Erster Teil Erstes Buch Erstes Kapitel Es war in dem Jahre des Jubiläums 1575 , als sich die Familie Accoromboni in einem Gartenhause in dem anmutigen Tivoli aufhielt , um dort , während der heißen Monate , die frische Kühle , den Anblick der Wasserfälle und die schöne Aussicht auf den stürzenden Teverone und die zauberischen Hügel der reichen Landschaft zu genießen . Die Mutter der Familie , eine große stolze Matrone , noch im Alter kräftig und nicht ohne Spuren ehemaliger Schönheit , regierte , obgleich nicht reich , ihr Haus mit so vieler Umsicht und Kenntnis , daß Anstand und Fülle sich zeigte , und Fremde gern in dieser Familie verweilten , wo sie Bildung , musikalisches und poetisches Talent und selbst Gelehrsamkeit antrafen . Diese Mutter , eine edle Römerin von hoher Gestalt , war die beseelende Kraft des Hauses , denn ihre mächtige Gegenwart gebot allen Bekannten und Fremden Ehrfucht . Sie war stolz auf ihre edle Abkunft , sowie auf ihre Kinder . Sie stammte von einem alten adlichen Geschlecht , und ihr Gatte Accoromboni war in Rom ein angesehener Rechtsgelehrter gewesen , der für die Großen , sowie den Staat die wichtigsten Angelegenheiten verwaltet , bedeutende Prozesse mit Ehren geführt und gewonnen hatte . Schon dessen Vater hatte als Rechtsgelehrter die Liebe und Achtung der Römer gewonnen und beide Männer standen in vielfachem Verkehr mit Fürsten , den Patriziern und den berühmten Gelehrten und Schriftstellern in allen italienischen Staaten . So war das Haus der Accoromboni bekannt und besucht , und selten kam ein ausgezeichneter Fremder nach Rom , der sich nicht der stattlichen Mutter der Familie hätte vorstellen lassen . Die meiste Befriedigung fand die hohe Frau aber in ihrer Familie und in Gesellschaft ihrer Kinder . Der älteste Sohn war durch seine Beschützer , unter welchen der große Kardinal Farnese obenan stand , schon Abt , und die Mutter rechnete darauf , ihn bald als Bischof begrüßen zu können , wohl gar etwas später ihm im Purpur des Kardinals ihre Verehrung zu bezeigen , denn er war als Gelehrter geachtet und als feiner Weltmann beliebt . Marcello , der zweite Sohn , war wild und unbändig , streifte oft viele Tage im Gebirge umher , ohne nachher der Mutter Rechenschaft abzulegen , wo und mit wem er seine Zeit zugebracht habe . Sosehr die Mutter mit dem stolzen Blick aus dem großen blauen Auge alle Menschen zur Ehrfurcht und gewissermaßen zum Gehorsam zwang , sowenig vermochte sie über das starre Gemüt dieses Marcello , der sich zu erniedrigen glaubte , wenn er einem Weibe gehorchte . Sie hatte allen ihren Einfluß anwenden wollen , diesem Unbeugsamen die Stelle eines Hauptmanns in der Garde des Papstes zu verschaffen , er selber aber hatte am meisten dagegen gearbeitet , weil er seine Freiheit noch nicht aufopfern und sich keiner Disziplin fügen wollte . Flaminio , der jüngste Sohn , schien ganz das Gegenteil von jenem . Er war schmiegsam , fein gebaut , zart in seinem Wesen , fast mädchenhaft , ein verehrender Diener seiner Mutter , deren Wink und Blick ihm Gebote waren . So war er der Geschäftige , alles Besorgende im Haushalt , der Aufseher der Dienerschaft , der Bote über Land , der Ratgeber anderer Jünglinge und der Liebling junger Mädchen , um deren Wohlwollen er aber , so freundlich er in seinem Betragen war , sich nicht sonderlich bemühte . Denn es schien , daß er seine ganze Liebe dem jüngsten Wesen in der Familie , seiner holdseligen Schwester Vittoria , oder Virginia , wie sie auch zuweilen genannt wurde , zugewendet hatte . Ein Fremder , der sie beobachtete , hätte ihn eher für den verliebten Bräutigam , als den Bruder der lieblichen Erscheinung halten sollen . Diese Vittoria glänzte wie ein Wunder , oder wie eines jener Bilder aus der alten Zeit , die der entzückte Beschauer , einmal gesehn , niemals wieder vergessen kann . Kaum in das siebenzehnte Jahr getreten , war sie fast schon so groß wie ihre Mutter , ihr Antlitz war blaß und nur mit leichter Röte gefärbt , die oft , bei selbst schwacher Bewegung des Gemütes völlig entfloh , oder sich , schnell wechselnd , so seltsam erhöhte , daß sie dann als ein anderes , dem vorigen fast unähnliches Wesen erschien . Ihr zart geformter Mund glühte in rubinroter Farbe ; sein Lächeln unendlich erfreuend , sein Zürnen oder Schmollen erschreckend . Die längliche , sanft gekrümmte Nase hatte den edelsten Charakter im Oval des schönen Antlitzes , und die Augenbrauen fein gezogen , dunkelschwarz , belebten den Ausdruck des feurigen Auges . Ihr Haar war dunkel , und hatte im Lichte Purpurschimmer , es floß geregelt über Nacken und Schulter : saß sie nach denkend , die langen schneeweißen Finger in die Fülle des Haares halb vergraben , so hätte Tizian kein holderes Modell zu seinem schönsten Bildnisse antreffen können . Aber weder Tizian , noch irgendein Maler hätten den Blick des Auges , das fast schwarz zu nennen war , den Ausdruck und das Feuer desselben auch nur schwach andeuten können . Dieser Ernst des Blickes , dieser Tiefsinn , dann wieder die aufblühende Freundlichkeit übten einen seltsamen Zauber , das Zornfeuer war selbst dem Frechen unerträglich . Es war ein liebliches Naturspiel , daß die langen Augenwimpern fast blond , oder gelb waren , so daß sie wie Strahlen in der Bewegung blitzten , oder so wundersam schimmerten , wie jene lichten Goldstrahlen , die wir zuweilen an altgriechischen Bildnissen der Minerva wahrnehmen . Wie mit beschränkten Mitteln die verständige Mutter Julia allen ihren Kindern auch eine gute Erziehung , Unterricht und Wissenschaft hatte geben können , so war doch Vittoria , diese hohe Erscheinung , ihr Liebling , und diejenige , auf welche sie ihre stolzesten Hoffnungen gründete . Sie selber war oft über den früh gereiften Verstand dieses ihres Kindes erstaunt , sie mußte das Gedächtnis bewundern , in welchem Vittoria alles Gelesene und Gelernte aufbewahrte , wie sich die Mutter nicht weniger des Talentes erfreute , welches aus den Versen der Tochter hervorleuchtete . Die Familie saß im Saale beisammen , als Marcello seinen Hut und Mantel nahm , den Degen umgürtete , und von der Mutter Abschied nehmen wollte , indem diese mit ernster Miene fragte : » Wohin wieder ? « » Freunde , Bekannte besuchen « , erwiderte der ungestüme Jüngling ; » der Morgen ist so schön , und ihr alle werdet mich nicht vermissen . « » Man hat mir sagen wollen « , erwiderte die Mutter , » du haltest im Gebirge mit dem verdächtigen Ambrosio Umgang . Der rohe Mensch soll ja mit jenen Banditen in Verbindung stehn , die in der Gegend von Subiaco streifen . « » Ei ! meine Mutter « , sagte Marcello , » man nennt heutzutage alles Banditen , was nicht Schulmeister , Priester , oder Advokat ist . Und doch plündern diese oft mehr , als jene freien Menschen die sich zuzeiten aus sehr gegründeten Ursachen mit dem langweiligen Staate überworfen haben , und unter denen man angesehene Grafen , tugendhafte Leute , ja Männer antrifft , die von fürstlichen Häusern abstammen . « » Mein Sohn « , sagte Julia sehr ernst und nahm dem übermütigen Sohne den Hut aus der Hand , den sie auf den Tisch legte : » du sprichst , wie ein unbesonnener Knabe , der weder mit Welt noch Moral bekannt ist : magst du kindisch bleiben , wenn das dein Stolz ist , nur das vergiß niemals , daß dein herrlicher Vater , so wie dein verehrter Großvater Advokaten waren . « » Gewiß nicht « , sagte Marcello , » stehn doch ihre Namen in so manchem verdrießlichem Buche verzeichnet , daß man schon deshalb versucht wird , ein ganz entgegengesetztes Metier zu ergreifen . « Hastig riß er den Hut vom Tische hinweg , und sprang so eilig aus der Tür , daß der Mutter die beginnende Rede auf der zürnenden Lippe erstarb . Flaminio stand auf und schloß die Türe wieder , die der Fortstürmende in seiner eilenden Hast offen gelassen hatte . Vittoria sah von ihrem Buche auf , um mit einem sanften Lächeln dem Auge der Mutter zu begegnen . » Was denkst du , mein Kind ? « fragte Julia . » Ich bin schon seit lange der Überzeugung « , antwortete die Tochter , » daß man den Burschen gewähren lassen muß . Er sucht einen männlichen Stolz und Trost darin , dir nicht zu gehorchen , sondern zu widersprechen : je mehr du also ermahnst , je mehr sucht und findet er Gelegenheit , das zu tun , was du verbietest . Zeigst du dich seinetwegen unbekümmert , so wird er von selbst zur Vernunft zurückkehren , weil er sich dann einbilden kann , als freier Mensch zu handeln . « » Wenn nur nicht vorher Unglück geschieht « , bemerkte die Mutter seufzend . » Das , wie alles , muß man der Vorsehung anheimstellen « , sagte Vittoria , » denn er ist doch der Erziehung und Ermahnung entwachsen . « » Woher nur « , fing die Mutter wieder an , » hat der Knabe diese Unbändigkeit ? Sein Vater war milde und sanft , nachgiebig , folgsam , ein Feind alles wilden ungestümen Wesens : die Ruhe und Gesetztheit selbst . – Von wem ? « » Gewiß von dir « , sagte Vittoria lachend . Die Mutter stand auf , ging nach dem Fenster , sah in die Landschaft hinaus , kehrte dann um , betrachtete die Tochter ganz nahe mit großen Augen und sagte kurz und schneidend : » Von mir ? « Vittoria ließ sich nicht irremachen , schloß ihr Buch , legte es in die Kapsel und sagte ruhig : » So denke ich mir die Anstammung dieses tobenden Blutes . Dein fester Sinn , dein großes , starkes Gemüt , dein edles Wesen , das für seine Überzeugung Blut und Leben hingeben würde , ist in ihm als Mann in diese jugendliche Roheit umgeschlagen , die sich später selber erziehn wird . War ich doch auch ein wildes Kind , und gewiß warst du nicht allzu zahm , als du noch mit deinem Püppchen spieltest . « » Du magst recht haben « , antwortete die Mutter , » mir ist der Gedanke noch nicht eingefallen . Freilich vergessen wir nur allzuleicht in späteren Verhältnissen , wie wir in unsern frühesten Jahren waren . Ich habe da wieder den Camillo Mattei gesehen « , fing die Matrone von neuem an ; » er schien auf unser Haus zuzugehn : ich weiß nicht , was er immer hier will . « » Er ist ja ein allerliebstes Kind « , sagte Vittoria erfreut ; » man neckt sich mit ihm so hübsch , er ist dabei so ehrlich und treu , daß man ihn liebhaben muß . « – » Was soll er uns ? « fragte Julie , und wendete das Haupt unwillig ab ; » er ist unwissend , einfältig , von geringem Herkommen ; nun liegt er schon dem armen Weltpriester , seinem Ohm , seit Wochen zur Last : kann er nicht nach Rom zu seinen Eltern , den Bürgersleuten zurückkehren , um seine Schulstudien fortzusetzen ? « » Laß ihn , liebe Mutter « , bat Virginia , » er gefällt mir , und uns allen im Hause ; unsere Familie ist als eine gastfreundliche bekannt ; sollen wir bei diesem guten Mattei eine Ausnahme machen ? Frage nur unsre Amme , oder unsern alten Guido , wie gut und lieb dieser immer freundliche Camillo ist . « Die Mutter zwang sich heiter zu erscheinen , als Camillo eintrat , sich demütig verbeugte und schüchtern stehnblieb , bis sich Flaminio zu ihm gesellte , und ihm einen Sessel in seiner Nähe anbot . » Camillo « , fing Vittoria an , » Ihr habt neulich die Zeichnungen von den Bildern sehen wollen , die der Kardinal Farnese in seinem neuen Schlosse Caprarola von Zuccheri hat malen lassen : seht , hier ist das schöne Buch , er hat es uns gestern geschickt . « Camillo blätterte und sagte dann etwas beschämt : » Ich verstehe zuwenig von diesen großen und sinnreichen Sachen . Und an diesen Kämpfen und Schlachten kann ich mich vollends nicht erfreuen . Freilich wohl , die Schlacht des Konstantin , oder Attila von Raffael – « » Läppischer Mensch ! « rief Vittoria , halb zürnend und halb lachend , » wenn er mit Raffael kommt , muß sich alles verkriechen . Und doch meint der Kardinal wohl , und sein Maler noch mehr , er könne es mit dem jungen Manne und seinen vatikanischen Zimmern aufnehmen , und stehe auf der Leiter der Kunst noch einige Stufen höher . Und diese Bilder hier aus dem Saale des Schlafs und der Träume sind auch echt poetisch ; diese herrlichen Erfindungen werden immer als Muster gelten können . « » Kann alles sein « , erwiderte Camillo etwas verdrießlich : » es ist aber ein so schöner klarer Morgen , und dabei noch gar nicht heiß , daß wir lieber mit den verehrten Damen einen Spaziergang machen sollten . « Die Mutter nahm ihren Sonnenhut , und Vittoria folgte ihrem Beispiel . » Gehn wir dann nach der Villa Este « , sagte die Matrone , » und besehen einmal wieder die Herrlichkeiten des neuen Palastes und alle die Künste und Schönheiten des Gartens . « » O nein ! « rief Vittoria unwillig , » alle diese kleinen Springbrunnen und Bildchen in Marmor , so fein gelegt und geschnitzt – wären nicht die Zypressen hingesetzt , die doch dazwischen ein ernstes Wort reden , so wäre diese Anstalt ganz unerfreulich . Nein ! hin zu den allerliebsten Wasserfällen ! Zu Mäcens Villa , der Neptuns-Grotte , da löst sich unser Herz und Gemüt , und die liebliche , unendlich schöne Natur faßt mich wie ein großer Dichter vertraulich bei der Hand , und sagt mir so herzliche , rührende , erhebende und lustige Dinge in mein horchendes Ohr , wie sie in keinem Buche und in keiner Handschrift stehn . « Flaminio führte die Mutter und Camillo ging an der Jungfrau Seite . Man konnte es ihm ansehn , daß er sich neben der hohen schönen Gestalt beschämt und klein fühlte , und doch zugleich geschmeichelt , daß er mit ihr so vertraulich wandeln durfte . Als sie in die Nähe der Wasserfälle gekommen waren , setzte sich die Mutter mit ihrem Sohne in den Schatten der Olivenbäume , und ließ ihr Auge sinnend an den Formen der schönen ölbekränzten Hügel umherschweifen . Vittoria aber sprang an ihr vorüber , um sich in der Nähe des Wassers zu ergötzen . » Wie vieles wißt Ihr « , fing Camillo leise an , » wie Unermeßliches – und ich – – « » Laßt alle den Kram « , rief Vittoria übermütig und ging schneller . » O seht die alltäglichen Wunder dieser Landschaft und diese Wasser , diese Märchen und goldenen Fabeln , die es nicht müde werden , sich immer wieder selbst alles das poetische Zeug vorzuerzählen , und die uns doch , sosehr wir sie auswendig wissen , immer neu bleiben . Hier laßt uns Kinder sein , wahre Kinder , die sich immer in ihrem Spielwerk vergessen . « Indem lief ihr ein Kaninchen vorüber , in den Berg hinein . Vittoria sprang ihm nach , und warf einen buntgefärbten Ball , den sie bei sich trug , dem kleinen weißen Tiere nach . Der Ball rollte den Hügel hinab , nach dem Flusse zu , der sich hier mit Brausen von bedeutender Höhe in die Tiefe stürzte , und mit seinem Strudel unten einen Trichter bildete , den viele die Grotte des Neptun nannten . Aus Furcht , der Ball möchte vom Strudel fortgeführt werden , rannte sie so eilig hinab , daß Camillo ihr kaum folgen konnte , aber auch so unbesonnen , daß sie , unten angelangt , und sich zu eilig und stark nach dem glänzenden Spielzeuge hinabbeugend , wirklich in den tosenden Strudel stürzte . Überwältigt und besinnungslos schrie Camillo laut auf und stürzte sich nach , erfaßte die schöne Gestalt , die sich nur eben noch an einem vorragenden Gesteine festhielt , fiel hart auf das Geklipp , und rang sich mit der Beute , Brust an Brust verzweifelnd gedrängt , empor : er gewann Kraft , und schneller , als es sich spricht , hatte er sich mit ihr gerettet . Unbewußt und mit der Verzweiflung Riesenkraft trug der Kleinere die größere Gestalt fort , zwar nur wenige Schritte empor , aber doch enfernt genug , um in Sicherheit im blitzenden Grase neben der Geretteten ruhen zu können . Die Strahlen des nahen Wasserfalles spritzten , abstäubend vom fernen Fels wie Staub , oder gewebter farbiger Glanz über ihre Körper und Angesichter . Leichenblaß , aber still lächelnd , saß Vittoria im Grase , dankbar blickte sie ihren Retter an , und reichte ihm die zitternde Hand . Camillo , erschrocken noch und entzückt , taumelnd , betäubt , küßte die dargebotene schöne Rechte mit Inbrunst . - » Wie kann ich dir lohnen ? « fragte sie . - » So ! « rief er aus , indem der Blöde , Verschämte , brennende Küsse auf die schönen Lippen drückte . – Sie schwieg , wehrte ihn nicht ab , und nur , als der Berauschte von neuem und heftiger begann , wandte sie das Antlitz ab und schlug ihn lächelnd mit den glänzenden Fingern auf seinen heißen Mund . Jetzt besann er sich , und es wurde ihm nun erst möglich , sie zu sehn und zu betrachten . Der Hut war mit dem Balle in den Wogen verlorengegangen , die schwarzen Locken des Haares waren aufgelöst , noch floß und triefte das Wasser vom Haupte , der schöne Busen mit seinen jugendlichen festen Marmorhügeln war fast ganz frei und glänzte blendend im lichten Dämmer , das Baum und Fels lieblich verbreiteten , an Leib und Hüfte schmiegte sich , die herrliche Form bezeichnend , das nasse Gewand , und so erschien sie dem Jüngling , wie man wohl die Nymphen der Quellen in schönen Gemälden abbildet , oder Amphitriten selbst , die hehre Gemahlin des göttlichen Neptun , der sie vielleicht vor wenigen Augenblicken von Liebe betört in seiner Grotte hatte zu sich entraffen wollen . Sie erfreute sich des Spiels , welches die Sonnenstrahlen in Dunst und Nebel des stäubenden Wassers trieben , denn viele glänzende Regenbogen tanzten und wogten wie selbstständige Wesen im aufgelösten Kristall . » Sieh , Camillo ! « rief sie freudig aus , » ich halte die Fabel und das Unmögliche hier sichtbar in meiner Hand . Ja , ich kann sogar , so spielen die Geister der Natur , dir sichtlich und körperlich diese bunt glänzende Woge hinreichen , das lachende Kind der Sonne . Und sieh ! zu meinen Füßen spielen ebenso im Grase die lieblichen , neckischen Gespenster , die Tages-Irr lichter , die dem Apollo mit freundlicher Widerspenstigkeit aus dem Dienst gelaufen sind . Und nun noch , Freund , hat uns der Waldvogel von drüben zum besten , der schreit ein höhnendes Triumphlied , als wenn wir ins Wasser gefallen wären , um uns unter die Fische anwerben zu lassen . « » Aber « , sagte Camillo zögernd und warnend , » wir müssen zur Mutter zurück und nach Hause ; du wirst dich erkälten , und davon und vom Schreck krank werden . « » Der Schreck ist längst verschwunden « , sagte sie , indem sie sich zögernd erhob und ihr Busentuch ordnen wollte , dessen Verlust sie erst jetzt mit einer kleinen Beschämung gewahr wurde . » Ja wohl müssen wir zurück « , sagte sie dann mit leiser Stimme . - » Müssen wir ? – O über alles dies Müssen in unserer Alltagswelt . Freilich , die Fabel fliegt fort mit Schmetterlingen , Schwalben und Nachtigallen , wir kommen immer an das letzte Wort auch des schönsten Gedichtes , machen das Buch zu und legen es in den hölzernen Schrank . Nach dem herrlichsten Gesang erschallt die heisere Stimme des elenden Dieners , und ladet die Gesellschaft an den Eßtisch . Muß denn das alles so sein ? Oder könnten wir nicht mit einem Gott oder einem hohen Geist ein Pactum schließen , daß es anders sich gestaltete ? « Camillo sah sie mit großen Augen an , und führte sie an der Hand den hohen und steilen Berg hinauf . Flaminio kam ihnen oben mit der Mutter schon entgegen . Wie erschraken beide , als ihnen Camillo mit kurzen , eiligen Worten das Abenteuer und die überstandene Gefahr erzählte . Flaminio erblaßte und ward so schwach , daß er sich an einen Baum lehnen mußte . Die Mutter ergoß sich in Danksagung und Lob Camillos über seine Kühnheit und Geistesgegenwart . » Kommt mit uns « , beschloß sie , » teuerster Freund , kleidet Euch um , Flaminio wird Euch von seinen Kleidern geben , wärmt Euch in einem Bett , trinkt glühenden Wein und laßt Euch unsre Pflege gefallen . « Nein ! nein ! « rief Camillo , » Eure Güte und huldreiche Freundlichkeit erkenne ich mit Dank , aber ich bedarf sie nicht . Ich fühle vom Wasser nichts , die Sonne scheint warm , ich laufe zu meinem Oheim , der gar nicht weit ist , und kleide mich um . Meine Wonne , daß ich Euch so habe dienen und Euch Eure herrliche Tochter retten können . Ein unverdientes Glück ! « So lief er fort , und die Matrone , ohne zu sprechen , führte ihre Kinder nach ihrem Hause . Vittoria war nachdenkend und Flaminio tief gerührt . Als Camillo zu seinem alten Oheim kam und ihm die sonderbare Begebenheit erzählte , sagte der verdrießliche Mann : » Immer Kindereien getrieben , die zum größten Unheil ausschlagen können . Wenn ihr nun beide ertrunken und vom Strudel verschlungen wärt ! Ich hab es dir schon oft gesagt : der Umgang mit diesem hochmütigen Volke ziemt dir einfachem Bürgerkinde nicht . Was kannst du von ihnen erlangen ? Du wirst mit deinem Stande unzufrieden werden und deine Zeit verlieren , und wenn du jeden Tag mit Leib-und Lebensgefahr einen von ihnen aus dem Wasser ziehst , hast du keinen Dank davon . Das geht mit Kardinälen und Baronen um ; wenn der hochnasige Abt , der älteste Bruder einmal herkommt , sieht er mich kaum über die Achsel an . Der lange Mensch wird mir niemals etwas zu Gefallen tun , sosehr ich mich auch vor ihm demütige . – Jetzt in deine Kammer da hinein ! Zieh dich aus , kriech ins Bett , daß du warm wirst , ich will dir das Essen hineinschicken . « Camillo gehorchte ihm gern , nur um mit sich allein zu sein . Fast ohne zu wissen , was er tat , kleidete er sich aus , legte sich nieder , und träumte die Begebenheit immer wieder von neuem . » Gott im Himmel ! « sprach er zu sich selbst : » wer bin ich ? Und sie hat mich du genannt . Diesem himmlischen Munde habe ich Küsse rauben dürfen , und , ich habe es im Taumel wohl gefühlt , sie hat mich wiedergeküßt . Nachher wendete sie sich weg , aber wie freundlich , wie zärtlich ! Und das Angesicht ! der Busen ! O was kann Marmor , Farbe nachbilden , wenn die Wahrheit , das Leben sich uns nahe und wirklich so hinstellt ! – Ich habe gelebt . – Diesen Körper nahe am meinigen gefühlt , gedrückt , das Pochen ihres Herzens empfunden . – Und – der eine Augenblick – wo sich das Gewand weghob im Emporringen , und Bein und Knie sich entblößten . – Kann ich diesen Glanz je wieder vergessen ? Wird die Erinnerung daran mich nicht elend , wohl gar rasend machen ? – Wie matt ist Licht und Schimmer und Farbe und glänzendes Weiß gegen den Glanz und die Herrlichkeit , die uns der Körper eines schönen Weibes offenbart ! Und diesen Himmel , einmal geschaut , will das Auge immer wieder sehn . – Wozu noch leben ? Diese Momente kehren niemals , niemals wieder . – Hätte ich nicht vielleicht besser getan , mich mit ihr vom Strudel nieder in den ewig dunkeln Abgrund hinunterwälzen zu lassen ? Sie zu morden , statt sie zu retten ? Wissen wir denn , was der Tod ist ? Mir wäre er Wollust , Himmel , Seligkeit gewesen , wenn auch im Grauen der Verzweiflung . « So phantasierte Camillo und konnte weder den Schlaf finden , noch wirklich wach sein . Zweites Kapitel Da die Familie Accoromboni sehr viele Bekannte und Freunde hatte , vorzüglich im nahen Rom , so war es natürlich , daß alle diejenigen , die von ihnen wußten , bald durch das Gerücht jene Begebenheit erfuhren , und zwar mit Übertreibungen , so daß manche glauben mußten , die junge und schöne Vittoria sei der Welt durch einen frühzeitigen Tod entrissen worden . Die Mutter , welche ihre tiefe Rührung verbarg , da sie die Äußerung einer jeden Schwäche scheute , hoffte den jungen Camillo bald wiederzusehn , und ihm noch einmal Dank zu sagen , und bei ihm selbst zu erforschen , auf welche Art sie ihm vielleicht auf seinem künftigen Lebenswege nützlich sein könne . Als er aber nicht erschien , ward sie besorgt , und Vittoria noch mehr , daß der Jüngling wohl erkrankt sein könne , denn sie konnten nicht glauben , daß er , ohne von ihnen Abschied zu nehmen , nach Rom zurückgereiset wäre . In dieser Erwartung sagte die Mutter zur Tochter an einem Morgen : » Mein Kind , es ziemt sich nicht , daß wir uns um den jungen Menschen , dem wir dein Leben zu danken haben , so gar nicht kümmern . Er ist arm , seine Eltern , wie ich gehört habe , leben in der Stadt nur sehr kümmerlich , man sagt , daß er sich dem geistlichen Stande widmen soll , wir müssen also irgendeine Summe ihm oder seinen Eltern einhändigen , damit er seine Studien bequemer fortsetzen könne , und ihn nachher einigen unsrer wohlwollenden Gönner dringend empfehlen , damit er bald zu einer einträglichen Stelle befördert werde , so daß er nachher seine armen Eltern selber unterstützen kann . Bei solchen Gelegenheiten kehrt mir immer wieder der Wunsch zurück , daß ich reich sein möchte , um durch meine Wohltat das Glück eines solchen Hülfsbedürftigen auf dauernde Weise gründen zu können . Auf jeden Fall werde ich ihm die hundert Scudi geben , die ich neulich für unerwartete Fälle von meinem Ersparnis zurücklegen konnte . Empfehlung , wenn sie wirksam ist , kann nachher als eine große Summe angerechnet werden . Was meint ihr , Kinder , Flaminio und du , Vittoria , zu dieser meiner Absicht ? « Flaminio stimmte unbedingt der Mutter bei , doch Vittoria schüttelte lächelnd den Kopf , so daß die Mutter sie betroffen ansah und mit ihrem forschenden Blicke ihre Meinung erraten wollte . » Nein ! nein ! « rief das lebhafte Mädchen , » glaubt mir nur , unser Camillo ist ganz anders , als wie ihr ihn euch denkt . Ich habe ihn seit lange beobachtet und kenne ihn ganz genau . So blöde das junge Wesen scheint , so schwachgemut und ungewiß in seinem Denken und Tun , was vielleicht daher komme , daß sein Charakter noch nicht ausgebildet ist , so stolz ist doch dieser Jüngling , so daß er gewiß , verwundet und gekränkt , diese Wohltat , die ihm wohl gar als eine Bezahlung erscheinen möchte , ausschlagen würde . Glaube auch nicht , liebe Mutter , daß es sein Wunsch ist , ein Geistlicher zu werden . Er hat mir schon vor einigen Monaten in Rom bekannt , daß ihm dieser Stand verhaßt sei ; Soldat möchte er werden , oder als Handelsmann auf Reisen gehn , eine Seefahrt versuchen und fremde Länder sehn . Wunderliche Schicksale der Seeleute , der großen Feldherren und Condottieri – das reizt ihn , solche Bücher , wie das alte Gedicht von dem Feldhauptmann Piccinini , liest er am liebsten , und versäumt , wie er nur irgend kann , Messe und Gottesdienst , so daß ihm auch viele seiner Schulgenossen feind sind und ihn erbost nur den Ketzer und Lutheraner nennen . – Und dann – hundert Scudi ! Liebe Mutter – wenn ich nun doch einmal bezahlt werden soll bin ich denn nicht mehr wert ? Diese Taxe ist allzu gering , dafür schlage ich mein Hündchen noch nicht einmal los . « » Törichtes Wesen ! « sagte die Mutter lächelnd , » wie kindisch du zuweilen sprechen kannst , da dich doch viele kluge Männer in manchen Stunden wegen deines Verstandes bewundern wollen . Das Unbezahlbare , das Höchste läßt sich niemals mit Münze ausgleichen , das weiß ich so gut , wie du . Aber eben deswegen muß ein Leben , wie das des Kindes , das die Mutter , wenn es entflohen ist , nicht mit Millionen zurückkaufen kann , mit Dank , mit Kleinigkeit , mit Hülfe erwidert und belohnt werden . Der Wohltäter fühlt dies auch selbst und nimmt das , was Freundschaft reicht , wenn er es bedarf , mit Rührung an , als wenn es ein großer Schatz wäre . Sind wir doch immerdar mit dem Leben und den Elementen , die uns beherrschen , im Kampf : kann ich dem Nebenmenschen diesen erleichtern , so tue ich , selbst durch eine Kleinigkeit , etwas Gutes . « » Alles wahr « , sagte Vittoria , » aber darum ist auch in diesem Falle , der so gewichtig ist , Wohlwollen und Freundschaft , ein Entgegenkommen im Vertrauen , ein kindliches und brüderliches Verhältnis , so daß ein solcher Wohltäter mit zur Familie gehört – für den Zartfühlenden der wahre Dank und die größte Belohnung . So sollten wir mit diesem freundlichen und bescheidenen Camillo sein , und auch in Rom seine arme Eltern manchmal sehn , die sich gewiß durch solche Auszeichnung sehr geschmeichelt und beglückt fühlen würden . « Die Mutter stand auf , und ging heftig im Saale auf und ab . » Also dahin sollte es kommen ? « sagte sie und setzte sich wieder langsam in den Sessel . » Vielleicht bereitet sich uns allen von diesem Zufalle aus ein trauriges Schicksal . Eben alles dies , was du mir deklamierend hergesagt hast , wollte ich vermeiden und unmöglich machen , weil ich das menschliche Herz besser kenne als du . Weil sich so natürlich ein vertrauliches Verhältnis , eine brüderliche Annäherung aus solchem Unglück entwickelt , weil für dieses ein eigentlicher Dank und eine Belohnung unmöglich sind : so will der erst so großmütige Wohltäter nur gar zu leicht das gerettete Wesen selbst an Zahlungs Statt , und vernichtet so seinen Dienst , indem er sich das Liebste eigennützig zum Opfer bestimmt ; die Gerettete ist oft im Überschwang des Dankes schwach genug , eine solche Schuldforderung anzuerkennen , ohne einzusehn , daß sie auf diesem Wege nur später eines andern Todes stirbt . Und sollte ich dich je auf diese Weise verlieren können , so wäre es mir eben auch nicht schmerzlicher , wenn dich die rasenden Wogen dort verschlungen hätten . Gerade darum muß nun dieser Mattei unser Haus so wenig wie möglich betreten ; wir sind ihm zum höchsten Dank verpflichtet , aber wir müssen uns ihm mehr als je entfremden : er muß fühlen , daß wir in verschiedenartigen Elementen leben , und daß unsere Lebenskreise sich niemals berühren können . « » Ihr überrascht mich , Mutter « , sagte Vittoria hoch errötend . » Nein , ich bin diesem kleinen freundlichen Camillo so gut , fast wie unserm Flaminio da – aber deswegen – – was du andeutest Frau Julia , davon könnte ja niemals die Rede sein . Du sagst , du kennst das menschliche Herz besser als ich – kann sein ; aber ich kenne mein eigenes Herz , mein Wesen , das dir doch vielleicht in einigen Teilen noch fremd und unbekannt ist . « » Wie die Jugend in ihrer Unerfahrenheit spricht ! « antwortete die Matrone nicht ohne Heftigkeit . » Dein Herz ! dein Wesen ! Hast du denn schon etwas der Art , da du noch gar kein Schicksal , keinen großen , mächtigen Schmerz erfahren und erlebt hast ? Ehe das Eisen geschmolzen , gehärtet und gehämmert wurde , ist es eine unscheinbare Erdscholle , ohne elastische Kraft , Schneide und Widerstand . Dein Wesen ist nur noch Traum und Ahnung ; was du bis jetzt warst und geworden , ist nur noch Widerschein meines Geistes , Denkens und meiner Erfahrung . Glaube mir , Kind , es schlafen in uns gräßliche Gespenster , tief im Hintergrund unserer Seele , wohin der Blick der spielenden Jugend und die vorlaute Phantasie niemals reicht . Man lernt alle Menschen früher als sich selber kennen . Wäre nun dieser Camillo immerdar um dich , gewöhnte sein Gemüt so an deinen Umgang , daß dieser ihm zu seinem Dasein unentbehrlich würde , und du wolltest ihn nun als einen Überlästigen abschütteln , so würde er aus Eitelkeit , verletztem Gefühl , Zärtlichkeit und Kränkung in eine solche tödliche Leidenschaft geraten , so in Wut , Eigennutz und Aufopferung rasen , so vor deinen Augen hinsterben , daß dein Mitleid , Kummer , Gewissen , die Vorwürfe , die du dir machtest , dein eignes Wesen dir ganz verhüllen könnten , daß du auch auf eine Zeitlang glaubtest , dieselbe Leidenschaft zu empfinden , und du zu spät deine Aufopferung bereutest . Glaube mir , alles dies geschieht , sogar nicht selten , und so erwachsen nur zu oft aus scheinbarer Liebe die unglücklichsten Ehen . In gewissen Stimmungen werfen wir unser Selbst und Heiligstes mit mehr Leichtsinn hinweg , als wir dem gierigen Hunde den Knochen hinschleudern . Eine freie und edle Wahl , meine Vittoria , muß deine Vermählung mit einem ausgezeichneten und hochstehenden Manne herbeiführen , er muß deiner wert sein , so daß dein reiches Wesen durch ihn gewinnt . Dazu gehört vor allen Dingen , daß er dich versteht , daß er die Welt und den Adel echter Geister kennt ; ein solcher muß dich erheben , du nicht ihn . Das dürftigste Schicksal , das kläglichste , entwickelt sich in den Ehen , in welchen das Weib höher steht , als der Mann . « Vittoria hatte ihr feuriges Auge sinken lassen , ihr schönes Haupt ruhte zwischen beiden Händen , indem sie die Arme auf den Tisch stützte , so daß die fließenden Haare dunkel , wie eine Wolke , niederwallten . Plötzlich sah sie auf , wie von einem Traume erwachend , und erschrak fast , als sie ihren Bruder Flaminio in der Nähe erblickte . Sie stand auf , flüsterte dem Bruder leise etwas zu , worauf dieser das Zimmer verließ . » Was hast du , Tochter ? « fragte die erstaunte Mutter . Ich wollte dir nur sagen « , erwiderte sie , » und das sollte mein junger Bruder nicht hören , daß ich gar nicht , niemals heiraten will und werde . « » Du hast heute deinen törichten Tag « , erwiderte jene : » kann mein Kind sich so etwas vornehmen oder beschließen ? « » Ich sehe wohl , Mutter « , sagte Vittoria tief bewegt , » daß du mich , trotz deiner Liebe , nur geringe schätzest . Was nützen uns Bücher , der Umgang mit verständigen Männern , die Kenntnis der Vorzeit und alles , was uns die edelsten Geister singen und sagen , wenn das alles nur wie an Klötzen und Steinen vorübergeht und nicht zu unserem Geiste sagt : stehe auf , die Morgenstunde ist da , rufe aus allen Kammern deines Herzens und Gehirns die Diener , daß sie an die Arbeit gehn , daß in den Wellen des Blutes Entschlüsse und Kräfte erwachen , die das Geistige , Unsichtbare in Tat und Wahrheit verwandeln ! Ja , Mutter , und so bin ich geworden , bin so geschaffen , daß ich ein Grauen vor allen Männern empfinde , wenn ich den Gedanken fasse , daß ich ihnen angehören , daß ich ihnen mit meinem ganzen Wesen mich aufopfern soll . Sieh sie doch nur an , auch die Besten , die wir kennen , auch die Vornehmsten : wie dürftig , arm , unzulänglich und eitel sind alle , wenn sie alle Verlegenheit der ersten Besuche ablegen und sich so recht frei und offen zeigen . Diese klägliche Lüsternheit , die aus allen Zügen spricht , wenn das Wort Liebe oder Schönheit nur genannt wird ; diese alberne hohnlächelnde Tugend , die jene andern , welche für moralisch gelten wollen , zur Schau tragen ; diese Dienstbeflissenheit und das Kriechen vor den Weibern , die sie doch in ihrem Herzen verachten – o weh ! wenn ich in diesen Gesellschaften meine Heiterkeit behalten soll , so muß ich mich in einen Traum von Leichtsinn hüllen und meine Beobachtung zum Schlaf einwiegen . Und diesen Herzlosen , Gelangweilten , Geldgierigen , nach Ehrenstellen , und Lob der Großen Durstenden soll ich das Kleinod meines reinen Leibes , meiner Keuschheit und Unschuld hingeben , wie man sich Tisch , Gefäß , Buch oder sonst ein Totes aneignet ? Und – nur mit Entsetzen kann ich an diese Aufgabe unsers Lebens denken – wie aus einem Schrank , wie aus lebendigem Sarge soll mir unter Qualen ein Wesen genommen werden , das ich bin und doch nicht bin , das in seinem ersten materiellen Blödsinn mich ebensowenig kennt , vielleicht weniger , wie die Nelke , die ich in meinem Scherben erziehe . O mir graut , nur davon zu sprechen . Und dies Leiden , den Graus , den Abscheu zu erleben , wirklich zu erleben , ich ertrüg es nicht ! Wie sehr tatest du recht , Mutter , mir unsere Bandello , Boccaz und den leuchtenden Ariost nicht zu verschließen , wie manche Eltern tun , denn statt zu verlocken , hat sich diese sogenannte Liebe , die immer nach diesem entsetzlichen Ziele strebt , die berühmte allwaltende Leidenschaft mir nur verhaßt gemacht . « » Welche Unnatur ! « rief die Mutter aus , » Kind , deine entartete Phantasie ist es nur , die dir Grauen erregt , nicht diese Bedingung des Lebens selbst , die durch göttliche wie menschliche Gesetze ihre Weihe , wie alles Heilige , erhalten hat . « » Ich verstehe ja auch « , erwiderte die Tochter , » den Willen Gottes und der Natur , ich verehre diese Satzung und begreife ihre Notwendigkeit – aber warum soll ich mich ebenfalls dem Ausspruch fügen und nicht zurücktreten dürfen , wie so viele Priester , Nonnen und Heilige ? « » Und in ein Kloster wolltest du dich vergraben , du lebensmutiges Kind ? « » Nein , Mutter « , rief Vittoria aus , » lieber sterben ! Ich verehre die Ehe ; bist du , herrliche Julia , doch Mutter geworden , und Mutter vieler Kinder ; muß ich dir doch dafür danken , da ich nur durch dich in dies freundliche Dasein gerufen wurde . Laß mich gewähren . Vielleicht erzieht mich Zeit und Erfahrung noch anders . Du meinst , der Mann müsse höher stehn , als das Weib . Noch habe ich keinen gesehn , der sich dir nur vergleichen dürfte ; meinen teuern Vater habe ich nicht gekannt und kann mir kein Bild von ihm machen ; aber müßte ich durchaus dem Gesetz nachgeben , so scheint mir vielmehr ein Mann , wie Camillo , meiner Ehe zu passen , den ich eigentlich ohne alle Bitterkeit unter mir fühle . « » Ich werde noch lange « , sagte die Matrone , » über unser Gespräch und deine sonderbaren Meinungen nachzudenken haben . Demjenigen , was allem Lebensreiz , bewußt und unbewußt , der Poesie und aller Kunst zum Grunde liegt , dem willst du entsagen , und doch bist du für Malerei und Poesie begeistert , doch hast du Sinn für die männliche Schönheit : wie willst du mit deiner Unnatur dich in geselligem lebenden Kreise bewegen ? « » Mit Mut und Entschlossenheit macht sich alles « , erwiderte die Tochter mit heiterer Miene . » Gestern noch las ich das hübsche Büchelchen von der Tullia d' Aragon , › Über die Unendlichkeit der Liebe . ‹ – Sieh , diese weltberühmte Frau hat sich niemals vermählt , und wurde von der ganzen Welt vergöttert , in Bildnissen verherrlicht , und der große Bembo , der herrliche Poet Bernard Tasso und so viele andere berühmte Namen haben ihr gehuldigt . « » Kind ! Kind ! « sagte die Mutter mit schwerem Seufzer – » wohin gerätst du ? Dieses Wesen , so schön , so poetisch sie war , durfte sich an Tugend und Hoheit niemals mit der vermählten Colonna und andern Dichterinnen vergleichen : Du weißt auch , daß sie zum Teil deshalb bekannt und beliebt war , weil ihre Sitten , so sagt man , sich durch Leichtsinn auszeichneten ; ihre platonische Liebe soll mehr als einmal zur irdischen herabgestiegen sein , und so könnte , weil auch du schön bist , dein Eigensinn dich statt zur Gattin , zur Buhlerin machen . « Vittoria legte der Mutter den Finger auf den Mund und sagte : » Bitte ! bitte ! Was sagt die Welt nicht alles von großartigen Frauen . Ich denke mir , daß sie ein schönes reines Leben führte , das Edelste jener Gelehrten , Fürsten und Dichter sich aneignete , die zu ihren Füßen saßen . Hat nicht der ernste pedantische Orthodox , der alte Speron Sperone in Padua einen eigenen Dialog über die Liebe geschrieben , wo sie auftritt und von dem großen Bernardo Tasso verehrt und gepriesen wird . Dieser herrliche Dichter verleugnete auch nie , daß sie seine Göttin war . « » Vergiß nicht « , sagte die Matrone , » daß der finstere Sperone damals jünger war , und daß er gewissermaßen in einem spätern moralischen Dialog alle jene Äußerungen und Meinungen zurückgenommen hat . « » Um so schlimmer für ihn ! « rief die Tochter aus , » denn was einmal wahres Eigentum unsers Geistes war , sollen wir niemals wieder weggeben . Wer gegen sich selbst nicht treu ist , kann es gegen niemand sein . Wer sich verleugnet , wird auch das Göttliche verleugnen . Da helfen sie sich denn freilich mit den traurigen eisernen Schranken einer dürren Moral und einer mißverstandenen Religion . « – » Camillo vergessen wir ganz darüber « , sagte die Mutter , indem sie aufstand . Sie ging in die Gesindestube , und fühlte , daß dieses Gespräch eine Epoche ihres Lebens bilde , denn sie war dadurch in eine ganz andere Stellung zu ihrer Tochter gerückt worden . Diesen strengen Geist des eben erst aufgeblühten Kindes hatte sie nicht geahnet , sie sah jetzt ein , daß der poetische Leichtsinn , das Harmlose des schönen Wesens , der oft kindliche Übermut ebensoviel Vorsatz , als Temperament war . Sie sorgte jetzt , das Düstere der Vorstellungen möchte einst über die Heiterkeit den Sieg davontragen . Schwanken wir nicht immerdar , sagte sie zu sich , an der Grenze des Wahnsinns hin ? Arbeit , Pflicht , Scherz und Andacht müssen uns immerdar zerstreuen , um nicht in den stets offnen Abgrund hineinzutaumeln , wie sie vor wenigen Tagen dort in den Wassersturz . Sie sendete Ursula , die alte Amme , da Flaminio nicht zugegen war , zum Weltpriester hin , um zu erfahren , ob Camillo Mattei nicht gar von jenem Wagnis krank geworden sei , da er noch immer nichts von sich hatte hören lassen . Die berührige geschwätzige Alte freute sich , in dem kleinen Orte , in welchem sie nur wenige Unterhaltung fand , wieder einmal eine neue Bekanntschaft zu machen . Nachdem sie ihre Kleidung verbessert und einen weißen Schleier umgelegt hatte , begab sie sich in das kleine Haus des Priesters . Der Alte sah verdrießlich von seinem Gebetbuche auf nach der unbekannten Besucherin hin , die sogleich redselig die Grüße ihrer Herrschaft hersagte , und sich dann erkundigte , warum denn der junge , liebenswürdige Mattei noch nicht wieder gekommen sei , um die herzlichsten Danksagungen der ganzen Familie zu empfangen . » Setzt Euch , alte Person , ruht Euch aus « , sagte der Priester ; » das Schwatzen muß Euch sehr müde machen . Mein Neffe , Gott tröste ihn , ist krank . Die junge fröhliche Dame ist , wie ich höre , mit weniger selbst als einem blauen Auge davongekommen . So geht es immer mit den Vornehmen und Reichen : wir armes Gesindel müssen alles ausbaden und den Schaden bezahlen . Das Wasser hat meinem jungen Bengel nicht geschadet , aber beim Hineinspringen ist er so heftig auf die spitzen Steine aufgeschlagen , daß Rücken , Rippen , Hüften , alles ein Schmerz ist . Er hat Beulen und ist so blau gefärbt und angelaufen wie der damaszierte Stahl . – Das wißt Ihr doch von Eurer Jugend her , aus der Naturgeschichte , Ihr altes Kind , daß Steine nicht so weich sind , wie das Wasser ? « » Lieber Himmel , nein « , sagte Ursula , » das habe ich noch nicht vergessen . Ich habe alle meine Herrschaften aufgesäugt , sonst wäre meine gnädige Signora Julia auch wohl nicht so schön geblieben , und alle die Kinder , vorzüglich aber das älteste , der Herr Abbate , mögen mir vielen Verstand und Einsicht , auch Gedächtnis weggesogen haben , womit sie nun in der Welt prunken und Aufsehen erregen , aber diese Kenntnis und Einsicht ist mir doch geblieben . Ja , ehrwürdiger Herr , Steine sind in der Regel hart , aber auf verschiedene Art , nach seiner Temperatur ein jeder ; aber darauf hinstürzen , ist keinem Körper gesund . Sonst hätten die bösen Juden den heiligen Stephanus gar nicht steinigen können , wenn in den Kieseln nicht eine gewisse Harte wäre . « » Eure Kenntnis wandelt auf dem ganz richtigen Wege « , fuhr der Priester fort ; » man freut sich , mit Menschen von Geist und Erfahrung Bekanntschaft zu machen , denn die Welt verdummt immer mehr . Aber meinen Neffen , den haben die Herrschaften , so scheint es mir , verbraucht , denn wenn er auch wiederaufkommen sollte , wird er doch zeitlebens ein Narr bleiben . Da phantasiert und tollt er auf seinem Lager herum , und spricht von den alten heidnischen Göttern , von denen er wenigstens ein Dutzend , so schreit er es aus , da unten im Wasserfall , kennengelernt hat . Dann sagt er zur Abwechselung , er sei selbst eine von den alten Gottheiten , und Euer hochgewachsenes Fräulein habe ihn dazu gestempelt . Er meint in seiner philosophischen Raserei , er hätte sich eigentlich , wenn er Menschenverstand gehabt hätte , neulich umbringen sollen , und die überweise Vittoria zugleich mit , so würden die beiden jetzt in den elysischen Gärten spazierengehn , und die reifsten und süßesten Maulaffenbeeren von den Bäumen herunternaschen . Von der Religion will er nun gar nichts wissen , weil er meint , die könne ihm zu seinem künftigen Fortkommen in der Hölle doch von keinem sonderlichen Nutzen sein , denn Herr Pluto und dessen unterirdische Richter examinierten die Kandidaten nach einem gar andern Katechismus . Kurz , der Bursche ist mir und der ganzen Christenheit dermalen verdorben , und das hat einzig Eure superkluge Herrschaft : zu verantworten , die das junge Blut als einen Pudelhund mit sich nahm , um verlornen Hochmut aus dem Wasser wieder heraufzuholen . Ich habe sogleich den Apotheker müssen kommen lassen , der ihn bepflasterte , und ihm Latwergen und Tränke und Tropfen mitgebracht hat , die ich armer Gesell aus meiner knappen Wirtschaft nun alle bezahlen muß ; alles bittres , verfluchtes , niederträchtiges Zeugs , wo sie mir noch viel Geldes dazugeben müßten , wenn ich sollte überredet werden , das gottlose Höllengesöff hinterzuschlucken . Der einzige greifliche Vorteil bei der ganzen verfluchten Geschichte ist , daß das dumme Lammsgesicht in den ersten zehn Jahren nicht wieder braucht geprügelt zu werden , weil ihm Rücken und Rippen von der remarkablen Geschichte beinah zerquetscht und zertrümmert sind . « » Geistlicher Herr « , sagte Ursula , » Ihr beliebt so klug und so quatsch durcheinanderzusprechen , daß es fast unmöglich ist , Eure Meinung zu kapieren . Wenigstens macht Ihr es den Laien ziemlich schwer . « » Nun , so seht Euch die Bescherung selbst an « , sagte der Geistliche , » wenn Ihr Euch aus meiner Legende nicht zu vernehmen wißt . « Sie gingen in die Kammer , wo der Kranke sich unruhig auf seinem schlechten Lager wälzte . Seine Augen glühten , und als die beiden eintraten , rief er ihnen entgegen : » Teuerster Monsignore Charon , bringt er sie jetzt herüber , meine längst angetraute Gemahlin , die Dame Vittoria ? Ei was ! Ist sie schon seit den kurzen dreihundert Jahren so sehr gealtert , wie muß ich dann erst aussehn , der ich schon vor meiner Geburt ein alter Kerl war ? – Wie ? Runzeln in dem braunen Gesicht ? Warum gerade so ? Kann das Alter denn nicht bloß ehrwürdig erscheinen , warum muß es gerade lächerlich sein ? « » Nein , nein , junges Blut « , rief Ursula unwillig aus ; » ich bin nicht die Herrschaft , ich bin die Amme , die sie großgesäugt hat , darum laßt Eure Pasquinaden und wendet Euch an Gott , damit er Euch gesund mache und Euren verfallenen Verstand wiederherstelle . « » Ihr habt sie mit Eurem Blut , mit Eurer Milch , mit Euren Lebenskräften gesäugt ? « rief der Kranke ; » kommt näher , Musterbild aller Schönheit , denn auf die Weise hat sie ja nur von Euch ihre Vollkommenheiten . Ehe sie selber war , ruhten ihr Auge , die süßtönende Rede , die Himmelslippen , alle die Verse , die sie weiß und selber dichtet , schon in dieser verknöcherten , kastanienbraunen Brust ? O kommt und reicht mir auch etwas von dieser Nahrung , damit ich doch einige Ähnlichkeit mit ihr bekomme . « » Pfui ! « schrie die Alte erbittert , » er sollte doch wenigstens auf eine dezente Art rasen , daß wohlerzogene Frauenzimmer sich über seine Liebesphrasen nicht zu schämen brauchten . « Sie ging böse und scheltend fort und erstattete der Herrschaft nur einen sehr unvollkommenen und verwirrten Bericht . Die Signora Julia schickte durch ihren jüngern Sohn eine bedeutende Summe zum Pfarrer , damit ihm der kranke Neffe nicht zu viele Ausgaben veranlasse , auch sorgte sie dafür , daß ein verständiger Arzt außer dem halbgelehrten Apotheker sich , auf ihre Rechnung , des Leidenden annahm . Auch kühlende Sachen , eingemachte Früchte und andere Erfrischungen besorgte sie , und so hoffte sie , bald von der Besserung und Genesung des Camillo Mattei zu vernehmen . Drittes Kapitel Es hatte sich mit Camillo gebessert . Die kräftige frische Jugend kämpfte das Fieber und die Krankheit nieder . Der Beistand , den ihm die Signora Julia durch ihre Bemühung verschafft hatte , indem sie ihm einen verständigen Arzt sendete , die Beruhigung , die sie durch ihre Unterstützung dem alten Priester gewährte , alles dies hatte die Wiederherstellung des jungen Mannes beschleunigt . Er meldete sich bei der Familie , um seinen Dank abzustatten , und die Mutter empfing ihn freundlich , aber zugleich mit einer gewissen Feierlichkeit . Auch Virginia , von dem strengen , beobachtenden Auge der Mutter beherrscht , hatte einen andern Ton gegen ihn angenommen , als den er bisher gewöhnt war , und so fühlte sich Camillo , der nach jener Szene ganz andere Erwartungen mitgebracht hatte , verletzt und gedemütigt ; er war verlegen , und wenn ihn die Gesellschaft nicht beschämt hätte , so würde er sein Gefühl wohl in heißen Tränen ergossen haben . » Ihr werdet nun wohl « , sagte die Mutter , um das zögernde Gespräch in Bewegung zu setzen , » zu Euren Eltern nach der Stadt zurückkehren , um weiterzustudieren . Seid Ihr erst etwas vorgeschritten , mein lieber junger Freund , so werde ich nicht ermangeln , Euch meinem Sohn , dem Abte , zu empfehlen , ja ich werde vielleicht die Gelegenheit finden , zu Eurem Besten mit dem großen Kardinal Farnese zu sprechen , der jetzt wahrlich , zunächst unserm Heiligen Vater , den größten Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten hat . Zeigt Ihr Euch nun wacker und unterrichtet , darf man später von Eurer Rechtgläubigkeit überzeugt sein , so wird es Euch gelingen , bald in eine einträgliche Stelle versetzt zu werden , von welcher Ihr allgemach höher steigen mögt , um auch Euren teuren Eltern ihre Liebe , und die Opfer , die sie Euch gebracht haben , vergelten und ersetzen zu können . « Vittoria war im Innern über diese wohlgesetzte Rede aufgebracht , aber sie hatte nicht den Mut , in Camillos Gegenwart ihr Erzürnen kundwerden zu lassen , um nicht einen vielleicht unziemlichen Auftritt herbeizuführen . Die Mutter merkte ihre Verstimmung , sie hatte sich aber fest vorgenommen , sich durch nichts in ihrem Entschluß irremachen zu lassen . Camillo erwiderte stotternd und mit hoher Röte im Gesicht : » Signora , ich werde noch acht Tage hier in Tivoli verbleiben , so hat es mir der Arzt befohlen , den Ihr mir zu senden die Gnade hattet . Ich werde dann nach Rom zurückkehren , aber ganz in Zweifel und Ungewißheit , mehr als je , ob ich auch würdig genug sei , mich dem geistlichen Stande widmen zu können . Es ist gar zu schmerzlich , sein ganzes Leben einem Berufe zu weihen , den man mit entschiedenem Widerwillen antritt . Ihr wollt mich beschützen – oh , wie glücklich würde ich mich fühlen , wenn Ihr mir irgendwo , sei es in Venedig , Florenz , oder wo es auch wäre , eine Stelle und Aussicht beim Soldatenstande schaffen könntet . Oder wenn sich ein Kaufherr in Genua oder ein Venezianischer meiner annehmen wollte . Ich fürchte , ich bin nicht fromm ; zwinge ich mich also , ganz gegen Neigung , in das geistliche Wesen hinein , so ist zu besorgen , daß ich aus Tücke und Widerspruch , wie der Mensch nun einmal ist , auf gar arge Ketzereien geraten , und in dem Zustande Leib und Seele verlieren möchte . « – » Junger Mensch « , sagte die Matrone mit kalter Sicherheit , » Ihr kennt Euch selbst noch nicht hinreichend . Folgt meinem Rate , denn er ist gewiß der beste . An meinem eigenen Sohne Marcello erlebe ich es , wie schwer es ist , den Söhnen eine andere Laufbahn , als die der Kirche , zu eröffnen . Beim Soldaten hat der Edelmann immerdar den Vorzug , und alle die großen Häuser in Italien sorgen dafür , daß bei allen Fürsten in den Ländern ihre Schützlinge und Anverwandten die einträglichen Stellen erhalten . Mit Kaufleuten stehe ich in gar keiner Bekanntschaft , denn meine Verbindungen , durch welche ich Euch nützen könnte , erstrecken sich eben nicht über Rom hinaus . Bei der Bestimmung unseres Lebens dürfen wir nicht zuviel auf unsere Neigungen oder Leidenschaften hinhören , denn das Schicksal des Daseins , dem wir in dem Augenblicke der Bestimmung entgegentreten und es herbeirufen , ist zu ernst , um Spiele und Gewöhnungen der Kindheit , jene leichten Blüten , die den Früchten weichen sollen , mit hinüberzunehmen . Dadurch , daß Ihr uns bekannt seid , daß wir Euch so innig verpflichtet wurden , so daß ich gezwungen bin , für Euch wie für einen lieben Verwandten zu denken und zu sorgen , dadurch , daß es sich fügt , daß wohlwollende Gönner und Freunde von großem Einfluß , auf meine Worte , Bitten und Empfehlungen achten : dadurch , lieber Mattei , zwingt Euch das , was ich Schicksal nenne , Euch dieser Bestimmung und keiner andern zu ergeben . Und seid Ihr denn gar nicht stolz , junger Freund ? Seht um Euch , wie große Männer allenthalben aus Armut und Niedrigkeit sich auf diesem so ehrenvollen Wege emporgeschwungen haben . Hier , im geistlichen Gebiet , ist die echte Republik , die Gleichheit aller Geschlechter und Stände . Kirchendiener , Bischöfe , Heilige , ja Päpste sind aus Armut und Dunkelheit emporgestiegen , um der Welt zu leuchten , und ihre Familie zu verherrlichen . Haben wir nicht ganz in der Nähe ein Beispiel an unserm Kirchenfürsten , dem gelehrten großen Kardinal Montalto , dessen Familienname Peretti ist ? Wer spricht im römischen Staat , ja in ganz Italien diesen Namen Peretti nicht mit Ehrfurcht aus ? Und er ist einem so armen , niedrigen , schwachen Hause entsprungen , daß Eure wackern bürgerlichen Eltern sich gegen seine Familie wohl eine vornehme dünken mochten . Als Knabe war dieser große Geist genötigt , das Vieh zu hüten , durch Almosen ward er großgezogen , schwache , armutselige Priester und Mönche waren seine ersten Beschützer – und jetzt ! Ist er auch nicht reich , so kann er doch , wie jeder Kardinal , in wenigen Jahren wohl selbst Papst werden . Seht , mein Freund , der Stand , den Ihr nicht achten wollt , ist einzig der , wo Fleiß und Charakter sich geltend machen , und die Schwächsten , hier durchgedrungen , die Welt beherrschen können . « Die Frauen erschraken , als in diesem Augenblicke der erst verschüchterte Camillo ein lautes Lachen aufschlug . » O ja « , rief er , » ich kann auch nach Asien wandern , mich für heilig ausgeben und der große Mogul werden . Was hindert mich , es auf den weltberühmten geheimnisvollen Priester Johannes anzulegen ? Von Melchisedek und den drei Königen aus dem Morgenlande weiß man auch die Abstammung nicht . Dürfte es nicht auch geraten sein , sich mit dem Ewigen Juden zu assoziieren und sich von dem Brausewind zum Kompagnon annehmen zu lassen ? Der macht ja auch Geschäfte mit und in aller Welt . « Plötzlich schwieg er still , sah starr vor sich nieder , und trocknete sich heimlich eine Träne aus dem Auge . Mutter und Tochter sahen sich mit Erstaunen an , und die sonderbare Blässe des Marmors stand auf Vittorias Angesicht . Camillo richtete sich in mächtiger Verwirrung auf und sagte mit gebrochener Stimme : » Verzeiht mir , ihr Hochverehrten , meine Ungezogenheit . Ich bin ein elender Mensch , und verdiene nicht , in guter Gesellschaft zugelassen zu sein . Mir geschieht recht , wenn ich von den Edlen ausgestoßen werde . « Er erhob sich zitternd . Demütig nahte er der Signora Julia und küßte ihre Hand , dann näherte er sich der Tochter , faßte ihre Finger , hielt sie lange fest , und konnte dann seine Lippen kaum entfernen , indem er fühlte , wie sein Druck , wenn auch nur leise , von der schönen Jungfrau erwidert wurde . So wankte er dann , wie ohnmächtig , zur Tür hinaus . Mit dem Ausdruck der Heftigkeit stand die Matrone vom Sessel auf und ging an das Fenster . Vittoria blieb auf ihrem Stuhle und sah mit etwas scheuem Blicke nach der Mutter hinüber . - » Also schon jetzt ! « rief die Mutter aus ; » ich habe es ja gesagt ! So ist die elende Beschaffenheit unsrer menschlichen Seele , daß aus jedem Ohngefähr tolle Hoffnungen erwachsen , deren sie sich schwindelnd bemächtiget . Nun ist man stolz , und trotzt und pocht in verächtlicher Aufregung einer rasenden Leidenschaft . Man spielt den Herrn der Welt , indem man tief unter dem blödsinnigen Bettler steht . Und eigentlich hast du es verschuldet ! « » Ich ? « fragte die Tochter erschreckend . » Weil du kindlich und unerfahren dein Herz und deine Zunge nicht genug bewachtest . Deine unschuldige Neigung hat er in seinem männlichen Eigennutz ganz anders gedeutet : diese angeborne Eitelkeit und Anmaßung des Geschlechts hat dich ihm schon erniedrigt , weil du höher standest , als er , weil du ihm reizend und wünschenswert erscheinst , seine Einbildung hat dich schon in Besitz genommen , und daß sein Irrsinn schon zur wahren Leidenschaft herangewachsen ist , zeigt seine Raserei , die wir von ihm haben ertragen müssen . « » Was kann ich aber für das alles ? « warf Vittoria mit Schüchternheit ein . » Wie ? Törin ? « eiferte die Mutter , » sah ich es denn nicht ( o ja , du kannst es meinem scharfen Auge nicht ableugnen ) , daß du ihm noch beim Abschied die Hand drücktest ? « » Und wenn es ist « , sagte Vittoria , » gibt es etwas Unschuldigeres ? Er tat mir so leid , weiter habe ich mir nichts dabei gedacht . « » Und du meinst « , antwortete die Matrone , » daß der Ungestüme sich diesen Druck nicht ganz anders wird ausgelegt haben ? Für eine Liebeserklärung von deiner Seite hat er ihn genommen . Liebst du ihn wirklich , so tatst du etwas sehr Unrechtes , aber du handeltest ehrlich ; liebst du ihn aber nicht , so war es ein armseliger Betrug , und gehört zu jenen schlechten Künsten , mit denen Weiber , die mit Recht verrufen sind , Handel und Wandel treiben , und nur gar zu oft durch fortgesetzte Unwahrheit die edelsten Männer zur Verzweiflung bringen . « » Du gehst im Eifer zu weit « , sagte die Tochter mit großer Ruhe . » Gibt es denn außer wilder roher Leidenschaft , die unbedingt auf Besitz dringt , und jener kalten toten Gleichgiltigkeit , nichts Edles , Freundliches , Zartes , was zwischen diesen Äußersten liegt ? Und , daß ich es dir nur gestehe , ich war dem kleinen Camillo immer gut , aber noch niemals hat er mir so sehr gefallen , als in seiner aberwitzigen komischen Rede , die dich so sehr gegen ihn aufgebracht hat . Diese Kraft hätte ich ihm niemals zugetraut . Ist es denn also möglich , wie du neulich äußertest , daß ich auch noch Leidenschaft und Wunsch nach der Ehe würde kennenlernen , nun so erzieht sich vielleicht meine Zärtlichkeit für meinen Mattei noch zu dieser Liebe . So laß denn diesen Gefühlen ihren Lauf und es ergibt sich nach Jahren vielleicht , daß du richtig gesehen hast . « » Daß der Wahnsinn ansteckend ist , erfahre ich nunmehr ganz deutlich « , sagte die Mutter und sprach nun kein Wort mehr . – Camillo ging indessen langsam und zögernd nach dem Hause seines Oheims zurück . Ja , ja , sprach er bei sich selbst , recht hat der alte verdrießliche Mensch ! Die Vornehmen – sie taugen alle nichts ! Nur bei der Armut wohnt Liebe und Tugend ! das sehe ich an meinen Eltern , an so vielen Elenden ! O dieser verächtliche Hochmut der armen , vergänglichen Sterblichen ! – Und diese hochgetürmte weise Hoffarts-Dame ! Was ist sie denn Großes ? Die Witwe eines wohlhabenden Advokaten und Richters : dazu hätte mein Vater auch gelangen können , wenn er das Vermögen besessen hätte , zu studieren . Sie ist freilich aus einem adlichen Hause : ist aber doch auch zu einem Rechtsgelehrten hinabgestiegen ! – Unsinn , daß sich mit dieser Ungleichheit auch die niedrigen Stände brüsten ! – Ich , ein Geistlicher ! Lieber Kohlenbrenner , Räuber , Bandit ! – Und sie – ach ja , da im Saal ist es anders , als da unten , so nah an der Hölle , wo sie sich mir mit allen Kräften und Schönheiten ergab . Warum war ich so dumm und töricht , in diesem Taumel , wo wir die ganze Welt vergessen , nicht mehr zu verlangen ? Sie hätt es nicht geweigert . Und was ist es denn Großes ? Das Nächste , Natürlichste , was ein einfach unverdorbener Mensch nur denken und begehren kann . War doch Busen , Knie und glänzender Leib schon mein , und in den Küssen entfloh meine Seele über ihre himmlischen Lippen in ihr Wesen hinüber . – Nichts ! nichts ! Alles ist eitel ! Auch sie verwelkt und vergeht , nichts ist echt und wahr , als nur die Zeit und der Augenblick ; und diesen muß der Kluge ergreifen ! wenn er dazu entschlossen ist , so gehört ihm die Welt . Zu Hause angelangt , legte er sich nieder , denn er war wieder ein Raub des Fiebers . Nach Tische wurde der Familie der allbekannte Hausfreund Don Cesare Caporale gemeldet . Mutter und Tochter waren erfreut , den wackern Mann begrüßen zu können , durch welchen sie aus ihrer Verstimmung gerissen wurden , und der ihnen durch seine unzerstörbare Heiterkeit eine anmutige Zerstreuung versprach . Cesare Caporale war einer jener hohen schlanken Gestalten , die durch den Ausdruck harmloser Gutmütigkeit die Häßlichkeit ihres Gesichtes vergessen machen können . Sein Anstand und die Gebärde war edel , und man sah ihm an , daß er viel in der großen Welt gelebt hatte . Die kleine , zurückgekrümmte Nase in dem langen , gebräunten Gesicht , die vielen Falten , gaben ihm neben dem fast Geringen und Possierlichen den Anschein eines höheren Alters , als er wirklich erreicht hatte , denn er war noch nicht fünfzig Jahr . Seine grauen , kleinen und lebhaften Augen verrieten den Schalk , denn sie begleiteten jedes seiner Worte mit so geistreichem Ausdruck , daß viele seiner Aussprüche von seinem Munde witzig schienen , die man oft als Rede eines andern für unbedeutend würde gehalten haben . Mit seiner gewöhnlichen Gutmütigkeit schüttelte er den beiden Damen die Hand , setzte sich behaglich nieder und sagte : » Da bin ich wieder einmal bei euch , ihr Gotteskinder , und das tut mir wohl , wie die Frühlingssonne dem Kranken . Ich war wieder da hinten in meinem geliebten kleinen Perugia und habe eine Zeitlang fröhlich mit meinen Freunden in meiner Vaterstadt gelebt . Das liebe Nest steht noch auf dem alten Fleck , keine meiner Bekannten ist in diesem Jahre gestorben , in meinem Vaterhause ist mein Quartier für mich immer offen , und so habe ich denn auch die Kirchen wieder besehn , die Berge besucht , und mich an den Gebilden unsers alten Meisters Pietro und seines großen Schülers Raffael erfreut . Wie ich nach Rom komme , höre ich zu meinem Entsetzen , ihr alle hier wäret ersoffen , oder mit Erlaubnis zu sagen , ertrunken , was aber beinah auf eines hinausläuft . Das war ein Lamento bei allen den schönen geputzten jungen Narren , daß es nicht auszusagen ist . Je nun freilich , wenn man hübsch ist , wird man eher vermißt , als wenn man , wie ich leider , mit einer so fatalen Fratze herumläuft . Aber sagt um des Himmels willen , was habt ihr eigentlich angefangen , daß man euch so verleumden darf : denn ich sehe ja , daß ihr hier ganz als vernünftige Wesen auf dem Trocknen beisammensitzt . Die hochgesinnte Mutter , die ausbündige Vittoria , und der hoffnungsvolle Flaminio sind alle wohl behalten , wenn auch etwas nachdenkend , wo nicht gar gelangweilt , was ich aber doch nicht zu voreilig annehmen will . « Die Mutter übernahm es , ihm in kurzen Worten die sonderbare Geschichte , die so leicht tragisch hätte endigen können , zu erzählen . » Seht ! seht ! « sagte Cesare am Schluß . » ich habe immer behauptet , daß unsre Virginia für ihre große Gestalt in ihren Gebärden und Bewegungen zu hastig und berührig ist . Dergleichen schickt sich nur für kleine Persönchen , die es manchmal auch recht gut kleidet . Darum halte ich mich mit meinem hohen Körper , den langen Beinen und Armen immer so majestätisch . Fällt mir ein lumpiger Ball ins Wasser ( ich trage aber niemals einen mit mir herum ) , so lasse ich ihn wegschwimmen ; und dort gar in dem Höllenrachen , den ich immer die Grotte des Neptun genannt habe , obgleich strenggenommen der gewaltige Mann sich mit den Flüssen des Landes gar nicht einläßt . Wenn Ihr dort umgekommen wärt , so hätte ich Euch wohl gar , als Euer alter Anbeter besingen und beklagen müssen , obgleich mir noch niemals ein ernsthafter Vers hat gelingen wollen . « » Aber habt Ihr uns keine neue Komposition mitgebracht ? « fragte die Mutter . » Der Poet « , antwortete Caporale , » ist zuweilen an Entwürfen und Plänen so reich , daß er darüber gar nicht dazu kommen kann , einen einzigen auszuführen . Ich lief in der schönen Gegend von Perugia viel herum und meditierte . Mein Gedicht über das Leben des Maecenas ist nun fast fertig , aber außer einer neuen Komödie ist mir auch noch ein komischer Vorwurf dort in der Einsamkeit aufgestiegen . Ich dachte mir nämlich , wie Apollo auf seinem Jagdschloß eine Versammlung könnte ausschreiben lassen , daß sich alle , die sich für Poeten hielten , zu ihm einfinden sollten , um aus seinem Munde und von verständigen Richtern und Beisassen ihr Urteil zu empfangen . Die Aufgabe ist häklig und kitzlig : denn wie viele unserer jetzt lebenden Pedanten , oder talentlosen Reimer würde man da ärgern und kränken müssen , darum gebe ich den Gedanken auch vielleicht wieder auf , wenn ich nicht einen anständigen Mittelweg entdecken kann . « » O Bester ! « rief Vittoria lebhaft aus , » da müßt Ihr alle meine Lieblinge recht loben , und diejenigen , die mich immer geärgert haben , recht beißend durchziehn und schwarz abschildern . « » Zum Beispiel ? « fragte der Poet . » Wen kann man wohl mehr loben « , fuhr sie fort , » als den edlen herrlichen Bernard Tasso , und dessen Sohn Torquato , wegen seines himmlischen Aminta , Schelten müßt Ihr auf den rechhaberischen kritischen Sperone . « » Geht schon deswegen nicht « , antwortete der Dichter , » weil ich ihn jetzt eben in Rom gesprochen habe , und er sich recht freundlich gegen mich erwiesen hat . – Also um fortzufahren : ich wandelte dort in den Bergen von Perugia sinnend umher , voll Launen und Projekte , Verdruß und Freude . So kam ich auf ein grünes Feld in der Abendstunde , die Sonne ging unter und es gemahnte mich , noch immer draußen zu bleiben . Mit einem Male blitzt mich aus dem grünen Gebüsch vor mir etwas so großäugig an , so unnatürlich feurig , daß ich dachte , die Sonne wäre vielleicht umgekehrt : und nun sah ich's , und es war Venus , der Abendstern . Aber noch nie hatte ich ihn in dieser Herrlichkeit gesehn . Nun gut , ich ließ es mir gern gefallen , daß es etwas so Schönes in der Welt und der Natur gab , und ging immer weiter , an mein dummes Gedicht denkend und spekulierend . Auch gibt es wirklich Epochen in unserem Leben , in welchen man die sogenannte Zeit völlig vergißt . So war es mit mir . Der Abend hatte mich ausgehn sehn und die stille Nacht fand mich noch draußen . Wie ich noch so fortwandelte , deucht mir , es erhebe sich im Osten eine Art von lichtem Grau , ein klarer , wallender Schimmer , und wie ich mich noch darüber verwundre ( denn ich hatte ganz vergessen , daß es wohl Morgen sein könne ) , fahre ich im Schrecken zurück , denn wieder blitzt eine solche Glutmaschine , so ein Jupiter , als wenn er eben einer Liebschaft wegen zur Erde gesunken wäre , mir entgegen , ein göttlich glänzender Stern , dicht auf dem grünen Boden , äugelnd im feuchten Grase und den triefenden Granaten liebkosend – und siehe da , was ich für einen zerschnittnen Vollmond hielt – nur reiner , weißer glänzend – sei es Jupiter , Mars , Sirius – mir war es , dem Unwissenden , die göttliche Aphrodite , die Göttin der Liebe . – Ihr holdseligen Frauenbilder , da besann ich mich mit wahrer Andacht auf euch ; Ihr Julia seid mein leuchtender Abend – , Ihr Vittoria mein strahlender Morgenstern und nun ließ es mir keine Ruhe , bis ich wieder hierher zu euch kam . Mag der Himmel mit Millionen Gestirnen prangen , für mich hat er doch nur die eine Venus . Nicht wahr Gevatterin ? « » Ihr seid galant , Don Cesare « , erwiderte Julia , » und dabei ein Poet . Wie schade , daß Ihr und so manche Euresgleichen doch Weiberfeinde seid . « » Glaubt Ihr an das Märchen ? « fragte Caporale . » Nur häßliche Männer , und die von den Frauen nicht begünstigt worden , stellen sich als Weiberfeinde . Es ist keinem Sterblichen Ernst damit und kann es auch nicht sein . Denn diese Kaprice der Natur , daß sie Weiber geschaffen hat , ist es doch einzig nur , weshalb es sich , der Mühe lohnt , zu leben . Alle die Schwächen , Widersprüche , Treulosigkeit , Mangel an Charakter , ausgemachte Schlechtigkeit selbst , was diese Moralisten immer und immer wieder aus heiserer Kehle ausschreien , ist ja immer nur die weibliche Natur , die sie nicht zu würdigen wissen . Wer jemals ein Weib geliebt hat , wen jemals auch nur ein Weib wahrhaft beglückt hat , der wird ihre Lügen und Albernheiten höher als Aristoteles , Wahrheit und Platons Weisheit schätzen . Und so – kann ich den Morgenstern kritisieren ? Verlang ich Tugend oder Moral von ihm ? O du ewige , unbegreifliche Schönheit , du himmlisches , unsterbliches und doch so vergängliches Kleinod der Liebe und Wollust , wie roh gehn auch mit dir die Menschen um , und hantieren so abgeschmackt mit der Göttlichkeit , als wenn es eben auch ein Brett oder hölzernes Gestell wäre , um alten vergessenen Plunder darauf aufzubewahren . « » Werdet nicht so ernsthaft « , sagte die Mutter , » und erzählt uns lieber , was Ihr in Rom Neues erfahren habt . « – » Potz Blitz ! « rief der Poet aus , » das ist eben das Kennzeichen unsers Jahrhunderts , daß es gar nichts Neues gibt . Wenn Ihr das nicht etwa so nennt , wodurch jeder Quark eine Neuigkeit wird . So bastelt unser Heiliger Vater Gregor immer und ewig an seinem neuen Kalender , als wenn wir damit ein reelles Gut gewönnen , daß das Dümmste und Unbegreiflichste der Schöpfung , die Zeit , neu eingeteilt würde . Das neue Jahr soll nun nicht mehr mit Ostern und dem Frühling , sondern mit dem kalten trivialen ersten Januar anheben ; und so mehr dergleichen . Bis jetzt glaubten wir , daß die Päpste nur für die sogenannte Ewigkeit sorgten , aber jetzt werfen sie sich auch in die irdische Zeit , um da aufzuräumen . – Neues in Rom ? Nun , daß die Kardinäle gegeneinander intrigieren , daß viele Fremde wegen des Jubiläums nach Rom gekommen sind , daß die Kirchen und die heiligen Orter besucht werden , daß man erzählte : der ruchlose Ambrosio sei mit einer ganzen Bande eingefangen worden . « » Ambrosio ? « fragte die Mutter ; » wo ist der Bösewicht gefangen worden ? « » Man sagt in Subiaco « , antwortete der Dichter ruhig : » die Bande hatte dort in der Nacht das Haus der Magistratsperson erbrochen und geplündert , den Mann aber selbst höher in das Gebirge hinaufgeschleppt , um an ihm Rache zu nehmen , weil er sich im Verfolgen der Räuber besonders tätig erwiesen hatte . Doch haben die freiwilligen Milizen sie in ihrem Schlupfwinkel überrascht und das ganze Nest aufgehoben . « Die Matrone ward nachdenkend , und Caporale begriff nicht , wie diese Neuigkeit sie so verstimmen könne . » Es ist furchtbar « , nahm Vittoria das Wort , » wie diese Räuberscharen sich in unsrer Zeit vermehren und noch täglich anwachsen . Von den Großen und Mächtigen beschützt , hat fast jede Familie ihre Bande , man bekämpft sich öffentlich , wie in einem Kriege . « Ja « , sagte Cesare : » diese Orsini , Colonna , die Florentiner , die Ferrareser , alles hat seine geworbenen kleinen Heere in unserer Stadt und dem römischen Gebiet . Der Heilige Vater sieht durch die Finger und fühlt sich zu schwach , dem Unwesen zu steuern . Rache und Meuchelmord werden als Edeltat angesehn und es herrscht eigentlich nur so viel Sicherheit , als jene Mörder uns gönnen wollen . Auch der Privatmann ist fast gezwungen , mit dieser oder jener Bande einverstanden zu sein , um nicht von allen beschädigt zu werden . « » Ich mag an alles dies gar nicht denken « , warf jetzt die Mutter ein ; » denn ein Grauen befällt mich , als wenn unser Eigentum und Leben nur vom Zufall abhingen und wir jedem Entsetzen preisgegeben wären . Alle Gespenstergeschichten , die ich in meiner Jugend hörte , erwachen dann in meinem Innern , und unser Geist ist der Sklave von nichtswürdigen Vorstellungen , die in unsern Nerven auf und ab rieseln und uns das Haar emporsträuben . « » Nein , Mutter « , rief Vittoria : » scheltet mir nicht auf meine lieben Gespenster und das poetische Grauen , das bei Anhören dieser Geschichten unsern Geist gefangennimmt . Das ist wie kühler Morgenwind , der durch den Eichenwald braust und alle Blätter in zitternde Bewegung setzt . So erfrischend und wundersam sind auch die Legenden von wiederkehrenden Gestorbenen , von den dunkeln Dämonen , die an einsamen Seen ihr Wesen treiben , jener seltsamen Kobolden , die uns in gefährliche Sümpfe , oder im Gebirge an Abstürze locken sollen ; dann die Orakelstimmen in einsam abgelegenen Tälern , die Fähigkeit Wahnsinniger oder Kranken , die Zukunft deutlich zu sehn , oder in fernen Gegenden den Freund wahrzunehmen , und alle die Märchen von Zauberern und Beschwörern , von den Bündnissen mit bösen Geistern . Schon des wunderlichen und rätselhaften Abano oder Pietro Apone wegen möcht ich gar zu gern einmal nach Padua reisen , um mir sein Haus mit dem großen Saal und seinen Brunnen zu betrachten . Käme so ein großes oder kleines Gespenst in mein einsames Zimmer , so würde ich freilich erschrecken , aber mich auch dieses Erschreckens freuen , und es recht bis in meine innersten Kräfte hinein mit meinem Bewußtsein durchgenießen . Ansehn würd ich mir das Wesen , das mich seiner Bekanntschaft würdigte , und gewiß ohne fieberhaftes Entsetzen von ihm Abschied nehmen . Ich habe mir den Fall oft genau durchgedacht und bin meiner Fassung gewiß . Nein , das Geisterreich bietet uns die Schrecken nicht , die der Wirklichkeit zu Gebote stehn . « Wie meint Ihr das , Ihr poetische Amazone ? « fragte Don Cesare . » Eine Vorstellung « , antwortete die Jungfrau , » verfolgt und ängstigt mich von meiner frühesten Jugend . Ich bin allein in der tiefen Nacht , meine Familie ist schlafen gegangen , meine Dienerin ist verabschiedet , ich will mein Lager besteigen und die Lampe löschen , als plötzlich vor mir schreckliche Bösewichter mit geschwärzten Gesichtern und dräuenden Waffen stehn : ich wende mich um , Hülfe rufend , und auch von dort treten mir scheußliche , unbekannte Figuren entgegen . Nirgend Rettung , Hülfe ; das Wort stockt mir im Munde , der Atem versagt , die Brust klopft zum Zerspringen ; ganz ohnmächtig und doch klar alles sehend , rücken die Verruchten und der Mord mir näher und näher . – Seht , indem ich davon spreche , bin ich halb wahnsinnig vor Entsetzen . – Hinweg du abscheuliches Bildnis ! – Und könnt Ihr leugnen , daß nicht dergleichen schon hie und da vorgefallen ist ? Wir alle haben von solchen Überfällen gelesen ! Und kann dergleichen sich nicht wiederholen ? « » O Kind « , rief Cesare , » Ihr ängstigt mich über die Maßen . Beruhigt Euch , entfernt diese niederträchtigen Vorstellungen aus Eurem Gemüt , verbannt sie völlig , zerstreut Euch und entwurzelt diesen Unsinn , der in Euren Geist so scheint es , schon tief hineingewachsen ist . Denn Eure Darstellung erweckt zu meinem Grausen auch mir eine alte Grille in meinem Innern . Ich kann mich nämlich durchaus nicht von dem Aberglauben losmachen , daß dergleichen , wenn man es sich immer und immer wiederholt am Ende eben dadurch , wie durch unbewußte Magie zur Wirklichkeit hinauswächst . Die Phantasie ist auf die Weise der Boden , in welchem später dieses giftige Unkraut als wahrhaftiges hervorsprießt . Um Gottes willen , laßt diese fatalen Spiele der Imagination bleiben . « Die Mutter schauderte . » Sollte denn « , sagte sie nach einer Pause , » unsre Seele diese ungeheure Kraft besitzen , durch die Vermittlung der Imagination so was zu erzeugen ? Oder ist es nur die Fähigkeit , das Unvermeidliche der Zukunft vorauszusehn , die sich in dergleichen Furcht und gespenstige Vision umbildet ? Was ist doch überhaupt mein Ich ? Warum sagen wir immer so leicht hin : mein Geist , meine Seele , als wenn noch ein andrer Regent höher über diesen Regierenden in uns stände ? « » Ja wohl « , sagte Caporale , » kommt man mit dem Denken über diese Geheimnisse niemals zu Ende . Wir erkennen uns nur in den Funktionen unserer Kräfte , in unserer Tätigkeit : so wendet sich unser Bewußtsein und unsre Denkkraft immerdar von uns ab , und sieht sich nur entstaltet und unkenntlich in einem trüben , schlecht geschliffenen Spiegel , der unser Wesen verzerrt . Ist nun unser Geist , oder unsre Seele schon einmal dagewesen ? Ist er ein gesunkener Geist , der in bestimmten Perioden seiner Verwandlung in einen frühern seligen Zustand durch Tat , Reue , Buße , hiesiges Leben zurückkehrt ? Ist er ein Funke aus Gott , bei der Geburt neu entflammt herabgesendet ? « » Ihr seid ein arger Ketzer « , sagte die Mutter . » Ich frage nur zweifelnd an « , antwortete der Dichter , » was unsre Seele sei , so wie Schrift und Kirche , soweit ich sie kenne , auch nichts Bestimmtes darüber aussagen . Es bleibt immer nur übrig : Ich bin ich . « » Kinderei ! « rief lachend Vittoria : » wer es wissen will , was die Seele ist , der komme nur zu mir , denn ich weiß es ganz genau . « » Du ? « sagte die Mutter , indem sie groß aufsah . » Ich möchte mich « , sagte der Poet , » zu Euren Füßen niederwerfen , und so , demütig im Staube , von der hohen Sybille das heilige Orakel empfangen . « » Vernehmt ! « rief die Tochter – » die Seele ist ihrem wahren Wesen nach , eine kleine graue Maus . « » Virginia ! « rief die Mutter zürnend , » schämst du dich nicht , so albern zu sein ? Oder soll diese Kinderei Witz und schalkhafte Laune bedeuten ? « » Auch in Bernis Gedichten « , sagte Caporale , » die doch so manches Unbegreifliche erzählen , erinnere ich mich nicht , diesen oder auch nur einen ähnlichen Ausspruch gefunden zu haben . « » Es soll aber auch gar nicht Spaß bedeuten « , erwiderte die Jungfrau , » sondern es ist mein vollkommener Ernst . Die Kenntnis der Sache ist mir auch schon vor mehreren Jahren geworden , wo sie mir in einem allerliebsten Buche vorkam , dessen Titel ich leider nachher in meinem Leichtsinn vergessen habe . Es ist nämlich eine Geschichte , der ich meinen Glauben verdanke , und diese will ich euch jetzt erzählen : Vor alten , uralten Zeiten gab es einen Herzog von Burgund , der irgendwo in von hier weit , weit abgelegenen Gegenden sein Land , seine Herrschaften , und hochgelegenen Schlösser hatte . Irre ich nicht ganz , so lebte und regierte er in einem Teile von Deutschland , nicht fern vom Rheinstrom . Nun war dieser Herr oft von seinen Feinden bedrängt , doch war er immer siegreich aus allen Kämpfen nach seinem Schlosse zurückgekehrt . Es war schon damals eine Erfindung und ein Unglück aufgekommen , welche uns auch in den neuesten Zeiten oft quälen . Der Herr hatte nämlich Schulden ; der Krieg hatte für Vasallen und Söldner seinen Schatz gänzlich ausgeleert . Sooft er in seine Schatzkammer ging , sah er nur die leeren Wände , und wenn er Truhen und Schränke aufschloß und hineinschaute , so blickte ihm immer wieder ein trostloses Nichts entgegen . Um sich zu zerstreuen , ritt er mit einem vertrauten Knappen in einen schönen dichten Wald hinein . Es lief schon seit Jahrhunderten im Volk ein Märchen um , daß irgendwo , aber kein Mensch konnte den Ort bestimmen , ein unendlicher Schatz von Gold , Perlen und Juwelen aus Bosheit sei versteckt und verzaubert worden , so daß keine Wünschelrute , kein Beschwörer und Hexenmeister diese Fülle unermeßlicher Kostbarkeiten je wiederentdecken könne . Wie es wohl die Armen , Notgedrängten zu machen pflegen , so hatte sich auch der gute Herzog mit seinem treuherzigen Knappen von diesen verzauberten Goldklumpen unterhalten , und sich an diesen versteckten und verlornen Diamanten und Rubinen getröstet und erfrischt . Müde vom Reiten und Schwatzen , nachdem sie tief in den schönen grünen Wald hineingeritten waren , stieg der Fürst vom Pferde und band es an einen Baum . › Wir haben selbst den Fußsteig verloren , hier ist es so schön ruhig und einsam still ‹ , sagte der Herzog ; › bewahre und bewache mich , mein getreuer Gottfried , denn eine süße Müdigkeit schleicht mir in mein Gehirn und drückt mir die müden Augen zu . ‹ So geschah es , der Herzog fiel in einen erquickenden Schlaf , und der Diener wachte , daß kein Tier oder Gewürm seinem verehrten Herrn nahen und ihn beschädigen möge . Der Atem des Fürsten , die Brust ging hin und her und auf und ab : er lächelte , denn ihn mochte ein angenehmer Traum besuchen . Plötzlich stockte der Atem , im Gesicht zeigte sich Aufspannung und Anstrengung , und mit einem Male sprang ein ganz kleines graues Mäuschen aus dem halb geöffneten Munde . Nun lag der Herzog da , wie tot , ohne Atem und die mindeste Bewegung . Das kleine Mäuschen aber sah sich mit funkelnden Äuglein im Grase neugierig um und schlüpfte endlich zwischen den Blumen fort und etwas mehr in den Wald hinein , doch nicht so gar weit vom Fürsten , der nur als starre Leiche noch regungslos dalag . So war der Knappe denn in seinem Erstaunen und Schrecken doch begierig , was sich aus dem Wunder ergeben würde : er ging also ganz leise und behutsam dem Tierchen nach , behielt aber dabei immer seinen totscheinenden Herrn im Auge . Bald mußte das Mäuschen stille stehn , denn es kam an einen Bach . Das Wässerchen war nur so schmal und klein , daß es jedes Kind mit einem Schritte überschreiten konnte , und es floß so still und bescheiden über die Wiese und unter den grünen Büschen hinweg , daß es die Reiter vorher weder gesehn noch gehört hatten : für die Maus aber war es ein Strom , breiter als unsere Tiber . Und da sie durchaus hinüber wollte , lief sie ängstlich , bald links , bald rechts dem Ufer entlang , ob sie wohl eine trockene Stelle fände , oder ob irgendwo vielleicht das Bächlein so schmal würde , daß sie hinüberspringen könne . Der gutmütige Knappe sah nicht ohne Teilnahme , wie das kleine Wesen sich abängstigte . Er schaute sich um , fand aber kein dürres Holz , zog also seinen Hirschfänger mit dem silbernen Griff aus der Scheide und legte die blanke Waffe über das Wasser . Die Maus schien erst erstaunt , trat dann aber behutsam und zögernd auf den glatten , spiegelnden Stahl und ging hinüber , worauf sie sich bald in das nahe Gebüsch verlor und in eine kleine Höhle sprang , die sich in einem grün bemoosten Felsensteine zeigte . Der Fürst lag noch tot , wenige Schritte hinter dem Knappen . Diesem ward bange , wie der Ausgang sein würde , und seine Angst stieg immer höher , je länger das Tier ausblieb . Wie , wenn der Fürst sich gar nicht wiederbelebte ? Würden die großen Vasallen , würde der Thronerbe ihm wohl diese Mausgeschichte glauben ? Da wohl mehr als eine Viertelstunde verflossen war , wollte er schon seinen Degen wieder in die Scheide stecken , den starren Herren aufrütteln , und wenn dieser sich gar nicht regte , vielleicht in alle Welt reiten , um nicht für einen Mörder , der vom Feinde bezahlt sei , angesehn zu werden . Siehe da springt das kleine Wesen , seine Augen noch heller glänzend , wieder aus dem Gebüsch hervor , sieht sich um , setzt die netten Beine prüfend wieder auf den Stahl und wandelt behutsam bis an den Griff . Gottfried nimmt seine Waffe und die Maus rennt wieder zum Herzog . Der Diener zweifelt , ob er sie nun nicht doch greifen und festhalten soll , weil es ihm unziemlich dünkt , daß ein solches Getier seinem Herzog im Gesicht herumspazieren , oder gar in den Mund kriechen soll . Aber ehe er noch einen Entschluß fassen kann , ist jene schon wirklich zwischen den Lippen des Fürsten wieder in diesen hinein . Kaum war es geschehn , so kehrte auch das Lächeln auf das Antlitz zurück , die Brust atmete wieder , und nach kurzer Zeit richtete sich der Herr auf , sah um sich , die Besinnung wiederzufinden , und schüttelte sein Haupt , als wenn er die letzten Flocken des Traumes aus seinen Haaren schütteln wollte . Lächelnd sah er den Knappen an und sagte dann zu diesem : › Setz du dich noch zu mir her in dieses grüne Gras , denn ich muß dir den seltsamsten Traum erzählen , der nur jemals mein Gehirn besucht hat . – Ich war kaum hier auf dieser Stelle eingeschlafen , als mir dünkte , ich ginge von hier weit , weit in den dicken , dunklen Wald hinein . Aber wie war um mich die Natur verwandelt ! – Das , was ich für Gras halten mußte , waren hohe , hohe , dicke Binsen , die weit über meinem Haupte hinwegragten : ungeheure Büsche schlugen über mir zusammen , und als ich schon weit gewandelt war , hörte ich plötzlich ein ungeheures Tosen , und ein Brüllen , wie von großen Wasserfluten . Und so war es denn auch . Ein breiter Strom , dessen jenseitiges Ufer ich kaum absehn konnte , stand mir gegenüber . Ich lief bald hier- , bald dorthin , denn etwas Unbeschreibliches trieb mich an , als wenn ich durchaus jenseits des breiten Flusses gelangen müsse . Ich spähte aufmerksam nach einem Schiffe , Fahrzeuge , oder dem kleinsten Kahn ; aber so weit ich auch lief , sosehr ich auch mein Auge anstrengte , war nirgend dergleichen zu erspähn . Noch viel weniger eine Brücke , die mir das Liebste gewesen wäre . So in Verzweiflung geschah plötzlich etwas , wie man es nur in alten Wunderschriften vernimmt . An demselben Orte , wo ich mich vergeblich umgeschaut hatte war plötzlich eine große , lange und breite Brücke – aber welche ! von purem , spiegelblanken , geschliffenen Stahl , ohne Geländer und Brustwehr im Sonnenstrahl blendend und glänzend . Was war zu tun ? Behutsam , vorsichtig betrat ich die glatte Bahn , langsam vorschreitend , um nicht auszugleiten und in den mächtigen Strom zu stürzen . Ich kam glücklich hinüber . Nun war ich wieder in einem dichten , dunkeln Walde , und nachdem ich noch viel gewandert war , geriet ich in eine hohe , geräumige Felsenhöhle – und – was erblickt ich da ? Tonnen , hohe , dick mit Goldstücken angefüllt ; ich mußte lange , lange hinanklimmen , um den Rand der mächtig hohen Fässer zu erreichen ; schwere Goldbarren lagen auf dem Boden , vermischt mit dem köstlichsten Gestein von aller Art und allen Farben . Ich besahe mir alles genau , und verharrte lange in diesem verzauberten Schatzgewölbe . Ich nahm mir vor , mir die Merkmale genau einzuprägen , um die Stelle wiederzufinden , und so verließ ich endlich den dämmernden Felsenkeller . Ich ängstigte mich , ob die stählerne Brücke auch noch da liegen würde . Richtig , sie war nicht verschwunden . So nun wieder den langen Gang hierher – und ich erwache , traurig , daß alles nur ein Traum gewesen ist . Sieh so war dies Gesicht nur eine Fortsetzung unseres Gespräches , die Begier nach Schätzen , die in meiner Armut wohl natürlich und verzeihlich ist . – Aber du sprichst nichts Gottfried ? – Du schüttelst den Kopf ? Du glaubst mir nicht . ‹ – Dieser gute Mann war in seinem poetischen Erstaunen nur darüber verlegen , wie er es seinem Herrn eröffnen solle , daß er ihn selber als Maus aus seinem Körper habe auswandern sehn . Er faßte sich endlich ein Herz und erzählte ganz einfach , was er erlebt hatte . Sie gingen die wenigen Schritte , sprengten mit den Schwertern die Öffnung der Höhle , um sie zu erweitern , und fanden dann wirklich einen unermeßlichen Schatz von Gold und Edelsteinen . Der Herzog blieb als Wächter zurück , der Knappe eilte nach der Stadt , holte Rosse , Geschirre , Wagen und getreue Diener und der Tag verging , ehe man alle Kleinodien aus der Höhle aufgeladen hatte . So wurde dieser burgundische Herr der reichste Fürst seiner Zeit und demütigte alle seine Feinde unter seinem Szepter . Und ich wenigstens habe aus dieser wahren Geschichte soviel gelernt , daß unsere Seele in ihrem natürlichen Zustande eine graue Maus sei . « » Gesegnet der Mann « , sagte Caporale nachdenkend , » der dich einmal heimführen wird . Ich verlasse euch jetzt , ihr geliebten Weiber , und bitte nur um die Erlaubnis , auch morgen einen Gast herzubringen , der euch , Signora , und auch diese junge Dichterin will kennenlernen . Ihr seid ja Fremden immer gütig und werdet mir meine Bitte nicht versagen . « » Wollt Ihr nicht « , fragte die Mutter , » Euer Stübchen oben in Besitz nehmen ? « » Nein « , erwiderte jener , » ich darf es diesmal meinem Dornherrn nicht abschlagen , der mich schon mit dem Abendessen erwarten wird . « Indem hörten sie ein lautes , gewaltsames Klopfen an die äußere Tür . Es war schon finster geworden , und der Diener eilte mit dem Licht hinaus . Verstört und die Kleider in Unordnung stürzte Marcello herein . » Um Gott ! « rief die Mutter , » was gibt 's ? was ist dir ? « » Versteckt mich nur auf einige Tage « , rief der verwilderte Jüngling , » daß mich keiner bei euch findet . Ha ! Don Cesare ? Nun , der lustige Poet wird mich ja wohl nicht verraten . « Die Mutter ging im Saale auf und ab und rang , Tränen vergießend , die Hände . Sie hatte ganz ihre Fassung verloren . » Mein Sohn ein Bandit ! « schrie sie , » vogelfrei ! Wohl ein Preis auf seinen Kopf gesetzt ! O Himmel , wodurch habe ich mich so schwer verschuldet , daß ich dies erleben muß . War es doch immer mein stolzer Traum , daß ich , wie die Mutter der Gracchen , in meinen Kindern , um die mich die Welt beneiden müsse , meine höchsten Kleinodien sehn könne . « Fackelt nicht lange ! « schrie Marcello ungezogen ; » diese lieben Söhne der prahlerischen Cornelia wurden auch nachher als Rebellen und Meuterer von andern sehr würdigen und tugendhaften Männern totgeschlagen . « » Kommt morgen « , sagte der Fremde , » in meinem Wagen mit mir nach Rom . Ihr könnt meinen Diener vorstellen , und in der großen Stadt mögt Ihr Euch viel leichter auf einige Zeit verbergen , bis Ihr nachher mit Sicherheit die Flucht ergreifen könnt . Ich werde Euch morgen mit Tagesanbruch abholen . « Die gedemütigte Mutter half den Jüngling in einem abgelegenen Gemach , in dem sich ein tiefer Brunnen befand , verbergen . Als am Morgen Don Cesare den Flüchtling abholen wollte , war er verschwunden , und auch Camillo hatte seinen Oheim ohne Abschied verlassen . Man mußte vermuten , daß sich beide mitsammen entfernt hätten . – Viertes Kapitel Die Mutter war durch den neuesten Vorfall so erschüttert , daß sie am folgenden Tage lange auf ihrem Lager blieb , und sich erst erhob , nachdem ihr Sohn Flaminio und Vittoria die fremden Gäste schon angenommen hatten . Als sie in den Saal trat , fand sie die Gesellschaft im lebhaften Gespräch . Sie suchte sich zu zerstreuen und spannte sich zu einer erzwungenen Heiterkeit . Der fremde Mann , welcher mit dem wohlbekannten Dichter gekommen war , schien ohngefähr dreißig Jahr alt zu sein . Er war schlank , groß und wohlgebaut , seine Gebärde edel , das Auge schön und feurig . Vittoria vermutete , daß auch dieser ein Dichter sein könne , da er mit dem alten Hausfreunde erschien , und die Gelehrten aus allen Provinzen Italiens gern die Familie der Accoromboni aufsuchten . Der Fremde war sehr freundlich und von den edelsten Sitten , mehr ernst als heiter , und auf seinen Wunsch beschloß man die Villa d' Este zu besuchen , von deren Pracht und Schönheit in ganz Italien die Rede war . Als sie die Villa erreicht hatten , ward ihnen der Eingang gestattet , weil die Besitzerin nicht zugegen war . Der Fremde schien sehr aufgeregt und ward von den Kostbarkeiten , Gemälden und dem Schmuck der Zimmer entzückt : und begeistert . » Wie glücklich « , sagte er , » könnten die Fürsten sein , denen alles dies zu Gebot steht , und die sich ein solches Dasein bereiten mögen . So umgeben , nichts Niedriges , Ärmliches in ihrer Nähe , wohin sie blicken nur von Kunst angeschaut , von Schönheit umleuchtet , Erinnerung an Geschichte und große Vergangenheit , die edelsten Geister , die Raffael , Michelangelo und Julius der Römer für sie in Tätigkeit – und doch – « » Ja wohl « , sagte die ernste Matrone , » wohnt nur sehr selten in diesen herrlichen Palästen das wahre Glück . Das Schicksal und die Umstände , die Verhältnisse des Menschen sind immer mächtiger , als der Mensch selber . Der Einsame , Unabhängige stürzt sich aus seiner Freiheit in Dienst und Abhängigkeit , um das zu suchen , was er Glück nennt : und jener , der im Glück zu schwelgen scheint , von vornehmen Freunden umgeben , im Glanz des Reichtums , wünscht sich nur allzuoft in die verlassene Einsamkeit des dürftigen Waldbruders . Freiheit ist ein edles Wort und hat einen herrlichen Klang , es ist aber nur ein Wort , ein verhallendes , ohne Wesen und Inhalt . Die wahre Freiheit ist nur im Tode . « Der Fremde sah die hohe Frau verwundert an , und Caporale sagte : » Ihr seid heut , verehrte Freundin , aufgeregt ; gönnt der Natur und dem schönen klaren Licht , das so herrlich dort die Gebirge beglänzt , Euch aufzuheitern . « » Zu zerstreuen « , sagte sie : » muß doch das Edelste der Natur und Schöpfung nur gar zu oft , sich herabwürdigend , dazu dienen , uns von uns selbst zu entfernen . « » Um uns doch nur « , bemerkte der Fremde , » dort in diesen Gegenständen edler und vollkommener wiederzufinden . Das Wahre , Gute in uns kann uns niemals verlorengehn . « » Weil es vielleicht nicht da ist « , sagte Signora Julia , tief seufzend . » Verzeiht , mein edler Herr , dessen Namen ich noch nicht einmal weiß : Eure Liebenswürdigkeit hat mich verleitet , Euch nach dem ersten Anblick als einen alten Freund des Hauses zu behandeln , vor dem ich nicht nötig habe , meinen Kummer zu verbergen . Doch ist es wohl besser und schicklicher , hier in diesen poetischen Umgebungen eine andre Sprache zu führen . « Jetzt verließen sie das Haus und betraten den schönen , künstlichen Garten . Vittoria ging schweigend an der Seite der Mutter , auch der heitre Don Cesare war ernst geworden , und der Fremde war ganz der Betrachtung und Bewunderung der vielfachen Anlagen , dem Wechsel der Gebüsche , der Majestät der Bäume , der Pinien und Zypressen , dem schimmernden Glanz der vielfachen Blumenbeete hingegeben . Am meisten entzückten ihn aber die mannigfaltigen Wasserkünste , die in sinnreichen und versteckten Erfindungen bald in kleinen Erzfiguren den Gesang der Vögel nachahmten , bald aus menschlichen Gestalten die Töne der Laute und vielfachen Gesang bildeten ; so wechselten Sirenen und Wassertiere in seltsamen Gruppen , so spielten die Nereiden und Pan und Schäfer die Wasserorgeln , die Syrinx und Flöten und Pfeifen , dort klang die ländliche Schalmei und ferner ab rieselte das Element , welches erst zur künstlichen Musik abgerichtet war , als klarer Bach in seinen Naturtönen dahin . Als der Fremde in den Ausdrücken seines Lobes immer enthusiastischer wurde , konnte Vittoria nicht länger schweigen , sondern ließ sich , beinah zürnend , in diesen Worten aus : » Ich weiß es wohl , daß alle Welt diesen Garten und diese tönenden Kunststücke bewundert . Ärgert Euch nicht an mir , teurer Mann , wenn ich Euch gestehe , daß ich immer nur ohne Freude diesen Plan betreten habe , da es mir schien , als wenn Kunst und Natur hier gleich sehr verletzt würden . Die wahre echte Kunst ist hier in eine Künstlichkeit , in eine Seltsamkeit hineingeschraubt , die wohl Erstaunen und Verwunderung , nicht aber wahre Freude erregen kann . Die Natur ist gewissermaßen vernichtet , denn sie muß hier in den sklavischen Dienst von gezierten Spielereien treten , die nicht einmal eine Täuschung hervorbringen können , und die ermüden , wenn man den ersten Genuß der Neugier und Verwunderung hinter sich hat . Wie anders wirkt ein gutes Gemälde , ein Werk des Bildhauers , Palestrinas Musik , eine freie Landschaft , dort der himmlische Wasserfall . Ist es nicht hier , als wenn man die Träume eines Fieberkranken wirklichmachen , und etwas erreichen wollte , was über unser menschliches Vermögen hinausreicht ? Jedesmal aber , wenn der Mensch einen solchen Versuch eitlen Hochmuts unternimmt , sinkt er unter sich selber hinab . « » Ei ! ei ! mein schönes Fräulein « , rief der Fremde , sie verwundert ansehend , » wie erklingen in so zarter Silberstimme aus so reizendem Munde diese herben , verdammenden Worte ? Hat Euch niemals eine Sestine , oder eine recht künstliche Kanzone begeistert ? Wie haben unsre Natursprache , den Laut , der immer so gern wieder in das Bäurische zurückfällt , unsere Petrarka , Bembo , Molza , Bernard Tasso , und so manche andre erzogen ! Und diese mechanischen Erfindungen , die an sich selbst nur Staunen und ein leichtes Ergötzen erregen könnten , sollten vom Genius nicht in seinen Dienst genommen werden , um auch diese Dinge , die auf Linien , mathematischen Grundsätzen und arithmetischen Zahlenverhältnissen ruhen , in die höchste poetische Freiheit der Phantasie einzuführen ? Wenn Euch dort die Natur und der erhabene Wasserfall mit Recht begeistert und für Momente Eure ganze Seele ausfüllt , so ist hier dieselbe Natur in ihrer lieblichen Erscheinung nur in eine Regel gebunden , um sie wieder auf andre Weise in die höchste poetische Freiheit hineinzuführen . Diese geraden Baumgänge , diese abgeteilten und abgezirkelten Blumenbeete sind ja nur wie die Stanzen oder Terzinen eines lieblichen Gedichts , wo das Wort der gewöhnlichen Rede auch mit wahrer kindlicher Freude , mit Übermut , in die Regel hineinspringt , um sich selber süß und edler zu vernehmen . Und diese Wasser , Bildsäulen , Vögel , Scherz und Ernst , Schauer und sanfte Wollust , in diesen krausen Gebüschen , zwischen Myrten und Lorbeer und den finstern Zypressen , die ausgebreitete Pinie dort , das Rieseln , Flüstern in den Wipfeln , mit Duft und Echo gemischt , diese fast menschlichen Töne , der Vogelgesang , dort das Gebirge , über uns des Himmels lichte Bläue , das süße Spiel der Lichter , der dunkelnde Schatten – braucht der Mensch in diesem Traum der Wollust noch jenen Jupiter um seine Göttersäle zu beneiden ? « » Schön ! « sagte die Mutter , » sieh , mein Kind , da hast du einmal einen Gegner gefunden , der dir deinen Eigensinn brechen könnte , wenn es ihm wichtig genug wäre , dich in die Lehre zu nehmen . « » Kann sein « , sagte Vittoria , » daß dasjenige , was ich Natur , Schönheit und Freiheit nennen möchte , doch wieder ein zu enger Begriff ist , der wohl wieder zur Gebundenheit und Unfreiheit führen könnte . Und doch mag ich mein Wesen nicht willkürlich erziehn ; ich muß erst das selbst in mir erleben , was eben jetzt der werte Fremde ausgesprochen hat : es ist mir unmöglich , nachzusprechen , was ich nicht selbst einsehe , oder künstliche Wege zu suchen , um mein nächstes Gefühl gegen meine Natur mir zu erziehn . Auch bei Büchern und Gedichten habe ich es nie vermocht und ich will lieber für mich selbst irregehn , als nachfühlend und sprechend mit einem andern recht haben . « Doch , meinte der Fremde , müsse man sich vielleicht in Schriften und Gedichten nach andern und jenen Regeln fügen , die sich schon seit alten Zeiten als Kritik geltend gemacht hätten . » So widersprecht Ihr Euch aber selber ! « rief Vittoria aus . – Sie hätten wohl länger gestritten , wenn nicht eine merkwürdige Erscheinung , die sich jetzt in der Nähe zeigte , ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte . Ein alte Frau trat in Begleitung eines jungen , sehr reich gekleideten Mannes , aus dem nahen Gebüsch . Sie war groß und stark , von männlichem Ausdruck und bräunlicher Farbe , an Kinn und Oberlippe zeigte sich selbst ein leichtes Bärtchen . Alle verbeugten sich ehrerbietig , standen still , und ließen die beiden Gestalten vorübergehen , die sich dem Schlosse zuwendeten . Als sie enfernt genug waren , fragte der Fremde : » Wer war diese Dame , die fast das Ansehn eines starken , ältlichen Mannes hatte ? « - » Die jetzige Besitzerin dieser Villa « , nahm Caporale das Wort , » jene weltberühmte Margarete von Parma , die Tochter des großen Kaisers , des fünften Karl . « » Ist es möglich « , rief der Fremde aus , und schlug die Hände ineinander , » daß ich gerade hier eines solchen Anblicks gewürdigt werden soll ? Dieses Denkmal alter Begebenheiten , dieses große Monument mächtiger Zeiten , dieser freie große Charakter unsrer Geschichte ist an mir vorübergegangen , wie ein Bild des Phidias oder Lysippus . Aus dem Traum der Poesie und Kunst halb erwacht , stehe ich plötzlich in der Wundersage der Historie , und es fehlt mir an einem Maßstabe , mich gleich wieder zurechtzufinden . Sie , die Arme , die aus Politik , fast noch ein Kind , einem grausamen , wilden Medicäer , dem Herzog von Florenz , Alexander vermählt ward , die dann seine Ermordung erleben mußte , ( volle vierzig Jahr sind es jetzt , ) die nachher wieder verheiratet wurde , dann vom Bruder als Regentin nach den Niederlanden geschickt ward , wo sie sich als wahre Königin klug , stark und groß zeigte , in der schwierigsten Lage , ein echtes , edles Gegenbild jener großen Elisabeth von England , bis sie falscher Politik , der Kabale und dem blutdürstigen Herzog Alba weichen mußte . Was hat sie alles gesehn , erlebt und erfahren . Wie müssen ihr die Welt und deren Fürsten , die Widersprüche , die Schwächen der Menschen , Unglück und Glück erscheinen . « » Ja wohl « , antwortete Donna Julia , » nun bewohnt sie seit einiger Zeit diese Villa , wird aber , wie sie mir neulich sagte , vielleicht noch in diesem Jahr zu ihren Schlössern in den Abruzzen und dem Neapolitanischen reisen . Sie schien heut sehr im Gespräch vertieft , da sie uns außerdem wohl angeredet hätte , denn sie zeigte sich immer meiner Familie , vorzüglich meiner Tochter , sehr gnädig und huldreich . « » Sie ist eine einzige Frau « , rief jetzt Caporale . » wenigstens habe ich noch nie eine ähnliche gekannt , oder von ihr gehört . Glaubt ihr wohl , daß sie noch jetzt auf der Jagd , so alt sie ist , die rüstigsten Weidmänner müde macht ? Sie tummelt sich auf jedem Rosse und scheut sich auch vor dem wildesten nicht , sie reitet und jagt allen Stallmeistern voraus , kurz sie ist eine echte Virago , in der edelsten Bedeutung dieses Wortes . « Jetzt eilte der junge Mann , der mit der Fürstin vorher gesprochen hatte , auf die Gesellschaft zu , und bat den alten Dichter Caporale , ihn der Familie vorzustellen , der er schon seinen Besuch zugedacht hatte . Caporale sagte : » Nehmt meinen jungen , trefflichen Freund wohlwollend auf , verehrte Damen , den Grafen Pepoli aus Bologna . « » Wir haben von Euch und Eurer edlen Wohltätigkeit gehört « , sagte die Mutter : » kein Bolognese kommt zu uns , der nicht Euren Ruhm singt . « Der Graf verbeugte sich zierlich und erwiderte mit einer andern diese Artigkeit . Sie gingen hierauf nach Hause und alle setzten sich zu einem einfachen Mittagsmahle nieder . Es gibt Charaktere , die , wenn sie auch nicht einen starken oder ausgezeichneten Geist besitzen , doch durch unverkennbares Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit , sowie durch feines Betragen alle Herzen gewinnen . Zu diesen gehörte der Graf . Auch war man bald mit ihm vertraut , als wenn er schon lange zur Familie gehört hätte . Er bildete einen angenehmen Kontrast gegen den zweiten Fremden , der viel edler , aber nicht so vornehm erschien : das freie , leichte Betragen des Grafen war so , daß man fühlte , er habe sich von Jugend auf in den glänzendsten Kreisen bewegt , daß er zum Edelmanne erzogen sei und den großer angeerbter Reichtum von den frühesten Jahren , nicht nur über jede Not , sondern selbst Unbequemlichkeit des Lebens hinweggehoben hatte . Der andere Gast , dessen lebhaftes Auge so geistreich glänzte , dessen Lippe so fein zu lächeln verstand , glich doch mehr einem Gelehrten , ob man gleich keinen Professor einer Universität und noch weniger einen Geistlichen in ihm erkennen mochte . Nach Tisch begaben sich alle in einen kleinen Gartensaal , wo man sich an der Frische und der Aussicht in die schöne Landschaft erfreute . » Hier , in diesem lieblichen Aufenthalt « , rief Caporale , » sollten wir , wie es jetzt allenthalben geschieht , eine kleine poetische Akademie formieren , und über ein gegebenes Thema improvisieren ; oder sollte die Deklamation zu unbequem fallen , so entwerfe man schnell aus dem Stegreif auf diesen Blättern hier ein kleines Gedicht , oder auch ein größeres , wie es nun gerade die Muse begehrt . « Die Mutter entschuldigte sich und ging um notwendige Geschäfte zu besorgen , und Flaminio begleitete sie , um ihr hülfreich zu sein . Die übrigen setzten sich um den runden Tisch , und Caporale sagte : das Thema sei die Gewalt der Liebe . Alle dichteten , und nach einer stillen Pause , als alle ihre Blätter beschrieben hatten , sagte Cesare : » Ich bin kein Dichter , sondern nur ein Spaßmacher und so spricht es auch dies Sonett aus . « Er las es , es enthielt eine Entschuldigung , er habe immer nur der Parodie gehuldigt , und seine Eitelkeit bestehe darin , daß man seine Gedichte nicht unzüchtig nennen könne , wenn er auch in Spaß und Witz einen Berni , oder andre berühmte Poeten niemals erreichen könne . Der Graf Pepoli sagte : » Wer ist jetzt in Italien wohl nicht ein Dichter ? Es gehört zur Erziehung eines jeden Gebildeten , Verse machen zu können , und wir haben den großen Vorteil daß unsre schöne , fein ausgebildete Sprache schon selber für uns dichtet . Ohne nachahmen zu wollen , wiederholt der Dilettant , selbst ohne es zu wissen , das schon oft Gesagte . « – Seine fein gewendeten Stanzen erzählten in zartem Bilde von dem unerwarteten Glück , in so ausgewählter Gesellschaft auf wenige Minuten den Dichter spielen zu dürfen . Der Fremde las ein Sonett , daß die nahe , begeisternde Schönheit der edelsten Jungfrau , die Mutter derselben , die große Fürstin , deren Anblick er gewürdigt worden , ein Garten zur himmlischen Wollust und Traumseligkeit erschaffen , alles dies ihn zwinge , die höchsten Töne der Poesie anzuschlagen ; aber die Muse schüttle das Haupt und lege den schönen Finger auf die Lippen , ihm zuflüsternd : » Eben weil du zu glücklich bist und zu selig im Genuß , kannst du in diesem Augenblick nicht dichten , lebe und sei zufrieden : Schmerzen und Poesie werden schon zu dir zurückkommen . « Vittoria sah den Fremden verwundert an und dann sinnend vor sich nieder , denn dieses Sonett schien ihr vortrefflich und von einem echten Dichter herzurühren . Dann sagte sie mit großer Lebhaftigkeit : » Die Herrn alle , selbst unser Vorstand , haben in ihren Versen das aufgegebene Thema nicht einmal erwähnt viel weniger durchgeführt ; alle verbeugen sich mit der höflichen Entschuldigung , nicht dichten zu können , und ich Ärmste habe mich , wie wir unterdrückte Weiber immer müssen , geschmiegt und im Gehorchen ein schlechtes und langes Gedicht geschrieben . « – Sie las eine Kanzone , deren Inhalt ohngefähr dieser war : – » Gewalt der Liebe . « » Alles , so sagen die Dichter und viele andre Sterbliche , wird von der Liebe regiert . Ich , zu jung , um sie zu kennen , zu schüchtern , um sie herauszufordern , wie soll ich sie besingen ? Wohl sind mir viele der Hymnen bekannt , die ihre Gottheit verherrlichen sollen ; aber auch andere dithyrambische Gesänge , in welchen Venus und Amor nicht minder kräftig geschmäht und gelästert werden . Da erscheinen alte Fabeln und große historische Sagen vor meinem Blick . Das mächtige Kind der Tauben , die hohe Semiramis , fand sich plötzlich als Königin von Babylon . Eine große und schöne Stadt , doch zu klein und unbedeutend für ihre schaffende Phantasie . Ihre ganze Seele ward trunken , als sie den großen Schatz des Goldes , die unermeßlichen Reichtümer in ihren Kammern entdeckte . Künstler , Staatsmänner , Diener und Bürger , Maurer , Steinmetzen und Handlanger kamen nun ihren königlichen Träumen willig entgegen . So erhob sich aus diesen Kammern und ihrem Geiste dies Babylon , das Wunder der Welt . – Wie aber , wenn ein andrer Geist , vielleicht ebenso stark und kühn , diese Paläste , Türme , hängenden Gärten und ewige Mauern aufführen wollte , und fände nur ein kleines , kleines Kapital in seinem Vermögen ? Ein lächerliches Unding würde entstehen , ein armseliger , verächtlicher Versuch , vor jedermann zum Spott , oder zum Mitleid den Bauenden hinstellend . – So vergleiche ich dem großen , mächtigen Willen dieser schaffenden Phantasie die Liebe , und der Gegenstand , auf den diese Liebe sich wirft , sind ( ein seltner Fall ) die unerschöpflichen Goldkammern der Semiramis – oder – das armselige Vermögen , aus welchem sich mit Sicherheit und als vollendet nur eine Hütte zusammenflicken läßt . Laß ruhen das Bauen , und entsage der Liebe , wenn der Geist , den du lieben und anbeten , ihm gehören möchtest , nicht in seinen Tiefen die göttlichen Kräfte aufbewahrt , durch die allein die Liebe ihre Würdigung finden kann . Darum bleibe mir fern , holdselige Venus , mit deinen Gaben ; denn nur im Fabelreiche wohnt der Held , dessen Seele mir als Goldstrom jener Taubentochter entgegenleuchten könnte , um die himmelhohen Türme , Paläste und schwebenden Gärten meiner Phantasie aufzubauen . « – Der Fremde neigte sich bewundernd , und küßte die schöne Hand der Dichterin , der Graf sagte in feinen Worten eine zierliche Schmeichelei , und Caporale rief ein herzhaftes : » Brava ! – Nun « , fuhr er fort , » teilt uns nach Versprechen noch ein Fragment , einige Verse aus Eurem größeren Gedichte mit , an dem Ihr arbeitet , mein verehrter Freund . « Der Fremde nahm einige zierlich geschriebene Blätter aus seinem Mantel , indem er sagte : » Ich will Euch eine Episode des Werkes vorlesen , und mir über diese Euer freimütiges Urteil erbitten , da viele Verständige sie schon bekrittelt , oder selbst völlig verworfen haben . « Er fing an zu lesen , von Erminien und ihrer Liebe , als Vittoria ahnungsvoll rief : » Und der Name Eures Werkes ? « » Das befreite Jerusalem , « sagte der Fremde , wie beschämt und etwas errötend . » Oh , um Gottes willen ! « sagte Vittoria , laut schreiend - » so seid Ihr ja jener Torquato Tasso , von dessen Gedicht schon ganz Italien spricht – der schon vor vielen Jahren uns den herrlichen Rinaldo gab – von dem der himmlische Aminta herrührt , von welchem uns der tückische Caporale einzelne Stellen , wie die über das goldene Zeitalter , mitgeteilt hat . – Ha ! Bösewicht ! « so wendete sie sich an diesen – » also so boshaft könnt Ihr sein , den großen Dichter so zu verschweigen ? « » Es geschah in guter Absicht « , sagte der Alte lächelnd . » Wußtet Ihr , wer Euer Gast war , so hieltet Ihr gewiß mit Eurem Wesen an Euch ; denn das liegt einmal in unsrer Natur , daß wir es einem Fürsten oder großen Manne durchaus recht machen und keine Blöße geben wollen , keinen Widerspruch versuchen . Wußtet Ihr , wer dieser Unbekannte war , hättet Ihr Euch gewiß nicht mit ihm gezankt . So aber seid Ihr nun wie alte Bekannte und ich bin mit mir zufrieden , daß ich es durchgesetzt habe : denn er wollte erst gar nicht einwilligen , weil er meinte , es setze Eitelkeit und Stolz voraus , so inkognito in eine liebe Familie einzutreten . « » Niederknieen müßte man « , rief das lebhafte Mädchen wieder : » so ist es ziemlich , wenn eine Gottheit den Sterblichen würdigt , seine niedere Hütte zu besuchen . « Sie erhob sich und eilte in heftiger Bewegung zur Tür . » Wie könnt ich es verantworten « , sagte sie eilig , » wenn ich nicht meine Mutter und den Bruder davon benachrichtigte , welchen Gast wir heute bewirtet haben . « Als die Männer allein waren , sprach Graf Pepoli mit großem Verstande zu Tasso , über das Glück , ihn persönlich kennengelernt zu haben . Tasso war aufgeregt und konnte mit den Lobsprüchen , die der gebildete Mann ihm mit der größten Überzeugung und Aufrichtigkeit spendete , wohl zufrieden sein . Die Mutter und Flaminio erschienen , und der Gast sah sich , von so vielfältiger Verehrung und Freundschaft angeregt , um so mehr veranlaßt , jene berühmte und schöne Stelle seines Gedichtes , die damals von so vielen anmaßlichen Kennern und Kritikern verworfen wurde , mit Freude und Genugtuung vorzutragen . Wie trocken und nüchtern « , sagte die begeisterte Vittoria am Schlusse , » muß die Seele dessen sein , der die Schönheit dieser Dichtung nicht empfindet . – O teurer , einziger Mann ! ich hoffe , wenn Ihr nur irgend in Rom verweilt , daß wir uns noch wiedersehn ; aber für jetzt schlagt mir meine Bitte nicht ab , daß ich die Hand , die so schöne , so himmlische Worte niederschrieb , in innigster Verehrung an meine Lippen drücken darf . « Tasso erhob sich und sagte : » Beschämt mich nicht so sehr , schöne Jungfrau . Aber der Dichter dürfte vielleicht vor allen andern sterblichen Menschen ein andres Anrecht in Anspruch nehmen , welches ihm die Musen verliehen haben . Laßt mich , in Gegenwart Eurer verehrten Mutter , zum ewigen Angedenken dieser schönen Stunde , einen Kuß von diesen schönen Lippen pflücken . « Die beiden dichtenden schönen Wesen umarmten und küßten sich innig , und es blieb , in diesem poetischen Taumel , nicht bei dem einen erbetenen Kusse , da Tasso fühlte , daß sie seine begeisterte Berührung mit den süßen , vollen Lippen erwiderte . Als man Abschied nahm , sagte der Graf : » Ich würde um die Erlaubnis nachsuchen , morgen meinen Besuch wiederholen zu dürfen , wenn mich nicht teure Verpflichtungen nach Rom hinzwängen . Ein Verwandter von mir , ein ferner Vetter , aber ein reicher Mann , ist von den Banditen aus Subiaco , dort im Gebirge , fortgeraubt worden , und die Räuber verlangen für ihn ein unermeßliches Lösegeld . Das schlimmste aber ist , daß keiner weiß , wohin sie den Armen geschleppt haben . Nun sind viele eingefangen und nach Rom gebracht worden , und von diesen ist mir einer bezeichnet , der vielleicht die Kunde , die genaueste , von jenem Vorfall haben mag . « Die Fremden beurlaubten sich und Flaminio geleitete sie , um dem großen Tasso , den er innigst verehrte , noch einige Zeit näher zu bleiben . » Wir reisen morgen auch nach Rom « , sagte die Mutter plötzlich zur Tochter . » Himmel ! « rief Vittoria , » wie erschreckst du mich , Mutter ! Ich hoffte , wir würden die Villagiettura noch recht fröhlich hier fortsetzen , da jetzt erst so manche unsrer Freunde herausziehn werden ; denn der Herbst hat ja erst angefangen . « » Es muß sein « , sagte die Matrone . » O Mutter ! « klagte die Tochter , » ich kann es dir nicht aussprechen , wie schrecklich und gespenstisch mir diesmal die Stadt vorkommt . Dies große , ewige Rom , um das uns so viele Fremde beneiden , und den Aufenthalt dort als einen glückseligen preisen – o wie greulich , furchterfüllt , entsetzlich erscheinen mir diesmal seine Straßen und Plätze ! Ich habe eine Vorempfindung , als wenn mir dort das allergrößte Unglück meines Lebens begegnen , als wenn ich dort untergehen müsse . O laß uns noch verweilen . Warum diese Hast ? « » Warum ? « rief die geängstete Mutter ; » weil ich Kinder habe , die mein Stolz und meine Freude sein sollten , und die mir zur Höllenqual werden . So wisse denn , Unglückselige , daß sie unsern Marcello zum zweitenmal eingefangen haben : in dem Briefe , den ich heute erhielt , spricht man von Hinrichtung , wenigstens von der Galeere . Er hat sich wieder bei den Banditen betreffen lassen . Ich muß nach Rom ; unser Schützer , der Kardinal Farnese , muß sich unserer annehmen , sonst sind wir verloren . « » Um Gottes willen « , sagte Vittoria in Tränen , »– dieser unglückliche Bruder – diese seine Unruhe und Wildheit , die er für Kraft und Tugend hält ! Aber Liebste , o du meine einzige Freundin ! schütze mich nur dort vor allen den rohen , unbändigen Gesellen , die mich zu lieben vorgeben , die meine Freier vorstellen wollen . O dieser abscheuliche Luigi Orsini , dieser entsetzliche Mensch , so im Wesen , wie ich mir den Herzog Alexander Medici von Florenz , oder gar den verruchten Cesar Borgia denke – nur vor diesem und andern seines Gelichters beschütze mich – sonst wäre mir ja wahrlich besser gewesen , dort im Wassersturz unterzusinken . « » Darüber beruhige dich , meine Tochter « , tröstete die Mutter , »– dieser Orsini , dieser Ludwig , soll nicht über unsre Schwelle schreiten . « » Gib mir noch ein Versprechen ! « rief Vittoria . – » Nun ? « – » Daß du deine Einwilligung gibst , daß ich mich gar nicht zu vermählen brauche ! Ich hasse , ich verachte die Männer ! Ich könnte eher einen vergiften , als mich ihm unterwerfen . Dies scheint mir das ärgste , schändlichste aller Verbrechen . Nein , Mutter , zwinge mein Gemüt nicht , daß es sich empört und sich lieber in alle Greuel taucht , die Namen haben , als daß es sich der Gemeinheit ergibt , die so viele jämmerliche Menschen Tugend und Notwendigkeit nennen . « – » Tochter ! Tochter ! « sagte Julia geängstigt , » vielleicht empfinde ich in Zukunft um dich noch mehr Angst , als mir jetzt der unglückliche Marcello macht . O Gott ! Was ist das Leben ? Rüste dich zur Reise . « Als sich Vittoria allein sah , blickte sie zum Abendhimmel empor . – Der Mondschein zeigte ihr die Berge , sie hörte in der Stille der Nacht den Wasserfall brausen . » Lebt wohl « , rief sie , » alle ihr geliebten , teuren Wiesen und Bäume ! – hab ich nicht heut gesehn , daß dieser göttliche Tasso auch nur ein Mann , ein schwacher Mann war ? – Nicht stärker als Camillo . – Wo find ich ein Wesen , das ich ehren und lieben könnte ? – Gut denn : der Tiberstrom wird immer noch ebenso tief sein , wie der Teverone ; – wenn man frei sein will , wahrhaft will , so gibt es kein Schicksal , das uns Ketten anlegen könnte ! « Zweites Buch Erstes Kapitel Als die Familie in Rom angekommen war , richtete sie sich in ihrer einfachen Wohnung wieder auf die frühere Weise ein . Es fehlte nicht an Besuchen , als die Römer erfahren hatten , daß alle aus Tivoli zurückgekehrt seien . Die Mutter suchte sogleich ihre mächtigen Beschützer in Anspruch zu nehmen , um ihren unglücklichen Sohn von der Schande oder einem noch härteren Lose zu befreien . Sie fand aber jetzt mehr Schwierigkeiten , als sie sich dort in ihrer ländlichen Einsamkeit hatte vorbilden können , denn fast alle Parteien waren einstimmig der Meinung , die Gerichte wären bis jetzt zu nachgiebig gewesen , und es sei zum Wohl des Ganzen notwendig , dem Volke wie den Räubern ein auffallendes und abschreckendes Beispiel zu geben . Am schwierigsten zeigte sich , was die Mutter am wenigsten vermutet hatte , der mächtige Kardinal Farnese , der vieljährige Freund und Beschützer der Familie . Die Fürstin Margareta von Parma hatte sich auf dringendes Ansuchen des Grafen Pepoli persönlich an den Kardinal gewendet , ihr und der guten Sache in diesem schändlichen Handel beizustehn , und wenigstens den Anstalten , welche die Regierung für notwendig halten würde , nichts in den Weg zu legen . Farnese war so aufrichtig und mitteilend , daß er der Matrone selbst den Brief der Fürstin zu lesen übergab . » Die letzte Äußerung , werte Freundin « , sagte er dann lächelnd , » werdet Ihr ebensogut begreifen , als ich selber . Wie vielen Verdruß haben mir meine Feinde , vorzüglich die Partei der Medicäer erregt , weil sie mich mehr als einmal beschuldiget haben , daß ich mit verschiedenen Anführern der Banden in Verbindung stände , um meinen Gegnern Schaden zuzufügen . Meinen großen Prozeß , wegen der abgeschickten Banditen , die mich draußen in meiner Villa von Caprarola auf Anstiften dieser Partei und des Großherzogs hatten ermorden wollen , kennt Ihr ja , Ihr werdet Euch auch des traurigen Ausganges dieses Handels erinnern , der mir , meinem Ruf und Ansehn so nachteilig wurde : weil geschickte und verschmitzte Advokaten die Sache so zu drehen wußten , daß viele einzusehn glaubten , von mir selbst rühre dies Komplott her , ich habe die Bösewichter angestiftet , um dem Großherzog und dem Hause der Medici einen empfindlichen Schlag beizubringen . Nun hat jetzt der Kardinal Ferdinand , der Bruder des Fürsten , mehr Einfluß gewonnen als je , er hat sich mit dem frommen Carl Borromeo verbunden , und diesen beiden , die den Ruf großer Tugend sich verschafft haben , folgen viele andre , die auch für rechtlich gelten möchten . Alle diese haben sich gleichsam das Wort gegeben , mir gemeinsam , entgegenzuhandeln . Der alte gebrechliche Montalto hat sich ebenfalls ihnen beigesellt , der Schleichende , der , wenn er auch nicht nutzen kann , doch wohl zu schaden vermag . Der Heilige Vater selbst ist froh , wenn er von allen diesen Geschichten nichts vernimmt , um seinen Studien , der Angelegenheit der Religion und seinem geliebten Sohn , dem General und Gubernator von Rom zu leben . Beim Papst vermag ich , in dieser Zeit wenigstens , vollends nichts auszurichten , weil er mit der größten Eifersucht in mir seinen etwanigen Nachfolger zu sehen wähnt , und fürchtet , daß ich nach seinem Tode seiner Familie allen möglichen Schaden zufügen möchte . Seht , so sehr hat es mir geschadet , daß man mich seit Jahren den Mächtigen , den Einflußreichsten , ja den Despoten genannt hat , der das Kollegium der Kardinäle eigensinnig beherrscht . Geschadet hat es mir , daß ich beim letzten Konklave so viele Stimmen für mich hatte . Also beruhigt Euch , ich will überlegen , wie man der bösen Sache auf irgendeinem Wege beikommen kann . – Aber warum setzt uns auch Euer Sohn in diese Verlegenheit ? Es ist zu verdrießlich , wegen eines Verbrechers , der nicht zu den großen Häusern gehört , Autorität und Macht auf das Spiel zu setzen . – Weint nicht , geehrte Frau ; so viel werden wir vermögen , und dahin will ich viele meiner Kreaturen stimmen , den Prozeß in die Länge zu ziehn , daß es nicht so bald zum Spruch und zur Entscheidung kommt , und Ihr wißt wohl , in manchen Fällen heißt es mit Recht : Zeit gewonnen , alles gewonnen . Indessen kann in einem oder zwei Monaten sich vieles ändern , und stehe ich einmal auf einem andern Platze , so können alle meine Freunde , zu denen Ihr gehört , meines Schutzes gewiß sein . « Donna Julia fühlte wohl , wieviel sie selber beim Kardinal durch die schlechte Aufführung ihres Sohnes verloren hatte . Sie sah ein , daß der mächtige Mann nicht eines ganz unbedeutenden jungen Menschen wegen etwas Auffallendes tun , oder sein Ansehn für seine Rettung wagen könne : Farnese konnte also nur noch handeln als persönlicher Freund des Hauses , und insofern konnte sie noch auf Wohlwollen , Unterstützung , aber nicht auf das Einwirken des Kardinals rechnen . Als dieser ihre tiefe Bekümmernis sah , faßte er ihre Hand und sagte freundlich : » Mir fällt etwas ein ; geht doch einmal , zum Überflusse , zum Montalto ; der Alte setzt etwas darein , für hülfreich zu gelten , er bekehrt gern die Sünder und tröstet die Leidenden ; er kann vielleicht den Medicäer , und dieser den Borromeo und den Gouverneur zu Eurem Besten stimmen , so daß die Richter nachher durch die Finger sehn , oder im äußersten Fall den Delinquenten entspringen lassen . « Mit so geringen Hoffnungen mußte die Donna den Palast verlassen , und sie überlegte unterwegs , wer von ihren Bekannten wohl am fähigsten sei , sie auf eine würdige Art beim Kardinal Montalto einzuführen , dessen Bekanntschaft sie noch nie gemacht , den sie in keiner Gesellschaft sah , weil er sehr zurückgezogen lebte , sich nur den geistlichen Pflichten widmete und , seiner Kränklichkeit wegen , die Mußestunden in seinem Garten zubrachte . – Vittoria hatte indessen bei Freundinnen einige Besuche gemacht , war dann in der Kirche Maria Maggiore gewesen und ging nun , von ihrer Amme und dem alten Diener begleitet , nach ihrem Hause zurück . Als sie sich von dem Tempel nach der nächsten Straße wendete , kam ihr ein Zug von geputzten jungen Leuten entgegen . In ihrer Mitte wandelte mit leichtsinnigem Ausdruck ein Jüngling von mittlerer Größe , schlank aber schwach gebaut , mit ganz hellblondem Haar , das er nur wenig gekräuselt auf den Schultern schweben ließ ; sein Auge war blau , und der Ausdruck seines Gesichtes kein bedeutender . Vittoria war im Begriff , ihn anzurufen , so ähnlich erschien er dem wohlbekannten Camillo : doch noch einen Schritt näher , und sie sah , wie sehr sie sich getäuscht hatte ; denn in diesem Jüngling war keine Spur jener bäurischen Treuherzigkeit , die ihr an ihrem Jugendgespielen immer so wohl gefallen hatte , und sie erschrak fast , als sich in diesem Augenblick sein schwebendes , unbedeutendes Lächeln in einen Ausdruck von rohem Trotz und Gemeinheit verwandelte ; denn er zankte plötzlich mit einem seiner Begleiter und drohte diesem , einem großen starken Menschen , sogar mit der Faust . Vittoria war getröstet und beruhigt , als sich unerwartet der alte Hausfreund Caporale zu ihr gesellte . Indem beide nach der Wohnung der Accoromboni gingen , fragte sie : » Wer ist dieser junge Bursche , der sich so seltsam gebärdet ? Er scheint eins von jenen verzogenen adligen Muttersöhnchen , die sich durch Erbärmlichkeiten wichtig machen wollen . Solche alberne Kreaturen fangen oft aus leerem , langweiligen Mutwillen Händel an , die zu Unglück und Verderben ausschlagen . « So ist dieser nicht « , antwortete Don Cesare ; » er ist das friedfertigste Gemüt auf Erden , und meint nur als römischer Neuling , er müsse sich doch vor jenen jugendlichen Schmeichlern und Dienern durch Mienen , lebhaftes Gespräch , scheinbaren Eigensinn und nicht ernstgemeinten Zank ein Ansehn geben ; am eifrigsten so bemüht , wenn Fremde ihn beobachten , oder gar eine Dame ihn ihrer Aufmerksamkeit würdiget . Und so war es nur ein kleines , improvisiertes Schauspiel , was er Eurer schönen Gegenwart als Huldigung darbot . « Vittoria lachte und der Dichter fuhr fort : » Dieses Bürschchen ist der Abkömmling von armen Bauersleuten , sein Oheim hat ihn unterhalten und ihn in einem ganz kleinen Städtchen die Schule besuchen lassen ; dann haben ihn Mönche in die Zucht genommen und unterrichtet , und endlich , da er ganz erwachsen ist , hat ihn derselbe Oheim nach Rom kommen lassen , um zu sehn was aus ihm zu machen wäre . Dieser Vormund ist nämlich kein anderer , als der alte , hinfällige Kardinal Montalto , der vor seinem Ende diesen Neffen wenigstens noch anständig versorgt sehn möchte . Er wollte ihn zum Geistlichen machen , weil er , da ihm Reichtum und liegende Besitztümer fehlen , ihn in der Kirche am leichtesten emporbringen konnte . Davon will aber der schwache Mensch , in dem Punkte eigensinnig , nichts wissen , und Ihr habt selbst gesehn , wie wenig er zum Priester geeignet ist . « Indem entstand hinter ihnen ein großes Geschrei , und sowie sich Caporale umwendete , stürzte ihm zu seiner großen Verwunderung derselbe Jüngling , von welchem sie eben gesprochen hatten , leichenblaß und mit allem Ausdruck der Angst an die Brust , indem er laut schrie : » Er kommt ! er kommt ! « Vittoria blickte um , und zog mit ruhiger Bewegung den Dichter noch zur rechten Zeit auf die Seite , welchem der junge Bursche mechanisch folgte , der sich noch immer mit dem Alten fest umarmt hielt . Einer von den Stieren , die frei , an langen nachschleppenden Seilen in Rom von mehreren Reitern , die im Trabe oder Galopp nebenbei rennen , eingeführt werden , war seinen Aufsehern entsprungen und rannte nun die Gassen hinab , Schlächter , Jungen und Alte hinterdrein , die Menschen , die entgegenkamen , zur Seite springend , um nicht beschädigt zu werden . » Die Gefahr ist vorüber , mein Herr Peretti « , sagte der Dichter . » faßt Euch , Ihr zittert und seid fast ohnmächtig . « » Wir sind unserer Wohnung ganz nahe « , sagte Vittoria , » tretet zu uns ein und erquickt und erfrischt Euch . « » Sehr gnädig , Signora « , sagte der Jüngling ; » es ist aber schändlich , wie meine Freunde und Begleiter entflohen sind und mich im Stich gelassen haben . « Sie traten in den frischen kühlen Saal und die Magd flüsterte ihrer Herrschaft zu : » Es ist schon einer drinnen , der gnädige Herr , die Exzellenz , der mächtige Don Ludovico Orsini . « Vittoria erblaßte und sagte nur leise vor sich hin : » Dies Untier ist gefährlicher , als jenes . « Ein großer , kräftiger junger Mann trat ihnen jetzt mit dem Ausdruck eines frechen Übermutes entgegen . Er begrüßte die übrigen nur ganz leicht , indem ein verachtender Blick schnell über den jungen Peretti hinstreifte , und als der Diener Stühle gesetzt hatte , wendete er sich , stark betonend , mit den Worten zu Vittoria » Ihr werdet meinen Brief erhalten haben . « » Ja « , erwiderte diese nicht ohne Verlegenheit . – » Und ? « fragte der Graf fast in schreiendem Ton . » Wie kann ich Euch antworten ? Was Euch sagen ? « sprach Vittoria , » Ihr kennt meine Gesinnungen , an jenem Abende , ehe wir nach Tivoli gingen , habe ich , Ihr müßt es Euch erinnern , meine Überzeugung erklärt . Warum soll ich noch öfter wiederholen , was mir peinlich ist auszusprechen ? « » Ha ha ha ! seltsam genug ! « rief der Graf mit schallendem Gelächter : » ich , aus einem der ältesten Häuser , reich , von Einfluß ich , vor dem Hunderte zittern , biete einer unbedeutenden Bürgerin meine Hand , und mit dieser mein Vermögen und meinen Rang , und sie kann mir nichts dagegen schenken , als ein artiges Lärvchen , einen schlanken Wuchs und weiße Gliedmaßen : bin ich denn rasend , da ich in den Familien der Herzöge und Fürsten nur wählen darf ? « » So wählet doch ! « rief Vittoria , die jetzt ihren Stolz und Mut wiedergefunden hatte : » wer zwingt Euch , ein armes , unbedeutendes Bürgermädchen zu belästigen ? Ich werde es für Gnade von Euch und wahren Gewinn achten , wenn ich Euer Antlitz niemals wiedersehe . « » So ? « rief der rohe Mensch , im höchsten Zorn , » es kann sich aber doch fügen , daß ich Euch noch zu mei nen Füßen knieend im Staube sehe , um Euern verehrten Bruder vom Galgen loszubitten . « » Das ist zu viel ! « schrie Vittoria , ganz außer sich : » Elender ! entferne dich gleich , gleich jetzt in diesem Augenblick ! So ein Armseliger , Verächtlicher , will vorgeben , sich herausnehmen , sich so stolz dünken , mich lieben zu dürfen ! Er , für den jede Dorfmagd noch zu gut ist , er , den ich so tief verachte , daß der Galeerensklave in meinen Augen höher steht . « Orsini sprang auf , und man konnte fürchten , daß der freche Mensch etwas Schreckliches unternehmen könne . Caporale eilte ihm entgegen und hielt ihn gewaltsam zurück . Mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung wendete sich der Graf um und betrachtete stillschweigend den alten Mann : » Elender Versedreher « , sagte er dann , » Ihr wagt es , mich körperlich anzugreifen . « » O ja « , rief dieser erzürnt ; » solange ich Hand oder Fuß rühren kann , werde ich als Mann auch mit meinem Blut eine Dame , meine Freundin , gegen Gewalttätigkeiten schützen . « » Sklave ! « rief der Graf , und machte sich aus der Umarmung Caporales frei . » Herr Graf « , erwiderte Caporale ruhig ; » ich bin unabhängig , frei , man hat mich gewürdiget , mich in der Provinz zum Governatore zu ernennen . « » O ja « , sagte jener ; » von ein paar armseligen Burgflecken . Und wenn ich zwanzig meiner Leute hinsende , so brennen sie dem Herrn Gouverneur seine Wohnung ab und schleppen ihn in Ketten und Banden auf mein Schloß . Ihr seid mir aber zu verächtlich , um mit Euresgleichen Krieg zu führen . – Und Euch , Accorombona , laß ich nicht , und wenn Ihr mich noch schimpflicher behandelt . Die Worte eines Weibes verletzen nicht ; und der Teufel , der mich in Glut für Euch entzündet hat , wird mir auch Mittel und Wege zeigen , Euch zu besitzen . So oder so müßt Ihr die Meinige werden . « Er stürmte fort und rannte fast die Mutter um , die ihm in der Tür entgegentrat . Vittoria warf sich laut schluchzend an den mütterlichen Busen , diese aber kam ihr auch mit Tränen entgegen . Caporale tröstete , soviel er vermochte , doch wußte er für den Augenblick keinen Rat . Jetzt empfahl sich der junge Peretti den Frauen , indem er höflich um die Gunst ersuchte , seinen Besuch wiederholen zu dürfen , und die Bekanntschaft , die unter so seltsamen Umständen begonnen hatte , fortzusetzen . In der Tür sagte er halb für sich : » Eine schlechte Polizei in Rom ; die wilden Stiere stoßen die Menschen in den Straßen um , und die rasenden Grafen rennen in die Häuser hinein . « Zweites Kapitel Graf Pepoli war für seinen Verwandten eifrig bemüht ; aber sosehr die Gerichte den besten Willen zeigten , so wenig war doch Aussicht , daß ihm seine gute Absicht gelingen würde . Der reiche Signor Velluti war verschwunden , und von allen eingefangenen Banditen wollte kein einziger den Ort kennen , wo man ihn hingeschleppt , oder wer ihn in Verwahrung habe . Prozeß und Verhöre gegen die Verbrecher waren noch nicht weit gediehen , und ein Advokat , den der Graf schon reichlich beschenkt hatte , gab diesem zu verstehen , es müsse irgendeine mächtige unsichtbare Hand im Spiele sein , die , wie es schon öfter der Fall gewesen , alles verzögere , um diesen oder jenen zu beschützen , oder zu verhindern , daß nicht irgendein Vornehmer ebenfalls in den traurigen Handel verwickelt werde . In den Gefängnissen selbst , die der Graf fleißig besuchte , hörte er von einem Verbrecher , der schon früher eingefangen war , und jetzt wegen anderer Frevel sein Todesurteil empfangen habe , daß dieser vielleicht imstande sei , einige Nachweisung zu geben . Graf Pepoli ließ sich zu diesem verwilderten Mörder hinführen , der mit schweren Ketten an die Wand seines finstern Kerkers geschlossen war , und den er , als geöffnet wurde schreiend traf , indem er eben ein Gassenlied jubelnd absang . Als der Verruchte hörte , von wem der Fremde zu ihm gewiesen sei , rief er : » Ei ! lebt die alte ehrliche Haut noch , und ist noch nicht gehängt ? Nun , das freut mich , grüßt den Kumpan nachher von mir recht herzlich , er wird es wohl schon erfahren haben , daß ich mich übermorgen auf die große Reise begebe . Ja , ja , mit mir ist es dermalen aus , und ob man noch einmal von vorne anfangen kann , steht dahin . Je nun , ich bin seit lange darauf vorbereitet ; nach den Gesetzen hätte ich schon zehnmal den Tod verdient . Versteht mich , was man so nach den Gesetzen nennt , die aber niemals ausgeübt werden , als wenn unsereins keinem mehr schaden oder nützen kann . Ja , ich habe , und nicht bloß durch meine eigene Schuld , meine Beschützer verloren . Ehemals war ich besoldet von recht frommen , tugendhaften Leuten auch großen und mächtigen : die haben mir oft durchgeholfen . Ich war nur Dolch und Messer : diese Reichen , Verehrten , denen jedermann mit Respekt aus dem Wege ging , waren die Hand . Meinethalb , ist doch die Welt einmal so eingerichtet . « Als der Mörder das Gesuch des Grafen vernommen hatte dachte er ein Weilchen nach , dann sagte er : » Kommt mir einmal ganz nahe , werter Herr , daß ich eure Physiognomie betrachten kann , denn es ist so verdammt finster hier , und Ihr seht wohl daß ich nicht zu Euch hinrutschen kann . – Ah ja ! Ihr seht recht ehrlich , ja sogar recht weichmütig aus , es wird also wohl keine Finte sein , um noch andere gute Kameraden in das Elend zu bringen . Wir hatten ehemals einen lieben herrlichen Menschen unter uns , Ascanio genannt , ein sanfter Kerl , der uns mit seinen Predigten immerdar vom Morden abhalten wollte ; er war ein halber Pfaff und dachte sich vielerlei Gutes bei den Worten Himmelreich , Gewissen , Religion und dergleichen Schnurren , die uns tätige Menschen nichts angehn . Dieser Ascanio war immer der Vertrauteste mit dem Oberhaupt jener Bande bei Subiaco , dessen Namen wir alle nicht wissen ; denn der närrische Ambrosio , den hier die Richter dafür halten , ist nur so ein Beiläufer , einer , der das Mus einrühren hilft , selten aber etwas zu fressen kriegt . Dieser Ascanio war immer wie unser Staatsminister oder Geheimschreiber . Der weiß , was der Teufel selber nicht weiß aber dabei ein Mensch , wie ein Lamm . Den guten Burschen haben sie jetzt in Castell Angelo eingesperrt , unter dem Vorgeben , er hätte falsche Münzen geprägt und ausgegeben . Ist es wahr , so macht das dem pfiffigen Kerl alle Ehre , nicht wahr ? und er ist ja fast ein Genie , wie unser Benvenuto Cellini . Es kann aber auch sein , daß es nur ein Pfiff der Unsrigen ist , daß sie ihn mit falschen Aussagen dahin gebracht haben , damit er in ihrem Banditenprozesse nicht mit figurieren soll . – Seht mal , guter Freund , ich vertraue Euch das alles so treuherzig an , weil Ihr mir ehrlich ausseht . Und Ihr mögt darüber denken , wie Ihr wollt , in meiner langen Erfahrung habe ich immer die meiste Treue und Ehrlichkeit unter Spitzbuben , Dieben und Mördern angetroffen . Es ist ja auch ganz natürlich , die tugendhaften Menschen in Eurer Welt leben von der Tugend , das ist ihr Gewerbe wie es aber irgend ihr Vorteil mit sich bringt , daß sie mit der Schelmerei mehr gewinnen können , schrammen sie aus und spazieren nebenbei . Besonders , wenn sie keine Entdeckung zu besorgen haben . Dagegen wir armen ehrlichen Schelme ! Das Regiment bei uns könnte ja keine vierundzwanzig Stunden bestehn wenn wir nicht untereinander Treue und Glauben hielten . Und welcher Bischof , Graf oder Kardinal würde uns denn jemals vertrauen , wenn er uns für ausschwatzendes Gesindel hielte ? Vor zehn Jahren etwa haben sie mich zweimal auf die Folter geworfen , aber der große Herr lebt noch in Ehren , Glück und Würde , so wußte ich meine Zunge im Zaum zu halten . Und wahrlich , die Schmerzen , die sie mir künstlich antaten , waren nicht klein . Ich habe auch jetzt den großen Mann um Hülfe angesprochen , aber er lacht mich nur aus , und mit Recht , denn es ist zu lange her , die Sache ist vergessen , keiner würde mir glauben , ja kein Richter und Advokat mich nur um das ganz verschollene Ding anhören wollen . « Der Graf ließ dem Unglückseligen ein Geschenk zurück , damit er sich noch einmal an Wein und einem Lieblingsgericht erheitern könne . Als er sich in Castell Angelo beim Governadore wollte melden lassen , vernahm er , daß dieser in einem wichtigen Geschäft über Land sei , und erst morgen zur Stadt wiederkehre . Er nahm sich also vor , seinen Abend bei einem Freunde zuzubringen , um sich von diesen traurigen Geschäften in einer edlen Gesellschaft wieder etwas zu erholen . Der Freund des Grafen , ein angesehener Römer , sah vorzüglich gern Gelehrte und Dichter in seinem Hause . Graf Pepoli , sooft er nach Rom kam , wohnte bei diesem Gastfreunde , der sein Verwandter war . Als man sich im heitern Kreise gegenseitig begrüßt hatte , trat auch Caporale herein , und bald nach ihm der alte Speron Sperone . Dieser feierliche Mann , welcher gern die jüngeren Leute beherrschte , erschien in einem langen , dunkelfarbigen Talar , weder die Tracht eines Priesters , Rechtsgelehrten , noch Professors , sondern ein Gewand , das er sich selbst ersonnen hatte , und das vielleicht an die römische Toga erinnern sollte , doch hatte es Ärmel und war um die Hüften mit einem breiten Gurt umschlossen . Dieser Dichter , für welchen er sich gerne gab , war hoch und schlank , sein Gesicht hatte den Ausdruck des Feierlichen , auch war seine Sprache langsam und seine Rede gesucht . Die übrige Gesellschaft bestand aus einigen angesehenen römischen Familien , Edelleuten , die ihre Frauen und Töchter hergeführt hatten , hauptsächlich in der stillen Erwartung , den berühmten Torquato Tasso kennenzulernen , von dem man wußte , daß er sich seit einiger Zeit in Rom aufhalte . Bald aber entstand eine allgemeine Trauer , als der Wirt erklärte , der große Dichter habe zu ihm gesendet , und seine Abwesenheit entschuldigt , indem er krank geworden sei . Einige junge schöne Damen äußerten laut ihr Mißvergnügen und beklagten den Armen , der so oft an Unpäßlichkeit litt , und sich doch in seinen Arbeiten durch die wiederkehrenden Leiden nicht stören ließ . » Vielleicht « , sagte eine junge schöne Frau mit lachender Miene , » kommt Tasso nicht , weil er erfahren hat , daß er seinen großen Gegner , den strengen Herrn Sperone , hier antreffen würde « . » Gewiß nicht deshalb « , sagte der ernste Mann ; » denn waren wir je entzweit , so haben wir uns jetzt wieder versöhnt , und keiner ist so geneigt als ich , den Gaben dieses Jünglings Gerechtigkeit widerfahren zu lassen . Er hat mich , weil ich schon ein vertrauter Freund seines außerordentlichen Vaters war , freiwillig zum Kritiker seines großen Werkes ernannt , und was kann ich dafür , wenn meine Überzeugung mich antreibt , dem Vater den Preis des größeren Dichters zuzuschreiben ? Und ist dies ihm eine Schande ? Darf es ihn wohl kränken ? « » Der Ruhm bleibt wenigstens in der Familie « , sagte Caporale , » und wenn unser Bernard nur noch lebte , so müßte er sich mit seinem Sohne in den genau abgewogenen Preis teilen . « » Er ist ein Dichter « , bemerkte eine der Damen , » der die Sprache so in seiner Gewalt hat , wie vor ihm noch kein anderer ; daher sind seine Verse so süß und musikalisch , daß sie ein jedes Ohr entzücken . « Der alte Sperone schien über diesen Ausspruch empfindlich zu werden , denn er sagte mit etwas spitzigem Ton : » Süß und lieblich , ja , aber die Männlichkeit fehlt . « » Diese Schlachten « , warf Caporale ein , » diese aufmunternden Reden der Helden , sind doch in heroischer , kräftiger Tonweise . Schade , daß er das Gedicht , da es nun doch einmal fertig ist , nicht sogleich drucken läßt , damit sich ganz Italien daran erfreuen könne . « » Im Gegenteil ! « rief Sperone , » er kann nicht zu lange damit zögern , damit ein Werk , das die jetzige Zeit überdauern soll , die notwendige Vollendung erreichen möge . Er ist freilich empfindlich über diese Verzögerung , und doch ist er wieder seinen jüngern und ältern Freunden dankbar , wegen der Weisungen , die sie ihm zukommen lassen . Nur tadelt freilich einer oft das , was der andere lobt ; mir scheint völlig überflüssig , was ein jüngerer höchst notwendig findet . Diese Strophe will der eine ausmerzen und ein anderer durchaus beibehalten . Das süße Liebesgekose , üppige , ja unzüchtige Stellen sind dem Gutdenkenden in diesem Gedichte , das die Religion zum Gegenstande hat , ein Greuel , und ein junges leichtsinniges Gemüt nennt diese sündlichen Ottaven die Licht- und Glanzpunkte des Werkes , um welche es sich einzig und allein der Mühe lohne , das weitläuftige Gedicht zu lesen . So verschieden ist der Sinn der Menschen , und es wäre deshalb besser gewesen , einem einzigen klugen Manne die Revision unbedingt anzuvertrauen . « Man stritt noch hin und her , und als die entschiedenste der Damen zu verstehen gab , der bejahrte Kritiker möchte doch vielleicht zu einseitig verfahren , und manche Schönheit nach seinem System gewissermaßen vorsätzlich und willkürlich verdammen , sagte der Alte mit einiger Erbitterung : » Mein Zwiespalt mit dem jungen Tasso schreibt sich eigentlich gar nicht von der abweichenden Ansicht seines Gedichtes her , sondern er ist viel älter und aus einer ganz andern Ursache entsprungen . – Als der Jüngling vor Jahren sich in den Dienst des Herzogs von Ferrara begab , war ich unter seinen Freunden der einzige , der ihm ernsthaft von diesem Schritte abriet . Er ist kein Hofmann , man muß als solcher geboren sein , man muß nichts anders sein wollen , nichts anders kennen und achten , als den Hof , am wenigsten aber den Dichter dorthin mitnehmen wollen . Er konnte Professor in Padua oder an einer andern Universität werden , er konnte ein Staatsamt übernehmen , und sich auf diesem Wege , da er kein Vermögen ererbt hat , unabhängig machen . Da lockte aber und blendete ihn der freundliche Herzog , die Prinzessinnen , dessen Schwestern , Lob und Bewunderung von allen Seiten . Meine Warnung schien ihm die törichte Rede eines Murrkopfs , wohl gar eines Pedanten , der ihm seine glänzende Stellung beneidete . So bin ich denn auch in seinem Schäferspiel Aminta als verdrießlicher Mopsus aufgetreten , im Gegensatze seines vortrefflichen Pigna , oder Elpino . Meinethalb , man kann nicht allen Menschen gerecht und beifällig leben , am wenigsten der Selbstständige , dem es mit Leben und Wissenschaft Ernst ist . Was ist ein Dichter an dem Hof eines verwöhnten , selbstsüchtigen Fürsten ? Niemals wie der ebenbürtige Freund und Verwandte , keinesweges wie der nützliche und notwendige Rat und Staatsmann . Anfangs Günstling , Vertrauter , Liebling , Gegenstand einer unverstandenen Bewunderung ; späterhin der Gemißhandelte , der die Launen seines eigensinnigen Beherrschers ertragen muß . Hat er sich berühmt gemacht , so wollen nun andere Höfe , Regenten und Weiber ihn lieben , bei sich sehn ; ihm geschehen Anerbietungen , er fühlt sich wieder geschmeichelt , unterhandelt hinterrücks halb und halb , die Aufpasser verraten es seinem Herrn , und dieser , der sich für den Wohltäter , ja den Schöpfer des Armen hält , ist erbost , sieht in seinem vormaligen Liebling den frevelnden Verbrecher , und sinnt , wie er sich an ihm rächen und ihn bestrafen könne , ohne sich der Welt und den Verleumderzungen zu sehr bloßzugeben . Wie sich dieselben Fürsten in ihren Gärten eine Sammlung der wilden , seltenen und ausländischen Tiere halten , die zuweilen wegen der Federn , oder des wundersamen Rüssels von ihnen und den Fremden in Augenschein genommen werden , so steht ein Poet an solchem Hofe in seinem kümmerlichen Futter . Und dann wird noch von Beschützung der Künste und Wissenschaften gesprochen und gesungen , und Perikles und Alexander oder Augustus angeführt , zum Verdruß und Ärger eines denkenden Mannes , der diese Szenen kennt , und öfter in seinem Leben gesehn hat . « » O Ihr böser , zorniger Greis ! « rief Caporale aus , » wenn Ihr so traurige Erfahrungen gemacht habt , so seid Ihr doch nur halb im Recht , denn Ihr vergeßt es ganz und gar , auch das Gute eines solchen Verhältnisses herauszuheben . « » Das meiste « , antwortete Sperone , » sieht in der Welt so aus , wie es der Mensch sehn will . Aber seid versichert , die Lage dieses armen Tasso ist gerade so , wie ich sie beschrieben habe , und der Erfolg wird meine Aussage rechtfertigen . Ich weiß es , daß er seiner Lage dort in Ferrara schon gänzlich überdrüssig ist : er sehnt sich nach neuen Verhältnissen , kann ohne Beschützer nicht leben und dichten und hat also den Mut nicht , offen mit dem Hofe zu brechen . Der neue Großherzog von Florenz , Francesco , ist eitel genug , um einen berühmten Mann in seiner Nähe haben zu wollen : stille Botschaften , Vermittelung von Fremden , Anerbietungen , alles bedrängt den Armen , er will und will nicht : nun ist sein Fürst , die Weiber sind einmal wieder freundlich zu ihm , sie schmeicheln und liebkosen ihm und seinem Talent ; da sieht er wieder goldne Tage , und schwimmt selig in der Abendröte . Aber der Ferrarese weiß es recht gut , daß er auf dem Sprunge steht , von ihm abzufallen ; es fehlt nicht an Klätschern , die dies benutzen , ihn gegen den Ärmsten zu erbittern . Er war erst mit Pigna vertraut , auch der Sekretär Guarini schloß sich ihm freundlich an : jetzt sind sie gegen ihn und der letzte ist sein erklärter Feind , ein schlauer gewandter Mann , und der die Haltung besitzt , die dem Torquato fehlt , dabei auch ein Poet , und ein begabter ; da muß die Eifersucht entbrennen . Nun hat ihn sein wahrster Freund und Beschützer , Scipio Gonzaga , hierher nach Rom berufen ; der Herzog hat ihm nur ungern den Urlaub bewilligt , weil er weiß , daß hier mit dem Kardinal Ferdinand Medicis des Tasso wegen verhandelt werden soll , ja Scipio denkt wohl gar , den Papst selbst für den Dichter zu gewinnen , daß dieser ihm hier ein Kanonikat oder eine Präbende zuweisen möchte ; dieser aber will natürlich um eine Nebensache Ferrara nicht beleidigen ; Florenz will nicht zu offen mit seinen Anerbietungen heraustreten ; Ferrara nimmt aus Eitelkeit den Gegenstand wichtiger wie die andern , auch vertrauen diese dem schwankenden Charakter Tassos nicht und seiner Unentschlossenheit , und so verwirrt und verwickelt sich das Verhältnis von allen Seiten so , daß es zum Unglück des Poeten ausschlagen muß . « Eure Schilderung ist freilich eine traurige « , sagte eine junge schöne Dame , » und wenn Euer Wahrsagergeist ein richtiger ist , so möchte ich schon jetzt den lieben Tasso beweinen . Aber Euer Wort trifft eigentlich jedes menschliche Verhältnis : jeder Stand muß sich durchkämpfen , jeder geistreiche Mann hat seine Feinde , der Minister und Rat findet Verlockung , seinen Pflichten ungetreu zu werden , wer nicht als Eremit lebt , gerät in Verwicklung und muß kämpfen , sinnen und arbeiten . « » Ihr habt nicht unrecht « , antwortete der Greis , » und doch treten dem Poeten noch viel mehr Schwierigkeiten entgegen . Hat er kein Staatsamt , oder gelehrtes , ist er nicht Priester , so ist sein Beruf ein doppelter , durch welchen er eigentlich ein ganz rätselhaftes Wesen wird . Verwickelt mit der Welt , ist er in seiner Beschäftigung , in seinem Beruf doch ein wahrer Einsiedler ; denn auf den Weltlauf hat seine Arbeit auch nicht den allermindesten Einfluß . Dadurch aber verliert er auch allen Maßstab , sich an sich selbst oder den übrigen Menschen zu messen ; denn an keinem einzigen Abende kann er zu sich sagen : heut hast du einmal etwas Nützliches getan , du hast dem , du hast jenem fortgeholfen , jenen verwirrten Handel hast du aufgeklärt , diese Gesellschaft , jene Zunft , der Angeklagte , jener Vornehme muß dir danken . Ist er ohne Begeisterung , so fühlt er sich , als sei er ganz ohne Bestimmung , besucht sie ihn , so meint er alle Menschen zu überragen ; dann ertönt das Lob der Freunde , die laute Bewunderung der Menge , das Entzücken der Weiber und Mädchen – glaubt ihr , meine Freunde , daß es viele so starke Männer , so feste Charaktere gebe , die mit richtigem Sinn das alles genießen und fassen , die den Lorbeer nicht für strahlender als die Königskrone halten , im Rausche nicht dahintaumeln , und das Leben eigentlich verlieren sollten ? « » Ja nun freilich « , sagte Caporale , » kann es nur selten solche Menschen geben , wie unser großer Ariost war . Tasso ist weicher und nicht so selbstständig . « » Was die Fürsten betrifft « – fing Sperone mit einiger Feierlichkeit wieder an – » traut doch dem alten Ausspruch : procul a Jove , procul a fulmine . – Vor einigen Jahren besuchte ich auch eine Sammlung wilder prächtiger Tiere am Hofe eines vortrefflichen Fürsten . Der größte Tiger lag in seinem Käfige und sonnte sich , indem die bunten Flecken seiner schönen Haut ; im Lichte freundlich schimmerten . Man war oft so grausam gewesen , ihm lebende größere oder kleinere Hunde als Atzung in seine Zelle hineinzuwerfen . Ich war daher nicht wenig verwundert , als ich ein klaffendes Hündchen bei ihm sah , das uns mit munterem Bellen begrüßte und auf seinem Tyrannen hin und her sprang , welcher sich allen Mutwill von ihm gefallen ließ . Der Wärter erklärte meiner Verwunderung die sonderbare Erscheinung . Vor mehreren Monaten war der Tiger an entzündeten eiternden Augen erkrankt , so daß er sehr verstimmt und verdrießlich war . Es ist schwer , einer solchen Bestie einen Doktor und Arznei beizubringen und , da der hohe Patient auch kein Gemüse , oder Fastenspeise genießen mochte , so fürchteten sich die Wärter selber vor dem Unwillen des zornigen Kranken . Man fuhr fort , ihm Fleisch und zuweilen wieder lebendige Tiere in sein Behältnis zu werfen ; denn dies schien das einzige , woran er sich erfreute und zerstreute . Ein kleines Hündchen ward ihm lebend zugeworfen . Dieses , ohne Furcht und Zittern , sprang auf ihn freundlich zu , und leckte seine wunden Augen ; jener ließ es sich gefallen , fühlte sich erleichtert und tat dem Tierchen nichts . Dieses wiederholte seine Kur und Bemühung so fleißig , daß der mächtige große Tiger in wenigen Wochen vollkommen gesund , und wieder schön und heiter wurde . Seitdem konnte der Hund mit seinem furchtbaren Gebieter tun und beginnen , was er nur wollte und ihm die Laune irgend eingab .