . Das Buch bestand aus Pergament , hatte die Höhe von vier an einander gelegten Schulbüchern und war eigentlich aus lauter ungebundenen Heften zusammen gelegt . Ich schlug sie auf , aber nichts war da als die Seitenzahlen , mit starken Ziffern und roter Tinte hingemerkt , das übrige war weißes Pergament , nur von außen mit dem gelben Rande des Alters umflossen . Im einzigen ersten Hefte war ungefähr die Dicke eines Daumens mit alter , breiter , verworrener Schrift besetzt , aber auch die Lesung dieser Worte war gleichsam verwehrt ; denn immer je mehrere der so beschriebenen Blätterwaren an den Gegenrändern mit einem Messer durchstochen , durch den Schnitt war ein Seidenband gezogen und dann zusammen gesiegelt . Wohl fünfzehn solcher Einsieglungen zeigte der Anfang des Buches . Die letzte leere Seite trug die Zahl achthundertfünfzig , und auf der ersten stand der Titel : › Calcaria Doctoris Augustini tom. II . ‹ Mir war das Ding sehr seltsam und rätselhaft , ich nahm mir vor , nicht nur das Buch in die Wohnung hinab zu tragen und bei Gelegenheit die Blätter aufzuschneiden und zu lesen , sondern auch von den anderen Sachen dasjenige , was mir gefiele , zu nehmen und zu behalten ; aber ehe ich dieses täte , mußte noch etwas anderes ausgeführt werden ; denn bei Herausholung dieser Pergamente war mir augenblicklich das alte Lederbuch eingefallen , in dem der Vater vor mehr als fünfundzwanzig Jahren immer gelesen hatte ; ich dachte , daß dieses offenbar der erste Teil der Calcaria sein müßte , und wollte sehen , ob ich es nicht auch in diesen Dingen finden könnte . Das andere war aber nicht lose , sondern in dunkelrotem Leder gebunden und mit messingenen Spangen versehen gewesen , was uns Kindern immer so sehr gefallen hatte . Ich nahm nun Blatt für Blatt , Bündel für Bündel heraus , löste alles auf und durchforschte es ; allein ich gelangte endlich auf den Boden der Truhe , ohne das Gesuchte zu finden . Aber als ich alles wieder hineingelegt hatte , als ich den Knecht rufen wollte , daß er mir die Truhe samt den Papieren in mein Zimmer hinabtragen helfe , und als ich sie zu diesem Zwecke ein wenig näher an das Licht rückte , hörte ich etwas fallen – und siehe , es war das gesuchte Buch , das an der hintern Wand der Truhe gelehnt hatte und von mir nicht bemerkt worden war . Tiefer Staub und Spinnenweben umhüllten es – der Vater , den ich noch so deutlich vor mir sitzen sehe , als wäre es gestern gewesen , modert nun schon ein Vierteljahrhundert in der Erde – tausendmal hatte ich die Mutter um das Lederbuch gefragt , sie wußte es nicht , und sie hatte vergebens oft das ganze Haus darnach durchforscht . Wer mag es hieher gelehnt , und auf ewig vergessen haben ? Ohne nun die Einsamkeit des Bodens zu verlassen , da mich unten niemand vermißte und gewiß alle in ihre Gespräche vertieft sein mochten , nahm ich das Buch vor , ich reinigte es zuerst ein wenig von dem schändenden Staube , der wohlbekannte rote Deckel kam zum Vorscheine , ich drückte an die Federn , mit veraltetem Krachen sprangen die Spangen , die Deckel legten sich um , und ich sah hinein . Das ganze Pergament war beschrieben , die roten Seitenzahlen liefen durch das Buch , aber hier nur bis auf fünfhundertundzwanzig , es war dieselbe alte , breite , verworrene Schrift , schlecht aus lateinischen und deutschen Buchstaben gemischt , dieselbe seltsame Feßlung der Blätter mußte auch hier statt gehabt haben , aber gelöst worden sein ; denn an allen Rändern war deutlich der gewesene Messerschnitt sichtbar , und als ich das erste Blatt umschlug , stand der Titel : › Calcaria Doctoris Augustini tom. I. ‹ – Ich blätterte vorne , ich blätterte hinten , ich schlug hier auf und dort auf , überall dieselbe Schrift mit den starken Schattenstrichen und den ineinander fließenden Buchstaben , und die ganzen großen Pergamentblätter waren von oben bis unten voll geschrieben . Aber auch etwas anderes kam zum Vorscheine : ich fand nämlich viele zerstreute Blätter und Hefte in dem Buche liegen , die sämtlich die Handschrift meines verstorbenen Vaters trugen . Ich sah sie näher an und dachte mir : also darum war nichts von ihm in der Truhe zu finden gewesen , weil er alles hieher gelegt hatte , und weil alles vergessen worden war . Bevor ich in dem Buche las , wollte ich eher diese Dinge des Vaters anschauen , Blatt nach Blatt ging durch meine Hände , da waren Lieder , ferner Bemerkungen und Abhandlungen – auch ein Märchen war da – Erzählungen aus seinem Leben – Worte an uns Kinder – ferner ein morsches , zerfallendes Kalenderblatt , darauf mit zerflossener , entfärbter Tinte geschrieben stand : › Heute mit Gottes Segen mein geliebter erster Sohn geboren . ‹ – – Ich las in vielem , und es deuchte mir , das Herz , dem ich zwanzig Jahre nachgejagt hatte , sei gefunden : es ist das meines Vaters , der vor langem gestorben war . Ich nahm mir vor , von diesen Schriften der Mutter nichts zu sagen , sondern sie in mein Denkbuch zu legen und sie mir da auf ewig aufzubewahren . Ich konnte nun in dem Lederbuche nichts lesen – es klangen mir längst vergessene Worte in den Ohren , von denen mir die Mutter erzählt hat , daß er sie einstens gesagt : » Ich darf es dem Knaben nicht zeigen , wie sehr ich ihn liebe . « Ich ging in den Hof hinab und sah trotz des Regens , der niederströmte , auf jedes Brett , das er einst befestigt , auf jeden Pflock , den er einst eingeschlagen , und im Garten auf jedes Bäumchen , das er gesetzt oder sonst mit Vorliebe gehegt hatte . Die Kiste mit den Büchern des Doktors und mit den anderen Dingen hatte ich in mein Zimmer hinab bringen lassen . Als ich wieder in die Wohnung zurück kam , saßen die Mutter und die Gattin noch immer in dem Hofstübchen beisammen und redeten . Die Mutter erzählte mir , wie so gut meine Gattin sei , daß sie nun schon so lange hier sitzen und von allem Erdenklichen geplaudert haben , und daß sie gar nicht geglaubt hätte , wie eine Stadtfrau gar so gut , lieb und einfach reden könne , als sei sie hier geboren und erzogen worden . Spät am Abende , da sich die Wolken zerrissen hatten und , wie es gewöhnlich in unserer Heimat ist , in dichten , weißen Ballen über den Wald hinaus zogen , als schon im Westen hie und da die blassen , goldenen Inseln des heitern Himmels sichtbar wurden und manche mit einem Sternchen besetzt waren , saßen wir wieder alle , auch der Stiefvater und der Schwager , die am Morgen weggefahren und nun wieder gekommen waren , in der Wohnstube an dem großen Tische beisammen , man zündete nach und nach die Lichter an , und ich erzählte ihnen von meinem Funde . Kein Mensch in unserem Hause hatte von der Truhe gewußt . Die Mutter entsann sich wohl , daß ein solches Ding , da wir noch kaum geboren waren , immer auf der Diele gestanden , und daß alter Kram darin gewesen sei ; aber wie es fortgekommen und was damit geschehen sei , könne sie sich nicht erinnern , habe auch in ihrem ganzen Leben nicht mehr an die Truhe gedacht . Wer das Lederbuch hinzu gelehnt , sei ganz unbegreiflich , wenn es nicht etwa der Großvater gewesen , der es in der ersten Verwirrung bei des Vaters Tode , um es den Augen der Mutter zu entziehen , an die Truhe legte und dort vergaß . Auch auf die Bildsäule kam die Rede , und als ich um ihren Ursprung fragte , wußte ihn niemand , sie sei eben immer in dem Gange gestanden , und keiner habe darauf gedacht , warum sie da stehe , und auf welchem Untersatze sie stehe . Nur könne sie aus keiner unsrigen Feldkapelle herrühren , weil unsere Felder nie eine Kapelle gehabt hätten . Während wir so sprachen , standen die winzig kleinen Kinder der Schwester herum , horchten zu , hielten die trotzigen Engelsköpfchen ganz stille , und manches von ihnen hatte ein altes Blatt aus der Truhe in der Hand , auf dem Blumen oder Altäre abgebildet waren , die einst ihre Ur-Ur-Großmutter in geheimer Wonne an das Herz gedrückt hatte , oder auf dem Verse standen , die von Schmerzen und Untaten sangen , über die hundert Jahre gegangen waren . Das Lederbuch lag aufgeschlagen auf dem Tische , und bald das eine , bald das andere von uns blätterte darinnen und sah neugierig nach . Aber keinem war es für den Augenblick möglich , die Schrift zu entziffern , oder die Gedanken zu reimen , die einzeln herausfielen . Es müsse des Doktors Leben darin sein , sagte die Mutter , denn in manchen Abenden , wo der Vater darinnen gelesen , indes sie mit den Kindern und der Hauswirtschaft zu tun gehabt , habe er ausgerufen : » Welch ein Mann ! « Sie selber habe das Buch nie zur Hand genommen , weil sie doch zum Lesen nie Zeit gehabt und ihr die Kinder mehr Arbeit gegeben haben , als sie kaum zu verrichten im Stande gewesen sei . Ich aber dachte mir : wenn nun das Leben des Doktors darinnen ist , so muß sich ja zeigen , ob es von jenen Geistern und überirdischen Gewalten beherrscht war , wie die Sage geht , oder ob es der gewöhnliche Kranz aus Blumen und Dornen war , die wir Freuden und Leiden nennen . Meine Gattin bewunderte die schönen mit der Kunst des Pinsels gemalten Anfangsbuchstaben und die brennend roten Titel , hinter denen aber allemal die abscheulichste Schrift kam . Man wollte , ich solle ein wenig vorlesen , allein ich konnte es eben so wenig als die andern ; weil mir aber die Mutter erlaubt hatte , daß ich die Doktorbücher behalte , so versprach ich , daß ich jeden Tag darin studieren und dann des Abends davon erzählen werde , so lange ich noch zu Hause sei . Man war damit zufrieden , und einmal durch alte Sachen angeregt , redete man noch vieles in längst vergangenen Geschichten , und der Mutter kamen alle Erinnerungen bei , was wir in unserer Kindheit und Jugend getan und gesagt , und was sich Merkwürdiges zugetragen hatte , als sie mit dem einen oder dem andern gesegnet gegangen war . Sehr spät gingen wir in jener Nacht schlafen , jedes seine Kammer suchend , und ich die schweren Pergamentbücher des Doktors im Arme tragend . Des andern und die folgenden Morgen saß ich nun manche Stunde in der braunen Stube , und las und grübelte in dem alten Buche , wie einst der Vater . Was ich da gelesen hatte und zusammenstellen konnte , erzählte ich gerne abends im Kreise unserer Angehörigen , und sie wunderten sich , daß bisher alles so gewöhnlich sei wie in dem andern Leben der Menschen . Wir dachten uns hinein , so daß wir schon immer auf den nächsten Abend neugierig waren , was da wieder geschehen sein werde . Aber wie alles im menschlichen Dasein vergeht , und dieses selber dahinflieht , ohne daß wir es ahnen , so vergingen auch allmählig die Tage , die uns in meiner Heimat gegönnt gewesen waren , und wie nach und nach der letzte heranrückte , wurden wir allgemach alle stiller und trauriger . Schon mehrere Tage vorher war das Schreibgerüste verpackt und fortgesendet worden ; es waren Kisten und Kasten unsers Weges vorausgegangen , weil uns die Mutter Geschenke und Aussteuer gegeben hatte , die sorgfältig verwahrt werden mußten – und endlich schlug auch die Stunde des Abschiedes : es war das erste Morgengrauen , weil wir einen weiten Weg bis zum ersten Nachtlager zu machen hatten ; ich hob die schluchzende Gattin in den Wagen und stieg nach , mich äußerlich bezwingend , aber im Innern so bitterlich weinend , wie einst , da ich zuerst von der Mutter in die Fremde gemußt . Diese stand schmerzenvoll wie dazumal da , nur daß sie jetzt auch vom Alter eingebückt war – sie rang nach christlicher Fassung und zeichnete den Segen des heiligen Kreuzes auf uns hinein . Es war noch ein Augenblick – die Pferde zogen an , das durch so viele Wochen gesehene Antlitz schwand an dem Wagenfenster entlang , und wir sahen es nicht mehr – vor einer Sekunde noch stand es da , und in der Ewigkeit wohl werden wir es erst wieder sehen . Wir saßen stumm in dem Wagen , und Zoll um Zoll drehten sich die Räder in dem morgenfeuchten Staube der Straße . Berge und Hügel legten sich nach und nach hinter uns , und wenn wir umblickten , sahen wir nichts mehr , als den immer blauern , dämmernderen zurückschreitenden Wald , der so viele Tage mit seiner lieblichen Färbung auf unsere Fenster und auf uns selber niedergeblickt hatte . Die Gattin redete nichts , ich aber dachte im Herzen : jetzt wird jeder , der da kömmt , an dem Hause ändern und bauen , und wenn ich einmal in meinem Alter wieder komme , wird vielleicht ein neues , prunkendes Ding da sein ; ich werde als zitternder Greis davor stehen , und die erblödenden Augen anstrengen , um alles zu begreifen . 2. Das Gelöbnis So stehe es auf dem ersten Blatte dieses Buches , wie ich es getreu erfüllen werde : › Vor Gott und meiner Seele verspreche ich hier einsam und allein , daß ich nicht falsch sein will in diesen Schriften , und Dinge machen , die nicht sind , sondern daß ich es lauter schöpfe , wie es gewesen ist , oder wie es mir mein Sinn , wenn er irrig war , gezeigt hat . Wenn ein Hauptstück zusammengekommen , dann schneide ich mit einem feinen Messer einen Spalt in die Pergamentblätter , oben und unten , und ziehe ich ein blaues oder rotes Seidenbändlein durch , mit selbem die Schrift zu sperren , und siegle ich die Enden zusammen . Wenn aber von dem Tage an drei ganze Jahre vergangen sind , dann darf ich das Bändlein wieder abschneiden und die Worte wie Sparpfennige lesen . Verstanden , daß es nicht allezeit meine Schuldigkeit ist , etwas hineinzuschreiben , aber daß es allezeit meine Schuldigkeit ist , das Eingetragene drei Jahre aufzubewahren . So wird es sein bis zu meinem Ende , und gebe mir Gott einen reumütigen Tod und eine gnädige Auferstehung . ‹ Zum Bemerken . Es ist eine fast traurige und sündhafte Begebenheit , die mir das Gelöbnis und Pergamentbuch eingegeben hat ; aber die traurige Begebenheit wird in Heil ausgehen , wie schon das Pergamentbuch der Anfang des Heiles sein muß . Man sagt , daß der Wagen der Welt auf goldenen Rädern einhergeht . Wenn dadurch Menschen zerdrückt werden , so sagen wir , das sei ein Unglück ; aber Gott schaut gelassen zu , er bleibt in seinen Mantel gehüllt und hebt deinen Leib nicht weg , weil du es zuletzt selbst bist , der ihn hingelegt hat ; denn er zeigte dir vom Anfange her die Räder , und du achtetest sie nicht . Deswegen zerlegt auch der Tod das Kunstwerk des Lebens , weil alles nur Hauch ist , und ein Reichtum herrscht an solchen Dingen . Und groß und schreckhaft herrlich muß das Ziel sein , weil dein unaussprechbar Wehe , dein unersättlich großer Schmerz nichts darinnen ist , gar nichts – oder ein winzig Schrittlein vorwärts in der Vollendung der Dinge . Das merke dir , Augustinus , und denke an das Leben des Obrist . Gedenke daran . Noch trag ich ein , was ich so bitter überlegt habe : Weil es von heute an gewiß ist , daß ich mir kein Weib antrauen werde und keine Kinder haben werde , so dachte ich , da sie mir das gebundene Buch brachten , wie ich es angeordnet , und da ich die vielen Seiten mit roter Tinte einnumeriert hatte , wer wird es denn nun finden , wenn ich gestorben bin ? wie werden die irdischen Dinge gegangen sein , wenn einer die Schere nimmt , das Seidenbändlein abzuschneiden , das ich nicht mehr gekonnt , weil ich eher fortgemußt ? Es ist ein ungewisses Ding , ob damals viele Jahre vergangen sind , oder ob schon morgen einer die Blätter auf dem Markte herumträgt , die ich heute so liebe und für so viele Zukunft heimlich in die Lade tue . Wer weiß es , und wer kann es wissen – ich aber werde sie doch hineintun . Deine Vorsicht , Herr , erfülle sich , sie mag sein , wie sie will . Verzeihe nur die Sünde , die ich begehen gewollt , und gebe mir in Zukunft die Gnade , daß ich weiser und stärker bin , als ich vordem töricht und schwach gewesen . Eingeschrieben zu Thal ob Pirling am Medarditage , das ist , am achten des Brachmonats Anno 1739 . Morgen der Obrist . 3. Der sanftmütige Obrist Ich saß nämlich vor drei Tagen bei einem Weibe , das noch jung und unvermählt ist , und redete viele Stunden zu ihrem Sinne , daß sie ihn ändere . Als ich sie nicht abzubringen vermochte , lief ich in den Wald , an welcher Stelle eine Birke steht , und wollte mich daran erhängen . Ich werde es später schreiben , wie ich so übermütig mein Heil an das Weib gebunden habe , daß ich meinte , ohne ihr nicht sein zu können , aber sie sollte es nur sehen , daß ich alles zerreiße , und daß ich sie strafe , das falsche , wankelmütige Herz ; – vorher aber muß ich nur das von dem Obrist eintragen . Ich lief von ihr in mein Haus , riß ein buntes Tuch von dem Tische , lief durch den Garten , sprang über den Zaun und schnitt dann den Weg ab , indem ich über Allerbs Hofmark und durch die Wiesen der Beringer ging . Dann traf ich auf den Fußsteig , der an den Mitterwegfeldern geht – dort eilte ich eine Weile fort . Ich hatte aus dem Tuche eine Schlinge gemacht und trug es in dem Busen versteckt . Dann beugte ich wieder links von dem Wege ab , strebte unter den dünnen Stämmen des ausgebrannten Waldes der Dürrschnäbel hinauf , drang durch den Saum des Kirmwaldes , streifte an dem Stangenholze , an den Tannenbüschen , an den Felsblöcken vorbei und sprang auf den Platz hinaus , wo die vielen Birken stehen und der grüne Rasen dahingeht . – – Als ich nun da war , harrte ich gleichwohl noch ein wenig , und alle Bäume sahen mich fragend an . Es war auch ein breiter , grauer Fels da , der nicht weit davon viele Klaftern hoch emporstand , und von dem die Sonnenstrahlen ohne Geräusch wegprallten , daß alle Steinchen funkelten und glänzten . Auch war eine wolkenleere , finsterblaue Luft bis in die Baumzweige herunter . – Ich schaute nicht um , gleichsam als stünde einer hinter mir . – – Dann dachte ich : da hat vor wenig Augenblicken eine Feldgrille gezirpt , ich wolle noch so lange warten , bis ich sie wieder höre . Aber ich hörte sie nicht . Das Himmelblau rückte immer tiefer in die Wipfel . Von dem Baume ging der starke Ast seitwärts , auf den ich gedacht hatte , und ließ dann das Moos wie einen grünen Bart hängen , derlei diese Bäume gerne haben , und weiter draußen gingen die dünnen Zweige nieder , die mit den vielen kleinen Blättern besetzt waren . Die Grille zirpte nicht . Aber der Obrist war mir nachgelaufen , als er mich hatte in den Wald herauf gehen gesehen , und griff mir jetzt , den ich gar nicht herzutreten gehört hatte , ganz leise an die Schulter . Ich erschrak sehr , sprang um den Baum herum und schaute zurück . Da sah ich den alten Mann stehen , mit den weißen Haaren auf seinem Kinne und Scheitel . Er redete zuerst und sagte » Warum erschreckt Ihr denn so sehr ? « Ich aber antwortete : » Ich erschrecke nicht , und was wollt Ihr denn von mir , Obrist ? « Er wußte anfangs nicht , was er sagen sollte – aber dann fing er langsam an und erwiderte : » Nun – – ich habe Euch heraufgehen gesehen , und da meinte ich , daß ich Euch auch nachgehen könnte , weil Ihr diese Stelle ganz besonders zu lieben scheint , – und daß wir da vielleicht mit einander redeten – – ich hätte Euch etwas zu sagen – – aber wenn Ihr wollt , so können wir es auf ein andermal lassen . « » Nein , nein , redet gleich « , sagte ich , » redet , so lange Ihr wollt , ich will Euch geduldig anhören und nicht zornig werden . Aber wenn Ihr geendet habt , dann müßt Ihr mich lassen , weil ich dahier noch ein Geschäft habe . « » O nein , Doktor , « antwortete er , » ich will Euch nicht stören , wenn Ihr ein Geschäft habt – mein Ding kann warten – – ich habe nur gemeint , wenn es sich so zufällig ergäbe – – ich lasse Euch schon . – Es tut nichts ; weil ich einmal da bin , so kann ich gleich in den Reutbühl hinübergehen ; der Knecht sagt ohnedem , daß sie mir Holz stehlen . Wenn Ihr mich ein andermal anhören wollt , so werde ich schon fragen lassen , wann Ihr zu Hause seid , wollet Ihr aber gar freundlich sein , so besuchet lieber Ihr mich einmal , weil ich in meiner Stube leichter reden würde als in einer fremden . Aber nicht , daß Ihr das für eine Unartigkeit aufnehmet , ich kann auch gerne zu Euch kommen , lasset es mir nur in diesen Tagen sagen , wie es Euch besser gefällt . Tut nun Euer Geschäft – tut es im Namen Gottes und denkt nur immer , daß ich Euer Freund gewesen bin , der Euch stets Gutes gewollt hat . – – Ich habe fast gemeint , daß Ihr hier oben an dieser Stelle wieder lesen werdet , wie Ihr sonst gerne tatet ; aber ich sehe , daß es nicht so ist . – – Noch eins muß ich sagen : habt Ihr denn nicht auch im Heraufgehen gesehen , Doktor , wie heuer das liebe Korn gar so schön stehet ; es legt sich auf diese Jahreszeit schon so hoch und dunkel , daß es ein Wunder ist . Ich will von dem Reutbühl durch die Mitterwegfelder gehen und dort den Neubruch betrachten , wo heuer zum ersten Male Weizen steht . Dann gehe ich wieder nach Hause . – Lebt jetzt wohl , und besuchet mich bald . « Diese oder ähnliche Worte hat er gesagt ; denn ich habe sie mir nicht genau merken können . – Dann zauderte er noch ein wenig – dann tat er aber höflich sein Barett ab , wie er es gewohnt ist , und ging davon . Er scheint auf keine Antwort gewartet zu haben , und ich habe auch keine geben gewollt . Ich schaute ihm nach und sah , wie er immer weiter hinter die Baumstämme zurückkam , bis es wieder war , als wenn gar niemand da gewesen wäre . Ich wartete noch ein wenig , dann nahm ich das Tuch aus meinem Busen und warf es mit Ingrimm weit von mir weg in die Büsche . – Dann aber blieb ich noch auf der Stelle stehen , und getraute mir nicht , aus dem Walde zu gehen . Ich schaute die Dinge an und bemerkte , daß es schon unterdessen sehr Nachmittag geworden war . Die Baumblätter regten sich schwach , die weißen Birkenstämme standen einer hinter dem andern , und zwischen ihnen kam die tiefe Sonne herein und umzirkelte sie , daß sie vergleichbar waren dem matten Scheine silberner Gefäße . Ich blieb noch recht lange in dem Walde . Es war endlich die Zeit des Abendgebetes gekommen , und manche Tannenäste wurden rot . – Siehe , da klang auf einmal hell und klar , wie ein Glöcklein , die Stimme der Grille und klopfte mit einem silbernen Stäblein an mein Herz – gleichsam mit einem feinen , silbernen Stäblein klopfte das mißachtete Tier an mein Herz , als sagte es mir deutliche menschliche Worte . Beinahe hätte ich mich gefürchtet . Und wie ich dann von der Stätte fortging , klang auch das Abendlied der Ammer , es klang so dünne und dicht neben mir , als flöge das Vöglein heimlich mit und zöge ein zitternd Goldfädlein von Zweig zu Zweig . – Und wie ich weiter gegen die Felder hinauskam , lichtete und lohete der Wald immer mehr und mehr – die Augen des Himmels sahen herein , und die dünnen Stämme waren wie feurige Stäbe . Und wie ich nun gänzlich hinauskam , lag die ruhige Saat des Kornes da , welche der Obrist angeschaut hatte – weithin lag sie dunkelgrün und kühl da , nur die Spitzen waren ganz ein wenig rot gestreift von dem Widerscheine des Himmels . Die Wiesen droben waren schon dunkel und wie mit grauem Reife bedeckt , und hinter dem Walde draußen war die Sonne untergegangen . Als ich zu Tal gekommen und an mein Haus getreten war , führte der Knecht meine zwei schwarzen Pferde aus der Schwemme heim , und grüßte mich ; ich aber ging in die Stube , wo die Bücher sind , und aß des Abends keinen Bissen mehr . Des andern Tages war ein Sonntag , es war der vorgestrige Tag , und ich fuhr um fünf Uhr früh zu dem Erlebauer hinaus , weil es sich am Tage zuvor mit ihm so verschlimmert hatte ; aber er war besser , und ich ließ ihm wieder von dem Tranke zurück . Die Inwohnerin des alten Klum war besser , ebenso die junge Mechtild mit dem Gallenfieber . Um neun Uhr war ich schon bei allen gewesen und ging dann in die Kirche zu dem sonntäglichen Gottesdienste . Nachmittag weinte ich sehr . Da sendete ich noch in der Nacht zu dem Obrist und ließ ihm melden , daß ich morgen kommen würde , wenn es ihm genehm wäre . Ich wolle zuerst die Kranken versorgen , und dann würde ich hinauf gehen , wenn er zu Hause sei , das ist gegen zehn Uhr , oder um weniges später . Er solle mir zurücksagen lassen , wenn er da nicht könne und es anders wolle . Aber der Obrist vermeldete mir durch meinen Knecht , daß er mit vieler Freude auf mich warten werde , und daß ich keinen Kranken übereilen solle . Er werde den ganzen Tag in seinem Hause oder in seinem Garten herum sein , daß ich ihn leicht finde . Dann legte ich mich nieder und gab vorher dem Knechte noch , in Anbetracht , daß heute Sonntag war und er den Gang getan hatte , ein Glas Wein . – Ach Gott – der Keller war schon fertig , und ich wollte ein großes Haus darauf bauen – und ich weiß nun nicht , für wen ich es baue . Ein recht großes , schönes Haus wollte ich bauen , weil mich Gott so gesegnet hat , und weil mein Vater doch nur ein Kleinhäusler gewesen ist , mit einer Hütte und Steinen darauf , wie sie noch überall auf den Waldhöhen herum stehen . Nur der Obrist ist gekommen und hat : ein Haus mit steinernen Mauern gebaut , das nun als Vorbild weithin gegen die Fichten leuchtet . Dann las ich noch bis Mitternacht in Hochheimbs Buche . Am andern Morgen , da ich schon lange nicht mehr schlafen konnte , stand ich sehr früh auf , und fuhr , als noch der Tau lag , durch den Wald an dem Bache hinunter , daß ich meine Kranken besuche . Das Wasser rollte kühl über seine Steine und an den Gräsern dahin . Es ging bald die Sonne auf und brachte einen recht schönen , lieblichen Vormittag . Dieser trocknete die Nässe von den Nadeln und von allen den vielen Kräutern , die nichts anderes zu tun hatten , als recht eilends in dieser Frühlingswärme zu wachsen . Als ich wieder nach Hause gekommen und die Pferde in den Stall gebracht waren , legte ich einen besseren Rock an und begab mich auf den Weg zu dem Obrist . Da ich um die Ecke des Holzes bog und an den Gerstenfeldern des Maierbacher ging , die er heuer so schön hat , sah ich schon das Haus , wohin ich wollte , freundlich und weiß herabschimmern – es schimmerte so lange , als ich an dem Abhange dahin ging , und wie ich den weichen Grashügel emporstieg , wo die vielen Eschen stehen , kamen die zwei Wolfshunde herabgelaufen , tanzten um mich und heulten freudig , weil sie mich schon so lange nicht gesehen hatten . Der Obrist selber war in dem Garten , und ich sah ihn durch die Stäbe der Umzäunung . Er hatte den grünen , samtenen Rock an , den er so liebt , und die goldene Kette um , von der glänzende Funken weggingen . Als wir die Barette abgetan hatten , ging er mir entgegen und verneigte sich . Ich verneigte mich auch . Dann geleitete er mich durch den Garten an den vielen grünen Büschen hin , die er zieht , und führte mich in das Haus hinein . Wir kamen im Gange an der Tür vorüber , die in Margaritas Zimmer führt . Die feine , gelbe Rohrmatte lag auf der Schwelle . Als wir in seiner Stube angelangt waren , sah ich , daß er seine grünseidenen Vorhänge über die Fenster herabgelassen hatte , wodurch eine unliebe Totendämmerung um alle Dinge floß . Er schritt gegen die Fenster , zog die Vorhänge empor , ließ sie dann wieder nieder , und zog sie doch endlich empor . Sodann nahm er mir die Handschuhe und das Barett , legte beides auf sein Bette , und stand dann da , und hatte die weißen Haare so genau und reinlich zurückgekämmt wie immer . Er hatte noch nichts geredet , ich auch nicht . Endlich nahm er das Wort und sagte : » Das ist ein schöner Tag , Herr Doktor . « » Ja , ein sehr schöner « , antwortete ich . » Ist die alte Sara schon besser , und was macht der Erlebauer ? « » Die Sara ist ja schon seit drei Wochen nicht mehr krank , und der Erlebauer wird auch schon besser . « » Das ist gut ; es wäre schade um den Mann gewesen , er ist sehr tätig und hat fünf lebende Kinder . « » Gestern hat er die Krisis überstanden , und die nützliche Luft wird ihn bald heilen . « » Habt Ihr noch viele Kranke ? « » Nicht sehr viele . « » Der Meilhauer hat ja auch einen Fuß gebrochen . « » Freilich , weil er sich nicht wahrt ; eine Buche hat ihn gestreift . « » Im Thaugrunde wars ? « » Im Thaugrunde . « » Ihr kommt ja jetzt öfter in den Haslung hinunter , ist es wahr , daß sie das Gehäng reuten ? « » Lauter Felder , seit sie sich los gekauft haben . « » Und in den drübigen Hofmarken mähen sie schon Heu ? « » Es ist kein Halm mehr auf den Wiesen . « » Das ist ein gesegnetes , schönes Jahr . Wenn uns der Herr noch weiter hinaus behütet und das Verheißene gut einbringen läßt , dann kann sich mancher helfen . – Wollt Ihr Euch denn nicht ein wenig auf das Sitzbette niederlassen , Doktor ? « Nach diesen Worten nötigte er mich auf das Sitzbette , das er vor dem Tische hat , und setzte sich zu mir . Nachdem er die Falten an dem Teppiche gleich gestrichen und die Brosamen herabgestreift hatte , sagte er plötzlich : » Das ist recht schön , Doktor , daß Ihr gekommen seid , und wieder dahier sitzet , wie so oft ; darum sagt mir auch geradeweg , ob Ihr denn auch auf mich zürnet ? « » Nein , Obrist « , antwortete ich ; » nein , ich weiß es schon , daß Ihr mir nichts getan habt . Ihr seid ja ein freundlicher Mann gegen jedes Geschöpf . Ihr habt allen Leuten im Walde herum wohl getan , und wenn einer undankbar war , so seid Ihr hingegangen und habt ihm eine neue Güte erwiesen . Wie sollte ich Euch zürnen ? nein , eher muß ich Euch jetzt sagen , was ich noch nie gesagt habe : Ihr seid der beste und sanfteste Mensch , den ich auf der Welt kennen gelernt habe . « » Bin ich das , « erwiderte er , » so macht mir die Freude , Doktor , und tut Euch kein Leid an . « Mir rollten die Tränen hervor , und ich sagte , daß ich es nun nicht mehr tun wolle . » Ich bin vorgestern , « sagte er , » mit großer Angst durch den Reutbühl gegangen ; denn der Mensch vermag hierin nichts zu ändern , und ich ließ Euch in Gottes Hand zurück . Als die Sonne untergegangen war , stand ich an dem Fenster und betete – und da sah ich Eure Gestalt am Saume des Kornes nach Hause gehen , wie manches Mal an andern Tagen , wenn Ihr mit einem Buche unter den Birken gewesen seid – und es kam eine recht ruhige , freundliche Nacht in mein Haus . – Seht , da ich damals von Euch fort gegangen war , bin ich im Reutbühl auch an unsere Föhrenpflanzung gekommen , die Ihr im vorigen Frühlinge mit mir angelegt habt , und habe gesehen , daß kaum ein einziges Pflänzchen ausgegangen ist ; manche sind schon sehr hoch und ballen mit ihren Wurzeln das Steingerölle . – Am andern Tage bin ich von der Stube in den Stall gegangen , von dem Stalle in den Garten , und von da wieder herein – und habe über die kleinen Felderhügel geschaut , und über die Spitzen der Wälder , in denen Ihr vielleicht fahren werdet oder sonst etwas tun . Da kam in der Nacht Euer Knecht und brachte mir große Freude . – Ich hatte es ja nun in der Hand , ich kannte Euch , Ihr seid so oft zu mir gekommen , und ich wußte es ja , daß Ihr Euch herausreißen würdet . « Ich konnte den Mann nicht anschauen , und sagte , weil ich schon so viel eingestanden hatte , daß ich so zerdrückt sei und die Tage her keinem Menschen , nicht dem Knechte , nicht der Magd und keinem Tagelöhner in die Augen sehen könne . » Das ist unrecht , « antwortete er , » und es wird sich ändern . Tut ihnen Gutes , seid ein rechter Arzt , und Ihr werdet wieder ihres Gleichen . Auch wissen sie ja nichts . « » Aber ich weiß es . « » Ihr werdet es vergessen . « » Und mit einer solchen Schwermut fahre ich an den Fichten und Tannen vorüber , daß an meinen Augen stets das Weinen ist . Ich bin gleich recht gerne zu meinen Kranken gegangen , auch zu denen , die schon besser sind , auch zu dem alten Keum bin ich gegangen , der sterben muß , weil er das Zehrfieber hat , und habe ihn ein wenig getröstet . « » Das ist immer so , « antwortete der Obrist , » daß aus dem harten Steine Zorn der weiche Funken Wehmut kömmt . So fängt Gott die Heilung an . « » Schont mich vor der Welt , Obrist . « » Redet nicht so . Nur der Herr im Himmel und ich haben es gesehen , und beide schweigen . Lasset nun die Zeit fließen , und es werden Hüllen nach Hüllen darauf kommen . Die Seele hat einen Schreck erhalten , und wird sich ermannen . Es ist nun alles gut , lassen wir es gehen , und reden von andern Dingen . – Sagt mir , Doktor , habt Ihr denn den Thomas abgedankt , daß gestern ein anderer Knecht zu mir gekommen ist ? « » Nein , aber er ist jetzt bloß bei den Pferden . Den andern habe ich zu den Geschäften im Hause und zum Botengehen genommen . Er ist der Sohn des Inbuchsbauer . « Ich kenne ihn , er hat die Füllen des Gregordubs gehütet . Ihr müsset ja jetzt viele Leute in Eurem Hause haben ? « » Nur noch zwei Mägde . « » So habt Ihr das Bauen einstweils eingestellt ? « » Nein , ich habe es für das heurige Frühjahr nur noch nicht begonnen . Wir waren erst ein wenig an dem großen Brunnen , aber seit der Bernsteiner im Steinbühel den Keller gräbt , habe ich ihm alle meine Leute hinüber gehen lassen . Er will bis zu dem Schützenfeste fertig sein . « » Ich war schon lange nicht in Pirling , und wußte nicht , daß er graben läßt . Im Steinbühel muß er wohl stark in die Felsen sprengen . « » Sie schießen ja schon drei Wochen , und alle Leute , die ich sonst hatte , sind dabei beschäftiget . « » Ich möchte auch manches in meinem Hause ändern , und wenn der Grunner zu empfehlen ist , so müßt Ihr ihn mir einmal herauf schicken . Mit dem ganzen Hinterecke möchte ich gegen den Eichenhag hinaus fahren , auch möchte ich eine neue Stiege und einen neuen Kellereingang machen lassen . « » Meinen Brunnen wenigstens hat der Grunner vortrefflich herausgebaut . « » O Doktor , Ihr habt eine schöne Lage in der Biegung des Tales ; Ihr seid noch jung , und wenn Ihr Euch bestrebet , so kann es ein schönes Besitztum werden , das seinen Herrn und seine Frau erfreut , wenn einmal eine einzieht . Meine Tage sind schon wenige , ich gehe dem Grabe entgegen , und wenn Margarita einmal fortzieht , wer weiß , in welche Hände dies Gebäude kommt , das ich so eifrig aufgeführt habe . – – Lieber Doktor , ich möchte noch recht gerne von etwas Längerem und Ausführlicherem mit Euch reden . « » So redet . « » Ihr werdet jetzt vielleicht seltener zu mir kommen , und da denke ich , ist es billig , daß Ihr auch meine Fehler wisset , denn Ihr habt mich bisher zu viel geachtet – auch könnte Euch die Sache vielleicht nützlich sein . Ich möchte Euch nämlich von meinem früheren Leben erzählen , und wenn ich geendet habe , möchte ich noch gerne eine Frage und eine Bitte an Euch tun – vorausgesetzt , wenn Ihr nämlich Zeit habt , mich anzuhören . « » Ich muß nur abends noch zur Haidelis hinaus , und vor dem Schlafengehen noch den Erlebauer sehen , sonst habe ich heute nichts mehr zu tun . Sprecht also nur , Obrist , wie Ihr es für gut haltet , und fragt dann und bittet , was Ihr wollt . « » Wißt Ihr noch , ich habe vorgestern im Birkenstande zu Euch gesagt , daß ich etwas mit Euch zu reden hätte – das war aber damals unwahr ; sondern da ich Euch von hier forteilen , nach Hause gehen und dann über den Zaun und die Wiesen gegen den Wald schreiten sah , ahnte mir Böses ; ich lief Euch nach , um ein Unglück zu verhüten ; aber da Ihr mich ober von dem Platze fortdrängtet , wußte ich mir nicht zu helfen und sagte nur die Worte – allein seitdem habe ich es mir so ausgebildet , daß ich mit Euch von meiner Vergangenheit reden möchte , die gewesen ist , ehe ich in dieses Tal gekommen bin . Nehmet es nur nicht übel , daß ich alt bin , und etwa weitschweifig in meinen Worten . « » Nein , Obrist « , sagte ich ; » sind wir nicht manchen Abend in dem Walde gegangen , und habe ich nicht gezeigt , daß mir Eure Worte lieb und angenehm waren ? « » Ja , das ist wahr , das habt Ihr getan ; darum mag ich auch jetzt gerne zu Euch reden . Ihr habt mich vor einer Weile den sanftesten Menschen geheißen , den Ihr auf Erden gekannt habt – ich muß Euch bekennen , daß es mir wohl tat , daß Ihr das gesagt habt . Ihr seid der zweite Mensch auf dieser Erde , der es sagte ; der erste hat vor vielen Jahren gelebt , und ich werde Euch später von ihm erzählen . Ihr werdet dann einsehen , daß mir diese gute Meinung von euch beiden lieber ist , als von allen andern Menschen auf der Welt . – Nun zur Sache . Habt Ihr nie von einem Grafen Uhldom gehört ? « » Meint Ihr den berüchtigten Casimir Uhldom ? « » Dieser berüchtigte Casimir Uhldom bin ich . « » Ihr ? « » Ja , ich . Spieler , Raufer , Verschwender – und jetzt das , was Ihr seit einigen Jahren kennt . « » Nein , das ist nicht möglich – als ich noch auf der Schule war , gingen zwar unbestimmte , aber unheimliche Gerüchte von dem Grafen . « » Sie sind vielleicht wahr ; ich bin nicht gut gewesen . Manches war ich im besseren Sinne , als es die Leute wußten , das Schlimme kannten sie zu genau , manch Gutes , wie ein Schlimmes , und das Beste gar nicht – und das bin ich fast durch Kummer geworden . Höret mich ein wenig an : Als mein Vater starb , war ich sechzehn Jahre alt , mein Bruder zwanzig . Die ganze Zeit war er immer der bessere gewesen , ich der schlimmere . Als nun die Leute beisammen waren und das Testament geöffnet wurde , war er auch der Erbe , ich enterbt . Ich habe damals noch nicht gewußt , ob er gefehlt habe oder nicht ; aber ich hieß ihn einen Schurken , und nahm mir vor , in die weite Welt zu gehen . Es erschien mir dazumal ein leichtes , Befehlshaber zu werden und ein großer Feldhauptmann , wie der Waldstein und die andern im Dreißigjährigen Kriege . Ich ging mit dem wenigen Gelde , das von Rechts wegen mein gehörte , vom Hause fort und bot dem Brandenburger meine Dienste an , ich bot sie dem Churfürsten von Baiern an , und dem Pfalzgrafen , aber es war überall nichts ; sie wollten mich entweder in das Volk stecken , oder in eine Soldatenschule tun , und beides litt ich nicht . Daher ging ich weiter und eines Tages , als jede Welle des schönen Rheines im Sonnenscheine blitzte und glänzte , kam ich nach Frankreich hinüber . Ich gedachte , dem Könige Ludwig meinen hoffnungsreichen Degen zu Füßen zu legen . Viele Tage wanderte ich durch das fremde Land und durch die fremde Sprache , bis ich eines Abends , da eben ein stiller Regen von dem grauen Himmel fiel , in die finstere Stadt Paris einzog . Ich glaubte damals noch gar nicht , daß es mir fehlschlagen könnte . Ich verstand die Sprache wenig , kannte keinen Menschen in der Stadt , aber dennoch drang ich vor und wurde zu dem Könige geführt . Er fragte mich , was ich zuerst lernen würde , und ich antwortete : die Sprache . Er lächelte und sagte , daß er meiner gedenken wolle . Ich fing nun an , die Sprache zu lernen und auf die Antwort des Königs zu warten . Als mir das Geld ausging und ich nur mehr ein einziges Goldstock hatte , dachte ich mir , daß ich nun in ein Spielhaus gehen müsse , um eines zu gewinnen . Ich wußte ein solches Haus ; es stand in einer langen , des Abends immer sehr schön erleuchteten Gasse , und ich hatte es bisher nur von außen gekannt . Als es wieder Abend war , ging ich in die Gasse und schaute es wieder von außen an . Da fuhr ein Wagen quer an mir vorüber in das Haus hinein und bespritzte mich mit dem Kote der Straße . Unter dem Torwege hielt er an , der Schlag wurde aufgerissen , ein schön gekleideter Mann stieg aus , ging die Treppe hinauf , und ein Diener trug ihm ein Kästchen nach . Ich ging nun auch durch die Pforte des Hauses , ging über die Treppe hinauf , wo Bildsäulen standen , kam in den Saal , wo Menschen liefen , und schaute eine Weile zu . Dann ging ich hinzu , legte mein Goldstück auf eine Karte , wie ich die andern hatte tun gesehen , und nach einer Zeit schoben sie mir mehrere Goldmünzen hin . Ich war nicht stark überrascht und setzte wieder . Das Spiel kannte ich nicht ; es wurden nur immer Karten herabgelegt , immer die nämlichen zwei ruhigen Worte gesagt , wie der Perpendikel einer Turmuhr , und die Leute schoben sich Goldstücke hin und her . Als endlich der Mann am obern Ende des Tisches sein Kästchen zuschloß , hatte ich mehrere Hände voll Goldstücke in der Tasche . Es war indessen nach Mitternacht geworden , ich ging nach Hause und schüttete das Geld in mein Barett , das ich auf einen Stuhl geworfen hatte . Am andern Tage lechzte ich darnach , daß es Abend würde . Als man die Kerzen anündete , ging ich schon in dem Saale auf und nieder , und es trat ein fremder Herr zu mir und sagte , daß er auf mich wetten werde . Ich verstand dies damals nicht und ließ alles geschehen . Wieder gewann ich an dem Tage , wie vorher , und am andern Tage wieder . Ich lernte bald das Spiel verstehen und versuchte nach und nach , es zu leiten und zu beherrschen . Mehrere Männer schlossen sich an mich an und suchten das Glück in ihren Kreis zu bannen . Ich gewann , verlor unbedeutend , und mein Wohlstand begann sich zu heben . Ich ging nun in schönen Kleidern und Federhut durch die Straßen , das schönste Pferd in Paris war mein , und drei fast gleich schöne standen noch in dem Stalle . Der Mantel war wie der eines Herzoges , und der kleine Degen hatte Diamanten im Knopfe . Damals hätte ich auch falsch gespielt , wenn ich verstanden hätte , es zu machen . Meine Freunde und Spielgesellen führten mich zu den Leuten , die in den großen Palästen wohnten , welche ich sonst nur von außen hatte ansehen dürfen , man sagte mir schöne Dinge ; die Mädchen wollten mir wohl ; ich liebte die Pracht und lernte die dortige Art und Sitte . Wenn Männer beisammen waren , suchte ich Händel zu erregen , und ermutete mich dann im Zweikampfe ; denn außer bei den Karten brachte ich die meisten Stunden auf dem Fechtboden zu . – So war es mit meinem Spiele . – – Da sagte einmal ein langer , blasser Mann , den ich immer gescheut , und daß ich aufrichtig bekenne , den ich gefürchtet hatte , daß ich doch nur ein Lumpe sei , der vom Pariser Strolchengolde lebe . Er hatte die Worte zu mir selber gesagt ; ich antwortete ihm nichts darauf , aber ging nach zwei Tagen zu dem Herrn Armand Pelton , dem derzeitigen Vorsteher des Armenwesens , und übergab ihm an Gold und Schmuck und Kleidern , wie auch an Pferden und Reitgeräten alles , was ich hatte . Nur hundert Ludwigsstücke hielt ich zurück und einen grauen , schlechten Klepper , den ich mir am Tage vorher gekauft hatte . Seht , Doktor , ich habe noch die Scheine von jener Begebenheit , und werde Euch dieselben zeigen . « Als der Obrist diese Worte gesagt hatte , stand er auf und suchte in den Laden seines Schreines . Er sammelte aus demselben mehrere Schriften , trat wieder zu mir und breitete sie auf dem Tische aus . Es waren richtig lauter Empfangsbriefe über verschiedene Summen und Stücke , welche der Graf Casimir Uhldom , Spieles wegen , der Armensache übergeben hatte , und welche durch die Namen der Väter bestätiget wurden , in deren Hände das Gut niedergelegt worden war . Als er mir mit dem Finger auf alles gewiesen hatte und der Punkt abgetan war , schob er die Papiere auf dem Tische zurück und sperrte sie nicht wieder ein . Dann fuhr er fort : » Ich lud am Nachmittage den langen , blassen Mann zum Zweikampfe , und sagte ihm keine Ursache ; aber da ich ihn durch die Schulter gestochen hatte , hielt ich ihm diese Schriften vor die brechenden Augen und schrie ihm zu , wer ich sei . Ich hielt ihn damals für sterbend und war damit zufrieden . Aber er starb nicht , ich lernte ihn viele Jahre darnach von neuem kennen , achtete ihn damals sehr hoch , und ich glaube , er mich auch . Als ich von dem Kampfplatze fort ging , spießte ich eine andere Schrift , die mir von dem Könige war zugeschickt worden und mir einen schlechten Platz in dem Heere anwies , auf meinen Degen und warf sie weg . Ich haßte nun den König , und begriff , daß ich unter die deutsche Reichsarmee gehöre . Als am andern Morgen die Sonne aufging , war ich schon weit von Paris ; sie schien mir in das Angesicht , und ich ritt auf dem grauen Klepper Deutschland zu . Ich hatte ein schlechtes Lederkoller an und die hundert Ludwigsstücke darin . Am siebenten Tage ging ich wieder über den Rhein . Damals sagten sie , daß ich ein arger Verschwender gewesen sein müsse , der vom Reichtume auf solch schlechtes Zeug gekommen ; ich aber lachte , schaute in die dunkelgrünen Wogen des Rheins , und glaubte auch da noch nicht , daß es mir fehlschlagen könne . Ich erkannte , daß ich auf einem Irrwege gewesen sei , und daß ich nun einen andern betreten müsse . Daher beschloß ich , wie der Herzog von Friedland ein Kriegsheer aufzurufen und mit demselben die Länder wieder zu erobern , die uns der König früher entrissen hatte . Ich gedachte hiebei des Zufalls , daß , wenn ich als Feldherr in Paris einzöge , etwa bei demselben Fenster ein Mägdlein herab schaue , bei dem ich sonst mit ihr gestanden und so vergnügt gewesen war , wenn sie mich ihren lieben kleinen Grafen genannt hatte . Ich schämte mich recht jener kindischen Zeit und ihrer Bestrebungen . – Als aber nach zwei Jahren die neuen Entwürfe auch noch nicht in Erfüllung gegangen waren , fing ich an , in unserem Heere von unten auf zu dienen . Jetzt rückte die Zeit langsamer , und die Mühe belohnte sich nur um Haarbreite nach Haarbreite ; aber aus Ehrsucht , weil mir schon nichts anders gelassen war , tat ich auch das Jetzige gut , daß ich den andern zuvorkomme und die übermeistere , die neben mir waren . So wurde ich nach und nach sechsundzwanzig Jahre alt und bekannter unter den Vorstehern des Heeres . Da geschah es , daß ein Oheim starb , der letzte unserer Verwandten , und mir ein beträchtliches Vermögen hinterließ . Zu gleicher Zeit verliebte ich mich auch . Ach Gott , lieber Doktor , es sind jetzt viele , viele Jahre vergangen – und verzeiht mir die Worte , die ich sagen werde – ich war gerade so schwärmend wie Ihr , ich war ausschweifend in Haß und Freundesliebe , ich war eben so strebend und vom Grunde aus gutherzig wie Ihr . Seht nur , oft habe ich gemeint , ich müsse alle Sterne an mich herunter ziehen und alle Weltteile auf dem Finger tragen . Daher tat ich mein Herz weit auf , ließ das Gefühl eingehen , und hatte meine Ergötzung daran . Ehe ich aber zur Besinnung gelangte , war ich betrogen . Ein Freund und Vertrauter , den ich auf Freiwerbung sandte , führte sie selber zum Altare . Ich wollte ihm auf das Gut , wohin er sie geführt hatte , nachreisen , um ihn zu erstechen , aber ich tat es dann nicht , und nahm mir vor , mich selber zu töten . In unserem Hause war ein langer , schmaler Gang , wie sie in Soldatenhäusern gewöhnlich sind , und zwischen den Fenstern waren starke Pfeiler . Als es Nacht geworden war und die Kameraden schliefen , nahm ich eine Büchse , die ich abends geladen hatte , ging auf den Gang und stellte mich in den Pfeilerschatten , weil doch zuweilen Mannschaft vorbei ging , daß sie mich nicht sehen könnten . Als sich nach einer Weile nichts mehr rührte , stellte ich die Mündung nach meiner Kehle und griff mit der Zehe um das Zünglein . Aber ich mußte es übel ge macht haben , denn es knackte etwas , und das Eisen schürfte an meinem Hemdknopfe ; da sprang plötzlich ein gemeiner Mann unserer Rotte , der mich ausgekundschaftet hatte und aus Furcht im Mauerschatten näher gekrochen war , empor , stieß mir das Rohr von der Kehle und flüsterte : › Herr Graf , ich schweige , aber das müßt Ihr nicht mehr tun . ‹ Ich wollte vor dem Manne auf die Kniee niederfallen , so erschrocken war ich und so verworren . Ich sagte , daß ich ihn recht lieb habe , und daß ich ihm eine Menge Geld geben wolle . Er nahm am andern Tage das Geld , und hat niemals einem Menschen etwas gesagt . – Ich ließ nun diese Gedanken fahren und verschlug aufs Gegenteil , das heißt , ich fragte nach nichts mehr und ließ kein Übel auf mich eine Wirkung tun . Auch setzte ich mir vor , die gemachte Erbschaft zu verschleudern . Wir saßen nun manche Nacht beisammen , viele Freunde und lustige Gesellen – es strahlten die Kerzen , es klangen die Gespräche , und es verrauschte das Gut . Nach sechs Jahren war ich wieder so arm wie vor dem Tode meines Oheims . – – Damals fing endlich der Krieg an , und was bisher in einem Hause , in einer Stadt beisammen gewesen war , kam auseinander und wurde oft länderweit getrennt . Ich war in den Jahren über dreißig , und die Sachen begannen eine Wendung zu nehmen . Das Feldleben war manchmal recht ernsthaft , und ich war manche Nacht , wenn die öde Luft durch den Himmel strich , traurig über die Welt und traurig über alle Dinge . Es sollte noch erst alles kommen , was mein Leben mir versprochen hatte , und es war doch schon der größte Teil desselben dahin . Zuweilen fiel mir meine Mutter ein , die längstens gestorben war , und ihre schönen blauen Augen – zuweilen der Bach auf unserer Wiese , an dem die schönen Weiden gestanden waren . – – So zog die Zeit dahin ; wir machten keine großen Eroberungen , und der Feind ! der jenseits stand , machte auch keine . – In Westphalen war es endlich , wo ich dazumal ein Mittel für mein Heil gebrauchen lernte , das ich zuerst aus Scherz angefangen , und dann aus Ernst bis auf den heutigen Tag nicht mehr aufgegeben habe . Ich würde Euch gerne raten , Doktor , daß Ihr es auch anwendetet ; denn ich glaube , daß ich schier alles , was ich geworden , durch dieses Mittel geworden bin . Es besteht darin , daß einer sein gegenwärtiges Leben , das ist , alle Gedanken und Begebnisse , wie sie eben kommen , aufschreibt , dann aber einen Umschlag darum siegelt und das Gelöbnis macht , die Schrift erst in drei bis vier Jahren aufzubrechen und zu lesen . Ein alter Kriegsmann riet es in meiner Gegenwart lachend einer Jungfrau an , die gerade in Liebeskummer befangen war , und sagte , daß es in diesen Fällen eine gute Wirkung tue . Ich lachte mit und dachte gleich in meinem Innern , daß ich das Ding auch versuchen würde – und wie oft habe ich seitdem den toten Mann gesegnet , daß er es sagte , und den Zufall , der es ihn im rechten Augenblicke sagen ließ . Ich ging sehr eifrig darüber und habe gleich alle freie Zeit , die uns gegeben war , verwendet , um aufzuschreiben , was ich mir nur immer dachte , und was ich für die Zukunft beschlossen hatte . Ich machte die Dinge sehr schön , faltete alle Papiere gleich groß und schrieb von außen den Tag ihrer Verfertigung darauf . In den Feldlagern , wo sie mir oft recht unbequem waren , schleppte ich die versiegelten Päcke mit mir herum . – Als ich den ersten öffnete – es geschah nicht nach drei , sondern erst nach fünf Jahren , weil ich eine Weile von meinen Sachen getrennt gewesen war – ich lag eben verwundet darnieder , von allem Nötigen entblößt , keinen Freund und Teilnehmer an der Seite – nach Mitternacht hatte ich mir den Pack hingeben lassen – und als ich ihn nun öffnete und las , so lachte und weinte ich fast in einem Atem durcheinander ; denn alles war anders geworden , als ich einst gedacht hatte ; vieles besser , manches schlechter – aber jedes irdischer und wahrer , als es sich einmal vorgespiegelt hatte ; meine Ansichten waren gewachsen und gereift , und ich hatte die heftigste Begierde , sie gleich wieder in einem neuen Packe nieder zu schreiben . Ich ließ mir Papier und Schwarzstift aus dem Ledersacke suchen , der unter dem Bette lag , und schrieb auf dem Kopfkissen neben meinem Angesichte die ganze Nacht . Ach , ich wußte damals noch nicht , weil es das erste Päckchen war , das ich geöffnet hatte , daß es mir bei jedem so ergehen würde , auch bei dem , das ich jetzt so eilig und inbrünstig niederschrieb . – – Es ist merkwürdig , Doktor , daß ich so alt geworden bin , und daß ich mir erst durch diese angeratene Beschäftigung eine Denkweise , eine Rede- und Handelsweise zugebildet habe ; denn aus Schriften und Büchern zu lernen , ist mir erst im späten Alter zu Teil geworden ; damals hatte ich kaum Zeit , das Notdürftigste nieder zu schreiben – oft schrieb ich auf meinen Knieen , oft auf einer Trommel oder auf einem Baumstamme . Ich habe nachher schwere Schlachten gesehen , ich habe das menschliche Blut wie Wasser vergeuden gesehen , ich zeichnete mich aus , wie sie sagten , das heißt : ich half mit in diesen Dingen ; aber ein Päckchen erzählte mir später meine damaligen Gefühle , die um viel besser waren als die Auszeichnung , und die ich hatte zurückdrängen müssen , um meine Pflicht zu tun . Ich lernte nach und nach das Gute von dem Gepriesenen unterscheiden , und das Heißerstrebte von dem Gewordenen . Manches Päckchen segnete , manches verurteilte mich , und so wurde ich widerstreitender Weise mitten im Kriege und Blutvergießen ein sanfterer Mensch . Ich weiß es nicht , wäre ich es auch ohnedem geworden , weil die Jahre wuchsen , oder ist es mir erst durch die Schriften eindringlicher ins Herz gekommen . Ich fing mit der Zeit auch an , im Leben auszuüben , was ich im Geiste denken gelernt hatte . Seht , Doktor , diese Kette , die ich heute umgetan habe , weil ich die Unterredung mit Euch für einen Festtag halte , ist selber ein Zeuge davon . Ich habe einmal mit Aussetzung meines Lebens dasjenige von tausend Feinden gerettet , die man im Begriffe war zusammen zu hauen . Ich habe die Rettung begonnen , weil ich nicht leiden konnte , daß so viele Menschen , die an nichts schuld sind , wie blöde Tiere getötet würden , die uns zwar auch nicht beleidigen , deren Leben wir aber zu unserer Nahrung bedürfen . Zwischen den Kugeln beider Teile habe ich die Unterwerfung verhandelt und den Ergebungsbrief , gegen die gezückten Säbel unserer Rotten reitend , zu unserm Führer gebracht . Sie wurden dann bloß gefangen , und ihr König wechselte sie später aus . Wenige Jahre vorher hätte ich noch selber den Befehl gegeben , lustig einzuhauen , und hätte es für eine Heldentat gehalten . Die tausend Männer sandten mir nach vielen Jahren den erlesenen Waffenschmuck , den Ihr oben in meinem Eichenschreine gesehen habt , ihr König tat selber den Degenknopf dazu , der so schön in Silber gefaßt ist , und der Kaiser , da ihm die Nachricht von der Begebenheit zu Ohren gebracht worden war , verlieh mir die Kette , die ich hier um habe . « Nach diesen Worten hielt der Obrist eine Weile inne . Er stand auf und ging in den Raum des Zimmers vor . Die Schriften , die noch immer auf dem Tische gelegen waren , nahm er weg und sperrte sie wieder ein . Zuletzt ließ er noch die grünen Fenstervorhänge herab , die er früher aufgezogen hatte . Ich glaubte , daß er es darum tue , weil doch die Sonne zu uns herüber zu rücken schien . Dann setzte er sich wieder zu mir und sagte : » Ich will Euch nun auch das Ende von meinem Lebenslaufe erzählen . Die Jahre sind wieder vergangen , aber immer eines schneller als das andere , und ich bin nach und nach Obrist geworden . Da ich wieder verwundet wurde , erhielt ich einen Ruhegehalt und durfte hingehen , wo ich wollte . Ich habe einmal auf meinen Kriegszügen ein schönes Tal gesehen , das zwischen hohen Bergen lag ; in dieses schaffte ich meinen Körper und meine Habe , um an dem Orte zu verbleiben . Ich fing dort an , die Bücher zu sammeln , die jetzt da sind , und die Gemälde , deren Art ich in den Niederlanden kennen und lieb gewinnen gelernt hatte . Manches ist teuer gekommen , Ihr würdet es kaum denken , und es reute mich schon oft , daß ich auf meine Freude so viel verwende , das nach meinem Tode andern zu Gute kommen sollte ; – aber sei es nun , wie es sei . – In dem Tale bekamen meine Päckchen immer mehr Gleichmäßigkeit , bis im Alter eines wie das andere wurde . Ich richtete mich häuslich ein , und legte rückwärts hinaus den Garten an , in welchem mir meine Pflanzen wuchsen , die ich liebe , weil sie unschuldig den Willen Gottes tun . « Hier setzte der Obrist wieder aus , dann fuhr er fort : » Ich habe früher von einem Menschen geredet , der der erste war , der gesagt hat , daß ich ein gutes Herz habe , wie Ihr heute der zweite , und ich habe versprochen , daß ich Euch von ihm erzählen werde , damit Ihr seht , wie sehr es mich von beiden freute . Der Mensch hat mit mir in dem Tale gelebt , es war ein Weib – mein eignes Weib ist es gewesen – und von ihm möchte ich Euch noch etwas sagen , wenn Ihr nämlich nicht müde werdet , mich anzuhören . Ich weiß es nicht , war sie besser oder schlechter als tausend andere ihres Geschlechtes – ich habe die andern zu wenig gekannt – aber einen Vorzug hatte sie vor allen , die da leben , und dieser war , daß ich sie sehr geliebt habe . Oft war es mir , als sei ihr Leib meiner , als sei ihr Herz und ihr Blut das meinige und als sei sie mir statt aller Wesen in der Welt . Ich hatte sie am Rheine kennen gelernt , wo sie von Verwandten hart gehalten wurde . Da ich eingerichtet war , holte ich sie herüber . Sie hatte mich nicht geliebt , aber sie war mit gegangen . Da sie am Vermählungstage unter ihren Angehörigen als verzagende Braut stand , sah sie nach meinen Augen , als wenn sie darin Treuherzigkeit suchte . Ich habe sie in mein Haus geführt , und habe sie auf der Schwelle desselben geküßt , was sie nicht erwiderte . Da ich sie in der Stube auf meinem Stuhle sitzen sah , noch den Hut auf dem Haupte und die Oberkleider an : nahm ich mir vor , daß ich sie ehren und schonen werde , wie es mein Herz vermag . Ich rührte nun ihre Hand nicht an , ich ließ sie in dem Hause gehen , und lebte wie ein Bruder neben ihr . Da sie allgemach sah , daß sie hier walten dürfe , daß sie stellen dürfe , wie sie wolle , und daß niemand etwas dagegen sage , da sie , wenn ich von der Jagd nach Hause kam – denn ich ging damals noch zuweilen – fragte , wie dieses und jenes stehe , und wie sie es machen solle : sah ich , daß die Pflanze des Vertrauens wuchs , – und daneben auch noch eine andere ; – denn ihre Augen glänzten von Zufriedenheit – und so ging ihr die Seele verloren , bis sie sonst nirgends war als in mir . Es ist nur ein verachtet Weib gewesen , das die Worte gesagt hat : › Wie dank ich Gott , daß du so gut , so gar so gut bist ‹ , – und kein Lob meiner Obern , keine Freude des Sieges ist früher so in mein Herz gegangen als die Worte des verachteten Weibes . Und als nach diesem schon viele Jahre vergangen waren , als ihr schon Mut und Vertrauen gewachsen war , als sie in meiner sichern Gattenliebe und Ehrbezeugung ruhen konnte : war sie noch demütig wie eine Braut und aufmerksam wie eine Magd – es war eben ihr Wesen so – und deshalb mußte geschehen , was geschah . – – Es ragten in der Gegend viele Schneeberge und blaue Spitzen , hinter unserem Hause rauschten Bergeswässer und standen Wälder , in denen oft Monate lang niemand ging . Alles dieses zu durchforschen , lockte mich die Lust , und einmal tat ich die Bitte , sie möge mich doch zuweilen begleiten , wann ich etwa seltne Alpenblumen suchen ginge , oder einen Baum , ein Wasser , einen Felsen zeichnete , wie ich es damals zu lernen anfing und häufig ausübte . Nach ihrer Art sagte sie es bereitwillig zu – und nun ging sie oft zwischen turmhohen Tannen , an brausenden Bächen oder über harte Felsen mit mir , und sie war noch schöner und blühender neben den Bergen , als sie es zu Hause war . Wenn ich dann zeichnete , saß sie hinter mir , schlug Nüsse auf oder ordnete die gesammelten Waldblumen zu einem Strauße , oder plauderte mit ihrem Hündchen , das ebenfalls unser steter Begleiter war und von ihr an schwierigen Stellen sogar getragen wurde , oder sie legte aus meinem Wandersacke unser Nachmittagbrod zurechte ; – oft saß sie neben mir und fragte , wie dieser und jener Stein heiße und warum diese und jene Blume nur immer im Schatten wachse . So wurde in den Wochen , was anfangs nur Gefälligkeit gegen mich war , ihre Lust und ihre Freude – sie wurde sogar stärker ; denn wie die Sonne des Waldes die Blumen , Beeren und die Früchte reift , tat sie es auch mit ihr , daß ihr die Lippen und Wangen glühten , wie an einem Kinde , und daß sie mir mit den schweren Alpenschuhen , die ich ihr hatte machen lassen , auf hohe Berge folgen konnte , bis an den Rand des Eises gelangte und mit Entzücken in die Länder hinaus sah , wo die Menschen ihre Werke treiben , davon kein Merkmal zu uns heraufkam . Ich hatte meine hohe Freude daran – und sie hatte ihre Freude daran – Es mußte wohl so sein , damit sich alles erfüllte . – – : Kennt Ihr das , was man in hohen Bergen eine Holzriese nennt ? – Ihr werdet es kaum kennen , da man sie hier nicht braucht , weil nur breite , sanfte Waldbiegungen sind . Es ist eine aus Bäumen gezimmerte Rinne , in der man das geschlagene Holz oft mit Wasser , oft trocken fort leitet . Zuweilen gehen sie an der Erde befestigt über die Berge ab , zuweilen sind sie wie Brücken über Täler und Spalten gespannt , und man kann sie nach Gefallen mit dem rieselnden Schneewasser anfüllen , daß die Blöcke weiter geschoben werden . – An einem sehr schönen Septembertage bat mich mein Weib , ich möchte sie doch auch wieder mit auf die Berge nehmen ; denn sie hatte mir endlich ein Kind geboren , ein Töchterlein , und war drei Jahre bei demselben zu Hause geblieben . Ich gewährte ihr freudig den Wunsch , sie rüstete sich , und wir waren desselben Tages so hoch gewesen , daß sie mir einige Stämmchen Edelweiß pflücken und auf den Hut stecken konnte . Im Nachhausegehen verirrten wir uns ein wenig ; denn die Ähnlichkeit der Wände und Spalten hatte uns getäuscht . Wir stiegen in dem Gerölle eines ganz fremden Sandstromes nieder , ob er uns etwa in das Tal abführe , oder ob er jäh an einer Wand aufhöre und uns stehen lasse . Das letztere geschah auch ; denn als wir um einen Felsen herum wendeten , sahen wir es plötzlich vor unsern Augen luftig blauen ; der Weg riß ab , und gegenüber glänzte matt rötlich eine Kalkwand , auf welche die Strahlen der schon tief stehenden Sonne gerichtet waren ; – aber auch eine solche Riese , wie ich früher sagte , ging von unserm Stande gegen die Wand hinüber . Ich erschrak ein wenig und sah nach meiner Begleiterin um ; aber diese war sehr fröhlich über die gefundene Verbindung , und wir gingen daran , zu untersuchen , ob die Riese in einem guten Stande sei und zwei Menschen zu tragen vermöge . Daß sie erst kürzlich gebraucht wurde , zeigten da , wo sie an den Felsen angeschlachtet war , deutliche Spuren geschlagenen und abgeleiteten Holzes ; denn ihre Höhlung war frisch wund gerieben , auch lagen noch die Blöcke und Stangen umher , womit man die Stämme zuzuwälzen gewohnt ist , und die Fußtritte , die uns eigentlich in dem Bette des Gerölles nieder gelockt hatten , schienen von derselben Handlung her zu rühren . In dem Augenblicke des Überlegens hörten wir es aus einem Seitengraben , dessen Dasein wir früher gar nicht bemerkt hatten , knistern und brechen , als ob es Tritte wären , – und wirklich kam nach einigen Sekunden ein Mann heraus , den der erste Anblick sogleich für einen Holzarbeiter erkennen ließ , wie sie im Gebirge ihr mühsames Werk treiben . Er trug einen ledernen Sack und eine eiserne Kochschüssel ; in der Hand hatte er die abgetanen Steigeisen und den Gebirgsstock , der langschaftig ist und vorne eine eiserne Spitze und einen Widerhaken hat . Er erschrak , da er uns sah , weil er hier keine Menschen zu finden gehofft hatte . Ich aber sagte ihm , daß wir uns verirrt hätten , und daß wir sehr gerne wissen möchten , ob die Riese gangbar wäre und zweien Menschen als Steg dienen könnte . › Freilich kann sie dienen ‹ , antwortete er , › vor einem Augenblicke sind alle meine Kameraden hinüber gegangen , fünf an der Zahl ; ich mußte nur umkehren , weil ich die Schüssel am Feuerplatze vergessen hatte . Sie warten an der Wand auf mich . Ihr werdet es gleich hören . ‹ – Nach diesen Worten tat er einen Ruf mit der hohen Stimme des Gebirgjauchzens , daß es in allen Spalten klang : von drüben antworteten sie , daß es ebenfalls klang . Es war fast schön , da auch der Abend rings um uns herum war . Ich schlug nun vor , daß wir jetzt alle drei mit einander über die Riese gehen könnten . Er willigte ein und sagte , daß wir die Frau in die Mitte nehmen sollten . Er richtete den Alpenstock so , daß ich ihn vorne und er hinten nahm , damit sich die Frau daran wie an einem Geländer halte . Das Hündchen hatte sie sich nicht nehmen lassen selber zu tragen . So gingen wir auf die Brücke , die in der Abenddämmerung wie eine gezogene Linie war . Ich hörte , da wir auf dem Holze gingen , nur seine Tritte mit den schwerbeschlagenen Schuhen , die ihrigen aber nicht . Als wir noch ein kleines von dem Ende der Riese waren , sagte der Holzknecht leise : › Sitzt nieder , ‹ – auch empfand ich , daß der Stock in meiner Hand leichter werde , – ich schaute plötzlich um – und denkt Euch : ich sah nur ihn allein . Es kam mir ein schrecklicher Gedanke , aber ich wußte nichts weiter , meine Füße hörten in dem Augenblicke auf , den Boden zu empfinden , die Tannen wogten wie Kerzen an einem Hängeleuchter auf und nieder dann wußte ich nichts mehr . « Hier hörte der Obrist zu reden auf , und schwieg eine Weile . Ich dachte anfangs , daß er sich nur sammeln wolle , aber als ich genauer hin schaute , sah ich in der Dämmerung , daß ihm schnelle Tränen , eine nach der andern , über den weißen Bart herab träufelten , und daß er sich sehr stille hielt , damit ich es nicht bemerke . Ich konnte vor gebrochenem Herzen auch nichts reden , und begriff nun , warum er die Fenstervorhänge herab gelassen hatte . Ich wollte die Schamhaftigkeit des alten Mannes nicht stören und sah nicht hin . Nach einer Zeit wischte er mit seinem Ärmel über Bart und Antlitz , und setzte dann gefaßt seine Rede fort : » Sie lag unten zerschmettert . Still sich opfernd , wie es ihre Gewohnheit war , ohne einen Laut , um mich nicht in Gefahr zu bringen , war sie hinab gestürzt . Nicht einmal der Holzknecht hatte ihren Zustand erraten , bis sie das Geländer ausließ , das wir ihr gemacht hatten , und mit der Hand in der Luft zu greifen anfing . Da rief er ihr zu , sie solle sich setzen – aber es war zu spät . Wie ein weißes Tuch , sagte er , war es an seinen Augen vorüber gegangen , und dann habe er nur mich allein gesehen . Ich wankte auch vor seinen Blicken , und wäre gleicherweise hinab gefallen , wenn er mir nicht einen Stoß gegeben hätte , durch den ich die noch wenigen Schritte vorwärts taumelte , die von der Riese übrig waren , und an ihrem Ende unter dem vielen Holze nieder stürzte , das dort lag , und das man an dem Tage herüber geleitet hatte . – Als ich aus meiner Ohnmacht wieder erwachte , verlangte ich heftig , in den Abgrund nieder zu steigen ; denn ich konnte sie mir nicht tot denken , und dachte : wer weiß – etwa ist ihr das Bewußtsein wieder gekommen , sie liegt unten und beginnt jetzt erst zu sterben . Allein es war indessen schon ganz Nacht geworden , ich fand mich an einem großen Feuer liegen , und einige Holzknechte standen und saßen umher . Andere waren auch fort gegangen . Durch mein Flehen und meine Versprechungen , noch mehr aber , weil ich allein in der Finsternis hinab zu klettern anhob , ließen sie sich bewegen , einen Versuch zu ma chen , ob man über die Wand hinab gelangen könne . Es waren auch von andern Orten Holzarbeiter herbei gekommen , weil die Stelle ein Zusammenkunftsplatz war , und sie saßen an dem Feuer , wärmten sich , und hörten an , was geschehen war . Der eine erinnerte sich dieses , der andere eines andern Weges , auf dem es möglich sein müsse – aber es war immer umsonst , und die ganze Nacht verging unter fruchtlosen Bemühungen . Endlich , da ich tausend Mal zu dem Himmel geschaut hatte , erblaßten die fürchterlichen Sterne , und das schwache Grau des Morgens war in der Luft . Nun , da wir besser sahen , gelang es wirklich mit Hilfe von Stricken und Stangen bis auf den Grund hinab zu kommen . Allein wir fanden die Gegend nicht , und erst , als die Sonne schon fast hoch n das Tal herein schien , entdeckten wir sie . Es lag ein Häufchen weißer Kleider neben einem Wachholdertrauche , und darunter die zerschmetterten Glieder . – Es ar nicht möglich : von dieser Höhe kann kein Mensch herunter fallen und nur einen Hauch des Lebens behalten . Kaum so dünne wie ein Strohhalm anzusehen , schwebte die Riese weit ober uns . – Wir gingen näher , und denkt Euch – auf den Kleidern saß das Hündlein , und war lebend und fast unversehrt . Das Weib hatte es vielleicht während des Falles empor gehalten und so gerettet . Aber s mußte über die Nacht wahnsinnig geworden sein ; denn es schaute mit angst vollen Augen umher und biß gegen mich , da ich zu den Kleidern wollte . Weil ich schnell mein Weib haben mußte , gab ich zu , obwohl ich mir das Tierchen hatte aufsparen wollen , daß es einer der Knechte mit der Büchse , die sie zuweilen tragen , erschieße . Er hielt schräge hin , damit er die Leiche nicht treffe – und das Hündchen fiel herab , kaum daß es ein Füßlein rührte . – Ich beugte mich nun nieder und riß das weiße Mieder auf , das sie an hatte ; aber die Schulter war schon kalt , und die Brust war so kalt wie Eis. – – O Herr ! das könnt Ihr nicht ermessen – nein , Ihr wisset es jetzt noch nicht , wie es ist , wenn der Leib , der so lange das Eigentum Eures guten Herzens gewesen ist , noch die Kleider an hat , die Ihr am Morgen selber darreichen halfet , und jetzt tot ist , und nichts mehr kann , als in Unschuld bitten , daß Ihr ihn begrabet . « Hier hielt der Obrist wieder inne ; dann aber fuhr er fort : » So ist es auch geschehen . Wo der Bach seinen schmalen Ausgang hat , ließ ich sie aus dem Tale bringen , und kam gegen Mittag in mein Haus . Der Ruf hatte das Unglück schon ausgebreitet . Mehrere Menschen standen auf meiner Gasse , und gute Freunde wollten mich in einen Wagen tun und fort führen , bis alles vorüber wäre . Ich aber meinte , daß dieses gegen die eheliche Treue sei , und blieb bei ihr . Bloß da die Frauen kamen , sie zu waschen und umzukleiden , ging ich an der Gesindestube vorbei zurück in das Stüblein gegen den Garten , wo mein Kind war . Ich nahm das Mädchen bei der Hand , führte es durch den hintern Gang auf die Gasse , tat es in den Wagen , den die Freunde herbei geschafft hatten , und ließ es zu einer entfernten Bekannten führen , damit das Kind nicht sähe , was hier geschieht , und sich einmal daran erinnere . Als sie mich riefen , ging ich wieder hinvor in das Zimmer , wo die Menschen waren , und setzte mich nieder . Sie lag in dem weißen Gewande , das sie sonst hatte , auf ihrem Bette , und der Schreiner legte seinen schwarzen Zollstab zusammen , und ging hinaus . Gegen Abend kam der Sarg , der sonderbarer Weise in dem rechten Maße schon fertig gewesen war , und man legte sie hinein , wo sie lang und schmal ruhen blieb . Als nach und nach die Neugierigen und die andern fort gegangen waren und ich fast allein blieb , ging ich hin , faltete ihr die Hände anders , als es die Frauen getan hatten , und gab ihr ein Kreuz . Ich legte auch noch von ihren Blumen , die noch da standen , etwas um das reine , unbewegliche Haupt . Dann setzte ich mich nieder und blieb sitzen , wie Stund an Stund verging . Damals dachte ich oft an das alte Volk der Egypter , daß sie ihre Toten einbalsamierten , und warum sie es getan . Ich habe in ihrem Zimmer keine Wachslichter anzünden und keine schwarzen Tücher spannen lassen , sondern ich hatte die Fenster geöffnet , daß die freie Luft herein sah . An dem ersten Abende waren an dem Himmel draußen viele rote Lämmerwolken gewesen , daß im Zimmer lauter rote , sanfte Rosen schienen ; und nachts , wenn die Lampe brannte , waren weiße auf ihren Geräten , und auf ihren Kleidern – – und wenn sie in dem Nebenzimmer draußen stille waren und beteten , weil sie sie Leiche fürchteten , rückte ich ihr das Hauptkissen , weil das Angesicht schief zu sinken begann . – Am zweiten Morgen wurde sie begraben . Es kamen die Träger , und ich ging mit ihnen . Auf dem Kirchhofe standen viele Leute , und der Pfarrer hielt eine Rede . Dann taten sie sie in die Erde , und warfen die Schollen auf sie . Als alles vorüber war , und drüben jenseits der Häuser die alten Wälder standen und eine fremde , leere Luft über sie floß , versuchte ich nach Hause zu gehen . Auf den Feldern gegen die Haselbestände hinauf ackerten sie und säeten das Wintergetreide in die Erde . Ich ging durch den Garten , wo die Herbstblätter abfielen , in das sehr stille Haus . In der Stube standen noch die Sessel in derselben Ordnung , wie sie den Sarg getragen hatten , aber sie war nicht darauf . Ich setzte mich in einer Ecke nieder und blieb sitzen . An dem Fenster stand noch ihr Arbeitstischchen , und die Laden unserer Kästen machte ich nicht auf . Wie viele Afterdinge , dachte ich , wird die Welt nun noch auf meine Augen laden , nur sie allein , sie allein nicht mehr . – Und wie es lange , lange so stille war , und die Dienstboten aus Ehrfurcht draußen nur flüsterten , tat sich ungeschickt die Tür auf , und mein Töchterlein ging herein , das schon vor einer Stunde zurück gekommen war und sich nicht aus ihrem Stüblein getraut hatte . Auf ihrem Munde war die Knospe der Rose , die sie eben begraben hatten , und in dem Haupte trug sie die Augen der Mutter . Und wie sie schüchtern vorwärts ging und mich so sitzen sah , fragte sie : › Wo ist Mutter ? ‹ Ich sagte , die Mutter sei heute früh zu ihrem Vater gegangen , und werde recht lange , lange nicht zurück kommen . Da sie sich auf das Wort beherrschen wollte , wie sie gewöhnt worden war , und sich aber doch auf dem Gesichtchen die schwachen Linien des Weinens zusammen zogen , da riß ich sie an mich und weinte mich selber recht zu Tode . – Dann schien die Sonne , wie alle Tage , es wuchs das Getreide , das sie im Herbste angebaut hatten , die Bäche rannen durch die Täler hinaus – – nur daß sie allein dahin war , wie der Verlust einer goldenen Mücke . – Und wie ich in jener Zeit mit Gott haderte , hatte ich gar nichts , als daß ich mir fest dachte , ich wolle so gut werden wie sie und wolle tun , wie sie täte , wenn sie noch lebte . Seht , Doktor , ich habe mir damals eingebildet , Gott brauche einen Engel im Himmel und einen guten Menschen auf Erden : deshalb mußte sie sterben . – Ich ließ einen weißen Marmorstein auf ihr Grab setzen , auf dem ihr Name , der Tag ihrer Geburt und ihr Alter stand . Dann blieb ich noch eine lange Zeit in der Gegend ; aber als die Berge nicht zu mir reden wollten und die Pfade um die Wiesenanhöhen so leer waren , so nahm ich mein Kind und ging mit ihm fort in die Welt . Ich ging an verschiedene Orte , und suchte an jedem , daß mein Töchterlein nach und nach lerne , was ihm gut tun möchte . – Ich habe vergessen , Euch zu sagen , daß mir mein Bruder schon früher geschrieben hatte , daß ich zu ihm kommen möchte , weil er so krank sei , daß er die Reise zu mir nicht machen könne , und er habe dennoch sehr Notwendiges und Wichtiges mit mir zu reden . Ich ging , da ich mein Haus hinter dem Rücken ließ , zu ihm – und zum ersten Male seit dem Tode unsers Vaters sah ich wieder die Anhöhen um das Schloß und die Weiden an dem Bache . Er gestand mir , daß er damals einen Betrug gestiftet habe , und daß er jetzt recht gerne mit dem vergelten und gut machen werde , was noch da sei . Ich rächte mich nicht – er stand in dem Saale vor mir , ein dem Tode verfallener Mann , ich machte ihm gar keine Vorwürfe , sondern nahm von en Trümmern des Vermögens , dessen Bücher er mir aufschlug , das wenigste , was meine Pflicht gegen mein Töchterlein noch zuließ , damit ich es nicht seinem armen Sohne entzöge , den ihm sein Weib geboren hatte , das noch bei ihm auf dem Schlosse war – und dann fuhr ich in einem Bauerfuhrwerke mit meiner Tochter wieder über die Brücke des Schloßgrabens hinaus , und hörte zum letzten Male die Uhr auf dem Turme , die die vierte Nachmittagsstunde schlug . – Es ist weiter in meinem Leben nichts mehr geschehen . – Ich bin endlich nach einer Zeit n dieses Tal gekommen , das mir sehr gefallen hat , und ch blieb hier , weil so schöner ursprünglicher Wald da ist , in dem man viel schaffen und richten kann , und weil eine Natur , die man zu Freundlicherem zügeln und zähnen kann , das Schönste ist , das es auf Erden gibt . « Der Obrist hörte mit diesen Worten zu reden auf , und blieb eine bedeutend lange Zeit neben mir sitzen und schwieg . Ich schwieg auch . Endlich nahm er wieder das Wort und sagte : » Ich habe nichts als Margarita , sie gleicht ihrer verstorbenen Mutter im Angesichte und in der ganzen Art so sehr , wie man es kaum glauben sollte , – – Doktor , tut mir nicht weh in meinem Kinde . « » Nein , Obrist , das tue ich nicht – – ich reiche Euch die Hand , daß ich es nicht tue . « Bei diesen Worten reichte ich ihm meine Hand , er gab mir die seine auch , und wir schüttelten sie uns gegenseitig zum Zeichen des Bundes . Dann blieben wir noch eine Weile sitzen , ohne zu sprechen . Endlich stand er auf , ging ein wenig in dem Zimmer herum , und trat sodann an das Fenster , dessen grünseidenen Vorhang er aufzog . Es war keine Sonne mehr an den Gläsern , aber eine ganze Flut von Frühlingshelle schlug durch sie in das Zimmer herein . » Seht , wir werden heute ein Gewitter bekommen , « sagte der Obrist , der an dem Fenster stehen geblieben war und hinaus schaute , » es geht ein dichter , dunstiger Himmel über den Kirmwald herüber , und am Rande des Reutbühls ziehn sich diese milchigen Streifen , was alle Mal ein Anzeichen von einem Gewitter ist . « Ich stand auch auf und trat zu ihm . Die friedliche , schöne , in sanfte Gewitterschwüle gehüllte Gegend schaute zu uns herein und grüßte huldvoll an das Herz . Wir standen und genossen der freien Luft , die bei dem Fenster herein strömte , das er nun auch geöffnet hatte . Über eine Weile sagte er wieder : » Ich möchte Euch gerne zu Margarita führen – Ihr müsset mit einander reden redet gut mit einander , daß sich alles einfach löse . Ich habe Gewußt , daß es so sein wird , wie es jetzt ist . Ihr habt beide gefehlt . Margarita tat auch nicht recht , aber sie konnte nach ihrer Art nicht anders , so wie Ihr nicht anders konntet . Geht hinüber zu ihr , sucht sie nicht zu bewegen , tröstet sie eher – aber sprecht nur mit einander , ich meine , daß es gut ist . Nicht wahr , Doktor , Ihr tut das ? « Wir blieben nach dieser Rede beide noch eine Zeit lang stehen , ich hatte keine rechte Antwort und schwieg daher verlegen , er drang auch nicht in mich . » Nun ? soll ich Euch zu ihr führen ? « fragte er endlich recht sanft . » Ja « , sagte ich . Und nach diesen Worten nahm er mich unter den Arm und führte mich hinaus . Wir gingen über den Gang , und dann über die feine , gelbe Rohrmatte ihrer Schwelle hinein . Sie war in dem ersten Zimmer nicht . » Wartet hier ein wenig , « sagte er , » ich werde hinein gehen und sie Euch senden . Vielleicht könnte sie nicht in der Lage sein , Euch zu empfangen . Wenn sie aber erscheint , werde ich selber nicht wieder heraus kommen , sondern mit dem Schlüssel das Bücherzimmer öffnen und durch dasselbe in meine Wohnung zurückkehren . « Er ging durch die halbgeöffnete Tür in das anstoßende Zimmer , und wahrscheinlich auch in das fernere . Ich blieb heraußen stehen , und es war sehr stille . Endlich , da ich eine Weile gewartet hatte , bewegte sich schwach der halbe , etwas offen stehende Türflügel – und sie trat heraus . Ihre Augen waren auf mich gewendet – – – Morgen Margarita . – 4. Margarita Ehe ich weiter gehe und eintrage , was geschehen ist , will ich noch des Obrists gedenken und mir seine Seele vor die Augen halten – ich muß den Mann hoch ehren , und will es in diesem Buche nieder schreiben , wie er ist . Was der Obrist sagte und tat , habe ich bisher nicht nach meinem Gedächtnisse allein aufgeschrieben , sondern nach der Handschrift , die er mir gelassen , und die er über diese Dinge aus seinen versiegelten Päcken genommen hat , wie ich ihn ja selber in diesem meinem Buche nachzuahmen versuche . Was ich weiter sage und eintrage , weiß ich ja schon längst , aber es ist mir nie so klar und deutlich vor die Augen gekommen als an diesen Tagen . Wie gut er ist , nicht nur gegen mich , sondern auch gegen alle andern , wie einfach und schön er ist , zeigt sich ja viel deutlicher in dem , was er tut , als es mit allen andern Worten je gesagt werden könnte . Da hat er oberhalb des Eichenhages die Senkung gereutet , die er sich gekauft hatte , und in der nur saures Moos , geflecktes Gras und die einzelne herbe , rote Moosbeere zwischen den dünnen Föhrenstämmen wuchs , die auch in der Nässe nicht fortkommen wollten , und hat dann Gräben schlagen lassen , hat unversumpfbares Erlenholz hinein geworfen und sie wieder überwölbt , hat Abzugskanäle und Auslaufgräben mauern lassen , hat das Ganze mit Pflügen umgerissen , durch mehrere Jahre Sämereien hinein gebaut , und hat jetzt eine Wiese daraus , die rechts oben an der Ecke des Meierbacher Weizenstückes beginnt , hinter den Eichen hinüber geht und , wenn man von den Sillerhöhen herab kömmt , weithin mit ihrem schönen , dunklen Grüne leuchtet , wo ehedem nur kaum das Grau der kleinen Föhrenbäumchen zu schauen gewesen war , und jetzt oft schon das gelblich rote Eichenlaub abfällt , wenn daneben noch die schöne , grüne Tafel schimmert . Weil aber die Wiese von dem Hause des Obrist aus nicht sichtbar ist , und überhaupt eine sanft geschwungene Wiege bildet , in der man Menschen und Tiere nicht sehen kann , außer wenn man von den Höhen der Siller herab kömmt , so haben sich die Buben , welche in unsern Gegenden gewohnt sind , auf Rainen , Gemeindeplätzen und Stoppeln einige oder die andern Stücke Rinder herum zu hüten , die Wiese ausersehen , um ihre Tiere besser und schneller zu nähren , als es sonst irgendwo der Fall gewesen wäre . Das fette Gras und die Geborgenheit mochte manchen verleitet haben , seine Pfleglinge hinein zu lassen und dem frischen Weiden derselben zuzuschauen . Als man dem Obristen diese Sache hinterbracht hatte , wurde er sehr zornig und sagte , er sehe nicht ein , warum er sich so geplagt habe , um aus dem schlechten Grunde ein schönes , gezähmtes , menschliches Erdenstück zu machen , wenn es jetzt so mißbraucht und heimlich herabgewürdigt werde . Er wolle bei Gelegenheit selber hinaufgehen und sich Recht verschaffen . – Dem zu Folge ging er eines frühen Morgens , als sich wieder Verdacht zeigte , es möchte an seiner Wiese Frevel begangen werden , durch die Eichen , die hinter seinem Hause einen so schönen Hag bildeten , hinauf , und da er aus den letzten Bäumen ins Freie heraus getreten war , sah er auf seiner Wiese vier schöne , dunkelrotbraune Rinder weiden und einen in Grau gekleideten Buben nicht weit davon stehen . Die Nässe tat en Füßen des Obrists von jeher nicht gut , aber dennoch ging er mit den Lederstiefeln sachte in den sehr starken Frühtau , der auf den Gräsern der Wiese lag , hinein , um den Buben zu haschen , der mit dem Rücken gegen ihn stand . Er setzte die Füße in dem hohen Grase , in welchem Wasser und Spinnenfäden hingen , vorwärts , bis er nur mehr einen Büchsenschuß weit von dem Buben entfernt war . Da fiel ihm ein , derselbe möchte zu sehr erschrecken und etwa krank werden , wenn er ihn plötzlich ergriffe . Darum machte er ein kleines Geräusch , daß er es höre und davon laufen könne . Der Hirtenknabe hatte scharf gehört , er wendete sein Angesicht bei dem Geräusche , und da er den ehrwürdigen Obrist bis auf die Kniee im Grase wandeln sah , warf er sich herum und ergriff die Flucht . Er rannte , wie ein leichtfüßiges Reh , durch die Wiese , schwang sich über den Graben , lief immer fort , gegen die Siller hinüber , verschwand unter den Gesträuchen , die sich da gegen die Tiefe und die Felder hinab ziehen , und der Obrist stand mit dem schönen Gewande im Grase . Er trieb nun die vier Rinder aus der Wiese hinaus , er trieb sie gegen das Gereute hinan , wo Weidegrund ist , und leitete sie zwischen den zerstreuten Haselbüschen , die dort stehen , auf die Weide , bis er überzeugt war , daß sie nun nicht mehr auf die Wiese zurückkehren und auch niemanden anderm auf ein Grundstück gehen könnten . Dort verließ er sie und ging nach Hause . Weil er den Rückweg auf einem staubigen Wege machte und außer den Stiefeln auch manche Kleiderzipfel naß waren , kam er sehr beschmutzt nach Hause . Dem Knechte sagte er nichts über den Erfolg seines Feldzuges . Die Sache breitete sich aber aus , und wenn jetzt ein Bube sich verleiten ließ , hinter dem Walde in die schöne Wiese mit einem Rinde hinein zu kommen , so stand er immer so , daß er das Angesicht gegen den Eichenhang wendete , wo der Obrist heraus zu kommen drohte . Wirklich kam der Obrist einmal eines sehr frühen Morgens aus den Eichen heraus , da eben ein Knabe zwei Kühe auf der Wiese hütete . Der Knabe sah den Obrist kommen , konnte die Kühe nicht schnell genug wegschaffen , und ergriff , sie im Stiche lassend , die Flucht . Diesmal trieb der Obrist die Kühe nicht auf die Haselweide ins Gereut hinauf , sondern als Pfand in sein eigenes Haus , wo er sie in dem Stalle anhängen ließ . Gegen Mittag kam ein Weib , eine Witwe , aus dem Sillerwalde gebürtig , zu ihm in das Haghaus herauf und sagte , daß ihr die Kühe gehören , die er gepfändet habe , daß sie ihr einziges Gut seien , daß sie den Buben schon gestraft habe , weil er in fremdes Eigentum gegangen sei , daß er es nicht mehr tun werde , und daß sie bitte , der Obrist möchte ihr die Kühe ausliefern lassen , weil sie und ihr Knabe davon leben . Der Obrist ließ ihr die Kühe , die gut gefüttert worden waren , herausgeben , und gab ihr auch , wenn sie etwa als ein Weib mit dem Zuhausetreiben nicht zurecht kommen könnte , einen Knecht mit , der ihr helfen mußte . Weil aber später die Gerichte von dieser Sache Umgang nahmen und , obwohl der Obrist erklärte , daß er auf allen Schadenersatz verzichte und der Witwe alles schenke , doch von derselben mit Auslassung des Schadenersatzes den Wiesenfrevelbetrag , der von den Gesetzen auf solche Fälle gesetzt ist , unabwendbar verlangten , so blieb dem Obristen nichts übrig , als der Witwe die Summe zu schicken , daß sie dieselbe den Gerichten erlege . Weil er auf diese Weise nicht immer in das Gras gehen , Rinder nach Hause treiben und den Leuten den Grundfrevelbetrag geben wollte , und weil er auch dem Altknechte , der sagte , man solle nur die Sache ihm überlassen , sie doch nicht überließ , weil er sie nicht recht machen könnte , so fing er im Winter , ehe die Erde fror , einen Zaun um die Wiese zu ziehen an , fuhr im nächsten Frühjahre damit fort , bis , ehe die Blümchen weiß und gelb die ganze Wiese überzogen , dieselbe von allen Seiten mit einem starken , stattlichen , hohen Gehege umgeben war . Er hatte die Pfähle aus Eichen gemacht und unten anbrennen lassen , daß sie doch eine gute Zahl von Jahren hielten . Die Spelten zu den Mittelstücken waren Tanne , schlank gespalten und gut in einander geflochten – eine Art , wie man bei uns bis dahin die Zäune nicht gemacht hatte , und wie sie ihm in andern Ländern , die er früher besucht hatte , vorgekommen waren . Zur Einfahrt der Wägen in die Wiese hatte er eine Holzgittertür machen lassen , die mit einem eisernen Schlosse verschlossen war . Schlüssel dazu wurden sieben verfertigt , die an einem schnell in die Augen fallenden Pfosten der Scheune hingen , damit niemand mit dem Aufsperren in Verlegenheit komme , wenn etwa einer , der schon einen Schlüssel in der Tasche habe , in den Feldern damit herum gehe . Wie er überhaupt gerne baute , hatte er auch kurz darauf , als er den Zaun angefangen hatte , schon seine Freude daran , er nahm mehr Arbeitsleute , ging täglich mehrere Male hinaus , ordnete alles an , sah zu , daß es recht gemacht werde , und legte nicht selten Hand an , um den Leuten zu zeigen , was sie nicht wußten . Ich stand öfter bei ihm auf der Wiese , wenn ich ihn zu besuchen hinauf kam ; die verschiedenen Feuer rauchten , an denen die Pfähle angebrannt wurden , und wir sprachen von mannigfaltigen Dingen . Als der Zaun fertig war , ging er freudig herum , rieb nach seiner Art die Hände und sagte : » Jetzt wird keiner mehr hereintreiben . Ich hatte sehr unrecht mit der Wiese . Da sieht man gleich , wenn man nicht das rechte Mittel wählt ; da ist man genötigt , in die schiefen Folgen einzugehen , und wird in lächerliche Handlungen verwickelt . Nun ist alles gut . « Auch die Wiese liebte er jetzt mehr als früher , da er sich so lange mit ihr beschäftigt hatte , und sie sah in den folgenden Jahren noch schöner und noch grüner aus als in allen vorangegangenen . Seine Leute sagten , er werde durch solche Dinge sein Ansehen einbüßen , wenn er so schwach sei , wenn er sich mißbrauchen lasse , und wenn er nicht ein Mal ein Beispiel der Strenge aufstelle ; aber er büßte es nicht ein , und wurde vielmehr von jedermann in der Gegend verehrt und geliebt . Seine Hausgenossen selber , wenn er lächelnd einen Fehler verwies und mit Gründen in denselben einging , nahmen sich in acht , daß sie in Zukunft diesen Fehler nicht mehr machten . Freilich machten sie dafür einen andern . Er war aber auch zuweilen in Fällen , wo es sein mußte , unbeweglich , und gab nicht nach , wenn man auch mehrere Jahre an ihm Versuche machte . So war es der Fall mit der Sillerbrücke . Kein Mensch kann eigentlich , wie es niemand so weiß wie ich , der ich zu meinen Kranken auf allen Wegen herum muß , an dem Sillerbruche , wo sie auch aus Nachlässigkeit den Waldsturz mit den so vielen Blöcken und Steinen in das Tal niedergehen ließen , über den reißenden Bach gelangen , der von dem oberen Walde herabgeht , Steine , Gerölle mit führt , Holz und Schlamm wälzt , da ich ihn nach Regen wild und gelb niederhadern sah , als wollte er alles zerreißen und zerschleudern – kein Mensch kann eigentlich hinüber gelangen , wenn nicht in heißen Sommern die Steine meistens trocken liegen und das Waldwässerlein zahm und dunkel zwischen ihnen auf dem schwarzen Moossamt , den es selber macht , dahin geht und dann sind auch noch solche Ausbrüche , Vertiefungen , Löcher , Knollen , daß kein Rad durchsteigen und sich heraus heben kann . Die vom Gehäng , von Haslung , von Sillerau , von dem oberen Astung , der Meierbacher , die Erlehöfe , der Obrist und ich selber – wir alle nehmen das Holz von dem obern Pufter , und wir nehmen es gerne , weil er unerschöpflich ist , weil dort die schönste Weißbuche steht und in der Wildnis sich der Brennstoff recht kräftigt und stärkt – endlich kömmt es auch ein Sechsteil billiger . Aber wir müssen an dem Sillerbruche damit vorbei fahren und müssen über den Bach kommen . War es nicht in dem Sommer vor drei Jahren eine Qual , wo weithin jenseits die Hölzer geschichtet lagen , manches mühselig durchgeschleppt , manches an bequemern Orten sogar geworfen werden mußte ? Der Graf draußen , weil er zur Herstellung der Brücke , die vorlängst zu Grunde gegangen war , seinen Teil durch Herkommen beitragen mußte , bewies den Umwohnern zwei Jahre lang , daß eine Brücke an jener Stelle gar nicht nötig sei , und die Leute glaubten es fast – sie durften ja dann das wenige , was ihnen zum Baue auflag , auch nicht entrichten ; aber der Obrist bewies ein Jahr entgegen , daß es ein schreiendes Übel sei , was da bestehe , daß die Leute bei den mühevollen Plagen , mit denen sie größtenteils selber ihr Holz an jener Stelle weiter schaffen , ihre Zeit und ihre Gesundheit verlieren , und daß es eine Schande für die menschliche Vernunft ist , zu sagen , es sei etwas zweckmäßig , was jedem Zwecke Hohn spricht – er fuhr unablässig zu dem Amte , wir , er und ich , standen zusammen , bis wir es zuletzt durchgesetzt hatten . Der Bau wurde aufgetragen , und die Schuldigkeiten waren nach und nach endlich auch alle entrichtet . Da ging der Obrist her und gab von seinem Gelde so viel , daß man von beiden Seiten Anläufe aufmauern und die Brücke hoch über dem Bache von Stein aufführen konnte . Er läßt jährlich nachschauen und ausbessern , wenn etwas beschädigt ist , und erklärt jährlich dazu , daß es seine Schuldigkeit nicht ist , damit es sich nicht verjähre und auf seinem Haghause als Dienstbarkeit sitzen bleibe . Da ich von Prag zu Fuße fort ging , weil ich meine Lernzeit , die ich der Heilwissenschaft widmen mußte , zu Ende gebracht hatte , und ein Pergament in dem Ränzlein trug , das mich zum Doktor der hohen Kunst ernannte und mich der Zunft der Heilmänner einverleibte , als ich viele Tage lang sachte durch das schöne Land der Böhmen gegen Mittag ging , von wo mir die Bläue des Waldes immer deutlicher und näher entgegen schimmerte – als ich endlich diesen Wald und die Gegend meiner Heimat erreicht hatte , um mich dort bleibend anzusiedeln und den Menschen Gutes zu tun : da war ich der einzige in dem Walde , der etwas anderes gesehen hatte als eben den Wald – die andern waren da aufgewachsen , und sahen , was sie alle ihre Jugendzeit gesehen hatten . Wer einmal Berge , auf denen die geselligen Bäume wachsen , dann lange dahin ziehende Rücken , dann das bläuliche und dunkle Dämmern der Wände und das Funkeln der Luft darüber lieb gewonnen hat , der geht alle Male wieder gerne in das Gebirge und in die Wälder . Ich kam nicht in die Gegend meiner Heimat zurück , um mich da zu bereichern , sondern um in all diesen Tälern , wo die Bäche rinnen , und auf den Höhen , wo die Tannenzacken gegen die weiße Wolke ragen , zu wirken und denen , die da leben , Wohltaten zu erweisen . Ich war sehr jung . In dem Lande weit herum war kein eigentlicher Arzt , sondern manche Frau , die in verschiedenen Dingen erfahren war , riet Mittel und gab sie den Leuten – mancher Bürger oder Bauer war in den Ruf gekommen und half in verschiedenen Schäden – mancher Krämer kam mit einer Tragbahre und hatte Fläschchen mit Dingen und Säften , die die Leute kauften und in ihren Hausschrank stellten als Mittel für allerlei Fälle , die in den Jahren hinum vorkommen konnten . Mancher , der in eine tiefe und heftige Krankheit verfiel , starb auch in der Einöde der Wälder dahin , wo ihn ein Mann , der Erfahrung hatte , hätte retten können . Als ich zu der grauen Hütte meines Vaters kam , die nicht dort stand , wo mein jetziges Haus sich befindet , das ich zum Schutze gegen die Winde und das Wetter in die sanfte Niederung herabgestellt habe , sondern hoch oben auf dem Hügel , der jetzt hinter dem Garten , den ich anlege , empor steigt , wie es alle die Waldhäuser gewöhnlich sind , die man auf den Hügel hinbaute , wo man zu reuten angefangen hatte , daß sich um sie herum Wiesen und Felder ausbreiten , und sie dann mit den vielen kleinen Fenstern , die in das Holz der Wand gesetzt sind , in dem Sonnenscheine des Waldes weithin leuchten – – als ich in der grauen Hütte angelangt war , auf deren flachem Dache , wie auf den andern , die vielen Steine liegen , sagte ich gleich : » Gott grüße Euch , Vater , seid willkommen , Schwestern , ich werde jetzt immer bei euch bleiben , ihr müsset mir da das Seitenkämmerlein ausräumen , dessen zwei helle Fenster auf den hohen , fernen Wald hinausschauen , da will ich die Sachen hineintun , die in Kisten von Prag kommen , will die Fläschchen aufstellen , werde darin wohnen und die Leute , die krank werden , heilen . « Der Vater stand seitwärts , und getraute sich nicht , weil er nur ein Kleinhäusler war , der ein Gespann Kühe und etwas Wiesen und Felder hatte , davon er lebte , den Sohn zu begrüßen , der ein Gelehrter geworden war und da heilen wollte , wo niemals ein Doktor oder ein Arzt gesehen worden war . Der Sohn hatte aber einstweilen das Ränzchen abgeworfen , hatte das Barett und den Knotenstock auf die Bank gelegt , und nahm den Vater an der Hand , legte den Arm um den groben Rock seiner Schulter und küßte ihn auf die Wange , aus der die Spitzen des weißen Bartes stachen , und an der das schlichte , weiße Haupthaar niederging . Der Vater weinte , und der Sohn tat es schier auch . Dann nahm er die Schwestern , eine nach der andern , und sagte : » Sei mir gegrüßt , Lucia , sei gegrüßt , Katharina , wir bleiben alle beisammen und werden gut leben . « Dann ging es sogleich an das Ausräumen . Die Schwestern fingen an , die Schreine zu leeren , die da standen , der Vater trug selber manches Frauenkleiderstück , das ihm in die Hände kam , hinaus , der Hirtenbube Thomas , der jetzt mein Pferdeknecht ist , und den der Vater damals hatte , daß er als Bube in der kleinen Wirtschaft helfe , kam auch gegen Abend nach Hause und half mit . Es wurde der große Schrein , der immer seit Menschengedenken in dem Gemache gestanden war und den größten Teil desselben eingenommen hatte , mit dem Beistande des Thomas , des Vaters , der Schwestern und mit meiner eigenen Hülfe hinausgebracht , der Tisch , der in dem größeren Zimmer stand , wurde hereingestellt , daß ich darauf schreiben könnte , der Vater wollte sich derweil , bis ein neuer verfertigt würde , mit einem anderen zum Essen behelfen , der bisher immer in dem Vorhause gestanden war und zusammen zu fallen drohte – ein Kästchen , das in der großen Stube bisher gedient hatte , daß Nägel , Bohrer und dergleichen darin lagen , wurde in das Gemach gestellt , damit ich meine Fläschchen mit den Arzneien , wenn sie ankämen , hinein tun könnte – Lucia hatte unterdessen auch ein Weib aus den unteren Häusern herauf geholt , und man fing an , den Fußboden zu waschen und zu scheuern . – – Mitten unter diesem Getreibe wurde ich zu meinem ersten Kranken gerufen . Der Knecht des Meilhauer lag schon mehrere Tage darnieder , und alles , was ihm die Hausleute und die Bekannten rieten , hatte nicht helfen wollen . Man hatte gehört , daß ich heute nachmittag gekommen sei , und schickte einen Boten herauf , daß ich kommen und helfen möchte . Ich machte mich auf und ging den Weg , der gar nicht kurz ist , durch den Wald , durch den Thaugrund , durch die Weidebrüche und die ebenen Felder hinunter . Es brannten schon die Lichter , als ich anlangte . Der Mann , der im Bette lag , hatte ein Fieber , das er durch starke Verkühlungen sich zugezogen hatte . Ich konnte nicht wirksam eingehen , weil ich meine Notwendigkeiten , die mir dienen sollten , noch nicht hatte , aber ich tat mit Wasser , mit Umschlägen , mit Wärme- und Kälteverhältnissen und mit Vorschrift für die Nahrung alles , was ich tun konnte . Die Menschen standen alle herum und schauten mich an , weil sie noch nie einen Arzt gesehen hatten . Da der helle Sternenschein an dem Himmel stand und ganz leichte Nebel um die Gründe woben , ging ich nach Hause . Über die frischen Höhen hin stand die feuchte Nachtluft des Waldes , die ich schon wieder entwöhnt war , weil in der Stadt eine trockene und staubige geherrscht hatte . Sonst war es aber warm genug ; denn die Zeit ging noch kaum gegen Anfang des Herbstes . Da ich wieder in unsere Hütte kam , brannte eben falls auf der Leuchte ein lustiges Feuer , welches die ganze große Stube taghell erleuchtete . Als ich eintrat , wurde eine Kerze angezündet . Katharina führte mich , da sie dieselbe trug , in mein Zimmer und zeigte mir dessen Einrichtung . Wo der große Kasten gestanden war , war jetzt recht viel Raum , und das Zimmer schien selber viel größer , als es sonst gewesen war . Auf der Stelle des Kastens stand jetzt ein Bett – schneeweiße Tücher waren über dasselbe gespannt , und es harrte auf mich , um in der Nacht meine ermüdeten Glieder aufzunehmen . Der Tisch , den man mir gegeben , war ebenfalls schneeweiß gescheuert , und auf dem Fußboden knisterte der Sand , den man in der Feuchte einstweilen aufgestreut hatte . Die beiden Fenster waren offen , in dem großen Ofen brannte ein Feuer , damit das ganze Gemach lüfte und trockne . Ich dankte Katharina , sagte , es sei recht schön , und ging wieder in die größere Stabe hinaus . Der Vater fragte mich , weil bei uns alle Leute sich kennen und Anteil an einander nehmen , wie es dem Knechte des Meilhauer gehe . Ich sagte , daß das Fieber entzündlich sei , daß ich jetzt noch nicht viel sagen könne , daß ich morgen schon sehen werde , und daß ich hoffe , ihn bald heraus zu bringen . » Tue das , Sohn , « antwortete der Vater , » tue das . « Den gebrechlichen Tisch , der in dem Vorhause war , hatte man in die Stube herein gebracht , und er stand mit weißen Tüchern aufgedeckt und mit Tellern und Eßbestecken beladen da . Daß er nicht breche , hatte man an den einen Fuß , der der schlechteste war , einen Stab angebunden , der die Tafel stützte . Nun wurde das Abendmahl aufgetragen , und wir setzten uns alle dazu . Es war sogar eine Flasche Wein da , die der Vater neulich , da er wohl meine Ankunft , aber nicht den Tag wußte , zur Feier derselben nach Hause gebracht hatte , da er auf dem Lande draußen gewesen war . Als das Mahl verzehrt und der Wein getrunken war , begaben wir uns alle zur Ruhe . Die Schwestern hatten rückwärts ein Kämmerlein , das gegen den Garten hinausging , und in dem die zwei Betten standen und ein Kasten , in den sie ihren Putz oder etwa andere Schätze taten , die sie gelegentlich bekamen . Der Bube Thomas ging in das Heu , und der Vater legte sich in das Ehebette , das in der großen Stube stand , und aus dem ihm die Gattin schon längstens , daß ich mich ihrer kaum mehr entsinne , weggestorben war . Ich schloß meine zwei Fenster , schürte im Ofen die noch übrige Glut auseinander , daß es nicht zu warm werde , und bat Gott , da ich mich zum ersten Male in mein Bett niederlegte , daß er mein hiesiges Wirken segnen wolle . Am andern Morgen frühe ging ich zu dem Knechte des Meilhauer hinab . Als ich wieder zurück kam , waren an meinem Fenster zwei sehr schöne , weiße Vorhänge , die gestern noch nicht gewesen waren , und die Katharina aus irgendeinem schönen Linnen gemacht hatte . Ich freute mich darüber und dankte ihr sehr . Es warteten bereits wieder viele Leute , die in verschiedenen Dingen meinen Rat und meine Hülfe verlangten . Ich redete recht freundlich mit ihnen und nahm die kleine Gabe , die sie darboten , an . Ich hatte jedes einzeln in mein Gemach kommen lassen , auf dessen Tische noch nicht einmal ein einziges Blatt Papier lag , sondern nur mein Stock und mein Barett . Der Vater hatte viele Freude und ging mit einem sonnenscheinhellen Gesichte in dem Hause herum . Bei den Schwestern schien es auch , als hätten sie schönere Gewänder an , als ich es sonst an ihnen zu sehen gewohnt war . Nachmittag bestellte ich bei dem Schreiner , der nicht weit von uns wohnte , einen Tisch , das erste , was ich aus meinem Erwerbe anschaffen und aufbauen lassen wollte : dann ging ich zu jenen Kranken , die Vormittag nicht zu mir hatten kommen können , sondern nur die Bitte geschickt hatten , daß ich sie besuchen möchte . So ging es nun fort . Nach einigen Tagen kamen die Kisten , die ich in Prag mit Dingen meines Berufes gefüllt und einem Fuhrmanne empfohlen hatte . Ich packte sie aus und richtete mein Zimmer damit ein . Es war recht schön ; die Fläschchen standen in dem Kästchen , und auch außer demselben auf dem Tische herum – die anderen Sachen kamen in Laden des Kastens oder des Tisches , bis der Arzneischrein fertig wäre , den ich mir wollte machen lassen , und zu dem ich schon die Zeichnungen angefangen hatte . Die Bücher wurden außen auf dem Kasten aufgestellt , und auf den Tisch wurde Papier zum Schreiben getan und Tinte und Federn , daß ich mir aufzeichnen konnte , was ich jedem Kranken gegeben habe und wie ich bisher mit ihm verfahren sei , daß ich nicht irre und Unheil anrichte . Nachmittag schien die Sonne recht freundlich in das Gemach , ich zog die Vorhänge zu , wenn ich nach Hause kam , und dann war es dämmerig und lieb um alle Dinge , weil weiße Vorhänge das Licht nicht brechen , sondern bloß milder machen ; nur daß doch hie und da ein Sonnenstrahl hereinbrach und einen Blitz auf den weißen Boden legte . Die Zimmerwände waren zwar nur von Holz , aber sie waren nach innen sehr gut gefügt und an einigen Stellen mit Schnitzwerk versehen . Gegen hinten zu war eine Bank , die an der Wand und an dem Ofen hin lief , und alles war recht reinlich und klar . Auch die äußere Stube und die andern Räume der Hütte hielten die Schwestern viel reiner , als das alles sonst gewesen war . Das Holz um die Hütte herum , das schon im Sommer für das Bedürfnis des Winters nach und nach gesammelt wurde , war immer sehr genau geschlichtet , und die Gasse war alle Tage gekehrt . Lucia , die eine gute Köchin zu sein vermeinte , brachte bessere Gerichte auf den Tisch , zu denen auch ich bereits einen Teil beizutragen im Stande war . Der Knecht des Meilhauerbauers ist in zwei Wochen gesund geworden , er ist an einem Sonntage zu mir heraufgekommen und hat mir von seinem Lohne ein wenig Geld geben wollen , ich habe es aber nicht angenommen , in Anbetracht , daß er ein Knecht ist . Damals war es in der Gegend nicht so , wie es jetzt ist , obwohl nur wenige Jahre vergangen sind . Die Veränderungen sind dennoch bedeutend gewesen . Es mochte sich einst ein großer , undurchdringlicher Wald über alle die Berge und Täler ausgebreitet haben , die jetzt meine Heimat sind . Nach und nach hat sich die eine und andere Stelle gelichtet , je nachdem entweder ein mächtiger Kriegsfürst oder anderer Herr große Stücke Eigentum in dem Walde erhalten und Leute hin geschickt hat , daß sie an Stellen , die sehr bequem lagen , Holz fällen und aufschlichten sollen , damit er aus seinem Besitze Nutzen ziehe – oder ein armer Mann um weniges Geld in der Wildnis sich einen Platz gekauft hat , den er reutete , auf dem er sich anbaute , und von dem er lebte , – oder ein Teerbrenner , ein Pechhändler die Erlaubnis erhielt , an abgelegenen Orten , die sich kaum durch Jagd oder sonst etwas nutzbar machen konnten , seine Beschäftigung zu i treiben , wo er sich dann anbaute und verblieb , – oder einem Wildschützen , einem Wanderer , einem Vertriebenen ein Plätzchen gefiel , an dem er sich ansiedelte , und von dem aus er wirkte . Es soll auch einen Mann gegeben haben , der eine Wünschelrute besaß , mit der er Metalle und Wasser in der Erde entdecken konnte ; er ist aber sehr arm geblieben , und nachdem sie ihn draußen hatten steinigen wollen , ist er in die fernste Tiefe des Waldes entflohen . Von ihm soll sich der Anfang der oberen Brentenhäuser herschreiben . Alle diese , die sich an vereinzelten Stellen des Waldes befanden , oder wenigstens viele von ihnen hatten Nachkommen , die sich nicht weit von den Eltern ansässig machten , und so mag es gekommen sein , daß die verschiedenen Häuser oder Orte , die an den einzelnen Hügeln des Waldes zerstreut liegen , entstanden sind . Es wird wohl ein jeder , der sich eine Hütte baute , die tieferen Orte des Waldes , die feucht und dumpfig sind , gemieden und sich einen höhern , luftigen ausgesucht haben . Dort lichtete er den Wald um die Hütte , legte sich eine Wiese an , davon er ein paar Rinder nährte , ließ seine Ziegen und Lämmer in das Gesträuche des Waldes gehen , und machte sich wohl auch ein Feld und ein Gärtchen , das er bearbeitete . Daher kam es , daß jetzt so gerne die Waldhäuser , schier jedes allein , auf einem Hügel liegen , und von Hügel zu Hügel , von grünem Abhange zu Abhange auf einander hinüber grüßen . Sie sind alle aus Holz gebaut und haben flache Bretterdächer , auf denen die großen , grauen Steine liegen . Wenn man auf einem Berge steht , sieht man die Fenster dieser Häuser glänzen , und wenn man tief in den Wald zurückgeht und auf einen Kamm steigt , von dem man die Häuser nicht mehr sehen kann , so steigen von verschiedenen Stellen aus der Dämmerfarbe des Waldes Rauchsäulen auf , die ihre Lage bezeichnen . So eine Hütte war auch die meines Vaters , sie lag ziemlich weit von dem Dunkel der Tannen , gute Wiesen gingen gegen sie her , und von ihr streckte sich ein grüner Hang hinab , der sehr feucht war , aber mit einem Grün prangte , das den Schein des Smaragdsteines erreichte . Hinter der Hütte war ein Garten , in welchem Gemüse wuchsen und sogar einige Blumen gezogen wurden . Während ich in Prag war , hatte der Vater auch auf dem trockenen Grunde ein Feld bereitet , das der Bube Thomas mit Hülfe der Schwestern besorgte . So war es genau noch , als ich nach der Beendigung meiner Wissenschaften in meine Heimat zurückkehrte . Von dem hinteren hohen Walde , der noch in der ursprünglichen Schönheit und Unentworrenheit prangte , ging ein angenehmer Waldwinkel herum , es blickte schon hie und da ein hellgrüner Fleck , und wenn Ernte war , ein goldener aus der finstern Farbe des Waldes hervor , die Flecke wurden immer mehr , je weiter man gegen das Land hinaus kam , bis endlich , wo es ebener wurde , wallende Felder gingen , mancher Kirchturm schimmerte und glänzte , und sich nur schmale Streifen vom Gehölze dahin zogen . In dem Waldwinkel , weil er sich sehr günstig bog und sich gegen die Sonne lehnte , war es im Sommer sehr warm , ja oft heißer , als man es sich denken kann , aber im Winter auch sehr kalt , es war hoher Schnee und ein Gestöber , wie man es sich ebenfalls nicht zu denken vermag . In jedem Tale und in jeder Krümme des Waldlandes zog und rauschte ein Bächlein , und floß zwischen den Gebüschen , die in dem Talgrunde und in den Rinnen standen , wie warme , feuchte Waldluft , bis draußen , wo die Getreide begannen , breite Bäche flossen , ein Fluß wandelte und eine trockne Luft über die Felder und die Häuser der Menschen ging . Die Waldbewohner nannten jenen fruchtbaren Strich nur immer das › Land draußen ‹ . Da ich , um mein Amt auszuüben , nach Hause kam , hatte sich der Anbau der Felder schon viel näher und unterbrechender in die Wälder herein gezogen , allein in der Gegend , wo das Haus meines Vaters lag , breitete sich noch immer viel weiter das Dunkel und Dämmer des Waldes aus , als der Schimmer und der Glanz des Getreides . Aber etwas anderes hatte sich verbessert , dessen Nutzen ich sehr bald , als ich mich in der Gegend aufhielt , empfinden lernte . Es waren , da ich als Knabe fortzog , schier keine anderen Wege als nur Fußwege durch die Gehölze und auf den Höhen herum . Wo man fahren konnte , hatte sich der Weg nur durch Gewohnheit gebildet , indem man nämlich die Gründe , wo ein Wagen gehen konnte , benützte , und sich so die Gleise bildeten , auf denen dann in der Zukunft die Wägen sich folgten . Aber da der Boden der Gleise ungleich dicht war , entstanden Gruben und Vertiefungen , welche das Fahren zu einer schweren Arbeit machten , wenn man Holz oder etwas anderes nach Hause zu schaffen hatte . Daß man sich auf einen Wagen setzen und sich auf demselben fortfahren lassen könne , bloß zu dem Behufe , daß man nicht gehen dürfe , davon hatten die Waldbewohner keinen Begriff . Es wäre auch beschwerlicher und viel langsamer gewesen als das Gehen ; sie setzten sich nur auf einen Wagen , wenn derselbe zufällig leer war , um etwas fahr , und hauptsächlich auf einem schmalen , von Gestrüpp begrenzten und morastigen Wege ging , daß man nicht an seiner Seite her gehen konnte . Dann saß derjenige , der das Gespann lenkte , fast stehend auf dem obersten Rande der Leiter oder des Brettes , das den Wagen schloß , und ließ sich hin und her wiegen , wenn die Räder in Groben nieder gingen oder aus denselben empor stiegen . Die Bewohner der Ebene aber hatten in der Zeit , durch das Beispiel und die Belehrungen eines Mannes angeregt , der unter ihnen große Besitzungen hatte , angefangen , ganz ordentliche Straßen zu bauen , wie man sie immer in den Ländern sieht , wo die Fuhrleute fahren und die Waren gehen . Sie bauten diese Straßen nicht etwa bloß von Ort zu Ort , sondern , da sie den Nutzen derselben einsehen lernten selbst in die Felder und wo überhaupt öfter ein beladener Wagen zu gehen hat . Die Schönheit dieses Dinges lenkte die Augen auf sich . Die Waldleute , da sie öfter hinauskamen und sahen , wie die Wägen auf den breiten , festen und fast gewölbten Fahrbahnen dahin rollten , als ob die Tiere ledig gingen , freuten sich darüber , und bauten zwar im Gebirge keine Straßen , weil sie sagten , das geht bei uns nicht , aber sie warfen doch in die Gruben ihrer Wege Steine , ebneten die Oberfläche , räumten manches Gestrüppe weg , daß neben den Gleisen ein Fußweg wurde , und konnten den Morast auf ihren Wegen nicht mehr leiden , oder daß sich irgendein Bach eine Strecke des Weges zum Rinnsale erkor . Da sie bald sahen , welche große Beschwerde im Fahren sie dadurch beseitigten , und welche Mühsal nun aufgehört habe , da sie auch bald merkten , welche Ersparung an Zeit , Zugvieh und Wagengeschirr eingetreten war : blieben sie bei der einmal angefangenen Weise , und besserten immer auch die kleinste schadhafte Stelle , die sich zeigte , sogleich wieder aus . Ich hatte eine große Freude , wenn ich so meines Weges zu einem Menschen ging , der sehnsüchtig nach mir verlangte , und mir ein Landmann begegnete , der einige Steine auf seinem leeren Wagen hatte , mit dem er von dem Felde nach Hause fuhr , welche Steine er auf dem Felde oder auf dem steinigten Raine desselben aufgeladen hatte , damit er sie in irgendeine Vertiefung werfe , die er auf dem Wege bemerkt hatte . Ich sah auch schon den langstieligen Hammer , den er mit führte , daß er die größeren , die sich nicht fügen wollten , zerschlage und damit die kleineren Unebenheiten verquicke . Durch diese Reinlichkeit in ihren Wegen und durch den strengeren Sinn , der sich nunmehr dafür kund gab , wurden sie aber auch weiter geführt . Mancher fing an , sein Haus und dessen Umgebungen reiner zu halten als sonst , hie und da entstand eine steinerne , weißgetünchte Wand statt der früheren hölzernen , an Sonntagen zeigten sich manche nettere und schmuckere Gewänder , und wenn die Zither klang , so wurden zwar keine neuen Weisen , denn diese blieben in Jahrhunderten fort immer dieselben , aber die alten wurden lieblicher und freundlicher gespielt . In diesem Zustande fand ich die Dinge , als ich in meiner Heimat ankam , um meine Tätigkeit zu beginnen . Es kamen immer mehr Leute , die von mir Rat und Hülfe verlangten . Ich sprach mit allen sehr freundlich , und wenn ich auf meinen vielen Gängen vor manchem Hause oder mancher Hütte vorbei kam , wo ich bekannt war , entweder noch von meiner Kinderzeit her , oder weil ich ihnen jetzt schon einen Dienst zu leisten im Stande gewesen war , ging ich hinein und redete mit ihnen entweder von ihren eigenen Angelegenheiten , oder von andern verschiedenen Dingen . Oftmal saß ich in der Abendsonne auf der Bank vor einem Hause , und sprach oder spielte mit den Kindern , und ging dann , wenn der Himmel recht schön golden war , von den vielen Bäumen begrüßt und von dem langsamen Sausen der Föhrennadeln begleitet , durch den Kirmwald nach Hause . Die Gebirgsbewohner sind sehr verständig , und meistens sind sie auch heitere , umgangswürdige Leute . Ich war wohl noch sehr jung , fast bei weitem zu jung für einen Arzt ; aber sie hatten als zu einem Landeskinde Zutrauen zu mir und fragten mich zuweilen auch bei anderen Dingen als bei Krankheiten um Rat . Ich gewann die Gegend allgemach immer lieber , und wie ich mich früher manchmal aus der Stadt in den Wald gesehnt hatte , so war es auch jetzt wieder gut , wenn ich von Pirling , was doch nicht gar weit ist , oder von Gurfeld , von Rohren , von Tanberg , wohin ich öfter gerufen wurde , nach Hause fuhr und das Grün der Tannen wieder von den Höhen herab grüßte , manches Bächlein , das zwischen den Waldklemmen ging , mir rauschend entgegen sprang , mancher Birkenstamm von den Bergen leuchtete , mancher dorrende Holzklotz am Wege lag , weil man hier nicht besonders darauf zu achten hat , und manche Baumversammlung sich immer dichter folgend an dem Wege stand , die wehenden Äste oberhalb hinüber streckend und unten an einem Stamme irgendein Bildchen enthaltend . Wenn ich von den schönen , fast gerade laufenden Straßen der Ebene hereinkam , war es mir wie ein gutes Heimatgefühl und tat mir beinahe wohl , wenn sie abbrachen und unsere schmalen , krummen , hin und her gehenden Wege anfingen , auf denen man langsamer fahren mußte . Weil ich gleich in dem ersten Herbste zu sehr vielen Leuten gerufen wurde , die weit auseinanderlagen , daß ich es mit Gehen nicht erzwingen konnte , und weil die Fuhrwerke in den Bergen nicht zu haben sind , oder selber auf den Feldern zu tun haben , oder zu meinem Zwecke nicht taugten , kaufte ich mir selber ein Pferd , ließ in Pirling ein Wägelchen machen , und gedachte , mich in Zukunft dieser Dinge zu bedienen . Ich hatte noch im späten Herbste , da die Erde schon gefroren war , angefangen , an unsere Hütte noch einen schönen Stall aus guter doppelter Bretterverschalung bauen zu lassen , deren Zwischenraum ich zuerst mit Moos ausfüllte . Hinten wurde auch noch ein kleines Hüttchen aufgeführt , darin das Wägelchen stand und noch ein schmaler Schlitten Platz hatte , den ich ebenfalls zu bauen im Begriffe war . Der Wirt am Rothberge hatte einen Goldfuchs . – Wie gerne war ich oft dort gesessen , wo der rötliche Stein aus der Erde hervorgeht , der Bach mit lebendigem Lärmen zwischen den Bergen herausrauscht , und drüben das Haus mit den vielen Fenstern herüberschaut , wenn ich müde von dem vielen Herumgehen in den Krümmungen der Waldgräben herauskam , den Stock und das Barett neben mir an den Stein legte , um mich auf einen ersehnten Trunk abzukühlen und mir die stattliche und behagliche Wirtschaft zu betrachten . Die Brettersäge kreischte hinten in dem Tale , der Bach sprudelte schneeweiß zwischen den schwarzen Waldsteinen hervor , der Platz vor dem Wirtshause war so geräumig , mehrere Bänke liefen an der Wand hin , und Leute gingen in dem Hause aus und ein , um Geschäfte zu tun . Wie oft lag der glänzendste Sonnenschein auf der Wirtsgasse , an der der schönste Fahrweg des Waldes vorbeiging , und beleuchtete die vielen Fenster , die auf den Weg hinaus schauten . Wie oft aber stand auch die Sonne schon tief , machte die Holzverzierungen an dem Wirtshause , die Bänke und die Ranken , die an der Wand hinauf gingen , rot , und legte sich schief gegen den Waldrücken hinüber , daß er einen langen Schatten auf den Rothberg warf , an dem sich die Waldhäuser wie graue Punkte hinunter zogen . Dann ging ich , wenn ich mir alles betrachtet hatte , wenn die Hitze des Körpers vergangen war , und wenn die müden Füße ein wenig erquickt waren , über den Steg , trat auf die Gasse des Wirtshauses und trank mein Glas , das man mir heraus gebracht hatte , denn gewöhnlich sah man mich auf meinem Stein schon sitzen und richtete das , was ich brauchte , zurecht . Dann redete ich ein wenig mit Martin , dem Wirte , wenn er nicht etwa zufällig abwesend war , oder mit einem Gaste , oder mit sonst jemanden aus dem Hause . Wenn Sonntag war und die Nachmittagsgäste die Gasse füllten , saß Josepha , die Tochter des Wirtes , gerne auf dem Wiesenhange hinten , wo ein kleines Hügelchen ist , auf dem ein Apfelbaum steht , und ein Hüttchen , Tischchen und Bänklein ist , und spielte die Zither . Sie spielte sehr gut . Gewöhnlich standen ein paar Mädchen aus der Nachbarschaft bei ihr , und es trödelten ein paar Kinder zu ihren Füßen . Des Abends , manchmal auch in ganz finsterer Nacht , manchmal im Nachmittage , wenn es noch heiß war , ging ich dann an dem Buchenbestande durch das Tal des Haidgrabens zum Waldhange hinauf , wo unser Häuschen stand . – Wir redeten öfter , nämlich Martin und ich , daß es auf die Länge der Zeit nicht so dauern könne , wenn ich auf allen Wegen , die mich zu meinen Kranken führen , zu Fuße gehen sollte , daß die Mühsal endlich zu groß werde , ja daß sie immer wachse , wenn meine Arbeit sich ausdehne und Leute in allen Richtungen um Beistand verlangen . Es ist auch eine strenge Pflicht , daß man ihnen den Beistand leiste , und wenn man zu Fuße geht , kann man nicht so viel des Tags verrichten , als etwa not täte , und wenn die Hülfe schleunig geleistet werden solle , kann man leicht später kommen , als sie noch fruchtet . Er sagte öfter , ich solle mir ein Wägelchen und ein Pferd anschaffen , und in den Wegen , wo es leicht gehe , fahren ; es blieben noch genug Pfade übrig , die ich doch zuletzt zu Fuße wandeln oder erklimmen müsse . Ich antwortete ihm darauf , daß ich in unserer Hütte noch keinen Platz habe , um ein Pferd und ein Wägelchen unterbringen zu können , und daß ich daher noch eine Weile warten müsse . Aber mit der Zeit , setzte ich hinzu , wenn mich Gott segnet und die Leute mir vertrauen , werde ich es schon tun , und es ist meine Schuldigkeit , daß ich es tue , damit ich in größerer Entfernung und schleuniger wirken könne . » Ach unser Doktor « , sagte der Josikrämer , der einmal zufällig bei einem solchen Gespräche zugegen war , » geht schon noch eine Weile , er ist jung und gerüstet . Wenn ich mit meinem Packe auf allen Wegen bin , so sehe ich ihn auch , wie er durch den Wald oder in den Feldern geht und seinen Stock in den Sand stößt . « » Ja , das Gehen durch Wald und Feld ist schön , « antwortete ich , » man kann nicht begreifen , wenn man in einer Stadt ist , daß es dort Leute gibt , die immer in der Stube sitzen , oder durch ihren Beruf in einem Laden oder Gewölbe gehalten werden , und nur des Abends unter ein paar schlechte Bäume gehen , und sagen , daß sie sich da erholen und Luft genießen . Aber wenn man von der Hast getrieben wird , wie etwa ein Mittel , das man gab , gewirkt haben mag , wenn man nicht weiß , wie viel schlechter der wird , der einen rufen ließ , derweil man durch Wald und Feld geht , und wenn noch einer wartet , der weit droben , jenseits der entgegengesetzt liegenden Höhen wohnt , und wenn man nach Hause kömmt , einen weglassen mußte , der doch auch vielleicht heute gehofft hatte , daß man komme , und wenn man denkt : hast du auch alles recht gemacht , du mußt gleich in den Büchern nachsehen ; dann ist das Gehen zuweilen doch sauer , und ein ermüdeter Körper ist auch nicht so verständig , als ein ausgeruhter und rüstiger . Aber es tut nichts , es tut nichts , es geht schon noch eine Weile , wie Ihr gesagt habt , ich werde nicht müde – und oft ist ja ein Stein , ein umgestürzter Baumstrunk , ein Blick über alle die blauen Wälder in Weite und Breite – und dann geht es schon wieder . Wißt Ihr , Josi , wie wir selber einmal bei einander gesessen sind , Ihr mit Eurem Packe , und wie Ihr mir erzählt habt ? Auch ist ja der Drang nicht immer gleich stark . Vor zwei Wochen war die Gesundheit so gesegnet , daß ich eine Freude hatte , es blühte alles rund herum , daß ich Zeit hatte , an Dingen , die ich machen lassen wollte , zu zeichnen , daß ich , wo sie schon etwas arbeiteten , dabei stehen und zuschauen konnte , ferner , daß ich an Gehen so Not litt , daß ich mehrere Stunden lang spazieren ging , am öftersten hinauf in das Eichenhag , wißt Ihr , wo die gar so schönen Stämme stehen , ich glaube , die schönsten in unserer ganzen Gegend . – Am Rande des Hages wäre ein Platz zu einer Ansiedlung , der ausgezeichnetste Platz , wenn man die Fenster gegen die Felder hinab richtete , wo jetzt der Meierbacher reuten läßt , und gegen den Waldhang , wo unser Haus ist , und weiter weg gegen die Felder , die jenseits unseres Hauses am Mitterwege gegen die Dürrschnäbel und den Kirmwald hinauf gehen . « So sprach ich damals im allgemeinen , und die Männer gaben mir ungefähr recht . Den Goldfuchs , welchen der Rothberger Wirt hatte , kannte ich sehr wohl . Ich war in der ersten Zeit einige Male mit ihm gefahren , und später , da sich meine Tätigkeit ausbreitete , und wenn mich größere Entfernungen verlangten , hatte ich den Buben Thomas hinabschicken müssen , daß der Vetter Martin den Fuchs in Bereitschaft hielte . Wir nannten ihn immer Vetter , weil er wohl ein Verwandter von uns war , aber in solcher Entfernung , daß dieselbe niemand mehr angeben konnte . Mein Vater war immer erfreut , wenn ihn der Wirt Vetter nannte , und jetzt schien es mir , daß der Wirt es nicht ungern sehe , wenn ich ihn mit Vetter anredete . Als der kleine Stall fertig war , den ich im Herbste zu bauen angefangen hatte , ging ich zu Vetter Martin hinab und redete mit ihm , ob er mir den Goldfuchs zu kaufen überlassen wolle . Da er gerade nichts dagegen hatte und wir über den Preis einig geworden waren , wurde der Fuchs samt allem Geschirre , das zu ihm gehörte , von einem Knechte sogleich in den Waldhang in den neuen Stall hinauf geführt . In kurzer Frist darauf kam auch das Wägelchen aus Pirling in die Hütte , die dafür an unser Häuschen angebaut worden war , und so hatte ich nun Wagen und Pferd , mit denen ich jetzt selber und ganz allein in den Gebirgswegen herum fuhr , deren Verbesserung ich erst jetzt recht erkannte . Den Wagen richtete ich so ein , daß ich meine Bücher , meine Werkzeuge und selbst andere Dinge , die ich etwa brauchte , darin unterbringen konnte . Mitten darin saß ich und fuhr . Da ler Schnee erschien und sich in den Wegen hielt , wurde ler Schlitten hergerichtet . Wie oft , wenn ich in dem ersten Winter nach Hause kam , wenn ein rechtes Gestöber war und den Schnee , hoch wie Häuser , in den Waldlehnen zusammenjagte , oder wenn eine große Kälte war und die Sterne so scharf am Himmel standen , als wäre ihr Glanz selber fest zusammen gefroren , stand schon der Bube Thomas , wenn er meine Schellen hörte , vor der Tür der Hütte , und nahm mir das Pferd ab , den guten Fuchs , um es erst ein wenig um die Hütte herum zu führen und dann in den Stall zu tun . Die Schwester Katharina nahm mir , wenn ich in die Stube trat , in der ler hellste Glanz von der lodernden Leuchte her herrschte und die sanfteste Wärme von dem Ofen ging , den Pelz ab , in dem Eis oder Schnee hing , zündete Kerzen an und führte mich in mein Zimmer , in dessen Ofen auch die Tannenscheite krachten , oder ein nachgelegter Buchenstock langsam in wärmeverbreitende Glut zerfiel . Ich hatte nämlich in den Ofen von innen eine große Tür brechen lassen , und damit ich das Feuer sähe , das ich so liebe , dieselbe mit einem feinen Metallgitter zu schließen eingerichtet . Lucia kochte , und der Vater ging in dem knarrenden Schnee um die Hütte herum in die Wagenlaube , und brachte die Sachen herein , die in den Schlitten gepackt gewesen waren . Ich tat die Kleider ab , legte ein bequemes Hausgewand an , und saß unter de Meinen . Meine Wirksamkeit breitete sich immer mehr und mehr aus . Ich nahm die kleinen Gaben , welche die Leute gebe konnten , an ; von den Armen nahm ich gar nichts , außer es war irgendein Kleines , von dem ich wußte , daß e ihnen nicht abgehe , und daß die Zurückweisung sie kränken würde . Von den Reichen forderte ich mehr : und wie unbemerkt die Dinge flossen , so war doch Gottes : Segen dabei , und die Wohlhabenheit mehrte sich immer mehr . Im Frühlinge konnte ich schon von Allerb ein gutes Stück Grund und Feld kaufen , das unter unserer Hütte lag , und wenn man von dem Hange hinab kömmt , recht schön eben fort läuft . Weil es dort unten viel wärmer und von Winden gesicherter ist , weil der Boden nach oben sich hin breitet , und lieblich hie und da manche Bäume stehen , wollte ich ein Haus dahin bauen , in welchem ich alle meine Lebenszeit zu wohnen beschloß . Ich hatte den ganzen Winter daran gezeichnet , um mein Vorhaben recht klar und reinlich darzustellen und es dem Baumeister begreiflich machen zu können . Ich konnte ebenfalls im Frühjahre den Bau schon ein wenig beginnen , in so ferne die Räume bestimmt und Baubedürfnisse herbeigeschafft wurden . Ich wollte dem Vater und den Schwestern mehrere recht schöne Stübchen herrichten lassen . Der Gregordubs hatte zwei Füllen , welche im Alter nur um wenige Tage verschieden waren , und welche so gleichmäßig schwarz waren , daß keines auch nicht ein einziges weißes Härchen besaß . Freilich war die Farbe in der noch etwas vorherrschenden Wolle noch nicht anders als dunkel graubraun , aber sie zeigten , daß sie glänzendschwarze Pferde werden würden . Ich kaufte ihm die Füllen ab , und wollte sie mir recht vorzüglich für meine Zukunft erziehen . Ich nahm außer dem Buben Thomas noch einen Gehülfen für ihn auf , und beide mußten mir auf die Füllen sehen , aber die Ernährung und das sonstige Verfahren mit ihnen befahl ich selber an . Für den Sommer wurde noch ein Notstall für sie erbaut , und für den Winter würde ich schon sehen , was zu tun sei . Der Bau konnte im Sommer schon sehr gefördert werden . Ich wollte im Zusammenhange mit dem ganzen Plane doch zuerst eine Stube für mich vollständig fertig haben , daß ich noch im Winter darin wohnen könnte , dann einen Stall , worin zuerst die drei Pferde in Sicherheit wären , eine Hütte für Wagen und Schlitten , und dann jene Räume , die zu diesen Dingen noch notwendig wären . Die Einrichtung war im Herbste schon fertig . Aber ehe der Winter einbrach , starb der Vater und starben die zwei Schwestern . Ich hatte ihnen nicht helfen können , wie sehr ich gewollt . Die gute Katharina war die letzte gewesen . Die Hütte stand nun allein . Ich konnte sie nicht ansehen und die Schwelle nicht überschreiten . Obwohl ich wußte , daß die Mauern noch feucht waren , und obwohl ich wußte , daß die feuchten Mauern schädlich sein können , ließ ich doch alle meine Sachen von der Hütte in die fertige Stube herab bringen , um da zu wohnen . Ich ließ die drei Pferde in den neugebauten Stall führen , der Knecht Thomas mußte mit herab , der andere blieb in der Hütte , um die Kühe zu versorgen , die noch da waren , und das Kalb , welches wir aufzuziehen angefangen hatten . Ich hätte sie verkaufen sollen , man redete mich darum an , aber ich konnte sie nicht weg tun . Ein Weib , welches uns kochen sollte , wurde aufgenommen , und schlief in einem Kämmerlein neben der Notküche . Bei Tage , wenn ich aus war , ließ ich in allen Öfen , die schon zu benützen waren , heizen und dazu die Türen und Fenster öffnen . Des Nachts stellte ich überall , wo jemand schlief , auch in den Stall , ein weites Gefäß , in welchem Pottasche war , die wir gerade vorher glühend gemacht und wieder abgekühlt hatten , damit sie die feuchten Dünste , die aus der Mauer kamen , einsaugen möchte . Es ist ein trauriger Winter gewesen . Die Leute in der ganzen Gegend waren recht freundlich und gütig gegen mich , weil ich allein war – und wenn ich nach Hause kam , zündete ich die Kerzen an , und saß in meiner Stabe und schaute in die Bücher , oder schrieb ein , was heute notwendig geworden war . Im Frühjahr fand ich eine Quelle , von der ich dachte , daß sie heilsam sein müsse . Sie enthält Salze , ich versuchte das Wasser und fand , daß Dinge darin seien , welche in den Quellen sind , die man als heilsam bekannt gemacht hatte . Das Bauen wurde im Frühlinge auch wieder begonnen , da die Fröste die Erde verlassen hatten und nicht zu befürchten war , daß wieder einige kommen könnten . Im Herbste war wieder viel mehr fertig als in dem vorigen , und das bereits früher Fertige konnte besser eingerichtet werden . Es war das Haus , wenn gleich Teile fehlten , welche in meiner Zeichnung auf dem Papiere standen , daß sie nach und nach dazu gefügt werden sollten , doch für unkundige Augen so , als wäre es fertig . Wir führten die drei Kühe – denn das Kalb war unterdessen auch eine geworden – von der Hütte herab und nahmen Geräte , die notwendig oder im brauchbaren Zustande waren , mit . Der Knecht , der das Jahr oben gewohnt hatte , kam auch in das Haus herunter . Da dieses geschehen war , ließ ich die Hütte abbrechen . Von dem Schnitzwerke , das in meiner Kammer gewesen war , ließ ich vieles in meinen Stuben , namentlich in meinem Schreibgemache anbringen ; das andere hob ich so auf . Auch manche weitere Dinge , welche mir gefielen , und welche dem Gedächtnisse meiner kindlichen Jahre merkwürdig waren , ließ ich nicht zerbrechen , sondern in mein Haus tragen und an verschiedenen Orten aufstellen . Da die Kälte des Herbstes kam und die Wiesen von dem weißen , schönen Reife starrten , sah man die Hütte nicht mehr ; das Auge ging über den Platz frei weg bis zu dem Walde , der weiter oben anfängt und den weißen Abhang mit seiner schwarzen Farbe schneidet . Nur wer näher gegangen wäre , würde an den Fußtritten , die von denen herrührten , die die Hütte abgetragen hatten , dann an den Verletzungen des Rasens , die er durch das vielfältige Hinwerfen von Balken und Brettern erlitt , und endlich an dem schwarzen Erdflecke , der sich hinbreitete , die Stelle erkannt haben , wo die Hütte gestanden war . Ich hatte die Erde auflockern lassen und warf Grassamen hinein , daß er im künftigen Frühlinge zum Vorschein komme . Die Steine , welche auf dem Dache gelegen waren , und diejenigen , welche den Feuerherd der Küche und der Öfen bildeten , ließ ich zu mir hinab bringen , um sie im nächsten Jahre in meine Gartenmauer einsetzen zu lassen , daß ich sie alle Zukunft vor Augen hätte . So war also jetzt ein ganz anderer Stand der Dinge , als ich gedacht und so lieb gehofft hatte . An demselben Herbste bekam ich auch Ursache , mit dem Wasser , welches ich gefunden hatte , zufrieden zu sein . Es kam im Monate Julius der Inbuchsbauer aus dem oberen Astung zu mir herunter ; er hatte seinen Buben bei sich , der früher die Füllen des Gregordubs gehütet hatte , und bat mich , ich möchte dem Buben an zwei Tagen in der Woche etwas zu Mittag zu essen geben , die andern Tage hätte er schon bei guten Leuten gefunden , und der untere Beringer habe erlaubt , daß er in seinem Heu schlafen dürfe . Die Keum Anna sei recht schlecht gewesen , ihr Fuß habe sich verschlimmert und große Schmerzen gebracht . Da habe sie aus dem Heilwasser , welches im Grundbühel hervorfließe , getrunken , und habe in demselben Wasser , das sie ihr beim Klum gewärmt hätten , den Fuß gebadet , und sei jetzt ganz gesund . Deswegen habe er auch gemeint , daß er den Gottlieb herabführen müsse , daß er herunten bleibe , von dem Wasser trinke und sich in demselben bade , ob es ihn etwa auch herstellen könne . Ich sah den Buben an , und es war schier kein menschlicher Anblick , welche häßliche Wunden an seinem Halse und an seinem Genicke hervorgebrochen waren . Ich kannte den Fall mit der Keum Anna sehr wohl , und sagte , wie es ganz natürlich war , daß ich dem Buben schon die zwei Tage zu Mittage und aber auch zu Abend zu essen geben werde , und daß ich mich auch schon noch weiter um ihn umschauen wolle . Der Inbuchsbauer ist sehr arm . Er ist nur dem Namen nach ein Bauer , der Tat nach ein armer Waldhäusler in der größten Wirrnis des oberen Astungs , ohne Weib und andere Angehörige . Als er sah , daß sein Bube herunten bleiben konnte , ging er mit Trost nach Hause . Ich nahm den jungen Menschen in meine Stube , fragte ihn aus und untersuchte seinen Körper . Der Ekel ist ein seltsames Ding , und er darf nicht gelten und gilt auch nicht , wo wir einem Menschen helfen können , der auch eine Vernunft hat und seinen Schöpfer verehren kann . Ich wusch mir meine Hände , nahm andere Kleider , und ging an der Siller hinunter spazieren . Durch die Bäume klangen recht heiter die Meißelschläge herein , mit denen die Pfosten zu meinen Türen gehauen wurden . Der Bube nahm das Wasser , wie ich es ihm vorgeschrieben hatte . Nach einer Weile sagte ich : » Was wirst du denn zu den verschiedenen Leuten essen gehen , und wer weiß , was sie dir auch geben , das das Wasser und meine Arzeneien wieder zu Grunde richtet . Komme alle Tage zu mir und esse bei mir . « Der Bube dankte recht schön , und kam alle Tage zu mir . Er bekam in einem Kämmerlein , das hinter der Küche lag , und das wir bestimmt hatten , wenn einmal noch ein weiblicher Dienstbote mehr in das Haus käme , daß er dort wohne , ein weiches Tischchen , das der Zimmermann zusammengenagelt hatte , einen weichen Stuhl , und dasjenige zu essen , was ich meinen Leuten vorgeschrieben hatte , daß er bekommen solle . Er besserte sich nun sehr . Gegen den Herbst sagte ich zu ihm : » Es möchte nun bald in dem Heu zu schlafen zu kalt werden , komme ganz zu mir , ich werde dich schon unterbringen . « Wir hatten Räume genug , die nach und nach fertig geworden waren , und die wir nicht brauchten , weil wir unser so wenig waren . Ich suchte eine Kammer aus , die schon im vorigen Jahre getüncht war . Sie lag , wenn man von dem Tore links über den Hof ging , allein , weil die Stube , die daneben entstehen sollte , die gegen den Garten hinausging , und die ich vorhatte mit schönen Tragebalken und anderer Schnitzerei zu verzieren , noch nicht fertig war , und Blöcke und Bretter und Erdhaufen in derselben herum lagen . Die Haushälterin , die alte Maria , richtete einen Strohsack zurechte , gab anderes Bettzeug , das wir nicht brauchten , dazu , und brachte eine Lagerstätte zu Stande , die recht war . Das Gestelle war aus Brettern , die wir hatten , zusammen geschlagen worden . Seinen Stuhl und Tisch bekam er aus dem Kämmerlein , in dem er bis jetzt gegessen hatte , hinüber . In dieser Stube saß er nun , wenn er nicht in der Gegend , wie ich ihm vorgeschrieben hatte , herum ging . Gegen Michaelis , wo es kalt wurde , sagte ich zu ihm , jetzt müsse er mit dem Gebrauche des Wassers aufhören , und auch sonst werden wir bis zum Frühjahre nichts anwenden . Er war , wie ich meinte , vollkommen hergestellt . Die Verletzungen am Halse und am Genicke waren geschlossen , ohne eine Spur zurück zu lassen , und die Augen waren heiterer und glänzender , und die Wangen röteten sich . Sein Vater war zweimal herunten gewesen . Spät im Herbste , da sie meine väterliche Hütte abtrugen , war er wieder da , und wollte den Buben nach Hause nehmen . Ich aber sagte ihm , droben im Astung würde sein Sohn wieder allerlei essen , was ihm schädlich sein könnte , er solle auch im Winter bei mir bleiben , wir wollen schon sorgen , er solle von den vielen Spänen und Splittern , die im Sommer hindurch von den Bäumen , die meine Zimmerleute bearbeitet hatten , abgefallen sind , sich so viel sammeln und aufschlichten , als er wolle , damit er sich in dem grünen Öfelein , das in seiner Kammer stehe , einheizen könne . Der Vater nahm es an . Es ist unglaublich , wie sehr mir beide dankten – und oft , wenn ich in späterer Zeit von meinen Geschäften nach Hause kehrte , sah ich den Buben , wie er sich die Späne an der Mauer seiner Stube und hauptsächlich dort aufrichtete , von woher im Winter der Wind und das Gestöber kommen würden . Ich gab ihm später auch noch eine Truhe in seine Kammer , damit er sich die neuen Hemden und die Kleider , die ich ihm hatte machen lassen , aufbewahren könne . Ich bekam jetzt wieder mehr Leute in mein Haus . Der Bube Thomas pflegte die Pferde , den Fuchs , und die zwei jungen Tiere , die wirklich so schön und glänzend schwarz geworden waren wie Agat , und die , weil sie nicht gerne in dem Stalle blieben , polterten , empor stiegen und Dinge herunter bissen . Die wenigen Stunden , die sie auch im Winter täglich herumgeführt wurden , reichten ihnen doch nicht hin , weil sie im Sommer schier die meiste Zeit im Freien zugebracht hatten . Außer seiner Beschäftigung mit den Pferden arbeitete Thomas noch mancherlei in dem Hause herum . Dann war der Knecht , welcher im vorigen Jahre die Kühe gepflegt hatte . Er grub den ganzen Garten um , der erst hergerichtet wurde , er besorgte mein Holz , nagelte manches an , wenn es irgend wo herunter brach , und tat auch noch andere schwere Arbeit . Die Kühe pflegte er ebenfalls fort . Dann war die Haushälterin Maria , welche die Speisen , die Wäsche , die Kleider , die Zimmerreinigung und dergleichen besorgte , und endlich zwei Mägde , und darunter eine , der ich im vorigen Jahre auch in einer Todeskrankheit geholfen hatte . Wir mußten einen schweren Winter überstehen . So weit die ältesten Menschen zurück denken , war nicht so viel Schnee . Vier Wochen waren wir einmal ganz eingehüllt in ein fortdauerndes graues Gestöber , das oft Wind hatte , oft ein ruhiges , aber dichtes Niederschütten von Flocken war . Die ganze Zeit sahen wir nicht aus . Wenn ich in meinem Zimmer saß und die Kerzen brannten , hörte ich das unablässige Rieseln an den Fenstern , und wenn es licht wurde und die Tageshelle eintrat , sah ich durch meine Fenster nicht auf den Wald hin , der hinter der Hütte stand , die ich hatte abbrechen lassen , sondern es hing die graue , lichte , aber undurchdringliche Schleierwand herab ; in meinem Hofe und in der Nähe des Hauses sah ich nur auf die unmittelbarsten Dinge hinab , wenn etwa ein Balken empor stand , der eine Schneehaube hatte und unendlich kurz geworden war , oder wenn ein langer , weißer , wolliger Wall anzeigte , wo meine im Sommer ausgehauenen Bäume lagen , die ich zum weitern Baue verwenden wollte . Als alles vorüber war und wieder der blaue und klare Winterhimmel über der Menge von Weiß stand , hörten wir oft in der Totenstille , die jetzt eintrat , wenn wir an den Hängen hinunter fuhren , in dem Hochwalde oben ein Krachen , wie die Bäume unter ihrer Last zerbrachen und umstürzten . Leute , welche von dem jenseitigen Lande über die Schneide herüber kamen , sagten , daß in den Berggründen , wo sonst die kleinen , klaren Wässer gehen , so viel Schnee liege , daß die Tanne n von fünfzig Ellen und darüber nur mit den Wipfeln heraus schauen . Wir konnten nur den leichteren Schlitten brauchen – ich hatte nämlich noch einen machen lassen – , der etwas länger , aber schmäler war als der andere . Er fiel wohl öfter um , aber konnte auch leichter durch die Schlachten , welche die Schneewehen bildeten , durchdringen . Ich konnte jetzt nicht mehr allein zur Besorgung meiner Geschäfte herum fahren , weil ich mir mit allen meinen Kräften in vielen Fällen allein nicht helfen konnte . Und es waren mehr Kranke , als es in allen sonstigen Zeiten gegeben hatte . Deswegen fuhr jetzt der Thomas immer mit mir , daß wir uns gegenseitig beistünden , wenn der Weg nicht mehr zu finden war , wenn wir den Fuchs aus dem Schnee , in den er sich verfiel , austreten mußten , oder wenn einer , da es irgendwo ganz unmöglich war durch zu dringen , bei dem Pferde bleiben und der andere zurück gehen und Leute holen mußte , damit sie uns helfen . Es wurde nach dem großen Schneefalle auch so kalt , wie man es je kaum erlebt hatte . Auf einer Seite war es gut ; denn der tiefe Schnee fror so fest , daß man über Stellen und über Schlünde gehen konnte , wo es sonst unmöglich gewesen wäre ; aber auf der andern Seite war es auch schlimm ; denn die Menschen , welche viel gingen , ermüdet wurden und unwissend waren , setzten sich nieder , gaben der süßen Ruhe nach , und wurden dann erfroren gefunden , wie sie noch saßen , wie sie sich nieder gesetzt hatten . Vögel fielen von den Bäumen , und wenn man es sah und sogleich einen in die Hand nahm , war er fest wie eine Kugel , die man werfen konnte . Wenn meine jungen Rappen ausgeführt wurden und von einem Baume oder sonst wo eine Schneeflocke auf ihren Rücken fiel , so schmolz dieselbe nicht , wenn sie nach Hause kamen , wie lebendig und tüchtig und voll von Feuer die Tiere auch waren . Erst im Stalle verlor sich das Weiß und Grau von dem Rücken . Wenn sie ausgeführt wurden , sah ich manchmal den jungen Gottlieb mit gehen und hinter den Tieren her bleiben , wenn sie auf verschiedenen Wegen herum geführt wurden , aber es tut nichts , die Kälte wird ihm nichts anhaben , und er ist ja in den guten Pelz gehüllt , den ich ihm aus meinem alten habe machen lassen . Ich ging oft in die Zimmer der Meinigen hinab , und sah , ob alles in der Ordnung sei , ob sie gehörig Holz zum Heizen haben , ob die Wohnung überall gut geborgen sei , daß nicht auf einen , wenn er vielleicht im Bette sei , der Strom einer kalten Luft gehe und er erkranke ; ich sah auch nach der Speise ; denn bei solcher Kälte ist es nicht einerlei , ob man das oder jenes esse . Dem Gottlieb , der nur mit Spänen heizte , ließ Ich von den dichten Buchenstöcken hinüber legen . Im Eichenhage oben soll ein Knall geschehen sein , der seines Gleichen gar nicht hat . Der Knecht des Beringer sagte , daß einer der schönsten Stämme durch die Kälte von unten bis oben gespalten worden sei , er habe ihn selber gesehen . Der Thomas und ich waren in Pelze und Dinge eingehüllt , daß wir zwei Bündeln , kaum aber Menschen gleich sahen . Dieser Winter , von dem wir dachten , daß er uns viel Wasser bringen würde , endigte endlich mit einer Begebenheit , die wunderbar war , und uns leicht die äußerste Gefahr hätte bringen können ; wenn sie nicht eben gerade so abgelaufen wäre , wie sie ablief . Nach dem vielen Schneefalle und während der Kälte war es immer schön , es war immer blauer Himmel , morgens rauchte es beim Sonnenaufgange von Glanz und Schnee , und nachts war der Himmel dunkel wie sonst nie , und es standen viel mehr Sterne in ihm als zu allen Zeiten . Dies dauerte lange – aber einmal fiel gegen Mittag die Kälte so schnell ab , daß man die Luft bald warm nennen konnte , die reine Bläue des Himmels trübte sich , von der Mittagseite des Waldes kamen an dem Himmel Wolkenballen , gedunsen und fahlblau , in einem milchigen Nebel schwimmend , wie im Sommer , wenn ein Gewitter kommen soll – ein leichtes Windigen hatte sich schon früher gehoben , daß die Fichten seufzten und Ströme Wassers von ihren Ästen niederlassen . Gegen Abend standen die Wälder , die bisher immer bereift und wie in Zucker eingemacht gewesen waren , bereits ganz schwarz in den Mengen des bleichen und wässerigen Schnees da . Wir hatten bange Gefühle , und ich sagte dem Thomas , daß sie abwechselnd nachschauen , daß sie die hinteren Tore im Augenmerk halten sollen , und daß er mich wecke , wenn das Wasser zu viel werden sollte . Ich wurde nicht geweckt , und als ich des Morgens die Augen öffnete , war alles anders , als ich es erwartet hatte . Das Windchen hatte aufgehört , es war so stille , daß sich von der Tanne , die ich keine Büchsenschußlänge von meinem Fenster an meinem Sommerbänkchen stehen sah , keine einzige Nadel rührte ; die blauen und mitunter bleifarbigen Wolkenballen waren nicht mehr an dem Himmel , der dafür in einem stillen Grau unbeweglich stand , welches Grau an keinem Teile der großen Wölbung mehr oder weniger grau war , und an der dunkeln Öffnung der offen stehenden Tür des Heubodens bemerkte ich , daß feiner , aber dichter Regen niederfalle ; allein wie ich auf allen Gegenständen das schillerige Glänzen sah , war es nicht das Lockern oder Sickern des Schnees , der in dem Regen zerfällt , sondern das blasse Glänzen eines Überzuges , der sich über alle die Hügel des Schnees gelegt hatte . Als ich mich angekleidet und meine Suppe gegessen hatte , ging ich in den Hof hinab , wo der Thomas den Schlitten zurecht richtete . Da bemerkte ich , daß bei uns herunten an der Oberfläche des Schnees während der Nacht wieder Kälte eingefallen sei , während es oben in den höheren Teilen des Himmels warm geblieben war ; denn der Regen floß fein und dicht hernieder , aber nicht in der Gestalt von Eiskörnern , sondern als reines , fließendes Wasser , das erst an der Oberfläche der Erde gefror und die Dinge mit einem dünnen Schmelze überzog , derlei man in das Innere der Geschirre zu tun pflegt , damit sich die Flüssigkeiten nicht in den Ton ziehen können . Im Hofe zerbrach der Überzug bei den Tritten noch in die feinsten Scherben , es mußte also erst vor Anbruch des Tages zu regnen angefangen haben . Ich tat die Dinge , die ich mitnehmen wollte , in ihre Fächer , die in dem Schlitten angebracht waren , und sagte dem Thomas , er solle doch , ehe wir zum Fortfahren kämen , noch den Fuchs zu dem untern Schmied hinüber führen und nachschauen lassen , ob er scharf genug sei , weil wir heute im Eise fahren müßten . Es war uns so recht , wie es war , und viel lieber , als wenn der unermeßliche Schnee schnell und plötzlich in Wasser verwandelt worden wäre . Dann ging ich wieder in die Stube hinauf , die sie mir viel zu viel geheizt hatten , schrieb einiges auf , und dachte nach , wie ich mir heute die Ordnung einzurichten hätte . Da sah ich auch , wie der Thomas den Fuchs zum untern Schmied hinüber führte . Nach einer Weile , da wir fertig waren , richteten wir uns zum Fortfahren . Ich tat den Regenmantel um und setzte meine breite Filzkappe auf , davon der Regen abrinnen konnte . So machte ich mich in dem Schlitten zurechte und zog das Leder sehr weit herauf . Der Thomas hatte seinen gelben Mantel um die Schultern und saß vor mir in dem Schlitten . Wir fuhren zuerst durch den Thaugrund , und es war an dem Himmel und auf der Erde so stille und einfach grau , wie des Morgens , so daß wir , als wir einmal stille hielten , den Regen durch die Nadeln fallen hören konnten . Der Fuchs hatte die Schellen an dem Schlittengeschirre nicht recht ertragen können und sich öfter daran geschreckt , deshalb tat ich sie schon , als ich nur ein paar Male mit ihm gefahren war , weg . Sie sind auch ein närrisches Klingeln , und mir war es viel lieber , wenn ich so fuhr , manchen Schrei eines Vogels , manchen Waldton zu hören , oder mich meinen Gedanken zu überlassen , als daß ich immer das Tönen in den Ohren hatte , das für die Kinder ist . Heute war es freilich nicht so ruhig , wie manchmal das stumme Fahren des Schlittens im feinen Schnee war , wie im Sande , wo auch die Hufe des Pferdes nicht wahrgenommen werden konnten ; denn das Zerbrechen des zarten Eises , wenn das Tier darauf trat , machte ein immerwährendes Geräusch , daher aber das Schweigen , als wir halten mußten , weil der Thomas in dem Riemzeug etwas zurecht zu richten hatte , desto auffallender war . Und der Regen , dessen Rieseln durch die Nadeln man hören konnte , störte die Stille kaum , ja er vermehrte sie . Noch etwas anderes hörten wir später , da wir wieder hielten , was fast lieblich für die Ohren war . Die kleinen Stücke Eises , die sich an die dünnsten Zweige und an das langhaarige Moos der Bäume angehängt hatten , brachen herab , und wir gewahrten hinter uns in dem Walde an verschiedenen Stellen , die bald dort und bald da waren , das zarte Klingen und ein zitterndes Brechen , das gleich wieder stille war . Dann kamen wir aus dem Walde hinaus und fuhren durch die Gegend hin , in der die Felder liegen . Der gelbe Mantel des Thomas glänzte , als wenn er mit Öl übertüncht worden wäre ; von der rauhen Decke des Pferdes hingen Silberfranzen hernieder ; wie ich zufällig einmal nach meiner Filzkappe griff , weil ich sie unbequem auf dem Haupte empfand , war sie fest , und ich hatte sie wie eine Kriegshaube auf ; und der Boden des Weges , der hier breiter und , weil mehr gefahren wurde , fester war , war schon so mit Eise belegt , weil das gestrige Wasser , das in den Gleisen gestanden war , auch gefroren war , daß die Hufe des Fuchses die Decke nicht mehr durchschlagen konnten , und wir unter hallenden Schlägen der Hufeisen und unter Schleudern unseres kleinen Schlittens , wenn die Fläche des Weges ein wenig schief war , fortfahren Mußten .