Erstes Buch 1 Ostrau ist eine kleine Kreisstadt unweit der Oder , bis nach Polen hinein berühmt durch ihr Gymnasium und süße Pfefferkuchen , welche dort noch mit einer Fülle von unverfälschtem Honig gebacken werden . In diesem altväterischen Ort lebte vor einer Reihe von Jahren der königliche Kalkulator Wohlfart , der für seinen König schwärmte , seine Mitmenschen – mit Ausnahme von zwei Ostrauer Spitzbuben und einem groben Strumpfwirker – herzlich liebte und in seiner sauern Amtstätigkeit viele Veranlassung zu heimlicher Freude und zu demütigem Stolze fand . Er hatte spät geheiratet , bewohnte mit seiner Frau ein kleines Haus und hielt den kleinen Garten eigenhändig in Ordnung . Leider blieb diese glückliche Ehe durch mehrere Jahre kinderlos . Endlich begab es sich , daß die Frau Kalkulatorin ihre weißbaumwollne Bettgardine mit einer breiten Krause und zwei großen Quasten verzierte und unter der höchsten Billigung aller Freundinnen auf einige Wochen dahinter verschwand , gerade nachdem sie die letzte Falte zurechtgestrichen und sich überzeugt hatte , daß die Gardine von untadelhafter Wäsche war . Hinter der weißen Gardine wurde der Held dieser Erzählung geboren . Anton war ein gutes Kind , das nach der Ansicht seiner Mutter vom ersten Tage seiner Geburt die staunenswertesten Eigenheiten zeigte . Abgesehen davon , daß er sich lange Zeit nicht entschließen konnte , die Speisen mit der Höhlung des Löffels zu fassen , sondern hartnäckig die Ansicht festhielt , daß der Griff dazu geeigneter sei , und abgesehen davon , daß er eine unerklärliche Vorliebe für die Troddel auf dem schwarzen Käppchen seines Vaters zeigte und das Käppchen mit Hilfe des Kindermädchens alle Tage heimlich vom Kopf des Vaters abhob und ihm lachend wieder aufsetzte , erwies er sich auch bei wichtigerer Gelegenheit als ein einziges Kind , das noch nie dagewesen . Er war am Abend sehr schwer ins Bett zu bringen und bat , wenn die Abendglocke läutete , manchmal mit gefalteten Händen , ihn noch umherlaufen zu lassen ; er konnte stundenlang vor seinem Bilderbuch kauern und mit dem roten Göckelhahn auf der letzten Seite eine Unterhaltung führen , worin er diesen wiederholt seiner Liebe versicherte und dringend aufforderte , sich nicht dadurch seiner kleinen Familie zu entziehen , daß er sich vom Dienstmädchen braten ließe . Er lief zuweilen mitten im Kinderspiel aus dem Kreise und setzte sich ernsthaft in eine Stubenecke , um nachzudenken . In der Regel war das Resultat seines Denkens , daß er für Eltern oder Gespielen etwas hervorsuchte , wovon er annahm , daß es ihnen lieb sein würde . Seine größte Freude aber war , dem Vater gegenüberzusitzen , die Beinchen übereinanderzulegen , wie der Vater tat , und aus einem Holunderrohr zu rauchen , wie sein Herr Vater aus einer wirklichen Pfeife zu tun pflegte . Dann ließ er sich allerlei vom Vater erzählen , oder er selbst erzählte seine Geschichten . Und das tat er , wie die Frauenwelt von Ostrau einstimmig versicherte , mit soviel Gravität und Anstand , daß er bis auf die blauen Augen und sein blühendes Kindergesicht vollkommen aussah , wie ein kleiner Herr im Staatsdienst . Unartig war er so selten , daß der Teil des weiblichen Ostraus , welcher einer düstern Auffassung des Erdenlebens geneigt war , lange zweifelte , ob ein solches Kind heranwachsen könne ; bis Anton endlich einmal den Sohn des Landrats auf offener Straße durchprügelte und durch diese Untat seine Aussichten auf das Himmelreich in eine behagliche Ferne zurückhämmerte . Kurz er war ein so ungewöhnlicher Knabe , wie nur je das einzige Kind warmherziger Eltern gewesen ist . Auch in der Bürgerschule und später auf dem Gymnasium wurde er ein Muster für andere und ein Stolz seiner Familie . Und da der Zeichenlehrer behauptete , Anton müsse Maler werden , und der Ordinarius von Tertia seinem Vater riet , ihn Philologie studieren zu lassen , so wäre der Knabe seiner zahlreichen Anlagen wegen wahrscheinlich in die gewöhnliche Gefahr ausgezeichneter Kinder gekommen , für keine einzige Tätigkeit den rechten Ernst zu finden , wenn nicht ein Zufall seinen Beruf bestimmt hätte . An jedem Weihnachtsfest wurde durch die Post eine Kiste in das Haus des Kalkulators befördert , worin ein Hut des feinsten Zuckers und ein großes Paket Kaffee standen . Gewöhnlichen Zucker ließ der Hausherr durch seine Frau kleinschlagen , diesen Zuckerhut zerbrach er selbst mit vielem Kraftaufwand in einer feierlichen Handlung und freute sich über die viereckigen Würfel , welche seine Kunst hervorzubringen vermochte . Der Kaffee dagegen wurde von der Frau Kalkulatorin eigenhändig gebrannt , und sehr angenehm war das Selbstgefühl , mit welchem der würdige Hausherr die erste Tasse dieses Kaffees trank . Das waren Stunden , wo ein poetischer Duft , der so oft durch die Seelen der Kinder zieht , das ganze Haus erfüllte . Der Vater erzählte dann gern seinem Sohne die Geschichte dieser Sendungen . Vor vielen Jahren hatte der Kalkulator in einem bestäubten Aktenbündel , das von den Gerichten und der Menschheit bereits aufgegeben war , ein Dokument gefunden , worin ein großer Gutsbesitzer aus Posen erklärte , einem bekannten Handelshause der Hauptstadt mehrere tausend Taler zu schulden . Offenbar war der Schuldschein in kriegerischer und ungesetzmäßiger Zeit in ein falsches Aktenheft verlegt worden . Er hatte den Fund am gehörigen Ort angezeigt , und das Handlungshaus war dadurch instand gesetzt worden , einen verzweifelten Rechtsstreit gegen die Erben des Schuldners zu gewinnen . Darauf hatte der junge Chef der Handlung sich angelegentlich nach dem Finder des Dokuments erkundigt und demselben einen artigen Brief geschrieben ; der Kalkulator hatte , wie seine Art war , sehr bestimmt jeden Dank abgelehnt , weil er nur seine Amtspflicht erfüllt habe . Von da ab erschien an jeder Weihnacht die erwähnte Sendung mit einem kurzen herzlichen Begleitschreiben und wurde jedesmal umgehend durch ein kalligraphisches Kunstwerk des Kalkulators erwidert , worin dieser unermüdlich seine Überraschung über die unerwartete Sendung ausdrückte und der Firma zum neuen Jahr aus voller Seele Gutes wünschte . Selbst seiner Frau gegenüber behandelte der Herr die Weihnachtssendung als einen Zufall , eine Kleinigkeit , ein Nichts , welches von der Laune eines Kommis der Firma T. D. Schröter abhänge ; und jedes Jahr protestierte er eifrig , wenn die Frau Kalkulatorin die zu erwartende Kiste bei ihren Wirtschaftsplänen in Rechnung brachte . Aber im stillen hing seine Seele an diesen Sendungen . Es waren nicht die Pfunde Raffinade und Kuba , es war die Poesie dieser gemütlichen Beziehung zu einem ganz fremden Menschenleben , was ihn so glücklich machte . Er hob alle Briefe der Firma sorgfältig auf , wie die drei Liebesbriefe seiner Frau , ja , er heftete sie mit dem Ehrwürdigsten , was er kannte , mit schwarz und weißem Seidenfaden in ein kleines Aktenbündel ; er wurde ein Kenner von Kolonialwaren , ein Kritiker , dessen Geschmack von den Kaufleuten in Ostrau höchlich respektiert wurde ; er konnte sich nicht enthalten , den billigen Meliszucker und den Brasilkaffee als untergeordnete Erzeugnisse der Schöpfung mit einer entschiedenen Verachtung zu behandeln ; er fing an , sich für die Geschäfte der großen Handlung zu interessieren und studierte in den Zeitungen regelmäßig die Marktpreise von Zucker und Kaffee , welche mit merkwürdigen und für Nichteingeweihte ganz unverständlichen Bemerkungen hinter den politischen Nachrichten standen ; ja er spekulierte in seiner Seele mit als Associé seines Freundes , des großen Kaufmanns , er ärgerte sich , wenn der Kaffee in den Zeitungen flaute , und war vergnügt , wenn der Zucker als angenehm notiert war . Das war ein unscheinbares , leichtes Band , welches den Haushalt des Kalkulators mit dem geschäftlichen Treiben der großen Welt verknüpfte ; und doch wurde es für Anton ein Leitseil , wodurch sein ganzes Leben Richtung erhielt . Denn wenn der alte Herr am Abend in seinem Garten saß , das Samtkäppchen in dem grauen Haar und seine Pfeife im Munde , dann verbreitete er sich gern mit leiser Sehnsucht über die Vorzüge eines Geschäftes , welches die Fülle der herrlichsten Sachen gewähre , und dann frug er scherzend seinen Sohn , ob er auch Kaufmann werden wolle . Und in der Seele des Kleinen schoß augenblicklich ein schönes Bild zusammen , wie die Strahlen bunter Glasperlen im Kaleidoskop , zusammengesetzt aus großen Zuckerhüten , Rosinen und Mandeln und goldenen Apfelsinen , aus dem freundlichen Lächeln seiner Eltern und all dem geheimnisvollen Entzücken , welches ihm selbst die ankommende Kiste je bereitet ; bis er begeistert ausrief : » Ja , Vater , ich will ! « – Man sage nicht , daß unser Leben arm ist an poetischen Stimmungen , noch beherrscht die Zauberin Poesie überall das Treiben der Erdgebornen . Aber ein jeder achte wohl darauf , welche Träume er im heimlichsten Winkel seiner Seele hegt , denn wenn sie erst groß gewachsen sind , werden sie leicht seine Herren , strenge Herren ! So lebte die Familie still fort durch manches Jahr . Anton wuchs heran und lief mit seiner Büchermappe durch alle Klassen des Gymnasiums bis in die stolze Prima . Wenn die Frau Kalkulatorin ihren Mann im geheimen bat , über Antons Zukunft einen festen Entschluß zu fassen , erwiderte der Hausherr mit einem siegesfrohen Lächeln : » Der Entschluß ist gefaßt , er will ja Kaufmann werden . Erst muß er mit dem Gymnasium fertig sein , dann steht ihm die ganze Welt offen . « Und dann tat der Kalkulator , als ob das Abiturientenzeugnis ein Schlüssel zu allen Ehren der Welt sei . Im geheimen aber bangte ihm ein wenig davor , den Familientraum der Ausführung näherzubringen . Unterdes kam ein schwarzer Tag , wo die Fensterladen des Hauses lange geschlossen blieben , das Dienstmädchen mit roten Augen die Treppe auf- und ablief , der Arzt kam und den Kopf schüttelte , und der alte Herr am Lager seiner Frau das Samtkäppchen in den gefalteten Händen hielt , während der Sohn schluchzend vor dem Bett kniete und seinen Lockenkopf darauf legte , welchen die Hand der sterbenden Mutter noch zu streicheln versuchte . Drei Tage nach diesem Morgen wurde die Frau Kalkulatorin begraben , und der alte Herr und Anton saßen am Abend nach dem Begräbnis bleich und einsam einander gegenüber . Anton schlich von Zeit zu Zeit hinter die Stachelbeeren , sich dort in der Stille auszuweinen , und der alte Herr stand häufig von seinem Stuhle auf und ging in die Schlafstube , wo die weiße Gardine mit den beiden Quasten hing , und weinte ebenfalls . Der Jüngling erhielt nach langem Weinen die roten Backen wieder , der alte Herr kam nicht wieder zu Kräften . Er klagte über nichts , er rauchte seine Pfeife wie immer , er ärgerte sich noch immer , wenn der Kaffee flaute , aber es war kein rechtes Rauchen und auch kein rechter Ärger mehr . Oft sah er seinen Sohn nachdenklich und traurig an , und der junge Gesell konnte nicht erraten , was den Vater so besorgt mache . Als der Vater aber an einem Sonnabend den Sohn wieder gefragt hatte , ob er noch Kaufmann werden wollte , und Anton zum hundertstenmal versichert hatte , daß er gerade dies gern wolle , und nichts anderes , da stand der alte Herr entschlossen auf , rief das Dienstmädchen und bestellte zum nächsten Morgen eine Fuhre nach der Hauptstadt . Er gestand dem fragenden Sohne nicht , weshalb er die unerhörte Expedition vornahm . Und er hatte wohl Grund zum Schweigen , der arme alte Herr ! Denn wenn er auch seit zwanzig Jahren stolz gewesen war auf seinen großen Handelsfreund , so hatte ihm doch immer der Mut gefehlt , selbst vor den Kaufmann zu treten und für seinen Sohn einen Platz im Comtoir zu erbitten . Sein Wunsch kam ihm sehr verwegen vor , und seine Ansprüche unermeßlich gering . Oft hatte er sich's vorgenommen und stets hatte er 's wieder aufgeschoben , bis die Sorge um den Sohn größer wurde , als seine Scheu . Als er den Tag darauf sehr spät aus der Hauptstadt zurückkehrte , war er in ganz anderer Stimmung , glücklicher als je nach dem Tode der Frau Kalkulatorin . Er begeisterte seinen Sohn , der ihn in ahnungsvoller Spannung erwartete , durch seinen Bericht von der unglaublichen Annehmlichkeit des großen Geschäftes und der Freundlichkeit des großen Kaufmanns gegen ihn . Er war zu Mittag geladen worden , er hatte Kibitzeier gegessen , er hatte griechischen Wein aus den Kellern seines Freundes getrunken , einen Wein , gegen welchen der beste Wein im Gasthofe zu Ostrau nichtswürdiger Essig war , er hatte das Versprechen erhalten , daß sein Sohn nach Jahresfrist in das Comtoir eintreten könne , und einige Winke über die Vorbildung , die dafür wünschenswert sei . Schon am nächsten Tage saß Anton vor einem großen Rechenbuch und disponierte mit unbeschränkter Vollmacht über Hunderttausende von Pfunden Sterling , welche er bald in rheinische Gulden verwandelte , bald in Hamburger Mark Banko umsetzte , als brasilianische Milreis in die Welt flattern ließ und zuletzt ruhig in mexikanischen Staatspapieren anlegte , aus denen er mit größter Sicherheit alle möglichen Interessen bis zu zehn vom Hundert zog . Hatte er auf diese Weise ein kolossales Vermögen zusammengescharrt , so ging er in den Garten , ein kleines dünnleibiges Buch in der Hand , welches auf dem Titel versprach , ihn in vier Wochen zu einem fertigen Engländer zu machen . Dort bemühte er sich zum Entsetzen der deutschen Sperlinge und Finken , das A und andere ehrliche Buchstaben auf jede Weise auszusprechen , welche dem Menschen möglich ist , wenn er einen Buchstaben anders aus spricht , als sich mit der Natur und dem Charakter desselben verträgt . So ging wieder ein Jahr hin , Anton war gerade achtzehn Jahr alt und hatte seine Abiturientenprüfung bestanden ; da wurden wieder einmal an einem Morgen die Fensterläden des Kalkulators nicht zu gehöriger Zeit geöffnet , wieder rannte das Dienstmädchen mit verweinten Augen durch das Haus , und wieder schüttelte die Nachtlampe unzufrieden und kummervoll ihre feurige Mütze . Diesmal lag der alte Herr selbst im Bett und Anton saß vor demselben , beide Hände des Vaters haltend . Der alte Herr aber ließ sich nicht festhalten , sondern starb so eilig als möglich , nachdem er seinen Sohn vielmal gesegnet hatte . Nach einigen Tagen lauten Schmerzes stand Anton allein in der stillen Wohnung , eine Waise , im Anfange eines neuen Lebens . Der alte Herr war nicht umsonst Kalkulator gewesen , sein Haushalt war in musterhafter Ordnung , seine sehr geringe Hinterlassenschaft in der geheimen Schublade des Schreibtisches , in dem gehörigen Bündel Papier , zu Heller und Pfennig aufgezeichnet ; alles , was im letzten Jahre durch das Dienstmädchen zerschlagen oder verwüstet worden war , fand sich an der betreffenden Stelle bemerkt und abgerechnet , über jedes war Disposition getroffen ; auch ein Brief an den Kaufherrn fand sich vor , den der Verstorbene noch in den letzten Tagen mit zitternder Hand geschrieben hatte ; ein treuer Hausfreund war zum Vormund Antons bestellt und mit dem Verkauf des Hauses und Gartens und seines ganzen Inhalts beauftragt ; und Anton trat , vier Wochen nach dem Tode des Vaters , an einem frühen Sommermorgen über die Schwelle des väterlichen Hauses , legte den Schlüssel desselben in die Hand des Vormundes , übergab sein Gepäck einem Fuhrmann und fuhr durch das Tor des Städtchens auf die Hauptstadt zu , den Brief seines Vaters an den Kaufmann in der Tasche . 2 Schon welkte das frischgemähete Wiesengras in der Mittagssonne , als Anton dem Nachbar aus Ostrau , der ihn bis zur letzten Station vor der Hauptstadt mitgenommen hatte , die Hand schüttelte und dann rüstig auf der Landstraße vorwärtsschritt . Es war ein lachender Sommertag , auf den Wiesen klirrte die Sense des Schnitters am Wetzstein und oben in der Luft sang die unermüdliche Lerche . Vor dem Wanderer strich die Landschaft in hügelloser Ebene fort , am Horizont hinter ihm erhob sich der blaue Zug des Gebirges . Kleine Bäche von Erlen und Weidengruppen eingefaßt durchrannen lustig die Landschaft , jeder Bach bildete ein Wiesental , das auf beiden Seiten von üppigen Getreidefeldern begrenzt wurde . Von allen Seiten stiegen die hellen Glockentürme der Kirchen aus dem Boden auf , Mittelpunkt einer Gruppe von braunen und roten Dächern , die mit einem Kranz von Gehölz umgeben waren . Bei vielen Dörfern konnte man an der stattlichen Baumallee und dem Dach eines großen Gebäudes den Rittersitz erkennen , welcher neben den Dorfhäusern lag , wie der Schäferhund neben der wolligen Herde . Anton eilte vorwärts , wie durch Sprungfedern fortgeschnellt . Vor ihm lag die Zukunft sonnig wie die Flur , ein Leben voll strahlender Träume und grüner Hoffnungen . Nach langer Trauer in der engen Stube pochte heut sein Herz zum erstenmal wieder in kräftigen Schlägen ; in der Fülle der Jugendkraft strahlte sein Auge und lachte sein Mund . Alles um ihn glänzte , duftete , wogte wie in elektrischem Feuer , in langen Zügen trank er den berauschenden Wohlgeruch , der aus der blühenden Erde aufstieg . Wo er einen Schnitter im Felde traf , rief er ihm zu , daß heut ein guter Tag sei , und einen guten Tag rief jeder Mund dem schmucken Jüngling zurück . Im Getreidefelde neigten sich die Ähren am schwanken Stiel auf ihn zu , sie nickten und grüßten , und in ihrem Schatten schwirrten unzählige Grillen ihren Gesang : Lustig , lustig im Sonnenschein ! Auf der Weide saß ein Volk Sperlinge , die kleinen Barone des Feldes flüchteten nicht , als er vor dem Stamm stehenblieb , ja sie beugten die Hälse herunter und schrien ihn an : » Guten Tag , Wandersmann , wohin , wohin ? « Und Anton sagte leise : » Nach der großen Stadt , in das Leben . « » Gutes Glück « , schrien die Sperlinge , » frisch vorwärts ! « Anton durchschritt auf dem Fußpfad einen Wiesengrund , ging über eine Brücke und sah sich in einem Wäldchen mit gut erhaltenen Kieswegen . Immer mehr nahm das Gebüsch den Charakter eines gepflegten Gartens an , der Wandrer bog um einige alte Bäume und stand vor einem großen Rasenplatz . Hinter diesem erhob sich ein Herrenhaus mit zwei Türmchen in den Ecken und einem Balkon . Wer auf dem Balkon stand , konnte über den Grasplatz hinüber durch eine Öffnung in den Baumgruppen die schönsten Umrisse des fernen Gebirges sehen . An den Türmchen liefen Kletterrosen und wilder Wein in die Höhe , und unter dem Balkon öffnete sich gastlich eine Halle , welche mit blühenden Sträuchern ausgeschmückt war . Es war kein prächtiger Landsitz , und es gab viele größere und schönere in der Umgegend , aber es war doch ein stattlicher Anblick , sehr imponierend für Anton , der , in einer kleinen Stadt aufgewachsen , nur selten den behaglichen Wohlstand eines Gutsbesitzers in der Nähe gesehen hatte . Alles erschien ihm sehr prächtig und großartig ! Die zierlich geformten Blumenbeete in dem geschorenen Samt des Rasens , die bunten Gruppen der Glashauspflanzen , all der fröhliche Schmuck , den die Hand des Gärtners um das Herrenhaus herum angebracht hatte , das sah ihm in dem reinen Lichte und der Ruhe des Sonnentages aus wie ein Bild aus fernem Lande . Der glückliche Jüngling geriet in ein so träumerisches Entzücken , daß er sich in den Schatten eines großen Fliederstrauches am Wege setzte und hinter dem Busch verborgen lange Zeit auf das anmutige Bild hinstarrte . Wie glücklich mußten die Menschen sein , welche hier wohnten , wie vornehm und wie edel ! Auf dieser Seite schöne Blüten und große Bäume , auf der andern Seite wahrscheinlich ein weiter Hofraum mit Scheuern und Ställen , viel Pferde darin , große Rinder und unzählige feinwollige Schafe . Denn schon vor dem Eintritt in den Park hatte Anton auf eingehegtem Wiesenraum eine Anzahl Füllen gesehn und ihre lustigen Sprünge beobachtet . Der Respekt vor allem , was stattlich , sicher und mit Selbstgefühl in der Welt auftritt , war ihm , dem armen Sohn des Kalkulators , angeboren , und wenn er jetzt in der reinen Freude über die Pracht , welche ihn umgab , an sich selbst dachte , erschien er sich als höchst unbedeutend , als gar nicht der Rede wert , als eine Art gesellschaftlicher Däumling , winzig , kaum sichtbar im Gras . Unwillkürlich fuhr er in die Rocktasche , seine Handschuhe herauszuholen . Sie waren von gelbem Zwirn , und noch seine gute Mutter hatte gesagt , sie sähen ganz aus wie seidene , und seidene Handschuhe galten in Ostrau für den höchsten Luxus . Der arme Junge zog mit ihnen die Überzeugung an , daß er durch sie seiner jetzigen Umgebung doch um einige Gran würdiger werde . Lange saß er in dieser Einsamkeit , endlich kam Bewegung in das stille Bild . Auf dem Balkon des Hauses trat durch die geöffnete Tür eine zierliche Frauengestalt im hellen Sommerkleide mit weiten Spitzenärmeln und einer liebenswürdigen Frisur , wie sie Anton von alten Rokokobildern her kannte ; er konnte deut lich die feinen Züge ihres Gesichts erkennen und den klaren Blick des Auges , welches auf dem Rasenplatz unter ihren Füßen ruhte . Die Dame stand auf das Geländer gestützt bewegungslos wie eine Statue , und Anton sah ehrerbietig zu ihr hinauf . Endlich flog aus der offenen Tür hinter der Dame ein bunter Papagei , setzte sich auf ihre Hand und ließ sich von ihr liebkosen . Dies glänzende Tier steigerte Antons Bewunderung . Und als dem Papagei ein fast erwachsenes Mädchen folgte , welches schmeichelnd den Hals der schönen Frau umschlang , und als die Dame zärtlich die Wange des Mädchens an die ihre drückte , und als der Papagei auf die Köpfe der beiden Damen flog und laut schreiend von einer Schulter zur andern sprang , da wurde das Gefühl der Verehrung in unserm Anton so lebhaft , daß er vor innerer Aufregung errötete und sich tiefer in den Schatten des Gebüsches zurückzog . Er dachte an die beiden schönen Frauengestalten auf dem Balkon und ging mit elastischem Schritt wie einer , dem etwas Fröhliches begegnet ist , den breiten Weg zurück , um einen Ausgang aus dem Garten zu finden . Da hörte er hinter sich das Schnauben eines Pferdes . Auf einem schwarzen Pony kam die jüngere der beiden Damen in seinem Wege geritten , die schlanke Gestalt saß sicher auf dem Pferd und gebrauchte einen Sonnenschirm als Reitgerte . Die Damenwelt von Ostrau hatte nicht die Gewohnheit auf kleinen Pferden umherzureiten . Nur einmal hatte Anton eine Kunstreiterin gesehen mit sehr roten Wangen und einem langen roten Kleide , welche , begleitet von einem großen schwarzbärtigen Herrn , hinter dem lustigen Bajazzo durch die Straßen ritt und an jeder Straßenecke anhielt , wo ihr Pferd einen Sprung machte , und Bajazzo unerhört lächerliche Worte zu der versammelten Jugend sprach . Schon damals hatte er mit unsäglicher Bewunderung die schöne Reiterin betrachtet , und jetzt war er ganz der Mann , dasselbe Gefühl womöglich in stärkerem Grade zu empfinden . Er blieb stehen und machte der Reiterin eine ehrfurchtsvolle Verbeugung . Diese erwiderte die Huldigung mit graziösem Kopfnicken , worauf sie plötzlich ihr Pferd anhielt und freundlich frug : » Suchen Sie jemand hier ? Vielleicht wünschen Sie meinen Vater zu sprechen . « » Ich bitte um Verzeihung « , sagte Anton mit tiefster Ehrerbietung . Wahrscheinlich bin ich auf einem Wege , der Fremden nicht erlaubt ist . Ich kam den Fußsteig über die Wiesen und sah kein Tor und keinen Zaun . « » Das Tor ist auf der Brücke , es steht am Tage offen « , belehrte das Fräulein , gnädig auf Anton sehend ; denn da Ehrfurcht nicht gerade das gewöhnliche Gefühl ist , welches vierzehnjährige Fräulein einflößen , so war ihr die massenhafte Anhäufung dieser Empfindung bei Anton außerordentlich wohltuend . » Da Sie im Garten sind , wollen Sie sich nicht darin umsehen ? Es wird uns freuen , wenn er Ihnen gefällt « , fügte sie mit Würde hinzu . » Ich habe mir die Freiheit genommen « , erwiderte Anton wieder mit einer Verbeugung , » ich war bis dort oben am Rasenplatz vor dem Schloß . Er ist prächtig ! « rief der ehrliche Junge begeistert aus . » Ja « , sagte die Dame , immer noch den Pony anhaltend , » Mama hat selbst dem Gärtner alles angegeben . « » Also die gnädige Frau , welche vorhin auf dem Balkon stand , ist Ihre Frau Mutter ? « frug Anton schüchtern . » Ah ! Sie haben uns belauscht « , rief die Kleine und sah ihn vornehm an . » Wissen Sie , daß das nicht hübsch war ? « » Seien Sie mir deshalb nicht böse « , bat Anton demütig , » ich trat sogleich zurück , aber es sah wunderschön aus . Die beiden Damen nebeneinander , die Büschel blühender Rosen und das zackige Weinlaub um Sie herum . Ich werde das nicht vergessen « , fügte er ernsthaft hinzu . » Er ist allerliebst ! « dachte das Fräulein . » Da Sie so viel von unserem Garten gesehen haben « , sagte sie herablassend , » so müssen Sie auch auf die Punkte gehen , wo Aussichten sind . Ich reite dorthin – wenn Sie mir folgen wollen . « Anton folgte in der glücklichsten Stimmung . Das Fräulein redete ihrem Pferde zu im Schritt zu gehen und machte den Erklärer . Sie zeigte ihm große Baumgruppen und freundliche Aussichten auf die Landschaft , legte dabei einen Teil ihrer Majestät ab und wurde gesprächig . Bald plauderten beide so ungezwungen , wie alte Bekannte . Endlich stieg das Fräulein ab , als ihr einige Stufen eine schickliche Veranlassung gaben , und führte das Pferd am Zügel ; darauf wagte Anton den Hals des Schwarzen zu streicheln , was den Pony wohlwollend aufnahm und seinerseits dem Fremdling die Rocktaschen beroch . » Er hat Zutrauen zu Ihnen « , sagte das Fräulein , » er ist ein kluges Tier . « Sie warf ihm die Zügel über den Kopf und gab ihm einen Schlag , worauf der Pony in kurzen Sprüngen davonrannte . » Wir kommen in den Blumengarten , da darf er nicht hinein ; er läuft zum Stall zurück , er ist's gewöhnt . « » Dieser Pony ist ein Wunder von einem Pferde « , rief ihm Anton nach . » Ich bin sein Liebling « , sagte das Fräulein beistimmend , » er folgt mir aufs Wort . « Anton fand die Anhänglichkeit des Pony natürlich , setzte dieselbe Empfindung beim Papagei voraus und war geneigt zu behaupten , daß alle übrige Kreatur der Erde eine ähnliche Stimmung gegen seine Führerin haben müsse . » Ich denke , Sie sind von Familie « , frug die junge Dame plötzlich , stemmte ihren Schirm gegen einen Baumast und sah Anton mit altklugem Blick an . » Nein « , sagte der Sohn des Kalkulators traurig , » mein Vater starb vor vier Wochen , es ist ein Jahr , daß meine gute Mutter tot ist , ich bin allein , ich gehe nach der Hauptstadt . « Seine Lippen zuckten bei der Erinnerung an den jüngsten Verlust . Erschrocken sah das Fräulein den Schmerz im Gesicht des Fremden . » Sie armer , armer Herr ! « rief sie gerührt und verlegen . » Kommen Sie schnell , ich will Ihnen noch etwas zeigen . Hier sind die Frühbeete ; hier ist das Beet mit Erdbeeren , es sind noch einige darin . – Franz , bringen Sie den Teller mit Beeren « , rief sie dem Gärtner zu . Franz eilte damit herbei . Eifrig ergriff das Fräulein den Teller und bot die Beeren unserm Helden mit gütigem Lächeln : » Hier , mein Herr ! Haben Sie die Güte , dies von mir anzunehmen . Vom Hause meines Vaters darf kein Gast scheiden , ohne von dem Besten zu kosten , das uns die Jahreszeit gibt . Bitte , nehmen Sie « , bat sie dringend . Anton hielt den Teller in der Hand und sah aus feuchten Augen herzlich nach der jungen Dame . » Ich esse mit Ihnen « , sagte das Fräulein und faßte zwei Beeren . Darauf leerte Anton gehorsam den Teller . » Jetzt führe ich Sie noch aus dem Garten « , sprach die Dame . Der Gärtner öffnete respektvoll eine kleine Seitentür , und das Fräulein geleitete den Reisenden bis an einen Teich , auf dem alte und junge Schwäne ruderten . » Sie kommen heran « , rief Anton freudig . » Sie wissen , daß ich etwas für sie in der Tasche habe « , sagte seine Begleiterin und löste die Kette eines Kahns . – » Steigen Sie ein , mein Herr , ich fahre Sie hinüber , dort drüben ist Ihr Weg . « » Ich darf Sie nicht so bemühen « , sagte Anton und zauderte einzutreten . » Ohne Widerspruch « , befahl das Fräulein , » es geschieht gern . « Sie setzte sich auf die Steuerbank und drückte das Wasser mit dem leichten Ruder geschickt hinter den Kahn . So fuhr sie langsam über den Teich , die Schwäne zogen ihr nach , sie hielt von Zeit zu Zeit an und warf ihnen einige Bissen zu . Anton saß ihr selig gegenüber . Er war wie verzaubert . Im Hintergrund das dunkle Grün der Bäume , um ihn die klare Flut , welche leise an dem Schnabel des Kahns rauschte , ihm gegenüber die schlanke Gestalt der Schifferin , die strahlenden blauen Augen , das edle Gesicht gerötet durch ein liebliches Lächeln , und hinter ihnen her das Volk der Schwäne , das weiße Gefolge der Herrin dieser Flut . Es war ein Traum , so lieblich , wie ihn nur die Jugend träumt . Der Kahn stieß an das Ufer , Anton stieg heraus und rief : » Leben Sie wohl ! « und unwillkürlich streckte er ihr die Hand entgegen . » Leben Sie wohl « , sagte die Kleine und berührte seine Hand mit den Fingerspitzen . Sie wandte den Kahn und fuhr langsam zurück . Anton sprang über den Rasen bis auf den erhöhten Weg und sah von dort auf das Wasser . Der Kahn landete an einer Baumgruppe , das Fräulein wandte sich noch einmal nach ihm um , dann verschwand sie hinter den Bäumen . Durch eine Öffnung des Parkes sah Anton das Schloß vor sich liegen , hoch und vornehm ragte es über die Ebene . Lustig flatterte die Fahne auf dem Türmchen , und kräftig glänzte im Sonnenschein das Grün der Schlingpflanzen , welche den braunen Stein der Mauern überzogen . » So fest , so edel ! « sagte Anton vor sich hin . » Wenn du diesem Baron aufzählst hunderttausend Talerstücke , wird er dir noch nicht geben sein Gut , was er hat geerbt von seinem Vater « , sprach eine scharfe Stimme hinter Antons Rücken . Dieser wandte sich zornig um , das Zauberbild verschwand , er stand in dem Staube der großen Landstraße . Neben ihm lehnte an einem Weidenstamm ein junger Bursch in ärmlichem Aufzuge , welcher ein kleines Bündel unter dem Arm hielt und mit ruhiger Unverschämtheit unsern Helden anstarrte . » Bist du's , Veitel Itzig ! « rief Anton , ohne große Freude über die Zusammenkunft zu verraten . Junker Itzig war keine auffallend schöne Erscheinung , hager , bleich , mit rötlichem , krausem Haar , in einer alten Jacke und defekten Beinkleidern sah er so aus , daß er einem Gendarmen ungleich interessanter sein mußte , als andern Reisenden . Er war aus Ostrau , ein Kamerad Antons von der Bürgerschule her . Anton hatte in früherer Zeit Gelegenheit gehabt , durch tapfern Gebrauch seiner Zunge und seiner kleinen Fäuste den Judenknaben vor Mißhandlungen mutwilliger Schüler zu bewahren und sich das Selbstgefühl eines Beschützers der unterdrückten Unschuld zu verschaffen . Namentlich einmal in einer düstern Schulszene , in welcher ein Knackwürstchen benutzt wurde , um verzweifelte Empfindungen in Itzig hervorzurufen , hatte Anton so wacker für Itzig plädiert , daß er selbst ein Loch im Kopfe davontrug , während seine Gegner weinend und blutrünstig hinter die Kirche rannten und selbst die Knackwurst aufaßen . Seit diesem Tage hatte Itzig eine gewisse Anhänglichkeit an Anton gezeigt , welche er dadurch bewies , daß er sich bei schweren Aufgaben von seinem Beschützer helfen ließ und gelegentlich ein Stück von Antons Buttersemmel zu erobern wußte , und Anton hatte den unliebenswürdigen Burschen gern geduldet , weil es wohltat , einen Schützling zu haben , wenn dieser auch im Verdacht stand , Schreibfedern zu mausen und später an Begüterte wieder zu verkaufen . In den letzten Jahren hatten die jungen Leute einander wenig gesehen , gerade so oft , daß Itzig Gelegenheit erhielt , die vertraulichen Formen des Schulverkehrs durch gelegentliche Anreden und kleine Spöttereien aufzufrischen . » Die Leute sagen , daß du auch gehst nach der großen Stadt , um zu lernen das Geschäft « , fuhr Veitel fort . » Du wirst lernen , wie man Tüten dreht und Sirup verkauft an die alten Weiber ; ich gehe auch nach der Stadt , ich will machen mein Glück . « Anton antwortete unwillig über die freche Rede und über das vertrauliche Du , das der Kamerad aus der Elementarschule immer noch gegen ihn wagte : » So gehe deinem Glück nach und halte dich nicht bei mir auf . « Es hat keine Eil ' « , entgegnete Veitel nachlässig , » ich will warten , bis auch du gehst , wenn dir meine Kleider nicht sind zu schlecht . « Diese Berufung auf Antons Humanität hatte die Folge , daß Anton sich schweigend die Gegenwart des unwillkommenen Gefährten gefallen ließ . Er warf noch einen Blick nach dem Schlosse und schritt dann stumm auf der Landstraße fort , Itzig immer einen halben Schritt hinter ihm . Endlich wandte sich Anton um und fragte nach dem Eigentümer des Schlosses . Wenn Veitel Itzig nicht ein Hausfreund des Gutsbesitzers war , so mußte er doch zum wenigsten ein vertrauter Freund seines Pferdejungen sein ; denn er war bekannt mit vielen Verhältnissen des Freiherrn , der in dem Schlosse wohnte . Er berichtete , daß der Baron nur zwei Kinder habe , dagegen eine ausgezeichnete Schafherde auf einem großen schuldenfreien Gut . Der Sohn sei auswärts auf einer Schule . Als Anton mit lebhaftem Interesse zuhörte und dies durch seine Fragen verriet , sagte Itzig endlich : » Wenn du willst haben das Gut von diesem Baron , ich will dir's kaufen . « » Ich danke « , antwortete Anton kalt ; » er würde es nicht verkaufen , hast du mir eben gesagt . « » Wenn einer nicht will verkaufen , muß man ihn dazu zwingen « , rief Itzig . » Du bist der Mann dazu « , sprach Anton . » Ob ich bin der Mann , oder ob es ist ein anderer ; es ist doch zu machen , daß man kauft von jedem Menschen , was er hat . Es gibt ein Rezept , durch das man kann zwingen einen jeden , von dem man etwas will , auch wenn er nicht will . « » Muß man ihm einen Trank eingeben « , frug Anton mit Verachtung , » oder ein Zauberkraut ? « » Tausendgüldenkraut heißt das Kraut , womit man vieles kann machen in der Welt « , erwiderte Veitel , » aber wie man es muß machen , daß man auch als kleiner Mann kriegen kann so ein Gut wie des Barons Gut , das ist ein Geheimnis , welches nur wenige haben . Wer das Geheimnis hat , wird ein großer Mann , wie der Rothschild , wenn er lange genug am Leben bleibt . « » Wenn er nicht vorher festgesetzt wird « , warf Anton ein . » Nichts eingesteckt ! « antwortete Veitel . » Wenn ich nach der Stadt gehe zu lernen , so gehe ich zu suchen die Wissenschaft , sie steht auf Papieren geschrieben . Wer die Papiere finden kann , der wird ein mächtiger Mann ; ich will suchen diese Papiere , bis ich sie finde . « Anton sah seinen Reisegefährten von der Seite an , wie man einen Menschen ansieht , dessen Verstand in der Irre lustwandelt , und sagte endlich mitleidig : » Du wirst sie nirgend finden , armer Veitel . « Itzig aber fuhr fort , sich vertraulich an Anton drängend : » Was ich dir sage , das erzähle keinem weiter . Die Papiere sind gewesen in unsrer Stadt , einer hat sie gekriegt von einem alten sterbenden Bettler , und ist geworden ein mächtiger Mann ; der alte Schnorrer hat sie ihm gegeben in einer Nacht , wo der andere hat gebetet an seinem Lager , ihm zu vertreiben den Todesengel . « » Und kennst du den Mann , der die Papiere hat ? « frug Anton neugierig . » Wenn ich ihn weiß , so werde ich es doch nicht sagen « , antwortete Veitel schlau , » aber ich werde finden das Rezept . Und wenn du haben willst das Gut des Barons , und seine Pferde und Kühe und seinen bunten Vogel , und den Backfisch , seine Tochter , so will ich dir's schaffen aus alter Freundschaft , und weil du ausgehauen hast die Bocher in der Schule für mich . « Anton war entrüstet über die Frechheit seines Gefährten . » Hüte dich nur , daß du kein Schuft wirst , du scheinst mir auf gutem Wege zu sein « , sagte er zornig und ging auf die andere Seite der Straße . Itzig ließ sich durch diesen guten Rat nicht anfechten , sondern pfiff ruhig vor sich hin . So schritten die beiden Reisenden in langem Schweigen , welches Itzig unbefangen beim nächsten Dorfe unterbrach , indem er seinem Begleiter wieder Namen und Vermögensverhältnisse des Ritterguts angab . Und diese belehrende Unterhaltung wiederholte sich bei jedem Dorf , so daß Anton ganz betroffen wurde über die ausgebreiteten statistischen Kenntnisse seines Gefährten . Endlich verstummten beide und legten die letzte Meile , ohne ein Wort zu sprechen , nebeneinander zurück . 3 Der Freiherr von Rothsattel gehörte zu den wenigen Menschen , welche nicht nur von aller Welt glücklich gepriesen werden , sondern auch sich selbst für glücklich halten . Er stammte aus einem sehr alten Hause . Ein Rothsattel war schon in den Kreuzzügen nach dem Morgenlande geritten . Wenigstens wurde in der Familie ein Rokokoflakon von buntem Glas als orientalisches Fläschchen aufbewahrt , ein Beweis für die Existenz des Ahnherrn und zur Erinnerung an die schöne Zeit der Kreuzzüge . Ein anderer Rothsattel hatte einen Haufen Bergleute gegen die Hussiten geführt und war mit dem ganzen Haufen zu seiner und des Herrn Ehre erschlagen worden . Wieder einer war Fähnrich in dem Heere des Moritz von Sachsen gewesen , er galt für den Stifter der Linie Rothsattel-Steigebügel , und sein kriegerisches Bildnis hing noch im Turmzimmer des Schlosses . Ein anderer hatte sich im Dreißigjährigen Kriege bei verschiedenen Armeen und auf eigene Faust gerührt ; die Familiensage meldete von ihm , er sei ein sehr dicker Herr und ein großer Trinker gewesen , von kräftiger Suade und etwas freien Sitten . Er war als erster des Geschlechtes in die Gegend gekommen , in welcher diese Erzählung verlaufen soll , und hatte eine Anzahl Landgüter auf irgendeine Weise in Besitz genommen . Unter den Kinderfrauen der Familie bestand seit alter Zeit die düstere Überzeugung , daß dieser dicke Herr zuweilen im Keller auf einer großen Krauttonne zu sehen sei , wo er als ruheloser Geist sitze und ächze , zur Strafe für schauderhafte Vergehungen gegen die Tugend seiner weiblichen Zeitgenossen . Wieder ein anderer Vorfahr war kaiserlicher Rat zu Wien gewesen ; der Urgroßvater des gegenwärtigen Besitzers war von dem großen König der Preußen starr angesehen und darauf mit Wohlwollen angeredet worden . Auch der Großvater war zu seiner Zeit ein unternehmender und vielbesprochener Kavalier gewesen , der in der Armee keine Lorbeeren gefunden und sich resigniert hatte , dieselben im Boudoir galanter Damen und am grünen Tisch zu suchen . Leider waren ihm dabei seine Güter lästig geworden und aus den Händen geglitten . Sein Sohn endlich , der Vater des gegenwärtigen Besitzers , war ein einfacher Landedelmann von mäßigem Geiste , der nach langen Prozessen das eine stattliche Gut aus den Trümmern des Familienvermögens rettete und sein Leben damit zubrachte , dasselbe für seine Nachkommen schuldenfrei zu machen . Die Rothsattel hatten von je in dem Ruf gestanden , starke Nachkommenschaft zu hinterlassen , und alle ältern Damen aus der Familie erklärten diese Eigenheit – so höchst achtungswert sie auch sonst sei – doch für den einzigen Grund , daß das berühmte Haus nicht dazu gekommen war , die neunzinkige Grafenkrone oder gar den geschlossenen Reif eines Titularfürstentums auf dem Wappenhelm seines Seniors zu sehen . Gegenüber dem alten Brauch seines Hauses erwies der Vater auch dadurch seinen bescheidenen Sinn , daß er nur einen Sohn hinterließ . Der gegenwärtige Besitzer des Gutes hatte in einem Garderegiment gedient , wie dem Sproß eines so kriegerischen Hauses ziemte . Er hatte dort den Ruf eines vollendeten Edelmannes erworben . Er war brauchbar im Dienst und ein vortrefflicher Kamerad gewesen , wohlbewandert in allen ritterlichen Übungen , zuverlässig in Ehrensachen . Er hatte bei Hofbällen stets schicklich dagestanden , und sooft er von einer Prinzeß befohlen wurde , mit guter Haltung getanzt . Auch als Mann von Charakter hatte er sich gezeigt , da er aus wirklicher Neigung ein armes Hoffräulein heiratete , eine liebenswürdige junge Dame , deren Abgang aus den Quadrillen des Hofes lebhafte Betrübnis in allen Männerherzen hervorrief . Mit seiner Gemahlin hatte sich der Freiherr als verständiger Mann in die Provinz zurückgezogen , hatte durch eine Reihe von Jahren fast ausschließlich für seine Familie gelebt und dadurch den Vorteil erreicht , daß seine Regimentsschulden sämtlich bezahlt und seine Ausgaben nicht größer waren , als seine Einnahmen . Sein Haus war vortrefflich eingerichtet , die geringe Aussteuer seiner Frau war dazu benutzt worden , ihr durch Einrichtung des Parks eine große Freude zu machen . Der Freiherr hielt einen Weinkeller von guten Tischweinen , hatte zwei prächtige Wagenpferde und zwei elegante Reitpferde , ging jeden Morgen durch die Wirtschaft und ritt jeden Nachmittag aufs Feld , hielt viel auf seine Schafherde und setzte einen Stolz darein , seine feine Wolle gut waschen zu lassen . Er war ein durchaus ehrlicher Mann , noch jetzt eine imponierend schöne Gestalt , verstand würdig zu repräsentieren und einen gastfreien Wirt zu machen , und liebte seine Frau womöglich noch mehr als in den ersten Monaten nach seiner Vermählung . Kurz er war das Musterbild eines adligen Rittergutsbesitzers . Er war kein übermäßig reicher Herr , ungefähr das , was man einen Fünftausendtalermann nennt , und hätte sein schönes Gut in günstigen Zeiten wohl um vieles höher verkaufen können , als der scharfsinnige Itzig annahm . Er hätte das aber mit Recht für eine große Torheit gehalten . Zwei gesunde und fähige Kinder vollendeten das Glück seines Haushaltes , der Sohn war im Begriff als Militär die Familienkarriere zu beginnen , die Tochter sollte noch einige Jahre unter den Flügeln der Mutter leben , bevor sie in die große Welt trat . Wie alle Menschen , welchen das Schicksal Familienerinnerungen aus alter Zeit auf einen Schild gemalt und an die Wiege gebunden hat , war auch unser Freiherr geneigt , viel an die Vergangenheit und Zukunft seiner Familie zu denken . An seinem Großvater war die trübe Erfahrung gemacht worden , daß ein einziger ungeordneter Geist hinreicht , das auseinanderzustreuen , was emsige Vorfahren an Goldkörnern und Ehren für ihre Nachkommen gesammelt haben . Er hätte deshalb gern sein Haus für alle Zukunft vor dem Herunterkommen gesichert , hätte gern sein schönes Gut in ein Majorat verwandelt und dadurch leichtsinnigen Enkeln erschwert , zwar nicht Schulden zu machen , aber dieselben zu bezahlen . Doch die Rücksicht auf seine Tochter hielt ihn von diesem Schritte ab , es kam seinem ehrlichen Gefühl ungerecht vor , dies geliebte Kind wegen künftiger ungewisser Rothsattel zu enterben . Und er empfand mit Schmerz , daß sein altes Geschlecht in der nächsten Generation in dieselbe Lage kommen werde , in der die Kinder eines Beamten oder eines Krämers sind , in die unbequeme Lage , sich durch eigene Anstrengung eine mäßige Existenz schaffen zu müssen . Er hatte oft versucht , von seinen Erträgen zurückzulegen , indes die Gegenwart war dazu wirklich nicht geeignet ; überall fing man an mit einer gewissen Reichlichkeit zu leben , mehr auf elegante Einrichtung und den zahllosen kleinen Schmuck des Daseins zu halten . Und was er in günstigen Jahren etwa gespart hatte , das war durch kleine Badereisen , welche die zarte Gesundheit seiner Frau nach der Behauptung des Arztes notwendig machte , immer wieder ausgegeben worden . Der Gedanke an die Zukunft seiner Familie beschäftigte den Freiherrn auch heut , als er auf seinem Halbblut durch die große Kastanienallee dem Schloß zusprengte . Es war eine sehr kleine Wolke , welche unter dem Sonnenschein seiner Seele dahinfuhr , sie verschwand im Nu , als er Gewänder vor sich flattern sah und seine Gemahlin erkannte , welche mit der Tochter ihm entgegeneilte . Er sprang vom Pferde , küßte sein Lieblingskind auf die Stirn und sagte vergnügt zu seiner Frau : » Wir haben vortreffliches Wetter zur Heuernte , es wird nach Kräften eingefahren , der Amtmann behauptet , wir hätten noch nie so viel Futter gemacht . « » Du hast Glück , Oscar « , sagte die Baronin zärtlich zu ihm aufblickend . » Wie immer seit siebzehn Jahren , seit ich dich heimgeführt habe « , antwortete der Gemahl mit einer Artigkeit , die vom Herzen kam . » Heut sind es siebzehn Jahr « , rief die Baronin , » sie sind vergangen , wie ein Sommertag . Wir sind sehr glücklich gewesen , Oscar . « Sie schmiegte sich an seinen Arm und sah dankend zu ihm auf . » Gewesen ? « fragte der Freiherr , » ich denke wir sind 's noch . Und ich sehe nicht ein , weshalb es nicht weiter so fortgehen soll . « » Berufe es nicht « , bat die Baronin . » Mir ist manchmal , als könnte so viel Sonnenschein nicht ewig währen ; ich möchte demütig entbehren und fasten , um den Neid des Schicksals zu versöhnen . « » Nun « , sagte der Freiherr gutmütig , » das Schicksal läßt auch uns nicht ungezaust . Die Donnerwetter fehlen uns nicht , aber diese kleine Hand erhebt sich zur Beschwörung und sie ziehen vorüber . Hast du nicht Ärger genug mit dem Haushalt , den Tollheiten der Kinder , und zuweilen mit deinem Tyrannen , daß du dir mehr ersehnst ? « » Du lieber Tyrann ! « rief die Baronin . » Dir danke ich dies Glück . Und wie fühle ich es . Nach siebzehn Jahren bin ich immer noch stolz darauf , einen so stattlichen Hausherrn zu haben , ein so schönes Schloß und ein so großes Gut , wo jeder Fußbreit des Bodens auch mir gehört . Als du mich , das arme Fräulein , mit meinen Fähnchen und dem Schmuckkästchen , das ich der Gnade der Herrschaft verdanke , in dein Haus führtest , da erst lernte ich erkennen , welche Seligkeit es ist , im eigenen Hause als Herrin zu regieren , und dem Willen keines andern zu gehorchen , als dem des geliebten Mannes . « » Du hast doch vieles aufgegeben um meinetwillen « , sagte der Freiherr . » Oft habe ich gefürchtet , daß unser Landleben dir , dem Günstling der verstorbenen Prinzeß , zu einsam und klein erscheinen würde . « » Dort war ich Dienerin , hier bin ich Herrin « , sagte die Baronin lachend . » Außer meiner Toilette hatte ich nichts , was mir selbst gehörte . Immer in den langweiligen Stuben der Hoffräulein umherziehen , an allen Abenden zu der letzten Rolle verurteilt sein , und dabei die Angst haben , daß das immer so fortgehen soll , bis man alt wird in ewigen Zerstreuungen , ohne eigenes Leben ! Du weißt , daß mich das oft traurig gemacht hat . Hier sind die Überzüge unserer Möbeln nicht von schwerem Seidenstoff und in unserm Saal steht keine Tafel aus Malachit , aber was im Hause ist , gehört mir . « Sie schlang ihren Arm um den Freiherrn : » Du gehörst mir , die Kinder , unsere silbernen Armleuchter . « » Die neuen sind nur Komposition « , warf der Freiherr ein . » Das sieht niemand « , erwiderte seine Gemahlin fröhlich . » Und wenn ich mein Porzellan ansehe , und am Rande dein und mein Wappen erblicke , so schmecken mir unsere zwei Schüsseln zehnmal so gut , als die vielen Gänge der Hofküche . Und vollends die großen Hoftage und unsere Marschallstafel , wo jeder den andern zum Verzweifeln genau kannte , und jeder dem andern zum Verzweifeln gleichgültig war . « » Du bist ein glänzendes Beispiel von Genügsamkeit « , sagte der Freiherr . » Um deinetwillen und wegen der Kinder wollte ich , dies Gut wäre zehnmal so groß , und unsere Einnahme so , daß ich dir einen Pagen halten könnte , Frau Marquise , und außer der Wirtschafterin ein paar Hoffräulein . « » Nur keine Fräulein « , bat die Baronin , » und was den Pagen betrifft , so braucht man keinen , wenn man einen Kavalier hat , der so aufmerksam ist , wie du . « So schritt der Freiherr behaglich zwischen den beiden Frauen dem Schlosse zu . Lenore hatte sich unterdes der Zügel seines Reitpferdes bemächtigt und redete dem Pferde freundlich zu , so wenig Staub als möglich zu machen . Dort hält ein fremder Wagen , ist Besuch gekommen ? « fragte der Freiherr , als sie sich dem Hofe näherten . » Es ist nur Ehrenthal « , antwortete die Baronin , » er wartet auf dich und hat bereits seinen ganzen Vorrat von schönen Redensarten an uns verschwendet ; Lenore ließ ihrem Übermut den Zügel schießen , und es war hohe Zeit , daß ich sie wegführte ; dem drolligen Mann wurde angst bei der Koketterie des unartigen Kindes . « Der Freiherr lächelte . » Mir ist er immer noch der liebste in dieser Klasse von Geschäftsleuten « , sagte er ; » sein Benehmen ist wenigstens nicht abstoßend , und ich habe ihn in dem langen Verkehr stets zuverlässig gefunden . – Guten Tag , Herr Ehrenthal , was führt Sie zu mir ? « Herr Ehrenthal war ein wohlgenährter Herr in sei nen besten Jahren mit einem Gesicht , welches zu rund war , zu gelblich und zu schlau , um schön zu sein ; er trug Gamaschen an den Füßen , eine diamantene Busennadel auf dem Hemd und schritt mit großen Bücklingen und tiefen Bewegungen des Hutes durch die Allee dem Baron entgegen . » Ihr Diener , gnädiger Herr « , antwortete er mit ehrerbietigem Lächeln , » wenn mich auch nichts herführt von Geschäften , so werde ich Sie doch bitten , Herr Baron , daß Sie mir manchmal erlauben , herumzugehen in Ihrer Wirtschaft , damit ich in meinem Herzen eine Freude habe . Es ist mir eine Erholung von der Arbeit , wenn ich komme in Ihren Hof . Alles so glatt und wohlgenährt , und alles so reichlich und gut eingerichtet in den Ställen und in den Scheunen . Die Sperlinge auf dem Dach sehen bei Ihnen lustiger aus , als die Sperlinge von andern Leuten . Wenn man als Geschäftsmann so vieles erblicken muß , was einen nicht erfreut , wo die Menschen durch ihr Verschulden in Unordnung kommen und Verfall , da tut 's einem wohl , wenn man ein Leben sieht , wie das Ihre ; keine Sorgen , keine großen Sorgen zum wenigsten , und so vieles , was das Herz erfreut . « » Sie sind so artig , Herr Ehrenthal , daß ich glauben muß , etwas recht Wichtiges führt Sie her . Wollen Sie ein Geschäft mit mir machen ? « fragte der Freiherr gutmütig . Mit einem Kopfschütteln , wie es dem biedern Mann ansteht , wenn er einen ungerechten Verdacht von sich abweisen will , antwortete Herr Ehrenthal : » Nichts vom Geschäft , Herr Baron ! Die Geschäfte , die ich mit Ihnen mache , sind solche , wo man sagt keine Artigkeiten . Gute Ware und gutes Geld , so haben wir es immer gehalten , und so wollen wir 's mit Gottes Hilfe auch ferner halten . Ich kam nur herein im Vorbeifahren « – dabei bewegte er nachlässig die Hand , um pantomimisch zu bekräftigen , daß er nur im Vorbeifahren sei – , » ich wollte fragen wegen des Pferdes , das der Herr Baron zu verkaufen haben . Es ist einer im Dorfe daneben , dem ich habe versprochen zu fragen nach dem Preis . Ich kann 's ebensogut mit dem Amtmann abmachen , wenn der Herr Baron keine Zeit haben für mich . « » Kommen Sie mit , Ehrenthal « , sagte der Freiherr , » ich führe mein Pferd selbst in den Stall . « Herr Ehrenthal machte den Frauen viele Bücklinge , welche von Lenore durch ebenso tiefe Knickse erwidert wurden , und folgte dem Freiherrn zur Stalltür . Dort blieb er respektvoll stehen und bestand darauf , daß das Pferd des Barons und der Baron selbst vor ihm eintraten . Nach kurzer Besichtigung und den üblichen Reden und Gegenreden führte der Freiherr Herrn Ehrenthal auch in den Kuhstall , worauf Herr Ehrenthal den leidenschaftlichen Wunsch aussprach , auch die Kälber zu sehen , und endlich die Bitte zufügte , auch bei den Zuchtböcken zur Audienz zugelassen zu werden . Er war ein erfahrener Geschäftsmann , und wenn das Entzücken , welches er aussprach , auch etwas handwerksmäßig und überschwenglich klang , so war das , was er lobte , doch wirklich lobenswert , und der Freiherr hörte das Lob mit Wohlgefallen an . Nach Besichtigung der Schafe mußte eine Pause gemacht werden , denn Ehrenthal war zu sehr ergriffen von der Feinheit und Dichtigkeit ihres Pelzes . » Nein , dieser Stapel ! « seufzte er in träumerischer Begeisterung ; » schon jetzt kann man sehen , was er sein wird im nächsten Frühjahr . « Er wiegte den Kopf hin und her und zwinkerte mit den kleinen Augen nach der Sonne . » Wissen Sie , Herr Baron , daß Sie sind ein glücklicher Mann ! Haben Sie gute Nachrichten von Ihrem Herrn Sohn ? « » Danke , lieber Ehrenthal , er hat gestern geschrieben und seine Zeugnisse geschickt « , antwortete der Freiherr . » Er wird werden , wie sein Herr Vater « , rief Herr Ehrenthal aus , » ein Kavalier von erster Qualität , und ein reicher Mann , der Herr Baron weiß zu sorgen für seine Kinder . « » Ich erspare nichts , lieber Ehrenthal « , erwiderte der Baron nachlässig . » Was ersparen ? « rief der Händler mit Verachtung gegen eine so plebeje Tätigkeit ; » was sollen Sie sparen ? Wenn ich mir erlauben darf , das zu bemerken als ein Geschäftsmann , der schon lange die Ehre hat , Sie zu kennen . Was brauchen Sie zu sparen ? Sie werden doch dereinst , wenn der alte Ehrenthal nicht mehr sein wird , auch ohne Sparen hinterlassen dem jungen Herrn das Gut , welches unter Brüdern wert ist ein und ein halbes Hunderttausend , und dem gnädigen Fräulein Tochter außerdem eine Aussteuer von – was soll ich sagen – von fünfzigtausend Taler bar . « » Sie irren « , sagte der Freiherr ernst , » ich bin nicht so reich . « » Nicht so reich ? « rief Herr Ehrenthal mit sittlicher Entrüstung gegen jeden Menschensohn ( den Baron ausgenommen ) , der so etwas behaupten könnte . » Es hängt doch nur von Ihnen ab , jeden Augenblick so reich zu sein . Wer ein Vermögen hat , wie der Herr Baron , der kann in zehn Jahren verdoppeln sein Kapital ohne Gefahr . – Warum wollen Sie nicht Pfandbriefe der Landschaft auf Ihr Gut nehmen ? « Die » Landschaft « der Provinz war damals ein großes Kreditinstitut der Rittergutsbesitzer , welches Kapitalien zur ersten Hypothek auf Rittergüter auslieh . Die Zahlung erfolgte in Pfandbriefen , welche auf den Inhaber lauteten und damals überall im Lande für das sicherste Wertpapier galten . Das Institut selbst zahlte die Interessen an die Besitzer der Obligationen und erhob von seinen Schuldnern außer den Zinsen noch einen geringen Zuschlag für Verwaltungskosten und zu allmählicher Tilgung der aufgenommenen Schuld . » Ich mache keine Geldgeschäfte « , antwortete der Freiherr stolz , aber in seiner Brust klang die Saite fort , welche der Händler angeschlagen hatte . » Die Geschälte , welche ich meine , sind so , wie sie heutzutage macht jeder Fürst « , fuhr Herr Ehrenthal mit Feuer fort . » Wenn der gnädige Herr Pfandbriefe der Landschaft aufnimmt auf sein Gut , so kann er jeden Tag erhalten fünfzigtausend Taler in gutem Pergament . Sie zahlen dafür der Landschaft vier vom Hundert , und wenn Sie die Pfandbriefe liegenlassen in Ihrer Kasse , so erhalten Sie davon Zinsen dreiundeinhalb vom Hundert . Dann zahlen Sie ein halbes Prozent zu an die Landschaft , und durch das halbe Prozent wird noch amortisiert das Kapital . « » Das heißt Schulden machen , um reich zu werden « , warf der Gutsherr achselzuckend ein . » Verzeihen Sie , Herr Baron , wenn ein Herr wie Sie fünfzigtausend Taler liegen hat , welche ihm jährlich kosten ein halbes Prozent , so kann er damit kaufen die halbe Welt . Immer gibt es Gelegenheit , Güter zu erwerben zu einem Spottpreis , wenn man bar Geld oder Pfandbriefe hat zu rechter Zeit . Da sind Rittergüter , da sind Waldungen , die man kann kaufen , oder Anteile von Bergwerken , oder Aktien von einer soliden Sozietät . Oder der Herr Baron können selbst anlegen ein Etablissement auf Ihrem Gut , wenn Sie wollen schaffen Zucker aus Rüben , wie der Herr v. Bergen am Gebirge , oder amerikanisches Mehl , wie der Herzog von Löbau , oder bayrisches Bier , wie Ihr Nachbar , der Graf Horn . Was ist dabei für eine Gefahr ? Sie werden einnehmen zehn , zwanzig , ja fünfzig Taler vom Hundert des Kapitals , das Sie geliehen haben von der Landschaft zu vier vom Hundert . « Der Freiherr sah nachdenkend vor sich hin . Was ihm der Händler sagte , war durchaus nichts Neues und Unerhörtes , er selbst hatte oft ähnliches gedacht . Es war gerade die Zeit , wo eine Menge von neuen industriellen Unternehmungen aus dem Ackerboden aufschossen , wo durch die hohen Schornsteine der Dampfmaschinen , durch neuentdeckte Kohlen- und Erzlager , durch neue landwirtschaftliche Kulturen große Summen erworben und noch größere Reichtümer gehofft wurden . Die vornehmsten Grundbesitzer der Landschaft standen an der Spitze ausgedehnter Aktienunternehmungen , welche auf einer Verbindung moderner Industrie und des alten Ackerbaues beruhten . Es war nichts Neues und Auffallendes in den Worten des Händlers , und doch schlugen sie als zündender Blitz in die Seele des Freiherrn . Sie kamen im rechten Augenblick . Herr Ehrenthal bemerkte die Wirkung , welche er hervorgebracht hatte , und schloß mit der Gemütlichkeit , welche seine Lieblingsstimmung war : » Wo habe ich das Recht , einem Herrn , wie Sie sind , einen Rat zu geben ? Aber jeder Gutsbesitzer muß sagen dasselbe , daß ein solches Geschäft mit Pfandbriefen in unserer Zeit die solideste Art ist , wie ein vornehmer Herr kann sorgen für seine Kinder . Wenn einst das Gras wachsen wird über dem Grabe des alten Ehrenthal , dann werden Sie an mich denken und bei sich sagen : der Ehrenthal war nur ein einfacher Mann , aber er hat mir geraten , was gut war und ein Segen für die Familie . « Der Freiherr sah immer noch vor sich hin . Was er lange in sich herumgetragen hatte , das war auf einmal zum festen Entschluß geworden . Dem Händler sagte er mit einer Leichtigkeit , die ihm nicht vom Herzen kam : » Ich will mir's überlegen . « Ehrenthal war damit zufrieden und bat um die Erlaubnis , sich den Damen empfehlen zu dürfen , was er als Mann von Welt und Gemüt selten unterließ . Es war schade , daß der Freiherr nicht das Gesicht des Geschäftsmannes sah , als dieser in seinen Wagen stieg und mechanisch die Bourbonrose ins Knopfloch steckte , welche ihm Lenore beim Abschiede mit schalkhafter Artigkeit überreicht hatte . Auch Herr Ehrenthal machte ein lustiges Gesicht , aber nicht aus Freude über die volle Rose . Er ließ den Kutscher langsam durch die Feldmark fahren und sah wohlgefällig auf die Ackerstücke , welche mit reifender Frucht zu beiden Seiten des Weges lagen . In langem Zuge kamen die Heuwagen des Gutes ihm entgegen . So oft er still hielt , um einen Riesenwagen vorbeizulassen , berupften seine Pferde das Heu , und sein Kutscher drehte sich um und rief schnalzend : » Schönes Futter ! « » Ein schönes Gut « , sagte dann Herr Ehrenthal in tiefem Nachdenken . Unterdes saß die Baronin in einer Gartenlaube und blätterte in den neuen Journalen , welche der Buchhändler aus der nächsten Kreisstadt zugeschickt hatte . Sie betrachtete prüfend die Modekupfer und genoß die kleinen Nippes der Tagesliteratur : Geschichten von Menschen , welche auf außerordentliche Weise reich geworden , und von andern , welche auf schauderhafte Weise ermordet sind , Tigerjagden aus Ostindien , ausgegrabene Mosaikböden , rührende Schilderungen von der Treue eines Hundes , hoffnungsreiche Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele , und was sonst das flüchtige Auge eleganter Damen zu fesseln vermag . Die schöne Gemahlin des Freiherrn schaukelte während des Lesens die gestickte Fußbank , ihre Seele war nur halb in den Blättern , sie sah oft über den Rasenplatz nach ihrer Tochter , welche , wieder mit dem Pony beschäftigt , diesem aus Blumen und Zeitungspapier eine groteske Halskrause und eine gehörnte Mütze zurechtmachte , was der Pony vergebens dadurch zu vereiteln suchte , daß er soviel Blüten und Zeitungspapier wegfraß , als er mit dem Maul erreichen konnte . Als die junge Dame , stolz auf ihr Werk , den Kopf nach der Laube wandte und das Auge der Mutter auf sich gerichtet sah , überließ sie das Pferd dem herzueilenden Bedienten und flog wie eine Libelle zu den Füßen der Mutter . Sie setzte sich auf die Fußbank , zog die Journale auf das Knie der Baronin , und fing an , sich possenhaft mit den Herren und Damen der Modekupfer zu unterhalten . Da die Gesichter dieser Ideale , wie bekannt , den Vorzug haben , allen Menschen ähnlich zu sehen , von denen sie sich durch einzelne charakteristische Eigenheiten , durch merkwürdig kleine Lippen , und zuweilen durch ein auf der Stirn oder den Backen sitzendes Auge unterscheiden , so wurde der jungen Dame nicht schwer , zahlreiche Ähnlichkeiten mit Bekannten des Hauses aufzufinden und die Bilder danach zu behandeln . Die Mutter lächelte über die kindischen Scherze der Tochter und sagte endlich , ihre Gedanken laut fortsetzend : » Lenore , du wirst jetzt ein erwachsenes Mädchen und bist noch so sehr Kind . Wir haben dich aufwachsen lassen bei dem Unterricht der Bonne und des Kandidaten ; es wird Zeit , daran zu denken , daß du etwas Ordentliches lernst , mein armes Kind . « » Ich dachte , das Lernen sollte jetzt aufhören « , antwortete Lenore schmollend . » Deine französische Aussprache ist noch schlecht , und dein Vater will , daß du dich im Zeichnen übst , du hast Anlage dazu . « » Ich zeichne nur Karikaturen « , rief Lenore , » die sind am leichtesten , man macht eine lange Nase oder kurze Beine , und das Kerlchen sieht lächerlich aus . « » Du sollst nicht Karikaturenzeichnen « , sprach die Mutter , » das verdirbt deinen Geschmack und macht dich spöttisch . « Lenore ließ das Köpfchen hängen . » Und wer war der junge Mann , mit dem du vorhin durch den Garten gingst ? « fuhr die Mutter strafend fort . » Du hast ihm die Erdbeeren des Vaters gegeben . « » Schilt nur nicht immer , liebe Mutter « , rief die Tochter errötend . Der Fremde war ein hübscher artiger Junge , er geht nach der Hauptstadt , er hat weder Vater noch Mutter , das tat mir leid . Und so bescheiden war er ! Sei mir nicht böse « , schmeichelte sie und flog an den Hals der Mutter , in deren Augen mehr Liebe als Zorn zu lesen war . Die Mutter küßte das Kind auf den Mund und sagte gütig : » Du bist mein gutes , wildes Mädchen , suche mir jetzt den Vater , sein Kaffee wird kalt . « Als der Freiherr in die Laube trat , noch voll von seiner Unterredung mit Ehrenthal , legte die Baronin ihre Hände in die seinen und sagte : » Oscar , ich habe Sorge um Lenore ! « » Ist sie krank ? « fragte der Vater betroffen . » Sie ist gesund und von Herzen gut , aber sie ist kecker und ungebundener , als sich für ihre Jahre paßt . « » Sie ist auf dem Lande aufgewachsen und eine tüchtige Dirne geworden « , erwiderte der Freiherr beruhigend . » Es fehlt ihr aber an Form und an Zartgefühl im Umgang mit Fremden « , fuhr die Mutter fort . » Ich fürchte , sie ist in Gefahr , ein Original zu werden . « » Nun , das Unglück wäre nicht so groß « , sagte der Freiherr lachend . » Es gibt kein größeres für ein Mädchen aus unserm Kreise . – Was in der Gesellschaft auffällt , wird auch lächerlich ; ein kleiner Zug von bizarrem Wesen kann ihre ganze Zukunft verderben . Sie muß genötigt werden , mehr auf sich zu achten , und ich fürchte , hier auf dem Lande wird sie das nicht lernen . « » Wir sollen das Kind von uns tun , vielleicht auf Jahre , und unter fremden Menschen aufblühen lassen ? « fragte der Freiherr unwillig . » Und doch muß es sein « , sagte die Baronin ernst , » und es kostet mich viel , dir das zu sagen . Sie ist unartig gegen Mädchen ihres Alters , rücksichtslos gegen Frauen , und Männern gegenüber viel zu dreist . – Kannst du dir ein Mädchen von Lenorens Wesen am Hofe denken ? « fragte die Baronin nach einer Pause . Der Gemahl konnte sich das nicht denken , vielleicht deshalb nicht , weil ein Fürstenhof überhaupt nicht der Ort ist , wo schnell aufgeschossene Fräulein die Schulbücher umhertragen und Katze und Maus spielen . Sie wird sich ändern « , warf er endlich ein . » Sie wird sich nicht ändern « , entgegnete die Baronin sanft , die Hand auf seine Schultern legend , » solange der Liebling mit seinem Vater zu Pferde über Gräben setzt und ihn sogar auf dem Pirschgang begleitet . « » Ich kann mich nicht darein finden , beide Kinder zu entbehren « , sprach der Vater gutmütig . » Das wäre sehr hart für uns , am schwersten für dich , du strenge Hausfrau . « » Vielleicht ! « sagte die Baronin leise , und ihre Augen wurden feucht . » Aber wir dürfen nicht an uns denken , nur an die Zukunft der Kinder . « Der Freiherr sah die Bewegung der geliebten Frau , er zog sie an sich und sprach entschlossen : » Höre , Elsbeth , wenn wir in früheren Jahren von dieser Zeit sprachen , da dachten wir uns Lenorens Erziehung anders . Wir wollten die Winter über selbst in der Stadt leben , unter deinen Augen sollte das Kind den letzten Unterricht erhalten und in die Gesellschaft treten . Du sollst dich nicht von ihr trennen . Wir ziehen schon diesen Winter nach der Hauptstadt . « Überrascht erhob sich die Baronin : » Guter Oscar ! « rief sie gerührt aus . » Aber – verzeih die Frage , würde ein solcher Aufenthalt nicht in anderer Hinsicht für dich ein großes Opfer sein ? « » Nein « , sagte der Freiherr fröhlich , » ich habe Pläne , die auch für mich wünschenswert machen , den Winter in der Stadt zuzubringen . « Er erzählte ; der Umzug nach der Hauptstadt wurde beschlossen . 4 Schon stand die Sonne niedrig am Himmel , als die beiden Wanderer bei den ersten Häusern der Hauptstadt ankamen . Erst einzelne kleine Gebäude , dann zierliche Sommerwohnungen mitten in blühenden Gärten ; dann rückten die Häuser dichter zusammen , die Straße schloß sich auf beiden Seiten , und mit dem Staube und dem Wagengerassel legte sich bange Sorge um die Brust unseres Helden . In dem Geflecht großer und kleiner Straßen wäre Anton ratlos gewesen , wenn ihn nicht sein Begleiter , der aus Achtung vor dem bessern Rock Antons hinter ihm geblieben war , durch laute Rechts und Links an den Straßenecken gelenkt hätte . Veitel Itzig aber hatte eine merkwürdige Vorliebe für krumme Seitengassen und schmale Trottoirs . Hier und da winkte er hinter dem Rücken seines Reisegefährten mit frecher Vertraulichkeit geputzten Mädchen zu , die an den Türen standen , oder jungen Burschen mit krummer Nase und runden Augen , welche , die Hände in den Hosentaschen , auf der Straße herumlungerten . Zuweilen wurde sein Gruß mit nachlässigem Kopfnicken erwidert , welches ungefähr bedeutete : » Er ist ein gutes Geschöpf , aber er hat kein Geld « ; in der Regel ward seine Zuvorkommenheit mit kalter Verachtung hingenommen , welche der Pflastertreter der schmutzigen Nebenstraße da , wo nichts zu gewinnen ist , ebensogut zu äußern weiß , als der schnurrbärtige Held der Granitplatten im eleganten Stadtteil . Endlich bogen die jungen Männer in eine Hauptstraße , wo große Häuser mit Säulenportalen , elegante Kaufläden und ein Gewühl gut gekleideter Menschen verrieten , daß hier der Wohlstand einen entschiedenen Sieg über die Armseligkeit davongetragen hatte . In dieser Straße hielten sie vor einem hohen würdigen Hause an . Itzig wies auf das Tor mit einer gewissen scheuen Achtung und sagte kurz : » Hier wohnt er , hier wirst du werden bald so stolz wie diese Gojim sind ; wenn du willst wissen , wo ich zu finden bin , so kannst du nachfragen im Geschäft bei Ehrenthal auf der Gerbergasse . Gute Nacht ! « Er pfiff vor sich hin und schlenderte die Straße hinab , ohne sich umzusehen . Anton trat mit klopfendem Herzen in den Hausflur und lockerte den Brief seines Vaters in der Brusttasche . Er war sehr kleinmütig geworden und sein Kopf war so schwer , daß er sich am liebsten einen Augenblick hingesetzt hätte , um auszuruhen . Aber wie Ruhe sah es in dem Hause nicht aus . Vor der Tür stand ein großer Frachtwagen , in dem Hause mächtige Fässer und Ballen , und riesengroße , breitschultrige Männer mit Lederschürzen und kurzen Haken im Gürtel trugen Leiterbäume , klirrten mit Ketten , rollten die Fässer und schnürten dicke Stricke durch künstliche Knoten zusammen ; dazwischen eilten Kommis , die Feder hinter dem Ohr , Papier in der Hand , ab und zu , und Fuhrleute in blauen Blusen nahmen die Papiere , die Ballen und die Fässer mit der geschäftlichen Würde in Empfang , welche die Tätigkeit aller verantwortlichen Menschen zu bezeichnen pflegt . Hier war kein Ort der Ruhe , Anton stieß an einen Ballen , fiel beinahe über einen Hebebaum und wurde durch das » Vorgesehen ! « welches ihm zwei Enaksöhne mit Lederschürzen zuriefen , noch mit Mühe vor dem Schicksal bewahrt , unter einer großen Öltonne plattgedrückt zu werden . Im Zentrum der Bewegung , gleichsam als Sonne , um welche sich die Fässer und Arbeiten und Fuhrleute herumdrehten , stand ein junger Herr aus dem Geschäft , ein Herr mit entschlossener Miene und kurzen Worten , welcher als Zeichen seiner Herrschaft einen großen schwarzen Pinsel in der Hand hielt , mit dem er bald riesige Hieroglyphen auf die Ballen malte , bald den Aufladern ihre Bewegungen vorschrieb . Diesen Herrn fragte Anton mit klangloser Stimme nach dem Prinzipal des Geschäftes und wurde durch eine kurze Bewegung des Pinselstiels in den hintern Teil des Hausflurs nach dem Comtoir gewiesen . Zögernd trat er an die Tür , es kostete ihn einen großen Entschluß , den Griff mit der Hand zu drehen – er hat sich später oft daran erinnert – und als die Tür geräuschlos aufging und er in das Dämmer der großen Arbeitsstube sah , da wurde ihm so angst , daß er kaum über die Schwelle schreiten konnte . Sein Eintritt machte wenig Aufsehen . Ein halbes Dutzend Schreiber fuhr hastig mit den Federn über die blauen Briefbogen , um noch die letzten Züge vor dem Schluß des Comtoirs und der Post zu tun . Nur einer der Herren , welcher zunächst der Tür saß , erhob sich und fragte in kühlem Geschäftston : » Was steht zu Ihren Diensten ? « Auf die schüchterne Erklärung Antons , daß er Herrn Schröter zu sprechen wünsche , trat aus dem zweiten Comtoir ein großer Mann mit faltigem Gesicht , mit stehendem Hemdkragen , von sehr englischem Aussehen . Anton sah schnell auf das Antlitz , und dieser erste Blick , so ängstlich , so flüchtig , gab ihm einen guten Teil seines Mutes wieder . Er erkannte alles darin , was er in den letzten Wochen ach so oft ersehnt hatte , ein gütiges Herz und einen redlichen Sinn . Und doch sah der Herr streng genug aus , und seine erste Frage klang kurz und entschieden . Anton faßte schnell nach seinem Brief , nannte seinen Namen und erzählte hastig und mit stockender Stimme , daß sein Vater gestorben sei und daß er den Herrn von seinem Totenbett grüßen lasse . Wie ein freundliches Licht flog es über das Auge des Kaufmanns , er öffnete den Brief schweigend , las ihn langsam durch , reichte dem bewegten Anton die Hand und sagte : » Seien Sie mir willkommen . « Darauf wandte er sich zu einem von den schreibenden Herrn , welcher einen grünen Rock trug und einen grauen Überziehärmel um den rechten Arm gebunden hatte : » Herr Anton Wohlfart tritt von heut an in unser Geschäft . « Einen Augenblick hörten die sechs Federn auf zu rennen , und ihre Lenker sahen im Tempo nach Anton hin ; der Chef aber fuhr zu Anton gewandt fort : » Sie werden müde sein , Herr Jordan wird Ihnen Ihr Zimmer anweisen , ruhen Sie heut aus , morgen das Weitere . « Nach diesen Worten wandte er sich mit leichtem Kopfnicken ab und ging zu seinem Sitz im zweiten Comtoir zurück , wo ebenfalls sechs Federn über das blaue Papier fuhren und jetzt mit solcher Schnelligkeit , daß sich der Federbart vor Entsetzen sträubte , denn die alte Wanduhr hatte zum Schlage bereits ausgehoben . Nur der Herr im grünen Rock streifte den grauen Ärmel ab , strich ihn sorgfältig glatt , schloß ihn mit einem Haufen Papiere in das Pult und lud Anton ein , ihm auf das Zimmer zu folgen . Wieder schritt Anton durch die Tür des Comtoirs , in welchem er nur zehn Minuten gewesen war , aber er war ein anderer Mann geworden , sein Schicksal war entschieden , er hatte jetzt eine Heimat , er gehörte in das Geschäft . Deshalb schlug er im Vorbeigehen herzhaft auf einen großen Ballen , wie man auf die Schulter eines guten Bekannten schlägt , wobei der grüne Herr sich umwandte und mit wohlwollender Herablassung zu ihm sagte : » Baumwolle « , und drei Schritt weiter klopfte Anton Einlaß fordernd an ein riesiges Faß , welches wohlhäbig in einer Ecke stand wie ein dicker Pächter in seinem hellen Sommerrock ; worauf sich wieder der grüne Herr umwandte und ebenso wohlwollend sagte : » Korinthen . « Jetzt stieß unsern Anton kein Hebebaum mehr , ja er selbst schob den einen mit kräftiger Fußbewegung beiseite , und einen Riesen mit lederner Schürze , der ihm begegnete , grüßte er mit sicherer Vertraulichkeit und fühlte sich behaglich , daß der Riese ihm artig dankte , besonders als der grüne Herr wieder herablassend geäußert hatte : » Der oberste Auflader . « Durch den Hofraum gingen sie auf gewundenen Pfaden in ein Hintergebäude und stiegen drei ausgetretene Treppen hinauf . Dort öffnete Herr Jordan ein Zimmer und bemerkte gegen Anton , daß dies wahrscheinlich seine künftige Wohnung sein werde , es sei die frühere Behausung eines guten Freundes von ihm , der aus dem Geschäft geschieden sei und sich selbst etabliert habe . Es war ein sehr kleines Zimmer , die Möbel einfach und nicht neu , aber saubere weiße Gardinen und weiße Rouleaus vor den Fenstern und auf dem Schreibtisch eine schöne Katze von Gips , mit gelblicher Lederfarbe lackiert , so daß sie aussah wie eine lebende . Diese Katze hatte der etablierte Kollege zum Besten seines Nachfolgers in der Stube zurückgelassen . Herr Jordan eilte in das Comtoir zurück , in dem er der erste und letzte sein mußte , weil ihm ein Teil der Schlüssel anvertraut war , und Anton blieb allein . Mit Hilfe eines freundlichen Bedienten , welcher ihm schnell das Zimmer wohnlich zu machen suchte , ordnete er seine Toilette und war eben damit fertig , als zahlreiche Tritte auf den Treppen verkündeten , daß seine Kollegen aus dem Geschäft in ihre Zimmer eilten . Wieder erschien der grüne Herr und teilte ihm mit : Herr Schröter sei zu einer Konferenz und heut nicht mehr zu sprechen . Dagegen sei seine Ansicht , daß der Ankömmling den einzelnen Herren seinen Besuch machen müsse , um die Bekanntschaft mit ihnen auf anständige Weise einzuleiten . Ein Frack sei nicht nötig . Anton stieg mit seinem Begleiter einige Treppen herunter , und Herr Jordan war im Begriff , an eine Tür anzuklopfen , als der Bewohner des Zimmers ihm entgegentrat , ein schöner schlanker Mann , von mäßiger Größe und einem Wesen , welches unserm Helden sehr imponierte . Er hatte seinen Anzug gewechselt , trug kurze Beinkleider und Stulpenstiefel , eine Jockeimütze auf dem Kopf und eine Reitgerte in der Hand , die er unternehmend schwenkte . » Führen Sie Ihr Füllen schon an der Leine ? « sagte der Junker in den Stulpenstiefeln lächelnd zu dem Führer . Herr Jordan stellte sich feierlich auf und präsentierte : » Herr Wohlfart , der neue Lehrling , soeben angekommen . – Herr von Fink , Sohn der großen Firma Fink und Becker in Hamburg . « » Erbe des größten Tranvorrats von der Welt und so weiter « , unterbrach ihn Herr von Fink nachlässig . » Jordan , geben Sie mir zehn Taler , ich will den Reitknecht bezahlen . Schreiben Sie's zu dem übrigen . « Jordan holte bereitwillig ein Kassenbillett aus seiner Brieftasche und überreichte es dem Jockei , der es zusammenknitterte und nachlässig in die Westentasche steckte ; worauf er mit einiger Höflichkeit zu Anton sagte : » Wenn Sie mich besuchen wollen , wie ich aus dem festlichen Gesicht Ihres Merkurs merke , so bedaure ich heut nicht zu Hause zu sein , ich will ein neues Pferd kaufen . Ihren Besuch nehme ich als geschehen an , ich danke Ihnen in aller Feierlichkeit dafür und gebe Ihnen meinen Segen zu Ihrem Eintritt . « Er nickte gleichgültig mit dem Kopf und schritt klirrend die Stufen hinab und über die Steinplatten des Hofes . Antons Behagen erlitt durch das kühle Benehmen des Herrn einen großen Stoß , und er dachte verschüchtert , wenn die andern Herrn vom Geschäft ebenso sind , so wird es mir sehr schwer werden , mit ihnen umzugehn . Auch Herr Jordan fand nötig , das auffallende Benehmen des Jockei zu erklären , und sagte mit vertraulicher Wichtigkeit : » Fink gehört nur halb in unser Geschäft , er ist erst seit kurzer Zeit hier , von seinem Vater aus New York gezogen und hierher versandt worden , um bei uns vernünftig zu werden . « » Ist er denn nicht vernünftig ? « fragte Anton neugierig . » Nur zu wild , liebt den Sport , ist aber sonst ein guter Gesellschafter « , sagte Herr Jordan . » Die andern Herren habe ich zu mir auf die Stube gebeten , um Sie mit allen bekannt zu machen ; wir werden dort eine Tasse Tee trinken . Morgen machen Sie den einzelnen Besuch auf ihren Zimmern . « Die Stube des Herrn Jordan war die größte unter den kleinen Wohnungen des Hinterhauses , in welchem die Herren vom Comtoir einzeln oder zu zweien hausten , und wurde deshalb und wegen der ansprechenden Gemütsart ihres Bewohners zuweilen als Salon benutzt ; sie genoß die Auszeichnung ein Fortepiano und einige Armstühle zu besitzen . An den Fenstern hingen zahlreiche Biskuitbilder , in denen edle Weiblichkeit durch mittelalterliche Kirchengängerinnen , Loreleys und Madonnen vertreten war . In diesem Zimmer saßen und standen die Herrn und erwarteten die Ankunft des Neulings . Anton machte die Massenvorstellung mit Erfolg durch , indem er jedem einzelnen die Hand schüttelte und hinterdrein alle zusammen um ihr Wohlwollen und freundliche Hilfe bat , weil er im Geschäft ganz unerfahren und noch gar nicht in der Welt und wenig unter Menschen gewesen sei . Diese Offenheit verfehlte nicht einen guten Eindruck hervorzubringen . Darauf ging eine friedfertige Unterhaltung an , gewürzt mit kleinen Scherzen und Anspielungen , welche für einen Neuling so unverständlich als möglich waren . Anton verhielt sich schweigend und mühte sich das Wesen der einzelnen Herren zu erkennen . Da war der Buchhalter Herr Liebold , ein ältlicher kleiner Mann mit einer feinen Stimme und einem bescheidenen Lächeln , durch welches er die Welt um Vergebung bat , daß er sich die Freiheit nehme zu existieren . Er sprach wenig , hatte aber die Eigenschaft , im Nachsatz das zurückzunehmen , was er im Vordersatz behauptete ; z.B. : » Ich glaube fast , daß dieser Tee zu schwach ist , aber freilich ist starker Tee sehr ungesund « , und ähnliches . Ferner war da Herr Pix , der tyrannische Führer des schwarzen Pinsels in dem Hausflur , ein entschlossener Mann , welcher geneigt schien , alle menschlichen Verhältnisse wie Detailgeschäfte zu betrachten : vielleicht respektabel , aber kleinlich . Als ein Stuhl im Zimmer fehlte , rückte er verächtlich einen kleinen Tisch in die Nähe des Tees , schwang sich darauf und blieb den ganzen Abend rittlings darauf sitzen . Ferner war da ein Herr Specht , welcher viel sprach und stark in Behauptungen war , die von jedermann bestritten wurden . Er behauptete , China werde durch eine Konstitution regiert , die von der englischen nur wenig verschieden sei , und verfocht mit Leidenschaft die Ansicht , daß Schneckensuppe das Lieblingsgericht des seligen Kaisers Napoleon gewesen sei . Ferner war da ein schmächtiger Herr Baumann mit kurzgeschorenem Haar und sinnigem Wesen , welcher jeden Sonntag in die Kirche ging , allen Missonsvereinen Beiträge zahlte und , wie seine Kollegen ihm auf den Kopf zusagten , die Absicht hatte , später einmal Missionar zu werden . Er schob das noch auf aus einer gewissen kindlichen Gewöhnung an Deutschland und die Firma , zu deren Nutzen er gegenwärtig arbeitete . Anton bemerkte mit Freuden , daß im ganzen ein artiger und rücksichtsvoller Ton unter den Herrn herrschte . Da er ermüdet war , empfahl er sich in kurzem , und weil er niemandem widersprochen hatte und gegen alle zuvorkommend gewesen war , so wurde nach seinem Abgange erklärt , daß er verspreche , ein guter Kollege zu werden . Unterdes schritt Veitel Itzig mit der Gleichgültigkeit eines Herumtreibers und der Sicherheit eines Eingeborenen durch das Gewirr der Menschen und Straßen . Das rötliche Licht der Abendsonne war von den Steinen der Straße an den Häusern hinaufgestiegen , von einem Fenstersims zu dem andern , bis hoch auf die Dächer , und das Dunkel des Abends erfüllte die engen Gassen des alten Stadtteils , welcher am Fluß liegt . In einer solchen Gasse stand ein großes Haus mit breiter Front . Die untern Fenster waren durch Eisenstäbe vergittert , im ersten Stockwerk glänzten die weißen Rahmen , welche große Spiegelscheiben einfaßten , unter dem Dach waren die Fenster blind , schmutzig , hier und da eine Scheibe zerschlagen . Es war kein guter Charakter in dem Hause , wie eine alte Zigeunerin sah es aus , die über ihr bettelhaftes Kostüm ein neues buntes Tuch geworfen hat . In dieses Haus trat Veitel Itzig , indem er einem geputzten Dienstmädchen an der Tür schnalzend einen Kuß zuwarf , den diese wie eine heranfliegende Wespe pantomimisch mit der Hand fortschleuderte . Die unsaubere Treppe führte zu einer weißlackierten Entreetür , auf welcher in großem Messingschild der Name : » Hirsch Ehrenthal « zu lesen war . Veitel faßte den dicken Porzellangriff der Klingel und schellte , ein ältliches Frauenzimmer mit zerknitterter Haube öffnete einen schmalen Spalt und fragte , die Nase hinaussteckend , nach seinem Begehr , dann riß sie die Stubentür auf und rief in das Zimmer : » Es ist einer da , Itzig Veitel heißt er , aus Ostrau , er will den Herrn Hirsch Ehrenthal sprechen . « Aus der Stube scholl die Stimme des Hausherrn : » Warten soll er ! « und das Geklirr von Tellern verriet , daß der Geschäftsmann erst das Familienglück des Abendessens genießen wollte , bevor er dem zukünftigen Millionär Audienz gab . Die aufwartende Person warf mit mißtrauischen Blicken auf den Ankömmling die Tür wieder zu und sperrte ihn aus . Veitel setzte sich auf die Treppe und sah mit starrem Blick auf das Messingschild und die weiße Tür , bewunderte die abgeschrägten Ecken der Messingplatte und versuchte sich vorzustellen , wie der Name Itzig auf einer ebensolchen Platte an einer ähnlichen weißen Tür aussehen würde . Darauf kam er auf gradem Wege zu der Betrachtung , wieviel ihm noch fehle , um so reich zu sein , wie Hirsch Ehrenthal , er fühlte nach einem halben Dutzend Dukaten , welche ihm seine alte Mutter mit einem Lederfleck in das Futter seiner Weste eingenäht hatte , und überlegte , wie viel er alle Tage dazu sparen könnte , vorausgesetzt , daß ihm der reiche Mann Gelegenheit ließe , etwas zu verdienen . Er war tief in Betrachtungen versunken über den Wert von zwei Phantasiestiefeln , welche er sich an den Beinen eines jungen Elegants vorstellte , und welche nach seiner Annahme den dreifachen Wert des Viergroschenstücks haben mußten , das er dem eleganten Herrn dafür bieten wollte ; da wurde die Entreetür mit starker Hand aufgemacht , und Herr Ehrenthal stand vor dem armen Bocher . Das war nicht mehr der Mann von heut nachmittag , die anschmiegende Freundlichkeit war verschwunden , wie der Duft einer Rose am Ende des heißen Tages , er war ganz Majestät , Selbstgefühl , Despotismus ; kein asiatischer Kaiser kann so stolz auf die Kreatur vor seinen Füßen heruntersehen , als er auf das Kind von Ostrau zu blicken verstand . Itzig fühlte das Bedeutende in der Stellung des großen Mannes und seine eigene Nichtswürdigkeit trotz der sechs Dukaten im Ledersäckchen , er schnellte in die Höhe und stand demütig vor seinem Meister . » Hier ist ein Brief von Baruch Goldmann , bei welchem der Herr Ehrenthal mich hat verschrieben für sein Geschäft « , begann Veitel und hielt dem großen Mann einen Brief entgegen . » Ich habe dem Goldmann geschrieben , er soll mir einen Menschen schicken , den ich mir ansehe , ob ich ihn brauchen kann ; abgemacht ist noch nichts « , sprach Ehrenthal vornehm und öffnete das Schreiben . » Ich bin doch gekommen , damit Sie mich ansehen « , entgegnete Veitel . » Und was kommst du so spät , junger Itzig ? Es ist keine Zeit mehr zur Rede vom Geschäft « , schnarrte ihn der Hausherr an . » Ich wollte mich melden bei meinem Herrn Hirsch Ehrenthal zum Dienst noch heut abend , wenn er mir hat zu geben einen Auftrag für morgen früh . « » Davon ist zu reden morgen früh « , antwortete gereizt der Herr , welcher es für vorteilhaft hielt , dem Neuling zu zeigen , wie wenig ihm an seiner Person gelegen sei . Itzig begriff vollkommen das Zweckmäßige dieses Benehmens , und da er sah , daß seine Stellung bei dem abzuschließenden Geschäftsvertrage bis jetzt keine günstige war , suchte er sie dadurch zu verbessern , daß er tiefer auf die Sache einging und entgegenwarf : » Ich kann vielleicht leisten einen Dienst morgen früh , wo Markttag ist , weil ich kenne die meisten Kutscher von den Herrn , welche hereinkommen mit Raps . « » Was Raps ? Was tue ich mit Raps ? Was will er reden vom Geschäft ? « schleuderte ihm Hirsch Ehrenthal noch grimmiger entgegen . Aber unerschüttert fuhr Veitel fort sich herauszustreichen wie ein seidenes Halstuch : » Ich bin auch sonst bekannt in der Stadt , ich kenne die Makler und die kleinen Leut ' und kann dem Herrn helfen bei jedem Geschäft , das er machen will im Haus und außer dem Haus . « Und um seinen Selbstverkauf dem Abschluß näherzubringen , fügte er mit resignierter Miene hinzu : » Ich bin nicht so stolz , daß ich will wohnen in dem Hause bei Herrn Hirsch Ehrenthal ; wenn der Herr Ehrenthal für mich nicht hat eine Stelle in seinem Hause , so will ich mir suchen mein Lager in der Nähe bei einem Wirt . « Herr Ehrenthal wurde durch diese Anspruchslosigkeit so weit gerührt , daß er den Burschen noch einmal von oben bis unten ansah und mit mehr Herablassung fragte : » Sind deine Papiere in Ordnung , daß du mich in keine Unannehmlichkeiten bringst mit der Polizei ? « Veitel beruhigte ihn über diesen wichtigen Punkt ; eine uralte große Brieftasche flog plötzlich auf geheimnisvolle Weise aus den Falten seiner schlottrigen Jacke , aus ihr suchte er seine Legitimation hervor . Herr Ehrenthal faßte das Papier mit einem sehr geschickt angenommenen Widerwillen gegen die gelbliche Farbe desselben und sah es genau durch , Unterschrift , Siegel und alles , indem er es sogar gegen das Licht hielt . Veitel wartete gespannt , ob er das Dokument behalten würde ; wenn er es in der Hand behielt , so war das Geschäft zum Abschluß reif . Als Herr Ehrenthal das Dokument nachlässig in der Hand wiegte , versuchte Itzig mit unterwürfiger Vertraulichkeit zu lächeln . » Wenn ich dich in meinen Dienst nehme « , sprach der Hausherr , » so wirst du machen alles in meinem Hause , was ich dir werde auftragen , oder Madame Ehrenthal , oder mein Sohn Bernhard Ehrenthal ; du wirst putzen die Stiefel am Morgen und die Schuhe meiner Frau , du wirst holen in die Küche , was dir die Köchin sagen wird , in meinem Geschäft wirst du machen alle Gänge , die ich habe zu machen , und wirst ausrichten alle Bestellungen . « » Ich will , Herr Ehrenthal « , sagte Veitel demütig , » ich will alles tun , daß Sie seien zufrieden mit mir . « » Frühstück und Mittagessen wird dir geben die Köchin , am Abend von sieben Uhr kannst du sein dein eigener Herr . « – Veitel nahm mit derselben Bereitwilligkeit auch diese Bedingung an und bemerkte nur : » Kann ich nicht haben am Morgen ein bis zwei Stunden für mich ? « » Nein « , sprach Ehrenthal ungnädig , » ich kann es nicht leiden , wenn einer in meinen Diensten ist und macht Geschäfte für eigene Rechnung . « Da Veitel beschlossen hatte , unter allen Umständen Geschäfte für eigene Rechnung zu machen , und Herr Ehrenthal das ebensogut wußte wie Veitel , so wurde auf diesen zarten Punkt nicht weiter eingegangen . » Dafür sollst du erhalten alle Monat zwei Taler , und wenn ich mit deiner Hilfe ein Geschäft mache , erhältst du deinen Anteil davon . « » Wie groß soll sein dieser Anteil ? « rief Veitel schnell . » Wie groß er soll sein ? « fragte Herr Ehrenthal unwillig , » was ich dir werde geben , wird sein groß genug . « » Groß genug für den Herrn , aber nicht für mich « , antwortete Veitel dreist , denn er fühlte , daß bei diesem Hauptpunkt Entschlossenheit nötig sei . » Das wird sich finden , wenn du wirst abgedient haben deine Probezeit . Vier Wochen dienst du auf Probe , nach der Zeit werde ich mit dir reden über deinen Verdienst . « Das war alles , was Veitel billigerweise verlangen konnte , er hob sein Bündel von den Treppenstufen auf und sagte unterwürfig : » Ich bin's zufrieden , wenn der Herr Ehrenthal mir noch will schenken eine alte Hose und Rock , daß ich ihm keine Schande mache vor den Leuten . « Keinen Rock und keine Hose « , antwortete der Herr entschieden . » Dann gebt mir Hose und Rock in vier Wochen , wenn meine Probezeit zu Ende ist . « Diese Forderung war nach dem Kurs der Trödlerbörse gleich einem Geschenk von drei bis vier Talern , und Ehrenthal fand die Forderung mit Recht hoch , er warf noch einen prüfenden Blick auf den Burschen , auf die Demut seiner Stellung und die ungewöhnliche Frechheit seiner Augen , er schloß , daß der Mensch brauchbar sein werde , und fühlte sich bewogen , Großmut zu zeigen : » So mag es sein « , schloß er , » in vier Wochen . Dein Nachtquartier kannst du nehmen bei Löbel Pinkus an der Ecke , damit ich weiß , wo du bist zu finden . « Dar auf öffnete Herr Ehrenthal die Entreetür und rief hinein : » Frau , Bernhard , Rosalie , kommt heraus . « Zwei Stubentüren und die Küchentür öffneten sich und die Familie des Hausherrn wurde sichtbar , dahinter die zerknitterte Köchin . Madame Ehrenthal war eine volle Frau in schwarzer Seide , mit starken Augenbrauen und rabenschwarzen Hängelocken ; sie machte noch große Ansprüche zu gefallen und gefiel auch . Wenigstens versicherten ihr das mit mehr oder weniger Anstand junge Herren von Adel , welche zuweilen in den Morgenstunden Herrn Ehrenthal besuchten , um mit ihm Geschäfte zu machen ; und obgleich diese Versicherungen um so wärmer zu sein pflegten , je kühler Ehrenthal sich gegen das abzuschließende Geschäft verhielt , so galt doch , die Wahrheit zu sagen , Madame Ehrenthal auch bei solchen Leuten , welche keine Sola-Wechsel zu prolongieren wünschten , für eine sehr stattliche Dame . Ihre Tochter aber war in der Tat eine Schönheit , eine große , edle Gestalt mit glänzenden Augen , dem reinsten Teint und einer nur sehr wenig gebogenen Nase . Wie aber kam der Sohn in diese Familie ? Er war fast klein , mit einem bleichen , faltigen Gesicht und gebückter Haltung ; daß er noch ein Jüngling war , sah man nur an seinem Munde und dem hellen Blick ; auch war er nachlässiger gekleidet , als einem Sohn des Herrn Ehrenthal geziemte , und in dem braunen Haar hingen noch jetzt am Abend einige Federn . Die Familie und Veitel sahen einander stumm an , während Herr Ehrenthal mit Selbstgefühl bemerkte : » Dieses ist der Veitel Itzig , ich habe ihn genommen in unsern Dienst . « Der vornehme Stolz der Mutter , der mißfällige Blick der Tochter und das zerstreute Auge des Sohnes wurden von dem armen Bocher ebenso gewandt aufgefangen , wie die bunten Strahlen eines Prismas von einem beobachtenden Naturforscher ; er beschloß auf der Stelle gegen die Mutter sehr , sehr unterwürfig zu sein , sich in die Tochter zu verlieben und Bernhards Stiefel schlecht zu putzen und in den Rocktaschen desselben beim Ausbürsten nachzusehen , ob nicht ein Geldstück durch Nachlässigkeit des Besitzers in den Falten sitzen geblieben . Nach dieser Vorstellung erklärte Herr Ehrenthal , Veitel könne gehen und solle am nächsten Morgen um sechs Uhr im Hause sein . Die Entreetüre schloß sich hinter dem Burschen , auch er stand auf der Treppe , ins Geschäft aufgenommen , ein angehender Kaufmann . Er lächelte vergnügt , als er die Treppe hinunterging , offenbar war er mit seinem Handel zufrieden . Hatte er sich doch gemessen mit dem großen Herrn im Geschäft und hatte einen Vorteil davongetragen . Denn da er sich auf jede Bedingung auch ohne Garderobenzulage engagiert haben würde , so betrachtete er den alten Rock und Hosen zahlbar in vier Wochen mit Recht als eine angenehme Übervorteilung seines neuen Prinzipals . Die Überlegung : » Es wird nur ein Sommerrock sein « , flog wie ein düsterer Schatten über seine Seele ; » aber die Hose wird sein von seinem Bernhard , welcher trägt Tuchhosen auch heut am heißen Sommertag . « So trug er beruhigt sein Bündel um die Ecke zu Löbel Pinkus . Löbel Pinkus war Hausbesitzer und hielt zu ebener Erde einen kleinen Branntweinladen , welcher zahlreiche Kunden hatte . Doch war ersichtlich , daß weder die starke , wie fettig glänzende Figur des ehrsamen Pinkus selbst , noch die dicke Halskette seiner Frau ihre solide Pracht aus dem Branntweingeschäft allein herleiteten , und die Nachbarn zerbrachen sich manchmal den Kopf darüber , wie Frau Pinkus es durchsetzen könne , immer die teuersten Gänse zu braten , ja zuweilen sogar Truthühner . Indes da ihr Gemahl ein resoluter Charakter war , in allen seinen Reden grob und entschieden , da er Branntwein verkaufte , was immer für ein Zeichen volkstümlicher Gesinnung gelten wird , und da er außerdem Geld gegen ungewöhnliche Prozente auszuleihen wußte , so war er unter den kleinen Handwerkern in der Nachbarschaft doch sehr respektiert und gefürchtet . Seine Reputation war gut . Die Straßenpolizei trank im Vorbeigehen gern in seinem Laden einen Likör , für den er das Geld zu nehmen stets verweigerte , er zahlte seine Abgaben pünktlich und galt für einen Freund , ja Vertrauten der exekutiven Macht . In Wahrheit aber war Herr Pinkus eine von den glücklichen Naturen , welche Honig aus allen Blumen zu saugen wissen , auch aus übelriechenden . Er hielt in dem ersten Stock seines Hauses eine stille Herberge für Männer mit und ohne Bart , welche einen Haß gegen alles , was von dem Geschlecht der Schweine stammt , nicht überwinden konnten . Diese Männer von uralter Familie schätzten zuweilen ein billiges und verborgenes Nachtlager , bei welchem der Wirt keine hohen Rechnungen machte und keinen Paß abforderte ; sie kamen in der Regel am späten Abend in die Herberge und schlichen am frühen Morgen wieder hinaus in die Gassen der Stadt , oder auf die Landstraße , bescheidene Trödler und Schacherer , welche ihren Gewinn nach Groschen und Pfennigen berechneten . Außer diesen regelmäßigen Gästen erschienen zuweilen noch andere , unregelmäßig wie Kometen , von jedem Alter , Geschlecht und Glauben , sie verhandelten in größter Stille mit dem Hausherrn und konnten es durchaus nicht vertragen , wenn man bei Nacht in der Nähe ihres Gesichtes ein Schwefelholz anzündete . Alte Gastfreunde des Pinkus hatten über solche Eigentümlichkeit allerdings ihre Ansichten , aber sie fanden es nicht geraten , darum viele Worte zu verlieren . In diesem Haus tappte Itzig im Finstern eine Treppe hinauf und unsaubere Wände entlang , stieß an eine schwere eichene Tür mit großem Schloß und trat , als er diese durch einen starken Druck geöffnet hatte , in einen wüsten Raum , der fast die ganze Länge des Hauses einnahm . In der Mitte stand ein alter Tisch mit einer schlechten Öllampe , einige Schemel darum ; gegenüber der Türseite war ein großer Wandverschlag mit vielen kleinen Türen , welche zum Teil offenstanden und verrieten , daß der ganze Verschlag aus schmalen , voneinander getrennten Abteilungen mit hölzernen Kleiderhaken und Fächern bestand . Vor den kleinen Fenstern , welche auf die Straße führten , waren verblichene Rouleaus heruntergelassen , auf der gegenüberliegenden Langseite fiel durch eine offene Tür das Abendlicht in das Zimmer , diese Tür führte auf eine hölzerne Galerie , welche längs der Gaststube an der Außenseite des Hauses fortlief . Itzig warf sein Bündel in einen Wandschrank und trat auf die Galerie hinaus . Da er auch hier keinen zweiten Gast vorfand , fing er an von der Galerie die Aussicht zu bewundern mit demselben Grad von Interesse , welchen ein niederländischer Architekturmaler gehabt haben würde , nur nicht ganz in derselben Absicht . Unten am Fuß des Hauses wälzte ein Fluß sein lehmiges Wasser eilig vorwärts und bildete eine schmale Wasserstraße , welche auf beiden Seiten mit verfallenen hölzernen Häusern eingefaßt war . Fast an jedem Hause , an jedem Stockwerk waren ähnliche hölzerne Galerien herausgebaut und durch gebräunte Balken gestützt . Manchmal liefen drei , vier übereinander , dann war der Fußboden der obern das Regendach der untern . In alter Zeit hatte die achtbare Zunft der Gerber diese Straße bewohnt , damals war das Holzwerk glatt und neu gewesen , und helle Lämmer- oder Ziegenfelle hatten an den Geländern gehangen , bis sie weich und geschmeidig geworden waren , um Handschuhe für die Patrizier und Ledertaschen für ihre Frauen zu geben . Jetzt waren die Gerber nach entfernteren Stadtteilen hinabgezogen , und statt der Tierfelle hing die Wäsche armer Leute an den hölzernen Balkonen , über dem zerbrochenen Schnitzwerk und den wurmstichigen Balkenköpfen . Noch stach die weiße , rote und blaue Farbe der Wäsche im Abendlichte seltsam ab von dem schwarzen Holzwerk , und das Licht brach sich auf wunderliche Weise an den Säulen und Vorsprüngen der Galerie , an rohen Arabesken der Einfassung und an den schwarzen Pfählen , welche hier und da aus dem gelben Wasser hervorragten . Es war ein unheimlicher Aufenthalt für jedes Geschöpf , außer für Maler , Katzen oder arme Teufel . Junker Itzig war schon früher ein und das andere Mal in dem Hause gewesen , aber immer in größerer Gesellschaft . Heut bemerkte er , daß eine lange bedeckte Treppe vom Ende seiner Galerie bis hinunter an das Wasser führte ; er sah , daß neben dieser bedeckten Treppe eine ähnliche am Nachbarhause hinablief , und schloß daraus , daß es möglich sein müsse , die eine Treppe hinunter- und die andere hinaufzusteigen , ohne sich mehr als die Schuhe naß zu machen ; er entdeckte ferner , daß es bei dem niedrigen Wasserstand des Sommers möglich war , längs der Häuserreihe am Wasser weithin fort zu gehen , und er überlegte , ob es Menschen geben könnte , welche bei Tag oder Nacht einen solchen Spaziergang für nützlich hielten . Nachtwächter und Polizeidiener wenigstens waren dort nicht zu befürchten . Durch diese Betrachtungen wurde seine Phantasie so aufgeregt , daß er in das Gastzimmer zurück lief , in die Wandschränke kroch , welche offenstanden , und die Holzwände derselben durch Klopfen und Schütteln untersuchte . Mit Erstaunen entdeckte er , daß auch die Rückwand von Holz war und hohl klang . Da an dieser Seite die Mauer laufen mußte , welche dies Haus vom Nachbargebäude trennte , so fand er den hohlen Ton auffällig und nicht in der Ordnung und war eben im Begriff , einen verschlossenen Wandschrank anzugreifen und zu sehen , ob nicht ein Ritz in dem Holz der Rückwand weiteren Aufschluß gebe , als ein dumpfes Knurren seine Hand von der Schranktür zurückhielt . Er sah sich um und erkannte – ohne große Beschämung – daß er nicht mehr allein war . In der entgegengesetzten finstern Ecke des Zimmers lag in seinen Kaftan gewickelt , ein schwarzes Käppchen im Haar , ein galizischer Handelsmann zusammengekauert auf einem Strohsack . Er hatte seine Sachen in dem angegriffenen Wandschrank verschlossen und hielt für nötig , gegen die Untersuchungen des Wißbegierigen zu protestieren . Itzig versuchte ein Gespräch mit dem Alten anzuknüpfen , da dieser aber mehr Lust zum Schlafen als zur Unterhaltung zeigte , setzte sich Itzig in die gegenüberliegende Ecke auf einen anderen Strohsack und saß dort mit seinem rastlosen Geiste rechnend und Geschäfte ausdenkend , wobei er zuweilen in lebhaftem Sinnen mit Händen und Beinen schlenkerte , bis die Dunkelheit der Nacht durch die Tür eindrang , und die kleine Öllampe zu knistern anfing und Miene machte auszugehen . Noch kam einmal Pinkus der Wirt selbst herauf , ein Licht in der Hand ; er untersuchte den Bestand seiner Gäste , setzte einen Krug Wasser auf den Tisch und schloß beim Herausgehen die Tür von außen ab . Im Finstern holte Itzig ein Stück trockenes Brot aus der Tasche und schlief endlich unter dem Schnarchen seines Stubengenossen ein , den Strohsack unter sich , zugedeckt mit seiner alten Jacke . Zu derselben Stunde wickelte sich sein Reisegefährte im Patrizierhause in die gesteppte Decke seines Lagers , sah noch einmal mit müden Augen in der Stube umher und bemerkte schlaftrunken , daß die gelbe Katze auf dem Schreibtisch ihre Beinchen bewegte , sich mit der Pfote zu strählen anfing und ihm zuletzt sogar mit beiden Pfoten Kußhändchen zuwarf . Bevor er Zeit hatte , über diese ungewöhnliche Freundlichkeit des Gipses nachzudenken , war er eingeschlafen . Vor beiden Jünglingen senkte sich das Gewebe von grauem Flor herab , auf welchem die Traumgöttin ihre bunten Bilder zu zeigen pflegt . Anton sah sich selbst auf einem großen Warenballen sitzend durch die Luft fliegen , während eine gewisse junge Dame die Arme nach ihm ausstreckte ; und Veitel Itzig entdeckte mit Behagen , daß er ein Baron geworden war , welcher von Hirsch Ehrenthal um ein Almosen angeredet wurde . Er sah , wie er dem alten Ehrenthal seine sechs Dukaten als Geschenk gab und wie dieser sich kläglich bedankte . Über diese Großmut erschrak er im Traume so , daß er mit Händen und Beinen um sich schlug . Am nächsten Morgen begann jeder der beiden Jünglinge seine Tätigkeit . Anton saß auf seinem Platz im Comtoir und kopierte Briefe ; und Veitel stand , nachdem er sämtliche Stiefel und Schuhe der Familie Ehrenthal gebürstet und die Kleidertaschen Bernhards durchsucht hatte , als Aufpasser vor dem größten Hotel der Stadt , um einen fremden Herrn vom Lande zu beobachten , welcher mit Herrn Ehrenthal unzufrieden geworden war und im Verdacht stand , sich andere Geschäftsfreunde auf sein Zimmer bestellt zu haben . Anton bekam durch das Kopieren der Briefe Einsicht in Stil und Sprache seines Geschäfts , und Veitel hatte während seines Lauerns vor dem Gasthof das Glück , die Adresse eines vorübergehenden Studenten zu erhalten , welcher es für zeitgemäß hielt , seine silberne Uhr zu verkaufen . In seinen ersten Mußestunden zeichnete Anton das Schloß , die Kletterpflanzen , den Balkon und die Türmchen aus dem Gedächtnis auf das beste Papier , das ihm die große Stadt liefern konnte . Er ließ das Bild in einen Goldrahmen fassen und hing es über seinem Sofa auf . 5 Anton hatte in den ersten Wochen Mühe , sich in der neuen Welt zurechtzufinden , in die er versetzt war . Das Gebäude , der Haushalt , das Geschäft waren so altertümlich , solid und großartig , daß sie auch einem Weltbürger von mehr Erfahrung imponieren mußten . Das Geschäft war ein Warengeschäft , wie sie jetzt immer seltener werden , jetzt , wo Eisenbahnen und Telegrafen See und Inland verbinden , wo jeder Kaufmann aus den Seestädten durch seine Agenten die Waren tief im Lande verkaufen läßt , fast bevor sie im Hafen angelangt sind , so selten , daß unsere Nachkommen diese Art des Handels kaum weniger fremdartig finden werden , wie wir den Marktverkehr zu Tombuktu oder in einem Kaffernkral . Und doch hatte dies alte , weit bekannte Binnengeschäft ein stolzes , ja fürstliches Ansehen und , was mehr wert ist , es war ganz gemacht , feste Gesinnung und ein sicheres Selbstgefühl bei seinen Teilhabern zu schaffen . Denn damals war die See weit entfernt , die Konjunkturen waren seltener und größer , so mußte auch der Blick des Kaufmanns weiter , seine Spekulation selbständiger sein . Die Bedeutung einer Handlung beruhte damals auf den Massen der Waren , welche sie mit eigenem Gelde gekauft hatte und auf eigene Gefahr vorrätig hielt . Auf den Packhöfen am Flusse lag in langen Speichern ein großer Teil der fremden Waren aufgestapelt , ein kleinerer Teil in den Kellern und Gewölben des alten Hauses selbst , viele Vorräte in Speichern und Remisen der Nachbarschaft . Ein großer Teil der Kaufleute in der Provinz versorgte sich aus den Magazinen der Handlung mit Kolonialwaren und den tausend guten Erzeugnissen der Fremde , welche uns ein tägliches Bedürfnis geworden sind . Aber auch über die Grenzen des Landes hinaus , nach dem Süden und Osten , bis an die türkische Grenze , saßen die Agenten des Hauses , und dieser Teil des Geschäftes , vielleicht weniger regelmäßig und sicher , galt zur Zeit für die gewinnreichste Tätigkeit der Handlung . So bot der Verkehr des Tages dem neuen Lehrling eine Menge der verschiedensten Eindrücke , Menschen und Verhältnisse aller Art. Außer den Agenten der Seeplätze , welche fast täglich Warenproben brachten , und außer den Sensalen der Börse , welche die Geldgeschäfte des Hauses vermittelten , Wechsel anboten und verkauften , zog durch das vordere Comtoir vom Morgen bis zum Abend eine bunte Prozession von allerlei Volk . Da kamen Materialhändler aus der Provinz , altväterische Männer mit jeder Art von Mützen und jedem Grade von Bildung und Zuverlässigkeit ; sie kauften , drückten die Hände , und verlangten als spezielle Freunde des Geschäftes behandelt zu wer den ; ferner Gutsbesitzer jedes Standes aus der Landschaft , welche die angebauten Handelsgewächse , Färbekräuter , Gewürze usw. anboten ; dann polnische Juden , schwarzlockige Gesellen im langen seidenen Kaftan , die zuweilen einkauften , gewöhnlich aber die Produkte ihrer Länder , Wolle , Hanf , Potasche , Talg verkaufen wollten . Mit ihnen war der Verkehr am wenigsten geschäftsmäßig , ihr Kommen erregte jedesmal unter den jüngeren Leuten des Comtoirs stille Heiterkeit . Dazwischen kamen Bettler , Hilfesuchende aller Art , Geschäftsfreunde des Hauses , Fuhrleute , welche ihre Frachtbriefe forderten , Auflader und Hausknechte , welche Aufträge erhielten oder die Aufträge anderer Geschäfte ausrichteten . Anton fand es sehr schwer , bei diesem ewigen Türöffnen und Durcheinandersprechen seine Gedanken zusammenzuhalten und die einfache Arbeit , welche ihm aufgetragen war , zu vollenden . Eben war Herr Braun eingetreten , der Agent eines befreundeten Hauses in Hamburg , und hatte aus seiner Tasche eine Anzahl Kaffeeproben hervorgeholt . Während diese vom Prinzipal besichtigt wurden , gestikulierte der kleine behende Agent mit seinem goldenen Stockknopf in der Nähe von Antons Augen umher und berichtete von einem Seesturme und dem Schaden , den er angerichtet haben sollte . Da knarrte die Tür , und eine ärmlich gekleidete Frau trat herein . Herr Specht erhob sich und fragte : » Was wollen Sie ? « Man hörte klägliche Töne , welche mit dem Gepiep eines kranken Huhns Ähnlichkeit hatten , der Kaufmann griff schnell in die Tasche , und das Piepen verwandelte sich in ein behagliches Glucksen . » Haushohe Wellen « , ruft der Agent . – » Gott vergelt es tausendmal « , gluckst die Frau . – » Macht 550 Mark , zehn Schilling « , sagt Herr Baumann zum Prinzipal . Jetzt wird die Tür heftig aufgerissen , ein starker Mann , mit einem Geldsacke unterm Arm , tritt ein , er setzt den Geldsack triumphierend auf den Marmortisch und ruft mit dem Ausdruck eines Mannes , der eine gute Tat vollbringt : » Hier bin ich , und hier ist Geld ! « Sogleich erhebt sich Herr Jordan und sagt vertraulich : » Guten Morgen , Herr Stephan , wie geht 's in Wolfsburg ? « – » Ein furchtbares Loch « , klagt Herr Braun . – » Wo ? « fragt Fink . – » Es ist keine schlechte Stadt , aber wenig Nahrung « , sagt Herr Stephan . – » Natürlich im Rumpfe des Schiffes « , antwortet Herr Braun . – » Fünfundsiebzig Sack Kuba « , bemerkt der Prinzipal als Antwort auf die Frage eines Kommis . Während nun Herr Stephan die Neuigkeiten seiner Stadt erzählt , darunter die traurige Geschichte eines Lehrjungen , der sich mit Hilfe einer Schlüsselbüchse erschossen hat , und während Jordan diese notwendige Einleitung zu dem bevorstehenden Einkauf geduldig durchmacht , öffnet sich wieder die Tür , ein Bedienter tritt ein und ein Jude aus Brody . Der Diener bringt dem Kaufmann die Einladung zu einem Diner , und der Jude schleicht an die Ecke , wo Fink sitzt . » Wozu kommt Ihr wieder , Schmeie Tinkeles ? « frägt Fink kalt , » ich habe Euch schon gesagt , daß wir kein Geschäft mit Euch machen wollen . « » Kein Geschäft ? « ruft der unglückliche Tinkeles krächzend in abscheulichem Deutsch , so daß Anton ihn nur mit Mühe versteht . » Solche Wolle , wie ich bringe , ist noch nicht gewesen im Lande . « » Wie hoch der Zentner ? « fragt Fink schreibend , ohne den Juden anzusehen . » Was ich doch habe gesagt « , antwortet der Jude . » Ihr seid ein Narr « , sagt Fink , » fort mit Euch . « » Kein Lotse kann ihm helfen « , sagt Herr Braun . » Meine Empfehlung an Herrn Kommerzienrat « , sagt der Kaufmann . » Mit einem Schwefelhölzchen hat er den Schlüssel angezündet « , ruft Herr Stephan zum Himmel blickend . » Wai ! « schreit der Mann im Kaftan . » Was ist das : Fort mit Euch ? Mit Fort kann man machen keine Geschäfte . « » Was wollt Ihr also haben für Eure Wolle ? « » 41 2/3 « , sagt Tinkeles . » Hinaus ! « bemerkt Fink . – » Sagen Sie doch nicht immer hinaus ! « bittet der Jude in Verzweiflung . » Sagen Sie , was wollen Sie geben ? « Wenn Ihr so unverschämt fordert , gar nichts « , sagt Fink , eine neue Seite seines Briefes beginnend . » Sagen Sie doch nur , was wollen Sie geben ? « bittet der Jude wieder . » Nur wenn Ihr wie ein anständiger Mensch redet « , antwortet Fink den Juden ansehend . » Ich bin anständig « , sagt der Jude leise , » was wollen Sie geben ? « – » 39 « , sagt Fink . Jetzt gerät Schmeie Tinkeles außer sich , schüttelt seine schwarzen Locken und verschwört sich bei seiner Seele Seligkeit mit lautem Geschrei , er könne nicht unter 41 ; worauf Fink ihn bedeutet , er werde ihn von einem Hausknecht hinausführen lassen , wenn er solchen Lärm mache . Darauf geht der Jude entrüstet vor die Tür , steckt den Kopf wieder herein und ruft : » Also was wollen Sie geben ? « » 39 « , sagt Fink und sieht der aufgeregten Mimik des Händlers ungefähr mit demselben Interesse zu , mit dem ein Physiker die galvanischen Zuckungen eines Frosches betrachtet . Die Zahl 39 bewirkt in der Seele des Juden eine neue Explosion , er tritt wieder vor , verschwört seine Seele in den tiefsten Abgrund der Hölle und erklärt sich selbst für das nichtswürdigste Scheusal der Welt , wenn er für weniger als 41 ablassen könne . Als er sich auf wiederholte Ermahnungen Finks , ruhig zu werden , dazu nicht entschließen kann , wird der Hausknecht gerufen . Das Erscheinen desselben wirkt so weit beruhigend , daß Herr Tinkeles erklärt , er könne allein gehen und werde allein gehen , worauf er stillsteht und 40 1/2 sagt . Der Agent , der Provinziale und das Comtoir sind still und hören der Verhandlung neugierig zu , während Fink dem armen Schmeie mit einer gewissen Herzlichkeit den Vorschlag macht , er solle sich ohne weiteres entfernen , er sei völlig Narr und mit ihm kein Geschäft zu machen . Darauf wendet sich der Jude trotzig ab und geht hinaus . Und wieder fährt Herr Braun fort : » Dieser Sturm war ein seltenes Unglück , der Kaffee muß steigen « ; und Herr Stephan beweist , daß die Selbstmorde und andere Untaten seit Erfindung der Schwefelhölzer zugenommen haben ; und Fink sagt zum Prinzipal , der einen unterdes erhaltenen Brief durchliest : » Er wird's lassen , wenn ich ihm noch einen halben Taler zulege . Wollen Sie mit 39 1/2 abmachen ? « Wieviel ? « fragt der Kaufmann . » 120 Zentner « , sagt Fink . » Nehmen Sie « , sagt der Kaufmann und liest weiter . Von neuem wird die Tür aufgerissen , das Geschwirr geht fort , und Anton müht sich vergebens zu verstehen , wie man die Wolle kaufen könne , nachdem der Verkäufer in so entschiedener Weise gegangen ist . Da öffnet sich , grade als wieder drei bis vier Stimmen durcheinander sprechen , ganz leise die Tür , Tinkeles schleicht auf Zehen herein bis hinter Finks Platz und sagt , diesem die Hand auf die Schulter legend , wehmütig und vertraulich : » Was wollen Sie noch geben ? « Fink wendet sich um und sagt ebenfalls mit vertraulichem Lächeln : » Weil Ihr es seid , Tinkeles , 39 1/3 , aber nur unter der Bedingung , daß Ihr kein Wort weiter sprecht , sonst nehm ich das Gebot zurück . « » Ich spreche nichts « , antwortet der Jude , » sagen Sie 40 . « Fink macht eine Bewegung der Entrüstung und weist schweigend nach der Tür . Der Händler geht und dreht an der Tür um . Jetzt kommt's , sagt Fink . Darauf kehrt der Händler zurück und spricht mit mehr Haltung : » 39 1/2 , wenn Sie es dafür wollen nehmen . « Nach einigem Zögern bemerkt Fink wie gelegentlich : » Es mag sein . « Worauf Schmeie Tinkeles ganz umgewandelt ist , sich als liebenswürdiger Freund der Handlung erweist und angelegentlich nach dem Befinden des Prinzipals erkundigt . Und wieder knarrte nach diesem Intermezzo die Tür , neue Käufer und Verkäufer kamen , die Menschen sprachen und die Federn knisterten , das Geld rollte unaufhörlich . Auch der Haushalt , dem Anton jetzt angehörte , erschien ihm sehr fremdartig und mächtig . Das Haus selbst war ein altes unregelmäßiges Gebäude mit Seitenflügeln , kleinen Höfen und Hinterhäusern , voll von Mauern und kleinen Treppen , von geheimnisvollen Durchgängen , wo kein Mensch welche vermutete , von Korridoren , Nischen , tiefen Wandschränken und Glasverschlägen . Es war ein durchaus künstlicher Bau , an dem Jahrhunderte gearbeitet hatten , um ihn für späte Enkel so schwierig und unverständlich als irgend möglich zu machen . Und doch sah er im ganzen betrachtet ansehnlich und behaglich aus und umfaßte mit seinen Mauern eine ganze Welt von Menschen und Interessen . Der ganze Raum unter dem Gebäude und unter seinen Höfen war zu Kellern gewölbt und bis an die Gewölbgurte gefüllt mit Waren ; das ganze Parterre gehörte der Handlung und enthielt außer den Comtoirzimmern fast nichts als Warenräume . Darüber lagen im Vorderhaus die Säle und Zimmer , in denen der Kaufherr selbst wohnte . Herr Schröter war nur kurze Zeit verheiratet gewesen , in einem Jahr hatte er Frau und Kind verloren , seit dem Tode seiner Eltern war eine Schwester alles , was er von Familie besaß . Streng hielt der Kaufmann auf den alten Brauch seiner Handlung . Alle Herrn des Comtoirs , welche nicht verheiratet waren , wohnten in seinem Hause , gehörten seinem Haushalt an und aßen alle Mittage Punkt ein Uhr an dem Tische des Prinzipals . Am Morgen nach Antons Eintritt hatte Herr Schröter nur wenige Worte mit ihm gewechselt und ihn darauf Herrn Jordan und dem Provinzialgeschäft übergeben . Jetzt , einige Minuten vor der Mittagstunde , war Anton in die Zimmer des ersten Stockes bestellt , um der Dame des Hauses vorgestellt zu werden . Erwartungsvoll stieg er die Teppichstufen der breiten Treppe hinauf , der Bediente öffnete und führte ihn durch eine Reihe von Gemächern in das Empfangszimmer . Anton sah auf seinem Wege mit Erstaunen den ruhigen und soliden Glanz der Einrichtung , die großen Wandspiegel , schwere Stoffe , Gemälde , Blumentische , zahlreiche Vasen und Fruchtschalen von Stein und gemaltem Porzellan . Der Diener schlug eine Portiere zurück , und Anton machte auf dem glatten Parkettboden eine tiefe Verbeugung , als der Prinzipal ihn einer jungen Dame vorstellte und dazusetzte : » Meine Schwester Sabine . « Fräulein Sabine zeigte über dem eleganten Sommerkleide ein feines bleiches Gesicht , von rabenschwarzem Haar eingefaßt . Sie war vielleicht nicht älter als Anton , aber sie hatte die Würde und Haltung einer Hausfrau . Sie nötigte Platz zu nehmen und fragte ihn teilnehmend , wie er sich eingerichtet habe und ob er noch irgend etwas vermisse . » Meine Schwester regiert uns alle « , sagte der Kaufmann mit einem freundlichen Blick auf die Dame , » machen Sie hier Ihre Bekenntnisse , wenn Sie irgend einen wirtschaftlichen Wunsch haben ; sie ist die gute Fee , welche den Haushalt in Ordnung hält . « Anton sah zu der Fee auf und antwortete schüchtern : » Ich habe bis jetzt alles weit glänzender gefunden , als ich von Hause aus gewöhnt bin . « » Ihr Leben wird Ihnen bei alledem mit der Zeit einförmig erscheinen « , fuhr der Kaufmann fort , » es ist eine strenge Regelmäßigkeit in unserm Hause , Sie haben viel Arbeit und wenig Zerstreuung zu erwarten ; meine Zeit ist sehr in Anspruch genommen , auch nach dem Schluß des Comtoirs . Wenn Sie aber in irgendeiner Angelegenheit Rat oder Hilfe wünschen , so bitte ich , sich vor allen an mich zu wenden . « Nach dieser kurzen Audienz erhob er sich und führte Anton nach dem Speisezimmer . Auf dem Wege setzte er ihm die Stellung eines Lehrlings im Geschäft auseinander . Anton fand seine Kollegen bereits aufgestellt und in bescheidener Toilette das Mahl erwartend ; Sabine trat ein und mit ihr eine ältliche Dame , eine entfernte Verwandte der Familie , welche dem Fräulein in der Wirtschaft half und sehr gutmütig aussah . Die Herrn vom Comtoir machten den Damen ihre Verbeugung , und Anton erhielt seinen Platz am Ende einer langen Tafel , zwischen den jüngsten seiner Kollegen . Ihm grade gegenüber saß Sabine , neben dieser ihr Bruder , auf der andern Seite die Verwandte , neben dieser Herr von Fink und dahinter alles übrige genau nach Rang und Alter im Geschäft . Es war im ganzen ein stilles Diner , welches eingenommen wurde , Antons Nachbarn sprachen nur wenig und mit gedämpfter Stimme , das Gespräch wurde fast ausschließlich von dem Prinzipal geleitet . Nur der Jockei von gestern benahm sich mit größter Unbefangenheit , erzählte kleine lächerliche Geschichten , wußte andere Leute vortrefflich in Stimme und Haltung nachzuahmen und bewies seiner Nachbarin , der gutmütigen Tante , eine fast übertriebene Aufmerksamkeit . Kurz Anton , dessen Herz bereits voller Pietät und Ehrfurcht war , sah mit einer Art von frommem Entsetzen , daß Fink den ganzen Tisch so behandelte , als wäre die Tafel nur seinetwegen gedeckt und als hätte der Kaufherr nur deshalb ein Geschäft , damit Fink , sein Volontär , leichtsinnige Scherze machen und alle Anwesenden dreist anreden könnte . Dabei glaubte er wahrzunehmen , daß der Kaufherr selbst den jungen Herrn mit Kälte behandelte , und ferner , daß Fink sich sehr wenig um dies zurückhaltende Wesen des Hausherrn kümmerte . Der Diener im schwarzen Frack servierte mit größter Akkuratesse , und als sich die Herrn vom Geschäft mit einer Verbeugung erhoben und ihre Stühle wegrückten , nahm Anton aus dem Speisesaal die Überzeugung mit hinaus , daß er noch nie so vornehm und feierlich sein Mittagsbrot verzehrt habe . Mit allen werde ich zurechtkommen , nur mit diesem Herrn Fink nicht , sagte sich Anton den Tag über , er ist zu dreist und zu stolz . Auch sitzen blieb er , als alle von unserem Geschäft aufstanden . Er paßt nicht hierher , entschied der neue Ankömmling mit einer Weisheit , in welcher mehr Instinkt als Erfahrung war . Seit der Zeit sah Anton mit einiger Scheu auf Herrn von Fink , er mußte aber oft nach ihm hinsehen und sich viel um ihn kümmern , denn das Wesen des Gentlemans imponierte ihm doch sehr ; der edel geformte Kopf , ein schmales Gesicht mit feinen Zügen , die sichere Haltung und die kurze Entschlossenheit in Bewegungen und Worten . Anton getraute sich kaum ihn anzureden , und Fink gab ihm keine Veranlassung dazu , denn er schien von der Anwesenheit des neuen Lehrlings nichts mehr zu wissen . Nur einmal , als Anton zufällig vor Fink die Treppe des Hinterhauses hinaufging , redete ihn dieser an : » Nun Master Wohlfart , wie gefällt es Ihnen in diesem Hause ? « Anton blieb stehen und sagte , wie sich für einen guten Jungen schickt : » Ausgezeichnet ! Ich sehe und höre so viel Neues , daß ich noch gar nicht zu mir selbst kommen kann . « » Sie werden das alles gewohnt werden « , lachte Fink , » wie an einem Tage geht es das ganze Jahr ohne eine Veränderung fort . Am Sonntage ein Gericht mehr und ein Glas Wein vor jedem Couvert , und Sie werden guttun , dazu Ihren Leibrock anzuziehen . Sie sind jetzt als Rad eingefügt in die Maschine , und es wird von Ihnen erwartet , daß Sie das ganze Jahr regelmäßig abschnurren . « » Ich weiß , daß ich fleißig arbeiten muß , um das Vertrauen Herrn Schröters zu erwerben « , antwortete der kleine Philister gereizt durch die rebellische Gesinnung des Volontärs . » Eine tugendhafte Bemerkung « , spottete dieser ; » in wenigen Wochen werden Sie sehen , mein armer Junge , welch ein himmelweiter Unterschied ist zwischen dem Herrn des Geschäfts und den Leuten , welche seine Briefe schreiben und seine Kunden abfertigen . Kein Fürst auf Erden lebt so stolz und einsam unter seinen Vasallen , als dieser Kaffeebeherrscher in seinem Reiche . Lassen Sie sich übrigens durch meine Reden nicht stören « , fügte er mit etwas mehr Gutmütigkeit zu , » das ganze Haus wird Ihnen sagen , daß ich unzurechnungsfähig bin . Da Sie mir aber aussehen , wie ein hoffnungsvoller Comtorist , so will ich Ihnen noch einen ehrlichen Rat geben . Kaufen Sie sich einen englischen Sprachlehrer und machen Sie , daß Sie fortkommen , bevor Sie hier einrosten . Alles , was Sie hier lernen , wird Sie noch nicht zu einem tüchtigen Mann machen , wenn Sie anders das Zeug haben , überhaupt einer zu werden . Guten Abend ! « Mit diesen Worten drehte Fink unserm Anton den Rücken und ließ diesen , wieder ärgerlich über den hohen Ton , den der Jockei angenommen hatte , zurück . Wohl empfand unser Held nach einiger Zeit mitten in dem Rauschen des Geschäftslebens die ewige Gleichförmigkeit der Stunden und Tage ; wohl ermüdete ihn das zuweilen , aber es machte ihn nicht unglücklich , denn durch seine Eltern war er an Ordnung und regelmäßigen Fleiß gewöhnt , und diese beiden Tugenden halfen ihm über manche langweilige Stunde hinweg . Herr Jordan gab sich redlich Mühe , den Lehrling in die Geheimnisse der Warenkunde einzuweihen , und die Stunde , in welcher Anton zuerst in das Magazin des Hauses trat und hundert verschiedene Stoffe und merkwürdige Bildungen persönlich mit allen Kunstausdrücken kennenlernte , wurde für seinen empfänglichen Sinn die Quelle einer eigentümlichen Poesie , die wenigstens ebensoviel wert war , als manche andere poetische Empfindung , welche auf dem märchenhaften Reiz beruht , den das Seltsame und Fremde in der Seele des Menschen hervorbringt . Es war ein großes dämmriges Gewölbe im Parterre des Hauses , durch Fenster mit Eisenstäben notdürftig erhellt , in welchem die Warenproben und kleinen Vorräte für den täglichen Verkehr lagen . Tonnen , Kisten und Ballen standen auch hier massenhaft durcheinander , und nur schmale gewundene Pfade führten dazwischen durch . Fast alle Länder der Erde , alle Rassen des Menschengeschlechts hatten gearbeitet und eingesammelt , um Nützliches und Wertvolles vor den Augen unseres Helden zusammenzutürmen . Der schwimmende Palast der Ostindischen Kompagnie , die fliegende amerikanische Brigg , die altertümliche Arche der Niederländer hatten die Erde umkreist , starkrippige Walfischfänger hatten ihre Nasen an den Eisbergen des Süd- und Nordpols gerieben , schwarze Dampfschiffe , bunte chinesische Dschunken , leichte malaiische Kähne mit einem Bambus als Mast , alle hatten ihre Flügel gerührt und mit Sturm und Wellen gekämpft , um dies Gewölbe zu füllen . Diese Bastmatten hatte eine Hindufrau geflochten , jene Kiste war von einem fleißigen Chinesen mit rot und schwarzen Hieroglyphen bemalt worden , dort das Rohrgeflecht hatte ein Neger aus Kongo im Dienst des virginischen Pflanzers über den Ballen geschnürt ; dieser Stamm Färbeholz war an dem Sande herabgerollt , den die Wellen des mexikanischen Meerbusens angeworfen haben , jener viereckige Block von Zebra- oder Jakarandaholz hatte in dem sumpfigen Urwald Brasiliens gestanden , und Affen und bunte Papageien waren über seine Blätter gehüpft . In Säcken und Tonnen lag die grünliche Frucht des Kaffeebaumes fast aus allen Teilen der Erde , in rohen Bastkörben breiteten sich die gerollten Blätter der Tabakspflanze , das bräunliche Mark der Palme und die gelblichen Kristalle aus dem süßen Rohr der Plantagen . Hundert verschiedene Pflanzen hatten ihr Holz , ihre Rinde , ihre Knospen , ihre Früchte , das Mark und den Saft ihrer Stämme an dieser Stelle vereinigt . Auch abenteuerliche Gestalten ragten wie Ungetüme aus dem Chaos hervor , dort hinter dem offnen Faß , gefüllt mit oranger Masse – es ist Palmöl von der Ostküste Afrikas – ruht ein unförmiges Tier – es ist Talg aus Polen , der in die Haut einer ganzen Kuh eingelassen ist – , daneben liegen , zusammengedrückt in riesigem Ballen , gepreßt mit Stricken und eisernen Bändern , fünfhundert Stockfische , und in der Ecke gegenüber erheben sich über einem Haufen Elefantenzähne die Barten eines riesigen Wals . Anton stand noch stundenlang , nachdem die Erklärungen seines Lehrmeisters aufgehört hatten , neugierig und verwundert in der alten Halle , und die Gurte der Wölbung und die Pfeiler an der Wand verwandelten sich ihm in großblättrige Palmen , und das Summen und Geräusch auf der Straße erschien ihm wie das entfernte Rauschen der See , die er nur aus seinen Träumen kannte , und er hörte die Wogen des Meeres in gleichmäßigem Takt an die Küste schlagen , auf welcher er so sicher stand . Diese Freude an der fremden Welt , in welche er so gefahrlos eingekehrt war , verließ ihn seit dem Tage nicht mehr . Wenn er sich Mühe gab , die Eigentümlichkeiten der vielen Waren zu verstehen , so versuchte er auch durch Lektüre deutliche Bilder von der Landschaft zu bekommen , aus welcher sie herkamen , und von den Menschen , die sie gesammelt hatten . So vergingen schnell die ersten Monate seines Lebens in der Hauptstadt , und es war gut für ihn , daß er auch in seinen Freistunden diese lebhafte Unterhaltung mit der ganzen Welt zu führen hatte , denn in einem hatte Fink recht gehabt : Anton blieb trotz dem täglichen Mittagstisch in dem parkettierten Speisezimmer doch dem Chef des Hauses und der Familie sehr fremd und fühlte bald , daß eine Schranke gezogen sei zwischen den Herren vom Comtoir und den Personen des Hauses , die , so unbemerkbar sie für Fremde sein mochte , doch eisenfest stand . Er war so verständig , daß es ihm nicht einfiel , darüber zu murren , aber er wurde doch manchmal dadurch gedrückt , denn mit dem Enthusiasmus der Jugend war er schnell bereit , seinen Prinzipal als das Ideal eines Kaufmanns zu verehren . Die Klugheit , Sicherheit und energische Kürze des Mannes und seine stolze Redlichkeit begeisterten ihn ; er hätte sich gar zu gern mit schwärmerischer Innigkeit an ihn angeschlossen , aber er sah außer den Geschäftsstunden wenig von ihm . Wenn der Kaufmann am Abend nicht in Konferenzen oder im Klub war , so lebte er nur für seine Schwester , an der er mit einer rührenden Zärtlichkeit hing . Für seine Schwester hielt der Kaufmann Wagen und Pferde , die er selbst nie benutzte , ihr zuliebe besuchte er auch Abendgesellschaften und gab selbst welche , zu denen Anton und seine Kollegen nicht zugezogen wurden . Dann rollten die Equipagen vor das Haus , galonierte Bediente flogen treppauf treppab , und bunte Schatten schwebten an den erleuchteten Fenstern des Vorderhauses vorüber , während Anton in seiner Dachstube saß und mit Sehnsucht auf das glänzende Leben des Haushaltes sah , zu dem er doch auch gehörte : mit heißer Sehnsucht , denn unser Held war kaum neunzehn Jahr alt und kannte die geschmückte Geselligkeit eleganter Kreise nur aus den trügerischen Schilderungen der Bücher , welche er gelesen hatte . Dann sagte ihm zwar immer sein Verstand , daß er nicht in das Vorderhaus gehöre , und was daraus werden solle , wenn er mit seinem Dutzend Kollegen , die so verschieden an Bildung waren , bei solchen Gesellschaften sich ausbreiten wolle . Aber was der Verstand , dieser alte Herr , sagt , wird von der jungen Dame Begehrlichkeit nicht immer ehrerbietig angehört , und Anton schlich manchmal mit einem leisen Seufzer vom Fenster zu seiner Lampe und den Büchern zurück , und bemühte sich die lockende Musik der Quadrille zu vergessen , indem er auf das Geschrei des Löwen und das Gurgeln des Brüllfrosches in irgendeinem tropischen Land lauschte . 6 Der Freiherr von Rothsattel hatte sein Quartier in der Hauptstadt selbst eingerichtet . Es war nur von mäßiger Größe , aber die Form der Möbel , die Arabesken der einfachen Wandmalerei , die Zeichnung auf Vorhängen und Teppichen waren so geschmackvoll zusammengepaßt , daß das Ganze in der guten Gesellschaft als ein Muster von Eleganz und Wohnlichkeit gerühmt wurde . Recht in der Stille hatte er das alles vorbereitet . Endlich hielt der neugekaufte Wagen vor der Wohnung , der Freiherr hob seine Gemahlin heraus und führte sie durch die Reihe der Zimmer bis zu ihrem kleinen Boudoir , das ganz mit weißer Gaze dekoriert war , die Decke eine Sonne von weißen Falten , und an allen Wänden weiß gefältelte Sterne . Da flog ihm die Baronin entzückt über so viel Aufmerksamkeit in die Arme , und der gute Herr fühlte sich zufrieden und stolz wie ein König . Schnell war die Familie eingelebt , die Ackerpferde führten vom Gut die unvermeidlichen Kisten , Truhen und Vorräte an Lebensmitteln herbei , und nachdem einige Tage hindurch zahlreiche Strohhalme von Treppen , Fußböden und Teppichen abgefegt worden waren , konnte man daran denken , sich außerhalb des Hauses umzusehen und die nötigen Besuche zu machen . Ein großer Teil des Landadels pflegte die Wintermonate in der Hauptstadt zuzubringen , und die Rothsattel fanden mehrere Gutsnachbarn , viele Bekannte und Verwandte . Überall war man erfreut , die angesehene Familie in der Stadt zu begrüßen , und nach wenigen Wochen fanden sie sich mitten in einem großen Kreise zu fröhlicher Geselligkeit eingelebt . Der niedere Adel mit all seinen Titeln , welche ihm von den deutschen Regenten freigebig erteilt worden sind , bildete eine stattliche , ziemlich abgeschlossene Korporation , und wenn in dem Völkchen auch nicht gerade ein Überfluß von geistreicher Bildung vorhanden war , so war doch das gesellige Behagen , mit dem sie untereinander verkehrten , vielleicht um so größer . Die Baronin wurde durch ihre sichere Liebenswürdigkeit eine Hauptgröße der Frauenwelt , auch ihr Gemahl , der in den ersten Wochen manchmal die Wanderungen durch den Wirtschaftshof und die Spazierritte in seinem Wald vermißt hatte , fand sich bald unter seinen Jugendfreunden nicht weniger wohl . Er wurde Mitglied einer adeligen Ressource , suchte seine alte Virtuosität auf dem Billard hervor , spielte mit Anstand Whist und L'hombre und trieb in müßigen Stunden etwas Politik und ein wenig Kunst . So verlebte die Familie eine behagliche und interessante Wintersaison , und der Freiherr und seine Gemahlin äußerten einander ihre Verwunderung , warum sie ihrem Leben nicht schon in frühern Jahren diese bescheidene und anständige Abwechselung gegönnt hätten . Nur Lenore war mit dem Umzug nicht ganz zufrieden . Sie fuhr fort , die Befürchtung ihrer Mutter zu rechtfertigen , daß sie ein Original werden könnte . Es wurde ihr schwer , den zahlreichen ältlichen Tanten der Familie eine anmutige Ehrerbietung zu bezeigen , und noch schwerer wurde ihr , lustige Herren aus der Nachbarschaft , gute Freunde ihres Vaters , die sie vom Gut her kannte , hier in der Stadt nicht zuerst anzureden , wenn sie ihnen auf der Straße begegnete . Auch das Behältnis war ihr peinlich , in dem sie die Bildung aus dem Mädcheninstitut nach Hause tragen mußte . Es war ein Zwitter von Tasche und Mappe , voll von langweiligen Heften und Lehrbüchern . Da die Mutter nicht gern sah , wenn der Bediente ihr die Schulbücher nachtrug , so schlenkerte sie das Ding verächtlich am Arm , so oft sie auf der Straße ging , blieb dabei von Zeit zu Zeit stehen und sah wie eine Juno mit dreistem Blick auf die Gruppen der Marktleute , auf Eckensteher , die sich prügelten , und auf andere Menschenknäuel , welche sich in den Straßen einer großen Stadt zusammenballen . Einst , als sie so auf der Straße stand , die Mappe als Zeichen ihrer Sklaverei am Arme und einen kleinen Regenschirm in der Hand , siehe , da kam ihr auf dem Trottoir der junge Herr entgegen , den sie im Garten umhergeführt und über den Teich gefahren hatte . Sie freute sich darüber ; er war ihr eine freundliche Erinnerung an das Gut , an ihren Pony und an das Volk der Schwäne . Noch war er eine Strecke entfernt , als ihre Falkenaugen ihn beobachteten . Er kam näher und sah sie nicht . Da ihr die Mutter verboten hatte , irgendeinen Herrn auf der Straße anzusprechen , so blieb sie in seinem Wege stehen und stampfte ihren Schirm befehlend vor ihm auf die Steine . Anton , der im Geschäftstrott war , blickte auf und sah mit der höchsten Freude , daß das schöne Fräulein vom See vor ihm stand . Er zog errötend seinen Hut , und das Fräulein erkannte aus seinem strahlenden Gesicht mit Befriedigung , daß trotz der Büchertasche ihre Erscheinung auf ihn noch ebenso gewaltig wirkte , als früher . » Wie geht es Ihnen , mein Herr ? « frug sie würdevoll das Köpfchen zurückwerfend . » Sehr gut « , sagte Anton ; » wie bin ich glücklich , Sie hier in der Stadt zu sehen . « » Wir wohnen jetzt hier « , sprach das Fräulein weniger vornehm , » für den Winter Bärenstraße Nr. 20 . « » Darf ich fragen , wie sich der Pony befindet ? « sagte Anton ehrfurchtsvoll . » Denken Sie , er hat zu Hause bleiben müssen « , klagte die Dame ; » und was treiben Sie hier ? « » Ich bin in der Handlung von T.O. Schröter « , antwortete Anton mit einer Verbeugung . » Also Kaufmann ? « sagte das Fräulein , » und womit handeln Sie ? « » Kolonialwaren und Produkte ; es ist das größte Geschäft in dieser Branche hier am Platz « , antwortete Anton mit Selbstgefühl . » Und haben Sie gute Menschen gefunden , die auch für Sie sorgen ? « » Mein Prinzipal ist sehr gütig gegen mich « , antwortete Anton , » in Kleinigkeiten muß ich für mich selbst sorgen . « » Haben Sie auch Freunde hier , mit denen Sie sich amüsieren ? « setzte das Fräulein ihr Examen fort . Einige Bekannte . Ich habe aber viel zu tun , und in den Freistunden muß ich für mich lernen . « » Sie sehen auch etwas bleich aus « , sagte das Fräulein , ihn mit mütterlichem Wohlwollen betrachtend . » Sie müssen sich mehr Bewegung machen und fleißig spazierengehen . – Es ist mir angenehm gewesen , Sie hier zu treffen ; ich werde mich freuen , wenn ich höre , daß es Ihnen wohlgeht « , fügte sie , wieder in Majestät übergehend , hinzu . Sie sah ihn noch einen Augenblick an , grüßte mit dem Kopf und verschwand in dem Menschenstrom , während Anton ihr mit abgezogenem Hut nachsah . Lenore fand nicht für nötig , über das zufällige Zusammentreffen viele Worte zu verlieren . Nur als einige Tage darauf die Baronin ihren Gemahl fragte , aus welcher Handlung wollen wir die Waren nehmen , die der Haushalt braucht ; da sah Lenore von ihrem Buche auf und sagte : » Die größte Handlung hier am Platz ist von T.O. Schröter , Kolonialwaren und Produkte . « » Woher weißt du das ? « fragte der Vater lachend , » du sprichst ja wie ein gelernter Kaufmann . « » Das kommt alles von diesem Mädcheninstitut « , antwortete Lenore trotzig . Über den geselligen Freuden vergaß der Freiherr nicht den Hauptzweck seines Aufenthaltes in der Stadt . Er zog sorgfältige Erkundigungen ein über die technischen Gewerbe , welche andere Gutsbesitzer eingerichtet hatten , er besuchte die Fabriken der Stadt und bemühte sich gebildete Techniker kennenzulernen . Er bekam eine Masse von Nachrichten und erwarb einige Kenntnisse in Maschinen und Fabrikanlagen . Aber die Nachrichten , welche er erhielt , waren so widersprechend , und die Anschauungen , welche er selbst gewann , so unvollständig , daß er zuletzt für das beste hielt , nichts zu übereilen , und abzuwarten , bis sich ein geschäftliches Unternehmen von besonderer und möglichst sicherer Rentabilität fände . Es darf nicht verschwiegen werden , daß zu dieser Zeit auch der Familienschatz durch ein schönes mit vergoldetem Messing beschlagenes Kästchen vermehrt wurde . Es war von gefasertem Holz mit Arabesken von mattem Metall und mit einem sehr künstlichen Schloß , welches für einen Spitzbuben gar nicht zu öffnen war und den Dieb in die Notwendigkeit versetzte , das ganze Kästchen zu stehlen . In diesem Behältnis lagen fünfundvierzigtausend Taler in neuen weißen Pfandbriefen der Landschaft . Der Freiherr betrachtete die Pfandbriefe mit vieler Zärtlichkeit . Er saß in den ersten Tagen stundenlang vor dem geöffneten Kästchen und wurde nicht müde , die Pergamentblätter nach den Nummern zu ordnen , sich über den reinlichen weißen Glanz derselben zu freuen und die Tilgungspläne für das Kapital zu entwerfen . Auch als er das Kästchen der Sicherheit wegen wieder ins Depositum der Landschaft gegeben hatte , war der Gedanke daran eine von den kleinen Freuden , welche der ritterliche Gutsherr im stillen hatte . Ja , der Geist dieses Kästchens spukte in seinem Haushalt fort . Die Baronin war verwundert , wenn ihr Gemahl zuweilen anfing , da zu sparen , wo er es sonst nicht getan hatte ; wenn er einige Male von Logenbilletten abriet , weil man gute Wirtschaft treiben müsse , oder wenn er ihr mit einer gewissen Freude erzählte , daß er am vergangenen Abend zehn Louisdor im Spiel gewonnen habe . Die verständige Dame wurde ernstlich besorgt , ob ihr Gemahl nicht durch einen Unfall in Geldverlegenheit gekommen sei ; indes beruhigten sie seine Versicherungen vom Gegenteil und ein zufriednes Lächeln , welches in solchen Stunden über seinem Gesicht schwebte , sehr bald wieder . In der Tat waren die kleinen Anfälle von Sparsamkeit nicht konsequent und ergaben sich als nichts anderes , als eine unschuldige Laune , denn in allen größern Dingen hielt der Freiherr in gewohnter Weise auf anständige Repräsentation , und sein Auftreten war durchaus seiner Familie und seinem Wohlstande entsprechend . Auch war es in der Tat nicht möglich , gerade jetzt zurückzulegen . Das Leben in der Stadt , die Einrichtung der Wohnung und die unvermeidlichen geselligen Ansprüche verringerten natürlich die Ausgaben nicht . So kam es , daß der Freiherr , als er zur Abnahme der Winterrechnungen auf sein Gut gereist war , sehr verstimmt nach der Stadt zurückkehrte . Er hatte große Rechnung gemacht , er hatte gesehen , daß die Ausgaben des letzten Jahres größer gewesen waren , als die Einnahmen , daß der Revenuenanschlag des nächsten Jahres keine Deckung des Defizits versprach , daß fast zweitausend Taler fehlten , welche geschafft werden mußten . Der Gedanke griff ihn an das Herz , daß er dies Geld von den weißen Pergamenten nehmen sollte , und dem Manne , welcher mit dem größten Anstand einen feindlichen Kugelregen ausgehalten hätte , wurde siedend heiß , wenn er dachte , daß er in diesem Falle einige tausend Taler wirklicher Schulden auf seinem Gut haben würde . Er war verständig genug , einzusehen , daß in seiner Spekulation ein Fehler gewesen war . Wenn man ein Vermögen durch jährliche kleine Ersparnisse erwerben will , muß man seine Ausgaben einschränken ; er aber hatte seine Ausgaben bedeutend vermehrt . Ohne Zweifel war diese Vermehrung sehr notwendig gewesen , aber es war ein unglücklicher Zufall , daß das so zusammentraf . Seit seinen Leutnanttagen hatte der gute Herr keine so peinliche Unruhe empfunden . Aus der Stadt zurück konnte er nicht , dafür gab es tausend Gründe ; er hatte die Wohnung auf eine Reihe von Jahren gemietet , was würden die Bekannten zu einer plötzlichen Abreise gesagt haben , wie hätte er seiner geliebten Frau und Lenore das Opfer zumuten können ? So verschloß er den Ärger in sich . Er entschuldigte gegenüber den besorgten Fragen der Baronin seine Verstimmung durch eine Erkältung auf der Reise , aber tagelang nagte der Gedanke an ihm , daß er einen Verlust erlitten habe , daß er zurückgekommen sei ; und je sanguinischer er vorher gewesen war , desto niedergeschlagener wurde er jetzt . Ja es geschah , daß er auf einem Spaziergange durch die Stadt bei einem Lotterieeinnehmer eintrat und ein Lotterielos kaufte , damit ein gütiges Geschick das gutmachen möge , was schadhaft war . Zuweilen , besonders am Abend , wenn er aus heiterer Gesellschaft kam , lächelte er selbst über diese Verstimmung und schalt sie töricht . Das ganze Unglück war so un bedeutend , es war ja keine Lebensfrage ; in wenigen Jahren konnten seine Angelegenheiten wieder aufs beste arrangiert sein . Nur an den nüchternen Morgen kam ihm der langweilige Gedanke wieder , und er konnte ihn nicht loswerden . An einem solchen Morgen wurde Herr Ehrenthal gemeldet , der ihm eine Summe für gekauftes Getreide zu zahlen hatte . Den Freiherrn überkam ein peinliches Gefühl , als der Bediente den Namen Ehrenthal aussprach ; der Mann hatte ihm den Rat gegeben , Pfandbriefe aufzunehmen . Freilich sagte er sich im nächsten Augenblick , daß derselbe Mann ihm nicht den Rat gegeben hatte , nach der Stadt zu ziehen ; aber er grollte ihm doch , und sein Gruß mochte wohl kälter klingen als gewöhnlich . Herr Ehrenthal war ein viel zu guter Geschäftsmann , um auf die Launen seiner Kunden viel zu geben . Er zählte sein Geld auf und war dabei freigebig mit den Versicherungen seiner Ergebenheit . Der Freiherr blieb unzugänglich , bis Ehrenthal im Abgehen fragte : » Und sie sind gekommen , die Pfandbriefe , gnädiger Herr Baron ? « » Ja « , sagte der Herr mürrisch . » Es ist jammerschade « , rief Ehrenthal , » daß fünfundvierzigtausend Taler liegen sollen so tot , als ob sie nicht vorhanden wären in der Welt . Dem Herrn Baron ist 's gleich , ob er einmal gewinnt ein paar tausend Taler oder nicht , aber unsereinem ist es nicht gleich . Ich kann in diesem Augenblick machen ein solides Geschäft und ein sicheres , und mein Geld ist versteckt , ich muß mir entgehen lassen einen baren Gewinn von viertausend Talern . « Der Freiherr hörte aufmerksam zu , der Händler fuhr mit größerm Mute fort : » Herr Baron , Sie kennen mich seit Jahren als einen ehrlichen Mann , Sie wissen auch , daß ich nicht ohne Mittel bin ; ich will Ihnen einen Vorschlag tun : Leihen Sie mir zehntausend Taler Pfandbriefe auf drei Monat ; ich gebe Ihnen für das Kapital einen Wechsel auf mich selbst , welcher ist wie bar Geld . Es sind zu gewinnen viertausend Taler bei dem Geschäft ; was gewonnen wird , das teile ich mit dem Herrn Baron statt der Zinsen zu gleichen Teilen . Sie sollen kein Risiko haben , und wir machen das Geschäft zusammen . Wenn verloren wird , trage ich 's allein und zahle in drei Monaten dem gnädigen Herrn die zehntausend Taler zurück . « Diese Worte des Händlers , so wenig aufregend sie wahrscheinlich in das Ohr des Lesers dringen , klangen dem Freiherrn wie ein Alarmsignal beim unbehaglichen Biwak . Eine heftige Spannung , eine wilde Freude arbeitete in ihm . Kaum hatte er Ruhe genug zu sagen : » Vor allem muß ich wissen , von welcher Art das Geschäft ist , das Sie mit meinem Gelde machen wollen . « Der Geldmann setzte das auseinander . Es war ihm der Antrag gemacht , eine große Quantität Holz zu kaufen . Das Holz lag auf einem Flößplatz im obern Teile der Provinz . Der Händler holte die Berechnung der Holzmasse , der Transportkosten bis zur Hauptstadt und des Wertes , den das Holz in der Hauptstadt haben würde , aus seiner Tasche und bewies dem Freiherrn , daß dabei in sechs bis acht Wochen ein sicherer Gewinn von bedeutender Größe zu machen sei . Der Freiherr sah mit Aufmerksamkeit die Menge der Zahlen durch ; wenn die Berechnung richtig war , so war der Gewinn sonnenklar , er tat aber doch die bedächtige Frage : » Wie kommt es , daß der Eigentümer des Holzes das Geschäft nicht selbst macht , und daß er sich einen so sichern Gewinn entgehen läßt ? « Der Händler zuckte die Achseln . » Wer ein Geschäft macht , kann nicht immer fragen , warum läßt der andere die Ware so billig ? Wer in Verlegenheit ist , kann nicht warten zwei bis drei Monat , das Eis liegt auf dem Fluß , der Mann braucht das Geld binnen hier und drei Tagen . « » Sind Sie sicher , daß das Eigentumsrecht des Verkäufers unbestreitbar ist ? « fragte der Freiherr . » Der Mann ist mir sicher « , sagte der Händler , » wenn ich ihm das Geld bis heute abend schaffe , ist das Holz mein . « Dem Edelmann war es peinlich , die Verlegenheit eines andern zu benutzen , sosehr sich auch sein Herz nach dem Gewinn sehnte . Er sagte mit Würde : » Ich halte es für unpassend , auf den Verlust eines andern zu rechnen . « » Warum soll er haben Verlust ? « rief Ehrenthal eifrig . » Er ist Spekulant , jetzt braucht er Geld ; vielleicht will er machen ein größeres Geschäft ; so muß er den Vorteil am kleinern überlassen einem andern . Er hat sich erboten , gegen zehntausend bar den ganzen Vorrat zu übergeben . Es ist nicht meine Sache , zu fragen , ob er mehr gewinnen kann mit meinem Gelde , als ich gewinnen kann durch sein Holz . « Was Herr Ehrenthal sagte , war richtig ; er verschwieg nur einiges . Der Verkäufer des Holzes war ein unglücklicher Spekulant , der , von seinen Gläubigern gedrängt , eine Auspfändung fürchtete und die unbescheidenen Hoffnungen derselben dadurch beendigen wollte , daß er seine Vorräte an einen Fremden schnell und heimlich verkaufte und mit der erhaltenen Summe unsichtbar wurde . Vielleicht wußte Herr Ehrenthal das ; vielleicht ahnte auch der Freiherr , daß es bei einem so leichten Gewinn eine Bewandtnis haben müsse , wenigstens sagte sein Kopfschütteln , daß ihm die Sache keineswegs ganz klar war . Und doch hatte er wenig zu wagen und nichts zu verantworten ; er lieh sein Geld an einen sichern Mann , den er seit vielen Jahren als wohlhabend und pünktlich kannte , und gewann dadurch die Aussicht , in kurzer Zeit einen bösen Geist loszuwerden , der ihn rastlos quälte . Er war zu unruhig , um zu überlegen , daß er vielleicht einen Teufel vertreibe durch Beelzebub , der Teufel Obersten . Er klingelte nach seinem Wagen und sagte vornehm : » In einer Stunde sollen Sie das Geld haben . « Ehrenthal dankte in seiner feurigen Weise für diese große Gefälligkeit , schrieb auf der Stelle einen wohlverklausulierten Sola-Wechsel über die Pfandbriefe und empfahl sich mit einer Untertänigkeit , die sehr gegen das stolze Kopfnicken des Freiherrn abstach . Seit diesem Tage lebte der Freiherr in banger Erwartung . Immer mußte er an die Unterredung mit dem Händler denken . Wenn er am Teetisch neben seiner Gemahlin saß und über Theater und Konzert geplaudert wurde , irrte seine Seele ratlos zwischen den Lücken der Holzklaftern umher oder wurde von langen rollenden Mastbäumen gedrückt ; und wenn er die Arbeitsbücher seiner Tochter durchsah , so starrten ihm auf dem Deckel und am Rande zahlreiche Gesichter Ehrenthals entgegen , und jedes lachte ihn höhnisch an . Sooft er auf seinem Jagdpferde ausritt , richtete sich der Kopf des Pferdes nach dem Strom , und mit finsterm Blick sah der Reiter auf die gefrorene Fläche hinab , sah die Eisschollen stromabwärts treiben und das hohe Frühlingswasser bis an die Steine des Randes fluten . Ehrenthal hatte sich lange nicht sehen lassen . Endlich , an einem sonnigen Morgen erschien er mit seinen unvermeidlichen Bücklingen , zog ein Paket aus der Tasche und rief triumphierend : » Herr Baron , das Geschäft ist gemacht ! Hier sind die Pfandbriefe zurück und hier sind die zweitausend Taler als der Gewinn , welcher auf Sie fällt . « Die Hand des Freiherrn griff hastig nach dem Paket . Es waren dieselben weißen Pergamente , die er mit so schwerem Herzen aus der Kassette hervorgeholt hatte , und außerdem ein Bündel Kassenscheine . Diesmal hörte der Freiherr kaum auf den Wortschwall des Händlers , eine Last fiel ihm vom Herzen , er hatte seine Pfandbriefe wieder , und der Ausfall an seinen Finanzen war gedeckt . Ehrenthal wurde gnädig entlassen , die Pergamente eingeschlossen , und der Freiherr durfte sich heute keinen Zwang antun , um ein liebenswürdiger Gesellschafter zu sein . Noch an demselben Tage kaufte er der Baronin einen Schmuck von Türkisen , den sie lange im stillen gewünscht hatte . Seit dem Tage war im Hause des Freiherrn heller Sonnenschein , und wenn es eine Erinnerung an die letzten Wochen gab , so äußerte sie sich nur in Kleinigkeiten . Der Kopf des Halbblutes vermied seit diesem Tage den Strom ebensosehr , als er ihn früher gesucht hatte , und wenn der Reiter auf der Straße von Herrn Ehrenthal gegrüßt wurde , so regte sich wieder ein lebhafter Widerwille gegen den glücklichen Geschäftsmann in seiner Seele , und sehr nachlässig war der Gegengruß , welchen er von der Höhe des Rosses zurückgab . Aber noch ein dunkler Schatten aus der letzten Vergangenheit sollte über den Freiherrn fallen . Er las in dem Zimmer seiner Frau die Zeitung , als sein Auge auf einen Steckbrief fiel , durch welchen ein verschwundener Holzhändler wegen betrügerischen Bankrotts verfolgt wurde . Er legte das Blatt weg , ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn . Und er , der furchtlose Kavalier , nahm das Zeitungsblatt vom Tisch fort und versteckte es tief unter die Bücher seines Arbeitstisches . Wenn der Betrüger derselbe Mann war – Ehrenthal hatte ihm keinen Namen genannt – aber wenn er , der Edelmann , durch sein Geld und seinen Gewinn fremde , wohlbegründete Ansprüche verkürzt hatte ; wenn er Gehilfe eines Betrugs geworden war , und wenn er für diese Hilfe bezahlt worden war – diese Gedanken waren fürchterlich für sein stolzes Herz . Der Herr ging in der Stube auf und ab und rang die Hände ; er eilte zum Schreibtisch , um den Gewinn einzupacken und fortzuschaffen , er wußte selbst nicht wohin , sich von der Seele , weit weg aus seinem Hause . Mit Bestürzung sah er , daß nur noch ein kleiner Teil des Gewinns vorhanden war . Wie gelähmt setzte er sich an den Tisch und legte den Kopf auf seine Hände . Es war etwas in ihm entzweigegangen , das fühlte er , und er fürchtete für immer . Heftig sprang er wieder auf , riß an der Klingel und ließ Ehrenthal zu sich fordern . Zufälligerweise war der Händler verreist . Unterdes sprachen zu dem Freiherrn die freundlichen Stimmen , welche in der Menschenbrust mit klugen und gewählten Worten alles Bedenkliche in ein gutes Licht zu setzen wissen . Wie war die ganze Angst so töricht ! Es gab viele hundert Leute am Oberlauf des Stromes , die mit Holz handelten , es war ja ganz unwahrscheinlich , daß gerade jener Betrüger der Mann Ehrenthals sein sollte . Und selbst in diesem Fall , wie groß war sein eigenes Unrecht bei dem ganzen Ereignis ? Klein , sehr klein , für einen Geschäftsmann nicht zu erkennen . Ja , selbst Ehrenthal , was konnte er dafür , wenn der Verkäufer das Geld zu einem Betrug verwandt hatte ? Es war ja alles ehrlich und gesetzlich gekauft worden . – So sprach es fortwährend begütigend in dem Freiherrn , ach , und welche Mühe gab sich der Herr , all diese Stimmen recht deutlich zu hören . Als Ehrenthal endlich ankam und hastig zum Freiherrn eilte , trat ihm dieser mit einem Gesicht entgegen , das den Händler wirklich erschreckte . » Wie heißt der Mann , von dem Sie das Holz gekauft haben ? « fragte der Freiherr heftig an der Tür . Ehrenthal stand betroffen , auch er hatte seine Zeitung gelesen und verstand , was in der Seele des Edelmanns vorging . Er nannte einen beliebigen Namen . » Und wie hieß der Ort , wo das Holz lag ? « klang die zweite Frage etwas ruhiger . Herr Ehrenthal nannte einen beliebigen Ort . » Ist das Wahrheit , was Sie mir sagen ? « fragte der Freiherr tief aufatmend zum drittenmal . Da Herr Ehrenthal sah , daß er einen Kranken vor sich hatte , so behandelte er ihn mit der Milde , welche dem Arzt so gut ansteht . » Was sich der Herr Baron für Sorge machen ! « sagte er kopfschüttelnd . » Ich glaube , der Mann , mit dem ich habe gemacht das Geschäft , hat seinen guten Vorteil dabei gehabt . Es sind große Eichenlieferungen ausgeschrieben , dabei sind für einen , der dort oben wohnt , hundert Prozent zu verdienen . Ich glaube , er wird sie haben verdient . Das Geschäft , welches ich mit ihm gemacht habe , ist gewesen gut und sicher , wie es kein Kaufmann von der Hand weisen wird . Und wenn er auch ein schlechter Mensch wäre , was haben Sie , gnädiger Herr , darum zu sorgen ? Ich habe keinen Grund gehabt , Ihnen den Namen des Mannes und des Ortes zu verbergen , ich habe Ihnen doch beides damals nicht gesagt , weil nicht Sie gemacht haben das Geschäft , sondern ich . Ich bin gewesen Ihr Schuldner , und ich habe Ihnen zurückgezahlt das Geld mit einer Provision . Mit einer guten Provision , das ist wahr . Ich habe seit Jahren vieles bei Ihnen verdient , warum soll ich nicht zuerst Ihnen den Vorteil gönnen , den ich jedem andern auch gegeben hätte ? Was machen Sie sich Sorgen , Herr Baron , um Dinge , die nicht sind ! « » Das verstehen Sie nicht , Ehrenthal « , sagte der Gutsherr freundlicher ; » es ist mir lieb , daß die Sache so steht . Wäre der Betrüger jener Mann gewesen , mit dem Sie gehandelt haben , so hätte ich unser Verhältnis abgebrochen , ich hätte Ihnen nie verziehen , daß Sie mich wider meinen Willen zum Mitschuldigen eines Betrugs machten . « Ehrenthal wurde entlassen , und der Freiherr war von einer schweren Sorge befreit . Er beschloß , sich näher nach jenem beliebigen Namen und dem unbekannten Dorfe zu erkundigen . Er erkundigte sich aber nicht danach ; durch die überstandene Angst war ihm die Erinnerung an das Geldgeschäft sehr peinlich geworden , und er mühte sich , gar nicht mehr daran zu denken . Er war ein zartfühlender , guter Herr , und Ehrenthal war derselben Meinung , denn als er die Treppe hinunterging , murmelte er vor sich hin : Er ist gut , der Baron , er ist gut ! 7 Anton stand unter der gemeinsamen Oberhoheit der Herren Jordan und Pix und entdeckte bald , daß er die Ehre hatte , kleiner Vasall eines großen Staatskörpers zu sein . Was die unerfahrene Außenwelt höchst oberflächlich unter dem Namen Kommis zusammenfaßt , das waren für ihn , den Eingeweihten , sehr verschiedene , zum Teil Ehrfurcht gebietende Ämter und Würden . Der Buchhalter , Herr Liebold , thronte als geheimer Minister des Hauses an einem Fenster des zweiten Comtoirs in einsamer Majestät und geheimnisvoller Tätigkeit . Unaufhörlich schrieb er Zahlen in ein ungeheures Buch und sah nur selten von seinen Ziffern auf , wenn sich ein Sperling auf die Gitterstäbe des Fensters setzte , oder wenn ein Sonnenstrahl die eine Fensterecke mit gelbem Glanz überzog .