Der Lautenbacher . Die Glocke läutete hell , ihre Töne zerflossen sanft in dem lichten Mittag ; die Menschen kehrten von ihrer Arbeit heim . Die Männer gingen mit der Mütze in der Hand von den Feldern auf die Straße , die Stimme Gottes hatte sie gerufen , das harte Feldgeräthe aus der Hand zu legen , heimzukehren und sich zu stärken am Gebete und an irdischer Speise . Ein junger , schlank gewachsener Mann war die Straße von der Stadt heraufgekommen . Er war städtisch gekleidet und hatte einen braun marmorirten Ziegenhainer Stock , in den viele Namen eingeschnitten waren , in der Hand . Als er nun das Dorf so vor sich ausgebreitet sah , blieb er stehen , horchte hin nach dem Geläute und schaute umher in den Wald der blühenden Obstbäume , die das Dorf umdrängten . Er grüßte die Leute , die vom Felde herüber kamen , mit einer besondern Freundlichkeit , ja , als ob er sie kenne . Die Leute dankten herzlich und schauten sich Alle nochmals nach ihm um , sie meinten , das müsse Einer aus dem Dorfe sein , der aus der Fremde heimkehre ; er hatte sie ja so durchdringend angeschaut , und doch kannten sie ihn nicht . Als die letzten Töne der Glocke verklungen waren , als Alles auf dem Felde stille , kein Mensch mehr zu sehen war und nur die Lerchen hoch in der Luft jubelten , da setzte sich der Fremdling an den Wegrain , schaute noch lange hinüber nach dem Dorfe , zog endlich eine Brieftasche heraus und oft wieder um sich blickend schrieb er hinein : » Griechen und Römer ! Wie hoch schallten eure Triumphe , wie schmetterten eure Kriegstrompeten , aber nur das Christenthum grub das Erz aus den dunkeln Schachten der Erde , ließ es hoch in den Lüften schweben und weithin seinen Klang ausgießen , zur Anbetung , zur Freude und zur Trauer . Wie herrlich mögen die Harfen und Pauken im Tempel zu Jerusalem geklungen haben ; aber nicht mehr Ein Tempel steht auf der Erde , tausende hieß das Christenthum erstehen aller Orten ... Mir war's vorhin , als ob die Glocken erschallten zum Einzuge in meinen neuen Bestimmungsort , als ob die Stimme Gottes mir Willkommen zuriefe . Wohl saht ihr euch verwundert nach mir um , ihr guten Menschen , ihr wußtet nicht , was wir einander werden sollen . O könnt' ich die Seelen dieser Menschen ganz in meine Gewalt bekommen , ich wollte sie frei machen von ihrem trägen Aberwitze und sie kosten lassen die reinen Freuden des Geistes . – Da wandeln sie aber hin , und gleich dem Thiere , das vor ihnen hergeht , sehnen sie sich nach nichts als nach dem Futter für ihren Mund ... Das also ist der Ort , wo mein erneutes Leben beginnt : diese Schluchten und Ackerflächen , mit welchen Gedanken wird mein Auge auf ihnen weilen ! O die Erde ist überall schön und freudespendend , wo es Blumen gibt . Und wenn die Menschen mich nicht verstehen , verstehst du mich doch , o ewige Natur , und lächelst mir freundlich zu , wenn ich deinen stillen Offenbarungen lausche ... Da stehen die Bäume in ihrer Blüthenpracht und drinnen im Dorfe hör' ich das Jauchzen der Kinder , in deren Herzen ich den Lichtstrahl der Bildung werfen soll .... « Der Schreibende hielt inne ; seinen Stock betrachtend , sagte er leise vor sich hin : » Nach allen Gauen hin seid ihr zerstreut ihr Genossen meiner Jugend , nichts als eure Namen hier sind mir geblieben , und mit ihnen betrete ich die Schwelle meines neuen Lebens , ihr Alle begleitet mich im Geiste . Ich sende euch einen Herzensgruß hinaus in den Frühling , möge er euch wiedertönen aus dem Munde der Vögel in den Lüften und eure Seele erquicken ! « Rasch stand er auf und schritt durch das Dorf . Wir wissen nun , daß wir den neuen Schullehrer in dem jungen Mann kennen gelernt . Er fragte nach dem Schultheiß , man wies ihn in das Haus des Buchmaiers . Der Buchmaier saß mit seinem zahlreichen Hausgesinde bei Tische , als der Fremde eintrat . Nach herzlichem Willkomm wurde er eingeladen sich zu Tische zu setzen ; der Lehrer dankte . » Ei was ? « sagte der Buchmaier , der sich alsbald wieder gesetzt hatte , da er sich beim Essen durchaus nicht stören ließ , » rucket ein Bisle zusammen , ihr da . Hurtig , Agnes , hol' einen Teller . Da setzet Euch her , Herr Lehrer . Bei uns geht 's nicht wie bei den Horbern , die sagen immer : wäret Ihr bälder kommen ; wer bei uns zur Essenszeit kommt , muß mithalten . Wo Ihr jetzt hinkommt , kriegt Ihr doch nichts mehr , und da ist gekocht ; Ihr müsset halt fürlieb nehmen mit dem , was da ist . Ihr kommet grad' zu einem rechten Schwarzwälderessen : gerührte Knöpfle und Hutzeln . « Agnes hatte einen Teller gebracht , und der Lehrer um nicht grob zu erscheinen , sich zu Tische gesetzt . » Da , mein' Agnes , « sagte der Buchmaier , nach dem er einen gehauften Teller voll herausgeschöpft , » die kriegt Ihr in die Sonntagsschul ' . « » O , Sie werden wenig mehr zu lernen haben , sagte der Lehrer , um doch etwas vorzubringen . Das Mädchen heftete den Blick scheu auf den Teller . » Wie ! Agnes , red ' auch , du hast ja sonst dein Maul bei dir , sag' , kannst du Alles ? « » Jo , mit deam Lease do käm' ich schaun no furt , herrentgege mit em Schreiba , do will's halt nimmei reacht gaun , d' Fingere weant oam härt , wemmer d'gahnz Woch so schaffe muaß . « All' die Schönheit des Mädchens verschwand plötzlich vor den Augen des Lehrers , da er diese harte , in groben Lauten vorgebrachte Rede hörte . Nachdem abgespeist und gebetet war , stellte sich einer der Knechte , der bei Tische nicht weit vom Buchmaier gesessen hatte , vor seinen Herrn hin , und indem er sein Messer einsteckte , sagte er : » I will gaun mit de Gäul ' naun alloan naus ? « » Ja , ich komm' bald nach . Nimm einen Buben mit , der dir den Fuchs führt , der will sich nicht recht eingewöhnen . « » Schätz' wol , i krieg ihn schaun z'reacht , « sagte der Knecht und ging mit schweren Schritten von dannen . Der Lehrer schüttelte den Kopf . Agnes deckte schnell ab , denn sie eilte , um in der Küche ihre Bemerkungen über den Ankömmling mit den Mägden auszutauschen . » Ein nett 's Bürschle , « sagte die Legat , die älteste Magd und Vertraute der Agnes , » er hat dich anguckt , ich hab' nicht recht gewußt , will er dir ein Tätzle oder ein Schmützle geben . Was meinst , wär' das nicht ein Mann für dich ? Er ist noch ledig . « » Lieber möcht ' ich ledig bleiben , bis die Kuh einen Batzen gilt , eh' ich den nähm ' . « » Hast Recht , « sagte eine andere Magd , » der thät dich auch mit zwei Händ' in's Maul stecken ; hast nicht gesehen , der hat ja das Messer in die recht' und die Gabel in die link' Hand genommen und mit zwei Hand ' gessen , das hat man sein Lebtag von keinem ehrlichen Menschen gesehen . « » Ja , « sagte eine dritte , » der ist auch noch nicht über seines Vaters Miste 'nauskommen , der hat ja die Knöpfle mit dem Messer verschnitten , statt daß man's verreißt ; da sind sie ganz talkig worden . O du Talk ! geschieht dir recht , daß du hast so dran würgen müssen . « Während draußen beim Spülen die Mädchen den Lehrer auch nicht ungewaschen ließen , nicht sowohl aus Bosheit als weil man einmal so begonnen hatte , war drinnen in der Stube die Unterredung des Buchmaiers auch keine sehr erfreuliche . » Der Sprach ' nach , « begann er , » scheinet Ihr aus dem Unterland gebürtig . « » Eigentlich nicht , ich bin aus dem Taubergrund . « » Nu , wir nehmen das nicht so genau , was halt unter Böblingen ist , heißen wir das Unterland ; wie heißt denn der Ort ? « Der Lehrer stockte ein wenig , legte beide Hände auf die Brust und sagte endlich sich verbeugend : » Lauterbach . « Der Buchmaier stieß ein schallendes Gelächter aus , der Lehrer sah ernst drein ; endlich sagte Ersterer : » Nichts für ungut , Lauterbach weiß ja jed' Kind , das ist ja in dem Lied . Warum habt Ihr denn nicht recht mit ' raus wollen ? Das ist ja kein' Schand . Nu Ihr könnet mir jetzt g'wiß die Wahrheit sagen , warum ist jetzt grad' Lauterbach in dem Lied ? « » Wer kann das wissen ? es hat wahrscheinlich gar keinen Grund , solche dumme Lieder werden von einfältigen Menschen gemacht , die diesen und jenen Ort nehmen , weil er ihnen gerade in das Metrum , ich wollte sagen , in das Versmaß paßt . « » Ei , das Lied ist gar nicht so dumm und es hat ein' recht lustige Weisung , ich hör's rechtschaffen gern singen . « » Sie erlauben , daß ich entgegengesetzter Ansicht bin . « » Was ist da viel zu erlauben ? wenn ich 's auch nicht erlauben thät , wäret Ihr 's doch , nur frei heraus und saget mir einmal : warum ? « » Ich meine : welcher Gedanke , ja nur welcher Sinn liegt in dem Lied : Zu Lauterbach hab' ich mein ' Strumpf verloren , Ohne Strumpf geh' ich nicht heim , Jetzt geh' ich halt wieder gen Lauterbach , Kauf mir ein' Strumpf zu mein eim . Das ist nichts als barer Unsinn , und das nennen Sie lustig ? Wie kann ein Lied lustig sein , wenn gar kein Gedanke darin ist ? Ist die Gedankenlosigkeit Lustigkeit ? « » Ja , es mag jetzt sein , wie es will , lustig ist es doch ; es paßt halt so grad , wenn man « – der Buchmaier konnte sich hier nicht mehr recht ausdrücken , er schnalzte nur mit den beiden Händen , dann fuhr er fort : » ich will sagen , wenn man so recht darüber ' naus ist . Wir haben hier Einen , den Jörgli , von dem müsset Ihr 's einmal hören , dann saget Ihr auch : es gibt nichts lustigeres . Ein Spaßvogel hat mir einmal berichtet , es müss' nicht › Strumpf , ‹ es müss' › Schuh ‹ heißen , und deßwegen sei von Lauterbach die Red' , weil dort auf allen Gassen Schlappen ' rumliegen . Aber was geht uns jetzt das Lied an ? Wir wollen was Andres reden . Habt Ihr hier herum auch Bekannte ? « » Keinen Menschen . « » Nun Ihr werdet schon gute Freund' bei uns finden , die Leut' sind zwar hier herum ein Bisle grob ; es ist nicht so , aber es sieht so aus . Ein Bisle spöttisch , das ist wahr , das sind sie , es ist aber nicht bös gemeint , man muß nur tüchtig heimzahlen ; und wenn man mit ihnen umzugehen weiß , kann man's um einen Finger wickeln . « » Ich werde gewiß allen Menschen mit Liebe entgegenkommen . « » Ja , was ich hab' sagen wollen , nun müsset Ihr auch die Gemeinderäthe und den Bürgerausschuß begrüßen , Ihr müsset sie besuchen ; und noch Eins , gehet auch zum alten Schullehrer , der jetzt schon 25 Jahr in Ruhstand versetzt ist , er ist ein braver Mann , und es thut ihm wohl . Er ist noch von der alten Welt , aber auch grundgut . Ich bin auch noch bei ihm in die Schul ' gangen , freilich weiß ich auch wenig genug . Der letzte Schullehrer hat's mit ihm verdorben , weil er ihn nicht besucht hat ; und wenn Ihr ihm einen besondern Gefallen thun wollet , lasset ihn als einmal am Sonntags Orgel spielen . Jetzt will ich Euch Euer ' Wohnung zeigen , Eure Sachen sind schon gestern ankommen . « Mißvergnügten Antlitzes ging der Lehrer neben dem Buchmaier durch das Dorf . Er war mit so hohen , überschwänglichen Gedanken hier angekommen , und war auf eine so rauhe , harte Wirklichkeit gestoßen . Oft hörte er hinter sich sagen : das ist g'wiß der neu' Schullehrer . Bei der Krone begegnete den Beiden der uns wohlbekannte Mathes , er war nun im Bürgerausschuß . Der Buchmaier stellte ihm den neuen Lehrer vor . Einige hatten dies gehört und nun verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer . Mathes schloß sich den Beiden an . So groß war die hinneigende Liebe der Kinder , in deren Herzen der Lehrer einzudringen gedachte , daß sie davon liefen , als sie ihn von ferne sahen . Hie und da blieb aber auch einer der beherzten Knaben stehen und nickte freundlich , ohne die Kappe abzuziehen , aus dem einfachen Grunde , weil er keine auf hatte . Nicht weit von dem Schulhause stand ein hübscher Knabe von sechs bis sieben Jahren . » Komm' her , Hannesle , « rief Mathes , » gucket , Herr Lehrer , der ist mein . Nehmet ihn nur recht dazwischen , er kann lernen , aber er mag oft nicht . Gib dem Herrn eine Hand , der ist jetzt dein Herr Lehrer , den mußt du gern haben . Wie sagt man zu einem Fremden ? « » Grüß' Gott , « sagte der Knabe , herzhaft die Hand reichend . Das Antlitz des Lehrers war wie verklärt , dieser Gruß aus Kindes Munde that ihm gar wohl . Er war jetzt wieder in seinem Paradiese , das unschuldvolle Gemüth eines Kindes wendete sich ihm zu . Er beugte sich zu dem Knaben nieder und küßte ihn . » Willst du mich lieb haben ? « fragte er dann . Hannesle sah seinen Vater an . Willst du den Herrn Lehrer gern haben ? « fragte der Mathes . Der Knabe nickte bejahend mit dem Kopf , er konnte nicht mehr reden , denn die Thränen standen ihm in den Augen . Die drei Männer gingen fort , der Knabe sprang eilends , ohne sich umzusehen , nach Hause . Der Buchmaier und Mathes zeigten nun dem Lehrer seine Wohnung . » Da gehört bald ein Weib ' rein , « sagte Mathes , » ein Schullehrer muß eine Frau haben . Wir haben jetzt zum erstenmal einen Ledigen ; nun wir haben hier Staatsmädle , Ihr müsset euch einmal umgucken . Das Best' ist , ihr nehmet eine aus dem Ort ; wenn man nicht aus dem Ort ist und nicht ' rein heirathet , bleibt man halt wildfremd . Hab' ich Recht oder nicht , Vetter ? « » Vielleicht hat der Herr Lehrer schon eine ausgesucht , « entgegnete der Buchmaier , » und sie mag her sein , wo sie will , sie soll bei uns gut aufgehoben sein . « » Ja , wir halten ihr einen Gegenritt , « sagte Mathes , indem er dachte : der Buchmaier ist doch gescheiter als du . Der Lehrer aber sagte : » Ich bin noch durchaus ledig , ich kann schon noch eine geraume Zeit zusehen . « Innerlich dachte er : lieber eine Aeffin , als so eine vierschrötige Bäuerin zur Frau . Jetzt müsset Ihr mich verexkusiren , « sagte der Buchmaier , » ich muß in's Feld ; ich hab' da einen Gaul im Handel und muß sehen , wie der im Zug ist . Nun , wir sehen uns ja heut Abend . B'hüt's Gott dieweil . Gehst mit , Mathes ? « » Ja , b'hüts Gott , Herr Lehrer , und wenn Euch die Zeit zu lang wird , so nehmet's doppelt . « Der Lehrer verstand diese nicht sehr geschickte Redensart des Mathes , die von dem Bilde eines zu langen Fadens genommen ist , nicht ganz . Nachdem hinter den Fortgegangenen die Thüre schon zu war , drückte der Lehrer nochmals an derselben , gleichsam um sich zu vergewissern , daß er jetzt allein sei . Er fühlte sich sehr beklommen und konnte sich doch nicht recht sagen warum . Endlich siel ihm die Lauterbacher Geschichte wieder ein . Er sah darin eine grobe und rohe Begegnung , alle ihm sonst erwiesene Freundlichkeit haftete nicht an ihm . So sind die Menschen ! Wenn sie sich in gereizter Stimmung befinden , behalten sie immer nur das Eine im Sinne , was sie verletzte , und übersehen alles andere noch so Liebreiche . Erst saß der Lehrer lange still , dann erhob er sich , seine Sachen auszupacken . Es heimelte ihn wiederum an , da die gewohnten Gegenstände um ihn her lagen . Bald versank er indeß abermals in stilles Brüten , und er dachte bei sich : da bist du nun wie in eine Wildniß versetzt ; was dich erfreut und betrübt , ist für diese Menschen gar nicht vorhanden ; dein Schultheiß ist eben nichts als ein Bauernschulz , noch stolz auf seine Rohheit . Wohl mag der Geist auch in diesen Menschen schlummern , aber er ist verschüttet . Ich will alle meine Kraft zusammenhalten , um mich gegen das Verbauern zu wahren . Tagtäglich will ich mein ganzes Sein aufwühlen , ich will frei bleiben von dem Einflusse meiner Umgebung . Ich habe Lehrer gesehen , die mit dem freien Geiste der Zeit erfüllt in ihr Amt traten , und nach einigen Jahren versanken sie ganz in den Schlendrian , sie waren zu Bauern geworden , selbst ihr Aeußeres war nachlässig und schlapp . – Er schrieb auf ein Zettelchen : Memento ! und steckte es an den Spiegel . Endlich raffte er sich auf und ging hinaus auf das Feld , den Weg , den er herein gekommen war . Die Bauern , die hier auf den Aeckern an der Straße arbeiteten , sagten : » Nun , wie geht's , Herr Lehrer ? schon eingewöhnt ? « Der Lehrer gab kurze , aber freundliche Antworten ; diese Zuthulichkeit kam ihm fremd vor und beleidigte ihn fast . Er wußte nicht , daß die Leute ein Anrecht zu derselben zu haben glaubten , weil sie ihn zuerst gesehen hatten , zuerst von ihm begrüßt worden waren . Nach langem Umherschweifen in den Feldern fand er » im Grunde « einen einsam stehenden Holzbirnenbaum von schönem Schlage . Er umwandelte ihn von allen Seiten , bis er den rechten Punkt gefunden hatte . Nun setzte er sich auf einen breiten Markstein und zeichnete . Viele Bauern kamen neugierig herbei und schauten zu . Schnell verbreitete sich von Mund zu Mund das Gerücht : der neu ' Lehrer schreibt die Bäum' ab . Der Lehrer zeichnete noch den Hügel gegenüber mit dem Haselbusch und der Brombeerhecke , die sich über einen Felsen wand , auch das Feldhäuschen , in dem man das Feldgeschirr aufbewahrt oder bei Unwetter Schutz sucht ; zuletzt zeichnete er einen Bauern mit Pferd und Pflug als Staffage . Es neigte sich gegen Abend . Mit beruhigter Seele kehrte der Lehrer heimwärts . Unterwegs schlossen sich ihm mehrere Bauern an ; ohne viel Umstände zu machen , hielten sie gleichen Schritt mit ihm und hatten gar viel zu fragen . So unbequem dieß dem Fremdling war , so ließ er sich 's doch gefallen . Sehr ungeschickt aber war es , daß er auf die Frage : nicht wahr , es ist eine schöne Gegend hier herum ? die Antwort gab : » So , so , es geht an . « Er dachte , daß sich hier nicht viel Malerisches zu finden scheine , und konnte das doch nicht sagen . Da ihm die Plumpheit der Kirchthurmspitze aufgefallen war , fragte er : » Wer hat die Kirche gebaut ? « Die Leute sahen ihn mit großen Augen an , sie konnten sich gar nicht denken , daß es einmal anders gewesen , daß es eine Zeit gegeben haben könne , da die Kirche noch nicht da war . Zu Hause harrte der Lehrer auf den Buchmaier , der ihn seiner Erwartung nach abholen würde . Es dämmerte , auf der Straße regte sich lebendiges Treiben ; nur der Lehrer saß still am offenen Fenster . Er gedachte jetzt lebhafter als je , wie nothwendig ihn : eine Lebensgefährtin sei , die ihn verstünde , damit er nicht mehr » unter Larven die einzig fühlende Brust « sei . Es war Freitag Abend ; die jungen jüdischen Burschen zogen nach ihrer Gewohnheit singend durch das Dorf . Einst war eine Stimme darunter , die jetzt nicht mehr so hell klingt . Man sang mehr Lieder aus den Büchern . Als man an der Wohnung des Lehrers vorüber kam , wurde eben das schöne Lied begonnen : Herz mein Herz , warum so traurig ? Und was soll das Ach und Weh ? 's ist ja so schön in fremden Landen ! Herz mein Herz , was fehlt dir denn ? Nach und nach verklang das Lied nach dem obern Dorfe zu . Der Lehrer fühlte sich in tiefster Seele bewegt . Er griff nach seiner Geige und spielte den Sehnsuchtswalzer ; das waren im Dorfe nie gehörte Klänge . Bald vernahm er , daß sich viele Menschen vor dem Hause gesammelt hatten ; sich selbst und die Anderen zur Lust aufrufend , spielte er dann noch einen neuen muntern Walzer . Jauchzen und Lachen auf der Straße lohnte ihm . Endlich ward es dem Lehrer doch zu lange , er verließ das Haus und fragte den ihm begegnenden Mathes nach dem Buchmaier . » Kommet mit , « sagte Mathes , » im Adler ist er und am Freitag Abend besonders gern . « Der Lehrer fand es zwar nicht recht , daß der Schultheiß so bei den Anderen im Wirthshaus faß , er ging indeß doch mit . Im Adler traf er große Gesellschaft und eifriges Gespräch . Die Juden , die großen Theils die ganze Woche nicht zu Hause sind , saßen hier unter ihren christlichen Mitbürgern und tranken ; nur mit dem einzigen Unterschiede , daß sie , weil Sabbath war , nicht dabei rauchten . Eine Weile herrschte Stille , als der Lehrer in die Stube trat ; aber bald nach dem Willkomm und nachdem der Buchmaier neben sich Platz gemacht , fuhr dieser fort : » Wie gesagt , der Thiers hat mit einem fetten Stück Deutschland Frankreich schmälzen wollen ; pros't Alter , dir hat man die Supp ' versalzen , du wirst nimmer so schleckig sein . Was meinet Ihr , Herr Lehrer ? « » Sie haben ganz Recht , nur sollten wir auch das Elsaß wieder haben . « » Ja , mornemorgen , Morgenfrüh , morn heißt immer so viel als am andern Tag . aber die Elsäßer wollen nicht . Wie ich das letztemal in Straßburg gewesen bin , hab' ich mich in die Seel ' ' nein geschämt , wie sie mich gefoppt haben , ob wir nicht wieder bald falsch Geld haben , das kein' Heimath hat ? Ein rechtschaffener Mann hat mir gesagt : die Beamten von drüben , die wären lieber deutsch , bei uns sind sie am besten bezahlt , sind versorgt auf Kinder und Kindeskinder und haben Ruh' , aber drüben ist das anders ; die Beamten machen das nicht aus . Und wenn 's deutsch würd' , wer sollt 's kriegen ? Ein Sohn von dem falschen Sechser ? Es ist glaub' ich , noch Einer da ? Oder ein verlegtes hannöverisch Zehnguldenstück ? Man thät 's aber nicht Einem geben , man thäts verschnipfeln ; sie haben ja den Ueberrhein in drei Theil ' verschnitzelt , damit man 's auch recht weiß , daß er deutsch ist . « Der Lehrer saß in stummem Erstaunen nach dieser Rede des Buchmaier ; da begann ein starker , wohlbeleibter Mann , dessen städtische Kleidung und eigenthümliche Redeweise den Juden nicht verkennen ließ : Ja , und die vielen Juden im Elsaß ließen sich eher massakriren , ehe sie deutsch werden thäten ; drüben sind sie vollkommen gleich mit den christlichen Bürgern ; wir , wir bezahlen alle Steuern gleich , werden Soldaten wie die Christen und haben doch nur die halben Rechte . « » Hast Recht , Mendle , kriegst aber nicht Recht , « erwiderte der Buchmaier . Eine Pause entstand , nach welcher der Buchmaier wiederum begann : » Herr Lehrer , was haltet Ihr von den Thierquälervereinen ? Kann man mir befehlen , wie ich mit meinem Eigenthume umzugehen hab' ? Darf man mich dafür strafen ? « Der Lehrer sah hierin wiederum nichts als die Rohheit dieser Menschen ; mit großem Eifer vertheidigte er daher die Polizeimaßregeln wegen Mißhandlung der Thiere ; der Buchmaier aber entgegnete : » In der Stadt , da kann's meinetwegen nöthig sein , daß man die Leut ' ermahnt , das Vieh zu schonen , aber strafen kann man 's nicht . So ein Kutscher oder Kutschersknecht , oder so ein Livreebeamter , ich will sagen Livreebedienter , der hat kein' rechte Lieb ' zum Vieh , es ist oft gar nicht einmal sein eigen , und davon , daß er's aufgezogen hat , ist gar nicht zu reden . Bei uns aber , ich hab' schon gesehen , daß die Leut' mehr heulen , wenn ihnen ein Rind draufgeht , als wenn ihnen ein Kind stirbt . « » Die Herren sollten zuerst die Bauern besser behandeln , « sagte Mathes . » Der alt' Amtmann , der hat seinem Hund die besten Wörtle geben und die Bauern nur so angeschnauzt ; sie sollten zuerst einen Verein stiften , daß Keiner mehr Er zu einem Bauern sagt . « » Ja , « sagte der Buchmaier , » die Hauptsach ' ist , die Amtleut ' wollen jetzt gern auch über das Vieh regieren . Ihr werdet sehen , wenn 's so fort geht , wird man über zehn Jahr' Einem befehlen , was er auf seinem Acker säen darf und wann er ihn brach legen muß ; man kann ja auch seine Aecker quälen und kann ihnen zu viel zumuthen . « » Wenn die Menschen nicht so vernünftig sind , « sagte der Lehrer , » das gehörige Maaß in allen Dingen zu halten , so ist der Staat verpflichtet , das Gute durch Strafen einzuführen . « » Nein und neun und neunzigmal nein ! « rief der Buchmaier , hielt aber plötzlich inne ; sei es , daß er seiner Heftigkeit den Zügel halten wollte , oder daß er in der That nichts vorzubringen wußte . Er trank in langsamen Zügen , während dessen ein Mann mit gerollten , weißen und schwarzen Haaren , so was man Kümmel und Salz nennt , auf hochdeutsch sagte : » Man kann die Menschen dafür strafen , wenn sie schlecht handeln , aber man kann sie nicht zwingen , gut zu sein ; eine durch's Gesetz erzwungene Güte ist auch keine Güte mehr . « » Hat Recht , « sagte der Buchmaier auf die Worte des Mannes , dessen Rede trotz des Hochdeutschen in dem singenden Tone des jüdischen Dialekts gesprochen war . Der Lehrer aber ging nicht darauf ein . Es ist nicht wahrscheinlich , daß er , wie die gelehrten Herren pflegen , auf die Gegenrede eines Juden that , als ob sie gar nicht vorgebracht worden wäre ; vielmehr betrachtete er nur den Buchmaier als seinen Gegner , er fragte diesen : » Glauben Sie , daß der Staat ein Recht hat , die Leute durch Strafen zu zwingen , ihre Kinder in die Schule zu schicken ? « » Freilich , freilich . « » Ja warum denn ? « » Weil das in der Ordnung ist . « » Ja man hat doch aber kein Recht die Leute zu zwingen , daß sie gut seien . « » Man kann's aber strafen , wenn sie schlecht sind , und wer sein Kind nicht in die Schul ' schickt , der handelt schlecht . Ist 's nicht so ? « schloß der Buchmaier zu dem gewendet , der vorhin das Wort für ihn ergriffen hatte . » Gewiß , « erwiederte dieser . » Der Staat ist der Vormund derer , die nicht selber für sich sorgen und sich nicht wehren können . Wie er die Pflicht hat , sich um ein Kind anzunehmen , wenn ihm die Eltern sterben , und so durch den Tod nicht mehr für dasselbe sorgen können , so muß er auch solche , die durch Dummheit oder Schlechtigkeit ihre Kinder vernachlässigen , durch Strafen zu ihrer Pflicht zwingen . « » Hat Recht , hat rechtschaffen Recht , « sagte der Buchmaier triumphirend . Ohne sich an den , wie ihm schien , unberufenen Redner zu wenden , doch auch ohne ihn zu vermeiden , sagte der Lehrer : » Wenn der Staat der Vormund der Unmündigen ist , derer , die sich nicht selber helfen und wehren können , so hat er auch die Herrschaft über das Vieh , das in gleichem Falle ist wie die Kinder . « » Aepfelstiel und Birenschnitz , wie kommen die Rüben in den Sack ? Das ist gar kein Vergleich , « sagte der Buchmaier lachend . » Herr Lehrer , nichts für ungut , aber da habt Ihr euch vergaloppirt . Ich hab' zu Haus ein Waisenrind , das arme Thierle hat kein Vater und kein' Mutter mehr , ich muß bigott morgen den Gemeinderath zusammenkommen lassen , man soll ihm einen Vormund setzen . « Ein schallendes Gelächter erdröhnte in der ganzen Stube . Der Lehrer gab sich alle Mühe , seine Ansicht näher zu begründen , aber er konnte nicht mehr zu einer ordentlichen Auseinandersetzung kommen . Die ganze Versammlung war seelenfroh , daß das zu ernste Gespräch endlich eine lustige Wendung genommen hatte . Nur so viel vermochte er darzulegen , daß er weit entfernt sei , die Kinder und das Vieh in eine Reihe zu stellen . » Davon ist keine Red' , « sagte der Buchmaier , » Ihr habt ja des Mathesen Hannesle einen Kuß geben , das thut man keinem Vieh . Aber jetzt ist mir's , wie wenn ich eine dreifache Versicherung hätt' , daß das mit den Thierquälervereinen nichts ist als den Hühnern die Schwänz ' naufbinden , sie tragen's schon allein oben . « Die Heiterkeit steigerte sich nun immer mehr , überall öffneten sich die Schleußen eines nicht immer sehr wählerischen Witzes . Der Lehrer war nicht dazu aufgelegt , sich davon fortreißen zu lassen , vielmehr ward er im Tiefinnersten verstimmt . Mit jenem quälenden Gefühle , vor Mehreren seine Ansicht ausgesprochen zu haben , ohne sie ganz dargelegt zu haben und ohne ganz gehört worden zu sein , verließ der Lehrer nun bald das Wirthshaus . Er sah es wohl ein , wie schwer es ist , eine Versammlung von Erwachsenen in der gründlichen Erforschung eines Gedankens zu leiten und ihn durchzukatechisiren ; bald aber verließ er diese Betrachtung wieder und ward überzeugt , daß er hier die Rohheit getroffen , die nicht in der eckigen und derben Natürlichkeit , sondern in der selbstgefälligen Mißachtung der Bildung und der verfeinerten Ansichten besteht . Er war sehr betrübt . Der Vorsatz : sich nur der bildsamen Kindheit und der reinen Natur hinzugeben , befestigte sich stets mehr in ihm . Andern Tages , es war Samstag , machte der Lehrer die Besuche bei den Gemeinderäthen , er traf aber keinen zu Hause . Er ging nun zuletzt zu dem alten Schullehrer , man wies ihn nach einem Garten am Wege . Hier waren die Beete nach der Schnur schön geordnet und mit Bux eingefaßt ; der üppige Buchenzaun , der das Ganze einhegte , war schön geschoren und nach genau abgemessenen Zwischenräumen erhob ein Stämmchen nach dem andern seine gerundeten Zweige über den Haag . In der Mitte war ein Rondell , um welches ein mehrere Schuh hoher Bux einen natürlichen Kübel bildete , Blumen aller Art knospeten und blühten . Man vernahm hinten am Garten , in der Nähe der Laube , ein Gespräch . Der Lehrer trat auf die beiden Männer zu und seinen Hut abziehend sagte er : » Kann ich den Herrn Schullehrer sprechen ? « » Wir sind zwei für Einen , he , he , « sagte der alte Mann , der hemdärmelig die Hacke in der Hand hielt . » Ich meine den alten Herrn Lehrer . « » Das bin ich , und das da ist der Judenlehrer he he , « erwiderte der Mann mit der Hacke , auf seinen sabbathlich geputzten Nebenmann deutend . » Das ist mir lieb , daß ich Sie auch hier treffe . Haben wir uns nicht gestern gesprochen ? « » Als Sie mit dem Schultheißen sprachen . « Der alte Mann warf die Hacke weg , that die Pfeife aus dem Munde , griff schnell nach seinem Rocke und wollte ihn anziehen ; unser Freund aber verhinderte dieß . » Wir brauchen vor einander keine Umstände zu machen , « sagte er , » wir sind ja Collegen , ich bin der neue Lehrer . Gehört der Garten Ihnen eigen ? « » He he , wem denn ? Ja , « erwiderte der Alte ; alle seine Reden waren mit einem aus tiefer Brust geholten Lachen begleitet . » Grüß Gott in Nordstetten , « setzte er hinzu und reichte dem Angekommenen die Hand ; diesem war es , als ob er die eiserne Hand Berlichingens fasse , so hart war sie anzufühlen . Der jüdische Lehrer stand in Verlegenheit da , seine gefalteten Hände auf einander reibend . Er wußte nicht , sollte er dem Angekommenen die Hand reichen oder nicht . Er fürchtete zudringlich zu erscheinen , da man ihn nicht aufgesucht hatte ; sodann fühlte er sich auch durch diese Nichtbeachtung beleidigt , er glaubte sich durch Zuvorkommenheit etwas zu vergeben . Diese beiden Gefühle – Furcht vor Zudringlichkeit und Mißachtung auf der einen , und vor zu weit getriebener Empfindlichkeit auf der andern Seite – das sind die beiden Schächer , zwischen denen der Jude im gesellschaftlichen Leben gekreuzigt ist ; sie bleiben es so lange , als seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft keine gesicherte und vor Mißdeutungen geschützte ist . Wie alle gebildeten Juden aus der älteren Generation hatte der jüdische Lehrer die Sätze der Schrift genau inne , er gedachte der Bibelstelle : » Liebet den Fremden , denn ihr wäret selbst Fremde im Lande Aegypten « und » betrübe den Fremden nicht , denn du weißt wie es ihm zu Muthe ist . « Er gedachte der Freude , die ihm vor Jahren ein freundliches Entgegenkommen bereitet hatte . So stand er nun da , seine Lippen bewegten sich still , alle seine Gesichtsmuskeln zuckten . Er trat endlich auf den Angekommenen zu , reichte ihm die Hand und hieß ihn mit besonderer Herzlichkeit willkommen . Der Fremde sagte : » Sie können mir gewiß viel Anleitung geben , meine Herren , über mein Verhalten dahier ; ich bin hier so ganz fremd . « » Ich kann mir das noch recht gut denken , « nahm der jüdische Lehrer das Wort , » ich war auch bloß auf Verfügung des Consistoriums hieher gekommen und kannte keinen Menschen . Ich wünschte mir oft , ich hätte eine Zeit lang incognito da bleiben können , um die Charaktere der Eltern genau zu beobachten , und ohne die Eltern wissen Sie wohl , ist auch bei den Kindern nichts auszuführen . Bei mir war noch der besondere Umstand , daß ich vor fünf und zwanzig Jahren zum erstenmale eine geordnete Schule einzurichten hatte , was die Juden damals noch gar nicht kannten . Ich kam mir in der ersten Zeit vor , als wär' ich in eine fremde Welt verzaubert . « » Nun , du hast dich bald verzaubern lassen und hast das schönst ' Mädle aus dem Ort geheirathet , he he , und das war auch recht , « erwiderte der alte Mann . Zu unserm Freunde gewendet fuhr er fort : » Ihr müsset halt auch ein Mädle aus dem Ort heirathen . « Unser Freund fuhr so bestürzt zurück , daß er in ein wohlgeglättetes Beet trat ; es war ihm , als hätte sich Alles gegen ihn verschworen , um ihn zu verkuppeln . Nachdem er sich über die angerichtete Zerstörung entschuldigt , sagte er : » Ich meine nur über mein Verhältniß zu den Eltern und den Kindern . « » Nur recht streng , « sagte der Alte , die zertretene Stelle wieder aufhäckelnd . » Von dem neuen Schulwesen versteh' ich nichts , da fragt man die Kinder : wer hat den Stuhl gemacht ? als wenn man das nicht schon von selber wüßt ' ; da lautiren sie b.k. l.m . wie die Stummen , es gibt gar kein ABC mehr . « Sie meinen also recht streng ? « erwiderte ablenkend unser Freund . » Ja . Wie die Mannen im Dorf 'rumlaufen , ist keiner da , der es nicht aus dem Salz von mir kriegt hat , und sag' du , ob sie nicht noch heutigen Tags allen Respekt vor mir haben ? « » Ganz gewiß , « sagte der jüdische Lehrer lächelnd . Der Alte fuhr fort : » Und wenn eine Lustbarkeit im Dorf ist , da darf man nicht den vornehmen Herrn spielen , der sich 's eine Weile so anguckt , wie das dumme Volk auch lustig sein kann ; nein , da muß man auch mitthun . Kreuz Himmel ! Ich hab' die tollsten Streich ' mitgemacht , den Balbiererstanz , den haben sie von mir gelernt , und den Siebensprung den hab' ich mit meiner Gret immer vorgetanzt ; es juckt mir noch in den Beinen , wenn ich daran denk ' . « » Sie waren aus der Gegend , Sie konnten schon eher so etwas mitmachen . « » Ich bin nicht aus der Gegend . Anno fünf ist hier erst Württembergisch geworden , damals war Alles vorderösterreichisch . Ich bin bei Freiburg daheim . « » Sie haben wohl viel erlebt ? « » Das will ich meinen . Die Leut' , die jetzt dreißig Jahr alt sind , die wissen gar nichts von der Welt , da geht Alles glattweg , wie auf der Kegelbahn . So ein Lehrer , ich mein' euch nicht mit , aber was weiß denn jetzt so einer ? Wo ist er in der Welt gewesen ? In den Büchern ist er gesteckt . Da geht jetzt Alles seinen geweis' ten Weg , eins zwei drei , Schüler Seminarist Lehrer . Ich war Soldat , ich war Musikant , ich war Schreiber auf dem Amt in vielerlei Herren Länder . Ich hab' Russen und Franzosen und Sachsen und alles Teufelszeug mit durchgemacht . Ich hab' hier im Ort ein Buch angefangen gehabt und mit der schönsten Fraktur , und denket nur einmal , grad wie ich beim F bin , kommen die Teufelsfranzosen ; da war's aus , die haben Fraktur mit Einem gesprochen . « Nun erzählte der Alte , auf die Haue gestützt , seine zwei Hauptgeschichten ; wie er nämlich einen Topf mit zweihundert Gulden im Keller vergraben hatte , den die Franzosen doch fanden , wie er im grimmkalten Winter den Pfarrer nach Egelsthal begleitete , um einer alten Frau die letzte Oelung zu geben , unterwegs ihnen ein Kosake begegnete und dem Lehrer die fuchspelzenen Handschuhe auszog . Er war eben an einer ausführlichen Beschreibung der Handschuhe , als es eilf Uhr läutete : man verließ den Garten . Unser Freund ging noch im Geleite seines jüdischen Amtsgenossen bis zum Adler , dort hatte er sich zur Kost eingedungen . Am andern Morgen erwarb sich der Lehrer viel Lob durch sein Orgelspiel . Aus einzelnen Gruppen , die sich nach der Kirche gebildet hatten , hörte er mehrmals den Ausspruch : » er kann's fast gar wie der alt' Lehrer . « Er ging nun zu diesem und bot ihm das Orgelspiel für die Mittagskirche an . Der alte Mann lachte ganz überselig und sagte endlich , wie immer in schnell abgestoßenen Sätzen sprechend : » Ja , sie können was lernen die jungen Leut' , wenn sie wollen . Ich war dritthalb Jahr Unterorganist im Münster in Freiburg , he he . Ja , der früher ' hochmüthig ' Professor hat mich aus der Kirch' vertrieben , ich bin ein ganz Jahr nicht 'neingegangen , ich hab' dem sein Gequicks nicht hören können , und später bin ich nur zum Amt und zur Predigt : beim Singen hab' ich davonlaufen müssen . « Der alte Lehrer spielte nun Mittags die Orgel , aber er machte mit dem heiligen Instrumente so lustige Sprünge , daß der junge Mann oft den Kopf schüttelte ; auf dem Antlitze aller anderen Anwesenden aber leuchtete zufriedene Heiterkeit . Die Freundlichkeit gegen den alten Lehrer erregte dem neuen vieles Lob ; darüber aber , daß er die Gemeinderäthe am Werktage besucht hatte , da sie doch nicht zu Hause waren , ward ihm eben so vieler Tadel . Von Beidem kam ihm nichts zu Ohren . Montags begann die Schule . Der Pfarrer , ein freundlicher und edeldenkender Mann , führte den neuen Lehrer mit einer gehaltvollen Rede , im Beisein des ganzen Gemeinderaths und Bürgerausschusses , in seinen Wirkungskreis ein . Von dem Tage an , da die Schule begonnen hatte , aß der Lehrer nicht mehr im Wirthshause ; das laute Leben und die Gespräche dort störten ihn , er wollte , nachdem er die Schaar der Kinder entlassen , ganz allein sein . Ueberhaupt zog er sich ganz in sich zurück , er verrichtete sein Amt gewissenhaft , pflog aber mit Niemand Umgang ; nur bisweilen ging er mit dem jüdischen Lehrer oder mit dem alten spazieren . Ueber den Charakter des letzteren war er bald einig , der Geistesrichtung des ersteren aber , in der die staatlichen und sittlichen Angelegenheiten seiner Glaubensverwandten im Vordergrunde standen , konnte er keine entsprechende Theilnahme widmen . Mit den übrigen Leuten im Orte , selbst mit dem Buchmaier , stand der Lehrer noch so fremd wie am Tage seiner Ankunft . Er ging nie in's Wirthshaus und gesellte sich nie zu den abendlichen Kreisen , die sich vor den Häusern bildeten . Waren die Schulstunden zu Ende , schweifte er einsam durch Wald und Feld , zeichnete oder schrieb in sein Taschenbuch , und wenn es Nacht war , musizirte oder las er . Da wir die Zeichnungen nicht vorlegen und die Musik nicht wieder aufspielen können , so mögen hier die Taschenbuchbemerkungen eine Stelle finden , unter dem Titel , den ihnen der Lehrer selbst gab : Feldweisheit von Adolph Lederer . ( Im Grase liegend . ) Bei allen Wiederbelebungen , in allem neuen Dasein sind Rückständigkeiten mitten darunter gemischt . Wenn man das Wiesengrün des Frühlings genau betrachtet , liegt viel verdorrtes überjähriges Gras zwischen und unter dem grünenden ; es muß verfaulen und zum Dünger für das neue Leben werden . Da schreien dann die Thoren : es ist kein Frühling , es kann auch keiner kommen , seht hier die dürren Halme ! Ist es nicht auch im ganzen Leben des Geistes so ? ... ist der alte Schullehrer nicht auch so ein Stück dürres Gras ? .. . Mir ist die ganze Natur ein Sinnbild des Geistes ; ich meine immer , sie sei nur die Larve , hinter der das Geistesantlitz steckt . Die armen Bauern ! sie leben mitten in der freiesten Natur wie in einem todten Hause , sie sehen in all den Feldern und Wäldern nur den Ertrag , die Zahl der Garben , die Säcke Kartoffeln , die Klafter Holz ; ich aber schlürfe den Geistesduft der Schönheit , der darüber schwebt . Ich will hinwegsehen über die Menschen , die da mitten unter diesem glanz vollen Leben lichtlos einherwandeln , ich will mich erheben über all das niedere klägliche Treiben , und wie die Biene hier aus der unanfaßbaren Distel Honig saugt , die dem Esel bloß zum derben Futter wird , so will ich den Honigseim des Geistes aus Allem ziehen . Steh' mir bei , du ewiger Geist und laß mich nicht denen gleich werden , die an der Scholle haften , bis die Scholle über ihren Sarg rollt ; und ihr ! ihr großen Geister meiner Nation , deren Werke mich hieher begleitet , stärket mich und laßt mich stets zu euren Füßen sitzen . Jeder Acker hat seine Geschichte . Wüßte man die Wandlungen , die ihn aus der einen Hand in die andere gebracht , die Schicksale und Gefühle derer , die ihn bearbeitet , es wäre die Geschichte des Menschengeschlechts : sowie seine geologische Bildung , tief hinab bis zum Mittelpunkt der Erde aufgedeckt , die Geschichte des Erdballs aufzeigte . Alles auf der Welt wird zur Nahrung oder zum sonstigen Verbrauch und Genuß für ein Anderes ; nur der Mensch eignet sich alles an , er selber aber steht frei über der Erde , bis sie ihren Mund aufthut und seinen Leichnam verschlingt . Ich bin da auf eigene Weise zu dem trivialen Gedanken gelangt , daß der Mensch der Herr der Erde ist ; aber nur das ist Wahrheit , eigene Erkenntniß , was wir auf eigenthümliche Weise wiederfinden . Ich habe einmal gehört und gelesen , daß nur da , wo die Anzahl der nützlichen Hausthiere die der Menschen übersteige , ein behaglicher und glücklicher Zustand des allgemeinen Besitzthums sei . Ist das wohl eine geistige Lehre , daß die Zahl der Unvernünftigen die der Vernünftigen übersteigen müsse ? Es wäre schrecklich , wenn es so wäre , und doch ... Es ist entschieden , daß die Bildung der Menschheit erst mit dem Ackerbau und durch denselben begonnen hat . So lange die Menschen ihre Nahrung nur suchten , sei es durch Jagen , Fischen und dergleichen , standen sie noch fast den Thieren gleich . Erst als sie begannen , sich die Nahrung vorzubereiten , indem sie das natürliche Wachsthum beobachteten und lenkten , indem sie pflanzten und pflegten , hielten sie an einem bestimmten Boden fest , mußten sie die Gesetze der Natur erforschen und entdecken , Einfluß auf das Leben der Außenwelt und ihrer Innenwelt gewinnen . Der Ackerbau ist die Wurzel aller Bildung in der Welt , aber die Ackerbauer selber haben die wenigste Frucht davon . Muß das so sein ? Auf der schwankenden Blume , die vom Winde geschüttelt wird , klammert sich die Biene fest und saugt emsig den Honig : so auch genießet der Mensch das schwankende Erdenleben , und der Boden zittert unter ihm . ( Am Buchsee . ) Ein Himmelstropfen , der in ein stehendes Wasser fällt , bildet eine Weile ein Bläschen , dann zerplatzt er , und vermengt sich mit dem Sumpfe ; in den lebenden Strom gefallen , wird er selbst ein Theil der lebendigen Welle . Ist mein Dasein ein solcher Tropfen ? Ich will , daß ich in einen lebendigen Strom aufgehe , es muß so sein ... Alle Vögel fliehen den Regen , nur die Schwalben flattern lustig darin . Es erregt mir oft ein sonderbares Gefühl , daß wenn ich hinausgehe in das Feld , um mir körperlich erquickliche Ermüdung zu holen , die Leute von der Arbeit ermüdet heimkehren ; es ist mir da oft , als müßt' ich mich schämen , daß ich jetzt spaziren gehe . Nur am Abend und am Morgen bemerkt man den schnellen Wechsel des Lichts ; dieser ist aber den ganzen Tag aufsteigend bis zum Mittag und von da absteigend ebenso . Ist nicht bei der Entwickelung des Menschengeistes das Gleiche der Fall ? So oft ich auch schon den Sonnenuntergang betrachtet , nie war er gleich ; das ist die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur , darum ist sie auch ewig schön und neu . Beim Sonnenuntergang glaubt man immer , von der Stelle , wo man steht , bis nach Westen hin reicht das Abendroth , da ist noch Licht , rückwärts gekehrt erscheint Alles dunkel ; diejenigen aber , die weiter hinten stehen , glauben , es reiche nur noch bis zu ihnen . So bemißt Jeder den Horizont nach seinem Standpunkte , und wer das untergehende Licht betrachtet , glaubt , es reiche nur noch bis zu ihm . Warum ist ein Sonnenuntergang für die meisten Menschen ansprechender als ein Sonnenaufgang ? Ist es , weil diesen die Wenigsten oft sehen , oder weil das Verschwindende , das Sterbende näher zu uns spricht ? Ich glaube nicht . Beim Sonnenuntergang erhält das Schauspiel einen zart geheimnißvollen Abschluß in der Nacht und der darauf folgenden Ruhe ; der Sonnenaufgang aber hat keinen Abschluß , ihm folgt das helle Licht , die Unruhe und das lärmende Gewühl des Tages . Schön ist das Sterben ! o ich sehne mich .... ( Hinter 'm Schloßhag . ) Wenn man einen Pfosten in die Erde rammt , muß man die einzugrabende Spitze brennen , damit sie nicht faule ; wen die Flamme des Geistes berührt , der kann nicht sterben . Aus der Haut des einen Thieres schneidet man das Riemenwerk für Zaum und Zügel und die Einjochung des andern . Die Anwendung ist leicht . Wenn man Jemand einen Weg zu kurz angibt , ermüdet er doppelt ; dieß kommt wohl von der stets gespannten Erwartung am Ziele zu sein . Ich habe mir den Weg zu meinem Lebensziele auch zu kurz gedacht . Beim Mähen darf man nur kleine Schritte machen und gradaus . Je dünner der Klee steht , um so müder wird man beim Mähen ; da fährt man mit der Sense auf dem harten Boden herum und in die Luft hinaus und hat am Ende nichts erschafft . Wie vieldeutig ist das !! Vom Futter und Allem , was man grün heimthut , entrichtet man keinen Zehnten . Beim Kornschneiden muß man die abgeschnittene Frucht stets hinter sich legen , da ist Raum dafür , vorwärts stehen die neuen Halme , die zu schneiden sind ; so muß es auch mit unseren fertigen Thaten sein , wir müssen sie aus unserm Gesichtskreise legen und das vor uns stehende Neue in Angriff nehmen . Wenn ich von ferne die bald sich erhebenden , bald sich niederbeugenden Schnitter ansehe , ist es mir oft , als ob sie ein ceremoniöses Gebet verrichteten . Da wird der neue Zaun am Schloßgarten mit grüner Oelfarbe angestrichen . Dürres Holz fault in Wind und Wetter , wenn man es nicht mit Farbe bekleidet . Die Natur hat über alle ihre Geschöpfe eine schützende Oberhaut ausgebreitet ; die Menschen aber reißen die natürlichen Rinden und Glasuren ab , dann müssen sie eine künstliche auftragen . Ist die Bildung vielleicht nichts als eine Oelfarbe , die den natürlichen Schmelz ersetzt ? Nein , sie ist erhöhte , sie ist die wahre Natur ; diese Menschen , wie sie hier sind .... Der alte Zimmermann Valentin ist so vergeßlich , er geht mit der Peitsche über der Schulter seinen Weg und sagt immer vor sich hin : Hio ! ohne zu merken , daß seine Kühe schon dreißig Schritte hinter ihm einen andern Weg gegangen sind . Ergeht es nicht auch manchen Herrschern gerade so ? In einem Garten an der Straße steht eine Trauerweide , deren Aeste in allerlei Ellipsen , Zirkel , schiefe und rechte Winkel zusammengebunden wurden und nun so in einander verwachsen sind . Ja , die Aeste des Trauerbaumes , die Zweige des Schmerzens sind am leichtesten zu biegen , da lassen sich die Menschen gar wunderlich verschnörkeln ; aber die zähe Naturkraft macht die herben Krümmungen von Neuem ausschlagen . Warum nur die Bauern die verschnörkelte Natur so lieben ? warum sie die Trauerweide , den schönsten aller Bäume , so mißhandeln ? Vielleicht liegt es tief in der menschlichen Natur , mit dem , was das ganze Jahr die ernsteste Beschäftigung darbeut , auch einmal zu spielen ... ( Am Kreuz im Schießmauernfeld . ) Ich habe früher nie über Juden nachgedacht , obgleich in meinem Geburtsorte auch Juden wohnten ; ich erinnere mich nur , daß ich als kleines Kind auch die Judenknaben meines Alters verhöhnte und , wenn ich konnte schlug . Es kömmt uns nicht ein , über unser Verhältniß zu den Juden nachzudenken , so wenig wir über unser Verhältniß zu den Pferden nachdenken . Im Gegentheil , durch die Bibel bekömmt jedes Christenkind die Empfindung , daß ihm jeder einzelne Jude etwas Böses gethan . Ein geheimnißvoller Abscheu setzt sich dann in der Seele des Kindes fest ; ich dachte mir immer alle Juden räudig ; ein Kind kann ein Thier liebkosen , nie aber einen Juden . Hier habe ich Gelegenheit , oft mit Juden zu verkehren . Der jüdische Lehrer ist ein vorurtheilsfreier Mann von Bildung , wie ich noch selten einen getroffen . Er weiß mehr von der Theologie als von den Naturwissenschaften . Ist das bei allen Juden so ? In seinem Unterrichte ist mehr Geistreiches , weniger Methode und Stetigkeit ; das ist für minder begabte Kinder nicht gut . Als ich zum erstenmale die Synagoge besuchte , war es mir ganz eigen zu Muthe : hier , in die schwarzen deutschen Tannenwälder haben sich diese ebräischen Worte vom Libanon verloren , und doch , ist nicht auch unsere Religion von dort her ? Noch mehr , das alte Rom konnte die Deutschen nicht besiegen , sie nicht römisch reden lehren , das neue vollbrachte es ; hier auf den fernen Bergen ertönt allsonntäglich in der Kirche die römische Sprache . Meinem Hause gegenüber ist der sogenannte Brandplatz : dort stand das Haus , in dem eine ganze jüdische Familie , Großmutter , Schwiegertochter und fünf Enkel verbrannt sind ; jetzt spielen die Kinder am liebsten auf dieser Stätte , eine solche Ruine bietet sonst seltene Verstecke . An den schwarzen Wänden klettern die rothwangigen Buben umher und tollen und jubeln . So baut sich überall schnell neues Leben auf ; wo die Flammen einst gewüthet , tummelt sich sorglos das junge Geschlecht . Es ist auch in der Weltgeschichte so . Drinnen im Dorfe haben sie heute den Hammeltanz aufgeführt . Solche Dinge passen nicht mehr in unsere Zeit , sie gehören in das Mittelalter . Da sah wohl der Gutsherr vom Schloßerker herab der Fröhlichkeit seiner Leibeigenen zu ; er hatte ihnen den Hammel und die Schnur geschenkt und steuerte wohl auch das gewinnende Paar mit einem kleinen Lehen aus . Jetzt hat das Alles keine Bedeutung mehr , man sollte es abschaffen . Manchmal verliert sich von der Tanzmusik drinnen im Dorfe ein Klang zu mir heraus in das Feld ; nur die schmetternden Töne der großen Trompete sind es , die ich abgerissen vernehme . So auch stehen diese Bauern fern von der großen Harmonie der Geisteswelt ; nur wenn die große Trompete erschallt , oder die große Trommel gerührt wird , dringt ein abgerissener Klang zu ihnen und sie schreiten eine Weile im Marschtakte der Zeit . Von dem lieblichen Adagio , von dem friedlichen Zusammenklingen wissen und hören sie nichts . Es ist gut , daß immer noch Plätzchen auf der Welt sind , die Niemand gehören , wo die Armen ihr Gras sammeln können ; das sind die Raine , Anwände oder wie man sie nennen mag . Wo aber der Fuß des Men schen kaum mehr einen Halt findet , da klettert noch die Ziege , die Genossin der Armen , umher , um sich ein frisches Kraut oder ein schmackhaftes Läublein zu holen . An den Holztagen dürfen die Armen von den grünenden Bäumen sich die dürren Aeste aneignen . Ich habe einmal die schöne Deutung gelesen , daß die gütige Natur dieses Gewohnheitsrecht aufstellte und von ihrem reichen Tische den Armen abgibt . Die Armen und das dürre Holz – – Auch das Unkraut in den Kornfeldern gehört Niemand , das jäten die Armen aus und es ist nahrhaftes Futter ; fragst du nun noch : wozu das Unkraut ? Vielleicht ist es auch mit vielem andern so ... Diese Blätter sind die Ausbeute von dreien Monaten , während welchen der Lehrer in den Feldern umherschweifte . Sie hatten ihm manche üble Nachreden zugezogen , denn die Leute konnten gar nicht begreifen , was er immer einzubuchen habe , und sie erschöpften sich in allerlei Vermuthungen . Man wird bemerkt haben , daß er auch manche Erkundigung über Gewöhnliches einzog , das ihm noch neu war ; die Leute sahen ihn groß an und schüttelten die Köpfe , sie konnten gar nicht begreifen , wie man so etwas nicht wissen könne . Es ist gewiß schon Vielen begegnet , daß , wenn sie einen Bauern um den Weg nach dem nächsten Orte befragten , der Angeredete stutzte , weil er glaubte , man necke ihn , dann aber eine Erklärung gab , die auf der Voraussetzung beruhte , daß man die Oertlichkeiten kenne . Es geht aber auch vielen Gebildeten so : weil ihnen ihr gewohnter Gesichts- und Ideenkreis klar ist , meinen sie , das begriffe Jeder und sie verständigen sich nur halb . Der Lehrer war im Dorfe noch so unbekannt , daß Niemand seinen Namen wußte . Eines aber hatte Jeder erfahren , nämlich , daß der Lehrer aus Lauterbach sei ; hieran heftete sich nun die Spottsucht , man wollte es ihn entgelten lassen , daß er so stolz und zurückgezogen war . Abends , wenn die Burschen wußten , daß der Lehrer zu Hause war , rotteten sie sich vor seinen Fenstern zusammen und sangen unaufhörlich den Lauterbacher . Weil man auch wußte , daß er ein strenger Vertheidiger des Vereins gegen Thierquälerei war , wurde ein gewöhnliches Lied zum Draufsetzen oft gesungen , es lautete : Jetzt ischt das Liadle aus , Jetzt speir i do e Maus : Such i ' rum und find se , Nehm i e Messer und schind se , Stich ihr d' Augen aus – No haun i e blinde Maus . Diese » Gemeinheit « ärgerte den Lehrer . Er wußte aber noch immer nicht , was alles das zu bedeuten habe , bis sich endlich der Studentle zu den Burschen gesellte ; obgleich er verheirathet war , stand er doch bei jedem muthwilligen Streiche obenan . Er brachte nun einen neuen Vers , der oft wiederholt wurde : Z' Lauterbach bin ich so stolz gebor 'n , Stolz das ist meine Manier ; Ei wär' ich doch wieder in Lauterbach , Da wär' ich in meinem Revier . Jetzt merkte der Lehrer , was diese Zusammenrottungen zu bedeuten hatten ; in seiner tiefsten Seele trauerte er , daß diese Menschen , denen er doch nur wohlwollte , ihn so mißhandelten . Drinnen trauerte der Lehrer , draußen aber wurde das Gejubel immer lauter . Da raffte er sich auf , er wollte an das Fenster treten und ein Wort der Verständigung sprechen ; glücklicher Weise fiel aber sein Blick auf die Geige , er nahm sie von der Wand und spielte frischweg die Melodie des ihn verfolgenden Liedes . Drunten horchte man still auf , nur verhaltenes Kichern ließ sich vernehmen ; aber der Gesang begann bald wieder und der Lehrer begleitete ihn mit der Geige , so oft man auch wieder anfing . Endlich trat er an das Fenster und sagte hinaus : » So , hab' ich 's recht gemacht ? « » Ja , « erscholl die allgemeine Antwort , und von diesem Abende an blieb der Lehrer von dem Liede verschont , denn man wußte , daß es ihn nicht mehr ärgere . Von dieser Zeit an nahm sich indeß der Lehrer vor , freundlicher und gesprächsamer gegen die Leute zu fein ; er erkannte , daß er nicht nur in der Schule , sondern auch außer derselben Pflichten gegen die Menschen habe , mit denen er gemeinsam lebte . Die Ausführung dieses Vorsatzes wurde ihm bald treulich belohnt . Eines Sonntags nach der Mittagskirche ging er durch die am Hügel gelegene Straße » Bruck « genannt . Da sah er eine alte Frau vor einem Hause sitzen , sie hatte die Hände ineinander gelegt und ihr Kopf wackelte ; er sagte freundlich : Guten Tag ! Nicht wahr , der Sonnenschein thut Ihnen gut ? « » Dank schön , lieber Mensch , « erwiderte die Alte , oft mit dem Kopf nickend . Der Lehrer blieb stehen . » Sie haben schon manchen Sommer erlebt , « sagte er . » Acht und siebenzig , es ist ein' schöne Zeit , siebzig Jahr ein Menschenleben heißt es in der Schrift . Es ist mir oft , wie wenn mich der Tod vergessen hätt ' ; nun unser lieber Herrgott wird mich schon holen , wenn's Zeit ist , er weiß wohl , ich verlauf' ihm nicht . « » Sie können aber doch noch immer gut fort ? « » Nimmer recht – der Krampf – aber das thut gut , « sie zeigte auf die grauen Fädchen , die sie um die beiden Arme gebunden hatte , an denen die Venen geschwollen waren . » Was ist denn das ? « » Ei , das hat eine reine Jungfrau gesponnen , des Morgens nüchtern mit ihrem Munde und hat drei Vaterunser dabei gebetet . Wenn man das unbeschrieen um den Arm thut und dabei neunmal das Gebet in unsers Herrgotts heilige drei Nägel sagt , so stillt's den Krampf , ich muß so viel husten , « sagte sie wie zur Entschuldigung ihrer oft unterbrochenen Rede auf ihre Brust deutend . Wer hat denn die Fäden gesponnen ? « fragte der Lehrer . » Ei mein' Hedwig , mein Enkele , kennet Ihr denn die nicht ? Wer sind Ihr denn ? « » Ich bin der neue Lehrer . « » Und da kennet Ihr mein' Hedwig nicht ? Sie ist ja eine von den Kirchensängerinnen . Sag' mir nur auch ein Mensch , was das für eine Welt ist , da kennt der Lehrer die Kirchensängerinnen nicht mehr . Ich bin auch Kirchensängerin gewesen , man hört mir 's jetzt nimmer an mit meinem Husten ; ich bin ein sauber's Mädle gewesen , ja , ich hab' mich dürfen sehen lassen , und alle Jahre war das Jahressen , da war der Pfarrer und der Schulmeister dabei ; o ! wie sind da g'spässige Lieder gesungen worden , der bayrische Himmel und so Sachen , das ist jetzt auch nimmer , ja die alt' Welt ist eben aus und vorbei . « » Sie haben wohl Ihr Enkelchen sehr lieb ? « » Es ist ja das jüngst' . O ! mein Hedwig die ist noch eine von der alten Welt , die hebt mich und legt mich und da ist kein unschön Wörtle ; ich wollt 's ihr gunnen , daß ich bald sterben thät , sie muß so viel daheim bleiben wegen meiner , und wenn ich gestorben bin , will ich auch recht für sie beten im Himmel . « » Sie beten wohl recht viel ? « » Ja , was kann ich Besseres thun ? Mit dem Schaffen ist es aus . Ich kann auch ein Gebet , das die Seelen vom Mond gerad in den Himmel bringt und daß die Seelen gar nicht in's Fegfeuer brauchen . Die heilig Mutter Gottes hat einmal zu Gott Vater gesagt : Lieber Mann , ich kann das nimmer hören , wie die armen Seelen im Fegfeuer schreien und heulen , es geht mir durch Mark und Bein , und da hat er gesagt : Nu meinetwegen , du darfst ihnen helfen . Und da ist in dem Tyrol einem Mann , der acht Kinder gehabt hat , sein ' Frau gestorben , und da hat er eben ganz schrecklich gejammert wie man sie auf den Kirchhof tragen hat , und da ist alle Morgen die Mutter Gottes kommen , hat die Kinder gestrehlt und gewaschen und die Betten gemacht , und da hat der Mann lang nicht recht gemerkt , wer das thut , und da ist er endlich zum Pfarrer gangen , und da ist der ganz früh mit dem Heilig kommen , und da hat der gesehen wie die Mutter Gottes zum Fenster n' aus ist , schneeweiß , und da ist das Gebet auf der Simse gelegen , und da hat man da ein' Kirch ' hingebaut . « » Dieses Gebet kennen Sie ? « fragte der Lehrer , sich neben der Alten auf die Bank setzend . » Ihr müsset nicht so Sie sagen , « begann die Alte vertraulicher werdend , » das ist nicht der Brauch . « » Habt Ihr noch mehr Enkel ? « fragte der Lehrer . » Noch fünf und auch vierzehn Urenkel , und von meinem Constantin krieg' ich auch bald eins . Kennet Ihr meinen Constantin nicht ? Der hat auch gestudirt , er ist ein Wilder , aber ich hab' nichts über ihn zu klagen , gegen mich ist er alleweil gut . « Plötzlich kam hinter dem Hause hervor ein Mädchen , dem ein schneeweißes Huhn auf dem Fuße folgte . » Hent ihr guate Roath Ahne ? « fragte das Mädchen im Vorübergehen , es schaute kaum eine Weile auf . Der Lehrer war so betroffen , daß er unwillkürlich , aufstand und nach der Mütze griff . » Ist dieß euer Enkelchen ? « fragte er endlich . » Freilich . « » Das ist ja prächtig , « sagte der Lehrer . » Nicht wahr , es ist ein sauber's Mädle ? Der alt' Schmiedjörgli sagt ihm immer , wenn es das Dorf hineinkommt , es wär' grad wie sein' Ahne . Der Schmiedjörgli ist noch der einzig von denen jungen Bursch , mit denen ich getanzt hab' ; jetzt ist es grad wie wenn wir hundert Stund ' von einander wären , er sitzt drinnen im Dorf und kann nicht zu mir kommen und ich nicht zu ihm ; wir müssen halt warten , bis wir halbwegs auf dem Kirchhof zusammenkommen , und da treff' ich die ganz' alt' Welt , und im Himmel da geht 's erst recht an . Mein guter Hansadam muß lange warten bis ich zu ihm komm' , die Zeit wird ihm lang werden . « Euch haben gewiß alle Leut' im Dorfe gern , « sagte der Lehrer . » Wie's in den Wald ' neinhallt , hallt 's raus . Wenn man jung ist , möcht' man gern alle Leut' auffressen , die einen aus Lieb' und die anderen aus Aerger ; wenn man alt ist , da läßt man einem Jeden sein Sach ' . Ihr glaubet's gar nicht , was die Leut ' hier so gut sind ; Ihr werdet's auch noch erfahren . Seid Ihr denn auch schon viel in der Welt ' rumkommen ? « » Fast gar nicht . Mein Vater war auch Schullehrer , er starb , als ich kaum sechs Jahr alt war , bald darauf starb auch meine Mutter ; ich wurde nun in das Waisenhaus gebracht , blieb dort , zuerst als Zögling , dann als Incipient und Hülfslehrer , bis ich diesen Frühling hierher versetzt wurde . Ja , liebe gute Frau , es ist ein hartes Loos , wenn man sich kaum mehr erinnert , daß einen die Hand der Mutter berührt hat . « Die Hand der alten Frau streifte ihm plötzlich über das Gesicht , es war dem Lehrer in der That als ob ihn eine höhere Macht berührte , er saß da mit geschlossenen Augen und die Augäpfel zitterten und bebten , die Wangen glühten ; wie erwachend faßte er die Hand der Alten und sagte : » Nicht wahr , ich darf euch auch Großmutter heißen ? « » Rechtschaffen gern , du guter , lieber Mensch , es kommt mir auf eilt Enkele mehr oder weniger nicht an , und ich will's probiren und will dir deine Strümpf stricken , bring' mir auch die zerrissenen . « Mit einem erhabenen Wohlgefühl faß nun der Lehrer bei der alten Frau , er wollte gar nicht weggehen . Die Vorübergehenden staunten , daß der stolze Mensch sich so vertraulich mit der alten Maurita unterhielt . Endlich kam ein Mann aus dem Hause , die Augen reibend , sich reckend und streckend . » Hast ausg'schlafen Johannesle ? « fragte die Alte . » Ja , aber mein Kreuz thut mir noch sträflich weh von dem Schneiden . « » Es wird schon wieder gut , unser Herrgott läßt Einem vom Schaffen keinen Schaden zukommen , « er widerte die Mutter . Der Lehrer dachte daran , wie ihm das Bücken der Leute als ein ceremoniöses Gebet vorgekommen war . Nach gegenseitigen Begrüßungen begleitete er nun den Johannesle hinaus in das Feld . Johannesle liebte eine Unterhaltung , bei der man nichts zu trinken brauchte und die auf diese Weise nichts kostete ; er war daher entzückt von der Liebenswürdigkeit und Gescheitheit des Lehrers , denn dieser hörte ihm aufmerksam zu : die Darlegung seines Hauswesens , die Geschichte des Constantin und noch vieles Andere . Am Abend erzählte Johannesle allen Leuten , der Lehrer sei gar nicht so ohne , er könne nur nicht recht mit der Sprache heraus , er könne den Rank Mit einem Fuhrwerk geschickt um eine Ecke biegen , nennt man den Rank kriegen . nicht kriegen . Der Lehrer aber schrieb , als er nach Hause kam , in sein Taschenbuch : » Die Frömmigkeit allein erhält den Menschen auch noch im Alter liebenswürdig , ja sie macht heilig und anbetungswerth , die Frömmigkeit ist die Kindheit der Seele ; wenn fast wieder das Kindischwerden hervortritt , verbreitet sie eine anmuthige glorienhafte Milde über das ganze Wesen . Wie hart , herb und häßlich sind genußsüchtige , selbstsüchtige Menschen im Alter , wie erhaben war diese Frau selbst in ihrem Aberglauben ! « Noch etwas Anderes schrieb der Lehrer in sein Taschenbuch , aber er strich es alsbald wieder aus . In herber Selbstanklage saß er lange einsam , endlich ging er hinaus auf die Straße , sein Herz war so voll , er mußte unter Menschen sein ; der Gesang der Burschen , der weithin schallte , durchzitterte seine Brust und er sagte : » Wohl mir , es ist gekommen , daß der Gesang der Menschen mich noch tiefer faßt , als der Gesang der Vögel ; ich höre den brüderlichen Ruf. O Gott ! ich liebe euch Alle ! « So wandelte er noch lange durch das Dorf , im Herzen traulich zu Allen sprechend , aber kein Wort kam über seine Lippen . Ohne zu wissen , wie es gekommen war , stand er plötzlich vor dem Hause Johannesle's in der Bruck : Alles still ringsum , nur aus der untern Stube , wo die Leibgeding-Wohnung der Großmutter war , vernahm man eintöniges Murmeln von Gebeten . Erst spät in der Nacht kehrte der Lehrer heim . Alles war still , nur hier und dort vernahm man das leise Wispern zweier Liebenden . Als er endlich in seine Stube eintrat , wo Niemand war , der ihm auf seine Reden eine Antwort gab , der nach ihm aufschaute und ihm gleichsam sagte : freue dich , du lebst und ich lebe mit dir – da betete er laut zu Gott : » Herr ! laß mich das Herz finden , das mein Herz versteht . « Am andern Tage wußten die Kinder gar nicht , warum der Lehrer heute so überaus fröhlich dreinsah . In der Zwischenstunde schickte er des Mathesen Hannesle in den Adler und ließ sagen , man brauche ihm das Essen nicht zu schicken , er wolle selbst hinkommen . Es war mißlich , daß der Lehrer sich mit so hochfliegenden Gedanken dem Leben um ihn her näherte ; er konnte sich wohl zurückhalten , seine eigenen Empfindungen den Andern mitzutheilen , dem aber konnte er nicht steuern , daß ihm manches Häßliche und Widrige vor die Augen gerückt wurde . In der Wirthsstube traf er das Bärbele , das in der Schenke stand , in eifrigem Gespräch mit einer andern Frau . » Gelt , « sagte Bärbele , » sie haben dir gestern Abend den Deinen wüst heimbracht , er hat stark auf ein' Seite geladen gehabt ; wenn ich's gesehen hätt' , daß sie ihm Branntwein in's Bier schütten , ich hätt' scharf ausgefegt . « » Ja , « sagte die Frau , » er war ganz erbärmlich Zugerichtet , er war grad wie ein voller Sack . « » Ja und du sollst dich noch so schön bedankt haben , was hast denn gesagt ? Sie haben so gelacht , es hat gar kein End' nehmen wollen . « » Ich hab' halt gesagt , sag' ich : Ich dank' schön ihr Mannen , vergelt's Gott . Da haben sie mich gefragt : für was denn ? Da hab' ich gesagt , sag' ich : Bedankt man sich ja wenn man einem ein' Wurst bringt , warum wird man sich nicht für ein ' ganze Sau bedanken ? « Der Lehrer legte die Gabel weg , als er diese Nohheit vernahm ; bald aber aß er wieder weiter , indem er lächelnd darüber nachdachte , wie das Unglück und die Leidenschaft so oft witzig mache . Bei allen Gefühlsverletzungen , die der Lehrer durch die Art und Weise der Bauern empfand , wendete er sich aber nicht mehr an die Mutter Natur , sondern an die Großmutter Maurita , die ihm über die Art , wie die Menschen hier lebten , manchen Aufschluß gab . Viele Leute sagten daher , die alte Frau habe den Lehrer behext . Dem war aber nicht so . So gerne er sich auch an ihrem liebevollen Herzen erlabte , konnte man doch eher sagen , die Hedwig hätte es ihm angethan , obgleich er sie nur einmal gesehen und noch kein Wort mit ihr gesprochen , hatte . » Hent ihr guate Roath , Ahne ? « Diese Worte wiederholte er sich oft , sie klangen ihm so innig , so melodisch , trotzdem sie in dem derben Dialekte gesprochen waren , ja dieser selber hatte eine gewisse Milderung und Anmuth dadurch erhalten . Mit aller Macht seiner früheren Vorsätze stemmte sich unser Freund gegen die Hinneigung zu einem Bauernmädchen , aber wie es immer geht , die Liebe findet Auswege genug ; so sagte sich auch der Lehrer : » Gewiß ist sie das wiedergeborene Ebenbild der guten Großmutter , nur frischer , von der Sonne der neuern Zeit durchleuchtet . Hent ihr guate Roath , Ahne ? « Eines Abends saß der Lehrer wiederum bei der Alten , da kam das Mädchen hochgerötheten Antlitzes mit der Sichel in der Hand vom Felde heim , seine Schürze hielt es behutsam aufgeschlagen ; es trat nun zur Großmutter und reichte ihr aus der Schürze die in Haselblätter eingehüllten Brombeeren . » Du weißt doch , was der Brauch ist Hedwig , zuerst wartet man den Fremden auf , « sagte die Großmutter . » Langet naun zua , Herr Lehrer , « sagte das Mädchen frei aufschauend ; der Lehrer nahm erröthend eine Brombeere . » Iß auch mit , « sagte die Großmutter . » I dank , esset 's naun Ihr mit einander , 's soll Euch wohl bekommen . « » Wo hast 's denn brochen ? « fragte die Großmutter . » Neabe aunserm Acker im Grund , Ihr kennet jo die Heck , « sagte das Mädchen und ging in das Haus . Es war dem Lehrer ganz eigen zu Muthe , daß von der Hecke , die er am ersten Mittage seines Hierseins gezeichnet , ihm Hedwig jetzt die reife Frucht brachte . Hedwig kam bald wieder aus dem Hause , die weiße Henne folgte ihr auf dem Fuße . » Wohin so schnell wieder , Jungfer Hedwig ? « fragte der Lehrer , » wollt Ihr euch nicht ein wenig zu uns setzen ? « » Ich dank schön , ich will noch bis zum Nachtessen ein bisle ' nüber zum alten Lehrer . « Hedwig sprach zwar immer ganz im Dialekt , zum bessern Verständniß geben wir es aber möglichst hochdeutsch wieder . » Wenn 's erlaubt ist , begleit' ich Euch , « sagte unser Freund und ohne eine Antwort abzuwarten ging er mit . Kommet Ihr oft zum alten Lehrer ? « » Freilich , er ist ja mein Vetter , sein Weib ist die Schwester von meiner Ahne gewesen . « » So , das freut mich herzlich . « » Warum ? Habt ihr mein Bas' gekannt ? « » Nein , ich mein' nur so . « Man war an dem Garten des alten Lehrers angelangt , Hedwig schloß schnell die Gartenthüre hinter sich und ließ die Henne draußen , die wie eine Schildwache hier harrte . » Wie kommt 's , « fragte der Lehrer , » daß Euch das Huhn so nachläuft ? Das ist ja etwas ganz Seltenes . « Hedwig stand verlegen da und zupfte an ihren Kleidern . » Dürfet Ihr mir 's nicht sagen ? « fragte der Lehrer wieder . » Ja , ich darf , ich kann , aber – Ihr dürfet mich nicht auslachen und müsset mir versprechen , daß Ihr 's nicht weiter saget ; sie thäten mich sonst foppen . « Der Lehrer faßte schnell die Hand des Mädchens und sagte : » Ich versprech's Euch hoch und heilig . « Er ließ die Hand nicht mehr los , und verlegen zur Erde schauend , sagte das Mädchen : » Ich , ich hab' , ich hab' das Hühnle an meiner Brust ausgebrütet ; die Gluckhenn' ist verscheucht worden und da hat sie die Eier liegen lassen und wie ich das einzig Ei'le gegen das Licht gehalten hab' , hab' ich gesehen , daß schon ein Köpfle drin ist , und da hab' ich 's halt zu mir genommen ... Ihr müsset mich nicht auslachen , aber wie das Hühnle ' rauskommen ist , da hab' ich mich vor Freud' gar nicht zu halten gewußt ; ich hab' ihm ein Federbettle gemacht , hab' ihm Brod gekaut und hab's geäzt , und es ist schon an : andern Tag auf dem Tisch 'rumgelaufen . Es weiß Niemand was davon als mein' Ahne . Da ist mir jetzt das Hühnle so treu , wenn ich in's Feld' geh' , muß ich 's einsperren , daß es mir nicht nachlauft . Geltet , ihr lachet mich nicht aus ? « » Gewiß nicht , « sagte der Lehrer , und ging noch eine Strecke Hand in Hand mit Hedwig , dann aber verwünschte er die Ordnungsliebe und Sparsamkeit des alten Lehrers , der den fernern Weg so eng gemacht hatte , daß nicht zwei neben einander gehen konnten . Unser Freund war sehr erzürnt , als der alte Schullehrer mit ungewöhnlich schnellem Lachen den beiden Ankommenden zurief : » Kennet Ihr schon einander ? Hab' ich dir 's nicht schon lang gesagt , Hedwig , du mußt einen Schullehrer kriegen ? « Dieses unzeitige Anfassen einer kaum knospenden Blüthe that unserm Freunde in tiefster Seele weh , doch er bemeisterte seine Empfindlichkeit und schwieg ; er staunte aber , daß Hedwig , als ob nichts gesagt worden wäre , begann : » Vetter , Ihr müsset morgen Eure Sommergerste in den Holzschlägeläckern schneiden , sie ist überzeitig und fällt sonst ganz um . « Es wurde wenig gesprochen , Hedwig schien sehr müde , sie setzte sich auf die Bank vor einem Baume . Die beiden Lehrer sprachen nun mit einander , aber unser junger Freund sah das Mädchen dabei immer so durchdringend an , daß es sich mehrmals mit der Schürze über das Gesicht fuhr : es meinte , es müsse in der Küche , als es die Kartoffeln an's Feuer gestellt hatte , sich rußig gemacht haben . Unser Freund hatte aber ganz andere Dinge zu bemerken . Es fiel ihm jetzt zum erstenmale auf , daß Hedwig mit dem linken Auge ein wenig schielte ; dieß war aber keineswegs unangenehm , vielmehr gab es dem Ausdrucke etwas Weiches und Scheues , was zu der übrigen Bildung des Gesichtes wohl paßte : die feine schlanke Nase , der überaus kleine Mund mit den kirschrothen Lippen , die runden , zartrothen Wangen – die Blicke des jungen Mannes ruhten mit Wohlgefallen darauf . Endlich , da er seinem Collegen mehrere verkehrte Antworten gegeben hatte , merkte er daß es Zeit zum Gehen sei ; er verabschiedete sich , und Hedwig sagte : » Gut' Nacht , Herr Lehrer . « » Erhalte ich nicht auch noch eine Gutnachthand ? « Hedwig versteckte schnell beide Hände hinter dem Rücken . » Bei uns fragt man nicht , bei uns nimmt man sich die Hand , he , he , « sagte der alte Lehrer . Unser Freund ließ sich diese Weisung nicht zweimal geben , er sprang hinter den Baum , um die Hand Hedwigs zu fassen , diese aber wendete ihre Hände schnell nach vornen . Der Lehrer getraute sich nicht , mit ihr zu ringen und so sprang er noch mehrmals vor- und rückwärts , bis er zuletzt stolperte und vor Hedwig niederfiel ; sein Haupt lag in ihrem Schooße auf ihrer Hand , schnell besonnen drückte er einen heißen Kuß auf diese Hand und nannte sie im Geiste sein . So blieb er eine Weile , ohne sich zu erheben , bis endlich Hedwig mit beiden Händen seine Wangen bedeckend ihn emporhob ; verworren um sich schauend sagte sie : » Stehet auf , Ihr habt Euch doch nichts gethan ? Gucket , das kommt von denen Späß ' ; Ihr müsset Euch nur von meinem Vetter da nichts anlernen lassen . « Der Lehrer stand auf und Hedwig bückte sich schnell nieder , um ihm mit der innern Seite ihrer Schürze die beschmutzten Knie zu reinigen ; der Lehrer aber duldete das nicht , sein Herz pochte schnell , da er diese demuthvolle Bescheidenheit sah . Bald stand er wieder gesäubert da und sagte Hedwig abermals gute Nacht ; sie blickte zur Erde , weigerte ihm aber ihre Hand nicht mehr . Schwebenden Ganges ging der Lehrer dahin , es war als ob er den Boden kaum berührte , als ob eine höhere Macht ihn trüge ; ein unnennbares Kraftgefühl durchströmte sein innerstes Mark , ihm war so leicht und frei , alle Leute schauten ihn verwundert an , denn er lächelte ihnen ganz offen zu . – So schnellem Wechsel ist aber ein Menschengemüth hingegeben , daß bald nach dem ersten Jubel der Lehrer in trüber Selbstanklage zu Hause saß : » Du hast dich von einer Leidenschaft zu schnell hinreißen lassen , « sagte er sich . » Ist das die Festigkeit ? An ein ungebildetes Bauermädchen hast du dich hingegeben , weggeworfen . – Nein , nein , aus diesem Antlitze spricht die Majestät einer zarten , sanften Seele . « Noch mancherlei Gedanken stiegen in ihm auf , er kannte jetzt das Bauerleben , und noch spät schrieb er in sein Taschenbuch : » Das silberne Kreuz auf ihrem Busen ist mir ein schönes Sinnbild der Heiligkeit , Unnahbarkeit und Unberührtheit . « Hedwig aber hatte zu Hause keinen Bissen zu Nacht gegessen , ihre Leute zankten , sie habe zu viel geschafft , sie habe gewiß noch dem Lehrer in der Gartenarbeit geholfen ; sie verneinte und machte sich bald zu ihrer Großmutter , mit der sie in einem Zimmer schlief . Noch lange nach dem Nachtgebet sagte sie , als sie die Großmutter husten hörte und nun wußte , daß sie auch noch wach sei : » Ahne , was hat denn das zu bedeuten , ein Kuß auf die Hand ? « » Daß man die Hand gern hat . « » Weiter nichts ? « » Nein . « Wieder nach einer Weile sagte Hedwig : » Ahne . « » Wasele ? « Verkleinerungsform von » was . « » Ich hab' was fragen wollen , ich weiß aber nimmer . « » Nun , so schlaf jetzt , du bist müd , wenn 's was Gut's ist , wird 's morgen früh auch nicht zu spät sein ; es wird dir schon einfallen . « Hedwig wälzte sich aber schlaflos im Bett umher . Sie überredete sich , daß sie nicht schlafen könne , weil sie den Hunger übergangen habe ; sie wirkte nun mit aller Gewalt ein Stück Brod hinab , das sie für alle Gefahren bereit gehalten hatte . Der Lehrer war indeß auch mit sich in's Reine gekommen . Anfangs hatte er sich vorgenommen , sich selber und seine Neigung zu prüfen , eine Zeit lang Hedwig gar nicht mehr zu sehen ; endlich aber gelangte er doch zu dem weiseren und erfreulicheren Entschlusse , Hedwig im Gegentheil recht oft zu sehen und ihre Geistesbildung auf allerlei Weise zu prüfen . Andern Tages ging er nun zu seinem alten Collegen und forderte ihn zum Spazirgange auf ; er sah es wohl , schon um Hedwigs willen mußte er hier in ein näheres Verhältniß treten . Der alte Mann ging eigentlich nie spaziren , die Gartenarbeit verschaffte ihm Bewegung genug ; die Einladung unseres Freundes erschien ihm jedoch als Ehrenbezeigung und er ging mit . Es war auffallend , wie wenig Gesprächsstoffe bei dem alten Manne Feuer fingen ; sie waren immer wieder eben so schnell aus als seine Pfeife , für die er aller fünf Minuten Feuer schlug . Von Hedwig wollte der junge Mann nicht unmittelbar sprechen , aus den Bestrebungen des Alten selber wollte er schon Manches schließen . » Leset Ihr auch bisweilen noch Etwas ? « fragte er daher . » Nein , fast gar nichts , es kommt mir auch doch nichts dabei heraus ; wenn ich auch alle Bücher auswendig könnte , was hätt' ich davon ? Ich bin pensionirt . « » Ja , « erwiderte der junge Mann , » man vervollkommnet seinen Geist doch nicht bloß um des äußern Nutzens willen , den man daraus ziehen mag , sondern um ein erhöhtes , inneres Leben zu gewinnen , um immer tiefer und klarer zu schauen . Alles auf Erden und zumal das höhere Geistesleben muß zuerst Zweck für sich – « Der Alte schlug sich mit großer Gemüthsruhe Feuer , unser Freund hielt mitten in einer Auseinandersetzung inne , die ihm erst seit Kurzem aufgegangen war . Eine Weile schritten die Beiden wortlos neben einander , dann fragte der Jüngere wieder : » Nicht wahr , aber Musik macht Ihr immer gern ? « » Das will ich meinen , da sitz' ich oft halbe Nächt ' und feile , da brauch' ich kein Licht , verderb' mir die Augen nicht , hab' Unterhaltung und brauch ' keinen Menschen dazu . « » Und Ihr vervollkommnet Euch darin , so weit Ihr könnt ? « » Warum nicht ? Gewiß . « » Ihr habt doch aber auch keinen Nutzen davon , « sagte der junge Mann . Der Alte schaute ihn verwundert an ; jener aber fuhr fort : » Wie Euch die Musik und Eure Ausbildung darin Freude bereitet , ohne daß Ihr einen Nutzen davon wollt , so könnte und sollte es wohl auch mit dem Lesen und der Geistesbildung sein ; aber es geht hiemit oft gerade so wie vielen Leuten , die sich nicht mehr mit der gehörigen Sorgfalt kleiden , weil sie Niemanden haben , auf dessen Gefallen sie ein besonderes Gewicht legen . Ich hörte vorgestern , wie ein junger Bursche einer jungen Frau über ihren nachlässigen Anzug Vorwürfe machte . › Ei , ‹ sagte sie , › was liegt jetzt da dran ? Ich bin jetzt schon verkauft , der Mein' muß mich halt haben , wie ich bin . ‹ Als ob man sich eines äußern Zweckes , nur Anderer wegen sorgfältig kleide , und nicht weil es die eigene Natur , die Selbstachtung verlangt . So geht es auch Vielen mit der Geistesbildung ; weil sie solche bloß des äußern Zweckes wegen betrieben , lassen sie davon ab , sobald der nächste Zweck erreicht oder nicht mehr da ist . Wer aber seine geistige Natur , seinen geistigen Leib , wenn ich so sagen kann , achtet und schätzt , wird ihn immer schön und rein erhalten und ihm stets mehr Kraft zu geben suchen . « Der junge Mann erkannte erst jetzt , daß er eigentlich ein lautes Selbstgespräch gehalten hatte ; er fürchtete indeß nicht , den Alten beleidigt zu haben , denn er sah dessen vollkommene Gleichgültigkeit . Mit schwerem Herzen erkannte er von Neuem , wie mühevoll es sei , die höheren allgemeinen Gedanken und Anschauungen an Mann für Mann zu verzapfen . » Wenn der alte Lehrer so harthäutig ist , wie wird es dir erst bei den Bauern gehen , « dachte er . So schritten sie eine stille Weile dahin , bis der Jüngere wieder begann : » Meinet Ihr nicht auch , daß man in unserer Zeit viel frommer , oder wenigstens grad so fromm ist , als in der alten Zeit ? « » Frommer ? In 's Teufels Namen , man war in der alten Zeit auch nicht letz , Verkehrt . aber man hat nicht so viel Aufhebens , so viel Geschmus Geschmus , von den Juden entlehnter Ausdruck , so viel als unnöthige Redensart . davon gemacht ; z'litzel und z'viel verdirbt alle Spiel' , he he . « Wieder war Stille . Endlich fand der junge Mann den rechten Gegenstand , indem er fragte : » Wie war 's denn in früheren Zeiten mit der Musik ? « Da lebte der Alte ganz auf , er hielt Zunder und Stahl in der Hand , ohne sich Feuer zu schlagen , denn er sagte : » Das ist heutigen Tages nur noch ein Gedudel . Ich war dritthalb Jahr ' Unterorganist im Münster zu Freiburg , Herr ! Das ist eine Orgel , ich hab' den Abt Vogler drauf gehört , im Himmel kann 's nicht schöner sein als der gespielt hat . Hernach hab' ich auch auf mancher Kirchweih aufgespielt . Früher hat man meist Geigen gehabt , auch eine Harf' und ein Hackbrett , jetzt haben sie nichts als Blasinstrumente : große Trompeten , kleine Trompeten , Klappentrompeten , Alles nichts als Wind und viel Geschrei . Und was verdient jetzt so ein Musikant bei einer Kirchweih ? Vor Zeiten waren drei Mann vollauf , jetzt müssen's sechs , sieben sein ; sonst waren kleine Stuben , kleiner Baß und groß Geld , jetzt – große Stuben , großer Baß und klein Geld . Ich bin einmal mit zwei Kameraden im Schappacherthal ' rumzogen , da sind uns die Federnthaler von allen Seiten zugeflogen . Einmal haben sich zwei Orte schier todtgeschlagen , weil mich ein jedes hat zur Kirchweih haben wollen . « Nun erzählte der Alte eine seiner Hauptgeschichten , wie ihn nämlich ein Ort wegen seines guten Geigenspiels als Lehrer angenommen , die Regierung aber einen Andern mit Dragonern einsetzen wollte , wie das ganze Dorf revoltirte , so daß es am Ende doch bei seiner Bestallung blieb . » Hat denn Euer Ansehen als Lehrer nicht darunter gelitten , wenn Ihr auf den Kirchweihen spieltet ? « fragte der junge Mann . » Im Gegentheil , ich hab' hier im Ort mehr als fünfzigmal gespielt und Ihr werdet Keinen sehen , der nicht die Kapp' vor mir lupft . « Der Redefluß des Alten war in ununterbrochenem Gange , bis man wieder in den Garten zurückgekehrt war ; unser Freund harrte aber umsonst auf die Ankunft Hedwigs , sie kam nicht . So ward doch der anfängliche Vorsatz erfüllt , er sah Hedwig eine lange , lange Zeit nicht , nämlich einen ganzen Tag . Andern Tages ging unser Freund wieder allein in das Feld , er sah den Buchmaier auf einem großen , breiten Acker mit einem Pferde , das vor eine Art Walze gespannt war , arbeiten . » Fleißig , Herr Schultheiß ? « sagte der Lehrer ; er hatte sich nun schon die bräuchlichen Anreden gemerkt . » So ein Bisle , « erwiderte der Buchmaier und trieb seinen Gaul noch bis an's Ende des Feldes nach dem Wege zu , dann hielt er an . » Ist das der Fuchs , « fragte der Lehrer , » den Ihr selben Tag , als ich angekommen bin , eingewöhnt habt ? « » Ja , der ist's , das freut mich , daß Ihr auch daran denket ; ich hab' gemeint , Ihr denket allfort bloß an eure Geschriften . Gucket , mit dem Gaul ist mir 's ganz besonders gangen . Ich hab ' meinem Oberknecht seinen Willen gelassen und hab' ihn gleich anfangs zweispännig eingewöhnen wollen , aber es ist nicht gangen . So ein Füllen , das sein Lebtag noch kein Geschirr auf dem Leib gespürt hat , das schafft sich ab und zieht und thut und bringt doch nichts Rechts zuweg ; wenn es scharf anzieht und mit den Sträng ' ein Bisle vor ist , so macht es den Nebengaul nur irr , daß er gar nichts mehr thut und nur so neben her lottert ; wenn man's allein hat , so lernt es stet thun und zappelt sich nicht so für nichts ab . Wenn ein Gaul einmal allein gut ist , nachher geht er auch selbander gut , und man kann schon eher ' rauskriegen , wie stark der Nebengaul sein muß . « Aus mancherlei Anwendungen , die der Lehrer von dieser Rede machte , sagte er nur diese laut : » Es geht auch bei den Menschen so : zuerst muß man für sich allein etwas gewesen sein , ehe man in Gemeinschaft gut arbeitet und tüchtig ist . « » Daran hab' ich noch nicht dacht , aber es ist wahr . « » Ist das die neue Säemaschine , die Ihr da habt ? was säet Ihr denn ? « » Reps . « » Findet Ihr es nun mit der Maschine nützlicher , als mit der früheren Art zu säen ? « » Wohl , es wird gleicher , ist aber nur für große Aecker ; Bauern , die nur ein klein Schnipfele haben , das man wohl mit einer Handvoll überlangen kann , die säen besser mit der Hand . « » Ich muß gestehen , für mich hat das Säen mit der Hand etwas Ansprechendes ; es liegt eine sinnige Deutung darin , daß das Samenkorn zuerst unmittelbar in der Hand des Menschen ruht , dann hingeschleudert eine Weile frei in der Luft schwebt , bis es von der Erde angezogen in den Boden fällt , um zu verwesen und neu aufzugehen . Findet Ihr das nicht auch ? « Es kann sein , ich merk' aber eben erst , daß man den Säespruch nicht mehr gut sagen kann mit der Maschine ; nun , man kann 's doch dabei denken . « » Welchen Säespruch ? « » Früher hat man bei jeder Handvoll , die man ausgestreut hat , gesagt : Ich säe diesen Samen , Hier in Gottes Namen , Für mich und die Armen . « » Dieser Spruch sollte nicht aufhören . « » Ja , wie gesagt , man kann 's ja auch so denken , oder auch sagen ; es ist eben nützlicher mit der Maschine . « » Finden solche neue Erfindungen hier leicht Eingang ? « » Nein . Wie ich zum erstenmal meine Ochsen jeden in ein besonder ' Joch gespannt hab' , ist das ganze Dorf nachgelaufen ; wie ich nun gar das Ding da vom landwirthschaftlichen Fest heimbracht hab' und zum erstenmal mit 'naus bin , da haben mich die Leute für närrisch gehalten . « » Es ist doch traurig , daß die Verbesserungen so schwer bei dem gewöhnlichen Volke Eingang finden . « » Oh Fuchs , Oha ! « schrie der Buchmaier seinem unruhig scharrenden Pferde zu ; dann es fester haltend fuhr er fort : » Das ist gar nicht traurig , Herr Lehrer , im Gegentheil , das ist recht gut . Glaubet mir , wenn die Bauersleut ' nicht so halsstarrig wären und jedes Jahr das Versucherles machen thäten , das die studirten Herren aushecken , wir hätten schon manches Jahr hungern müssen . Oha Fuchs ! Ihr müsset Euch in der Landwirthschaft ein Bisle umsehen , ich will Euch ein paar Bücher geben . « » Ich will zu Euch kommen , ich sehe , das Pferd will nicht mehr stillhalten ; ich wünsch' gesegnete Arbeit . « » B' hüts Gott , « sagte der Buchmaier , über den letzten Gruß lächelnd . Der Lehrer ging seines Weges , der Buchmaier fuhr in seiner Arbeit fort . Kaum war aber Jener einige Schritte entfernt , als er den Buchmaier den Lauterbacher pfeifen hörte , er schreckte ein wenig zusammen , denn er war noch nicht frei von Empfindlichkeit und war geneigt , dieß für Spott zu halten ; bald aber sagte er sich wieder : der Mann denkt gewiß nichts Arges dabei – und darin hatte er Recht , denn der Buchmaier dachte nicht nur nichts Arges , sondern gar nichts dabei , die lustige Weise war ihm eben so in den Mund gekommen . In einer Feldschlucht , wo er sich zuerst umgesehen , ob ihn Niemand bemerke , schrieb der Lehrer in sein Taschenbuch : » Die stetige und fast unbewegliche Macht des Volksthums , des Volksgeistes , ist eine heilige Naturmacht ; sie bildet den Schwerpunkt des Erdenlebens , und ich möchte wiederum sagen , die vis inertiae im Leben der Menschheit . Welchen unglückseligen Schwankungen wäre die Menschheit hingegeben , wenn alsbald jede sittliche , religiöse und wirthschaftliche Bewegung die der Gesammtheit würde ! Erst was die Schwankung verloren , erst was Stetigkeit , ich will sagen was ruhige Bewegung geworden , kann hier einmünden ; hier ist das große Weltmeer , das sich in sich bewegt ... . Ich will das Leben und die Denkweisen dieser Menschen heilig achten , aber ich will es versuchen ... « Was der Lehrer versuchen wollte , war hier nicht ausgedrückt , aber er hatte auf glückliche Weise an manchen Enden des Dorflebens angeknüpft . Hedwig sprach er mehrere Tage nicht , er sah sie wohl einigemal als er bei der Großmutter war , aber sie schien sehr beschäftigt und huschte nur immer mit kurzen Reden vorbei , ja , sie schien ihm fast auszuweichen ; er wartete in Geduld eine Zeit der Ruhe ab . Wohl bewegte die Liebe zu dem Mädchen mächtig sein Herz , aber auch die ganze Welt des Volksthums , die sich ihm aufschloß , schwellte ihm die Brust . Er ging oft wie traumwandelnd umher , und doch hatte er noch nie so sicher und fest im Leben gestanden als eben jetzt . Manche Trübsal und Störung erfuhr auch der Lehrer durch den Studentle . Dieser war begierig zu erfahren , was der Lehrer mit seiner Großmutter zu » basen « habe ; er gesellte sich daher mehrmals zu den Beiden . Wenn ein tieferer Gemüthston angeschlagen wurde , fuhr er mit lustigen Spöttereien drein . Als der Lehrer fragte : » Großmutter , gehet Ihr gar nie in die Kirche ? « erwiderte der Studentle schnell : » Ja , Großmutter , Euch gedenkt 's vielleicht noch , wer die Kirch' gebaut hat ; der Herr Lehrer möcht's gern wissen , er will aber doch die Kirch ' im Dorf lassen . « » Sei still du , « entgegnete die Großmutter , » wenn du was nutz wärst , wärst du jetzt Meister in der Kirch' und wärst Pfarrer . « Zu dem Lehrer gewendet fuhr sie fort : » Schon seit fünf Jahren bin ich nicht in der Kirch' gewesen , aber am Sonntag merk ' ich schon daheim am Läuten , wenn das Heilig gezeigt wird und wann die Wandlung ist ; da sag' ich dann die Litanei allein . Alle Jahr zweimal kommt der Pfarrer und gibt mir das Abendmahl ; er ist gar ein herziger Mann , unser Pfarrer , er kommt auch sonst zu mir . « » Meinet Ihr nicht Herr Lehrer , « begann der Studentle , » daß meine Großmutter eine Aebtissin comme il faut wäre ? « Die Großmutter schaute den Beiden verwundert in's Gesicht , da sie so fremde Worte über sich hörte , sie wußte nicht , was das zu bedeuten habe . Allerdings , « sagte der Lehrer , » aber ich glaube , daß sie auch eben so fromm sein und eben so selig werden kann . « » Gucket Ihr 's , Ahne , « sagte der Studentle frohlockend , » der Herr Lehrer sagt 's auch , daß die Pfarrer kein Brösele mehr sind als andere Menschen . « » Ist das wahr ? « fragte die Alte betrübt . » Ich meine so , « begann der Lehrer , » es können ja alle Menschen selig werden , aber ein echter Geistlicher , der fromm und gut ist und eifrig für das Seelenheil seiner Nebenmenschen sorgt , der hat eine höhere Stufe . « » Das mein' ich auch , « sagte die Alte . Dem Lehrer stand der Angstschweiß auf der Stirne , der Studentle aber fragte wieder : » Sind Ihr nicht auch der Meinung , Herr Lehrer , daß die Geistlichen heirathen sollten ? « » Es ist Kirchengesetz , daß sie nicht heirathen dürfen , und wer bei vollem Bewußtsein Geistlicher geworden ist , muß sein Gesetz halten . « » Das mein' ich auch , « sagte die Alte mit großer Heftigkeit , » die wo heirathen wollen , das sind Fleischteufel , und man heißt's Geistlich und nicht Fleischlich . Ich will Euch was sagen , gebet dem da kein' Antwort mehr , lasset Euch Euer gut Gemüth nicht verderben , der hat heut wieder seinen gottlosen Tag , er ist aber nicht so schlecht , wie er sich stellt . « Der Studentle sah , daß bei seiner Großmutter nichts auszurichten war , und ging mißmuthig davon , auch der Lehrer entfernte sich bald ; wieder war ihm ein schönes zartes Verhältnis hart angefaßt worden . Erst zu Hause gelangte er zur Ruhe und stählte sich gegen die unvermeidlichen Eingriffe von außen . Am Sonntag gelang es unserm Freunde endlich wieder , Hedwig in Ruhe zu sprechen ; er traf sie bei dem alten Lehrer im Garten , sie saß mit ihm auf der Bank , die Beiden schienen nichts gesprochen zu haben . Nach einigen gewöhnlichen Redeweisen begann der Lehrer : » Es ist doch eine hohe erhabene Sache , daß der siebente Tag durch die Religion geheiligt und aller Arbeit ledig ist ; wenn wir uns vorstellen , daß das nicht so wäre , die Leute würden vor übermäßiger Anstrengung sterben . Wenn man in dieser hohen Erntezeit z.B. Tag für Tag ohne Unterlaß arbeiten würde , bis Alles vollbracht wäre , Niemand könnte es aushalten . « Hedwig und der alte Mann sahen zuerst über diese Rede verwundert drein , dann aber sagte Hedwig : » Ihr sind wohl schon hier gewesen , wie's der Pfarrer in der Heuet erlaubt hat , daß man am Sonntag das Heu wenden darf , weil es so lange geregnet hat und Alles erstickt wär' . Ich bin auch mit ' naus in's Feld , aber es ist mir gewesen , wie wenn jede Gabel voll Heu doppelt so schwer sei ; es ist mir gerad' gewesen , wie wenn mich Einer am Arm halten thät' , und den andern Tag und die ganz ' Woch ' war mir's , wie wenn die ganz Welt verkehrt wär ' und schon ein Jahr lang kein Sonntag mehr gewesen sey . « Freudestrahlend blickte der Lehrer Hedwig an , ja , das war die Großmutter ; zu dem alten Manne gewendet sagte er aber : » Ihr müsset Euch noch der Zeit erinnern , als man in Frankreich die Dekaden einführte . « » Dukaten ? die kommen ja aus Italien . « » Ich meine Dekaden . Man verordnet nämlich , daß nur alle Zehn Tage ein Ruhetag sein solle , da wurden ebenfalls alle Menschen krank . Die Zahl Sieben wiederholt sich auf eine geheimnißvolle Weise in der ganzen Natur und darf nicht verrückt werden . « » Das war ja verrückt , alle zehn Tage einen Sonntag , he , he , « sagte der alte Mann . » Wisset ihr auch die Geschicht' von dem Herrn , wo in der hiesig ' Kirch ' in Stein gehauen ist mit dem Hund ? « fragte Hedwig . » Nein , erzählet sie . « » Das war auch so Einer , der den Sonntag nicht heilig gehalten hat . Es war ein Herr – Der Herr von Isenburg und Nordstetten , « ergänzte der Alte . » Ja , « fuhr Hedwig fort , » man sieht in Isenburg nur noch ein paar Mauern von seinem Schloß ; der hat nun auch nichts auf keinen Sonntag und keinen Feiertag gehalten , und hat nichts auf der Welt lieb gehabt als seinen Hund , der war so groß und bös wie ein Wolf . Am Sonntag und Feiertag hat er die Leut ' zwungen , daß sie haben Alles schaffen müssen , und wenn sie nicht gutwillig gangen sind , ist der Hund von ihm selber auf sie gesprungen und hat sie schier verrissen , und da hat er , der Herr , gelacht und hat dem Hund den Namen Sonntag geben . Er ist nie in die Kirch' gangen als ein einzigmal , wie man sein ' einzig ' Tochter copuliert hat ; er hat den Hund , wo Sonntag geheißen hat , mit in die Kirch' nehmen wollen , der ist aber nicht dazu zu bringen gewesen , und hat sich vor der Kirch' auf die Schwell hingelegt bis sein Herr wieder 'rauskommen ist . Wie nun der ' rausgeht , stolpert er über den Hund , fällt hin und ist maustodt , und da ist auch sein ' Tochter gestorben , und die sind jetzt beide mit sammt dem Hund in der Kirch ' in Stein gehauen . Man sagt , der Hund sei der Teufel gewesen , und sein Herr hab' sich ihm verschrieben gehabt . « Der Lehrer suchte zu beweisen , daß diese Sage sich erst durch das Vorhandensein des Denkmals gebildet habe , daß die Adeligen sich gerne mit Wappentieren abbilden lassen u. s.w. ; er fand aber wenig Anklang und schwieg . Niemand war geneigt das Gespräch fortzusetzen . Hedwig machte mit ihrem Fuße ein Grübchen in den Sand , der Lehrer nahm hier zum erstenmal Gelegenheit , die Kleinheit ihres Fußes zu bemerken . » Leset Ihr nicht auch mitunter am Sonntag ? « begann er so vor sich hin ; Niemand antwortete : er blickte Hedwig bestimmt an , worauf sie erwiderte : » Nein , wir machen uns so Kurzweil . « » Ja womit denn ? « » Ei , wie Ihr nur so fragen könnet ; wir schwätzen , wir singen , und hernach gehen wir spaziren . « » Nun , was sprechet Ihr denn ? « Das Mädchen lachte laut und sagte dann : » Das hätt' ich mein Lebtag nicht denkt , das man mich das fragt . Geltet Vetter , wir besinnen uns nicht lang drauf ? Jetzt wird bald mein Gespiel ' , des Buchmaiers Agnes , kommen , da werdet Ihr nimmer fragen , was man schwätzt , die weiß eine Kuhhaut voll . « » Habt Ihr denn noch gar keine Bücher gelesen ? « » Ja freilich , das G'sangbuch und die biblisch ' G'schicht' . « » Sonst nichts ? « Und das Blumenkörble und die Rosa von Tannenburg . « » Und noch ? « » Und den Rinaldo Rinaldini . Jetzt wisset Ihr Alles , « sagte das Mädchen , mit beiden Händen über die Schürze streifend , als hätte es sein gesammtes Wissen jetzt vor dem Lehrer ausgeschüttet ; dieser aber fragte wieder : » Was hat Euch denn am besten gefallen ? « » Der Rinaldo Rinaldini , 's ist jammerschad , daß das ein Räuber gewesen ist . « » Ich will Euch auch Bücher bringen , da sind viel schönere Geschichten darin . « » Erzählet uns lieber eine , aber auch so eine recht grauselige ; oder wartet lieber , bis die Agnes auch da ist , die hört 's für ihr Leben gern . « Da kam ein Knabe und sagte dem alten Lehrer , er solle sogleich zum Bäck kommen und seine Geige mitbringen , des Bäcken Konrad habe einen neuen Walzer bekommen ; schnell erhob sich der Alte , sagte : » Wünsch ' gute Unterhaltung , « und ging von dannen . Als nun der Lehrer mit Hedwig allein war , erzitterte sein Herz ; er wagte es nicht , aufzuschauen . Endlich sagte er so vor sich hin : » Es ist doch ein recht guter alter Mann . « » Ja , « sagte Hedwig , » und Ihr müsset ihn erst recht kennen . Ihr müsset es ihm nicht übel nehmen , er ist gegen alle Lehrer ein bisle bös und brummig ; er kann's noch nicht verschmerzen , daß er abgesetzt worden ist , und da meint er , ein Jeder , der jetzt als Lehrer Hierher kommt , der sei jetzt grad dran schuld , und der kann doch nichts dafür , das Consistore schickt ihn ja . Es ist eben ein alter Mann , man muß Geduld mit den alten Leuten haben . « Der Lehrer faßte die Hand des Mädchens und blickte es innig an ; dieses liebende Verständniß fremden Schicksals belebte seine ganze Seele . Plötzlich fiel ein todter Vogel vor den Beiden nieder , sie schreckten zusammen ; Hedwig bückte sich aber alsbald und hob den Vogel auf . » Er ist noch ganz warm , « sagte sie , » du armes Thierle , bist krank gewesen und hat dir Niemand helfen können ; es ist nur eine Lerch' , aber es ist doch ein lebigs Wesen . « » Man möchte sich gern denken , « sagte der Lehrer , » ein solcher Vogel , der singend himmelan steigt , müßte beim Sterben gleich in den Himmel fallen ; er schwebt so frei über der Erde , und nun berührt ihn der Tod , und von der Schwerkraft der Erde angezogen , fällt Alles . immer wieder zur Erd ' hernieder . « Hedwig sah ihn groß an , diese Worte gefielen ihr , obgleich sie dieselben nicht recht begriff ; sie sagte nach einer Pause : » 's ist doch arg , daß sich seine Verwandten , seine Frau oder Kinder gar nichts um ihn kümmern und ihn nur so ' rabfallen und liegen lassen ; es kann aber auch sein , sie wissen noch gar nicht , daß er gestorben ist . « » Die Thiere , « sagte der Lehrer , » wie die Kinder verstehen den Tod nicht , weil sie nicht über das Leben nachdenken ; sie leben bloß und wissen nichts davon . « » Ist das auch g'wiß so ? « fragte Hedwig . » Ich meine , « erwiderte der Lehrer . Hedwig erörterte die Sache nicht weiter , wie sie überhaupt nicht gewohnt war , anhaltend etwas zu ergründen ; der Lehrer aber dachte : hier sind die Elemente einer großen Bildungsfähigkeit , hier ist schon der Stamm eines selbständigen Geistes . Den Vogel aus des Mädchens Hand nehmend , sagte er dann : » Ich möchte diesen Bewohner der freien Lüfte nicht in die dunkle Erde versenken , hier an diesen Baum möchte ich ihn heften , damit er im Tode in einzelne Stücke verfliege . « » Nein , das gefällt mir nicht ; an des Buchmaiers Scheuer ist eine Eul' angenagelt , und ich möcht's allemal , wenn ich vorbeigeh' , ' runter nehmen . « Stille begruben nun die Beiden den Vogel . Der Lehrer , der heute so glücklich in seinen Entdeckungen war , ging schnell einen Schritt weiter ; er wollte erproben , wie weit sich Hedwig einer feinern Bildung fügen würde . » Ihr sagt so gescheite Sachen , « begann er , » daß es jammerschade ist , daß Ihr das holperige Bauerndeutsch sprecht , Ihr könnet es sicherlich auch anders , und das würde Euch viel besser anstehen . « » Ich thät mich in die Seel ' ' nein schämen , wenn ich anders reden thät , und es versteht mich ja auch ein Jedes . « » Allerdings , aber gut ist gut , und besser ist besser . In welcher Sprache betet ihr denn ? « » Ei , wie's geschrieben steht , das ist ganz was anders . « » Keineswegs , wie man mit Gott redet , sollte man auch mit den Menschen reden . « » Das kann ich halt nicht , und das will ich auch nicht . Gucket , Herr Lehrer , ich wüßt' ja gar nichts mehr zu schwätzen , wenn ich mich allemal besinnen müßt' , wie ich schwätzen soll ; ich thät mich vor mir selber schämen . Nein , Herr Lehrer , euer Wort auf ein seiden Kissen gelegt , aber das ist nichts . « » Saget doch nicht immer Herr Lehrer , saget auch meinen Namen . « » Das kann wieder nicht sein , das geht nicht . « » Ja warum denn ? « » Es geht halt nicht . « » Es muß doch einen Grund haben , warum ? « Ei , ich weiß ja euern Namen nicht . « » So ? Ich heiße Adolph Lederer . « » Also Herr Lederer , das ist fast gleich , Herr Lederer oder Herr Lehrer . « » Nein , heißet mich Adolph . « » Ach , machet jetzt keine so Sachen ; was thäten denn die Leut' sagen ? « » Daß wir uns gern haben , « sagte der Lehrer , die Hand des Mädchens an sein Herz drückend , » habt Ihr mich denn nicht auch lieb ? « Hedwig bückte sich und brach eine Nelke . Da öffnete sich die Gartenthüre . » Gott sei's getrommelt und gepfiffen , daß ich erlöst bin , « rief des Buchmaiers Agnes . » Guten Tag , Herr Lehrer ! Hedwig sei froh , daß du nimmer in die Christenlehr' brauchst . Herr Lehrer , das solltet Ihr machen , daß so große Mädle nimmer drein müssen ; freilich mich nutzt 's wenig mehr , ich komm' schon nächsten Herbst draus . « » Schenkt mir doch die Nelke , « sagte der Lehrer mit zart bittendem Tone zu Hedwig ; sie gab ihm mit erröthendem Antlitze die Blume , und er drückte sie als Zeichen der Erwiderung seiner Liebe inbrünstig an seine Lippen . » Du würdest schön ankommen , « sagte Agnes , » wenn der alte He he sehen thät , daß du eine Blum' abbrochen hast ; 's ist gut ; drinnen sitzt er beim Bäck und spielt den neuen Walzer . Den wollen wir aber auch rechtschaffen tanzen an der Kirchweih' . Ihr tanzet doch auch , Herr Lehrer ? « » Ein Wenig , aber ich hab' mich schon lange nicht geübt . « » Probieren geht über Studiren , lalalalala , « trällerte Agnes im Garten umherhüpfend , » was machst du für ein Gesicht , Hedwig ? Komm ! « Sie riß Hedwig , die ihrer Gewalt nicht widerstehen konnte , ebenfalls mit sich fort ; sie waren aber so ungeschickt , daß sie in ein Beet traten . Agnes lockerte singend den Boden wieder auf und sagte dann : » Jetzt komm , mach fort , wir wollen aus dem Garten ' naus , wo man sich nicht regen kann ; die andern Mädle sind alle schon draußen im Kirschenbusch und Er wartet gewiß schon lang auf uns . « » Wer ? « fragte der Lehrer . » Ei er , « erwiderte Agnes , » wenn Ihr mit wollet , könnet Ihr ihn umsonst sehen ; wir werden Euch doch nicht zu gering sein , daß Ihr mit uns gehet ? « Der Lehrer faßte die Hand der Agnes und sie festhaltend , gleich als hielte er die der Hedwig , ging er mit den Beiden in das Feld . Draußen , wo der Weg nach dem Daberwasen geht , an der Hanfdarre saß ein kräftiger , wie eine Tanne grad und schlank gewachsener Mann ; der Lehrer erkannte in ihm den Oberknecht des Buchmaiers , der , als er die drei so daher kommen sah , aufsprang und wie festgebannt stehen blieb ; Trotz und Wehmuth sprach aus seinem ganzen Wesen ; sein Antlitz erheiterte , seine Faust entballte sich aber , als Agnes fröhlich auf ihn zuschritt . Der Lehrer grüßte den Thaddä , so hieß der Oberknecht , mit besonderer Freundlichkeit . So schritten nun die beiden Paare vergnügt neben einander . Um dem Thaddä seine Vertraulichkeit zu bezeigen , sprach der Lehrer viel von dem Fuchsen , und wie er sich in den Zug eingewöhne . So war nun gekommen , was der Lehrer nie vermuthen mochte : er hatte ein Bauernmädchen zur Geliebten und einen Bauernknecht zum Kameraden . Bald ging Thaddä mit Agnes voraus und der Lehrer mit Hedwig Hand in Hand hintendrein . Unter traulichen Gesprächen schritt man des Weges dahin . Tief erfuhr es nun der Lehrer , daß man wohl viel miteinander sprechen kann , ohne grade Bücher gelesen zu haben . Nicht weit von dem Katzenbrunnen , aus dem der Sage nach die Hebammen die Kinder holen , setzte man sich an einen Rain , und nun wurde gesungen . Der Lehrer erfreute sich inniglich an der schönen Altstimme Hedwigs , Thaddä begleitete den Gesang trefflich , und der Lehrer empfand es zu seiner großen Betrübniß , daß er so wenig von den Volksliedern kannte ; bei seiner musikalischen Bildung faßte er indeß die einfachen Weisen schnell und begleitete sie in tiefem Baß . Mit strahlendem Antlitze nickte ihm Hedwig Beifall zu . Oft aber mußte er auch bei einer unerwarteten Wendung der Melodie , die dazu diente , den schroffen Gedankensprung oder die Ungleichheit des Silbenmaßes auszugleichen , innehalten ; dann ermunterte ihn Hedwig mit ihren Blicken , die so viel sagten als : sing nur mit , wenn 's auch nicht ganz gut geht . So vereinte der Lehrer seine Stimme mit denen der dörflichen Sänger . Jetzt war es so weit gekommen , daß er nur den Ton und die Bauern das Wort und den Gedanken hatten . Man sang : Bald gras' ich am Neckar , Bald gras' ich am Rhein , Bald hab' ich ein Schätzle , Bald bin ich allein . Was hilft mich das Grasen , Wenn d' Sichel nicht schneid't ? Was hilft mich ein Schätzle , Wenn 's nicht bei mir bleibt ? Und soll ich denn grasen Am Neckar , am Rhein , So werf' ich mein schönes Goldringlein hinein . Es fließet im Neckar , Und fließet im Rhein ; Soll schwimmen hinunter In 's tiefe Meer 'nein . Und schwimmt das Goldringlein , So frißt es ein Fisch , Das Fischlein soll kommen Auf Königs sein Tisch . Der König thut fragen , Wem's Ringlein soll sein ; Da thut mein Schatz sagen : Das Ringlein g'hört mein . Mein Schätzlein thut springen Bergauf und bergein , Thut wieder mir bringen Mein Goldringelein . Kannst grasen am Neckar , Kanst grasen am Rhein , Wirf du mir nur immer Das Ringlein hinein . Nach einer Weile drückte Thaddä Agnes näher an sich und sie sangen : Mädle ruck , ruck ruck An meine rechte Seite , I hab' dich gar zu gern , I kann di leide . Wann die Leut' et' wär'n , No müschtst mein Schätzle wär 'n , Wär 'n die Leut' et g'west , No wärst mein Weible jetzt . Mädle , ruck u. s.w . Mädle guck , guck , guck In meine schwarze Auge , Du kannst dein lieble Bildle drin erschaue ; Ja , guck du nur 'nein Du muscht drinne sein , Du muscht bei mir bleibe , Muscht mir d' Zeit vertreibe . Mädle guck u. s.w . Mädle du , du , du Muscht mir den Trauring gebe , Sust liegt mir wahrlich Nix mehr an mei'm Lebe . Wann i di net krieg , No zieh ni fort in Krieg ; Wann i di net hab' No wurd mir d' Welt zum Grab . Mädle du u. s.w . Noch gar viel andere , meist traurige Lieder wurden gesungen , obgleich die Sänger heiter und frohen Muthes waren . Wie der Brunnen zu ihren Füßen fortquoll und leise durch die Felder dahin rieselte , so schien auch der Liederquell unerschöpflich . Der Lehrer war wie in eine neue Welt versetzt . Wohl hatte er schon früher die kindlich zarte Empfindungs- und Denkweise des Volksliedes kennen gelernt , aber er hatte sie nur gekostet , wie man an reich besetzten Tafeln die Walderdbeeren ihres eigentümlichen Duftes wegen den künstlich gehegten und gepfropften vorzieht , sie aber doch mit Zucker und Wein verzehrt ; hier aber war er selbst in den Erdbeerenschlag gekommen , und nicht in Haufen genossen , sondern einzeln frisch vom Strauche gepflückt , schmeckte die Frucht noch ganz anders . Die tiefe Urkraft des Volksliedes erschloß sich unserm Freunde in ihrer ganzen Herrlichkeit , er sah sich liebend umfangen von der edlen , majestätischen Herrlichkeit des deutschen Volksgemüths , und die liebliche Vertreterin desselben saß in trauter Zuneigung an seiner Seite . Er gelobte sich , ein Priester dieses heiligen Volksgeistes zu werden . Als er Abends mit Hedwig heimkehrte und sie vor der Großmutter standen , faßte er ihre Hand , drückte sie an sein Herz und sagte : » Nicht zu mühseliger Arbeit sollt Ihr für mich Eure Hände erheben , sondern für das was ihnen gebührt , zum Segnen . « Mehr konnte er nicht sprechen , und er ging rasch von dannen . Im ganzen Dorfe sprach man am Abend von nichts als davon , daß der Lehrer mit des Johannesle's Hedwig Bekanntschaft habe . Unser Freund , der früher immer so gern und fast ausschließlich allein gewesen war , konnte jetzt , wenn er seine Schulstunden beendet hatte , fast keine Viertelstunde mehr allein ausdauern , in seinem Hause oder außer demselben . Von all den Büchern , die er bei sich hatte , paßte ihm keines zu seiner Stimmung , und wollte er etwas in sein Taschenbuch schreiben , erschien es ihm so nackt und nichtig , daß er es alsbald wieder durchstrich . Im Felde konnte er es zu keinem Gedanken und zu keiner Zeichnung mehr bringen , er sprach mit Jedem , der ihm begegnete oder am Wege arbeitete ; die Leute waren freundlich gegen ihn , denn seine offene Seele war auf sein Antlitz herausgetreten . Oft aber stand er auch bei den Leuten und sah träumerisch lächelnd vor sich hin , ohne ein Wort weiter zu sprechen ; es war , als könne er nicht weggehen , als fürchte er sich , wieder in seine trübe Verlassenheit und Vereinsamung hinausgestoßen zu werden , als müsse er sich an Jeden , wer er auch sei , fest anklammern . Einst sah er Hedwig auf dem Felde schneiden , er eilte zu ihr , machte sich aber alsbald wieder fort ; es war ihm eine unüberwindlich mißliche Empfindung , so allein arbeitslos unter den Emsigen dazustehen , und doch verstand er nichts von der Feldarbeit und wußte , wie ungeschickt er sich dabei anstellen würde . Die Hoheit Hedwigs erschien ihm nicht erniedrigt , vielmehr erhöhter durch ihre Arbeit . Im Weggehen sagte er vor sich hin : » Nur Hostien , nur Himmelsbrod sollte man aus der Frucht bereiten , deren Halme sie geschnitten . « Bei der Großmutter saß er oft in Zerstreuung , und nur wenn sie von ihren Eltern und Großeltern erzählte , gewann sie seine volle Aufmerksamkeit ; es that ihm so wohl , an diesem Familienbaume hinaufzuklettern in die Geschichte der Vorzeit . Der Großvater der Alten hatte den Türkenkrieg unter Prinz Eugen mitgefochten , und sie wußte noch gar viel von ihm zu er zählen . Manchmal auch sagte die Alte , jedoch ohne Klage , sie spüre es wohl , sie würde diesen Winter alle ihre Vorfahren wiedersehen . Er suchte ihr solche Gedanken auszureden , was ihm nicht schwer fiel ; er suchte sie dahin zu bringen , daß sie von der Kindheit Hedwigs erzählte : wie sie in einem Glückshäutchen geboren ward , ihre Mutter aber bald darauf starb , wie Hedwig sich schon als kleines Kind grämte , daß ihre Puppe mit offenen Augen schlafen mußte und sie daher Nachts ihr mit Papierchen die Augen zuklebte . Wenn sie so sprach , da leuchtete das Auge des jungen Mannes und das der Alten von derselben Glorie , wie zwei nachbarliche Wellen , von demselben Mondstrahle durchglitzert . Ueber Hedwig finden wir nichts im Taschenbuche , aber durch die Erinnerungen der Alten und andere Erfahrungen angeregt sind wohl folgende Worte : » Man denkt sich wohl gern , man könnte mit einem Katechismus der gesunden Vernunft hinaustreten unter das Volk und es alsbald bekehren ; hier aber ist überall heiliger Boden der Geschichte , wir müssen die Fußstapfen der Vergangenheit aufsuchen . Traurig , daß unsere Geschichte zerrissen und zerstückt ist ... wo anknüpfen ? ... « Bei dem Buchmaier war der Lehrer von nun an auch oft , er studirte eifrig die Landwirthschaft und erfreute sich an den kernigen Gedanken des Buchmaiers , trotz ihrer Derbheit ; je heimischer er aber im Hause des Buchmaiers wurde , um so fremder schien er in dem Hause Johannesle's zu werden , er selber war noch wie zuvor , aber Hedwig wich ihm sichtbar aus und grüßte ihn im Vorbeigehen immer scheu und zaghaft . Eines Abends kam Hedwig weinend zu Agnes und sagte : » Denk ' nur , mein Wilder will 's nicht leiden . « » Was denn ? « » Nun , daß der Lehrer zu mir geht . Mein Constantin hat gesagt , wenn ich mich noch einmal mit dem Lauterbacher sehen ließ' , nachher schlag' er mich und ihn krumm und lahm ; du weißt ja , er bosget , weil er mit deinem Vater so gut ist . « » Das ist ein Kreuz . Was ist denn jetzt da zu machen ? « » Sag ' dem Lehrer , wenn er kommt , er soll nicht bös sein und soll doch weniger in unser Haus kommen , ich könnt' nicht anders , ich darf nicht mit ihm reden . Ich thät mir nicht viel daraus machen , wenn mein Bruder auch grob wär' , aber wenn er ihn beleidigen thät , und er ist 's wohl im Stand , daß er ihm vor allen Leuten einen Disrespekt anthut , ich thät mich in den Tod ' nein grämen . « » Laß jetzt das Trauern , « erwiderte Agnes , » ich sag' ihm doch von all dem kein Wörtle . « » Warum ? « » Darum , o ! du verliebte Dock ! Meinst , ich bericht' ihm das , daß er nachher meint , man dürf' den Nordstetter Mädle nur so pfeifen , nachher kommen sie Einem nur so nachgesprungen ? « » Das glaubt er gewiß nicht . « » Ich laß es aber nicht darauf ankommen , jetzt , ich bleib' dabei , ich sag' ihm gar nichts von dir ; er muß mit mir davon anfangen . Laß mich nur machen , ich krieg' ihn schon dran . Huididä juh ! Und wenn 's dann so recht bei ihm pfupfert , will ich sagen : es kann sein , es läßt sich vielleicht möglich machen , ich will die Hedwig dazu überreden , daß ihr vielleicht am Sonntag bei mir zusammen kommet , ich will dann schon sehen , ob man die Biren schütteln kann und wie man mit ihm dran ist . « » Ja , du kannst's machen , wie du willst , ich kann dich nicht zwingen , aber das bitt' ich mir aus , plagen darfst ihn nicht ; Narr , er ist einer von denen Menschen , die sich über Alles so viel Gedanken machen , ich hab' das schon gemerkt , und da könnt' er betrübt sein und könnt' nicht schlafen . « » Das weißt du schon Alles ?