1. Die Kinder klopfen an . Morgens früh im Herbstnebel wandern zwei Kinder von sechs bis sieben Jahren , ein Knabe und ein Mädchen , Hand in Hand durch die Gartenwege zum Dorf hinaus . Das Mädchen , um ein Merkliches älter , hält Schiefertafel , Bücher und Schreibhefte unter dem Arm ; der Knabe hat das Gleiche in einem offenen grauleinenen Beutel , der ihm über die Schulter hängt . Das Mädchen hat eine Haube von weißem Drill , die fast bis an die Stirn reicht und die weit vorstehende Wölbung der Stirn um so schärfer hervortreten läßt ; der Knabe ist barhaupt . Man hört nur Einen Schritt , denn der Knabe hat feste Schuhe an , das Mädchen aber ist barfuß . So oft es der Weg gestattet , gehen die Kinder neben einander , sind aber die Hecken zu eng , geht das Mädchen immer voraus . Auf dem falben Laub an den Sträuchern liegt ein weißer Duft und die Mehlbeeren und Pfaffenhütchen , besonders aber die aufrechtstehenden Hagebutten auf nacktem Stengel sind wie versilbert . Die Sperlinge in den Hecken zwitschern und fliegen in unruhigen Haufen auf beim Herannahen der Kinder und setzen sich wieder nicht weit von ihnen , bis sie von Neuem aufschwirren und endlich sich hinein in einen Garten werfen , wo sie sich auf einem Apfelbaum niederlassen , daß die Blätter raschelnd niederfallen . Eine Elster fliegt rasch auf vom Weg , feldein auf den großen Holzbirnenbaum , wo die Raben still hocken ; sie muß ihnen etwas mitgetheilt haben , denn die Raben fliegen auf , kreisen um den Baum und ein Alter läßt sich nieder auf der höchsten schwankenden Kronenspitze und die anderen finden auf den niederen Aesten auch gute Plätze zum Ausschauen . Es verlangt sie wohl auch zu wissen , warum die Kinder mit dem Schulzeug den verkehrten Weg einschlagen und zum Dorfe hinauswandern ; ja ein Rabe fliegt wie ein Kundschafter voraus und setzt sich auf eine geköpfte Weide am Weiher . Die Kinder aber gehen still ihres Weges bis da , wo sie am Weiher bei den Erlen die Fahrstraße erreichen , sie gehen über die Straße nach einem jenseits stehenden niedrigen Hause . Das Haus ist verschlossen und die Kinder stehen an der Hausthür und klopfen leise an . Das Mädchen ruft beherzt : » Vater ! Mutter ! « und der Knabe ruft zaghaft nach : » Vater ! Mutter ! « Das Mädchen faßt die bereifte Thürklinke und drückt erst leise ; die Bretter an der Thüre knittern , es horcht auf , aber es folgt Nichts nach , und jetzt wagt es in raschen Schlägen die Klinke auf und nieder zu drücken , aber die Töne verhallen in der öden Hausflur ; keine Menschenstimme antwortet , und den Mund an einen Thürspalt legend ruft der Knabe : » Vater ! Mutter ! « Er schaut fragend auf zur Schwester , sein Hauch an der Thür ist auch zu Reif geworden , wie er niederblickt . Aus dem nebelbedeckten Dorf tönt der Taktschlag der Drescher , bald wie rascher sich überstürzender Wirbel , bald langsam und müde sich nachschleppend , bald hell knatternd und dann wieder dumpf und hohl ; jetzt tönen nur noch einzelne Schläge , aber rasch fällt Alles wiederum ein von da und dort . Die Kinder stehen wie verloren . Endlich lassen sie ab von Klopfen und Rufen und setzen sich auf ausgegrabene Baumstümpfe . Diese liegen auf einem Haufen rings um den Stamm des Vogelbeerbaums , der an der Seite des Hauses steht und jetzt mit seinen rothen Beeren prangt . Die Kinder heften den Blick noch immer auf die Thüre , aber diese bleibt verschlossen . » Die hat der Vater im Moos-Brunnenwald geholt , « sagt das Mädchen auf die Baumstümpfe zeigend ; und mit altkluger Miene setzt es hinzu : » Die geben gut warm , die sind was werth , da ist viel Kien drin , das brennt wie eine Kerze ; aber der Spalterlohn ist das Größte dabei . « » Wenn ich nur schon groß wär' , « erwidert der Knabe , » da nähm' ich des Vaters große Axt und den buchenen Schlägel und die zwei eisernen Speidel ( Keile ) und den eschenen und da muß Alles auseinander wie Glas , und dann mach' ich daraus einen schönen spitzigen Haufen wie der Kohlenbrenner Mathes im Wald und wenn der Vater heimkommt , der wird sich aber freuen ! « Die Schwester schien doch schon eine dämmernde Ahnung davon zu haben , daß es mit dem Warten auf Vater und Mutter nicht geheuer sein könne , denn sie sah den Bruder gar traurig an und da ihr Blick an den Schuhen haftete , sagte sie : » Dann mußt du auch des Vaters Stiefel anhaben . Aber komm' , wir wollen Bräutle lösen . Und wirst sehen , ich kann weiter werfen als du . « Im Fortgehen sagte das Mädchen : » Ich will dir ein Räthsel aufgeben : welches Holz macht heiß , ohne daß man's verbrennt ? « » Des Schullehrers Lineal , wenn man Tatzen kriegt , « erwiderte der Knabe . » Nein , das mein' ich nicht ; das Holz , das man spaltet , das macht heiß , ohne daß man's verbrennt . « Und bei der Hecke stehen bleibend , fragte sie : » Es sitzt auf einem Stöckchen , hat ein rothes Röckchen , und das Bäuchlein voll Stein , was mag das sein ? « Der Knabe besann sich ganz ernstlich und rief : » Halt , du darfst mir 's nicht sagen , was es ist ... Das ist ja eine Hagebutte . « Das Mädchen nickte beifällig und machte ein Gesicht , als ob sie ihm das Räthsel zum Erstenmal aufgegeben hätte , während sie es doch schon oft gethan hatte und nur immer wieder aufnahm , um ihn damit zu erheitern . Die Sonne hatte grade die Nebel zertheilt und das kleine Thal stand in hellglitzernder Pracht , als die Kinder nach dem Teiche gingen , um flache Steine auf dem Wasser tanzen zu machen . Im Vorübergehen drückte das Mädchen nochmals an der Hausklinke , aber sie öffnete sich noch immer nicht und auch am Fenster zeigte sich nichts . Jetzt spielten die Kinder voll Jubel und Lachen am Teich und das Mädchen schien eigentlich zufrieden , daß der Bruder noch immer geschickter war und darüber triumphirte und ganz hitzig wurde ; ja das Mädchen machte sich offenbar ungeschickter als es wirklich war , denn seine Steine plumpsten fast immer beim ersten Anwurf in die Tiefe , worüber es weidlich ausgelacht wurde . Im Eifer des Spiels vergaßen die Kinder ganz , wo sie waren und warum sie eigentlich dahergekommen . Und doch war Beides so traurig als seltsam . In dem jetzt verschlossenen Hause wohnten noch vor Kurzem der Josenhans mit seiner Frau und seinen beiden Kindern Amrei ( Anna Marie ) und Dami ( Damian ) . Der Vater war Holzhauer im Walde , dabei aber auch anstellig zu allerlei Gewerk , denn das Haus , das er in verwahrlostem Zustand erkauft , hatte er noch selber verputzt und das Dach umgedeckt und noch im Herbst wollte er 's von innen frisch ausweißen : der Kalk dazu liegt schon dort in der mit röthlichem Reißig überdeckten Grube . Die Frau war eine der besten Taglöhnerinnen im Dorfe , Tag und Nacht in Leid und Freud' zu Allem bei der Hand ; denn sie hatte ihre Kinder und besonders die Amrei gut gewöhnt , daß sie schon früh für sich selber sorgen konnten . Erwerb und haushälterische Genügsamkeit machten das Haus zu einem der glücklichsten im Dorf . Da warf eine schleichende Krankheit die Mutter nieder und am andern Abend auch den Vater , und nach wenigen Tagen trug man zwei Särge aus dem kleinen Hause . Man hatte die Kinder alsbald in das Nachbarhaus zum Kohlenmathes gebracht und sie erfuhren den Tod der Eltern erst , als man sie sonntäglich ankleidete , um hinter den Leichen drein zu gehen . Der Josenhans und seine Frau hatten keine nahen Verwandten im Ort und doch hörte man laut weinen und die Verstorbenen rühmen , und der Schultheiß führte die beiden Kinder hüben und drüben an der Hand , als sie hinter den Särgen drein gingen . Noch am Grabe waren die Kinder still und harmlos , ja sie waren fast heiter , wenn sie auch oft nach Vater und Mutter fragten ; denn sie aßen beim Schultheiß am Tisch und Jedermann war überaus freundlich gegen sie , und als sie vom Tisch aufstanden , bekamen sie noch Küchle in ein Papier gewickelt zum Mitnehmen . Als indeß am Abend , auf Anordnung des Gemeinderaths , der Krappenzacher den Dami mitnahm und die schwarze Marann ' die Amrei abholte , da wollten sich die Kinder nicht trennen und weinten laut und wollten heim . Der Dami ließ sich bald durch allerlei Vorspiegelungen beschwichtigen , Amrei aber mußte mit Gewalt gezwungen werden , ja sie ging nicht vom Fleck und der Großknecht des Schultheißen trug sie endlich auf dem Arm in das Haus der schwarzen Marann' . Dort fand sie zwar ihr Bett aus dem Elternhause , aber sie wollte sich nicht hineinlegen , bis sie vom Weinen müde auf dem Boden einschlief und man sie mitsammt den Kleidern in's Bett steckte . Auch den Dami hörte man beim Krappenzacher laut weinen , worauf er dann jämmerlich schrie und bald darauf ward er still . Die vielverschrieene schwarze Marann ' bewies aber schon an diesem ersten Abend , wie still bedacht sie für ihren Pflegling war . Sie hatte schon viele , viele Jahre kein Kind mehr in ihrer Umgebung gehabt und jetzt stand sie vor dem schlafenden und sagte fast laut : » Glücklicher Kinderschlaf ! Das weint noch , und gleich darauf , im Umsehen , ist es eingeschlafen , ohne Dämmern , ohne Hin- und Herwerfen . « Sie seufzte schwer . Am andern Morgen ging Amrei frühzeitig zu ihrem Bruder und half ihn ankleiden und tröstete ihn über das was ihm geschehen war ; wenn der Vater käme , werde er den Krappenzacher schon bezahlen . Dann gingen die beiden Kinder hinaus an das elterliche Haus , klopften an die Thüre und weinten laut , bis der Kohlenmathes , der in der Nähe wohnte , herzukam und die Kinder in die Schule brachte . Er bat den Lehrer , den Kindern zu erklären , daß ihre Eltern todt seien , er selber wisse ihnen das nicht deutlich zu machen und besonders die Amrei scheine es gar nicht begreifen zu wollen . Der Lehrer that sein Mögliches und die Kinder waren ruhig . Aber von der Schule gingen sie doch wieder nach dem Elternhaus und warteten dort hungernd wie verirrt , bis man sie abholte . Das Haus des Josenhans mußte der Hypothekengläubiger wieder an sich ziehen , die Anzahlung , die der Verstorbene darauf gemacht , ging verloren , denn durch die Auswanderungen ist namentlich der Häuserwerth beispiellos gesunken ; es stehen viele Häuser im Dorfe leer und so blieb auch das Haus des Josenhans unbewohnt . Alle fahrende Habe war verkauft und daraus ein kleines Erbe für die Kinder erlöst worden ; das reichte aber bei weitem nicht aus , das Kostgeld für sie zu erschwingen , sie waren Kinder der Gemeinde und darum brachte man sie unter bei denen , die sie am billigsten nahmen . Amrei verkündete eines Tages ihrem Bruder mit Jubel , sie wisse jetzt , wo die Kukuksuhr der Eltern sei , der Kohlenmathes habe sie gekauft ; und noch am Abend standen die Kinder draußen am Hause und warteten bis der Kukuk rief , dann lachten sie einander an . Und jeden Morgen gingen die Kinder nach dem elterlichen Haus , klopften an und spielten dort am Weiher , wie wir sie heute sehen . Aber jetzt horchen sie auf : das ist ein Ruf , den man in dieser Jahreszeit sonst nicht hört , denn der Kukuk beim Kohlenmathes ruft achtmal . » Wir müssen in die Schule , « sagte Amrei und wanderte mit ihrem Bruder rasch wiederum den Gartenweg hinein in das Dorf . An der hintern Scheuer des Rodelbauern sagte Dami : » Bei unserm Pfleger haben sie heute schon viel gedroschen . « Er deutete dabei auf die Wieden der abgedroschenen Garben , die wie Merkzeichen über dem Halbthore der Scheuer hingen . Amrei nickte still . 2. Die ferne Seele . Der Rodelbauer , dessen Haus mit dem rothangestrichenen Gebälk und einem frommen Spruch in großer Herzform , nicht weit vom Hause des Josenhans stand , hatte sich vom Gemeinderath zum Pfleger der verwaisten Kinder ernennen lassen . Er weigerte das um so weniger , da Josenhans vordem als Anderknecht bei ihm gedient hatte . Seine Pflegschaft bestand aber in weiter nichts , als daß er die unverkauften Kleider des Vaters aufbewahrte und manchmal , wenn er Einem der Kinder begegnete , im Vorübergehen fragte : » bist brav ? « und ohne die Antwort abzuwarten , weiter schritt . Dennoch war in den Kindern ein seltsamer Stolz , da sie erfuhren , daß der Großbauer ihr Pfleger sei ; sie kamen sich dadurch als etwas ganz Besonderes , fast Fürnehmes vor . Sie standen oft abseits bei dem großen Hause und schauten verlangend hinauf , als erwarteten sie Etwas und wußten nicht was ; und bei den Eggen und Pflügen neben der Scheune saßen die Kinder oft und lasen immer wieder den Bibelspruch am Hause . Das Haus redete doch mit ihnen , wenn auch sonst Niemand daraus . Es war am Sonntag vor Allerseelen , als die Kinder wiederum vor dem verschlossenen Elternhaus spielten – sie waren wie an den Ort gebannt – da kam die Landfriedbäuerin den Hochdorfer Weg herein ; sie trug einen großen rothen Regenschirm unterm Arm und ein schwarzes Gesangbuch in der Hand . Sie machte den letzten Besuch in ihrem Geburtsorte , denn schon gestern hatte der Knecht auf einem vierspännigen Wagen den gesammten Hausrath zum Dorf hinausgefahren und morgen in der Frühe wollte sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern auf das neuerkaufte Gut im fernen Allgäu ziehen . Schon von weitem bei der Hanfbreche nickte die Landfriedbäuerin den Kindern zu , denn Kinder sind ein guter » Angang « – so nennt man die erste Begegnung – aber die Kinder konnten nichts davon sehen , so wenig als von den wehmuthsvollen Mienen der Bäuerin . Als sie jetzt bei den Kindern stand , sagte sie : » Grüß Gott , Kinder ! Was thut denn ihr schon da ? Wem gehöret ihr ? « » Da dem Josenhans , « antwortete Amrei , auf das Haus deutend . » O ihr armen Kinder , « rief die Bäuerin , die Hände zusammenschlagend ; » dich hätt ' ich kennen sollen , Mädle , grad so hat deine Mutter ausgesehen , wie sie mit mir in die Schul ' gegangen ist . Wir sind gute Kamrädinnen gewesen und euer Vater hat ja bei meinem Vetter , dem Rodelbauer , gedient . Ich weiß Alles von euch . Aber sag' Amrei , warum hast du keine Schuhe an ? Du kannst ja krank werden bei dem Wetter ? Sag' der Marann' , die Landfriedbäuerin von Hochdorf ließe ihr sagen , es sei nicht brav , daß sie dich so herum laufen läßt . Nein , brauchst Nichts sagen , ich will schon selber mit ihr reden . Aber Amrei , du mußt jetzt groß und gescheidt sein und selber auf dich Acht geben . Denk' daran , wenn das deine Mutter wüßt' , daß du in solcher Jahrszeit so barfuß herumlaufst ! « Das Kind schaute die Bäuerin groß an , als wollte es sagen : weiß denn die Mutter Nichts davon ? Die Bäuerin aber fuhr fort : » Das ist noch das Aergste , daß ihr nicht einmal wissen könnet , was für rechtschaffene Eltern ihr gehabt : drum müssen's euch ältere Leute sagen . Denket daran , daß ihr euren Eltern erst die rechte Seligkeit gebt , wenn sie im Himmel droben hören , wie hier unten die Menschen sagen : des Josenhansen Kinder , die sind die Probe von allem Guten , da sieht man recht deutlich den Segen der rechtschaffenen Eltern . « Rasche Thränen rannen bei diesen letzten Worten der Bäuerin von den Wangen . Die schmerzliche Rührung in ihrer Seele , die noch einen ganz andern Grund hatte , brach jetzt bei diesen Gedanken und Worten unaufhaltsam hervor , und Eigenes und Fremdes floß ineinander . Sie legte ihre Hand auf das Haupt des Mädchens , das im Anblick der weinenden Frau auch heftig zu weinen begann ; es mochte fühlen , wie sich eine gute Seele ihm zuwendete , und eine dämmernde Ahnung , daß es wirklich seine Eltern verloren , begann ihm aufzugehen . Das Angesicht der Frau aber leuchtete plötzlich auf . Sie richtete das Auge , in dem noch Thränen hingen , zum Himmel auf und sagte : » Guter Gott , das schickst Du mir . « Dann fuhr sie zu dem Kind gewendet fort : » Horch , ich will dich mitnehmen . Meine Lisbeth ist mir in deinem Alter genommen worden . Sag , willst du mit mir in's Allgäu gehen und bei mir bleiben ? « » Ja , « sagte Amrei entschlossen . Da fühlte sie sich von hinten angefaßt und geschlagen . » Du darfst nicht , « rief Dami , der sie umfaßte und sein ganzes Wesen zitterte . » Sei stet , « beruhigte Amrei , » die gute Frau nimmt dich ja auch mit . Nicht wahr , mein Dami geht auch mit uns ? « » Nein , Kind , das geht nicht , ich hab' Buben genug . « » Dann bleib' ich auch da , « sagte Amrei und faßte ihren Bruder an der Hand . Die fremde Frau war in sich zusammengeschauert und jetzt sah sie mit einer Art von Erleichterung auf das Kind . In überwallender Empfindung , vom reinsten Zuge des Wohlthuns erfaßt , hatte sie eine That und eine Verpflichtung auf sich nehmen wollen , deren Schwere und Bedeutung sie nicht sattsam überlegt hatte , und namentlich wie ihr Mann , ohne vorher gefragt zu sein , das aufnehmen werde . Als jetzt das Kind selber sich weigerte , trat eine Ernüchterung ein und ihr ward Alles rasch klar ; darum ging sie mit einer gewissen Erleichterung schnell auf die Abwehr ihres Unternehmens ein . Sie hatte ihrem Herzen genügt , indem sie die That thun wollte , und jetzt , da sich Hindernisse entgegenstellten , hatte sie eine eigene Art von Befriedigung , daß die That unterblieb , ohne daß sie selbst ihr Wort zurücknahm . » Wie du willst , « sagte die Bäuerin . » Ich will dich nicht überreden . Wer weiß , vielleicht ist es auch besser so , daß du zuerst groß wirst . In der Jugend Noth ertragen lernen , das thut gut , das Bessere nimmt sich leicht an ; wer noch etwas Rechtes geworden ist , hat in der Jugend Schweres erfahren müssen . Sei nur brav . Aber das behalt' im Andenken , daß du allzeit , wenn du brav bist , um deiner Eltern willen eine Unterkunft bei mir haben sollst , so lang mir Gott das Leben läßt . Denk' daran , daß du nicht verlassen bist auf der Welt , wenn dir 's übel geht . Merk' dir nur die Landfriedbäuerin in Zusmarshofen im Allgäu . Und noch Eins . Sag' im Dorf nichts davon , daß ich dich hab' annehmen wollen ; es ist auch wegen der Leute , sie werden dir 's übel nehmen , daß du nicht mitgegangen bist . Aber es ist schon gut so . Wart' , ich will dir noch was geben , daß du an mich denkst . « Sie suchte in den Taschen , aber plötzlich fuhr sie sich an den Hals und sagte : » Nein , nimm nur das . « Sie hauchte sich mehrmals in die steifen Finger , bis sie es zu Stande brachte , denn sie nestelte eine fünfreihige Granatschnur , daran ein gehenkelter Schweden-Dukaten hing , vom Halse und schlang das Geschmeide um den Hals des Kindes , wobei sie es küßte . Amrei sah wie verzaubert drein unter all diesen Hantierungen . » Für dich hab' ich leider Nichts , « sagte die Frau zu Dami , der eine Gerte , die er in der Hand hielt , in immer kleinere Stücke zerbrach , » aber ich schicke dir ein Paar lederne Hosen von meinem Johannes , sie sind noch ganz gut . Du kannst sie tragen , wenn du größer bist . Jetzt b'hüt euch Gott , ihr lieben Kinder . Wenn 's möglich ist , komme ich noch zu dir Amrei . Schicke mir nach der Kirche jedenfalls die Marann . ' Bleibet brav und betet fleißig für eure Eltern in der Ewigkeit und vergesset nicht , daß ihr im Himmel und auf Erden noch Annehmer habt . « Die Bäuerin , die zum behenden Gang ihren Oberrock in Zwickel aufgesteckt hatte , ließ ihn jetzt beim Eingange des Dorfes herab , und mit raschen Schritten ging sie das Dorf hinein und wendete sich nicht mehr um . Amrei faßte sich an den Hals , beugte das Gesicht nieder und wollte immer die Denkmünze betrachten , aber es gelang ihr nicht ganz . Dami kaute an dem letzten Stück seiner Gerte , und als ihn jetzt die Schwester betrachtete und Thränen in seinen Augen sah , sagte sie : » Wirst sehen , du kriegst das schönste Paar Hosen im Dorf . « » Und ich nehm' sie nicht , « sagte Dami und spie dabei ein Stück Holz aus . » Ich will ihr schon sagen , daß sie dir auch ein Messer kaufen muß . Ich bleib' heut' den ganzen Tag daheim , sie kommt ja noch zu uns . « » Ja , wenn sie schon da wär' , « entgegnete Dami , ohne zu wissen was er sagte ; nur sein Zorn und das Gefühl der Zurücksetzung hatte ihm diesen mißtrauischen Vorwurf eingegeben . Es läutete schon zum Erstenmal , die Kinder eilten ins Dorf zurück . Amrei übergab mit kurzem Bericht den neugewonnenen Schmuck der Marann' , und diese sagte : Du bist ja ein Glückskind ! Ich will dir 's gut aufheben . Jetzt hurtig in die Kirche . « Während des Gottesdienstes sahen die beiden Kinder immer nach der Landfriedbäuerin und beim Ausgang warteten sie an der Thür ; aber die vornehme Bäuerin war von so vielen Menschen umringt , die alle in sie hineinredeten , daß sie sich immer im Kreise drehen mußte , um bald da , bald dort zu antworten . Für den wartenden Blick der Kinder und deren ständiges Nicken fand sie keine Aufmerksamkeit . Die Landfriedbäuerin hatte das jüngste Töchterchen des Rodelbauern , die Rosel , an der Hand ; sie war um ein Jahr älter als Amrei und diese stieß in der Entfernung immer vor sich hin , als müßte sie die Zudringliche , die ihren Platz einnahm , wegdrängen . Oder hatte die vornehme Bäuerin nur ein Auge für Amrei draußen beim letzten Haus in der Einsamkeit , aber mitten unter den Menschen kannte sie sie nicht ? Gelten da nur die Kinder reicher Leute , die Kinder der Verwandten ? Amrei erschrak , als sie diesen leise sich regenden Gedanken plötzlich laut hörte , denn Dami sprach ihn aus ; aber während sie mit dem Bruder in ziemlicher Entfernung dem großen Trupp folgte , der die Landfriedbäuerin umgab , suchte sie den bösen Gedanken dem Bruder und wohl damit auch sich auszureden . Die Landfriedbäuerin verschwand endlich im Hause des Rodelbauern und die Kinder kehrten still zurück , bis Dami plötzlich sagte : » Wenn sie zu dir kommt , sag' nur auch , daß sie auch zum Krappenzacher gehen muß und ihm sagen , daß er gut gegen mich sein soll . « Amrei nickte und die Kinder trennten sich , ein Jedes ging nach dem Hause , wo es eine Unterkunft gefunden hatte . Die Nebel , die sich am Morgen verzogen hatten , kamen am Mittag als voller Regenguß hernieder . Der große rothe Regenschirm der Landfriedbäuerin bewegte sich aufgespannt hin und her im Dorf und man sah kaum die Gestalt , die darunter war . Die schwarze Marann ' hatte die Landfriedbäuerin nicht getroffen und sagte bei der Heimkunft : » Sie kann ja auch zu mir kommen , ich will Nichts von ihr . « Die beiden Kinder wanderten wieder hinaus nach dem elterlichen Haus und saßen dort zusammengekauert auf der Thürschwelle und redeten fast kein Wort . Wieder schienen sie zu ahnen , daß die Eltern doch nicht wieder kämen und Dami wollte zählen wie viel Tropfen von der Dachtraufe fielen ; aber es ging ihm allzuschnell und er machte sich 's leicht und schrie auf Einmal : » Tausend Millionen ! « » Da muß sie vorbei , wenn sie heimgeht , « sagte Amrei , » und da rufen wir sie ; schrei' nur auch recht mit , und dann wollen wir schon weiter mit ihr reden . « So sagte Amrei , denn die Kinder warteten hier noch auf die Landfriedbäuerin . Es klatschte eine Peitsche im Dorf . Man hörte jenes nachspritzende Pferdegetrapp im aufgeweichten Wege und ein Wagen rollte herbei . » Wirst sehen , der Vater und die Mutter kommen in einer Kutsche und holen uns , « rief Dami . Amrei schaute traurig nach ihrem Bruder um und sagte : » Schwätz nicht so viel . « Als sie sich umwendete , war der Wagen ganz nahe , es winkte Jemand von demselben unter einem rothen Regenschirm hervor , und fort rollte das Gefährte und nur der Spitz des Kohlenmathes bellte ihm eine Weile nach und that als wollte er mit seinen Zähnen die Speichen aufhalten ; aber am Weiher kehrte er wieder zurück , bellte noch einmal hinaus unter der Hausthüre und schlüpfte dann hinein in's Haus . » Haidi ! fort ist sie ! « sagte Dami wie triumphirend ; es war ja die Landfriedbäuerin . » Hast des Rodelbauern Rappen nicht gekannt ? Die haben sie davon geführt . Vergiß meine ledernen Hosen nicht ! « schrie er noch laut mit aller Kraft seiner Stimme , obgleich der Wagen bereits im Thale verschwunden war und jetzt schon die kleine Anhöhe am Holderwasen hinaufkroch . Die Kinder kehrten still in's Dorf zurück . 3. Vom Baum am Elternhause . Am Tage vor Allerseelen sagte die schwarze Marann' zu den Kindern : » Jetzt holt ordentlich Vogelbeeren , morgen brauchen wir sie auf dem Kirchhof . « » Ich weiß wo , ich kann holen , « sagte Dami mit einer wahrhaft gierigen Freude und rannte zum Dorf hinaus , daß ihn Amrei kaum erreichen konnte . Als sie am elterlichen Hause ankam , war er schon oben auf dem Baum und neckte sie stolz , sie solle auch heraufkommen , weil er wußte , daß sie das nicht könne . Er pflückte nun die rothen Beeren und warf sie hinab in die Schürze der Schwester . Sie bat ihn , er möge auch die Stiele mit abpflücken , sie wolle einen Kranz machen . Er sagte : » Das thu' ich nicht ! « Und doch kam fortan keine Beere ohne Stiel mehr herunter . » Horch wie die Spatzen schelten ! « rief Dami vom Baume , » die ärgern sich , daß ich ihnen ihr Futter wegnehme . « Und als er endlich Alles abgepflückt hatte , sagte er : » Ich gehe nicht mehr herunter , ich bleib' da oben Tag und Nacht , bis ich todt herunter falle , und komme gar nicht mehr zu dir , wenn du mir nicht was versprichst . « » Was denn ? « Daß du deinen Anhenker von der Landfriedbäuerin nie trägst , so lange ich 's sehe ; versprichst du mir das ? « » Nein ! « » So komm' ich nicht mehr herunter ! « » Meinetwegen ! « sagte Amrei und ging mit den Vogelbeeren davon . Sie setzte sich aber nicht weit entfernt hinter einen Holzstoß , wand einen Kranz und schielte dabei immer hinaus , ob Dami nicht endlich käme . Sie setzte sich den Kranz auf und plötzlich überfiel sie eine unnennbare Angst wegen Dami . Sie rannte zurück , Dami saß rittlings auf einem Ast an den Stamm zurückgelehnt und die Arme übereinander geschlagen . » Komm herunter , ich verspreche dir , was du willst ! « rief Amrei und in einem Nu war Dami bei ihr auf dem Boden . Zu Hause schalt die schwarze Marann ' über das alberne Kind , das sich aus den Beeren , die man zum Grabe der Eltern brauche , einen Kranz gemacht habe . Sie zerriß denselben schnell und sprach dabei einige unverständliche Worte ; dann nahm sie beide Kinder an der Hand und führte sie hinaus nach dem Kirchhof . Wo zwei Erdhaufen nahe an einander waren sagte sie : » Da sind Eure Eltern . « Die Kinder sahen sich staunend an . Die Marann' machte nun mit einem Stock Furchen in Kreuzesform auf den Gräbern und wies die Kinder an , die Beeren da hinein zu stecken . Dami war behend dabei und triumphirte , da er mit seinem rothen Kreuze früher fertig war als die Schwester . Amrei schaute ihn nur groß an und erwiderte Nichts , und erst als Dami sagte : » Das wird den Vater freuen , « schlug sie ihn hinterrücks und rief : » Sei still . « Dami weinte , vielleicht ärger als es ihm ernst war ; da rief Amrei laut : » Um Gotteswillen verzeih mir , verzeih mir , daß ich dir das gethan hab' . Hier , da verspreche ich dir , ich will dir mein Lebenlang Alles thun was ich kann , und Alles geben was ich hab' ; gelt Dami , ich hab' dir nicht weh gethan ? Kannst dich drauf verlassen , es geschieht nie mehr so lang ich lebe , nie mehr , nie . O Mutter , o Vater , ich will brav sein , ich versprech's euch ; o Mutter , o Vater . « – Sie konnte nicht weiter reden , aber sie weinte nicht laut , nur sah man , es gab ihr einen Herzstoß nach dem andern und erst als die schwarze Marann ' laut weinte , weinte Amrei mit ihr . Sie gingen heim und als Dami » gute Nacht « sagte , raunte ihm Amrei leise in 's Ohr : » Jetzt weiß ich 's wir sehen unsere Eltern nie mehr auf dieser Welt ; « aber noch in dieser Mittheilung lag eine gewisse kindische Freude , ein Kinderstolz , der sich damit brüstet , Etwas zu wissen ; und doch war in der Seele dieses Kindes Etwas aufgetaucht vom Bewußtsein jenes auf ewig abgeschnittenen Zusammenhanges mit dem Leben , das sich aufthut im Gedanken der Elternlosigkeit . Wenn der Tod die Lippen geschlossen , die dich Kind nennen mußten , ist dir ein Lebensathem verschwunden , der nimmer wiederkehrt . Noch als die schwarze Marann ' bei Amrei am Bette saß , sagte diese : » Ich mein' ich fall' und fall' jetzt immerfort , lasset mir nur Eure Hand ; « und sie hielt die Hand fest und begann zu schlummern , aber so oft die schwarze Marann ' ihre Hand zurückziehen wollte , haschte sie wieder darnach . Die Marann' verstand , was das Gefühl vom endlosen Fallen bei dem Kinde zu bedeuten hatte : das ist ja beim Innewerden vom Tode der Eltern als schwebte man im Wurfe , man weiß nicht woher und weiß nicht wohin . Erst spät gegen Mitternacht konnte die schwarze Marann ' das Bett des Kindes verlassen , nachdem sie ihre gewohnten zwölf Vaterunser wer weiß zum wievielten mal wiederholt hatte . Ein strenger Trotz lag auf dem Gesicht des schlafenden Kindes . Es hatte die eine Hand auf die Brust gelegt und die schwarze Marann' hob sie ihm leise weg und sagte halblaut vor sich hin : » Wenn nur immer ein Auge , das über dich wacht , und eine Hand die dir helfen will , dir so wie jetzt im Schlaf , ohne daß du es weißt , die Schwere vom Herzen nehmen könnte ! Das kann aber kein Mensch , das kann nur Er ... Thu' du meinem Kind in der Fremde was ich diesem da thue . « Die schwarze Marann ' war eine » geschiechene « Frau , d.h. die Leute fürchteten sich fast vor ihr , so herb erschien sie in ihrem Wesen . Sie hatte vor bald achtzehn Jahren ihren Mann verloren , der bei einem räuberischen Anfall den er mit Genossen auf den Eilwagen gemacht hatte , erschossen worden war . Die Marann ' trug ein Kind unter dem Herzen als die Leiche ihres Mannes mit dem schwarzberußten Gesicht ins Dorf gebracht wurde ; aber sie faßte sich und wusch dem Todten das Gesicht rein , als könnte sie damit auch seine schwarze Schuld abwaschen . Drei Töchter starben ihr und nur das Kind , das sie damals unter dem Herzen getragen , war noch am Leben . Es war ein schmucker Bursch geworden , wenn auch mit seltsam schwärzlichem Gesicht und er war jetzt als Maurergesell in der Fremde . Denn von der Zeit Brosi's her , und namentlich seit dessen Sohn Severin sich mit dem Steinhammer zu so hohen Ehrenstellen hinaufgearbeitet , hatte sich ein großer Theil des Nachwuchses in Haldenbrunn dem Maurerhandwerk gewidmet . Unter den Kindern war allezeit von Severin die Rede , wie von dem Prinzen im Mährchen . So war auch das einzige Kind der schwarzen Marann ' trotz deren Widerrede Maurer geworden und jetzt auf der Wanderschaft , und sie die ihr Lebenlang nicht aus dem Dorfe gekommen war und auch kein Verlangen hatte hinaus zu kommen , sagte manchmal : sie komme sich vor , wie eine Henne , die eine Ente ausgebrütet ; aber sie gluckste fast immer in sich hinein . Man sollte es kaum glauben , daß die schwarze Marann ' eine der heitersten Personen im Dorf war ; man sah sie nie traurig , sie gönnte es den Menschen nicht , daß sie Mitleid mit ihr haben sollten . Und darum war sie ihnen unheimlich . Sie war im Winter die fleißigste Spinnerin im Dorf und im Sommer die emsigste Holzsammlerin , so daß sie noch einen guten Theil davon verkaufen konnte , und » mein Johannes , « ( so hieß ihr noch lebender Sohn ) » mein Johannes , hörte man in jeder ihrer Reden . Die kleine Amrei hatte sie , wie sie sagte , nicht aus Gutmüthigkeit zu sich genommen , sondern nur weil sie ein lebendiges Wesen um sich haben wollte . Sie that gern recht rauh vor den Leuten und war stolz darauf , vor sich selber besser zu sein , als sie dafür galt . Der gerade Gegensatz zu ihr war der Krappenzacher , bei dem Dami ein Unterkommen gefunden ; der stellte sich draußen vor der Welt gern als der gutmüthigste Allesverschenker , im Geheimen aber knuffte und mißhandelte er seine Angehörigen und besonders den Dami , für den er nur ein geringes Kostgeld erhielt . Er hieß eigentlich Zacharias und hatte seinen Spitznamen davon , weil er einst seiner Frau ein Paar fein hergerichtete Tauben als Braten heimgebracht hatte ; es waren dieß aber ein Paar gerupfte Raben , hier zu Lande Krappen genannt . Der Krappenzacher , der einen Stelzfuß hatte , verbrachte seine meiste Zeit damit , daß er wollene Strümpfe und Jacken strickte , und so saß er mit seinem Strickzeuge überall im Dorfe herum , wo es was zu plaudern gab ; und dieses Geplauder , bei dem er allerlei hörte , diente ihm zu sehr einträglichen Nebengeschäften . Er war der sogenannte Heirathsmacher in der Gegend , denn namentlich da , wo sich noch die großen geschlossenen Güter finden , geschehen die Heirathen in der Regel durch Vermittler , die die entsprechenden Vermögensverhältnisse genau auskundschaften und Alles vorher bestimmen . Und wenn dann eine solche Heirath zu Stande gebracht war , spielte der Krappenzacher noch bei der Hochzeit die Geige auf , denn darin war er ein landeskundiger Meister . Er verstand aber auch die Clarinette und das Horn zu blasen , wenn ihm die Hände vom Geigen müde waren . Er war eben ein Allerweltsmensch . Das weinerliche und empfindliche Wesen Dami's war dem Krappenzacher höchlich zuwider und er wollte es ihm damit austreiben , daß er ihn recht viel weinen machte und ihn neckte , wo er nur konnte . So waren die beiden Stämmchen , aus demselben Boden erwachsen , in verschiedenes Erdreich verpflanzt . Standort und Bodensaft und die eigene Natur , die sie in sich trugen , ließen sie verschiedenartig gedeihen . 4. Thu ' dich auf . Am Allerseelentag , er war trübe und neblig , waren die Kinder mitten unter den Versammelten auf dem Kirchhof . Der Krappenzacher hatte Dami an der Hand dahin geführt . Amrei aber war allein gekommen ohne die schwarze Marann ' und Viele schimpften über die hartherzige Frau , und einige trafen einen Theil der Wahrheit , indem sie sagten : die Marann' wolle nichts von dem Besuchen der Gräber , weil sie nicht wisse wo das Grab ihres Mannes sei . Amrei war still und vergoß keine Thräne , während Dami bei den mitleidigen Reden der Menschen jämmerlich weinte , freilich auch , wenn ihn der Krappenzacher mehrmals heimlich geknufft und gezwickt hatte . Amrei starrte eine Zeitlang träumerisch vergessen hinein in die Lichter zu Häupten der Gräber und sah staunend , wie die Flamme das Wachs auffrißt , der Docht immer mehr verkohlt , bis endlich das Licht ganz herabgebrannt ist . Unter den Versammelten bewegte sich auch ein Mann in vornehmer städtischer Kleidung , mit einem Band im Knopfloch ; es war der Oberbaurath Severin , der auf einer Inspectionsreise begriffen , hier das Grab seiner Eltern , Brosi und Moni , besuchte . Seine Geschwister und deren Angehörigen umgaben ihn stets mit einer gewissen Ehrerbietung und die Andacht war fast ganz abgelenkt und auf diesen Vornehmen alle Aufmerksamkeit gerichtet . Auch Amrei betrachtete ihn und fragte den Krappenzacher : » Ist das ein Hochzeiter ? « » Warum ? « » Weil er ein Bändel im Knopfloch hat . « Statt aller Antwort hatte der Krappenzacher nichts Eiligeres zu thun , als auf eine Gruppe loszugehen und zu sagen , welch' eine dumme Rede da das Kind gethan habe . Und mitten unter den Gräbern erscholl lautes Gelächter über solche Albernheit . Nur die Rodelbäuerin sagte : » Ich finde das gar nicht so hirnlos . Wenn 's auch ein Ehrenzeichen ist , was der Severin hat , es bleibt doch wunderlich , da auf dem Kirchhof mit einer Auszeichnung herumzulaufen ; da , wo sich zeigt , was aus uns Allen wird , habe man im Leben Kleider von Seide oder von Zwillich angehabt . Es hat mich schon verdrossen , daß er damit in der Kirche war ; so Etwas muß man abthun , ehe man in die Kirche geht , um wie viel mehr auf dem Kirchhof . « Die Kunde von der Frage der kleinen Amrei mußte doch auch bis zu Severin gedrungen sein , denn man sah ihn hastig seinen Oberrock zuknöpfen und dabei nickte er nach dem Kinde hin . Jetzt hörte man ihn fragen , wer das sei und kaum hatte er die Antwort vernommen , als er auf die beiden Kinder an den frischen Gräbern zueilte und zu Amrei sagte : » Komm her , Kind , mach' deine Hand auf , hier schenke ich dir einen Dukaten ; davon schaffe dir an , was du brauchst . « Das Kind starrte drein und antwortete nicht . Und kaum hatte Severin den Rücken gewendet , als es ihm halblaut nachrief : » Ich nehm' nichts geschenkt , « und ihm dabei den Dukaten nachschleuderte . Viele , die das gesehen hatten , kamen auf Amrei zu und schimpften auf sie hinein und eben als sie daran waren , sie zu mißhandeln , wurde sie wiederum von der Rodelbäuerin , die sie schon einmal mit Worten beschützt hatte , vor den rohen Händen gerettet . Auch sie verlangte indeß , daß Amrei wenigstens Severin nacheile und ihm danke ; doch Amrei gab auf keinerlei Rede eine Antwort ; sie blieb starr , so daß auch ihre Beschützerin von ihr abließ . Nur mit großer Mühe fand man den Dukaten wieder und ein Gemeinderath , der zugegen war , nahm ihn sogleich in Verwahrung , um ihn dem Pfleger der Kinder zu übergeben . Dieses Ereigniß brachte der kleinen Amrei einen seltsamen Ruf im Dorf . Man sagte , sie sei doch erst wenige Tage bei der schwarzen Marann ' und habe schon ganz deren Art und Weise . Man fand es unerhört , daß ein Kind aus solcher Armuthei einen solchen Stolz haben könne ; und indem man ihr diesen Stolz auf allen Wegen und Stegen vorwarf , ward sie dessen erst recht inne , und in der jungen Kinderseele regte sich ein Trotz , ihn nur desto mehr zu bewahren . Die schwarze Marann ' that auch das Ihre , um solche Stimmung zu befestigen , denn sie sagte : » Es kann einem Armen kein größeres Glück geschehen , als wenn man es für stolz hält ; dadurch ist man davor bewahrt , daß Jedes auf einem herumtrampelt und noch verlangt , daß man sich dafür bedanke . « Im Winter war Amrei sehr viel bei dem Krappenzacher und hörte ihn besonders gern geigen . Ja der Krappenzacher sagte ihr einmal das große Lob : » Du bist nicht dumm , « denn Amrei hatte nach einem langen Geigenspiel bemerkt : » Was doch so eine Geige den Athem so lang anhalten kann ; das kann ich nicht . « Und wenn daheim in stillen Winternächten die schwarze Marann ' funkelnde und schauererregende Zaubergeschichten erzählte , da horchte Amrei mit offenem Munde und mehrmals rief sie die Alte zurückhaltend : » O Marann ' haltet ein , ich muß wieder schnaufen . « Niemand achtete sehr auf Amrei , und diese konnte träumen , wie es ihr in den Sinn kam und nur der Lehrer sagte einmal in der Gemeinderathssitzung : solch ' ein Kind sei ihm noch nicht vorgekommen ; es sei trotzig und nachgiebig , träumerisch und wachsam . In der That bildete sich schon früh bei allem kindischen Selbstvergessen ein Gefühl der Selbstverantwortlichkeit , eine Wehrhaftigkeit im Gegensatze zur Welt , zu ihrer Güte und Bosheit in der kleinen Amrei aus , während Dami bei allen kleinen Anlässen weinend zur Schwester kam und ihr klagte . Er hatte immer Mitleid mit sich selber , und wenn er in Raufhändel von Spielgenossen niedergeworfen wurde , klagte er : » Ja , weil ich ein Waisenkind bin , schlagen sie mich. O wenn das mein Vater , meine Mutter wüßte ! « Und dann weinte er doppelt über die erfahrene Unbill . Dami ließ sich von allen Menschen zu essen schenken und wurde dadurch gefräßig , während Amrei mit Wenigem vorlieb nahm und sich dadurch äußerst mäßig gewöhnte . Selbst die wildesten Buben fürchteten Amrei , ohne daß man wußte , woran sie ihre Kraft bewiesen hatte , während Dami vor ganz kleinen Jungen davon lief . In der Schule war Dami stets spielerisch , er bewegte die Füße und bog mit der Hand die Ecken der Blätter um , während er las . Amrei dagegen war stets zierlich und gewandt , aber sie weinte oft in der Schule , nicht wegen der Strafen , die sie selbst bekam , sondern so oft Dami gestraft wurde . Am meisten konnte Amrei den Dami vergnügen , wenn sie ihm Räthsel schenkte . Noch immer saßen die beiden Kinder viel am Hause ihres reichen Pflegers , bald bei den Wagen , bald beim Backofen hinter dem Haus , an dem sie sich von außen wärmten , besonders im Herbste . Und Amrei fragte : » Was ist das Beste am Backofen ? « » Du weißt ja , ich kann nichts errathen , « erwiderte Dami klagend . » So will ich dir 's sagen : Das Beste am Backofen ist , daß er das Brod nicht selber frißt . « Und auf den Wagen vor dem Hause deutend fragte Amrei : » Was ist lauter Loch und hält doch ? « Ohne lange auf Antwort zu warten , setzte sie gleich hinzu : » Das ist die Kette . « » Jetzt diese Räthsel schenkst du mir , « sagte Dami und Amrei erwiderte : » Ja , du darfst sie aufgeben . Aber siehst du dort die Schafe kommen ? Jetzt weiß ich noch ein Räthsel . « » Nein , « rief Dami , » nein , ich kann nicht drei behalten , ich hab' genug an zweien . « » Nein , das mußt noch hören , sonst nehm' ich die andern wieder . « Und Dami sagte ängstlich in sich hinein , um es ja nicht zu vergessen : » Kette . Selberfressen , « während Amrei fragte : » Auf welcher Seite haben die Schafe die meiste Wolle ? – Mäh ! Mäh ! auf der auswendigen ! « setzte sie sogleich mit scherzendem Gesang hinzu , und Dami sprang davon , um seinen Kameraden die Räthsel aufzugeben . Er hielt beide Hände fest zu Fäusten zusammengepreßt als hätte er darin die Räthsel und wolle sie nicht verlieren . Als er aber bei den Kameraden ankam , wußte er doch nur noch das von der Kette , und des Rodelbauern Aeltester , den er gar nicht gefragt hatte und der viel zu groß dazu war , sagte schnell die Auflösung und Dami kam wieder weinend zur Schwester zurück . Die Räthselkunst der kleinen Amrei blieb aber nicht lange verborgen im Dorf und selbst reiche , ernsthafte Bauern , die sonst mit Niemand , am wenigsten mit einem armen Kind viel Worte machen , ließen sich herbei , da und dort der kleinen Amrei ein Räthsel aufzugeben . Daß sie selber viele dergleichen wußte , das konnte sie von der schwarzen Marann ' haben ; aber daß sie neugesetzte so oft zu beantworten verstand , das erregte allgemeine Verwunderung . Amrei hätte nicht mehr unaufgehalten über die Straße oder auf's Feld gehen können , wenn sie nicht bald ein Mittel dagegen gefunden hätte . Sie stellte als Gesetz fest , daß sie Niemand ein Räthsel löse , dem sie nicht auch eins aufgeben dürfe . Sie aber wußte solche zu drechseln , daß man wie gebannt war . Noch nie war im Dorf einem armen Kinde so viel Beachtung zugewendet worden , als der kleinen Amrei . Aber je mehr sie heran wuchs , um so weniger Aufmerksamkeit wurde ihr geschenkt ; denn die Menschen betrachten nur die Blüthen und die Früchte mit theilnehmendem Auge , nicht aber jenen langen Uebergang , wo das Eine zum Andern wird . – Amrei ging in ihr vierzehntes Jahr und war aus der Schule entlassen worden . Die Ermahnungen , die dabei an sie gerichtet wurden , machten nur wenig Eindruck . Das Verhalten der Selbstverantwortlichkeit , das sonst das Kinderherz so mächtig und räthselvoll bewegt , war ihr nicht neu ; sie war von früh an darauf hingewiesen . Und jetzt eben in diesen Tagen gab ihr das Schicksal ein Räthsel auf , das schwer zu lösen war . Die Kinder hatten einen Ohm , der sieben Stunden von Haldenbrunn , in Fluorn Holzhauer war ; sie hatten ihn nur Einmal gesehen bei dem Begräbniß der Eltern , er ging hinter dem Schultheiß , der die Kinder an der Hand führte . Seitdem träumten die Kinder viel von dem Ohm in Fluorn . Man sagte ihnen oft , er sähe dem Vater ähnlich und nun waren sie noch begieriger , ihn zu sehen . Denn wenn sie auch noch manchmal glaubten , Vater und Mutter müßten plötzlich kommen , es könne ja gar nicht sein , daß sie nicht mehr da wären , so gewöhnten sie sich doch nach und nach daran , die Hoffnung aufzugeben und das um so mehr , je öfter der Allerseelentag wiedergekehrt war , zu dem sie das Grab der Eltern mit Vogelbeeren besteckten , und nachdem sie schon lange auf ein und demselben schwarzen Kreuze den Namen der Eltern lesen konnten . Aber auch den Ohm in Fluorn vergaßen sie endlich fast ganz , denn sie hörten viele Jahre nichts von ihm . Da wurden die beiden Kinder eines Tages in das Haus ihres Pflegers gerufen . Dort saß ein Mann , groß und lang und mit braunem Gesicht . » Kommet her , Kinder , « rief der Mann den Eintretenden zu . Er hatte eine rauhe , trockene Stimme . » Kennet ihr mich nicht mehr ? « Die Kinder sahen ihn mit aufgerissenen Augen an . Erwachte in ihnen eine Erinnerung an den Klang der väterlichen Stimme ? Der Mann fuhr fort : » Ich bin ja eures Vaters Bruder . Komm her , Lisbeth ! Und auch du , Dami ! « » Ich heiße nicht Lisbeth ! Ich heiße Amrei ! « sagte das Mädchen und weinte . Es gab dem Ohm keine Hand . Ein Gefühl der Verfremdung machte es zittern , weil der Ohm es bei falschem Namen genannt . » Wenn Ihr mein Ohm seid , warum wisset Ihr denn nicht mehr wie ich heiße ? « fragte Amrei nochmals . » Du bist ein dummes Kind , gleich gehst du hin und giebst ihm die Hand , « herrschte der Rodelbauer und setzte dann zu dem Fremden halblaut hinzu : » Es ist ein unebenes Kind . Die schwarze Marann' hat ihm allerlei Wunderliches in den Kopf gesetzt und du weißt ja , es ist nicht geheuer bei ihr . « Amrei schaute sich verwundert um , und gab dem Ohm zitternd die Hand . Dami hatte das schon , früher gethan und fragte jetzt : » Ohm , hast du uns auch was mitgebracht ? « » Hab' nicht viel zum Mitbringen ; ich bring ' euch selber mit , ihr geht mit mir . Weißt du , Amrei , daß das gar nicht brav ist , daß du deinen Ohm nicht gern hast ? Du hast ja sonst Niemand auf der Welt . Wen hast du denn sonst noch ? Komm besser her , da setz' dich neben mich – noch näher . Siehst du ? dein Dami der ist viel gescheiter . Er sieht auch mehr in unsere Familie , aber du gehörst doch auch zu uns . « Eine Magd kam und brachte viele Mannskleider und legte sie auf den Tisch . » Das sind deines Bruders Kleider , « sagte der Rodelbauer zu dem Fremden und dieser fuhr zu Amrei fort : » Siehst du ? das sind deines Vaters Kleider , die nehmen wir jetzt mit und ihr geht auch mit , zuerst nach Fluorn und dann über den Bach . « Amrei berührte zitternd den Rock des Vaters und dessen blaugestreifte Weste . Der Ohm aber hob die Kleider auf , wies auf die zertragenen Ellenbogen hin und sagte zum Rodelbauer : » Diese sind nicht viel werth , die lasse ich mir nicht hoch anschlagen , und ich weiß nicht einmal , ob ich die drüben in Amerika tragen kann ohne ausgespottet zu werden . « Amrei faßte krampfhaft einen Rockzipfel . Daß man die Kleider ihres Vaters , an die sie wie an ein kostbares und unbezahlbares Kleinod gedacht hatte , wenig werth nannte , das schien sie zu kränken , und daß diese Kleider in Amerika getragen und dort ausgespottet werden sollten , das Alles verwirrte sie fast ; und überhaupt , was sollte denn das mit Amerika ? Sie wurde darüber bald aufgeklärt , denn die Rodelbäuerin kam und mit ihr die schwarze Marann ' , und die Rodelbäuerin sagte : » Hör einmal , Mann , ich meine , das geht nicht so schnell , daß man die Kinder da mit dem Mann nach Amerika schickt . « » Es ist ja ihr einziger leiblicher Verwandter , der Bruder des Josenhans . « » Ja freilich , aber er hat bis jetzt nicht viel davon gezeigt , daß er ein Verwandter ; und ich meine , man kann das nicht ohne den Gemeinderath , und der kann 's nicht einmal allein . Die Kinder haben hier ein Heimathsrecht , und das kann man ihnen nicht im Schlaf nehmen , denn die Kinder können ja noch nicht selber sagen , was sie wollen . Das heißt Einen im Schlaf forttragen . « » Meine Amrei ist aufgeweckt genug , die ist jetzt dreizehn Jahr alt , aber gescheiter als eine andere von dreißig , die weiß was sie will , « sagte die schwarze Marann ' . » Ihr Beide hättet sollen Gemeinderath werden , « sagte der Rodelbauer , » aber ich bin auch der Meinung , daß man die Kinder nicht wie Kälber am Strick nimmt und fortzieht . Gut , lasset den Mann selber mit ihnen reden , nachher läßt sich schon weiter sehen was zu machen ist ; er ist einmal ihr natürlicher Annehmer und hat das Recht Vaterstelle an ihnen zu vertreten , wenn er will . Hör' einmal , geh' du jetzt mit deinen Bruderskindern ein wenig vor's Dorf hinaus und ihr Weiber bleibet da , es rede ihnen Keines zu und Keines ab . « Der Holzhauer nahm die beiden Kinder an der Hand und verließ mit ihnen Stube und Haus . » Wohin wollen wir gehen ? « fragte er die Kinder auf der Straße . Wenn du unser Vater sein willst , geh' mit uns heim ; da drunten ist unser Haus , « sagte Dami . » Ist es denn offen ? « fragte der Ohm . » Nein , aber der Kohlenmathes hat den Schlüssel , er hat uns aber noch nie hineingelassen . Ich springe voraus und hole den Schlüssel . « Und behend machte sich Dami los und sprang davon . Amrei kam sich wie gefesselt vor an der Hand des Ohms und dieser redete doch jetzt mit zutraulicher Innigkeit in sie hinein ; er erzählte fast wie zu seiner Entschuldigung , daß er selber eine schwere Familie habe , so daß er sich mit Frau und fünf Kindern nur mit Noth fortbringen könnte . Nun aber erhalte er von einem Mann , der große Waldungen in Amerika besitze , freie Ueberfahrt und nach fünf Jahren , wenn er den Wald umgerodet habe , ein großes Ackergut vom besten Boden als freies Eigenthum . Als Dank gegen Gott , der ihm das für sich und seine Kinder bescherte , habe er sich sogleich vorgesetzt , eine Wohlthat zu thun und die Kinder seines Bruders mitzunehmen : er wolle sie aber nicht zwingen , und nehme sie über haupt nur mit , wenn sie ihn von ganzem Herzen gern hätten und ihn als ihren zweiten Vater betrachteten . Amrei sah ihn nach diesen Worten groß an . Wenn sie es nur hätte machen können , daß sie diesen Mann liebte ! Aber sie fürchtete sich fast vor ihm ; sie wußte Nichts dagegen zu thun . Und daß er so plötzlich wie aus den Wolken fiel und verlangte : hab' mich lieb ! das machte sie eher widersacherisch gegen ihn . » Wo ist denn deine Frau ? « fragte Amrei . Sie mochte wohl fühlen , daß eine Frau sie milder und allmäliger angefaßt hätte . » Ich will dir nur ehrlich sagen , « erwiderte der Ohm , » meine Frau mengt sich nicht in diese Sache , sie hat gesagt , sie rede mir nicht zu und nicht ab . Sie ist ein bischen herb , aber nur von Anfang , und wenn du gut gegen sie bist , und du bist ja gescheit , so kannst du sie um den Finger wickeln . Und wenn dir auch einmal etwas geschieht , was dir nicht recht ist , denk' du bist bei deines Vaters Bruder und sag' mir 's ganz allein , und ich will dir helfen wo ich kann . Aber du wirst sehen , du fängst jetzt erst zu leben an . « Amrei standen die Thränen in den Augen bei diesen Worten und doch konnte sie nichts sagen ; sie fühlte sich fremd diesem Manne gegenüber . Seine Stimme bewegte sie , aber wenn sie ihn ansah , wäre sie gerne entflohen . Da kam Dami mit dem Schlüssel . Amrei wollte ihm denselben abnehmen , aber er gab ihn nicht her . In der eigenthümlichen pedantischen Gewissenhaftigkeit der Kinder sagte er , daß er des Kohlenmathesen Frau heilig versprochen habe , den Schlüssel nur dem Ohm zu geben . Dieser empfing ihn und Amrei war's , als ob sich ein zaubervolles Geheimniß aufthue , da der Schlüssel zum Erstenmal im Schloß rasselte und jetzt sich drehte – die Klinke bog sich nieder und die Thüre ging auf . Eine eigenthümliche Gruftkälte hauchte aus dem schwarzen Hausflur , der zugleich als Küche gedient hatte . Auf dem Herde lag noch ein Häufchen Asche , an der Stubenthüre waren noch die Anfangsbuchstaben vom Caspar , Melchior , Balthes und darunter die Jahrzahl vom Tode der Eltern mit Kreide angeschrieben . Amrei las sie laut ; das hatte noch der Vater angeschrieben . » Schau , « rief Dami , » der Achter ist grade so gezogen , wie du ihn machst , und wie's der Lehrer nicht leiden will , so von rechts nach links . « Amrei winkte ihm still zu sein . Sie fand es fürchterlich und sündhaft , daß der Dami hier so leicht sprach , hier , wo es ihr war wie in der Kirche , ja wie mitten in der Ewigkeit , ganz außerhalb der Welt und doch mitten drin . Sie öffnete selber die Stubenthüre . Die Stube war finster wie ein Grab , denn die Laden waren geschlossen und nur durch eine Ritze drang ein zitternder Sonnenstrahl herein und just auf einen Engelkopf am Kachelofen , so daß der Engel zu lachen schien . Amrei fiel erschrocken nieder , und als sie sich aufrichtete , hatte der Ohm einen Fensterladen geöffnet und warme Luft drang von außen herein . Hier innen war es so kalt . In der Stube war nichts mehr von Hausrath als eine an die Wand genagelte Bank . – Dort hatte die Mutter gesponnen und dort hatte sie die Händchen Amrei's zusamengefügt und sie stricken gelehrt . » So , Kinder , jetzt wollen wir wieder gehen , « sagte der Ohm , » da ist nicht gut sein . Kommet mit zum Bäcker , ich kauf' Jedem ein Weißbrod ; oder wollet ihr lieber eine Brezel ? « » Nein , noch eine Weile dableiben , « sprach Amrei und streichelte immer den Platz , worauf die Mutter gesessen hatte . Auf einen weißen Fleck an der Wand deutend , fuhr sie dann halblaut fort : » Da hat unsere Kukuksuhr gehangen und dort der Soldatenabschied von unserm Vater und da die Stränge Garn , die die Mutter gesponnen hat ; sie hat noch feiner spinnen können als die schwarze Marann' , ja die schwarze Marann' hat 's selber gesagt : immer einen Schneller mehr aus dem Pfund als jedes Andere und Alles so gleichling – da ist kein Knötele drin gewesen , und siehst den Ring da oben an der Decke ? Das ist schön gewesen , wenn sie da den Zwirn gemacht hat . Wenn ich damals schon bei Verstand gewesen wäre , hätte ich nicht zugegeben , daß man der Mutter ihre Kunkel verkauft , es wäre mein Erbstück ; aber es hat sich eben Niemand unserer angenommen . O Mutter ! o Vater ! wenn ihr es wüßtet , wie wir herumgestoßen worden sind , es thäte euch noch jammern in der Seligkeit . « Amrei fing laut an zu weinen und Dami weinte mit . Selbst der Ohm trocknete sich eine Thräne und drang nochmals darauf , daß man jetzt fortgehe , denn es ärgerte ihn zugleich , daß er sich und den Kindern dieses unnöthige Herzeleid gemacht ; Amrei aber sagte heftig : » Wenn Ihr auch gehet , ich gehe nicht mit . « » Wie meinst du das ? Du willst gar nicht mitgehen ? « Amrei erschrack , sie ward erst inne , was sie gesagt hatte , aber sie erwiderte bald : » Nein , vom Andern weiß ich noch nichts . Ich meine nur so : gutwillig gehe ich jetzt nicht aus dem Haus , bis ich Alles wiedergesehen habe . Komm , Dami , du bist ja mein Bruder , komm mit auf den Speicher , weißt ? wo wir Versteckens gespielt haben , hinterm Kamin ; und dann wollen wir zum Fenster ' nausgucken , wo wir die Morcheln getrocknet haben . Weißt nicht mehr , das schöne Guldenstück , das der Vater dafür bekommen hat ? « Es raschelte Etwas und kollerte über der Decke . Alle Drei erschracken . Aber der Ohm sagte schnell : » Bleib ' da , Dami , und du auch . Was wollet ihr da oben ? Höret ihr nicht , wie die Mäus' rasseln ? « » Komm du nur mit , die werden uns nicht fressen , « drängte Amrei ; aber Dami erklärte , daß er nicht mitgehe , und obgleich Amrei innerlich Furcht hatte , faßte sie sich doch ein Herz und ging allein nach dem Speicher hinauf . Sie kam aber bald wieder zurück , leichenblaß , und hatte nichts als einen Büschel altes Kümmelstroh in der Hand . » Der Dami geht mit mir nach Amerika , « sagte der Ohm zu der Hinzutretenden , und diese erwiderte , das Stroh in der Hand zerbrechend : » Ich habe nichts dagegen . Ich weiß noch nicht was ich thue , aber er kann auch allein gehen . « » Nein , « rief Dami , » das thu' ich nicht . Du bist damals mit der Landfriedbäuerin nicht gegangen , wie sie dich hat mitnehmen wollen , und so gehe ich auch nicht allein , aber mit dir . « » Nun denn , so überleg' dir 's , du bist gescheit genug , « schloß der Ohm , verriegelte wiederum den Laden , so daß man im Finstern stand , drängte dann die Kinder zur Stubenthür und zum Hausflur hinaus , verschloß die Hausthür und ging , dem Kohlenmathes den Schlüssel wieder zu bringen und dann mit Dami allein in's Dorf hinein . Noch aus der Ferne rief er Amrei zu : » Du hast noch bis Morgen früh Zeit , dann geh' ich fort , ob ihr mitgehet oder nicht . « Amrei war allein und sie schaute den Weggehenden nach , und es kam ihr seltsam vor , daß ein Mensch vom andern weggehen kann . » Dort geht er hin und er gehört doch zu dir und du zu ihm . « Seltsam ! Wie es im wirklichen Traume geschieht , daß das blos leise Angeregte sich in ihm erneuert und mit allerlei Wunderlichkeiten verflicht , so erging es jetzt Amrei im wachen Traum . Nur ganz flüchtig hatte Dami von der Begegnung mit der Landfriedbäuerin gesprochen ; ihr Gedenken war halb erloschen in der Erinnerung , und jetzt wachte es wieder hell auf wie ein Bild aus vergangenem vorgeträumtem Leben . Amrei sagte sich fast laut : » Wer weiß , ob sie nicht auch manchmal so plötzlich , man kann nicht sagen woher , an dich denkt , und vielleicht jetzt eben in dieser Minute ; und hier , dort unten hat sie dir 's ja versprochen , daß sie dir eine Annehmerin sein will , wenn du kommst , dort bei den Kopfweiden . Warum bleiben nur die Bäume stehen , daß man sie allzeit sieht ? Warum wird nicht auch ein Wort so Etwas wie ein Baum , das steht fest und man kann sich dran halten ? Ja , es kommt nur darauf an , ob man will , da hat man's so gut wie einen Baum ... . Und was so eine ehrenhafte Bäuerin sagt , das ist fest und getreu ; und sie hat doch auch geweint , weil sie fort gemußt von der Heimath , und ist doch schon lang hinaus verheirathet aus dem Dorf und hat Kinder , ja , und der eine heißt Johannes . « Amrei stand an dem Vogelbeerbaum und legte die Hand an den Stamm und sagte : » Du , warum gehst denn du nicht fort ? warum heißen dich die Menschen nicht auch auswandern ? Vielleicht wäre dir 's auch besser anderswo . Aber freilich , du bist zu groß und du hast dich nicht selber hergesetzt , und wer weiß , ob du nicht an einem andern Orte verkämest . Man kann dich nur umhacken und nicht versetzen . Dummes Zeug ! Ich hab' ja auch von da weggemußt . Ja , wenn 's mein Vater wäre , da müßt' ich mit ihm gehen . Er hat mich nicht zu fragen , und wer viel fragt , geht viel irr' . Es kann mir Niemand rathen , auch die Marann' nicht . Und beim Ohm ist 's doch so , er denkt : ich thu dir Gutes und du mußt mir 's wieder bezahlen . Wenn er hart gegen mich ist und gegen den Dami , weil er ungeschickt ist , und wir gehen auf und davon .... wohin sollen wir dann in der wilden fremden Welt ? Und hier kennt uns jeder Mensch und jede Hecke , jeder Baum hat ein bekanntes Gesicht . Gelt , du kennst mich ? « sagte sie wieder aufschauend zu dem Baum . » O wenn du reden könntest ! Du bist doch auch von Gott geschaffen , o warum kannst du nicht reden ? Du hast doch auch meinen Vater und meine Mutter so gut gekannt , warum kannst du mir nicht sagen , was sie mir rathen würden ? O lieber Vater , o liebe Mutter , mir ist so weh , daß ich fort soll . Ich habe doch hier Nichts und fast Niemand ; aber mir ist's , als müßt' ich aus dem warmen Bett in den kalten Schnee . Ist das , was mir so weh thut , ein Zeichen , daß ich nicht fort soll ? Ist das das rechte Gewissen , oder ist es nur eine dumme Angst ? Wenn jetzt nur eine Stimme vom Himmel käm ' und thät mir 's sagen . « Das dreizehnjährige Kind zitterte von innerer Angst und der Zwiespalt des Lebens that sich zum Erstenmal schreiend in ihm auf . Und wieder sprach sie halb , halb dachte sie , aber jetzt entschlossen : » Wenn ich allein wäre , da weiß ich fest , ich ginge nicht , ich bliebe da ; es thut mir zu weh ; und ich kann mir schon allein forthelfen . Gut , merk' dir das . Also Eins hast du fest , mit dir selber bist du im Reinen . Ja , aber was ist das für ein dummes Denken ! Wie kann ich mir's denken , daß ich allein wäre ohne den Dami ? Ich bin ja gar nicht allein da , der Dami gehört zu mir und ich zu ihm . Und für den Dami wär 's doch besser , er wäre in einer Vatersgewalt ; das thät ' ihn aufrichten . Wozu brauchst du aber einen Andern ? kannst du nicht selber für ihn sorgen , wenn 's nöthig ist ? Und wenn er so eingeheimst wird , ich seh' schon , da bleibt er sein Lebenlang nichts als ein Knecht , der Pudel für andere Leute ; und wer weiß , wie die Kinder des Ohms gegen uns sind . Weil sie selber arme Leute sind , werden sie die Herren gegen uns spielen . Nein , nein , sie sind gewiß brav und das ist schön , wenn man so sagen kann : guten Tag , Vetter , guten Morgen , Bas' . Wenn nur der Ohm eins von den Kindern mitgebracht hätt' , da könnt' ich viel besser reden , und könnte auch Alles besser erkundschaften . O wie ist das Alles auf Einmal so schwer ... « Amrei setzte sich nieder am Baum und ein Buchfink kam dahergetrippelt , pickte sich ein Körnchen auf , schaute sich um und flog davon . Ueber das Gesicht Amrei's kroch Etwas , sie wischte es ab . Es war ein Abgottskäfer . Sie ließ ihn auf ihrer Hand herumkriechen , zwischen Berg und Thal ihrer Finger , bis er auf die Spitze des Fingers kam und davon flog . » Was der wohl erzählen wird , wo er gewesen sei , « dachte Amrei , » und so ein Thierchen hat es gut : wo es hinfliegt , ist es daheim . Und horch ! wie die Lerchen singen , die haben 's gut , die brauchen sich nicht zu besinnen was sie zu sagen und was sie zu thun haben . Und dort treibt der Metzger mit seinem Hund ein Kalb aus dem Dorfe . Der Metzgerhund hat eine ganz andere Stimme als die Lerche ... « » Wohin mit dem Füllen ? « rief der Kohlenmathes aus dem Fenster einem jungen Burschen zu , der ein schönes junges Füllen am Halfter führte . » Der Rodelbauer hat's verkauft , « lautet die Antwort , und bald wieherte das Füllen weiter unten im Thale . Amrei , die das hörte , mußte wiederum denken : » Ja , so ein Thier verkauft man von der Mutter weg und die Mutter weiß es kaum ; und wer's bezahlt , der hat 's eigen ; aber einen Menschen kann man nicht kaufen und wer nicht will , für den giebt 's kein Halfter . Und dort kommt jetzt der Rodelbauer mit seinen Pferden , und das große Füllen springt nebenher . Du wirst auch bald eingespannt . Und vielleicht wirst du auch verkauft . Ein Mensch wird nicht gekauft , er verdingt sich blos . So ein Thier kriegt für seine Arbeit keinen andern Lohn als Essen und Trinken und braucht auch sonst nichts , aber ein Mensch kriegt noch Geld dazu als Lohn . Ja , ich kann jetzt Magd sein und von meinem Lohn thue ich den Dami in die Lehre , er will ja auch Maurer werden . Und wenn wir beim Ohm sind , ist der Dami nicht mehr so mein wie jetzt . Und horch , jetzt fliegt der Staar heim , da oben in's Haus , das ihm noch der Vater hergerichtet und er singt noch einmal lustig . Und der Vater hat das Haus aus alten Brettern gemacht . Ich weiß noch , wie er gesagt hat , daß ein Staar nicht in ein Haus von neuen Brettern zieht , und so ist mir 's auch ... Du Baum , jetzt weiß ich 's : wenn du rauschest , so lange ich heute noch da bin , so bleibe ich da . « ... Und Amrei horchte tief auf . Bald war 's ihr , als rauschte der Baum , dann aber sah sie nach den Zweigen und diese waren unbewegt , sie wußte nicht mehr was sie hörte . Mit lärmendem Geschnatter kam es jetzt herbei und eine Staubwolke ging voraus . Es war die Gänseheerde , die vom Holderwasen hereinkam . Amrei ahmte vor sich hin lange das Geschnatter nach . Die Augen fielen ihr zu , sie war eingeschlummert . Ein ganzer Frühling von Blüthen war aufgebrochen in dieser Seele und die Blüthenbäume im Thale , die den Nachtthau einsogen , schickten ihre Düfte hinüber zu dem Kinde , das eingeschlafen war auf der Heimatherde , von der es sich nicht trennen konnte . Es war schon lange Nacht als sie erwachte und eine Stimme rief : » Amrei , wo bist du ? « Sie richtete sich auf und antwortete nicht . Sie schaute verwundert nach den Sternen , und es war ihr , als ob diese Stimme vom Himmel käme ; erst als sich der Ruf wiederholte , erkannte sie den Ton der Marann ' und antwortete : » Da bin ich ! « Und jetzt kam die schwarze Marann ' und sagte : » O das ist gut , daß ich dich gefunden habe . Im ganzen Dorf sind sie wie närrisch . Der Eine sagt : er habe dich im Wald gesehen ; der Andere ist dir im Feld begegnet , wie du jammernd dahin gerannt bist und auf keinen Ruf dich umgekehrt hast . Und mir ist 's gewesen als wenn du in den Teich gesprungen wärst . Brauchst dich nicht zu fürchten , du armes Kind , brauchst nicht davon zu laufen . Es kann dich Niemand zwingen , daß du mit deinem Ohm gehst . « » Wer hat denn gesagt , daß ich nicht will ? « Plötzlich fuhr ein rascher Windhauch durch den Baum , daß er mächtig rauschte . » Und freilich will ich nicht ! « schloß Amrei und hielt die Hand an den Baum . » Komm heim , es bricht ein arges Wetter los , der Wind wird 's gleich da haben , « drängte die schwarze Marann ' . Wie taumelnd ging Amrei mit der schwarzen Marann ' in's Dorf hinein . Was war denn das , daß die Menschen sie durch Feld und Wald irrend gesehen haben wollten oder sprach das nur die Marann' ? Die Nacht war stockdunkel und nur plötzlich leuchteten rasche Blitze und ließen die Häuser im hellen Tageslicht erscheinen , so daß das Auge geblendet wurde und man stillstehen mußte , und war der Blitz verschwunden , so sah man gar nichts mehr . Im eigenen Heimatsdorf waren die Beiden wie in der Fremde verirrt und schritten nur unsicher vorwärts . Dazu wirbelte ein Staub auf , so daß man vor Betäubung fast nicht vom Fleck kam ; in Schweiß gebadet arbeiteten sie sich vorwärts und kamen endlich unter schwer fallenden Tropfen an ihrer Behausung an . Ein Windstoß riß die Hausthür auf und Amrei sagte : » Thu ' dich auf . « Sie mochte an ein Mährchen gedacht haben , wo sich auf ein Räthselwort das Zauberschloß aufthut . 5. Auf dem Holderwasen . Als am andern Morgen der Ohm kam , erklärte ihm Amrei , daß sie dableibe . – Es lag eine seltsame Mischung von Bitterkeit und Wohlwollen darin als der Ohm sagte : » Freilich du artest deiner Mutter nach , und die hat nie Etwas von uns wissen wollen ; aber ich kann den Dami allein nicht mitnehmen , wenn er auch ginge . Der kann noch lange nichts als Brod essen ; du hättest es auch verdienen können . « Amrei entgegnete , daß sie das vor der Hand hier zu Lande wolle , und daß sie mit ihrem Bruder ja später , wenn der Ohm noch so gut gesinnt bleibe , zu ihm kommen könne . In der Art , wie nun der Ohm seine Theilnahme für die Kinder ausdrückte , wurde der Entschluß Amrei's wieder etwas schwankend , aber sie wagte das nicht kund zu geben ; sie sagte nur : » Grüßet mir auch Eure Kinder und saget ihnen , daß es mir recht hart ist , daß ich meine nächsten Anverwandten gar nie gesehen hab' , und daß sie jetzt weit über's Meer ziehen und ich sie jetzt vielleicht mein Lebenlang nicht mehr sehe . « Der Ohm machte sich rasch auf und gab Amrei nur noch den Auftrag , den Dami von ihm zu grüßen , er habe keine Zeit mehr , ihm Lebewohl zu sagen . Er ging davon . Als bald darauf Dami kam und die Abreise des Ohms erfuhr , wollte er ihm nachrennen und selbst Amrei war fast entschlossen dazu ; aber sie bezwang sich wieder , dem nicht nachzugeben . Sie redete und that , als ob Jemand ihr jedes Wort und jede Regung befohlen hätte , und doch schweiften ihre Gedanken fort die Wege nach , die jetzt der Ohm ging . Sie ging mit ihrem Bruder Hand in Hand durch das Dorf und nickte allen Leuten zu , die ihr begegneten . Sie war ja jetzt erst wieder zu Allen zurückgekehrt . Man hatte sie ja forrtreißen wollen und sie meinte , alle Anderen müßten ebenso froh sein wie sie selber ; aber sie merkte bald , daß man sie nicht nur gern gehen ließ , sondern daß man ihr sogar zürnte , weil sie nicht gegangen war . Der Krappenzacher machte ihr die Augen auf , indem er sagte : » Ja Kind , du hast einen Trotzkopf und das ganze Dorf ist dir bös , weil du dein Glück mit Füßen von dir gestoßen hast . Wer weiß , ob's ein Glück gewesen wär' , aber sie nennen's jetzt so , und wer dich ansieht , rechnet dir vor , was du Alles aus der Gemeinde hast . Darum mach' , daß du bald aus dem öffentlichen Almosen kommst . « » Ja was soll ich machen ? « » Die Rodelbäuerin möchte dich gern in Dienst nehmen , aber der Bauer will nicht . « Amrei mochte fühlen , daß sie sich fortan doppelt tapfer halten müsse , damit sie kein Vorwurf treffe , weder von sich noch von Andern , und sie fragte daher abermals : » Wisset Ihr denn gar Nichts ? « » Freilich , du mußt dich nur vor Nichts scheuen als vor'm Betteln . Hast denn nicht gehört , daß der närrische Fridolin gestern der Kirchbäuerin zwei Gänse todtgeschlagen hat ? Der Ganshirtendienst wär' jetzt leer und ich rathe dir , nimm du ihn . « Das war nun bald geschehen und am Mittag trieb Amrei die Gänse auf den Holderwasen , wie man den Weideplatz auf der kleinen Anhöhe beim Hungerbrunnen nannte . Dami half der Schwester getreulich dabei . Die schwarze Marann ' war indeß sehr unzufrieden mit dieser neuen Bedienstung und behauptete , wohl nicht mit Unrecht : » Es geht Einem sein Leben lang nach , wenn man so einen Dienst gehabt hat ; die Leute vergessen's Einem nie und sehen Einen immer drauf an , und es besinnt sich Jedes , dich einmal in Dienst zu nehmen , weil es heißen wird : das ist ja die Gänsehirtin ; und wenn man dich auch aus Barmherzigkeit nimmt , kriegst du schlechten Lohn und schlechte Behandlung , da heißt es immer , das ist gut genug für die Gänsehirtin . « » Das wird nicht so arg sein , « erwiderte Amrei , » und Ihr habt mir ja viel hundert Geschichten erzählt wie eine Gänsehirtin Königin geworden ist . « » Das war in alten Zeiten . Aber wer weiß , du bist noch von der alten Welt ; manchmal ist mir 's gar nicht , als wärst du ein Kind , wer weiß , du alte Seele , vielleicht geschieht dir noch ein Wunder . « Der Hinweis , daß sie noch nicht auf der untersten Stufe der Ehrenleiter gestanden , sondern daß es noch etwas gebe , wodurch sie herabsteige , machte Amrei plötzlich stutzig . Für sich selber eroberte sie nichts weiter daraus , aber sie duldete es fortan nicht mehr , daß Dami mit ihr die Gänse hütete . Er war ein Mann , er sollte einer werden , und ihm konnte es schaden , wenn man ihm einst nachsagte , daß er vormals die Gänse gehütet habe . Aber mit allem Eifer konnte sie ihm das nicht klar machen , und er trutzte mit ihr ; denn so ist es immer : gerade an dem Punkt , wo das Verständniß aufhört , beginnt eine innere Verdrossenheit . Die innere Unmacht übersetzt sich gern in die Einbildung äußern Unrechts und erfahrener Kränkung . Dami bekam indeß auch bald ein Amt . Er wurde von seinem Pfleger , dem Rodelbauer , als Vogelscheuche benutzt : er durfte im Baumgarten des Rodelbauern den ganzen Tag die Rassel drehen , um die Sperlinge von den Frühkirschen und aus den Salatbeeten zu verscheuchen , aber gab das Amt , das ihn Anfangs als Spiel vergnügt hatte , bald wieder auf . Es war ein fröhliches aber auch ein mühsames Amt , das Amrei übernommen hatte , besonders war es ihr oft schwer , daß sie Nichts zu machen wußte , wodurch sie die Thiere an sich fesselte . Ja , sie waren kaum von einander zu unterscheiden . Und es war nicht uneben , was ihr einst die schwarze Marann ' , als sie aus dem Moosbrunnenwalde kam , darüber sagte : » Die Thiere , die in Heerden leben , sind alle Jedes für sich allein dumm . « » Und ich mein ' auch , « setzte Amrei fort , » die Gänse sind deßwegen dumm , weil sie zu vielerlei können ; sie können schwimmen und laufen und fliegen , sind aber nicht im Wasser , nicht auf dem Boden und nicht in der Luft recht daheim und das macht sie dumm . « Ich bleib' dabei , « entgegnete die schwarze Marann ' , » in dir steckt noch ein alter Einsiedel . « In der That bildete sich auch ein einsiedlerisches Träumen in Amrei aus , seltsam durchzogen von allerlei heller Lebensberechnung . Wie sie bei allem Träumen und Betrachten emsig fortstrickte und keine Masche fallen ließ , und wie hier an der Ecke beim Holzbirnenbaum der betäubende Nachtschatten und die erfrischende Erdbeere so nahe beieinander wachsen , daß sie fast aus derselben Wurzel zu sprossen scheinen , so waren klares Ausschauen und träumerisches Hindämmern im Herzen des Kindes nahe beisammen . Der Holderwasen war kein einsam abgelegener Platz , den die stille Märchenwelt , draus es glimmt und glitzert , gern heimsucht . Mitten durch den Holderwasen führte ein Feldweg nach Endringen und nicht weit davon standen die verschiedenfarbigen Grenzpfähle mit den Wappenschildern zweier Herren , deren Länder hier an einander stießen . Mit Ackerfuhrwerk allerlei Art zogen hier die Bauern vorüber , und Männer , Frauen und Mädchen gingen hin und her mit Hacke , Sense und Sichel . Die Landjäger der beiden Länder kamen auch oft vorüber und der Flintenlauf glitzerte von fernher und noch weit nach . Ja Amrei wurde fast immer vom Endringer Landjäger begrüßt , wenn sie am Wege saß , und sie sollte manchmal Auskunft geben ob nicht Dieser oder Jener hier vorbeigekommen sei ; aber sie wußte nie Bescheid , vielleicht auch verhehlte sie ihn aus jener innern Abneigung des Volkes und besonders der Dorfkinder , denen die Landjäger für allzeit gewaffnete Feinde der Menschheit erscheinen , die da umgehen und suchen wen sie verschlingen . Der Theisles-Manz , der hier am Weg die Steine klopfte , redete fast kein Wort mit Amrei ; er ging verdrossen von Steinhaufen zu Steinhaufen und sein Klopfen war noch unaufhörlicher als das Picken des Spechts im Moosbrunnenwald und gehörte mit zu dem Schrillen und Zirpen der Heuschrecken in den nahen Wiesen und Kleefeldern . Ueber alles menschliche Getriebe hinweg wurde Amrei doch oft in's Reich der Träume getragen . Frei schwang sich ihre Seele hinauf und wiegte sich in ungemessenen Bezirken . Wie die Lerchen in der Luft singen und jubeln und Nichts davon wollen : wo ist die Grenze des Ackers von Diesem und Jenem ? ja wie sie sich hinwegschwingen über die Grenzpfähle ganzer Länder , so wußte die Seele des Kindes Nichts mehr von den Schranken , die das beengte Leben der Wirklichkeit setzt . Das Gewohnte wird zum Wunder , das Wunder wird zum Alltäglichen . Horch ! wie der Kukuck ruft ! Das ist das lebendige Echo des Waldes , das sich selbst ruft und antwortet ; und jetzt sitzt der Vogel über dir im Holzbirnenbaum , darfst aber nicht aufschauen , sonst fliegt er fort . Wie er so laut ruft , so unermüdlich ! wie weit das tönt , wie weit man das hört ! der kleine Vogel hat eine stärkere Stimme als ein Mensch . Setz' dich auf den Baum , ahme ihm nach , man hört dich nicht so weit als den faustgroßen Vogel . Still , vielleicht ist es doch ein verzauberter Prinz und plötzlich fängt er an zu reden . Ja , gieb du mir nur Räthsel auf , laß mich nur besinnen , ich finde schon die Auflösung und dann erlöse ich dich , und wir ziehen in dein goldenes Schloß und nehmen die schwarze Marann' und den Dami mit und der Dami heirathet die Prinzessin , deine Schwester ; und wir lassen der schwarzen Marann ' ihren Johannes in der ganzen Welt suchen und wer ihn findet , kriegt ein König reich . Ach , warum ist denn das Alles nicht wahr ? und warum hat man denn das Alles ausgedacht , wenn es nicht wahr ist ? Während die Gedanken Amrei's über alle Grenzen hinausgegangen waren , fühlten sich auch die Gänse unbeschränkt und thaten sich gütlich an benachbarten Klee- oder gar Gersten- und Haferäckern . Aus ihren Träumen erwachend scheuchte dann Amrei mit schwerer Mühe die Gänse wieder zurück , und wenn diese Freibeuter bei ihrem Regimente angekommen waren , wußten sie gar viel zu erzählen von dem gelobten Lande , wo sie sich gütlich gethan ; da war des Erzählens und Schnatterns kein Ende und noch lange sprach da und dort eine Gans wie träumend ein bedeutsames Wort vor sich hin und da und dort steckte eine den Schnabel unter den Flügel und träumte in sich hinein . Und wieder trug es Amrei hinauf . Schau , dort fliegen die Vögel , kein Vogel in der Luft strauchelt , auch die Schwalbe nicht in ihrem Kreuzfluge ; immer sicher , immer frei . O ! wer nur auch fliegen könnte ! Wie müßte die Welt aussehen von da oben , wo die Lerche ist . Juchhe ! Immer höher , immer höher und weiter und weiter ! Ich fliege in die weite Welt zu der Landfriedbäuerin , und sehe was sie macht und frage , ob sie noch mein gedenkt . » Gedenkst du mein in fernen Landen ? « So sang Amrei plötzlich aus all dem Denken , Schwirren und Sinnen heraus . Und ihr Athem , der beim Gedanken des Fluges tiefer und rascher gegangen war , als schwebe sie schon wirklich in höherer Luftschicht , wurde wieder ruhig und gemessen . Aber nicht immer glühten die Wangen in wachen Träumen , nicht immer leuchtete die Sonne hell in die offenen Blüthen und in die wogende Saat . Noch im Frühling kamen jene naßkalten Tage , in denen die Blüthenbäume wie frierende Fremdlinge stehen und Tagelang läßt sich die Sonne kaum blicken und ein starres Frösteln geht durch die Natur , nur bisweilen unterbrochen vom Aufzucken eines Windstoßes , der Blüthen von den Bäumen reißt und fortträgt . Die Lerche allein jubilirt noch in den Lüften , wohl über den Wolken , und der Fink stößt seinen klagenden Ton aus vom Holzbirnenbaum , an dessen Stamm gelehnt Amrei steht . Der Theisles-Manz hat sich weiter unten beim rothangestrichenen hölzernen Kreuz unter die Linde gestellt und jetzt in streifweisen Schüttern prasselt der Hagel hernieder , und die Gänse strecken die Schnäbel empor , wie man sagt , damit es ihnen das weiche Hirn nicht einschlage ; aber da drüben hinter Endringen ist 's schon hell und die Sonne bricht bald hervor , und die Berge , der Wald , die Felder , Alles sieht aus wie ein Menschenantlitz , das sich ausgeweint hat und nun hellglänzend in Freude strahlt . Die Vögel in der Luft und von den Bäumen jubeln und die Gänse , die sich im Wetterschauer zusammengedrängt und die Schnäbel verwundert aufgestreckt hatten , wagen sich wieder auseinander , und grasen und schnattern und besprechen das vorübergegangene Ereigniß mit der jungen flaumweichen Brut , die dergleichen noch nicht erlebt hat . Gleich nachdem Amrei vom ersten Unwetter überfallen worden war , hatte sie für künftige Fälle Vorsorge getroffen . Sie trug von nun an immer einen leeren Kornsack , den sie noch vom Vater ererbt hatte , mit hinaus auf den Ganstrieb . Zwei gekreuzte Aexte mit dem Namen des Vaters waren noch deutlich auf dem Sack abgemalt , und bei Gewittern deckte sie sich mit dem Sacke zu und wickelte sich fast hinein ; da saß sie dann wie unter einem schützenden Dach und schaute hinein in den unfaßbaren wilden Kampf am Himmel . Ein kalter Schauer , der in Wehmuth überging , wollte sich gar oft ihrer bemächtigen , sie wollte weinen über ihr Schicksal , das sie so allein , verlassen von Vater und Mutter , hinaus gestellt ; aber sie gewann schon früh eine Kunst und eine Kraft , die sich schwer lernt und übt : die Thränen hinabwürgen . Das macht die Augen frisch und doppelt hell mitten in allem Trübsal und aus ihm heraus . Amrei bezwang ihre Wehmuth besonders in Erinnerung an einen Spruch der schwarzen Marann' : wer nicht will , daß ihm die Hände frieren , muß eine Faust machen . Amrei that so , geistig und körperlich , sah trotzig in die Welt hinein und bald kam Heiterkeit über ihr Antlitz ; sie freute sich der prächtigen Blitze und ahmte leise vor sich den Donner nach . Die Gänse , die sich wieder zusammengeduckt hatten , schauten wieder seltsam drein , sie hatten's aber doch gut : alle Kleider , die sie brauchen , sind ihnen auf den Leib gewachsen und für das was man ihnen im Frühling ausgerupft hat , ist schon wieder anders da , und jetzt da das Wetter vorüber ist , jubelt wieder Alles in der Luft und auf den Bäumen und die Gänse machen sich 's im warmen Sonnenschein bequem , sie setzen sich nieder und fressen sitzend das neugewürzte Gras im Umkreise . Von dem tausendfältigen Sinnen , das in Amrei lebte , erhielt nur die schwarze Marann ' bisweilen Kunde , wenn sie vom Wald kommend ihre Holzlast und ihren Sack mit gefangenen Maikäfern und Würmern bei der Hirtin abstellte . Da sagte Amrei eines Tages : » Bas ' , wisset ihr auch warum der Wind weht ? « » Nein , weißt denn du's ? « » Ja , ich hab's gemerkt . Gucket , Alles was wächst muß sich umthun . Der Vogel da fliegt , der Käfer da kriecht , der Has' , der Hirsch , das Pferd und alle Thiere die laufen , und der Fisch schwimmt und der Frosch auch , und da steht der Baum und das Korn und das Gras und das kann nicht fort und soll doch wachsen und sich umthun , und da kommt der Wind und sagt : bleib' du nur stehen , ich will dich schon umthun , so . Siehst du , wie ich dich drehe und wende und biege und schüttle ? Sei froh , daß ich komm' , du müßtest sonst verhocken und es würde nichts aus dir ; es thut dir gut , wenn ich dich müd mache , du wirst es schon spüren . « Die schwarze Marann ' sagte darauf nichts weiter als ihren gewohnten Spruch : » Ich bleibe dabei , in dir steckt die Seele von einem alten Einsiedel . « Nur einmal half die Marann ' den stillen Betrachtungen der Amrei auf eine andere Spur . Die Wachtel schlug bereits im hohen Roggenfeld und neben Amrei sang fast einen ganzen Tag unaufhörlich eine Feldlerche am Boden , sie wanderte hin und her und sang immer so innig , so in's tiefste Herz hinein , es war wie ein Saugen der Lebenslust . Das klang noch viel schöner als die Töne der Himmelslerche , die sich aufschwingt in die Luft , und oftmals kam der Vogel ganz nahe und Amrei sagte fast laut vor sich hin : » Warum kann ich dir 's nicht sagen , daß ich dir nichts thun will ? bleib' nur da ! « Aber der Vogel war scheu und versteckte sich immer wieder . Und Amrei sagte schnell überlegt vor sich hin : » Es ist doch wieder gut , daß die Vögel scheu sind ; man könnte ja sonst die diebischen Sperlinge nicht vertreiben . « Als am Mittag die Marann' kam , sagte Amrei : » Ich möcht' nur wissen , was so ein Vogel den lieben langen Tag zu sagen hat , und er schwätzt sich gar nicht aus . « Darauf erwiderte die Marann' : » Schau , so ein Thierlein kann nichts bei sich behalten und in sich hinein reden , im Menschen aber spricht sich auch immer etwas in ihm fort , das hört auch nie auf , aber es wird nicht laut ; da sind Gedanken , die singen , weinen und reden , aber ganz still , man hört's selber kaum ; so ein Vogel aber , wenn er zu singen aufgehört hat , ist fertig und frißt oder schläft . « Als die schwarze Marann ' mit ihrer Holztraget fortging , schaute ihr Amrei lächelnd nach : » Die ist jetzt ein stillsingender Vogel , « dachte sie und Niemand als die Sonne sah wie das Kind noch lange vor sich hinlächelte . Tag auf Tag lebte Amrei so dahin , stundenlang konnte sie träumerisch zusehen , wie der Schatten vom Gezweige des Holzbirnenbaums sich von dem Winde auf der Erde bewegte , daß die dunkeln Punkte wie Ameisen durcheinanderkrochen ; dann starrte sie wieder auf eine feststehende Wolkenbank , die am Himmel glänzte , oder auf jagende flüchtige Wolken , die einander fortschoben . Und wie draußen im weiten Raum , so standen und jagten , stiegen und zerflossen auch in der Seele des Kindes allerlei Wolkenbilder , unfaßlich und nur vom Augenblick Dasein und Gestalt empfangend . Wer aber weiß , wie die Wolkenbildungen draußen in der Weite und im engen Herzensraum zerfließen und sich wandeln ? Wenn der Frühling anbricht über der Erde , du kannst nicht fassen all das tausendfältige Keimen und Sprossen auf dem Grund , all das Singen und Jubeln auf den Zweigen und in den Lüften . Eine einzige Lerche fasse fest mit Aug und Ohr , sie schwingt sich auf , eine Weile siehst du sie noch wie sie die Flügel schlägt , eine Weile unterscheidest du sie noch als dunkeln Punkt , dann aber ist sie verschwunden dem Auge und auch dem Ohr . Du hörst nur noch ein Singen und weißt nicht von wannen es kommt . Und könntest du nur einer einzigen Lerche im freien Raum einen ganzen Tag lauschen , du würdest hören , daß sie am Morgen , am Mittag und am Abend ganz anders singt ; und könntest du ihr nachspüren vom ersten zaghaften Frühlingsjauchzen an , du würdest hören , wie ganz andere Töne sie im Frühling , im Sommer und im Herbst in ihren Gesang mischt . Und schon über den ersten Stoppelfeldern singt eine neue Lerchenbrut . Und wenn der Frühling anbricht in einem Menschengemüthe , wenn die ganze Welt sich aufthut , vor ihm , in ihm , du kannst die tausend Stimmen , die es umfließen , das tausendfältige Knospen auf dem Grunde und wie es immer weiter gedeiht , nicht fassen und festhalten . Du weißt nur noch , daß es singt , daß es sproßt . Und wie still lebt sich 's dann wieder , wie eine festgewurzelte Pflanze . Da ist der Wiesenzaun beim Holzbirnenbaum , die Schlehen blühen früh auf und werden nur selten zeitig . Und welch eine schöne Blüthe hatte die Mehlbeere , wie kräftig duftete das und jetzt sind schon kleine Birnen daraus geworden und schon färben sie sich roth und auch die giftige Eimbeere beginnt schon schwarz zu werden . Es kommen jene hellen , schnittreifen Erntetage , wo der Himmel so wolkenlos blau , daß man oft den ganzen Tag den Mond wie ein feingezirkeltes Wölkchen am Himmel sieht . Draußen in der Natur und im Menschengemüth ist es wie leises Athemanhalten vor einem Ziele . Das war bald ein Leben auf dem Wege , der durch den Holderwasen führt ! Schnellrasselnd fuhren die leeren Leiterwagen dahin und darauf saßen Frauen und Kinder und lachten , auf- und niedergehoben vom Schüttern des Wagens wie vom Lachen , und dann fuhren die garbenbeladenen Wagen leise und nur manchmal krächzend heimwärts und Schnitter und Schnitterinnen gingen nebenher . Amrei hatte von der reichen Ernte fast nicht mehr als ihre Gänse , die sich manchmal in kecker Zudringlichkeit an die beladenen Wagen herandrängten und eine herunterhängende Aehre abrauften . Wenn das erste Stoppelfeld draußen im Feldgebreite sich aufthut , kommt bei aller Freude über den eingeheimsten Erntesegen doch auch ein gewisses Bangen in das Menschengemüth : die Erwartung ist Erfüllung geworden , und wo alles so wogend stand , wird es nun kahl . Die Zeit wandelt sich . Der Sommer wendet sich zur Neige . Der Brunnen auf dem Holderwasen , in dessen Abfluß sich die Gänse behaglich tummelten , hatte das beste Wasser in der Gegend und die Vorüberziehenden versäumten selten , an der breiten Röhre zu trinken , während ihr Zugvieh indeß vorauslief ; sich den Mund abwischend und den Davongeeilten nachschreiend lief man ihm dann nach . Andere tränkten vom Feld heimkehrend hier Zugvieh . Amrei erwarb sich die Gunst vieler Menschen durch einen kleinen irdenen Topf , den sie sich von der schwarzen Marann ' erbettelt hatte , und so oft nun ein Vorüberziehender sich nach dem Brunnen begab , kam Amrei herbei und sagte : » Da könnet Ihr besser trinken . « Bei Rückgabe des Topfes ruhte mancher freundliche Blick bald länger bald kürzer auf ihr und das that ihr so wohl , daß sie fast böse wurde , wenn Leute vorübergingen ohne zu trinken . Sie stand dann mit ihrem Topfe beim Brunnen , ließ voll laufen und goß aus und wenn all dieses Zeichengeben nichts half , überraschte sie die Gänse mit einem unverhofften Bade und überschüttete sie . Eines Tages kam ein Bernerwägelein mit zwei stattlichen Schimmeln daher gefahren , ein breiter oberländischer Bauer nahm den Doppelsitz fast völlig ein . Er hielt am Weg und fragte : » Mädle ! hast du nichts , daß man da trinken kann ? « » Freilich , ich hol' schon . « Behend brachte Amrei ihr Gefäß voll Wasser herbei . » Ah ! « sagte der Oberländer , nachdem er einen guten Zug gethan und absetzte , und mit triefendem Munde fuhr er dann , halb in den Krug hinein sprechend , fort : » Es giebt doch in der ganzen Welt kein solches Wasser mehr . « Er setzte wieder an und winkte dabei Amrei , daß sie still sein solle , denn er hatte eben wieder mächtig zu trinken begonnen , und es gehört zu den besondern Unannehmlichkeiten , während des Trinkens angesprochen zu werden . Man trinkt in Hast und spürt ein Drücken davon . Das Kind schien das zu verstehen und erst nachdem der Bauer den Krug zurückgegeben , sagte es : » Ja , das Wasser ist gut und gesund , und wenn Ihr Eure Pferde tränken wollt , für die ist es besonders gut ; sie kriegen keinen Strängel . « Meine Gäul' sind heiß und dürfen jetzt nicht saufen . Bist du von Haldenbrunn , Mädle ? « » Freilich ! « » Und wie heißt du ? « » Amrei . « » Und wem gehörst du ? « » Niemand mehr . Mein Vater ist der Josenhans gewesen . « » Der Josenhans , der beim Rodelbauer gedient hat ? « » Ja ! « » Hab' ihn gut gekannt . Ist hart , daß er so früh hat sterben müssen . Wart' , Kind , ich geb' dir was . « Er holte einen großen Lederbeutel aus der Tasche , suchte lange darin und sagte endlich : » Säh ! da nimm ! « » Ich will nichts geschenkt , ich danke , ich nehm' nichts . « » Nimm nur , von mir kannst schon nehmen . Ist nicht der Rodelbauer dein Pfleger ? « » Ja wohl . « » Hätt ' auch was Gescheiteres thun können , als dich zur Ganshirtin zu machen . Behüt dich Gott ! « Fort rollte der Wagen und Amrei hielt eine Münze in der Hand . » Von mir kannst schon nehmen ... Wer ist denn der Mann , daß er das sagt , und warum gibt er sich nicht zu erkennen ? Ei das ist ein Groschen , da ist ein Vogel drauf . Nun , er wird nicht arm davon und ich nicht reich . « Den ganzen Tag bot Amrei keinem Vorüberziehenden mehr ihren Topf an . Sie hatte eine geheime Scheu , daß sie wieder beschenkt werden könnte . Als sie am Abend heim kam , sagte ihr die schwarze Marann ' , daß der Rodelbauer nach ihr geschickt habe , sie solle gleich zu ihm kommen . Amrei eilte zu ihm und der Rodelbauer sagte zu ihr beim Eintritt : » Was hast du dem Landfriedbauer gesagt ? « » Ich kenne keinen Landfriedbauer . « » Er ist ja heut bei dir gewesen auf dem Holderwasen und hat dir was geschenkt . « » Ich hab' nicht gewußt wer es ist und da ist sein Geld noch . « » Das geht mich nichts an . Sag offen und ehrlich du Teufelsmädle : habe ich dir zugeredet , daß du Ganshirtin werden sollst ? Und wenn du es nicht noch heut' am Tage aufgiebst , bin ich dein Pfleger nicht mehr . Ich lasse mir so was nicht nachsagen . « » Ich werde allen Menschen berichten , daß Ihr nicht dran Schuld seid ; aber den Dienst aufgeben , das kann ich nicht , den Sommer über wenigstens bleib ' ich dabei . Ich muß ausführen , was ich angefangen hab ' . « » Du bist ein hagebüchenes Gewächs , « schloß der Bauer und verließ die Stube ; die Bäuerin aber , die krank im Bette lag , rief : » Du hast Recht , bleib' nur so , ich prophezeie dir's , daß dir 's noch gut geht . Man wird noch in hundert Jahren von Einem , das Glück hat , im Dorfe sagen : Dem geht 's wie des Brosi's Severin und wie des Josenhansen Amrei . Dir fällt dein trocken Brod noch in den Honigtopf . « Die kranke Rodelbäuerin galt für überhirnt ; und von einer wahren Gespensterfurcht gepackt , eilte Amrei davon , ohne eine Antwort zu geben . Der schwarzen Marann ' erzählte Amrei , daß ihr ein Wunder geschehen sei : der Landfriedbauer , an dessen Frau sie oft denke , habe mit ihr geredet , sich ihrer beim Rodelbauer angenommen und ihr Etwas geschenkt . Sie zeigte nun das Geldstück . Da rief die Marann' lachend : » Ja , das hätt' ich von selbst errathen , daß das der Landfriedbauer gewesen ist . Das ist der Aechte ! Schenkt der dem armen Kind einen falschen Groschen ! « » Warum ist er denn falsch ? « fragte Amrei und Thränen schossen ihr in die Augen . » Das ist ein abschätziger Vögeles-Groschen , der ist nur anderthalb Kreuzer werth . « » Er hat mir eben nur anderthalb Kreuzer schenken wollen , « sagte Amrei trotzig . Und hier zum Erstenmal zeigte sich ein innerer Widerspruch Amrei's mit der schwarzen Marann' . Diese freute sich fast über jede Boshaftigkeit , die sie von den Menschen hörte , Amrei dagegen legte gern Alles zum Guten aus , sie war immer glücklich , und so sehr sie sich auch in der Einsamkeit in Träume verlor , sie erwartete doch in der That Nichts ; sie war überrascht von Allem was sie bekam und war stets dankbar dafür . » Er hat mir nur anderthalb Kreuzer schenken wollen , nicht mehr , und das ist genug und ich bin zufrieden . « Das sagte sie noch oft herb vor sich hin , während sie einsam ihre Suppe aß , als spräche sie noch mit der Marann' , die gar nicht in der Stube war und unterdeß ihre Ziege molk . Noch in der Nacht nähte sich Amrei zwei Flicken zusammen und den Groschen dazwischen , hing das wie ein Amulett um den Hals und verbarg es an der Brust . Es war , als ob der geprägte Vogel auf der Münze allerlei in der Brust , darauf er ruhte , wecke ; denn voll innerer Lust sang und summte Amrei allerlei Lieder , Tagelang vom Morgen bis zum Abend , und dabei dachte sie immer wieder hinaus zu dem Landfriedbauer ; sie kannte jetzt den Bauer und die Bäuerin und hatte von Beiden ein Andenken , und es war ihr immer , als ließe man sie nur noch eine Weile da , dann kommt wieder das Bernerwägelein mit den zwei Schimmeln , drinn sitzen die Bauersleute und holen sie ab und sagen : Du bist unser Kind ; denn gewiß erzählt jetzt der Bauer daheim von dem Begegniß mit ihr . Mit seltsamen Blicken starrte sie oft in den Herbsthimmel , er war so hell , so wolkenrein ; und auf der Erde , da sind die Wiesen noch so grün und der Hanf liegt zum Dörren darüber gebreitet wie ein feines Netz , die Zeitlosen schauen dazwischen auf und die Raben fliegen darüber hin und ihr schwarzes Gefieder glitzert hell im Sonnenglanz ; kein Luftzug weht , die Kühe weiden auf den Stoppeläckern , Peitschenknallen und Singen tönt von allen Aeckern und der Holzbirnenbaum schauert still in sich zusammen und schüttelt die Blätter ab . Der Herbst ist da . So oft Amrei jetzt Abends heimkehrte , schaute sie die schwarze Marann ' fragend an , sie meinte , diese müsse ihr sagen , daß der Landfriedbauer geschickt habe , um sie abzuholen , und mit schwerem Herzen trieb sie die Gänse auf die Stoppelfelder , die so entfernt waren vom Weg und immer wieder lenkte sie nach dem Holderwasen . Aber schon standen die Hecken blätterlos , die Lerchen zwitscherten kaum mehr in schwerem niederem Fluge , und noch immer kam keine Nachricht , und Amrei hatte ein tiefes Bangen vor dem Winter , als wie vor einem Kerker . Sie tröstete sich nur mit dem Lohne , den sie jetzt erhielt , und der war allerdings reichlich . Keine ihrer Untergebenen war gefallen , ja nicht einmal eine flügellahm geworden . Die schwarze Marann ' verkaufte die Federn , die Amrei gesammelt hatte , zu gutem Preise , und wies Amrei an , sich neben dem bräuchlichen Geldlohn , das gewöhnliche Stück Kirchweihkuchen für jede einzelne Gans , die sie gehütet , in Brod verwandeln zu lassen . Und so hatten sie fast den ganzen Winter vollauf Brod , freilich oft sehr altbackenes , aber Amrei hatte , wie die schwarze Marann ' sagte , lauter gesunde Mauszähne , mit denen sie Alles knuppern konnte . 6. Die Eigenbrätlerin . Eine Frau , die ein einsam abgeschiedenes Leben führt und sich ihre Nahrung ganz allein kocht und brät , nennt man eine Eigenbrätlerin und eine solche hat in der Regel auch noch allerlei Besonderheiten . Niemand hatte mehr Recht und mehr Neigung eine Eigenbrätlerin zu sein , als die schwarze Marann ' , obgleich sie nie Etwas zu braten hatte , denn Habermus und Kartoffeln und Kartoffeln und Habermus waren ihre einzigen Speisen . Sie lebte immer abgesondert in sich hinein und verkehrte nicht gern mit den Menschen . Nur gegen den Herbst war sie stets voll hastiger Unruhe , sie plauderte um diese Zeit viel vor sich hin und redete auch die Menschen von freien Stücken an , besonders Fremde , die durch das Dorf gingen ; denn sie erkundigte sich , ob die Maurer von da und dort schon zur Winterrast heimgekehrt seien und ob sie nichts von ihrem Johannes berichtet hätten . Wenn sie die Leinwand , die sie den Sommer über gebleicht hatte , noch einmal kochte und auswusch und dabei die ganze Nacht aufblieb , murmelte sie stets vor sich hin . Man verstand nichts davon , nur der Zwischenruf war deutlich , denn da hieß es : » Das ist für dich und das ist für mich ; « sie sprach nämlich täglich zwölf Vaterunser für ihren Johannes , aber in der Waschnacht da wurden sie zu unzähligen . Und wenn der erste Schnee fiel , war sie immer besonders heiter . Jetzt giebt 's keine Arbeit mehr draußen , jetzt kommt er gewiß heim . Sie sprach dann oft mit einer weißen Henne im Gitter und sagte ihr , daß sie sterben müsse , wenn der Johannes komme . So trieb sie 's nun schon viele Jahre und die Leute im Dorfe ließen ab , ihr vorzuhalten , daß es närrisch sei , immer an die Heimkehr des Johannes zu denken , denn sie war doch nicht zu bekehren und sie wurde den Menschen unheimlich . In diesem Herbst wurden es nun achtzehn Jahre , seit der Johannes davon gegangen war , und jedes Jahr wurde Johann Michael Winkler als verschollen ausgeschrieben in der Zeitung bis zu seinem fünfzigsten Jahre . Er stand jetzt gerade im sechs und dreißigsten . Im Dorfe ging die Sage , Johannes sei unter die Zigeuner gegangen , und die Mutter hielt auch einmal einen jungen Zigeuner , der dem Verschollenen auffallend ähnlich sah , für denselben ; er war auch so » pfostig « ( untersetzt ) , hatte die gleiche dunkle Gesichtsfarbe und schien es nicht ungern zu haben , daß man ihn für den Johannes hielt ; aber die Mutter hatte ihn auf die Probe gestellt , sie hatte noch das Gesangbuch und den Corfirmandenspruch des Johannes und wer den nicht kennt und nicht anzugeben weiß , wer seine Pathen sind , und was mit ihm geschehen ist an dem Tage , als des Brosi's Severin mit der Engländerin ankam und später als der neue Rathhausbrunnen gegraben wurde , wer diese und andere Wahrzeichen nicht kennt , das ist der Falsche . Dennoch beherbergte die Marann ' immer den jungen Zigeuner so oft er in das Dorf kam und die Kinder auf der Straße schrieen ihm : Johannes ! nach . Der Johannes wurde als militärpflichtig auch als Ausreißer ausgeschrieben und obgleich die Mutter sagte , daß er » zu klein « und unter dem Maaß durchgeschlüpft wäre , wußte sie doch , daß er bei der Heimkehr einer Strafe nicht entgehe und sie meinte , er käme nur deßwegen nicht wieder . Es war nun gar seltsam , wie sie in einem Athem um das Wohl des Sohnes und um den Tod des Landesfürsten betete ; denn man hatte ihr gesagt , daß wenn der regierende Fürst stürbe , der Thronfolger beim Regierungsantritt allgemeinen Straferlaß für alles Geschehene verkünden werde . Jedes Jahr ließ sich die Marann ' vom Schullehrer das Blatt schenken , in dem Johannes ausgeschrieben war , und sie legte es zu seinem Gesangbuch ; aber dieses Jahr war es gut , daß die Marann ' nicht lesen konnte , und der Lehrer schickte ihr ein anderes Blatt statt des gewünschten . Denn ein seltsames Gemurmel ging durch das ganze Dorf . Wo Zwei bei einander standen , sprach man davon und da hieß es : » Der schwarzen Marann ' sagt man nichts . Das bringt sie um . Das macht sie närrisch . « Es war nämlich ein Bericht des Gesandten aus Paris von einer Mittheilung aus Algier angekommen , und nun ging durch alle hohen und niederen Aemter bis zum Gemeinderath die Nachricht : daß Johannes Winkler von Haldenbrunn in Algier bei einem Vorpostengefechte gefallen sei . Man sprach im Dorfe viel davon , wie wunderlich es sei , daß so viele hohe Aemter sich jetzt um den todten Johannes so viel bemühten . Aber am Schlusse des so wohlgeleiteten Berichtestroms hielt man ihn auf . In der Gemeinderaths-Sitzung wurde beschlossen , daß man der schwarzen Marann ' nichts davon sage . Es wäre Unrecht , ihr noch die paar Jahre ihres Lebens zu verbittern , indem man ihr den letzten Trost raube . Statt aber die Nachricht geheim zu halten , hatten die Gemeinderäthe nichts Eiligeres zu thun , als es daheim auszuplaudern und nun wußte das ganze Dorf davon bis auf die schwarze Marann' allein . Ein Jeder betrachtete sie mit seltsamem Blick ; man fürchtete , sich vor ihr zu verrathen , man redete sie nicht an , man dankte kaum ihrem Gruße . Es bedurfte der ganzen eigenthümlichen Art der schwarzen Marann ' , um dadurch nicht verwirrt zu werden . Und sprach ja einmal Jemand mit ihr und ließ sich verleiten vom Tode des Johannes zu reden , so geschah es nur in jener Weise des Vermuthens und Beschwichtigens , die schon seit Jahren gäng und gäbe war , und die Marann ' glaubte jetzt eben so wenig daran als ehedem , denn von dem Todtenschein sprach ja Niemand . Es wäre wohl besser gewesen , auch Amrei hätte nichts davon gewußt ; aber es lag ein eigener verführerischer Reiz darin , dem Unberührbaren so nahe als möglich zu kommen und darum sprach Jedes mit Amrei von dem traurigen Ereigniß , warnte sie , der schwarzen Marann ' etwas davon zu sagen und wollte wissen , ob die Mutter keine Ahnungen , keine Träume habe , ob es nicht umgehe im Hause . Amrei war immer innerlich voll Zittern und Beben . Sie allein war der schwarzen Marann ' so nahe und hatte Etwas was sie vor ihr verborgen halten mußte . Auch die Leute , bei denen die schwarze Marann ' eine Stube zur Miethe hatte , hielten es nicht mehr aus in ihrer Nähe , und sie bekundeten ihr Mitleid zuerst damit , daß sie ihr die Miethe kündigten . Aber wie seltsam hängen die Dinge im Leben zusammen ! Eben durch dieses Ereigniß erfuhr Amrei Leid und Lust , denn das elterliche Haus öffnete sich ihr wieder ; die schwarze Marann ' zog in dasselbe und Amrei , die Anfangs voll Beben darin hin- und herging , und wenn sie Feuer anmachte und wenn sie Wasser holte , immer glaubte : jetzt müsse die Mutter kommen und der Vater , fand sich doch nach und nach wieder ganz heimisch in demselben . Sie spann Tag und Nacht , bis sie so viel erübrigt hatte , um vom Kohlenmathes die Kukuksuhr , die ihren Eltern gehört hatte , wieder zu kaufen . Jetzt hatte sie doch auch wieder ein Stück eigenen Hausrath . Aber der Kukuk hatte Noth gelitten in der Fremde , er hatte die Hälfte seiner Stimme verloren , die andere Hälfte blieb ihm im Halse stecken ; er rief nur noch » Kuk , « und so oft er das that , setzte Amrei in der ersten Zeit immer das andere » Kuk « fast unwillkürlich hinzu . Als Amrei darüber klagte , daß die Kukuksuhr nur noch halb tönte und überhaupt nicht mehr so schön sei wie in ihrer frühen Kindheit , da sagte die Marann' : » Wer weiß , wenn man in späteren Jahren das wieder bekäme , was Einen in der Kindheit ganz glücklich gemacht hat , ich glaube , es hätte auch nur noch den halben Schlag wie deine Kukuksuhr . Wenn ich 's dich nur lehren könnte , Kind ! Aber so etwas kann man nicht schenken . Es hat mich viel gekostet , bis ich's gelernt habe : Wünsch' dir nichts von gestern . Viel Schweiß , viel Thränen . Und du wirst 's auch nicht anders kriegen . Häng' dich an Nichts , an keinen Menschen und an keine Sache , dann kannst du fliegen . « Die Reden der Marann ' waren wild und scheu zugleich und sie kamen nur heraus in der Dämmerzeit , wie das Wild im Walde . Es gelang Amrei nur schwer , sich an sie zu gewöhnen . Die schwarze Marann ' konnte das Kukukrufen nicht leiden und hing das Schlaggewicht an der Uhr ganz aus , so daß die Uhr nur noch mit dem Pendelschlag hin und herpickte , aber keine Stunde mehr laut angab . Der schwarzen Marann' war das Sprechen der Uhr zuwider , ja sogar das Ticken störte sie und die Uhr blieb endlich ganz unaufgezogen , denn die Marann' sagte , sie habe allzeit die Uhr im Kopf und es war in der That wunderbar wie das eintraf . Sie wußte zu jeder Minute anzugeben , wie viel es an der Zeit sei , obgleich ihr das sehr gleichgültig sein konnte ; aber es lag eine besondere Gewecktheit in der Harrenden und wie sie immer hinaushorchte , um ihren Sohn kommen zu hören , so war sie eigenthümlich wach , und obgleich sie Niemand im Dorfe besuchte und mit Niemand sprach , wußte sie doch Alles , selbst das Geheimste was im Dorfe vorging . Sie errieth es aus der Art , wie sich die Menschen begegneten , aus abgerissenen Worten . Und weil dies wunderbar erschien , war sie gefürchtet und gemieden . Sie bezeichnete sich selbst gern nach einem landläufigen Ausdruck als eine » alterlebte Frau , « und doch war sie äußerst behend . Jahraus jahrein aß sie täglich einige Wachholderbeeren und man sagte : davon sei sie so munter und man sehe ihr ihre 66 Jahre nicht an . Eben daß jetzt die beiden Sechse beisammen standen , brachte sie auch nach einem alten Wortspiele in den Ruf einer Hexe , obgleich man nicht mehr recht daran glauben wollte . Man sagte : sie melke ihre schwarze Ziege oft stundenlang und diese gebe immer gar viel Milch , aber die schwarze Marann ' ziehe während sie melke nur immer den Kühen dessen , den sie hasse , die Milch aus dem Euter ; besonders auf des Rodelbauern Vieh habe sie es abgesehen . Und die große Hühnerzucht , die die schwarze Marann ' trieb , galt auch für Hexerei ; denn woher nahm sie das Futter dazu , und woher konnte sie immer Eier und Hühner verkaufen ? Freilich sah man sie oft im Sommer Maikäfer , Heuschrecken und allerlei Würmer sammeln , und in mondlosen Nächten wie ein Irrlicht durch die Gräben schleichen ; sie trug einen brennenden Span und sammelte die Regenwürmer die da herausschlichen , und murmelte allerlei dabei . Ja , man sagt , daß sie in stillen Winternächten mit ihrer Ziege und ihren Hühnern , die sie bei sich in der Stube überwinterte , allerlei wunderliche Gespräche hielte . Das ganze von der Schulbildung verscheuchte wilde Heer der Hexen- und Zaubergeschichten wachte wieder auf und wurde an die schwarze Marann' geheftet . Amrei fürchtete sich auch manchmal in langen stillen Winternächten , wenn sie spinnend bei der Marann ' saß und man nichts hörte als manchmal das verschlafene Glucksen der Hühner und ein traumhaftes Mekern der Ziege ; und es erschien in der That zauberisch , wie schnell die Marann ' immer spann . » Ja , « sagte sie einmal , » ich meine , mein Johannes hilft mir spinnen , « und doch klagte sie wieder , daß sie in diesem Winter zum Erstenmal nicht mehr so ganz und immer an ihren Johannes denke . Sie machte sich Vorwürfe darüber und sagte : sie sei eine schlechte Mutter und klagte , es wäre ihr immer , als wenn ihr die Gesichtszüge ihres Johannes nach und nach verschwinden , und als ob sie vergesse , was er da und da gethan habe , wie er gelacht , gesungen und geweint und wie er auf den Baum geklettert und in den Graben gesprungen sei . » Es wäre doch schrecklich , « sagte sie , » wenn Einem das nach und nach so verschwinden könnte , daß man nichts Rechtes mehr davon weiß , « und sie erzählte dann Amrei mit sichtlichem Zwang alles bis auf's Kleinste und Amrei war es tief unheimlich , immer und immer wieder von einem Todten so reden zu hören , als ob er noch lebte . Und wieder klagte die Marann' : » Es ist doch sündlich , daß ich gar nicht mehr weinen kann um meinen Johannes . Ich habe einmal gehört , daß man um einen Verlorenen weinen kann , so lang er lebt und bis er verfault ist . Ist er wieder zur Erde geworden , so hört auch das Weinen auf . Nein , das kann nicht sein , das darf nicht sein , mein Johannes kann nicht todt sein ; das darfst du mir nicht anthun , du dort oben , oder ich werf' dir den Bettel vor die Thür . Da , da , vor meiner Thür , da sitzt der Tod , da ist der Weiher und da kann ich mich ersäufen wie einen blinden Hund , und das geschieht , wenn du mir das anthust ; aber nein , verzeih mir 's guter Gott , daß ich so wider die Wand renne , aber mach' da einmal eine Thür' auf , mach' auf und laß meinen Johannes hereinkommen . O die Freud' ! Komm , da setz' dich her , Johannes . Erzähl' mir gar nichts , ich will gar nichts wissen , du bist da ; und jetzt ist 's gut . Die langen langen Jahre sind nur eine Minute gewesen . Was geht 's mich an , wo du gewandert bist ? Wo du gewesen bist , da bin Ich nicht gewesen , und jetzt bist du da . Und ich lasse dich nicht mehr von der Hand bis sie kalt ist . O Amrei , und mein Johannes muß warten , bis du groß bist , ich sag' weiter nichts . Warum red'st du nichts ? « Amrei war die Kehle wie zugeschnürt . Es war ihr immer , als ob der Todte dastünde , gespensterhaft ; auf ihren Lippen ruhte das Geheimniß und sie konnte es anrufen und die Decke fiel ein und alles war begraben . Manchmal war die Marann ' aber auch gesprächsam in anderer Weise , obgleich Alles auf dem einen Grunde ruhte , auf dem Andenken an ihren Sohn . Und schwer stellte sich hier die Frage der Weltordnung heraus : » Warum hier ein Kind todt , auf das die Mutter wartet , so zitternd , mit ganzer Seele wartet , und ich und mein Dami wir sind verlorene Kinder , möchten so gern die Hand der Mutter fassen und diese Hand ist Staub geworden ? « ... Das war ein dumpfes mächtiges Gebiet , wohin das Denken des armen Kindes getrieben wurde und es wußte sich nicht anders aus dem Wirrsal zu helfen , als indem es leise das Einmaleins vor sich hin sagte . Besonders an Samstagabenden erzählte die schwarze Marann' gern . Nach altem Aberglauben spann sie am Samstagabend nie , da strickte sie immer , und wenn sie eine Geschichte zu erzählen hatte , wickelte sie zuerst ein gut Theil von ihrem Garnknäuel ab , um nicht aufgehalten zu sein und dann erzählte sie am Faden fort ohne Unterbrechung . » O Kind , « schloß sie dann oft , » merk ' dir Etwas , in dir steckt ja auch ein Einsiedel : wer gut grad fort leben will , der sollte ganz allein sein , Niemand gern haben und von Niemand was mögen . Weißt du , wer reich ist ? Wer nichts braucht , als was er aus sich hat . Und wer ist arm ? Wer auf Fremdes wartet , was ihm zukommt . Da sitzt Einer und wartet auf seine Hände , die ein Anderer am Leib hat , und wartet auf seine Augen , die einem Andern im Kopf stecken . Bleib' allein für dich , dann hast du deine Hände immer bei dir , dann brauchst du keine anderen , kannst dir selber helfen . Wer auf Etwas hofft , was ihm von einem Andern kommen soll , der ist ein Bettler ; hoffe nur etwas vom Glück , von einem Geschwister , ja von Gott selbst ; du bist ein Bettler , du stehst da und hälst die Hand auf bis dir etwas hineinfliegt . Bleib' allein , das ist das Beste , da hast du Alles in Einem ; allein , o wie gut ist Allein ! Schau , tief im Ameisenhaufen liegt ein klein winziger funkelnder Stein , wer den findet , kann sich unsichtbar machen und kann ihm Niemand was anhaben ; aber das kriecht durcheinander , wer findet ihn ? Und es giebt ein Geheimniß in der Welt , aber wer kann 's fassen ? Nimm 's auf , nimm 's zu dir . Es giebt kein Glück und kein Unglück . Jeder kann sich Alles selber machen , wenn er sich recht kennt und die andern Menschen auch , aber nur unter Einem Beding : er muß allein bleiben . Allein ! Allein ! Sonst hilft 's nichts . « Aus dem Tiefsten langjähriger schwerer Vereinsamung heraus gab die Marann ' dem eben erst aus dem Kinde entwachsenen Mädchen noch halbverschlossene Worte ; das Mädchen konnte sie nicht fassen ; aber wer weiß , was auch von Halbverstandenem in aufmerksam offener Seele haften bleibt ? Und nach wildem Umschauen fuhr die schwarze Marann ' fort : » O könnt' ich nur allein sein ! Aber ich habe mich vergeben , ein Stück von mir ist unterm Boden und ein anderes läuft in der Welt herum , wer weiß wo ? Ich wollt' ich wäre die schwarze Ziege da . « So freundlich und hell auch die schwarze Marann ' begann , immer ging der Schluß ihrer Rede wieder in dumpfes Hadern und Trauern über , und sie , die allein sein wollte , an Nichts denken und Nichts lieben , lebte doch nur im Denken an ihren Sohn und in der Liebe zu ihm . Amrei ergriff ein entscheidendes Mittel , um aus diesem unheimlichen Alleinsein mit der schwarzen Marann ' erlöst zu werden ; sie verlangte , daß auch Dami ins Haus genommen werde , und so heftig sich die schwarze Marann ' auch dagegen wehrte , Amrei drohte , selber das Haus zu verlassen und schmeichelte der schwarzen Marann ' so kindlich und that ihr was sie an den Augen absehen konnte , bis sie endlich nachgab . Dami , der vom Krappenzacher das Wollstricken gelernt hatte , saß nun mit in der elterlichen Stube ; und Nachts , wenn die Geschwister auf dem Speicher schliefen , weckte Eines das Andere , wenn sie die schwarze Marann ' drunten murmeln und hin- und herlaufen hörten . Durch die Uebersiedelung Dami's zur schwarzen Marann ' kam indeß neues Ungemach . Dami war überaus unzufrieden , daß er dies elende Handwerk , das nur für einen Krüppel tauge , habe lernen müssen ; er wollte auch Maurer werden , und obgleich Amrei sehr dagegen sprach , denn sie ahnte , daß ihr Bruder nicht dabei aushalten werde , bestärkte ihn die schwarze Marann' darin . Sie hätte gern alle jungen Bursche zu Maurern gemacht , um sie in die Fremde zu schicken , damit sie Kundschaft erhalte von ihrem Johannes . Die schwarze Marann ' ging selten in die Kirche , aber sie liebte es , wenn man ihr Gesangbuch entlehnte , um damit in die Kirche zu gehen ; es schien ihr ein eigenes Genügen , daß ihr Gesangbuch dort sei , und eine besondere Freude hatte sie , wenn ein fremder Handwerksbursch , der im Ort arbeitete , das zurückgebliebene Gesangbuch des Johannes zu gleichem Zweck entlehnte ; es schien ihr als ob ihr Johannes bete in der heimathlichen Kirche , weil aus seinem Gesangbuch die Worte gesprochen und gesungen wurden , und Dami mußte nun jeden Sonntag zweimal mit dem Gesangbuch des Johannes in die Kirche . Ging aber die schwarze Marann ' nicht zur Kirche , so war sie bei Einer Feierlichkeit im Dorfe selbst und in den Nachbardörfern immer zu sehen . Es gab nämlich kein Leichenbegängniß , bei dem die schwarze Marann ' nicht leidtragend mitging und bei Predigt und Einsegnung , selbst am Grabe eines kleinen Kindes , weinte sie so heftig , als wäre sie die nächste Angehörige ; aber dann war sie auf dem Heimweg immer wieder ganz besonders aufgeräumt ; dieses Weinen schien ihr eine wahre Erleichterung zu sein . Sie schluckte das ganze Jahr so viel stille Trauer hinunter , daß sie dankbar dafür war , wenn sie wirklich weinen konnte . War es nun den Menschen zu verargen , daß sie sie für eine unheimliche Erscheinung hielten und zumal da sie noch dazu ein Geheimniß gegen sie auf den Lippen hatten ? Auch auf Amrei ging ein Theil dieser Gemiedenheit über , und in manchen Häusern , wo sie sich helfend oder mittheilend auf Besuch einstellte , ließ man sie nicht undeutlich merken , daß man ihre Anwesenheit nicht wünsche , zumal da sie schon jetzt eine Seltsamkeit zeigte , die Allen im Dorf wunderbar vorkam . Sie ging mit Ausnahme des höchsten Winters stets barfuß und man sagte , sie müsse ein Geheimmittel haben , daß sie nicht krank werde und sterbe . Nur in des Rodelbauern Haus wurde sie noch gern geduldet ; war ja der Rodelbauer ihr Vormund . Aber die Rodelbäuerin , die sich ihrer immer angenommen und ihr versprochen hatte , sie einst zu sich zu nehmen , wenn sie erwachsen sei , konnte diesen Plan nicht ausführen . Sie selber wurde von einem Andern angenommen ; der Tod nahm sie zu sich . Während sonst erst im späteren Leben sich die Schwere des Daseins aufthut , wie da und dort ein Anhang abfällt und nur noch ein Gedanken daran verbleibt , erfuhr dies Amrei schon in der Jugendfrühe und heftiger als alle Angehörigen weinten die schwarze Marann ' und Amrei bei dem Begräbniß der Rodelbäuerin . Der Rodelbauer klagte immer fast nur , wie herb es sei , daß er jetzt schon das Gut abgeben müsse . Und noch war keines seiner drei Kinder verheirathet . Aber kaum war ein Jahr vorüber – der Dami arbeitete schon den zweiten Frühling im Steinbruch – als eine Doppelhochzeit im Dorfe gefeiert wurde ; denn der Rodelbauer verheirathete seine älteste Tochter und zugleich seinen einzigen Sohn dem er am Hochzeitstage das Gut übergab ; da wurde Amrei eben auf dieser Doppelhochzeit neu benamt und in ein anderes Leben übergeführt . Auf dem Vorplatz des großen Tanzbodens waren die Kinder versammelt und während die Erwachsenen drin tanzten und jauchzten , ahmten die Kinder hier das Gleiche nach . Aber seltsam ! mit Amrei wollte kein Knabe und kein Mädchen tanzen , und man wußte nicht , wer es zuerst gesagt , aber man hatte es gehört , daß eine Stimme rief : » Mit dir tanzt Keiner , du bist ja das Barfüßele « und : » Barfüßele ! Barfüßele ! Barfüßele ! « schrie es nun von allen Seiten . Amrei stand das Weinen in den Augen , aber hier übte sie schnell wieder jene Kraft , mit der sie Spott und Kränkung bezwang ; sie drückte die Thränen hinab , faßte hüben und drüben ihre Schürze , tanzte mit sich allein herum und so zierlich , so biegsam , daß alle Kinder inne hielten . Und bald nickten die Erwachsenen unter der Thür einander zu , und ein Kreis von Männern und Frauen bildete sich um Amrei und besonders der Rodelbauer , der sich an diesem Tage doppelt gütlich gethan , schnalzte mit den Händen und pfiff lustig den Walzer , den die Musik drin aufspielte , und Amrei tanzte unaufhörlich fort und schien gar keine Müdigkeit zu kennen . Als endlich die Musik verstummte , faßte der Rodelbauer Amrei an der Hand und fragte : » Du Blitzmädle , wer hat dich denn das so schön gelehrt ? « » Niemand . « » Warum tanzest du denn mit Niemand ? « » Es ist besser man thut's allein , da braucht man auf Niemand zu warten und hat seinen Tänzer immer bei sich . « » Hast schon was von der Hochzeit bekommen ? « fragte der Rodelbauer wohlgefällig schmunzelnd . » Nein . « » Komm herein und iß , « sagte der stolze Bauer und führte das arme Kind hinein und setzte es an den Hochzeitstisch , auf den immerfort den ganzen Tag aufgetragen wurde . Amrei aß nicht viel und der Rodelbauer wollte sich den Spaß bereiten , das Kind trunken zu machen , es erwiderte aber keck : » Wenn ich noch mehr trinke , kann ich nicht mehr allein gehen und die Marann ' sagt : allein ist das beste Fuhrwerk , da ist immer eingespannt . « Alles staunte über die Weisheit des Kindes . Der junge Rodelbauer kam mit seiner Frau und fragte das Kind neckisch : » Hast du uns auch ein Hochzeitgeschenk gebracht ? Wenn man so ißt , muß man auch ein Hochzeitgeschenk bringen . « Der Hochzeitsvater steckte in unbegreiflicher Großmuth dem Kinde bei dieser Frage heimlich einen Sechsbätzner zu . Amrei aber behielt den Sechsbätzner fest in der Hand , nickte gegen den Alten und sagte dann dem jungen Paare : » Ich hab' das Wort und ein Drangeld . Eure Mutter selig hat mir immer versprochen , daß ich bei ihr dienen und niemand Anders als ich Kindsmagd bei ihrem ersten Enkelchen sein soll . « » Ja , das hat die Bäuerin selig immer gewollt , « sagte der Alte und redete zu . Was er aus Furcht , daß er die Waise dann versorgen müsse , seiner Frau ihr Lebenlang versagt hatte , das that er jetzt , wo er ihr keine Freude mehr damit machen konnte , und gab sich vor den Leuten den Anschein , als ob er's zu ihrem Gedenken thue . Aber er that 's auch jetzt noch nicht aus Güte , sondern in der richtigen Berechnung , daß die Waise ihm , dem entthronten Bauer , der ihr Pfleger war , dienstgefällig sein werde , und die Last ihrer Versorgung , die die bloße Ablohnung überstieg , fiel Anderen zu , nicht ihm selber . Die jungen Brautleute sahen einander an , und der junge Rodelbauer sagte : » Bring ' morgen dein Bündel in unser Haus . Du kannst bei uns einstehen . « » Gut , « sagte Amrei , » morgen bring ' ich mein Bündel ; aber jetzt' möcht ich mein Bündel mitnehmen . Gebet mir da ein Fläschchen Wein und das Fleisch will ich einwickeln und es der Marann' und meinem Dami bringen . « Man willfahrte Amrei , aber der alte Rodelbauer sagte ihr jetzt leise : » Gieb mir meinen Sechsbätzner wieder . Ich hab' gemeint , du willst ihn schenken . « » Ich will ihn als Drangeld von Euch behalten , « erwiderte Amrei schlau , » und Ihr werdet sehen , ich will ihn euch schon wett machen . « Der Rodelbauer lachte halb ärgerlich in sich hinein und Amrei ging mit Geld , Wein und Fleisch davon zu der schwarzen Marann ' . Das Haus war verschlossen , und es war ein großer Abstand , zwischen dem lauten musikschallenden Lärmen und Schmausen im Hochzeithause und der stillen Oede hier . Amrei wußte , wo sie die Marann ' erwarten konnte auf ihrem Heimwege ; sie ging fast immer nach dem Steinbruch und saß dort eine Zeitlang hinter der Hecke und hörte zu wie Spitzhammer und Meisel arbeiteten . Das war ihr wie eine Melodie , die aus den Zeiten klang , wo Johannes einst auch hier gearbeitet hatte und da saß sie oft lange und hörte es picken . Amrei traf hier richtig die Marann ' und noch eine halbe Stunde vor Feierabend rief sie auch den Dami aus dem Steinbruch und hier draußen bei den Felsen wurde ein Hochzeitmahl gehalten , fröhlicher als drin bei der rauschenden Musik . Besonders Dami jauchzte laut und die Marann' that auch heiter , nur trank sie keinen Tropfen Wein , sie wollte nicht eher einen Tropfen Wein über die Lippen bringen , als bis zur Hochzeit des Johannes . Als Amrei nun unter Heiterkeit erzählte , daß sie einen Dienst bei dem jungen Rodelbauer bekommen habe und morgen antrete , da erhob sich die schwarze Marann ' in wildem Zorn und einen Stein aufhebend und ihn an die Brust drückend sagte sie : » Es wäre tausendmal besser , ich hätte dich da drinnen , so einen Stein , als ein lebendig Herz . Warum kann ich nicht allein sein ? Warum habe ich mich wieder verführen lassen , Jemand gern zu haben ? Aber jetzt ist's vorbei , auf ewig ! Wie ich den Stein da hinunterschleudere , so schleudere ich fort alle Anhänglichkeit an irgend einen Menschen . Du falsches treuloses Kind ! Kaum kann es die Flügel heben , fort fliegt's . Aber es ist gut so , ich bin allein und mein Johannes soll auch allein bleiben , wenn er kommt , und es ist Nichts was ich gewollt hab ' . « Und fort rannte sie dem Dorfe zu . » Es ist doch eine Hexe , « sagte Dami hinter ihr drein , » ich will den Wein nicht mehr trinken , wer weiß ob sie ihn nicht verhext hat . « » Trink ' du ihn nur , sie ist eine strenge Eigenbrätlerin und hat ein schweres Kreuz auf sich ; ich will sie schon wieder gut machen . « So tröstete Amrei . 7. Die barmherzige Schwester . Das war nun ein volles Leben im Hause des Rodelbauern . Barfüßele , so hieß man nun fortan Amrei , war zu allem anstellig und wußte sich gleich bei Allen beliebt zu machen : sie wußte der jungen Bäuerin , die fremd in's Dorf und in's Haus gekommen war , zu sagen , was hier der Brauch sei , lehrte sie die Eigenschaften ihrer nächsten Angehörigen kennen und sich danach richten , und dem alten Rodelbauer , der den ganzen Tag trotzte und sich nicht zufrieden geben konnte , weil er sich so frühe zur Ruhe gesetzt , wußte sie allerlei Gefälligkeiten zu erweisen und ihm zu erzählen , wie gar gut die Söhnerin sei , und es nur nicht so von sich zu geben wisse ; und als nach kaum einem Jahre das erste Kind kam , zeigte sich Amrei darüber so glücklich und in allen Erfordernissen so geschickt , daß Jedes im Hause ihres Lobes voll war ; aber nach Art dieser Leute so voll , daß man sie bei dem kleinsten Ungeschick eher dafür auszankte , als daß man sie je in der That lobte . Aber Amrei wartete auch nicht darauf ; und namentlich dem Großvater wußte sie das erste Enkelchen immer so gut zuzutragen und zur geschickten Zeit wieder zu entziehen , daß man seine Freude daran haben mußte . Beim ersten Zahne des Enkels , den sie dem Rodelbauer zeigen konnte , sagte dieser : » Ich schenke dir einen Sechsbätzner , weil du mir die Freude machst . Aber weißt du ? den , den du mir gestohlen hast an der Hochzeit ; jetzt darfst du ihn ehrlich behalten . « Dabei war aber die schwarze Marann ' nicht vergessen . Es war allerdings ein schwer Stück Arbeit , mit ihr wieder in's Geleise zu kommen . Die Marann' wollte vom Barfüßele nichts mehr wissen , und ihre neue Herrschaft wollte es nicht dulden , daß sie zu ihr hinginge , besonders nicht mit dem Kinde , da man noch immer fürchtete , daß ihm durch die Hexe ein Leid geschehe . Es bedurfte großer Kunst und Ausdauer , um diese Feindseligkeit zu besiegen ; aber es gelang dennoch . Ja , Barfüßele wußte es dahin zu bringen , daß der Rodelbauer die schwarze Marann ' mehrmals besuchte . Das wurde als ein wahres Wunder im ganzen Dorf berichtet . Aber die Besuche wurden bald wieder eingestellt , denn die schwarze Marann ' sagte einmal : » Ich bin jetzt bald siebzig Jahre und ohne die Freundschaft eines Großbauern ausgekommen ; es ist mir nicht der Mühe werth , das noch zu ändern . « Auch Dami war natürlich oft bei seiner Schwester , aber der junge Rodelbauer wollte das nicht dulden , denn er sagte nicht mit Unrecht , er müsse dadurch den großgewachsenen Burschen auch ernähren , man in einem solchen Hause nicht aufpassen , ob ein Dienstbote ihm nicht allerlei zustecke . Er verbot daher außer Sonntag Nachmittags Dami den Besuch des Hauses . Dami hatte indeß selbst zu sehr in das Behagen hineingeschaut , in einem so reich erfüllten Bauernwesen zu stehen ; ihm wässerte der Mund danach , auch so mitten drinn zu sein und sei es nur als Knecht . Das Steinmetzenleben war gar so hungrig . Barfüßele hatte viel zu widersprechen ; er solle bedenken , daß er nun schon das zweite Handwerk habe und dabei bleiben müsse ; das sei nichts , daß man immer wieder Anderes anfange und glaube , dabei sei man glücklich ; man müsse auf dem Fleck , auf dem man steht , es sein , sonst werde man es nie . Dami ließ sich eine Zeitlang beschwichtigen , und so groß war bereits die unwillkürliche Geltung Barfüßele's , und so natürlich die Annahme , daß sie für ihren Bruder sorge , daß man ihn immer nur » des Barfüßele's Dami « hieß , als wäre er nicht ihr Bruder , sondern ihr Sohn , und doch war er um einen Kopf größer als sie , und that nicht als ob er ihr unterthan sei . Ja , er sprach es oft aus , wie es ihn wurme , daß man ihn für geringer halte als sie , weil er nicht solch Maulwerk habe . Die Unzufriedenheit mit sich und seinem Beruf ließ er zuerst und immer an der Schwester aus . Sie trug es geduldig , und weil er nun vor der Welt zeigte , daß sie ihm gehorchen müsse , gewann sie dadurch nur immermehr an Ansehen und Uebermacht in der Oeffentlichkeit . Denn Jeder sagte : es sei brav von dem Barfüßele , was sie an ihrem Bruder thäte , und sie stieg dadurch noch , daß sie sich von ihm gewaltthätig behandeln ließ , während sie für ihn sorgte wie eine Mutter . Sie wusch und nähte ihm in den Nächten , daß er zu den Saubersten im Dorf gehörte , und bei zwei Paar Rahmenschuhen , die sie als Theil ihres Lohnes jedes halbe Jahr bekam , hatte sie beim Schuhmacher noch daraufbezahlt , damit er solche ihrem Dami mache , und sie selber ging allzeit barfuß und nur selten sah man sie einmal des Sonntags in Schuhen in die Kirche gehen . Barfüßele hatte viel Kummer davon , daß Dami , man wußte nicht wie , allgemeine Zielscheibe des Spottes und der Neckerei im Dorfe geworden war . Sie ließ ihn scharf darum an , daß er das nicht dulden solle , er aber verlangte : sie möge es den Leuten wehren und nicht ihm , er könne nicht dagegen aufkommen . Das war nun nicht thunlich , und innerlich war es dem Dami auch eigentlich gar nicht unlieb , daß er überall gehänselt wurde ; es kränkte ihn zwar manchmal , wenn Alles über ihn lachte und viel Jüngere sich etwas gegen ihn herausnahmen , aber es wurmte ihn noch weit mehr , wenn man ihn gar nicht beachtete , und dann machte er sich gewaltsam zum Narren und gab sich der Neckerei preis . Bei Barfüßele dagegen war allerdings die Gefahr , der Einsiedel zu werden , den die Marann ' immer in ihr erkennen wollte . Sie hatte sich an eine einzige Gespielin angeschlossen , es war die Tochter des Kohlenmathes , die aber nun schon seit Jahren in einer Fabrik im Elsaß arbeitete und man hörte nichts mehr von ihr . Barfüßele lebte so für sich , daß man sie gar nicht zur Jugend im Dorfe zählte ; sie war mit ihren Altersgenossen freundlich und gesprächsam , aber ihre eigentliche Gespielin war doch nur die schwarze Marann ' . Und eben weil Barfüßele so abgeschieden lebte , hatte sie keinen Einfluß auf das Verhalten Dami's , der , wenn auch geneckt und gehänselt , doch immer des Anschlusses bedürftig war und nie allein sein konnte wie seine Schwester . Jetzt aber hatte sich Dami plötzlich ganz frei gemacht , und eines schönen Sonntags zeigte er seiner Schwester die Drangabe , die er bekommen hatte , denn er hatte sich als Knecht zum Scheckennarr von Hirlingen verdungen . » Hättest du mir das gesagt , « sagte Barfüßele , » ich hätte einen bessern Dienst für dich gewußt . Ich hätte dir einen Brief gegeben an die Landfriedbäuerin im Allgäu , und da hättest du 's gehabt wie der Sohn vom Haus . « » O schweig' nur von der , « sagte Dami hart , » die ist mir nun schon bald dreizehn Jahr ein paar lederne Hosen schuldig , die sie mir versprochen hat . Weißt du noch ? Damals , wie wir klein gewesen sind und gemeint haben , wir könnten noch klopfen , daß Vater und Mutter aufmachen . Schweig' mir von der Landfriedbäuerin , wer weiß , ob die noch mit Einem Wort an uns denkt , wer weiß ob sie gar noch lebt . « » Ja sie lebt noch , sie ist ja eine Verwandte von meinem Haus und es wird oft von ihr gesprochen , und sie hat alle ihre Kinder verheirathet bis auf einen einzigen Sohn , der den Hof kriegt . « » Jetzt willst du mir nur meinen neuen Dienst verleiden , « klagte Dami , » und sagst mir , ich hätte einen bessern kriegen können . Ist das recht ? «