Erster Band An Fürst Fritz Schwarzenberg Ihnen , mein lieber Fritz , dies traurige Buch ? – Ja , grade Ihnen ! Sie können es aushalten , Sie trift es nicht : Sie haben ein Herz . Hat man das , so giebt es freilich nichts desto weniger Zeiten in denen man dunkle , zweifelnde , verachtende Blicke in das Gewirr des Menschenlebens und auf das lähmende Schauspiel eigener und fremder Schwäche wirft ; aber mit der dem Herzen eigenen Schwungkraft schnellt man den wüsten Ballast von Staub , Moder und Verwelklichkeit fort , gedenkt ihrer als melancholischer Warnung , und fühlt deshalb den goldenen heiligen Faden nicht abgerissen , der unser kleines Wesen an das große , lichte , liebende , ewige Wesen des Alls knüpft . Das Herz ist an sich selbst eine Sonne , die Licht und Wärme , die Leben giebt . Fehlt sie , so herrschen Chaos und Tod , und der Mensch , der dieser Finsterniß anheimfällt , ist unselig , und ich glaube es giebt manche solcher Unseligen in unsrer Welt , die so klug und so kalt ist . Darum , lieber Fritz , wende ich mich recht zu meiner Erquickung in Gedanken an Ihr gutes rasches warmes Herz , und ohne zu erwarten daß Sie als ächter und rechter Lanzknecht die Lanze für meine Ueberzeugungen und Meinungen – welche nicht immer die Ihren sein mögen – einlegen müßten , weiß ich doch daß Sie mir herzlich die Hand schütteln und sagen werden : In der Hauptsache denken wir überein ! – Dresden , den 26. April 1846 . Ida Hahn-Hahn . Wir Alle haben sie gekannt . Sie wohnte zwischen uns , sie lebte mit uns . Bemerkt mögen nur Wenige sie haben , doch jezt , da sie todt ist , werden Manche sich ihrer erinnern . Die Welt ist wie ein Meer : Jeder hat so viel damit zu thun das Schiff seines Lebens durch Klippen und Stürme zu bringen , daß er weder Zeit noch Ruhe noch Theilnahme genug übrig hat , um sie den fremden Lebensschiffen zuzuwenden ; höchstens aus Neugier sieht er einmal flüchtig hin . Kommen aber Trümmer daher geschwommen – starrt aber von einer Sandbank ein gestrandetes Wrack schwarz und formlos empor – tauchen aber aus den Wellen Gegenstände auf , die ein untergegangenes Dasein verrathen : dann fährt man auf , das Interesse erwacht , man mögte wissen welch Schiff hier von den Wogen verschlungen ward , ob es dieses war , ob es jenes war , man sieht beklommen den Trümmern nach , man denkt : so wird auch unser Ende sein ! – Dann wirbeln die Wellen sie fort – und die Gedanken wenden sich wieder den eignen Wegen zu . Es kann den Menschen trösten oder ihn trostlos machen , daß er lebend oder todt keine bleibende Furche durch das Meer des Lebens zieht . Diese Blätter sind Ueberbleibsel eines Daseins welches vor der Zeit Schiffbruch litt ; – vor der Zeit , was die Jahre betrift , die uns ja bis » siebzig oder achtzig « zugemessen – für die also Zustände denkbar sind , welche ihnen Genüsse und Befriedigung verschaffen . Allein viel zu spät für die schauerliche Erschöpfung in der diese Frau ihre Tage hinschleppte . Nichts auf der Welt machte ihr Freude , nichts entlockte ihr ein Lächeln oder eine Thräne , nichts erwärmte ihr Herz oder beflügelte ihren Geist , nichts ruhte sie aus , nichts regte sie an . Sie stand neben ihrem unterminirten und ausgeödeten Leben wie der Genius des Todes jezt neben ihrem Grabe stehen mag : unüberwindlich gleichgültig . Gleichgültig – das war sie ! aber nicht blos für Andere , sondern mehr noch für sich selbst . Es ist ja Alles gleich vorüber ! – sprach sie mit ihrer tonlosen Stimme und ihrem Marmorantlitz , und Körperleiden die Andere wahnwitzig machen würden , erpreßten ihr keine Klage . Als sie im Sarge lag fiel mir dieser gleichgültige Ausdruck ganz unsäglich schmerzlich auf . Die Züge der Todten pflegen fast immer mit Frieden und Milde gleichsam überstralt zu werden , so daß unschöne schön – entstellte und zerwühlte versöhnt erscheinen . Ein gewisser majestätischer Ausdruck von besiegten Leiden macht das Todtenantlitz zugleich rührend und glorreich . Sie hatte ihn nicht , denn sie hatte keine Leiden besiegt , die Leiden hatten sich nur von ihr zurückgezogen ; und wo kein Sieg ist keine Verklärung . Als ich die Blätter las in welche sie ihr Leben verzeichnet hat und welche ich auf ihren Wunsch nach ihrem Tode empfing , war es mir als sähe ich einen einsamen Vogel auf einer kahlen Felsenklippe im Meer sitzen , der eine melancholische monotone Weise singt , die er der Brandung rings umher abgelauscht und der Unermeßlichkeit die ihn umgiebt angepaßt hat . Die Eindrücke ihrer ersten Jugend , die träumerischen , sehnsuchtsvollen , unbestimmten , großartigen Bilder , welche am Meeresufer , in Buchen- und Eichenwäldern , in Herbstnebeln an ihr vorüber gezogen sind , haben ihrer Seele die entsprechende Färbung aufgedrückt , und ihre Phantasie über alles Maß hinaus entwickelt . Sie hatte sich so gewöhnt in ihren Träumen zu leben , daß die Wirklichkeit ihr überall nüchtern und blaß erschien ; und weil die Phantasie ihr den Genuß des Unerreichbaren bot , so ließ sie das Erreichbare matt und traurig fallen , hielt es nur für Täuschung des Herzens oder Irrthum des Verstandes , und suchte und suchte – erst mit Sehnsucht , dann mit Verzweiflung , dann mit Entmuthigung – das unbekannte Gut , das sie überall wahrzunehmen wähnte und nirgends fand . Nun liegt sie still und kühl gebettet in ihrer Heimat auf einem Hügel dessen runde Kuppe einen Busch von Eichen trägt . Unausgesetzt tönt das Brausen der See herüber , eben so monoton in ihrer Bewegung wie die stille grüne Landschaft rings umher monoton in ihrer Ruhe sich ausbreitet . Inmitten der Eichengruppe deckt ein Würfel von Granit ihr Grab , und auf demselben stehen die drei Worte : » Sibylla wach auf ! « Langsam und mit großen Qualen zieht sich das Leben von mir zurück und ich weiß es . Wäre irgend eine Spur von Trauer , Schmerz oder Bedauern in mir , so wäre das keine günstige Stimmung um mein Leben wahr zu beschreiben . Der Abschiedsschmerz könnte auf mich wirken wie die Glut der untergehenden Sonne auf das Auge : möge die Erde noch so fahl und grau sein , das Abendroth verklärt sie ! und so könnte auch mir Manches sich schöner darstellen als es war . Oder wären jubelnde Hofnungen in mir , sänge meine Seele im Glauben Psalmen , in der Liebe Hymnen : so würde ich den Tod mit feuriger Sehnsucht begrüßen und auch dann die Erde und meine Vergangenheit wie einen Tummelplatz kindlicher Spiele betrachten wohin sich der Blick mit Wehmuth wendet . Aber so ist es nicht mit mir ! ich lebe ohne Interesse für mich , daher habe ich auch keine Theilnahme für meinen Tod . Alles hört auf : Alles ! Kein Gedanke ist wechsellos , keine Empfindung dauernd , kein Wille anhaltend , kein Gefühl unvergänglich ; der Wunsch stirbt in der Erfüllung , das Verlangen im Genuß , der Schmerz an der Erschöpfung , die Freude am Ueberdruß , das Glück an der Langenweile – kurz Alles an unsrer Unvollkommenheit . Die Summe unsrer Gedanken und Gefühle , und der aus ihnen sich entwickelnden Bestrebungen und Handlungen , bildet unser Leben : da dessen sämtliche Bestandtheile vergänglich sind , wohin denn sollen wir das Unvergängliche verlegen ? in welchen verborgenen Winkel unsers Seins könnte es sich eingenistet haben ? und der Tod , der jene Bestandtheile und ihre Wechselwirkung auflöst , sollte im Zersetzen das Unvergängliche gestalten oder herausbilden ? – Man hoft es . – Ich habe mir die Hofnung abgewöhnt ! – Welche Enttäuschungen und Täuschungen mich dahin geführt haben will ich aufzeichnen , und da ich gleichgültig gegen mich selbst bin , so kann ich höchst gelassen meine Irrthümer , Fehler und Verrechnungen betrachten . Ob sie für Andere eine warnende Lehre sein können , weiß ich nicht ; aber erschrecken kann wol mein Bekenntniß : ich hatte Alles was man Glück im edelsten Sinn nennt , und war dennoch nicht einen einzigen Tag meines Lebens ganz glücklich , weil ich ein absolutes Glück , nämlich das Bewußtsein von dessen Unwandelbarkeit und Unsterblichkeit begehrte ; das relative genügte mir nicht . Daher war ich außer dem Gleichgewicht mit den Gesetzen , welche das menschliche Leben bedingen und beherrschen . Ich grämte mich keine Göttin zu sein , die Vergangenheit , Gegenwart und Zukunft als Ewigkeit in ihrem Busen trägt – und darüber versäumte ich tüchtig als Mensch zu werden . In unsrer Zeit liegt etwas Bethörendes , wie in aller Schrankenlosigkeit . An den Grundgesetzen rütteln heißt nicht sie überflügelt haben ; nach den Grundursachen forschen heißt nicht sie ergründet haben ; dennoch traut Derjenige sich Beides zu der es versucht hat , und reichen die Flügel alsdann doch nicht zum Schwung aus – und ist der Grund alsdann doch weiter nichts als Triebsand hier und ein finstrer Schacht dort : so unterwirft er sich nicht demüthig der Erkenntniß , sondern er trotzt oder verzagt . Mir ist eins und das andere widerfahren . Zuweilen sag' ich mir ich sei dazu prädestinirt gewesen ; Organisation , Erziehung , Schicksale wirkten auf einen Punkt zusammen , und das war nicht der aus welchem sich ein segenvolles friedliches Dasein entwickelt . Im grünen Holstein am Strande der Ostsee bin ich geboren . Eine reiche Erbtochter war meine Mutter ; mein Vater ein armer fränkischer Edelmann , der ihr zu Liebe die heitern rebenumlaubten Hügel am Main mit dem Sitz auf ihrem nordischen Stammschloß vertauschte . Das Rauschen des Sturmes in den knorrigen Aesten der alten Eichen , das Krächzen der Raben die auf ihnen Schutz suchten , das Brausen der Brandung die bis in den Garten schlug – waren meine Wiegenlieder . Am Tage Aller Seelen bin ich geboren . Ich war ein Spätling in der Familie ; eine Schwester war zehn , ein Bruder sieben Jahr älter als ich , und ich schloß die Reihe der Kinder . Ich entsinne mich keines Eindrucks noch Ereignisses aus meinen ersten Lebensjahren . Später , wo mir die Erinnerung auftaucht , beginnt sie mit unbestimmten Leiden . Ich war von krankhafter Reizbarkeit : ein Wort , ein Blick , ein Lächeln genügte um mir trostlose Thränen zu entlocken . Bei einem drei- oder vierjährigen Kinde darf unmöglich von dem Herzen die Rede sein ! so waren denn also die Nerven von so bebender Erregbarkeit , daß sie durch Nüancen des Tons und Ausdrucks erschüttert wurden , welche ich jezt nicht mehr zu bezeichnen vermag . Um diese Reizbarkeit zu schonen ging man nachsichtsvoller mit mir um als ich es verdienen mogte . Ich hatte meine Eltern lieb , meine Schwester war mir ziemlich gleichgültig , an meinem Bruder hing ich mit grenzenloser Zärtlichkeit : das erste Gefühl dessen ich mir bewußt geworden bin , gehörte ihm . Wir waren unzertrennlich so weit seine Lectionen und der Unterschied des Alters und Geschlechts es gestatteten . In einem leichten Wägelchen mit zwei kleinen Pferden von der Insel Oeland fuhr er mich spazieren ; auf einem dieser Pferde lehrte er mich reiten indem er nebenher ging , und als ich etwas sicherer und ungefähr acht Jahr alt war , durfte ich auf meinem kleinen Oeländer mit ihm wirklich spazieren reiten . Zuweilen begleitete uns der Vater ; aber das war uns nicht sehr angenehm , denn in seiner Gegenwart extemporirten wir nicht so unverlegen als unter vier Augen die Komödien , welche wir beständig mit einander spielten . Der Unterricht den mein Bruder genoß bot uns Stoff dazu . Bald war er Hector und ich Andromache ; bald war er ein Ritter der im Turnier von einer Königin – oder ein Troubadour der von seiner Dame den Preis erhält ; und hatte ich eben das holde Fräulein dargestellt , so verwandelte ich mich schleunigst in die Aehrenleserin Ruth , welche durch die Hand des Boas beglückt wird , oder in Arria , die sich mit einem majestätischen » Non dolet « den Dolch ins Herz stößt . Tancred und Clorinde war unser Lieblingsspiel zu Pferde ; der Moment meines Todes rührte mich bis in die innerste Seele ! aber nichts , nichts übertraf unser beider Entzücken , wenn mein Bruder den geblendeten Belisar und ich den Knaben seinen Führer darstellte ; dann irrten wir Hand in Hand durch die verwachsenen waldigen Partien des Parks , oder auf den schmalen Fußsteigen zwischen den Feldern , oder im hohen Wiesengras umher , langten auf irgend einem jener baumbewachsenen Hügel an , die man dort zu Lande Hünengräber nennt , setzten uns nieder , – und nun mußte ich dem blinden Belisar die Landschaft beschreiben , welche sich vor uns ausbreitete ; aber nicht die holsteinische Landschaft die ich wirklich sah , sondern Byzanz mit seiner Propontis , oder Rom mit seiner Campagna , oder Neapel mit seinem Golf – wozu mein Bruder mir durch Bilder und Erzählungen zuvor das Material geliefert hatte . Bisweilen war ich zerstreut und unaufmerksam ; dann fiel mein Belisar aus der Rolle und half mir zurecht um nicht Capri und Ischia mit den Prinzeninseln zu verwechseln ; hatte ich ihn aber durch eine treue Schilderung seiner innern Bilder ergötzt ; so versetzten wir uns aus dem Traumleben der Gegenwart in das der Zukunft , und mein Bruder schilderte mir wiederum die Reisen die er zu machen beabsichtige , wenn er seine Studien vollendet habe . » Aber Du mußt mich mitnehmen , Heinrich ! « rief ich wehmüthig wenn er so recht im Zuge war mir Gott weiß welche Herrlichkeiten auszumalen . » Das versteht sich , Sibylle ! entgegnete er zuversichtlich ; wenn Du fünfzehn Jahr alt bist ziehen wir in die weite Welt . « Und in meinem Sinn schnürte ich schon mein Bündelchen und sah mich um nach einem Wanderstab . Der Winter war unsre seligste Freudenzeit ! dann froren die Canäle zu , welche in allen Richtungen den weitläuftigen Park durchschnitten , und wir liefen darauf Schlittschuh – eine Uebung die mein Bruder mir gleichfalls beigebracht hatte . Abends , wenn die weiße Erde , der blaue Himmel , die bereiften Bäume und das spiegelblanke Eis vom Mond und vom Frost wie versilbert flimmerten – dann hinaus ! Heinrich rechts ich links auf den Canälen , ein Punkt bestimmt wo wir zusammentreffen wollten und dann fort wie der Vogel , wie der Wind ! Ach , das war ein Jubel ! Oder wir verfolgten , jagten und haschten uns , und fuhren dann Hand in Hand weiter , oder Arabesken und unsre Namenszüge in das Eis hinein . Oder wir führten dann Elfentänze aus – wie wir unsere Evolutionen nannten , denn ohne phantastische Spiele in unsren Vergnügungen hätten uns diese nur die halbe Freude gewährt . Die Eltern , ein alter Hofmeister , ein junger Musiklehrer , eine Engländerin halb Gouvernante halb Gesellschafterin , und wir drei Kinder , endlich eine Menge von Dienstboten wie man sie auf dem Lande in reichen Häusern oft recht überflüßig zu halten pflegt – das war unsre Hausgenossenschaft . Besuch kam selten , und noch seltener wurde eine Gesellschaft zum Mittagsessen gebeten . Beides war ein Ereigniß in unserm stillen Leben , aber für mich ein höchst widerwärtiges . Bei den Diners wurde ich von der Tafel ausgeschlossen und einsam in die Kinderstube verbannt ; und den fremden Besuchen gegenüber verging ich fast vor Angst und Schüchternheit . Hätte ein Tancred oder ein Hector , eine Fee oder eine Prinzessin mich angeredet , so würde ich schon geantwortet haben , allein mit diesen Menschen , die mir Alle so bekannt aussahen und so fremd waren , fühlte ich mich grenzenlos verlegen . Zeit und Verhältnisse waren auch nicht von der Art um eine fröhliche Geselligkeit zu begünstigen : die Franzosenherrschaft lastete auf Deutschland wie die Schwüle eines Gewitters . Jeder fühlte so könne und dürfe es nicht bleiben , während er sich doch bang nach der Explosion umschaute , welche einem besseren Zustand vorhergehen mußte . Ich war zu jung um die traurigen und finstern Gespräche der Erwachsenen über diesen Punkt zu verstehen ; aber meine Schwester mag wol eine sehr trübe und freudlose Jugend gehabt haben . Plötzlich wurde aber Alles anders ! es hieß nun gebe es Krieg gegen die Franzosen . Ein Neffe meiner Mutter , ein Hannoveraner , der grade bei uns zum Besuch war , verlobte sich im Gefühl künftiger Siege mit meiner Schwester , und eilte die Rosen der Liebe mit dem Lorbeer des Helden zu durchflechten . Alles war in Begeisterung , Alles jauchzte der Befreiung entgegen , Alles war bereit Blut und Leben dran zu setzen . Wir feierten die gewonnenen Schlachten , bewunderten die verbündeten Monarchen , priesen Landwehr , freiwillige Jäger , hanseatische Legion , Kosaken ; vergingen in Angst und Mitleid bei der Belagerung Hamburgs , und jauchzten bei dem Einzug in Paris . Es war solcher Schwung und solche Bewegung in das wirkliche Leben gekommen , daß mein Bruder und ich unser Phantasieleben darüber vergaßen , und unsre Helden des Alterthums und der Romantik in den Schatten stellten neben all den glorreichen Namen von lebenden Fürsten und Feldherren . Paul , der Verlobte meiner Schwester schrieb aus Paris wie aus einem Wunderlande , einer Feenwelt . Im Lauf des Sommers kam er zurück und brachte mir Bonbons mit von so unbegreiflicher Schönheit , daß ich sie wie Kunstwerke anstaunte ohne den Muth zu haben auch nur einen einzigen zu verzehren . Ebenso reizend waren die Geschenke , welche er meiner Schwester machte , und seine Erzählungen übertrafen nun gar Alles was ich je von Herrlichkeiten geträumt hatte . Nur das Wort zu hören » Palais royal « machte mir einen ganz zauberischen Eindruck . Die Verlobten sprachen von einer Hochzeitreise nach Paris ; zum ersten Mal in meinem Leben beneidete ich meine Schwester ! – An ihren Bräutigam schloß ich mich mit einer Art von Leidenschaft , weil er durch seine Erzählungen meiner Phantasie Nahrung bot . Ich hielt mich zu ihm so viel ich konnte , und er war immer sehr freundlich gegen mich – was der armen Amalie nicht sehr zu gefallen schien , denn sie schickte mich zuweilen mißmuthig fort . Auch Heinrich war nicht so gut gelaunt wie sonst . Der Knabe wuchs in den Jüngling hinein , alle Uebergangsepochen müssen sich durch Stürme ringen . Aber das wußte ich damals nicht . Ich konnte nicht begreifen weshalb Heinrich gar nicht so lustig und fröhlich wie sonst – und nicht so bereit mit mir zu spielen war . Als ich ihn einmal mit Bitten plagte , rief er verdrießlich : » Ach Sibylle , Du bist mir ganz unangenehm geworden ! ich kann 's nicht leiden , daß sich die Mädchen immer verlieben und heirathen wollen . Amalie – nun ja , die ist schon neunzehn Jahr alt , da läßt man 's hingehen ! aber Du ! solch ein winziges Ding und schon verliebt .... und noch dazu in den Bräutigam Deiner Schwester ! O schäme Dich ! das hätte ich nie von Dir gedacht . « Ich brach in ein Jammergeschrei aus . Ich sei nicht verliebt ! ich würde mich nie verlieben und nie heirathen ! – Mein Bruder beschwichtigte mich , aber zum ersten Mal hatte er mich tief verletzt . Der Wiener Congreß und die Vorbereitungen zu Amaliens Hochzeit wurden auf gleiche Weise unterbrochen – nämlich durch Napoleons Rückkehr nach Frankreich . Wieder brach der Krieg aus ; wieder trat der Verlobte in die Reihen , und diesmal erklärte Heinrich er wolle und müsse auch gegen die Franzosen kämpfen ; er sei im siebzehnten Jahr , groß und stark , Jüngere als er hätten den vorjährigen Feldzug mitgemacht . Es sei eine Schmach in solchem Augenblick bequem und sicher im Vaterhaus zu sitzen . Verweigere man ihm die Erlaubniß , so würde er heimlich fortgehen . Man mußte sie ihm gewähren und er ging mit Amaliens Bräutigam fort ! Das waren entsetzliche Tage ! meine Mutter und Schwester in Verzweiflung , Klagen und Thränen ; mein Vater in banger stummer Sorge , alle Hausgenossen beängstigt und gedrückt ; aber ich in einem Zustand von Bewilderung der mich fast aufrieb . Ich konnte nicht essen , nicht lernen , nicht spielen , nicht schlafen . Ich sah mich wachend und träumend umringt von Schlachtgetümmel , und vor mir Heinrich verwundet , blutig , sterbend . Meine Nerven geriethen in solchen Aufruhr , daß ich laut schrie wenn eine Thür schnell geöfnet wurde oder wenn ein Diener plötzlich eintrat . Doch beachtete man nicht sehr meinen krankhaften Zustand , der auch nicht lange währte , indem die Schlacht von Waterloo den Krieg beendete , und baldige Rückkehr der jungen Krieger verhieß . Gott , welche Sehnsuchtsqual erduldete ich bis sie nun endlich da waren ! und als sie kamen verfiel ich in einen solchen Taumel von Jubel und Entzücken , daß ich wie besinnungslos in Heinrichs Armen hing . Er war noch größer geworden , aber so dünn und schmal aufgeschossen , so ganz ohne Haltung und Kraft , daß seine Gestalt einen beklemmenden Eindruck machte . Indessen – er war da ! gesund , freudig , unverwundet ! man wähnte alle Gefahren überstanden zu haben , und abermals wurde Amaliens Hochzeitsfest bestimmt . Da klagte Heinrich eines Morgens über Kopfschmerzen , über Schwere und Schwäche in allen Gliedern ; – er bekam das Nervenfieber , und am einundzwanzigsten Tage war er todt . Mein Vater und Amalie erkrankten Beide an seinem Sterbetag und die gräßliche Krankheit riß sie binnen wenig Wochen ins Grab . Am Tag Aller Seelen wurden sie bestattet , und ich wurde zehn Jahr alt ! Meine arme Mutter , im seelischen und physischen Lebensorganismus an der Wurzel erschüttert , verfiel in den allerkläglichsten Zustand . Die Nachtwachen , die Todesangst um das Geliebteste während sieben langer Wochen , die herzzernagende Sorge , der herzzerspaltende Schmerz am Sarge des Gatten in voller Kraft – und der Kinder in voller Blüte des Lebens ; die Verzweiflung des Verlobten und meine wilde unsinnige Traurigkeit : das Alles überwältigte sie . Eine gänzliche Lähmung der Nerven , die zu Zeiten mit den heftigsten Nervenkrämpfen abwechselte , machte ihre fernere Existenz zu einer langen , trostlosen Qual . Sie lag auf dem Sopha oder im Bett , mußte gehoben , getragen , angekleidet und gespeist werden , war hülflos wie ein kleines Kind , behielt zwar immer ihre geistigen Fähigkeiten , konnte sich aber in keiner Weise beschäftigen und manchmal aus Schwäche nicht drei Worte im Tage sprechen . So vegetirte sie in gänzlicher Unfähigkeit sich mit mir zu beschäftigen ; – aber ich begann sie leidenschaftlich zu lieben . Mein Vormund schlug vor mich in eine berühmte Pension nach Altona zu bringen ; Amaliens Verlobter : mich im Hause seines Vaters in Hannover erziehen zu lassen , der ein Stiefbruder meiner armen Mutter war ; aber ich bat auf meinen Knien und mit solchen fanatischen Ausbrüchen von Schmerz mich nicht von ihr zu trennen , daß Niemand den Muth hatte darauf zu bestehen . Ich blieb bei ihr , d.h. ich blieb ungefähr allein auf der Welt . Heinrichs Hofmeister und die gute Miß Johnson besorgten meine Erziehung . Der Musiklehrer , Herr Sedlaczech , pflegte mein geringes , musikalisches Talent . Mit diesen drei guten Menschen lebte ich . Bei zehn Jahren war ich also , was den Schmerz betrift , fast durch alle Stadien des Gefühls gegangen : der Vater und die Geschwister todt , die Mutter abgestorben , und ehe ich den Bruder und in ihm den Gegenstand einer tiefen innigen und ausschließlichen Liebe verlor , hatte ich die fürchterliche Trennung aushalten müssen , die mir um so grauenhafter erschien als ich sie für die Grundursach seines Todes hielt . Die Vergänglichkeit des Lebens und des Glücks war mir in der grellsten Gestalt entgegen getreten ; aber die Unvergänglichkeit der Gefühle schien mir ein Naturgesetz . So drücke ich mich jezt aus um meine damalige Empfindung wiederzugeben , über welche ich , wie sich von selbst versteht , gar nicht reflectirte , die sich aber in dem Lebensplan offenbarte , den ich mir für meine Zukunft machte : ich wußte daß ich die alleinige Erbin eines großen Vermögens und Herrin der schönen Besitzung war auf der ich lebte . Ich woll te nie unser Schloß Engelau verlassen , mich nie von meiner kranken Mutter und von den Gräbern meiner Dahingeschiedenen trennen , ihr Andenken wollte ich durch ein frommes wolthätiges Leben ehren , gleichsam in ihrem Namen Gutes thun , mich nicht verheirathen , und jung sterben nachdem ich meiner Mutter die Augen zugedrückt . Ich nahm entschlossen den Schmerz zu meinem unwandelbaren Gefährten an . Das Alles ist entsetzlich unreif und dümmlich , ich weiß es wol ! – aber es ist doch seltsam daß das unreife Kind durch den Instinkt die Unwandelbarkeit der Gefühle als die Würde des Daseins begreift , und daß die eine wie die andre dem reifen Menschen verloren geht . Erfahrungen , o Erfahrungen ! sie sind die Entzauberer und wenn man mir spricht von der Weisheit die sie geben , so schüttele ich trübe den Kopf und entgegne : Ja ! aber um den Preis der Seligkeit ! denn Seligkeit ist Ruhe in einer ewigen Gewißheit – gleichviel in welcher , aber in einer , heiße sie Liebe , heiße sie Andacht , heiße sie Unsterblichkeit , heiße sie Fortschritt ; – knüpfe sie sich an die Erde oder den Himmel , an Gott oder die Menschen , an heilige Offenbarung oder ingeborne Ueberzeugung ; – gebe sie uns Kraft oder Geduld , Energie oder Resignation , Muth oder Frieden ; – o gleichviel ! gleichviel ! nur ruhen in einer ewigen Gewißheit .... nur glauben ! denn allein der Glaube giebt Ruhe und diese Ruhe ist Seligkeit . Also bei zehn Jahren glaubte ich an mich und richtete danach mein Leben ein . Engelau umfing und beschloß für mich die Welt ; ich wollte Alles lernen und wissen , was sich auf Gegenstände und Menschen bezog die mich umgaben . Ich war von einer fürchterlichen Wißbegier um auf den Grund der Dinge zu kommen . Durch praktische Anschauung und wo möglich durch hülfreiche Thätigkeit machte ich mich mit allen Vorkommenheiten des Landlebens vertraut . Ich verfolgte das Weizenkorn von dem Punkt wo es in die Furche gestreut , bis zu dem wo es zu einem Backwerk verbraucht wird . Auf dem Felde und der Küche wußte ich gleich gut Bescheid . Mit dem Gärtner trieb ich eifrigst die Bestellung des Gartens , Blumen- Gemüse-Obstzucht , neue Anlagen , Baumpflanzungen . Ich kannte die Angelegenheiten des Hühnerhofes und der Milchwirthschaft – aber nicht aus oberflächlicher kindischer Neugier , sondern wirklich mit dem Trieb ihr kleines Räderwerk – das mir damals unsäglich wichtig schien – gründlich zu verstehen . Schreiben und rechnen zu lernen war mir ein Greuel , und nichts bewog mich dazu als die Aussicht dereinst selbst die Gutsrechnung zu führen . Der Hofmeister ließ mich gewähren und plagte mich nicht sehr mit Schulstunden . » Sie haben Champagner im Kopf , kleine Sibylle , sagte er mir einmal , Sie müssen nur Schwarzbrot dazu essen damit Sie im Gleichgewicht und bei Gesundheit bleiben . « Und dann ging er mit mir durch die Felder und in den Wald und ans Meer , und erzählte mir die Naturgeschichte nicht aus todten Büchern sondern aus frischer freier Anschauung , so daß sich jede Erklärung mit einem Bilde verbunden in mein Gedächtniß prägte . Das nannte er » Schwarzbrot « , der liebe freundliche Mann , weil ich es ohne dürre Ceremonien von Schulzwang genoß ! Ach , für mich wäre Umgang mit Kindern , mit Altersgenossen und Spielgefährten , das wahre gesunde » Schwarzbrot « gewesen ! – Die gewöhnlichen Kinderspiele kannte ich nicht ; mit Puppen langweilte ich mich . Ich selbst war eigentlich Heinrichs Puppe gewesen und hatte mit ihm die Spiele getrieben , die ihm zusagten und die weit über mein Alter hinaus gingen . So konnte ich mich auch unmöglich mit einer Puppenküche befassen , nachdem ich in unserer Küche schon ganz ernsthaft Hand angelegt und manchen Pfannkuchen verbrannt hatte . Mein Onkel schickte mir eine solche zum Weihnachtsgeschenk . Alles Geschirr darin war von Meissner Porzellan und auf Spiritus konnte darin gekocht werden . Ich betrachtete sie mit Interesse – ungefähr so wie ich später einmal das Coliseum in Kork gearbeitet betrachtete – und stellte sie als eine recht merkwürdige Nachahmung der Wirklichkeit in meinem Zimmer auf . Ach ! das Kind muß zwischen Seinesgleichen in der Kinderstube aufwachsen ; da ist der Erdboden und der Horizont wie sie für die schwache Pflanze taugen . Meine Kinderstube aber war Engelau und zwischen alternden Menschen wuchs ich einsam auf ! Von der Wiege an bin ich über ein Paar Stufen der Lebensentwickelung hinweggerissen , und so kommt es daß ich zwar ein Kindesalter , doch keine eigentliche Kindheit gehabt habe . Bei zehn Jahren war mir zu Muth als müsse ich das Leben meiner Dahingeschiedenen fortsetzen und das meiner Mutter ergänzen . Es vergingen Tage in denen ich sie nur flüchtig sah , nur ihre Hand küßte , kein Wort von ihren Lippen vernahm . Sie wechselten mit besseren ab , wo ich neben ihrem Lager sitzen und ihr von meinem Thun und Treiben ein halbes Stündchen lang erzählen durfte , und als Zeichen ihrer Zufriedenheit ein Lob , einen Kuß , eine Ermunterung von ihr empfing . Das machte mich sehr glücklich , allein es genügte mir nicht ! ich ersehnte einen innigeren Verkehr mit geliebten Wesen ; mein Bruder war mir von allen der liebste gewesen – mit seinem Geist oder seinem Schatten trat ich in eine Art von Gemeinschaft , sprach mit ihm , fragte ihn , gab mir selbst in seinem Namen Antwort , und fühlte mich glücklich in diesem Gemisch von Spiel der Imagination und Bedürfniß des Herzens . Im Winter , wenn ich in Mondscheinabenden auf dem Eise Schlittschuh lief – im Frühling , wenn ich bei Sonnenuntergang tief hinten im Park auf einem Hünengrabe im Grase lag – oder im Herbst , wenn die Nebel aus der See herauf kamen , und so geheimnißvoll auf den Wiesen sich lagerten und die Bäume und Gesträuche umspannen und verschleierten : immer glaubte ich Heinrichs Schatten an mir vorübergleiten zu fühlen . Ob die Menschen die mich umgaben das Verständniß meiner kleinen Seele hatten ? – ich glaube kaum . Sie liebten mich sehr , sie beschäftigten sich viel und gern mit mir , aber sie wußten nicht in meine eigentliche Innerlichkeit zu dringen , nicht mir das Vertrauen zu entlocken , das ich für den todten Bruder hegte . Das hatte für mich den Nachtheil , daß ich , obgleich umringt von Freunden und von Liebe , mit Schattengebilden einen innigeren Umgang pflog als mit Menschen , und mich gewöhnte meine glücklichsten Stunden in einsamen Träumereien zu suchen und zu finden . Die Menschen liebte ich eigentlich nur insofern als ich ihnen wol thun konnte ; die Armen liebte ich , die Kranken , denen ich eine kleine Unterstützung oder Labung und Arzenei bringen durfte . Mit unserm Hausarzt , der zweimal wöchentlich meine Mutter besuchte , ging ich zu allen Kranken und sorgte nach seiner Vorschrift für sie . Die armen Kinder liebte ich , denen ich die Weihnachtsbescheerung unten im Billardsaal um drei große funkelnde Tannenbäume aufschmückte . Das war Alles nicht übel – aber so einseitig ! ich gab immer und empfing immer Dank – das reinste was der Mensch empfangen kann ! Allein ich selbst kannte nicht die Dankbarkeit , dies weiche Gefühl welches das Kind in so rührender Abhängigkeit von seinen Eltern zeigt . Wie ein gereiftes , ichloses Wesen stand die arme Kleine zwischen ihren Umgebungen . Daher war ich zwar recht glücklich , nur heiter und fröhlich war ich nicht . Der Respect vor Eltern und Vorgesetzten , der sich zuweilen bei Kindern bis zur Furcht und Angst steigert , zuweilen eine Qual aber stets eine Wolthat für sie ist , weil sie dadurch im Zügel der Ehrfurcht und des Gehorsams gehalten werden – fehlte mir . Ich beherrschte das Haus und gehorchen hatte ich nicht gelernt . Miß Johnson liebte mich abgöttisch ; mit blinder Zärtlichkeit hingen meine beiden Lehrer an mir ; für die Untergebenen war ich die künftige Gebieterin , für meinen Vormund ein ungeheuer kluges wunderhübsches Kind ; wer hätte mir imponiren sollen ? Dergleichen Lücken welche die Verhältnisse – und Mißgriffe welche die Erziehungen mit sich bringen , rächen sich später immer . Das soll nicht heißen als wolle ich den Gang meiner Entwickelung ihnen zuschreiben und mich dadurch entschuldigen ! O nein ! ein andrer Character als der meine hätte sich in dieser Freiheit zu einer wolthätigen Selbständigkeit entwickeln können ; – noch ein andrer wäre in Trotz , Eigensinn und Härte verfallen . Das Licht lockt die Farbe hervor , die in der Blume aus ihren eigenthümlichen Bestandtheilen quillt ; dieselbe Sonne färbt die Rose roth und das Veilchen blau ; so wirkt auch die Erziehung : sie lockt hervor . Ist sie einseitig , so wirkt sie aber nicht vollständig genug auf den vielseitigen Menschen , dessen Wesen nicht in Rosenroth und Veilchenblau , sondern in alle Farben des Prismas getaucht ist . Alljährlich besuchte uns mein Onkel , und blieb sechs bis acht Wochen in Engelau . Er plauderte und scherzte mit mir , neckte mich nach der Gewohnheit alter Herren kleinen Mädchen gegenüber , lobte mich über alle Gebühr um meiner armen Mutter und der guten Miß Johnson Freude zu machen , und war mir ziemlich gleichgültig . Er wäre es wol ganz gewesen – aber er war Pauls Vater und interessirte mich als solcher . Denn Paul gehörte im Grunde mit zu der Gemeinschaft meiner Abgeschiedenen . Er war noch drei Monat nach Amaliens Tod bei uns geblieben , hatte meine Mutter im Beginn ihrer traurigen Krankheit mit wahrer Sohnesliebe gepflegt , hatte mit mir tausend Thränen an unsern theuern Gräbern geweint , und war endlich auf den Wunsch seines Vaters in die diplomatische Laufbahn getreten und nach England geschickt worden . Kam der Onkel , so war immer meine erste Frage nach Paul , und mein letztes Wort ein Gruß an ihn . Nach drittehalb Jahren kam er zum ersten Mal nach Deutschland und besuchte uns mit seinem Vater in Engelau . Ich wußte nichts von seiner Ankunft . Ich stand in der Hausthür um den Onkel zu empfangen , als ich das Posthorn hörte das alljährlich einmal und nur für ihn im Schloßhof von Engelau ertönte . Ich hatte mich nach besten Kräften geschmückt , hatte mir einen prächtigen Rosenkranz gewunden und einen rosenfarbenen Gürtel über mein weißes Kleidchen gebunden . Mein kleiner zahmer Kanarienvogel saß mir auf der Schulter halb versteckt von meinen dicken Locken an denen er zuweilen ungeduldig pickte . Als ich in der ofnen Kalesche Paul neben seinem Vater erkannte , stieß ich ein helles Freudejauchzen aus und ich erinnere mich daß ich heimlich dachte : Wenn der Postillon doch so vorführe daß Paul zuerst ausstiege ! – – – Richtig ! so fuhr der Postillon vor – – und in Thränen gebadet warf ich mich in seine Arme , und konnte mich nicht fassen vor Wehmuth und Freude . Der Onkel hatte mich nie so gesehen , er wollte mich beruhigen , beschwichtigen ; aber ich rief heftig : » Laß mich doch weinen , guter Onkel ! siehst Du denn nicht daß dies der glücklichste Tag meines Lebens ist ? « » Sehr schmeichelhaft für Dich , Paul ! « sagte der Onkel neckend und streichelte mir die Wangen , indem er hinzufügte : » Wenn man von den glücklichsten Tagen seines Lebens spricht , Schätzchen , so muß man hübsch in die Höhe wachsen damit man die Kinderschuhe ausziehen kann ; – denn das paßt nicht zusammen . « Er hatte wol Recht ! aber ich fand es höchst grausam keine glückselige Tage haben zu sollen , weil ich klein sei . Ich sah Paul mit thränenschweren Blicken an , und seine herzliche Freundlichkeit tröstete mich . Er ging mit mir um wie mit einem Kinde , rücksichtslos vertraulich ; aber daß er mich auf der einen Seite wie Seinesgleichen behandelte , mit mir ausritt , spazieren ging , plauderte , erzählte ; und auf der andern mir die kleinen Schmeichelworte und Liebkosungen sagte mit denen man gegen Kinder so unbedachtsam freigebig ist und die man gegen ein junges Mädchen nicht mehr zu äußern wagt : – dies warf den zündenden Funken in meine bis dahin schlummernde Eitelkeit . Ich war im dreizehnten Jahr und er achtundzwanzig ; das war ein großer Unterschied , dennoch stand er meinem Alter näher als irgend Jemand meiner Umgebung oder Bekanntschaft – Sedlaczech ausgenommen , der mir aber als Lehrer imponirte : ich fühlte mich zugleich geehrt und geschmeichelt , und that was in meinen kleinen Kräften stand um ihm zu gefallen . Er war grenzenlos eingenommen von England ! englische Meubles , englische Parks , englische Küche , englische Dichter , englische Lebensweise – Alles war eben englisch , das hieß unvergleichlich , und ich sann heimlich darauf Engelau in eins jener bezaubernden » .... park « oder » .... lodge « zu verwandeln die er so lieblich beschrieb . Er hatte den eben erschienenen » Waverley « mitgebracht ; er las uns Scenen daraus vor ; Miß Johnson war entzückt – mir ging eine neue Welt auf : die der Bücher . Bis dahin hatte ich einen Abscheu vor Büchern gehabt , welk und todt waren sie mir vorgekommen ; nur Erzählungen , nur das lebendige Wort machten Eindruck auf mich , prägten sich in mein Gedächtniß , lebten in mir fort ; so einst Heinrichs Erzählungen , so später der Unterricht meines Lehrers . Jetzt ergriff mich ein Buch – war es eben der Zauber des Waverley , war es daß Paul ihn vorlas – Gott weiß es ! aber ich war hingerissen , verzaubert . Wo ich ging und stand , wachend und träumend schwebten mir Flora und Fergus Mac-Ivor vor . Ich bat Paul mir dies Buch zu schenken ; Miß Johnson hatte nichts gegen diese Lectüre einzuwenden : ich erhielt es . Ich bat um noch einige dieser wundervollen englischen Bücher . Paul , den meine Begeisterung sehr ergötzte , hatte die größte Lust mir » Childe Harold « zu geben , das er gleichfalls mitgebracht ; allein Miß Johnson schrie Zeter über den Gedanken ein unerfahrnes Kind gleichsam auf dies Weltmeer der Leidenschaft hinaus zu schleudern , und Byron blieb verpönt . Auch andre Vorschläge Pauls nahm sie nicht an , bis sich endlich Beide im Ossian vereinigten . Ossians melancholische Nebelwelt ganz voll der » joys of the grief « , wurde einem Kinde aufgethan , dessen Phantasie ohnehin allen anderen Fähigkeiten mit Riesenschritten voraus geeilt war ! – Im Besitz Waverleys und Ossians verschmerzte ich leichter Pauls Abreise , als es sonst würde der Fall gewesen sein : immer stumpften mich Träume und Beschäftigungen der Imagination gegen die Wirklichkeit mit ihrem Leid und ihrer Lust ab , und ich selbst bemerkte mit Befremden und mit Gewissensunruh , daß mich Fergus Mac-Ivor und Ossians Helden sehr vom Andenken Heinrichs entfernten . Paul hatte ihm ohnehin schon einigen Abbruch gethan . Paul antwortete mir ebenso traulich aber ernster und verständiger als ich mir selbst im Geist Heinrichs antworten konnte ; jezt verschmolz er mir dermaßen mit meinen geliebten Büchern , daß ich ihn in ihren Helden zu finden glaubte , und mein inneres Leben ihm gleichsam widmete , wie ich es sonst dem Bruder gewidmet hatte . Ich kämpfte gegen diese seelische Untreue – doch umsonst ! das Zwiegespräch meiner Gedanken – und wenn ich es auch regelmäßig mit Heinrich anfing – endete ebenso regelmäßig mit Paul . Das machte mich unglücklich , und ich kam so weit in meiner Selbstanklage , daß ich nie an Heinrich dachte ohne verstohlen die Augen zum Himmel aufzuschlagen gleichsam als müsse ich ihn um Verzeihung bitten . Aber es geschah selten und immer seltener , und somit war mir die erste Blüte vom Lebenskranz , der mir um die Stirn geschlungen war , entfärbt vor die Füße gefallen ; denn ich vergaß Heinrich nicht gedankenlos , wie es in Kinderseelen auf und ab zu wirbeln pflegt , sondern ernst und sinnend wie ich war , sagte ich mir selbst : Also man kann die Todten vergessen . Und mit bitterm Schmerz warf ich mich nieder auf den Kieselwällen , welche die Brandung wie eine natürliche Mauer zwischen dem Park und dem Meer angespült hatte . Da lag ich stundenlang und weinte weil die Rosen verblühen , weil die Bäume kahl werden , weil es nicht ewig Frühling bleibt , weil der Mensch sterben muß und vergessen wird . Die ersten gelben Blätter erfüllten mich mit Entsetzen ! ich riß sie ab so weit ich reichen , so lange ich es möglich machen konnte ; und nahmen sie überhand so grollte ich mit den Gesetzen der Natur . Fiel der erste Schnee so war es noch übler ! ich sehnte mich zu sterben um nur nicht die allgemeine Erstarrung zu überleben . Anfangs hatte ich Gott bitter verklagt über diese Mangelhaftigkeit seiner Schöpfung , war aber von Miß Johnson sowol als von unserm Prediger der mir Religionsunterricht ertheilte , streng zurechtgewiesen worden : die Schöpfung seiner Allmacht und Weisheit wolle angebetet , aber nicht bekrittelt und gerechtfertigt sein . Das erschien mir ungerecht ; wir lebten in dieser Schöpfung und sollten nicht ihre Geheimnisse kennen ? – Ich fragte nie wieder den Prediger oder Miß Johnson , denn ich hatte in diesem Punkt kein Vertrauen zu ihnen . Mit meinem Hofmeister harmonirte ich ebensowenig . Die Naturwissenschaften waren sein Steckenpferd ; er erklärte mir das Leben der Pflanzen , der Thiere , der Erde aus den organischen Gesetzen welchen jedes Ding unterworfen ist , weil sie sich aus ihm selbst und seiner Eigenthümlichkeit entwickeln . Das verstand ich nun zwar sehr gut , allein es tröstete mich nicht . Höchst niedergeschlagen kehrte ich mich von dieser unvollkommenen Welt ab , in welcher Winter auf Sommer , Schnee auf Wiesengrün folgt , und warf mich in die der Poesie . Da war Alles schön , rein und edel ! da liebte man nur Helden und herrliche Jungfrauen ! da wohnte die ewige Treue ! da gab es nur erhabene Schicksale ! da war der Schmerz immer in Wonne getaucht , das Herz in Liebe , der Tod in ich weiß nicht welche Glorie von süßer Auflösung – denn nur für den Geliebten oder auf ruhmvollen Schlachtfeldern oder am gebrochenen Herzen starb man . Das schien mir des Menschen würdig , und ich sehnte mich Menschen kennen zu lernen , welche dies Poëm realisirten . Daß ein Paar Millionen von den Tausend Millionen auf unserm Erdball ihm entsprechen würden , bezweifelte ich natürlich gar nicht , und so stieg eine flammende Sehnsucht in mir auf Menschen kennen zu lernen , d.h. ächte , nämlich erhabene Menschen . Alle die mich umgaben ließ ich kaum dafür gelten , meine Mutter ausgenommen – denn sie litt . Das Leid poëtisirte in meinen Augen den Leidenden . Auch andre Gegenden und Stellen der Erde wünschte ich zu sehen , namentlich Schottland , das vor meinem inneren Blicke lag – – und an Schottland grenzte England , und in England lebte Paul – der mich in das Wunderreich der Poesie eingeführt hatte ! – Eine leidenschaftliche Liebe für Musik erwachte gleichzeitig in mir . Da Ossian und Flora Mac-Ivor die Harfe spielten , so wurde sie mein Lieblingsinstrument , und so gering bis dahin meine Fortschritte auf dem Piano gewesen sein mogten , so glänzend waren sie auf der Harfe , und der gute Sedlaczech jubelte in seiner blinden Liebe für mich : er habe stets geahnt daß ein großes musikalisches Genie in mir stecke . Ich aber setzte mich an Sommerabenden mit der geliebten Harfe auf einen Hügel am Meer , und improvisirte trotz der durch die feuchte Luft verstimmten Saiten Gesänge à la Ossian – so daß Sedlaczech bald zu der Ueberzeugung kam daß auch der Dichtergenius sich in mir rege . In welcher jungen glühenden Seele regt er sich nicht ? Bei mir aber bewährte er sich nur darin , daß ich auf meine eigene Hand die Kinderspiele fortsetzte , welche ich einst mit Heinrich getrieben – nur , meinem vorgerückteren Alter gemäß , gingen sie jezt mehr in mir vor , waren schweigend , still und innerlich , und gewährten mir einen so intensiven Genuß , daß ich stundenlang unbeweglich auf einem Fleck , gleichviel wo ! sitzen und die Zeit und ihre Anfoderungen gänzlich vergessen konnte . Kam ich durch irgend eine äußere Berührung wieder zu mir selbst , so war mir als stiege ich von der Himmelsleiter auf die Erde herab , und ich eilte meine kleinen Obliegenheiten mit Liebe und Pünktlichkeit zu erfüllen um mich dann wieder mit ruhigem Gewissen in meine heißgeliebten Träume versenken zu können . Ich war sehr aufmerksam in den Lehrstunden , sehr sanft und freundlich für meine Umgebungen , beinah zärtlich und sehr fleißig für die Hülfsbedürftigen – denn während ich für die Wöchnerinnen Weißzeug und für kleine Mädchen Röcke und Schürzen nähte , ließ sich gar herrlich phantasiren , und dann that es meinem Herzchen wol auf irgend welche sichtbare Gegenstände ein kleines Bächlein vom Strom der Empfindungen abzulenken , welcher ohne Ufer , Ziel und Regel mein ganzes Wesen durchflutete . – Ach , ich hätte so glücklich in der Wirklichkeit sein können ! – allein ich versäumte es aus schmachtender Sehnsucht nach einem unbekannten Glück . Es war Ende März , ein bitterkalter aber windstiller Abend , wie wir ihn selten in unserm Norden und noch seltner in jener Jahrszeit haben . In kupferfarbenen fast versteinerten Wolken – so hart sahen sie aus ! – war die Sonne untergegangen . Die Krähen flogen mit schwerem Flügelschlag rauh krächzend über die weißen Schneefelder und sammelten sich zur Nacht auf den kahlen Eichen , die sich wie Riesen im schwarzen Harnisch gegen den glühenden Himmel abzeichneten . Hie und da zwitscherte eine arme kleine Goldammer gleichsam ein Stoßgebet nach dem zögernden Frühling . Auf den Meierhöfen bellten die Kettenhunde . Das schallte Alles so weit durch die klare Luft und über das stille Land . Ich lief Schlittschuh auf dem festgefrorenen Canal . Ich dachte ob in andern Welten vielleicht die Seelen ohne Leiber so ätherisch dahin gleiten könnten , ob der » Geist von Loda « so auf den Wolken gefahren wäre . Ich dachte an Heinrich mit dem ich in dieser Dämmerstunde immer Schlittschuh gelaufen war und ach ! mit welchem Jubel . Ich dachte daß er , wenn er lebte , jezt ein schöner Jüngling sein würde , so schön und vollkommen wie er zu werden versprach – daß ich alsdann nicht einsam zu sein und mit mir selbst zu reden brauchte – daß wir mit einander durch die Welt ziehen und Alles suchen und sehen würden , was es Schönes unter der Sonne giebt – und mit plötzlicher Rückkehr in meine Gegenwart rief ich traurig und halblaut : Ach wenn ich doch nicht so sehr und so ganz allein wäre ! Da hörte ich das Rollen eines Wagens im Schloßhof , und bald darauf erscholl der Ruf Hahoh ! dreimal ; das war ein Signal welches mich zur Heimkehr auffoderte und welches ich in den entferntesten Theilen des Parks bei abendlicher Stille hören konnte . Es war Montag , einer der Tage an denen der Arzt kam . Ich wunderte mich daß er mir so dringend etwas zu sagen habe , überflog im Geist die Reihe unsrer Kranken , schnallte geschwind die Schlittschuh ab und lief wie ein Pfeil dem Schloß zu . » Was giebts , Herr Sedlaczech ? was soll ich ? « rief ich athemlos als ich ihn , dessen kräftige Stimme den Wächterruf auszustoßen pflegte , vor der Thür zu erkennen glaubte . Statt mir zu antworten kam er mir zu meinem höchsten Erstaunen schnell entgegen , und als eine andere liebere Stimme rief : » Guten Abend Sibylle ! « – da erkannte ich meinen Irrthum – denn es war Paul . Mir stockte der Athem vor Freude , Ueberraschung und vom schnellen Lauf . Sprachlos umarmte ich ihn , aber ganz flüchtig , denn ich zitterte vom Scheitel bis zur Sohle und wollte es mir nicht merken lassen . Als meine Lippen scheinbar gleichgültig seine Wange streiften und ich mit keiner Sylbe ihn begrüßte , fragte er verwundert : » Meine kleine Sibylle , freust Du Dich denn zum ersten Mal in Deinem Leben nicht wenn der Paul kommt ? « » O ja ja ! « stammelte ich . » Nun so gieb mir doch einen Kuß wie sonst « sagte er herzlich . » Ja ja ! wiederholte ich , komm' nur herein – es ist so dunkel daß ich Dich nicht erkennen kann . « War es ein Instinkt von Koketterie , der mich wünschen ließ Paul möge sehen wer ihm einen Kuß gab und daß es nicht mehr die » kleine « Sibylle sei – ich weiß es nicht ! ich zog ihn geschwind herein ins hellerleuchtete Theezimmer . Aber als wir eingetreten waren schwieg er vor Ueberraschung , und ich vor Verlegenheit über sein Verstummen , und es trat ein peinlicher Moment ein , bis Paul meine Hand nahm und leise sagte : » Ich sehe schon – Du bist ein großes wunderschönes Mädchen geworden , Du machst Dir nichts mehr aus mir und wirst mir auch wol keinen Kuß geben wollen . « Ich sah ihn an – Gott weiß wie , und ich entsinne mich auch nicht mehr wie es hernach Alles kam und wie ich mich in seinen Armen fand . Nur daß er ganz anders wie sonst vor mir stand , daß sein Blick , seine Stimme , sein Ausdruck , sein Kuß nicht mehr die früheren waren , daß er gleichsam in ein verklärendes Licht hinein gehoben war und daß ich diese Erscheinung in ihm bewirkte – dessen entsinne ich mich , weil kein Weib dergleichen vergißt sobald dies den Mann betrift den man zuerst geliebt – oder zu lieben gewähnt hat . Also liebte ich Paul ? – Ja , was ist die Liebe ? man kann von ihr alles Gute und alles Böse sagen , und es wird ganz wahr und ganz passend sein , und sich nicht blos nach einander oder in verschiedenen Individuen , sondern zu gleicher Zeit und in demselben Menschen nachweisen lassen . Sie ist zugleich der bewußtlose Trieb , der das Individuum zur Vervollständigung seiner animalischen Bestimmung drängt und der erhabene Schwung , welcher den Märtyrerschritt und den Todesgang zwischen allen Verlockungen , Reizen und Bedrohungen der Sünde giebt . Sie ist die schwüle brodelnde Glut welche das Mark aus den Knochen , die Gedanken aus dem Hirn , den Athem von den Lippen , das Herz aus dem Busen aufsaugt , und die leichte zauberische Flamme welche die Gestalt in Schönheit , das Gehirn in Schöpferkraft , das Herz in eine Glorie , das ganze Wesen in ein erneutes geistiges Dasein taucht . Sie ist die Wiedergeburt und die Vernichtung des Menschen . Sie ist eine Bachantin die ihn in mysteriöse Extasen der Wollust schleudert und ein tiefsinniger Genius der ihn auf schneeweißen Flügeln in Regionen erhebt zu denen sich die Sinnenwelt verhält wie das Sandkorn zu den Gestirnen . Sie führt ihn zu Thaten des Fluchs und zu Thaten des Segens . Sie drückt ihm den Stempel der Thierähnlichkeit und das Gepräge des göttlichen Ebenbildes auf die Stirn . Sie schlägt ans Kreuz und reißt empor zur Himmelfahrt . Sie befleckt im Lasterpfuhl und reinigt in einem Element gegen welches die klarsten Gebirgswasser und die frischesten Frühlingslüfte unklar und dumpf sind . Sie macht elender als alles andre Leid , und seliger als alles andre Glück . Sie macht stupid und giebt Intuition . Sie ist so reich daß sie die Welt verschmäht und so bettelarm daß ein Blick , ein Kuß sie wie mit Perlen und Demanten überrieselt . Sie ist allgenügsam und unbefriedigbar , seelisch und sinnlich , frohlockend und klagend – und das Alles in einem und demselben Herzen , am Morgen so und am Abend anders . Sie bildet eine festverschlungene Kette von Gegensätzen , die augenblicklich untereinander zu Widersprüchen werden , sobald nicht ein unerhört tapferes und starkes Herz jedes einzelne Glied löst indem es dasselbe mit Geduld und Ausdauer trägt . Nur eines übersprungen oder zerrissen , und die ganze Kette verwirrt sich ! Wo aber wäre ein Herz stark genug um sich stets im Gleichgewicht zwischen diesen Stürmen und Schwankungen zu erhalten ? von all dem Herumzerren und Hinundherwerfen wird es müde , matt , schlaff , marklos – mit einem Wort : schwach ! – und dies Wort bricht den Stab über ihm : Schwäche macht elend . Der Starke ist gut und glücklich , aber nur in einzelnen gnadenvollen Momenten ist der Mensch stark wenn das » Kind Gottes « in ihm die Oberhand gewinnt und der » vom Weibe Geborene « in ihm zurücktritt . So hat die ewige Allmacht es gewollt . So hat sie die Essenz seines Wesens gemischt . – – – – – – – Ja , bei der Liebe fing ich an und bei der Schwäche hör' ich auf ! das ist ganz richtig . Als Miß Johnson nach einer Viertelstunde eintrat und Paul zu meiner Mutter beschied , waren wir schon ganz einig , gingen Hand in Hand zu ihr und baten um ihren Segen . Sie sprach sehr bewegt : » Ists möglich , Paul ! dies Kind willst Du heirathen ? « » Dies Kind ist ein holdes Mädchen , liebe Tante « – entgegnete Paul schmeichelnd . » Aber sieh sie genau an , Paul ! sieht denn so ein junges Mädchen aus ? « Ich trug allerdings einen etwas befremdlichen Anzug , der mir aber zu meiner Schlittschuhläuferei und überhaupt zu winterlichen Spaziergängen bequem und nothwendig war . Ich trug lange Pantalons und ein kurzes Kleid von weißem Merino , darüber einen Spenzer von dunkelblauem Sammet mit langen Schößen und mit Zobel besetzt , und auf dem Kopf ein kleines Sammetbaret ebenfalls mit einem Pelzstreif umgeben . Letzteres hatte ich nun zwar abgenommen , aber ich trug mein Haar noch immer nach Kinderart in dicken natürlichen Locken , und sie mogten mir wol ziemlich wild um Stirn und Nacken hängen . Die kindische Tracht abgerechnet hatte ich gewiß das Ansehen eines jungen Mädchens , denn meine Gestalt war ganz ausgebildet und war größer als manche Erwachsene . Das fand auch Paul , und meine Mutter willigte gern in unsre Verlobung . Er wünschte mich auf der Stelle zu heirathen ; doch das gab sie durchaus nicht zu ; ich sollte erst confirmirt und fünfzehn Jahr alt werden , woran mir noch sieben Monat fehlten . Paul war auf drei Tage nach Engelau gekommen . Seinen Urlaub auf sieben Monat zu verlängern , war unmöglich . Sein Vater wirkte ihm noch drei Wochen aus ; dann sollte er fort und im Spätherbst wiederkommen . So war ich denn fast noch Kind , kaum Jungfrau und schon Braut . Das Leben stürzte sich mir mit drängender stürmischer Hast entgegen als habe es Eil mir seine berauschenden Tränke darzubringen damit sie nicht unterwegs verschäumten . Natürlich fand mich Paul geistig ganz unreif , aber die Gefühlswelt war im Treibhaus der Phantasie gezeitigt , und die Lebendigkeit und Bereitwilligkeit meiner Auffassung verhieß große Bildungsfähigkeit . Ueberdas kam mir mein heißer Drang zu wissen , zu verstehen , zu erkennen , zu Hülfe . Ich war unermüdlich Fragen über Welt , Menschen , Bücher , Gesellschaft – über all diese Dinge welche ich nur dem Namen nach kannte , an ihn zu richten , und unersättlich seine Antworten , seine Beschreibungen und Erzählungen zu hören . » Erzähle mir vom Palais-royal ! « hatte ich vor Jahren gebeten , als Paul noch der Verlobte meiner Schwester war ; auch jezt war kein Ende mit ähnlichen Bitten und immer fanden sie Gehör . Paul liebte mich mit einem Gemisch von leidenschaftlicher Zärtlichkeit und von beschützender Ueberlegenheit das ihm sehr gut stand . Bald machte ihn der Liebesrausch zum Kinde , das auf mein Wesen und mein Treiben einging – bald war er ein ernster und belehrender Freund der mich im ruhigen Gespräch zu sich heraufzog – bald ging die Ruhe sowol als die Kinderei in dem Liebenden unter , der ein junges reizendes Geschöpf als das Eigenthum und die Freude seines Herzens und seiner Sinne betrachtete . Ich hing an ihm mit einer quälenden Anhänglichkeit . Ganz einsam war ich ohne Gefährten und Altersgenossen , ganz abgeschieden vom Umgang mit jungen Männern und Mädchen , sogar ohne eine Freundin , welche für ein fünfzehnjähriges Herzchen gleichsam der Blitzableiter dunkler Liebesgefühle ist . Auf einmal stand mir ein Mann liebend und liebeverlangend gegenüber , bereit mich in seinen Armen durch das Leben zu tragen , mich glücklich zu machen , sein Glück von mir zu fodern und in mir zu finden . Leben und Glück war für mich gleichbedeutend ; glücklichwerden und lieben ebenfalls ; so sank ich an sein Herz weil ich eben ein Herz zu lieben begehrte , wie die Knospe aufblüht wenn Frühlingssonne und Frühlingsregen über ihren noch verschlossenen Kelch geheimnißvoll lockend stralen und rieseln . Aber ich glaube daß ich mit derselben Wonne eine Freundin oder jeden andern liebenswürdigen Mann geliebt haben würde . Ich mögte sagen es sei der allgemeine aber nicht mein individueller Gefühlsdrang gewesen , der mich zu Paul und ausschließlich zu ihm geführt . Ich war zu sehr Kind , zu ungeübt , zu unerfahren um eine Wahl treffen zu können ; zu jung um das Süße , Ahnungsvolle einer stillkeimenden , verschwiegenen , wachsenden , jungfräulichen Neigung empfunden zu haben . Es waren keine Uebergänge in mir , kein Erwachen zum Bewußtsein , keine Schwankungen . Die leisen schüchternen Nüancen durch die man zur Vertraulichkeit mit einem Verlobten übergeht , der noch vor Kurzem als Fremder uns fern stand , konnten bei mir nicht statt finden , indem Paul mein Vetter war , indem ich ihn seit der Wiege kannte , indem ich mich von je her an ihn geschlossen hatte Aus der Dämmerung der Existenz , ohne Aurora , ohne Sonnenaufgang , ohne Morgensonne – trat ich plötzlich unter die Mittagsglut , und die Leidenschaftlichkeit erwachte bevor die Liebeskraft gereift war , so wie es Pflanzen giebt die Blüten tragen bevor sie Blätter haben . Aber in der vegetabilischen Natur compensiren bestimmte Zwecke und Eigenthümlichkeiten derartige Anomalien , während der Mensch eine so wunderzarte reizbare Pflanze ist , daß eine überreizte Entwickelung in späteren Momenten keine Compensation – sondern eine rächende Vergeltung findet . Wie gesagt ich hing mit quälender Anhänglichkeit an Paul . Ich ging wohin er ging , ich stand wo er stand , ich blickte wohin er blickte . Wäre er nicht so grenzenlos in mich verliebt gewesen , so hätte er mich unerträglich finden müssen , denn ich beging eine Indiscretion über die andre , blätterte in seinen Papieren , besah seine Bücher , durchwühlte seine Portefeuilles – nicht aus kindischer Neugier allein ( obwol Alles was er hatte und was ihn umgab mir ganz neu war ) sondern um mich aus allen Kräften mit ihm zu identifiziren , um seinen Geschmack zu kennen , seine Wünsche zu errathen , seine Neigungen mir einzuimpfen . Miß Johnson verwies mir einmal ich weiß nicht mehr welche Frage oder Bitte die ich an Paul richtete . Er rief lebhaft : » O stören Sie sie nicht ! mit solchen unschuldigen Augen ist man nie indiscret . « Und er fuhr fort mir Alles mitzutheilen was mein flammendes Interesse für ihn begehrte . Dennoch war ich nicht glücklich , denn mich quälte ein Gedanke – nämlich der , daß er Amalie vergessen hatte . Darüber nachsinnend blickte ich ihn eines Tages so lange an bis mir die Thränen in die Augen traten . Er las die Zeitung . Als er meine Thränen bemerkte warf er das Blatt fort , nahm mich in seine Arme und fragte zärtlich was mir geschehen sei . Ich sagte ihm den Grund meiner Betrübniß , und daß ich mir einen ebenso lebhaften Vorwurf über mein Vergessen Heinrichs mache . » Wir haben Amalie und Heinrich nicht vergessen , entgegnete er sanft . Wir gedenken ihrer mit wehmüthiger Liebe . Aber Empfindungen an die keine Pflichten sich knüpfen genügen unsrer Thatkraft und unserm Liebesbedürfniß nicht . Erinnerungen nehmen einen Platz in unserm Leben ein ohne es ganz auszufüllen , und in edler Weise es auszufüllen suchen ist keine Untreue , meine Sibylle , sondern eine ernste und würdige Aufgabe . « Diese ruhigen klaren Worte beschwichtigten mich und berührten mich zugleich wie mit kältendem Hauch . Mein Unverstand sträubte sich gegen jene Anschauung welche das Leben zu einer ernsten Aufgabe macht . Ich wollte einen ununterbrochenen Seligkeitsrausch daraus machen . Der meine ging zu Ende als Paul uns nach drei Wochen verlassen und zurück nach England mußte . So weit fort , und übers Meer , und bis Ende Oktobers – ich meinte es nicht überleben zu können , und ich empfand eine Art von Verachtung gegen mich selbst , daß ich es dennoch überlebte . Er versprach mir fleißig zu schreiben – und er hielt Wort ! damals aber flogen noch keine Dampfschiffe zwischen England und dem Continent hin und her , das machte den Briefwechsel unsicher und unberechenbar , und diese Unsicherheit versetzte mich in ein Fieber von Angst . Wenn ich meine oder Pauls Briefe auf der See wußte lief ich wol zehnmal täglich an den Strand um den Wind zu beobachten , gänzlich vergessend daß er anders an der Küste , anders auf hohem Meere wehe , daß ein Unterschied zwischen der Nord- und der Ostsee statt finden könne – und dann verloren sich die Gedanken in die Unermeßlichkeit des Meeres hinein , das mir wie ein Bild meiner Zukunft erschien und meinen Wünschen , meinem Streben , meinen Ahnungen ein Symbol grenzenloser Verheißung darbot . War es die Gemüthsbewegung welche meine Mutter in dieser Zeit gehabt oder überhaupt eine Krisis in ihrem Leidenszustand – genug , es regte sich wieder einige Lebensthätigkeit in ihrem Nervensystem und unser Hausarzt erklärte daß eine Reise nach Gastein nothwendig zu unternehmen sei . Der Bruder meines Vaters , der Bischof von Würzburg war , hatte schon längst in seinen Briefen meiner Mutter diese Heilquelle empfohlen und sie eingeladen sich auf der Hin- und Rückreise bei ihm in Würzburg auszuruhen . Bis dahin hatte ihr Zustand es unmöglich gemacht ; jezt erklärte sie selbst es für möglich eine so weite Reise zu unternehmen . Die Hofnung auf ihre Genesung beseligte mich , und die Reiseanstalten die ich eifrig betrieb warfen ein glückliches Gegengewicht in die Schaale meiner Sehnsucht nach Paul . Aber ich machte mir aus diesem getheilten Interesse einen Vorwurf und fragte mich selbst mit trübem Erstaunen , ob ich denn eines exclusiven Gefühls gänzlich unfähig sei ? Daß der Mensch in zahllos verschiedenartigen Verhältnissen zu leben hat , daß die heterogensten Beziehungen Ansprüche an ihn machen zu deren Berücksichtigung er gestählt und bereit sein muß , daß das Menschenherz rundum tausend Berührungspunkte hat durch die es zugänglich und bewegbar wird – oder eigentlich : daß mein Herz , soll ich sagen zu meinem Heil oder zu meinem Unheil , keines Gefühls fähig war wodurch es absolut ausgefüllt wurde – dies Alles hatte ich damals noch nicht erkannt . Zu Ende des Frühlings fand meine Confirmation statt . Meine glühende Seele erfüllt von Liebe zu Paul , von Hofnung für meine Mutter , von Erinnerung an meine Todten , von Ahnung eines liebedurchglühten Daseins – so unschuldig daß Liebe und Veredlung , Glück und Tugend ihr synonym klangen und ihr als das hohe Ziel erschienen , zu dem jeder Mensch unablässig mit festem Gang und klarem Willen vorschreite – meine Seele bedurfte nicht der kirchlichen Belehrungen , welche der Prediger ihr ziemlich trocken zukommen ließ , um sich freudig zu Gott aufzuschwingen und ihre Geschicke aus seiner segnenden Hand zu empfangen . Ich genoß das Abendmal als das Symbol des heiligen Bundes , welcher von Christus gestiftet sei um die ganze Menschheit zu Kindern Gottes auszubilden . Einige Tage später reisten wir ab in zwei große Wagen vertheilt : meine Mutter , Miß Johnson , Sedlaczech , ich , zwei Kammerjungfern , und zwei Diener . Die Kranke machte diesen Schwarm der Bedienung nothwendig , und er veranlaßte wiederum Sedlaczechs Begleitung , welcher als Reisemarschall fungiren sollte . Für mich , die ich nie größere Städte als Eutin und Kiel , nie eine andere Landschaft als die holsteinische gesehen , war diese Reise eine Wonne – nämlich die Vorstellung : jezt wirst du die weite Welt , Ströme , Gebirge , Städte und Länder schauen , wirst erfahren was es Alles unter der Sonne giebt ! Anfangs entsprach das aber gar nicht meinen Erwartungen ! in Hamburg , in Braunschweig gab es kein Palais royal , der Thüringerwald schrumpfte neben dem gigantischen Maßstab meiner Phantasie zu einem Maulwurfshügel ein , die Ufer des Mains waren niedrig , der Fluß selbst schmal und gelb , die Rebgelände monoton , heiß und schattenlos . Ich vermißte die frischen Wiesen , die klaren Landseen , die Buchen und Eichen meiner Heimat , und allüberall fand ich meinen Horizont beschränkt weil ich das Meer nicht hatte , welches mehr noch für den Gedanken als für den Blick unermeßlich ist – aber nicht ermüdend wie die Ebene , von welcher die Vorstellung von Staub , Mühsal , Schmutz , Qualen , Erdigkeit untrennbar ist , sondern ausruhend weil es ein Spiegelbild des Himmels zu sein scheint . Aber Würzburg gefiel mir ungemein – die alte Stadt , die zahlreichen Kirchen , der bischöfliche Hof , mein Onkel der Bischof , der uns mit großer Herzlichkeit und süddeutscher Ungezwungenheit wie liebe Familienglieder und alte Bekannte empfing , obgleich er uns nie gesehen – Alles machte mir einen poetischen warmen Eindruck . » Das rührt vom katholischen und vom süddeutschen Wesen her , « sagte Sedlaczech , dem ich diesen Eindruck mittheilte und dem ich mich auf der Reise sehr angeschlossen hatte . Am Tage nach unsrer Ankunft fand ein großes Kirchenfest Mariä Heimsuchung statt , und mein Onkel celebrirte das Hochamt im Dom . Ich wünschte demselben beiwohnen zu dürfen . Miß Johnson erklärte es mit puritanischer Trockenheit für Götzendienst und war dagegen , meine Mutter , die keine andre Religion als die Liebe kannte und deren angebeteter Gemal Katholik gewesen war , gönnte jeder Kirche ihren Cultus und gewährte meine Bitte . Ich ging mit Sedlaczech in den Dom . Er war Katholik . Er erklärte mir das Symbol der Messe , und gab mir sein Gebetbuch damit ich ihrem Gange folgen könne . Sie machte einen überwältigenden Eindruck auf mich . Zum ersten Mal begriff ich mit zerknirschter Seele das Opfer Christi ! Musik , Weihrauch , Blumen , Prachtgewänder , Bilderschmuck , Goldglanz , Kerzenlicht , flammende Altäre , der majestätische Dom – welch ein großartiges Bild der Weltherrlichkeit , der irdischen Größe , die Christus verschmähte und gelassen in den Tod der Verbrecher ging um für seine Lehre der Barmherzigkeit : daß die opferwillige Liebe von Sünde und Furcht erlöse , zu sterben . Wie angedonnert stürzte ich auf meine Knie und fragte mich heimlich mit blassen bebenden Lippen ob ich wol eines solchen Opfers fähig sei , und gestand mir : Nein , o nein ! – und betete der Kelch möge vorüber gehen ! – In dem Tagebuch welches ich damals für Paul schrieb und welches jezt vor mir aufgeschlagen liegt , lese ich an jenem 2. Julius : » Paul ! Paul ! zum ersten Mal in meinem Leben habe ich in einer Kirche gebetet , aber so , als ob Engel meinem Herzen Flügel gegeben hätten und als ob es aus der engen Brust herauswolle . – Und zum ersten Mal hab' ich einen Mann beten sehen ! Sedlaczech kniete neben mir und betete still , andächtig , gesammelt , ohne Gesangbuch und ohne Predigt , was er eben in seiner Seele fand . Ach Paul ! wie das schön ist wenn ein Mann so betet und sich nicht schämt vor Gott auf den Knien zu liegen ! .... und auf den kahlen Quadersteinen knieten wir , und alles Volk um uns herum , ohne Absperrung und Gitterstühle , und es fiel Keinem auf . Ach das ist auch schön , denn es ist so demüthig ! – Können wir nicht den Gottesdienst in Engelau so einrichten ? – Ich sag Dir , Paul : wie Sedlaczech betete kann ich gar nicht vergessen . « – – – – Das Hochamt im Würzburger Dom war der Glanzpunkt meiner Reise . Zwar besuchte ich noch häufig die Messe mit Sedlaczech , aber immer aufpassend ob er wieder so andächtig beten würde , zerstreuten mich diese Gedanken . Ich kam nicht recht zu innerer Sammlung , und die seine schien mir auch nicht mehr so extatisch wie das erste Mal , eben weil ich ihn mit gespannter Erwartung beobachtete . Es kamen auch neue Eindrücke ! die Welt des Hochgebirges that sich mir auf mit ihren Wasserfällen , ihrem ewigen Schnee , ihren starren Felswänden an die sich grüne Matten schmiegten . Diese unerhörte Majestät zerschmetterte mein kleines Herz . Es war nichts in mir das mit diesem erhabenen Ernst sympathisirte . Er machte mich melancholisch . Ich schrieb an Paul . » Was wollen die Leute mit ihrer Bewunderung des Hochgebirges – ich versteh' es nicht ! mich machen diese starren gigantischen Massen frieren , denn sie leben ja nicht . Das Meer lob' ich mir , nicht wahr , Paul ? was da für Leben drin ist ! das athmet wie ein Mensch ; das lächelt , trauert , klagt , wüthet , grollt , scherzt wie ein Mensch . Ich meine immer dem Meer mögte ich mich ans Herz werfen – da würde mir wol sein . Aber den Felsen gegenüber fällt mir das nicht ein ! sie locken mich nicht , sie wälzen sich mir drückend entgegen ; ich mögte mich gegen sie vertheidigen und fühle da so recht meine Unmacht .... schwaches Erdenwürmchen das ich bin . Neben Dir , Paul , würde ich auch den Felsen gegenüber ein Gefühl von Sicherheit haben , das mir jezt fehlt und das mich zittern macht . « – – – – Meiner armen Mutter that der Gebrauch von Gastein nicht gut . Nach sechswöchentlichem Aufenthalt daselbst traten wir unsre Rückreise an , und langten Mitte Oktobers mühselig und niedergeschlagen in Engelau an , wo ich mein Reisetagebuch für Paul mit den Worten schloß : » Bis jezt habe ich die Welt und die Genüsse einer Reise ganz unter meiner Erwartung gefunden . Ueberrascht hat mich nichts als das Hochamt in Würzburg und daß Sedlaczech betete ; alles Andre hatte ich mir schöner vorgestellt . « – – – – Bald darauf kam Paul mit seinem Vater und der Allerseelentag beschloß mein fünfzehntes Jahr und mein allzukurzes Mädchenleben : es war ebenso unvollkommen und überreizt wie meine Kindheit gewesen . Nun war ich Frau ! – Warme schlichte Pflege des Gefühls und ein bestimmter Wirkungskreis in häuslichen Pflichten und in einer geregelten Thätigkeit , ist die naturgemäße , folglich die gesundeste Atmosphäre für die Entwickelung des Weibes . – Statt mich in sein Haus zu führen , setzte Paul mich in seinen Reisewagen ! – Er war vier und ein halbes Jahr mit geringen Unterbrechungen in London gewesen , und so ermüdet und abgespannt durch die kolossalen Proportionen und die Riesenbewegungen im englischen Leben , denen das deutsche Spießbürgerthum nun einmal nicht gewachsen ist , daß er sich nach der Zwanglosigkeit des Reiselebens sehnte , und sich überdas ein Fest daraus machte mich in alle Herrlichkeiten , Freuden und Schönheiten der Welt einzuweihen . Er verzog mich wie nur je ein verliebter Ehemann seine Frau verzogen und sie zu seiner Puppe und zu seinem Kleinod gemacht hat . Paul war ein ganz liebenswürdiger Mensch von edler Gesinnung , von gebildetem Verstande , von tadellosen Sitten , höchst angenehm in der äußern Erscheinung ; er hatte nur einen Fehler – und dieser Fehler wäre vielleicht neben einer andern Frau gar nicht zum Vorschein gekommen : es war seine grenzenlose Schwäche für mich . Er liebte in mir Alles was das Menschenherz rührt : Erinnerungen an seine frühere Jugend , an seine erste Liebe , an seine ersten Schmerzen – ein Kind das sich ihm angeschmiegt hatte , ein Mädchen das für ihn aus der Kindheit er wachte – und endlich ein reizend schönes Weib . Ich war unwiderstehlich für ihn ! – Ach wie viel tausendmal mißbrauchte ich diese Allgewalt .... nicht grade zum Bösen , denn ich war nicht verderbt – aber aus Laune , aus kindischem Uebermuth , zuweilen sogar um zu versuchen wie weit meine Macht reiche . Ich erbat und erschmeichelte , erweinte und erscherzte Alles was mir durch den Sinn flog . Das soll nicht heißen als hätte ich Verkehrtes oder Unsinniges begehrt , sondern eben nur daß mein unbedingter Wille die Axe unsrer Existenz wurde . Als ich es dahin gebracht hatte – absichtslos , immer ungenügsamer werdend , Schritt vor Schritt bis zur äußersten Grenze vordringend ! – da empfand ich Mitleid mit Paul , und dies Mitleid wuchs bis zur Mißachtung , um nicht Verachtung zu sagen . Ein Mann , und unfähig ein Nein ! gegen mich zu behaupten , wenngleich Vernunft und Recht bei dem Nein waren – ich fand das unmännlich , folglich weibisch , folglich erbärmlich , folglich konnte ich Paul nicht wie ein höheres Wesen verehren : so lautete meine unerbittliche Logik . Da ich nicht im Gefühl , sondern nur in Ideen und Phantasien lebte , welche stets einen übertriebenen Maßstab an Menschen und Dinge legen , während nur das Gefühl ihn rectificirt , so war ich ohne Schonung und ohne Zartheit , und suchte nicht den Punkt zu vermeiden oder zu umgehen , der mir Pauls Schwäche im grellsten Licht zeigte . Es ist unmöglich die intimen Verhältnisse der Ehe in ihrem ununterbrochenen Zusammenhang und Contact in Worte zu bringen die nicht plump und nicht übertrieben klingen . Es finden Nüancen statt für die man Wahrnehmungen doch keine Beschreibungen hat und Erkenntnisse die mit äußerlich unfaßbaren Uebergängen in die Seele schlüpfen – und dann wieder Anomalien , die jeder Erklärung widerstehen , und den Character als ein planlos zusammengewürfeltes Modell von einem Menschen erscheinen lassen . Ich kann nur im Allgemeinen sagen , daß ich mich benahm als habe ich es darauf abgesehen mein Leben muthwillig zu verderben . Ich trieb Alles bis auf die äußerste Spitze , und da Nichts sich dort halten kann , so erlebte ich eine Enttäuschung , einen Sturz von der Höhe nach dem andern , und fand mich zwischen Ruinen sobald ich zur Besinnung kam . Wie einst Don Quixote auf Abenteuer aus der Epoche der Paladine – so zog ich in die Welt um großen Menschen zu begegnen , und um im Leben der Völker , in den Leistungen der Individuen , in den Bildern der Natur die absolute Vollkommenheit und Schönheit zu finden , deren Ideal ich in meinem Kopf herumtrug . Ich suchte Charactere , Zustände , Kunstschöpfungen , Seelen , die zugleich vollkommen abgerundet wie Perlen und brillant facettirt wie Diamanten wären . Ich suchte Stoff zu ununterbrochener Bewunderung – und fand ihn nur ausnahmsweise ; Genüsse die permanente Befriedigung bieten mögten – und fand sie nur in einzelnen Momenten . Pausen der Leerheit , der Dürre , der Kälte traten bei mir ein , und zwar schon in den Flitterwochen und während unsers Aufenthaltes in Paris – von denen ich früher keine Vorstellung gehabt hatte . Ganz natürlich ! ich lebte jezt in einer solchen Aufregung , daß sie mit Abspannung abwechseln mußte , während in meinem friedlichen Engelau kein Rausch und folglich keine Ernüchterung eintreten konnte . Von den vierundzwanzig Stunden eines Tages verbrachte ich zwanzig in fieberhaftem Wachen und vier in fieberhaftem Schlaf . Alle Sehenswürdigkeiten von Paris , alle Schätze seiner überreichen und verschiedenartigen Museen wollte ich gründlich kennen , beurtheilen , verstehen lernen . Sachverständige mußten mich begleiten , mir historische oder technische Erklärungen geben , mein ungeübtes Auge auf Fehler oder Schönheiten aufmerksam machen . Mit derselben Gründlichkeit wurden die Magazine der Modistinnen , der Juweliere , der Schneiderinnen , der Schuh- und Handschuhmacher heimgesucht . Ich trieb einen unsinnigen Luxus , denn ich hielt mich für unermeßlich reich ohne zu bedenken , daß dasselbe Einkommen in Engelau für kolossal – in Paris für mittelmäßig gilt . Täglich eine neue und ganz exquisite Toilette um nach den Anstrengungen meines Morgens zum Diner , in das Theater und in Soireen zu gehen , schien mir ganz in der Ordnung . Nur ausnahmsweise begnügte ich mich mit dem Besuch eines Theaters . Spielte Talma oder die Mars , oder tanzte die Montessu , so mußte ich sie wenigstens in einer Scene oder einem pas bewundern , wenngleich ich bereits in einem andern Theater war . Häufig folgten noch Bälle den Soireen – so daß ich Nachts um vier Uhr in Pauls Arme sank , um Morgens um acht wieder aufzustehen und dem Maler der mein Portrait machte eine Stunde später Sitzung zu geben . Ich ließ mich für meine Mutter malen , und heimlich für Paul in meinem Schlittschuhlaufer-Anzug für den er eine große Vorliebe hatte . Aber dies rastlose Treiben ermüdete mich gar nicht körperlich . Ich blühte erst recht auf in diesem glühenden , drängenden , genußsprudelnden Leben , und der Gegensatz schlug mich häufig nieder , daß meine physische Organisation wie von Eisen und Stahl gebildet keine Ermattung kannte , während ich geistig ach wie oft ! unüberwindliche Schlaffheit in mir empfand . Unsern Aufenthalt in Paris endete nach sechs Wochen die längst befürchtete Nachricht vom Tode meiner Mutter . Berauscht aber nicht befriedigt zog ich mich aus dem Tumult zurück , dem die Trauer ein Ende machte , und wir reisten nach Florenz und Rom . Aus dem Gesellschaftsrausch warf ich mich in den Kunstrausch – aus der Verschwendung für Schmuck , Shawls und Kleider , in die für Gemälde , Statuen , Cameen , etrurische Vasen und Alterthümer . Wo ein Atelier war – ich mußte in ihm nach dem himmlischen Funken der Begeisterung spüren , und fand statt dessen in zehn Fällen neun Mal Eitelkeit , handwerksmäßige Berufsausübung , Hunger , als Anschürer des himmlischen Funkens . Ich fand das entwürdigend für den Künstler , nachtheilig für die Kunst . Ich unterstützte die miserabelsten Talente , nicht nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten – die waren gering ! sondern nach denen ihres Elends – und das war denn freilich oft groß . Ich machte ihnen große Aufträge , die entweder gar nicht oder so kümmerlich vollzogen wurden , daß ich an der Genialität meiner Schützlinge verzweifelte und den » himmlischen Funken « eine äußerst seltne Sache fand , die eben so selten im Künstler wohne , als Geist in der Gesellschaft . Aber auch manches treffliche Kunstwerk kaufte ich , das keinen andern Fehler hatte als den – meine Mittel zu übersteigen . Durch den Tod meiner Mutter war ich in den Besitz ihres ganzen Vermögens gekommen , welches mir damals eine Rente von zwanzigtausend Thalern brachte , und sich erst später um die Hälfte vermehrte , als die Nachwehen des Krieges gänzlich gehoben waren , und als eine tüchtige Verwaltung an die Stelle der lässigen Vormundschaft trat , welche nach dem Tode meines Vaters und während der Krankheit meiner armen Mutter die ökonomischen und finanziellen Geschäfte versehen hatte . Zwanzigtausend Thaler waren für meinen Train , meine Liebhabereien und meine Mäcenatsallüren sehr wenig . Paul hatte als einziger Sohn ein großes Vermögen von seinem Vater zu erwarten , allein vor der Hand bekam er von diesem nicht mehr als was er als Junggesell bekommen – ein Tropfen im Meer für unsre Bedürfnisse ! – Sämmtliche Diener meiner , Mutter pensionirte ich reichlich ; Miß Johnson glänzend damit sie in ihrem geliebten Vaterlande bequem leben könne ; ebenso meinen lieben alten Hofmeister damit er sich recht schöne naturhistorische Werke mit kostbaren Kupfern anschaffen dürfe ; endlich Sedlaczech , der sich in der Musik durch Reisen nach Wien , Paris und Italien ausbilden sollte . Abgesehen von diesen stehenden Ausgaben unsers Budgets , hatten wir in dem ersten Halbjahr unsrer Ehe und Reise fünfundzwanzigtausend Thaler verbraucht . Paul hatte wol zuweilen kleine Einwendungen versucht – doch immer umsonst . Jezt legte er mir schweigend die unwiderleglichen Berechnungen vor . Natürlich war ich außer mir vor Ueberraschung und Bestürzung . Ich warf mich in seine Arme und bat beängstigt um Rath . » Laß uns auf der Stelle zurückreisen und die andern sechs Monat meines Urlaubs in Engelau zubringen , damit ich an Ort und Stelle eine Uebersicht Deiner Güter und Einkünfte gewinnen kann – und ich stehe dafür , daß Alles wieder ins rechte Gleis kommt « – erwiderte er . » Zurück ? .... ohne Neapel , Sorrent und Sicilien gesehen zu haben ? unmöglich , Paul ! « » Sehr möglich , liebe Sibylle , für ein Paar vernünftige Menschen , die vermeiden wollen sich von Hause aus zu ruiniren . « » Guter Gott ! rief ich mit kindischen Thränen , wie traurig ist es daß nichts auf der Welt zu den Bedürfnissen des Menschen ausreicht ! nicht einmal das Geld ! « » Verschwendung ist kein Bedürfniß , Sibylle – nur eine üble Gewohnheit , die , wie fast alle Gewohnheiten , für uns selbst und für Andere mit der Zeit höchst lästig wird – abgesehen davon daß es unsinnig ist mehr Geld auszugeben als man einnimmt . « Aber ich habe bisjezt noch gar nicht meine Vermögensumstände gekannt , Paul ! .... jezt werde ich mich schon nach der Decke strecken . Wir wollen die Pferde abschaffen und ganz idyllisch in Sorrent leben , nicht wahr ? « Nach langer Berathung machten wir gegenseitig Concessionen . Paul bestand nicht auf die Heimkehr , ich gab die Reise durch Sicilien auf . Wir verkauften die sieben Pferde , welche wir bei unsrer Ankunft in Florenz gekauft , entließen die überflüssigen Dienst boten ; ich nahm Bestellungen von ich weiß nicht welchen Kunstgegenständen zurück , und in den ersten Tagen des Mais verließen wir Rom und gingen , Neapel nur flüchtig berührend , nach Sorrent . Uebersättigt vom Gesellschaftstaumel verließ ich Paris – vom Kunsttaumel Rom . In Sorrent warf ich mich in den Liebesrausch . Währte er nicht länger als die beiden anderen , so war er wenigstens süßer . Wir mietheten für den ganzen Sommer ein kleines schlichtes Haus , das von einem Orangengarten umgeben und von der Stadt abgesondert war . Die Terrasse vor demselben breitete sich auf einem Felsen aus , der unmittelbar und schroff ins Meer hinabfiel . Der zauberische Golf von Neapel , die reizenden Küsten des Landes , die wilden Formen der Insel Capri , die phantastischen Felsen , Grotten und Hölen des Sorrentinischen Ufers – waren die feenhaften Bilder , welche sich vor unserm Häuschen ausbreiteten . Damals verband keine Chaussee Sorrent mit Castelamare ; nur zu Fuß und zu Maulthier auf köstlich wilden Felsenpfaden , oder im Nachen konnte man es erreichen . Die Reisenden versäumten freilich nicht Sorrent und Tassos Haus zu besuchen , nach Capri zu schiffen und über das Gebirg nach Amalfi zu ziehen – allein es geschah ohne den brutalen und alltäglichen Tumult einer staubigen Poststraße , ohne Wagengerassel und Peitschenknall , ohne die gräßlichen Bequemlichkeitserfindungen der gegenwärtigen Menschentransporte . Es gab Momente , Tage , in denen man sich abgeschieden von der Welt da draußen fühlen konnte , verzaubert auf irgend ein seliges Atlantis ; und kamen Reisende , so liehen ihre Züge der Gegend ein gewisses malerisches Interesse : hier saßen elegante Frauen ganz befremdet auf Eseln – dort trieben kecke Reiter vergeblich bedächtige Maulthiere zu schnellerem Schritt an – dort saß unter einem Oelbaum eine Gruppe von malenden und zeichnenden Dilettanten – hier wanderten rüstige Fußgänger mit dem Ränzelchen auf dem Rücken – da kletterte ein Botaniker oder ein Mineralog mit den Ziegen um die Wette über Felsabhänge – hier hatte ein studirender Landschaftsmaler unter einem riesigen Sonnenschirm sein kleines ambulantes Atelier aufgeschlagen – das Alles betrachteten wir aus der Ferne als Staffage des wundervollen Gemäldes , mit dem ich , was Reiz und Lieblichkeit betrift , kein anderes vergleichen kann . O ihr Tage von Sorrent ! ihr wart die süßesten meines Lebens . Ja ja , ihr müßt es gewesen sein , denn in der Erinnerung und mit der unerbittlichen Kritik der Gleichgültigkeit vermag ich nichts aufzufinden was euch entzaubern könnte . Als ihr mich umfingt suchte ich nicht das unbekannte Gut , das mich zu rastloser , wilder , thörichter Pilgerschaft zu irgend einem geträumten Heiligenbilde trieb . Bei euch hatte ich die Oasis gefunden , in der sich die lechzende Seele auf Blumen bettete . Ueber euch wehten erquickende Lüfte , euch umrieselten frische Bäche , um euch gingen lichtere Gestirne auf . Ich vergaß zu fragen ob es Schöneres und Höheres gebe ; ich genoß unbefangen das Dasein : darum war ich glücklich . Es war ein Sinnenglück – ja ! eine Schwelgerei in den materiellen und doch ätherischen Essenzen , welche die Seele umfließen und tragen – ja ! ein Genuß der Schönheit , die durch alle Poren wie ein magnetisches Fluidum drang und das Wesen in tiefere mystische Verbindung mit dem Wesen der Natur brachte – ja ! Ich war ganz allein mit Paul ; wir sahen Niemand , wollten Niemand kennen lernen . Die Natur mit ihren immer wechselnden Schauspielen ist keine Zerstreuung für zwei einsame Menschen , sondern bewirkt ihre innigere Vereinigung . Im contemplativen Genuß einer Mondnacht , eines Meersturmes , eines Sonnenuntergangs – oder bei Streifereien durch Schluchten und Thäler , über Felsen und Klippen – bei Wasserfahrten auf den phosphoreszirenden Wellen in heißer stiller Mitternacht – welche magische Berührungen gehen da von Seele zu Seele ! mit einem Augenblitz , einem tieferen Athemzug , einem Wink des Fingers fliegen ganze Gedankenreihen , ganze Gefühlsketten mit elektrischer Spontaneität aus dieser Brust in jene ! mit einem leise geflüsterten Wort thut sich eine Unendlichkeit für die Sehnsucht , ein Paradies für die Erinnerung auf ! mit einem Kuß senken sich Extasen aus übersinnlichen Sphären in die Sinnenwelt hinein , wie Mond und Sterne sich zitternd ins Meer senken um verklärt daraus hervor zu stralen – wie die Sonne sich in lichte Wolken senkt um sie in Rosen und goldne Kugeln zu verwandeln – wie eine mystische Essenz in den Felsenspalt dringt um als Diamant daraus aufzuleuchten . – O ihr Liebenden ! warum verlaßt ihr die Einsamkeit ! nur einsam könnt ihr das Leben der Liebe leben – sobald ihr vom Leben der Welt gefangen seid , werdet ihr zu dessen Sclaven . Ihr müßt aufstehen und schlafen gehen wie die Andern , essen und trinken , euch kleiden und euch unterhalten , loben und tadeln , denken und sprechen , lieben und hassen wie die Andern ! ihr müßt Besuche machen und empfangen , spazieren fahren , Billets schreiben , Romane und Zeitungen lesen , Toilette machen , Fadaisen hören , Banalitäten sagen – und das Alles verabscheut die Liebe ! Bleibt doch einsam ! – – – Und wenn wir's bleiben , wird sie uns nicht verlassen ? – – Versucht es ! – Vielleicht ist euer Herz ein » Gefäß der Ehrer « in welchem sich die himmlische Manna in primitiver Frische erhält . – – – So lebten wir : mit der sinkenden Sonne begann unser Tag . Die Terrasse war durch Segeltuch in ein geräumiges Zelt – und dies Zelt durch bequeme Sessel und Ottomanen , durch große Tische mit Büchern und Portefeuilles , durch eine Harfe und viele Blumentöpfe in einen sehr bequemen Salon verwandelt . Da frühstückten wir um sechs Uhr Abends , und machten einen Spaziergang nach irgend einem Lieblingsplatz um den Sonnenuntergang zu sehen und die Abenddämmerung zu genießen . War es finster geworden , so kehrten wir heim ; unser Zeltsalon war mit Lampen erleuchtet ; ich spielte die Harfe , Paul las ; wir trieben eifrig das Studium der italienischen Sprache in ihren Dichtern ; wir übersetzten zuweilen eine Stanze Ariostos oder Tassos , ein Sonett Petrarcas ; wir sangen zusammen deutsche Lieder und französische Romanzen . Nachts um drei Uhr speisten wir zu Mittag , bestiegen dann einen leichten Kahn und erwarteten den Aufgang der Sonne auf dem Meer . Mit dem Tage kehrten wir zum Lande zurück und machten einen größeren Spaziergang , bisweilen einen Ritt auf Eseln in die Berge . Die Hitze des Tages führte uns ins Schlafgemach . Es lag ein unsäglicher Zauber in dieser Existenz , die sich so ganz von der Alltäglichkeit losgerungen hatte und sich so sehr in einer poetisch traumhaften Region bewegte , daß alle Berührungen mit dem gewöhnlichen Leben von selbst aufhörten . Dies dauerte so lange wir es ertragen konnten ! es ist aber sehr gewiß daß man in dieser wechsellos glühenden Atmosphäre des feinsten Sinnengenusses die Energie verliert , welche des Genusses fähig macht . Ich ertappte mich zuweilen auf dem heimlichen Wunsch : Könnte ich doch urplötzlich in Kamtschatka sein und nichts um mich herum sehen als Schneefelder ! das würde mir Nerven und Augen erfrischen . – Nerven und Augen schob ich vor ; im Stillen fühlte ich daß dies die Aeußerung eines noch größeren intellektuellen Bedürfnisses sei , das nach irgend einer Darlegung der Thatkräftigkeit lechzte . Bemerkte ich in Paul eine ähnliche Regung , so kränkte sie mich . Ohne ein volles Genügen zu finden begehrte ich doch daß er es finden solle . In andern Augenblicken hingegen , bei Gesprächen über Aussichten für seine Laufbahn oder über Zukunftspläne – wenn er da nicht ganz auf meine hochfliegenden Träumereien einging weil er die Verhältnisse richtiger beurtheilte als ich – oder wenn er sagte : » Laß uns nicht die Paar süßen friedlichen Tage durch Unruh des Ehrgeizes verkümmern ; « – so schien mir wiederum seine geistige Spannkraft erschlafft , und ich fand darin einen bittern Vorwurf der Unvollkommenheit unsrer Liebe . Einmal hub ich an : » Paul , sage mir : liebe ich Dich ? « » Ich hoffe es ! « entgegnete er lächelnd . » Und liebst Du mich , Paul ? « » Gewiß , Sibylle ! « » Woran erkennst Du daß Du mich liebst ? « » Daran , daß Du mein dominirender Gedanke bist , Sibylle – daß mein inneres Leben in Deinem Besitz zu einem Abschluß mit sich selbst gekommen ist und eine Regel gefunden hat : Dein Glück . « Ich schwieg und starrte vernichtet in die See hinaus , denn ich vernahm eine in mir flüsternde Stimme : Aber du Paul bist nicht mein dominirender Gedanke – aber mein inneres Leben hat in deinem Besitz keinen Abschluß mit sich selbst gefunden ! ... . Wie ein entstellendes Echo hallten diese Worte in mir wieder . Mir war als sei ein Schleier von einem Abgrund in mir selbst weggezogen , und betäubt starrte ich in ihn hinein . Ach , es war ganz richtig ! Paul hing mit seinem Herzen an mir – darum beherrschte ich ihn ; und ich hing an der Idee der Liebe – nicht an Paul . Ich wollte durch die Liebe die ganze sinnliche und übersinnliche Welt ergründen , erkennen und umfassen ; sie sollte mich wie Dante in mystisch erhabene Geheimnisse weihen , mich Ariosts zauberische Verführungen , Tassos romantischen Schwung , Boccaccios lockende Ueppigkeit lehren und sie genießen lassen ; sie sollte mir Lorbeer- und Stralenkrone , unter welchen sich Dornen verbergen , ums Haupt flechten , wie dem Petrarca . Das erwartete ich von der Liebe ; sie war meine dominirende Idee . – Wie soll das werden ? murmelte ich vor mich hin . » Hast Du Dich besonnen daß Du mich liebst , mein Engel ? « fragte Paul nach einer Weile . Ich konnte nicht antworten , ich war gelähmt , erstickt durch das plötzlich erwachte Bewußtsein eines großen innern Elends . Ich hatte meinen Kopf an die Harfe gelehnt auf der ich gespielt , und an die ich mich jezt mit beiden Armen klammerte , weil mir war als thue sich der Felsen unter mir auf . Paul sprang auf , lehnte die Harfe zurück , richtete mich in seinen Armen empor und führte mich zur Balustrade der Terrasse damit ich freiere Luft schöpfen möge . » Kind ! Kind ! sprach er zärtlich , Du ängstigst mich ! es gehen Dir Stürme von Leidenschaft durch die Seele , die Dich zerbrechen müssen . « » Das ist wahr ! entgegnete ich beklommen , aber laß sie nur austoben ! jeder Mensch muß durch die Gewitterjahrszeit seines Lebens hindurch . In mir ist unmäßig viel Unklarheit – das erzeugt eben die Gewitter . Aber glaube nur Paul , daß Eines mir klar ist : Dein Glück soll auch die Regel meines Lebens sein . « Und gleich jedem unsrer Gespräche ging auch dieses am Kuß unter . – – – Aber mich überfiel seitdem in Pauls Armen zuweilen ein maß- und namenloses Entsetzen , ein Grauen das mich bis in die Haarspitzen durchrieselte , weil ein Gespenst in mir auftauchte das lautlos doch vernehmlich sprach : Du liebst ihn nicht ! – Ich verfiel darüber in unsinnige Traurigkeit , ich erschöpfte mich in Beweisen der Zärtlichkeit , ich ersehnte schwierige trübe Zustände um sie in andrer Form ihm zu bethätigen . Unsre holdselige Abgeschiedenheit wurde mir ganz lästig , und als wir Sorrent Anfang Oktobers verließen , war ich übersättigt vom Liebesrausch ! Wir kamen nach Engelau . Ach , wie war es dort so einsam und traurig . Eltern und Geschwister todt , die Freunde und Pfleger meiner Jugend fort , Miß Johnson in England , Sedlaczech auf Reisen ! wie viel Gräber unter – und leere Plätze auf der Erde ! Nur unser alter Hofmeister empfing uns , aber sehr niedergeschlagen , denn er fühlte sich verwaist an dem Ort der ihm zwanzig Jahre lang lieb wie eine Heimat gewesen war . Der Tod meiner Mutter berührte mich hier viel tiefer , als in dem Augenblick wo ich die Nachricht empfing . Damals machte er mir nur den Eindruck eines schmerzlichen , jedoch unvermeidlichen und längst vorhergesehenen Ereignisses ; hier , an diesem Ort wo sie stets gelebt und den sie so heiß geliebt hatte – der Alles umfing woran je ihr Herz gehangen : hier war mir zu Sinne als stände ich immerdar an ihrem Grabe , als wäre ganz Engelau der große traurige Sarg , der ihren Staub umschloß und der selbst bald in Staub zerfallen müsse . Urplötzlich von Sorrents lachender Küste im Spätherbst an die stürmischen Gestade der Ostsee versetzt , grauete mir vor den Nebeln , den kahlen Bäumen , dem Gekrächz der Krähen , dem hohlen Sausen des Windes , der grauen Färbung der Landschaft . Hier hatte ich leben , lieben , fröhlich sein können ? .... ich begriff es nicht mehr ! mein verwöhntes Auge blickte befremdet umher und traf überall auf Kälte und Leere . Ich drängte Paul zur Abreise nach England ; ich stellte ihm vor , daß in dieser Jahreszeit mit jedem Tage die Unbehaglichkeit der Ueberfahrt wachse , daß sie gefährlich werden könne ; daß er Gefahr laufe ganz aus der Carriere zu kommen , wenn er sich so wenig pünktlich und eifrig im Dienst erweise . Paul wünschte um Nachurlaub zu bitten und den Winter mit mir in Engelau zu verbringen , theils um die Verhältnisse meines Vermögens und die Art kennen zu lernen in welcher dasselbe verwaltet würde , theils um in Folge unsrer übermäßigen Reiseausgaben auf dem Lande eingeschränkt zu leben . Aber unsre sorrentinische Einsamkeit hatte mich auf lange Zeit mit der Einsamkeit überhaupt abgefunden , und überdas war in mir der tumultuarische Drang das Leben nach allen Seiten hin kennen zu lernen , welcher sich nun einmal nicht in Engelau befriedigen ließ . Paul gab nach – wie immer , mit einer Güte , einer freundlichen Nachsicht , wie nur der Starke sie für den Schwachen haben kann . Aber es rührte mich nicht ! ich glaubte nur Recht zu haben . Ich hatte eben kein Herz und lebte nicht mit und von dem Herzen , sondern für meine Träume . Wolbehalten langten wir in London an . Ich hatte die besten Vorsätze gefaßt mich von jedem Luxus fern zu halten und mich in der Einrichtung meines Hauses und meiner Toilette auf die schlichten Ansprüche des Anstandes zu beschränken . Den Luxus der Pracht glaubte ich vermeiden zu können und mied ihn auch ; aber ach ! der Luxus des Comfort war viel verführerischer und auch viel unwiderstehlicher , weil er wie eine Nothwendigkeit aussah . Unser Haus war weder groß noch prächtig ; allein ich mögte es in seiner koketten Elegance mit dem Anzug einer schönen Frau vergleichen bei welchem von der Haarnadel an bis zum Schuh herab die feinste und ausgesuchteste Wahl geherrscht hat . Ebenso ging es mit meiner Toilette . Ich wollte durchaus nichts Prächtiges ; nur Stickereien – nur Spitzen – nur jene allerliebste leichte Waare , welche die französische Sprache so außerordentlich bezeichnend » Chiffons « nennt . Was die Kostbarkeit dieser Sächelchen erhöhte war , daß ich sie nun gar aus Paris kommen ließ , weil mir der englische Geschmack in dieser Richtung nicht zusagte . Ich war schön , elegant , fand mich mit großer Leichtigkeit in den englischen Manieren zurecht , sprach geläufig englisch ; meine große Jugend interessirte einige ältere Frauen der ersten Gesellschaft für mich , welche mich protegirten und hoben bis ich auf eigenen Füßen stehen konnte , was – Dank jenen Eigenschaften ! – sehr bald geschah . Als diese gleichsam materiellen Erfodernisse nach allen Seiten hin überwunden waren – sah ich mich um : Was nun ? – – Ich hatte gar keinen genügenden Wirkungskreis ; meine selbstgewählten Beschäftigungen waren keinesweges aus innerer Nothwendigkeit hervorgegangen ; Lectüre und Harfenspiel füllen müssige Stunden , aber kein leeres Leben , Besuche , Spazierritte , Soireen sind mehr Zeiteintheilungen als Ausfüllung der Zeit . Ich wünschte glühend für Paul etwas thun , ihm nützlich sein zu können . Ich war ihm behülflich die Zeitungen zu lesen und aus diesen englischen , französischen , deutschen Papiermassen die Notizen auszuziehen , die irgend ein Interesse boten . Hätte mein Verstand eine positivere Richtung gehabt , so würde er sich unzweifelhaft bei meinem Heißhunger nach Beschäftigung auf die Politik geworfen und in deren Combinationen ein Feld für die geistige Regsamkeit gefunden haben . Aber für mich waren Whigs und Tories nichts Anderes als die weißen und die schwarzen Figuren welche sich auf dem Schachbrett Treffen liefern , die von List , Feinheit , Intrigue , Benutzung fremder Schwäche dirigirt werden . Meinem armen Kopf fehlte die Capacität um Staatsfragen verfolgen zu können . Doch habe ich , vielleicht veranlaßt durch Pauls Vorliebe oder auch durch den ersten Eindruck den in dieser Beziehung meine Unerfahrenheit hier empfing – eine große Achtung , einen fast unwillkürlichen Respect vor den englischen Staatsformen bekommen und bewahrt . Dadurch daß die englische Adels-Aristokratie nie ihre Reihen schließt , und Männer von wahrem und ernsten Verdienst , gleichviel von welcher Herkunft , bereitwillig zwischen sich aufnimmt , ist sie eine durchaus organische Institution , die im Schooß des Volkes , im Grund und Boden des Landes Wurzel geschlagen und dessen edelste Kräfte in würdiger Weise sich einverleibt hat . Sie ist nicht zu einer Kaste mumificirt , sondern frische Säfte und junges Blut strömen unablässig ihr zu , und weil sie so kräftig ist , darum ist sie auch populär , denn sie flößt Vertrauen ein . Rastloses Streben liegt in der Natur des Menschen ; aufwärts streben veredelt sie ; diesen Spielraum nach oben hat die englische Aristokratie den übrigen Classen der Gesellschaft gelassen , und daraus entspringt für diese der Sporn des Ehrgeizes . In Deutschland hat der Adel nicht verstanden diese edle und weise Stellung einzunehmen und ist durch Käuflichkeit der Adelsbriefe völlig erniedrigt . Das macht ihn unpopulär ; dadurch versiegt ihm der Zufluß der Lebenskräfte , und indem er sich selbst gleichsam die Wurzeln in mütterlicher Erde abgeschnitten , hat er auf die übrigen Classen fürchterlich nachtheilig gewirkt : er hat ihnen Neid eingeflößt ! Können sie nicht aufwärts – wolan , so zerren sie abwärts ! Diese Richtung entadelt beide Theile . Weil Alles allgemein sein soll , drum wird es gemein : das ist die Basis des Nivellirungsystems ! in starrer Abgeschlossenheit scheelsüchtig und mißgünstig , ohne Athem zum Wettlauf verharrt der Adel in einer Stellung die hunderttausend Blößen bietet . Dieser schiefen Position wegen fühlte sich Paul höchst unbehaglich in Deutschland . Seine Gesinnung war viel zu hoch und viel zu klar um ihn zum Ueberläufer zur Partei der Demagogen zu machen , welche damals an der Tagesordnung war . Diese Projecte von Republiken , von Bürgerthum widerten ihn an , weil er in diesen Staatsformen nur den Uebergang zu absoluten und despotischen Monarchien sah , gegen welche die Aristokratie eine heilsame und nothwendige Schranke zieht . Darum hielt er immer das aristokratische Princip aufrecht ; allein er verhehlte sich nicht , daß man es in Deutschland nicht verstand oder mißverstand , und daß in Hofjunkern und Landjunkern kein belebendes Element der Aristokratie zu suchen sei . Sein Lebensplan war der : sich in England durch seine diplomatische Stellung gleichsam einzubürgern und alle zwei oder drei Jahr nach Deutschland zu gehen um seinen Vater zu besuchen und um die Güter in Holstein zu inspiciren . Die Vorstellung war ihm unerträglich die Beamten-Carriere machen oder in den Hofdienst treten zu müssen , oder in diplomatischer Stellung an einen deutschen Hof zu kommen . Das wußte ich , denn es war der Gegenstand häufiger Gespräche ; ich theilte Pauls Ansichten , ich bestärkte ihn darin ; ich dachte es mir gräßlich auf Paris , Rom und London einen Aufenthalt in kleinen Landstädtchen wie Cassel etwa oder Carlsruh folgen zu lassen . Dennoch richtete ich den Zuschnitt unsers Hauses und unsers Lebens so kostspielig ein , daß die Unmöglichkeit ihn durchzuführen vorauszusehen war . Was half es daß ich jeden Morgen mit unserm Steward und jeden Abend mit meiner Kammerfrau Rechnung hielt und abschloß ! Was half es daß ich jede Ausgabe höchst pünktlich in mein Rechnungsbuch eintrug ! – Nicht das genaue Verzeichniß der Ausgaben , sondern die Beschränkung der unnützen macht die gute Hausfrau aus . Paul war zu nachsichtig gegen mich ; jeden Einfall ließ er hingehen ; immer gab er seine Ansicht , seine Wünsche gegen die meinen auf . Nachdem im ersten Jahr unsers Londoner Aufenthaltes das Parlament geschlossen und die Season vorüber war , schlug er mir vor auf drei Monate nach Engelau zu gehen ; aber ich bat um eine Reise durch Schottland – und wir machten sie . Im zweiten Jahr wünschte er dringend die Reise nach Holstein , aber ich noch viel dringender den Besitz einer kleinen Privat-Yacht . Sie wurde gekauft , bemannt , eingerichtet , und wir machten mit ihr eine Reise längs der französischen Küste von Boulogne bis Brest , und die Fahrt rund um Irland herum . In den Hafenstädten verließen wir die Yacht und machten Streifzüge ins Land hinein . Im dritten Jahr bereisten wir auf gleiche Weise die Küsten der pyrenäischen Halbinsel . Als wir im Spatherbst nach London zurückkamen empfingen uns die übelsten Nachrichten aus Holstein . Es war ein schlechtes Jahr gewesen , die Schulden hatten sich gehäuft , ein Paar Gläubiger waren mißtrauisch geworden und verlangten Auszahlung ihrer Capitalien , zwei Pächter hatten den Jahreszins nicht gezahlt , der Verwalter des Hauptgutes Engelau hatte sich dem Trunk ergeben während seine Frau ihr Schäfchen ins Trockne gebracht und sich in Meklenburg ein schönes Landgut gekauft hatte ; kurz die volle Verwirrung der Zustände war eingetreten , die mit Verschwendung und Verwahrlosung von Seiten des Herrn überall Hand in Hand geht . Mein Geschäftsführer schrieb mir warnende Briefe , mein Schwiegervater schrieb fulminirende an Paul ; der Sinn von dem Allen war – daß uns ein Concurs bedrohe . In vier Jahren hatte ich es dahin gebracht ! bei neunzehn Jahren hatte ich es möglich gemacht mein Vermögen , das Vermögen einer alten wolbegüterten Familie zu compromittiren , und vielleicht – Pauls Zukunft zu zerstören ! Paul machte mir keine Vorwürfe und berührte mit keinem Wort weder diese Möglichkeit noch die Vergangenheit . Ich umschlang ihn ganz bewildert und rief : » Aber Paul , was können wir denn thun ? « » Wir müssen nach Deutschland und in Engelau leben – – sagte er sanft und fügte beruhigend hinzu als mir die Thränen aus den Augen stürzten : Nur vor der Hand .... wie ich glaube , meine Sibylle . « » O Paul ! rief ich , warum hast Du Deine bessere Einsicht nie mir gegenüber geltend gemacht ? « Er sah mich traurig an und erwiderte : » Weil ich schwach gegen Dich bin . « » Leider ! « flüsterte ich vor mich hin . » Du machst mir diesen , Vorwurf ! « rief er schwankend zwischen Zorn und Schmerz . » Ja Paul , sagte ich und küßte seine Hand , das ist immer so : wer Unrecht hat mögte die Schuld von sich ab und auf einen Andern wälzen . « » Wer könnte Dir zürnen , Engel ? entgegnete Paul . Wenn es ein Fehler ist zu liebenswürdig zu sein , so hast Du ihn ! Du siehst , auch ich will meine Schuld von mir ab und auf Dich wälzen . « Paul nahm Urlaub auf ein Jahr . Wir gaben unser Haus auf , verkauften unsre ganze Einrichtung , die wir vor drei Jahren mit solcher Sorgfalt gemacht hatten , entließen unsre englischen Dienstboten , und schifften uns Ende Novembers nach Hamburg ein . Diese drei Jahr in London waren mir schwer gewesen ! – Wie einst in Sorrent daß ich Paul nicht liebe : so hatte ich jezt erkannt , daß ich ihn dominire ohne ihn doch eigentlich zu beglücken . Ich hatte ihn mit ich weiß nicht welchem Zauber umsponnen , der ihm zugleich süß und doch schwer war , der ihn eigentlich mehr magnetisirte als befriedigte . Ich hatte seinen Lebensplan durchkreuzt – ich veranlaßte ihn in großer Einschränkung und mit widerwärtigen Geschäften wenigstens ein ganzes Jahr und vielleicht noch länger auf dem Lande zu leben – ich erfüllte nicht seinen heißesten Wunsch , denn ich war nicht Mutter ; – und dennoch liebte er mich ! Es giebt fatalistische Leidenschaften ! sie bemächtigen sich eines Menschen , und Alles was sie sonst tödtet , dient nur dazu sie in ihm zu entzünden . Paul hofte Kinder zu haben , hofte die Vermögensverwickelungen zu entwirren , hofte seine Laufbahn seinen Wünschen gemäß fortzusetzen , und wenn ich ihn fragte : » Wie kannst Du immer so muthig sein ? « so erwiderte er : » Weil ich Dich liebe . « Gott , wie mich das rührte ! – Unser Herzensverhältniß war dadurch ganz eigenthümlicher Art ; denn ich liebte ihn nicht , er imponirte mir nicht , es gab Momente wo ich mich ihm überlegen fühlte , weil ich das Bewußtsein hatte ihn lenken zu können ; und dennoch hing ich mit Zärtlichkeit , ich mögte sagen mit Wehmuth an ihm . Er war mir nicht geworden was ich von einem Gatten , einem Geliebten geträumt hatte ; da er aber so gut und edel war betrübte seine Unvollkommenheit mich nur und nie fühlte ich mich versucht bei einem anderen Mann eine höhere Vollkommenheit zu suchen . Es wurden mir viel und flammende Huldigungen dargebracht : sie rührten mich nicht . Ich blieb kalt wie Eis , nicht aus Tugend , nicht vorsätzlich , sondern nur weil ich nichts Verlockendes in ihnen fand . Ich hatte meine Erwartungen von den Männern in früher Jugend so hoch gespannt , daß sie denselben nicht entsprechen konnten ; und ich selbst war jung genug um noch nicht meine eigenen Erwartungen vergessen zu haben . Ueberdas graute mir vor der Untreue , der Lüge , der Intrigue , der Angst und Verzweiflung , welche im Gefolge jeder pflichtwidrigen Neigung sich einfinden . Ich konnte mir nicht vorstellen , daß wahre Liebe sich unter diesen entwürdigenden Umständen Platz machen und entwickeln könne . Ueberdas hatte meine Phantasie eine ganz andre Richtung genommen ; ich dachte an nichts – als an Mutterglück ! und Alles was ich that und trieb und unternahm , geschah um mich gegen diese heiße ungestillte Sehnsucht zu betäuben . So schien es mir damals . Vielleicht war das aber auch nur ein unbewußter Vorwand um meine Unstetigkeit zu beschönigen ! – Genug : ich vertiefte mich jezt in ebenso regellose Phantasien der Mutterseligkeit , wie ehedem in die Seligkeit Helden und Halbgötter auf jedem Schritt und Tritt zu finden . Das gab mir etwas Träumerisches , Schwermüthiges , und dieser geistige Trauerflor bildete mit meiner Jugend einen auffallenden Contrast . Wer sich mir mit unverholener Huldigung genähert hatte war Graf Otbert von Astrau . Diesen Namen nennen heißt einen berühmten Mann bezeichnen , dem die Mitwelt und vielleicht die Nachwelt einen ehrenvollen Platz aufbewahrt . Ein Dichter betrachtet das Leben mit anderem Auge als wir übrigen Menschenkinder . Jezt habe ich das erkannt . Darum kann ich auch unparteiisch von Otbert sprechen . Er kam nach London . Seine Ankunft war uns lange vorher verkündet ; seine Gedichte waren auch in England bekannt und geliebt . Man war gespannt auf seine Erscheinung , ich , die Deutsche , natürlich noch mehr als die Uebrigen , denn seine Gedichte hatten mich bezaubert . Otbert kam mitten in der Season und brachte an Paul ein halbes Dutzend der dringendsten Empfehlungsschreiben . Dadurch wurde er ein täglicher Gast in unserm Hause . Sein Ruhm , sein Name , seine Persönlichkeit bahnten ihm einen Siegerpfad in der Gesellschaft . Er war höchstens siebenundzwanzig Jahr alt und so recht in der Sonnennähe seiner poetisch-lyrischen Entfaltung ; außerdem schön , geistreich , liebenswürdig , brillant – geschaffen um alle Frauenköpfe zu verdrehen . Das that er denn auch nach besten Kräften ! nur der meine saß fest . Ich stand in stummer Bewunderung ganz fern und demüthig , und staunte das Meteor an , das über meinen Lebenshimmel dahinzog . Natürlich hatte ich mir unter einem Dichter ein begeistertes prophetisches Wesen mit Sehergaben , mit der Intuition der Seelen und der Zukunft vorgestellt . Meine Bewunderung ging in Verwunderung über , als ich einen brillanten , eiteln und koketten Mann fand , der im Salon glänzen und die Frauen erobern wollte . Beides gelang ihm , und die Siegesgewohnheit machte ihn zum Fat . Seine Schaustellung erkünstelter Gefühle , das halbe Dutzend von Passionen , welche er im Lauf einer Season erregte , bald theilte , bald nicht theilen konnte – machte mir einen widerwärtigen Eindruck , und oft sagte ich zu Paul : » Wie schade daß ich Astraus persönliche Bekanntschaft gemacht habe ! mir ist der glühende Frühling seiner Poesie wie in Schneeflocken untergegangen . « » Was ist Dir nicht schon untergegangen , arme kleine Sibylle ! « entgegnete Paul einmal mit gutmüthigem Spott . Ihm gefiel Astrau außerordentlich . Dieser hatte Männern gegenüber nicht die geringste Eitelkeit , weder Ansprüche noch Launen ; er sparte sich das Alles für den Verkehr mit Frauen auf . Er ritt , er schoß , er jagte , er schwamm , er spielte , er plauderte , er erzählte – genau wie alle Uebrigen , nur mit einem so unmerklichen Anflug von Superiorität , daß Keiner sich verletzt dadurch fühlen konnte und daß Jeder seine Freude an dem geschickten Gegner oder Gefährten haben und doch dabei denken durfte : er werde dennoch einmal zu übertreffen sein . Ich war so still und schweigsam im Umgang mit Astrau – Anfangs aus Andacht später aus Gleichgültigkeit – daß ich ihm ziemlich unbedeutend erscheinen mogte ; er beschäftigte sich gar nicht mit mir . Wir verließen London früher als er um unsre erste Reise in meiner geliebten Yacht zu machen und als wir wiederkehrten war er fort und – wie das im Leben der großen Welt nicht anders ist – halb vergessen . Aber eine Frau hatte ihn nicht vergessen , und das war meine Freundin Arabella – gh . Ich nenne sie Freundin , weil es die Frau ist , die mich am Meisten angezogen hat von allen Frauen die ich je gekannt – nicht durch Sympathie , sondern durch den schneidenden Gegensatz unsrer Charactere . Der Grund der Dinge und das Wesen der Erscheinung war ihr gleichgültig ; nur die Oberfläche lockte und reizte sie , und mit besinnungsloser Genußsucht , die sich zu schwärmerischer Leidenschaftlichkeit steigern konnte , gab sie sich derselben hin . Sie hatte weder Tiefe , noch Ernst , noch Treue , folglich keine Würde im Character ; aber die unglaubliche Wärme mit der sie sich den Eindrücken hingab und sie aufnahm , lieh ihr eine bezaubernde Innigkeit . Sie hatte die Flatterhaftigkeit und die Anmuth eines Schmetterlings . Man konnte ihr nicht zürnen und am wenigsten wenn sie es am meisten verdiente – nämlich wenn sie sich selbst anklagte . Die Selbstanklage sobald sie sich einem Andern gegenüber wiederholt und häuft , verhält sich zur wirklichen Reue , wie sich ein aus Schwäche thränendes Auge zur wirklichen Thräne verhält . Aber Arabella war nun einmal unwiderstehlich in ihrer Schwäche ! sie ist die einzige Frau die mich je interessirt hat – vielleicht weil sie sich mit rührender Demuth an mich schmiegte , vielleicht weil ich wähnte sie ruhiger und pflichtgetreuer zu stimmen , vielleicht weil alle andern Frauen mich stets gelangweilt haben . Astrau war der erste Mann , der ihr nicht Zeit gelassen hatte ihn zu verlassen ; er war ihr zuvorgekommen . Diese Ueberraschung berührte sie in so neuer Weise , daß sie ihr Herz tödtlich verwundet glaubte . Ich fand sie tief niedergeschlagen , blaß , abgehärmt ; sie sprach davon die nächste Season auf dem Lande zuzubringen , London und die Welt zu fliehen . Otbert und immer Otbert war ihr drittes Wort ; sie nahm keine Huldigung an , sie zeichnete keinen Mann aus . Ich wünschte ihr Glück daß ihr inneres Leben eine ernstere Richtung genommen . Indessen kam die Season heran und siehe da ! ein Brief Astraus an Paul verkündete seine nahe Ankunft . Ich theilte Arabellen ganz besorgt diese Nachricht mit , und rieth ihr jezt aufs Land zu gehen um jede Begegnung zu vermeiden . » Was fällt Dir ein ! rief sie lebhaft . Ich sollte gehen wenn er kommt ? sollte die Gelegenheit meiden ihn zu sehen ? O nein , jezt bleibe ich gewiß . « Daraus werden für Dich qualvolle und für Astrau peinliche Augenblicke entspringen , meine arme Arabella ! .... Laß doch geschieden sein was einmal gebrochen ist . « » Ach , Du hast nicht geliebt .... nicht ihn geliebt , Sibylle ! sonst würdest Du begreifen , daß ich gern bereit bin mit unsäglichen Qualen das Glück ihn zu sehen zu erkaufen ! « rief Arabella , und Flammen und Thränen funkelten zugleich in ihrem großen , sammetschwarzen Auge , und die schwarzen Locken rieselten so weich auf die zarten Schultern herab , daß ich hingerissen von ihrer Schönheit und Grazie unwillkürlich ausrief : » Warum hat Dich Astrau aber verlassen ? « » In der Liebe giebt es keine Antwort auf ein solches Warum , « sprach sie resignirt . Astrau kam und war unverändert der Alte . Bei seiner ersten Begegnung mit Arabellen , welche sie bei mir zu veranstalten gewußt , benahm er sich vortreflich – ich mußte es gestehen – ruhig , ernst , ohne erzwungene Freundlichkeit , ohne übertriebene Kälte , während sie eine stumme Scene machte , weinte , in mein Cabinet ging , wiederkam – was mich in Verlegenheit gebracht haben würde , da ich mit ihnen Beiden allein war , wenn Astraus Haltung nicht unbewegt geblieben wäre . Endlich verließ uns Arabella . Ich begleitete sie bis ins Vorzimmer und sagte ernst : » Welch ein unpassendes Benehmen ! « » Schweig ! rief sie heftig , was weißt Du von Liebe ? ... liebe ihn , und dann urtheile über mich . « » Gott behüte mich ! « rief ich und kehrte in den Salon zurück ganz erleichtert durch Arabellas Entfernung . Mein Gesicht mußte diese Empfindung verrathen , denn Astrau sah mich an und sagte : » Ists nicht Jammerschade daß eine so liebliche Frau wie Lady Arabella es dahin bringt ? « » Wohin ? .... ich habe nichts gesagt ! « stammelte ich verwirrt . » Ich habe mir nur erlaubt Ihrem Ausdruck Worte zu leihen . « » Auf eine Conversation durch Mienen und Blicke kann ich mich nicht einlassen , Graf Astrau . « » Fürchten Sie die Wahrheit so sehr ? fragte er mit einem unglaublich feinen Ausdruck . Wesen wie Sie sollten sie nicht fürchten . « Mir mißfiel dies Compliment und ich sprach kühl : » Ich fürchte weder die Wahrheit noch sonst irgend etwas auf der Welt . « » Ah bah ! das ist eine kleine Prahlerei ! Sie werden doch das Gewitter fürchten ... oder den Tod .... oder die Leidenschaft .... oder doch eine unschuldige Maus oder Spinne « ... . – – » Nichts von dem Allen , Graf ! ... aber doch etwas Andres – die Langeweile ! die hatte ich vergessen « ... . – – » Bis ich Sie daran erinnerte ! rief Astrau . Aber glauben Sie denn daß ich mich nicht vor der Wahrheit fürchte ? « » Ah bah ! das ist eine kleine Prahlerei ! parodirte ich ihn . Wahrheit ist Sonnenlicht , und das bedarf der Dichter in seiner Seele .... und zu einer Glorie ! – nicht wahr ? « » Schwärmerin ! sprach er sanft . Wie denken Sie sich denn eigentlich den Dichter ? « » Genau so wie Sie nicht sind , « erwiderte ich schnell . » Wollen Sie mir absichtlich weh thun , gnädigste Frau ? « fragte er mit Kälte . » Wie käme ich dazu ? sprach ich noch kälter . Aeußerlich warm , schlicht und wahr , innerlich durchflutet vom Strom großer Gedanken und vom Sturm hoher Leidenschaften – daher unfähig kleinlicher Gedanken und dürftiger Gefühle : so denke ich mir den Dichter und so sind Sie nicht . « » Sagen Sie lieber : so ist er nicht . « Weil Sie nicht so sind ? fragte ich spottend . Das hieße doch dem Dichter Unrecht thun . « Astrau sah mich starr an : » Und dies Alles .... weil ich Lady Arabella nicht liebe ? « » O Gott ! rief ich lachend , wir verstehen uns ja gar nicht , guter Graf ! ich spreche von meinem Dichterideal , und Sie halten mich für einen Advokaten ! « » Lassen Sie mir die Hofnung daß wir uns verständigen werden , « sprach Astrau und Besuche störten dies Gespräch , das erste welches mir eine Erinnerung zurückließ . Seitdem unterhielten wir uns viel . Ich kann nicht sagen daß Astrau sich ausschließlich mit mir beschäftigt hätte , allein er war für keine andre Frau aufmerksamer . In dieser Season spielten die Passionen der Damen für ihn keine so große Rolle als in der vorigen ; das stand ihm besser . Uebertriebene Huldigungen geben dem Gegenstand derselben immer etwas Lächerliches – denn wahre Liebe , wahre Bewunderung , wahre Ehrfurcht werden nie in kindisch albernen Fetischdienst ausarten . Ihrer Natur nach sind sie wie alle Innerlichkeit schweigsam , ernst und gehalten , und nur in gewichtigen Momenten geben sie ihre Macht und Tiefe kund . Es ist ein großes Unglück wenn talent- und genievolle Menschen wie Astrau , durch die Gesellschaft zum » lion of the day « gemacht werden und sich dazu hergeben . Statt ihr Leben zu leben spielen sie nur ihre Rolle . Weshalb Graf Astrau anfing sich mit mir zu beschäftigen weiß ich nicht ; glaube aber deshalb : weil ich so ungewöhnlich gleichgültig für ihn und überhaupt für Alles war . Das Leben trug nicht die Glorie von Glanz , Glut , Majestät und Wonne , nicht den Purpurmantel , nicht die Rosenkrone , nicht den Sternenschleier womit ich dessen heilige Gestalt in meinen Kinderträumen auf den grünen Hügeln von Engelau ausgeschmückt hatte . Es kam mir Alles so mittelmäßig vor ! ich kannte manche gute Menschen – doch sie hatten große Fehler ! manche kluge – doch sie hatten große Schwächen ! Ich sah wol daß recht viel und mitunter auch recht Tüchtiges gethan wurde ; aber es wurde nichts Großes geleistet wie ich mir das Große dachte : im gottbegnadeten Individuum als eine neue Sonne aufgehend zu der die Menschheit betet . Ich sah mir die Liebe an zwischen den Menschen : hatte sie Schwung , so brauchte sie ihre Flügel um bald zu entfliehen ; – hatte sie keinen , so blieb sie wie sie war , matt und lahm ; – für junge Herzen war sie ein Rausch , für alte ein Irrthum , eine Krankheit , ein Traum – zuweilen , aber ganz ausnahmsweise ! ein tiefer Ernst , der mit fürchterlichen Schmerzen , mit trostlosen Erfahrungen , mit Märtyrerleiden erkauft werden mußte . Ich sah mir den Genius an zwischen den Menschen : auch an seinen vollkommensten Schöpfungen haftete Staub ; und Neid , Verleumdung , blinder Haß , Fetischdienst umschwirrten und verdunkelten ihn – während nun gar der Träger des himmlischen Funkens ein schwacher Sterblicher gleich uns Anderen war ! – – Da weder die That , noch die Liebe , noch das Genie sich zu jener ätherreinen Höhe aufschwang , die so hoch ist , daß es unter ihr weder Aufgang noch Niedergang giebt , weil sie Ruhe in der Einheit des ganzen Wesens gewährt : so mußte ich darauf gefaßt sein in den untergeordneten Richtungen und Sphären des Seins noch größeres Stückwerk , noch mehr Zersplitterung und Mangel an Zusammenhang zu finden ; – und ich fand sie ! Es befremdete mich nicht . Wer Paläste zusammenstürzen sieht erstaunt nicht wenn Hütten einfallen . Die Aufgabe meines Lebens wäre also gewesen : mich in der Mittelmäßigkeit zurecht zu finden , und sie in mir und in meinem Kreise bis zu dem ihr gegönnten Grad von Vervollkommnung auszubilden . Dies ist überhaupt die ganz allgemeine Aufgabe jedes Menschen , und wer schlecht und recht , warm und wahr , mit klarem Kopf und redlichem Willen an ihr arbeitet , löst sie theilweise gewiß – wenn auch mit blutender Hand und mit blutendem Herzen . Aber ich hatte mich viel zu tief in ein phantastisches Traumdasein eingesponnen um jenes zu versuchen . Hätte Paul mich aufgerüttelt und aufgeweckt , hätte er irgend etwas Bestimmtes , Schweres von mir verlangt , so mögte ich zur Besinnung gekommen sein und mich ermannt haben . Jezt fühlte ich mich beständig wie in einer grauen Dämmerung , die man verschlafen und verträumen müsse . Die Spiegelbilder meiner Träume waren dann einzelne Handlungen , die ich unsinnig nennen muß , weil sie das Gleichgewicht meiner Verhältnisse störten – wie meine kolossale Wolthätigkeit und meine Liebhaberei für Wasserfahrten im großen Styl das ganz natürlich mit sich brachten . Für die Welt mit ihren Freuden und Genüssen war ich gleichgültig . Die fürchterliche Oberflächlichkeit ihres Lobes , ihres Tadels , ihres Beifalls , ihres Urtheils überhaupt , widerte mich an . » Armer Graf ! sagte ich einmal zu Otbert , der mit trivialen Lobeserhebungen überschüttet worden war ; – wie bewundere ich Sie daß Sie nicht gähnen . « » Gähnen wenn man mir angenehme Sachen mit freundlichem Lächeln und holdem Blick sagt ? – wie unnatürlich wäre das ! Kann ich denn etwas Anderes wünschen als die Seelen zu erfreuen ? und wenn die Lippen stumm für mich bleiben , wie soll ich erfahren ob es mir gelungen ist ? « » Das muß Ihr Genius Ihnen sagen . « » Gnädigste Frau , mein Genius thut genug für mich indem er mir meine Poesien zuflüstert . Sie hinterdrein auch noch zu loben ist nicht mehr sein Fach ; – das überläßt er Anderen und ich habe dies Lob von Anderen nöthig – nicht um zu dichten , aber um mich dieser Gabe mit Freude hinzugeben . Empfindungen zu wecken , Gedanken anzuregen ist mein Streben : Lob und Dank sind mir Bürgschaft des Gelingens . « » Ja , wenn ein würdiger Areopag sie Ihnen darbrächte ! aber diese Leute – was wissen die von Poesie ! « » Und was wissen Sie mehr von ihr ? « fragte Astrau höchst ungeduldig . » Ich weiß daß Poesie ein Dreiklang ist , dessen Töne Liebe , Sehnsucht und Gebet heißen . « » Sie wissen himmlische Geheimnisse , nahm Astrau nach einer langen Pause das Wort , aber von Liebe – wissen Sie nichts . « » Das ist eine Phrase welche die Frau oft hört . « Nicht oft .... denn die eigentliche Wissenschaft der Frau ist die Liebe . « » Und dennoch oft ! .... und zwar immer wenn ein Mann ihr seine Liebe eingestehen oder die ihre begehren mögte . « » Das glauben Sie von mir ? « rief Otbert starr vor Erstaunen sich in dieser keimenden Richtung schon errathen zu sehen . Aber ich hatte nur instinctmäßig gesprochen . Ich entgegnete : » Von Ihnen glaube ich nichts , denn ich glaube überhaupt nicht an Sie . Was ich sagte war nur eine allgemeine Bemerkung , die sich auf Erfahrung stützt . « » Sehen Sie mich einmal an ! « rief Astrau , setzte sich plötzlich zu mir auf die Causeuse , nahm meine Hand und fixirte mich scharf . Ich ertrug das höchst gelassen und nach einer Weile sprach er : » Wie kann man so unglaublich schön und zugleich so unglaublich nichtssagend aussehen ! « » Wenn ich nichts zu sagen habe muß ich wol nichtssagend aussehen . « » Aber was sind Sie denn für ein merkwürdiges seltsames Geschöpf , daß man Sie gar nicht necken , verwirren und ärgern kann ! Sie sehen aus wie ein engelhaftes Kind und sprechen wie eine fünfzigjährige Frau ! Sie kennen nichts und wissen Alles ! Sie lassen Ihre Gestalt zwischen uns auf der Erde umherwandeln und Ihre Seele macht während der Zeit Peregrinationen durch andre Welten ! Sie müssen sich sammeln , denn dies ist ein ganz unnatürlicher Zustand ! Sie müssen sich auf einen Punkt zu concentriren suchen « .... – – – » Richtig ! unterbrach ich ihn , dieser eine Punkt ist ja eben das unbekannte Gut . « » Suchten Sie es schon ? und wo suchten Sie es ? « » In einer Höhe und in einer Tiefe die mir Beide unzugänglich zu sein scheinen . « » Suchen Sie es doch vor sich ! « Ich blickte starr gradeaus und sagte : » Da ist es nicht ! da gewahre ich immer das Ende , entweder im Leben oder im Tode . « Astrau schüttelte ein wenig meinen Arm . » Sibylle wach auf ! sprach er ; so werde ich ein Gedicht für Sie machen . « » Das thun Sie , lieber Graf ! « » O , Sie sind ein verschrobenes Geschöpf , das mir fast Grauen einflößt , sagte er unmuthig . Sein Sie doch jung , fröhlich , genußbegierig , glücksdurstig . Sie verlieren ja Ihr Leben und das ist Schade für Sie und für Andere . Nach dreißig Jahren dürfen Sie denken und träumen ; bis dahin müssen Sie leben . « » Leben ? das heißt das unbekannte Gut finden , den Punkt in welchem sich das Wesen für die Ewigkeit sammelt und ruht ; – denn Leben heißt doch ein ewiges Sein – nicht wahr ? « » Wir wollen uns mit dem Leben beschäftigen welches der Endlichkeit angehört , sagte Otbert und als Paul eintrat rief er ihm zu indem er auf mich deutete : » Diese Richtung ist doch allzu transcendental . « Paul und ich wir lächelten Beide ; aber von dem Augenblick an beschloß Otbert mich zu gewinnen . Nicht daß ihm eine gemeine Verführung in den Sinn gekommen wäre ! solch leichtes Glück lockte ihn nicht ; aber ich sollte ihn lieben . Die Liebe zu ihm sollte die Morgensonne sein die mich aus dem Schlaf meines Herzens weckte ; – aus ihrer unentwickelten Existenz wollte er meine Seele erlösen und die grüne Knospe an das Licht bringen damit sie sich in holden Farben entfalte . Wie jene durch Liebe beseelte Statue an ihrem Bildner hing , so sollte ich an ihm hängen und durch diese Liebe mich selbst und das Leben und das Glück verstehen lernen . Er dichtete sich ein Poëm zurecht und beschloß dasselbe zuerst zu leben und später etwa als Stoff oder Sporn zu Gedichten zu benutzen . Er wurde immer allmälig wärmer , wenn er sich auf den Wellen der Poesie schaukelte ; und so wurde er denn auch nach und nach so warm in dieser poetischen Phase , daß er sich bis zur Glut steigerte , gänzlich vergaß daß er sich in dieselbe hineingearbeitet hatte und von der Aufrichtigkeit seiner Liebe überzeugt war . Er glich jenen wunderbaren Schauspielern welche auf der Bühne dasjenige wirklich empfinden , was sie darstellen sollen , so daß ihre Thränen , ihre Leidenschaft , ihr Schmerz keinesweges erkünstelt oder gar erheuchelt zu nennen , und daher von wundersam hinreißender Wirkung sind . Man konnte Otbert nicht Lügner , Heuchler oder Betrüger nennen , wenn er nach erreichtem Zweck plötzlich gleichgültig ward , oder sich und sein Streben ironisirte , oder erschöpft sich selbst wie ein Maskenkleid fallen ließ . Es war in ihm eine unbewußte Verachtung der Wahrhaftigkeit , die ihn antrieb sein Wesen in immer neue Gestaltungen umzuformen . Statt in den Schöpfungen seines Geistes zu leben , wollte er stets von Neuem sich selbst gleichsam erschaffen fühlen . Fest glaubte er an die Metempsychose und schmachtete danach sie schon bei lebendigem Leibe an sich zu erfahren . Daher sein wahnsinniger Durst nach An- und Aufregung . » Dann kommt ein neuer Geist über mich , « pflegte er zu sagen . Hätte sein Character seinem Talent das Gleichgewicht gehalten , so wäre er ein großer Dichter geworden ; bei seinem Mangel an Wahrheitsdurst , an Ernst , Tiefe und Würde fehlte ihm natürlich der Glaube an sich selbst . Man muß sich berufen fühlen um berufen zu werden . Wen dies Gefühl nicht umpanzert , der hält die Hammerschläge nicht aus , welche das Schicksal auf das Genie führt um das Götterbild aus dem Marmorblock zu schälen . Otbert konnte sich jenen Glauben vorspiegeln , allein er vermogte nicht ihn festzuhalten : deshalb war er eitel , nach Beifall lechzend ; und mit einer Offenheit die etwas Kindliches und Rührendes haben konnte , gestand er selbst diese Schwäche ein . Schmeichelei that ihm wol . Kleine Seelen schmeicheln gern ; sie meinen von dem Nimbus welchen sie um eine ausgezeichnete Persönlichkeit verbreiten helfen , falle doch wol ein Stral auf die ihre herab , so litt Otbert nicht Mangel an Schmeichelei , doch sie befriedigte ihn nicht . Daher waren ihm Emotionen ein Bedürfniß , denn sie betäubten ihn wie Opiumrausch gegen eine unabweisliche innere Leere , die er sich bei all seinem Talent und Verstand nicht ableugnen konnte . Dieser Punkt war derjenige auf welchem wir uns begegneten – nur mit dem Unterschied daß er diese Leere um jeden Preis auszufüllen und auszuschmücken versuchte und daß es mir graute und ekelte die Lücke in mir mit Phantomen zu schließen , – – die Urbilder hielten mir ja nicht Farbe ! In Thränen aufgelöst kam eines Tages Arabella zu mir , überhäufte mich mit Vorwürfen und nannte mich eine falsche Freundin , die ihr Otberts Herz entwende . » Erstens ists fraglich ob Astrau ein Herz hat , entgegnete ich gleichmüthig ; doch habe er es und es sei Dir gegönnt ! – Du weißt , Arabella , ich liebe nicht die Sorte von Liebe die in der Gesellschaft Mode ist . « » Aber er liebt Dich – kannst Du 's leugnen ? « » Nennst Du Liebe daß er fünf Mal in der Woche bei mir speist ? « » Er kommt am Morgen , er kommt am Abend , Ihr seid den halben Tag beisammen und häufig allein .... und Du solltest ihm gleichgültig sein ? « » Gleichgültig bin ich ihm nicht ! ich bin für ihn ein Buch mit sieben Siegeln das er enträthseln mögte . « » Um diese Mystik schwebt immer Liebe – entweder Liebesahnung oder Liebesbedürfniß .... und das ist sehr lockend . Du bist gefährlich , Sibylle , und es ist glücklich für Dich und Andere daß Du Deine Waffen nicht zu brauchen verstehst . Du könntest Otbert in ewige Fesseln schlagen . « » In ewige ? « fragte ich zweifelnd . » Ja ja ! in ewige ! wiederholte sie eifrig . Grade dadurch daß Du so verhängniß- und verheißungsvoll aussiehst und Dich nicht zur Gewährung herablassen kannst . « Sie sprach noch lange .... ich hörte nichts mehr . Das Wort » ewige Fesseln , « hatte Wurzel in mir gefaßt . Es warf einen Zauber über die Zukunft . Wie ein Glanzmeer breitete sie sich vor mir aus und ich starrte geblendet in sie hinein . Als ich Otbert wiedersah kam er mir verändert vor . Nicht er war es , sondern ich . Mein Auge war bestochen durch die Vorstellung dieser rastlosen umherschweifenden Seele ewige Fesseln anlegen zu können . Er bemerkte natürlich meine Veränderung auf der Stelle . Es war auf einem großen Rout . Die Menschenmasse stand wie eine Mauer . Ich lehnte am Kamin um wenigstens den Rücken frei zu haben ; Paul sprach angelegentlich mit der östreichischen Botschafterin die ihn sehr auszeichnete . Otbert fand Mittel vom andern Ende des Saales zu mir zu dringen . Mirakel ! « sagte ich als er neben mir stand . » Kein Mirakel .... schwarze Kunst hat mir geholfen , « sagte er mit leichter Handbewegung gegen mich . Ich trug ein Kleid von schwarzen Spitzen über rosenfarbenem Tafft und einen Kranz von schwarzen Sammetrosen mit Laubwerk von rosenfarbenem Atlas um die Stirn geschlungen . Das Haar fiel in schweren Locken zu beiden Seiten lang herab . Lawrence malte mich in diesem etwas phantastischen Anzug , der ebensoviel Furore machte als das Gemälde selbst . » Die Wunder des lieben Gottes heißen Mirakel und die der Menschen schwarze Kunst . Ihn betet man dafür an und unsereins wagt den Scheiterhaufen . Ist das gerecht ? « » Indessen ist doch zu bemerken , erwiderte Astrau trocken , daß diese Scheiterhaufen nicht für den errichtet werden der schwarze Kunst treibt , sondern von ihm . « » Nun dann gerathen Beide in die Flammen und haben ihren Lohn dahin : der Schwarzkünstler für seine Vermessenheit und der Wundersüchtige für seine Neugier , « antwortete ich munter und in heiterm Ton scherzten wir fort . Da streifte Arabella an uns vorüber . Ihr vorwurfsvoller Blick machte mich traurig und ich wurde einsylbig . » Wie Sie ungleicher Laune sind ! rief Otbert unmuthig ; ein Nichts stimmt Sie um ! mitten im Scherz verfallen Sie in Grübeleien , und plötzlich fahren Sie aus denselben mit einem Scherz empor . Es ist gar nicht mit Ihnen zu leben , und doch hat man unwiderstehliche Lust dazu . Ihr Gemal muß übermenschliche Geduld besitzen . « » Das ist wahr ! « bekräftigte ich aus voller Seele . » Ich habe gar keine mit Weiberlaunen . « » Ihre dereinstige Frau wird sie Ihnen schon beibringen ! « sagte ich zuversichtlich . » Ihre Naivetät versöhnt mich immer wieder mit Ihnen , erwiderte Otbert lachend . Halten Sie es denn für möglich , daß der Dichter auch Gatte und Familienvater sein könne ? « » Aufrichtig gestanden – nein ! – Aber Sie sind kein Dichter – Sie dichten nur . « » Ich bin nun einmal an die bittersten Wahrheiten aus Ihrem holden Munde gewöhnt , sprach Otbert gutmüthig ; aber sagen Sie mir doch weshalb behandeln Sie mich härter als alle unsre deutschen Recensenten thun ? « » Car tel est notre plaisir , lieber Graf , « entgegnete ich und besah meinen Fächer . Sie sind eine Erz-Kokette ! « » Beruhigt Sie dieser Glaube ? « » Ich bedarf keiner Beruhigung , denn Ihre im steten Halbschlaf gesprochenen Worte können mich nicht erzürnen . « Er war aber doch erzürnt , denn er fand mich nicht so einfältig wie er vorgab , und es reizte ihn heftig daß ich ihm weder Bewunderung noch Theilnahme aussprechen wollte . » Und weshalb , fuhr er fast heftig fort , haben Sie mich vorhin ganz freundlich angesehen , wenn Sie doch nur in Ihrer kleinen falschen Seele darauf sinnen mich zu kränken ? « Ich brach in helles Gelächter aus . » Nun muß ich mir auch noch gefallen lassen von einem Kinde ausgelacht zu werden ! « sagte Otbert selbst lachend und mit einer Harmlosigkeit die ihm sehr gut stand . Es war etwas das uns zu einanderzog , und sich in Scherz und Neckerei als in das unverfänglichste Gewand kleidete . Gegen das Ende der Season fragte er mich : » Würden Sie es ungern sehen , wenn ich Ihr Reisegefährte bis Barcelona würde ? Ihr Gemal und ich haben heute beim Spazierritt diesen Plan ausgesponnen . Sie haben eine unbenutzte Cabine in Ihrer Yacht – was meinen Sie dazu ? « » Daß es ein hübscher Plan ist ! nun werden wir uns genau kennen lernen . « » Immer wissen , immer auf den Grund gehen – wie unnütz das ist ! ich freue mich auf die schöne Meerfahrt , und die angenehme Gesellschaft – Sie hoffen durch irgend ein Guckfensterchen irgend einen Abgrund in meiner Seele zu erspähen . Kann Ihnen das wirklich Freude machen ? « » Die allergrößte ! rief ich . Wissen wie es in den Menschenseelen – besonders in den reichbegabten – hergeht , welche Keime Blüten treiben , welche Gebilde Form finden , wie die Intelligenz arbeitet , wie Leidenschaft und Wille ihre Kämpfe haben , wie heimliche Vulkane und Erdbeben sich austoben , was sie zerstören , befruchten , erzeugen – o Gott ja ! das in Bildern vorüberziehen zu sehen ist mir eine Wonne . « » Gnädige Frau , diese zersetzende Beobachtung macht nicht glücklich . Lassen Sie doch Ihrer Jugend das Vorrecht derselben : heitern Genuß der Erscheinung wie sie sich darbietet – ohne Kritik . « » Ich habe nun einmal nicht die Gabe der Besinnungslosigkeit ! « unterbrach ich ihn . » Leider ! fuhr er fort ; contemplativ und reflectirend wie Sie durch Natur , Erziehung und Gewohnheit geworden sind , gönnen Sie dem Zweifel zu viel Spielraum , und der macht so müde . « » Mit allen meinen Gefühlen habe ich Schiffbruch gelitten ! rief ich bitter , wie sollte ich nicht an Ihnen zweifeln ! « » Die Macht des Gefühls haben Sie bis jezt noch nicht gekannt , gnädige Frau ; vielleicht nur dessen Ueberfülle , wilde Ranken , doppelte Blüten ; – das Alles muß geknickt werden damit jene Platz finde . « Diese Worte ermuthigten mich unsäglich . Ich wurde heitrer als ich je gewesen . Paul fragte mich seinerseits ob Otberts Begleitung mir nicht lästig sein würde . Ich versicherte das Gegentheil und fügte hinzu : » Es ist mir sehr lieb daß ich auf unsrer Yacht gastfreundliche Rücksichten zu nehmen habe , denn wenn wir Beide allein sind , Paul , so sind doch alle Rücksichten für mich . « » Nun , Astrau wird sie nicht mißbrauchen , entgegnete Paul , es ist so leicht und bequem mit ihm zu leben wie mit wenigen Männern , und es freut mich recht daß Du Dein Vorurtheil gegen ihn hast fahren lassen . « » Ich habe nie ein Vorurtheil gegen ihn gehabt ! versicherte ich ; sein Benehmen im Salon zwischen den Frauen gefiel mir nicht und gefällt mir noch jezt nicht . In der Intimität ist er jedoch weit angenehmer – das finde ich seitdem ich ihn von dieser Seite kennen gelernt ; allein Du wirst doch auch eingestehen müssen , daß der Zauber des Genius ihn nicht umgiebt . « » Ich glaube überhaupt nicht , liebe Sibylle , daß der Zauber des Genius sich auf die persönliche Erscheinung eines Künstlers und Dichters erstreckt : aus seinen Schöpfungen spricht er uns an . Große Künstler sind oft einsylbige , unbeholfene , in sich versunkene , schweigsame , langweilige Leute – was geht uns das an ? wir haben nur mit ihren Kunstschöpfungen zu thun . Ich finde es eine übertriebene Anfoderung daß sie noch ganz besonders liebenswürdig sich geberden sollen ! Die Liebenswürdigkeit erheischt wiederum ihr eigenes und ganz specielles Genie . Indessen mag es Ausnahmen geben . « » Aber weshalb stellt man den Menschen in die Glorie welche dem Künstler gebührt ? « » Weil man unersättlich ist und dadurch das klare Urtheil verliert . Einer meiner Freunde verlor augenblicklich seine Passion für eine wunderschöne Figurantin der großen Oper , als er das arme Ding einmal mit schwarzwollnen Strümpfen und derben Lederschuhen durch den Straßenschmutz gehen sah . Sein ästhetisches Gefühl empörte sich diese Nymphe , Elfe und Najade in so gemeinem Aufzug erscheinen zu sehen . Und so geht es uns Allen häufig . Die prosaische Wirklichkeit wirft einen Schatten auf die poetische Gestalt ; wir können ihn nicht leugnen und mögen ihn nicht dulden – das macht uns ärgerlich und ungerecht , und Dir ist es mit Astrau nicht anders ergangen . « Ich mußte das eingestehen . – Wir traten sehr munter unsre Reise an . Jeder von uns hatte seine kleine Cabine , die ihm zum Schlaf- und Toilettenzimmer diente . Im Eßzimmer waren Waffen an den Wänden aufgehängt ; im Salon befand sich eine kleine Bibliothek und ein Pianino . Keiner von uns litt durch die Seekrankheit , Keiner fürchtete sich vor Stürmen , Keiner langweilte sich . Wir machten Musik , sangen , lasen , Otbert schrieb viel ; zuweilen mußte der Schiffskapitän sich zu den beiden Herren gesellen um eine Whistpartie zu machen . Ich lag meistens bei gutem Wetter in meiner Hängematte auf dem Verdeck . In träumerischer Seligkeit lag ich da .... und phantasirte wenn das schlanke Schiff mit ausgespannten Segeln pfeilgeschwind über die blauen Wellen flog . An die geflügelten Chimären die ich auf pompejanischen Wandgemälden gesehen , dachte ich : sie tragen ein Weib auf ihrem Rücken – wohin ? Ich schloß die Augen . Unbestimmter bläulicher Glanz flimmerte vor meinen Wimpern ; war es der Aether ? waren es die Wellen ? ging es in die Höhe oder in die Tiefe , in den Himmel oder in den Abgrund ? .... und war es mir nicht ganz , ganz gleichgültig , wenn mich nur – meine Chimäre trug ! – Und an die abendlichen Schlittschuhfahrten meiner Kindheit dachte ich , wie so anders die waren ! harter Himmel , starres Eis , schneidende Luft – lauter Gegensätze zur süßen südlichen Lauheit und Beweglichkeit ; und doch so viel Aehnlichkeit ! dies Fessellose , Fliegende , Fortreißende ! auch damals war ich ja nicht auf der Erde und versetzte mich in Regionen , welche der menschliche Fuß nicht betreten kann . – Ich rauchte in meiner Hängematte spanische Cigaritos , oder summte spanische Melodien die ich mit dem Gerassel der Castagnetten und mit dem eintönigen fronfron der Guitarre , wie die Spanier sie spielen , begleitete . Bei dem Allen aber schlief das Herz und nur die Phantasie wachte . Otbert betrachtete mich kopfschüttelnd . Das Gegentheil hatte er gehoft , gewünscht und geglaubt . Er behauptete ich besitze die Gaben , welche zur höchsten Vervollkommnung befähigten , allein sie wären so wunderlich gemischt , daß immer die eine der andern im Wege wäre – weshalb ich denn auch eines der unvollkommensten Geschöpfe auf der Welt sei . » Sie werden erst dann zur Besinnung und durch sie zur Energie kommen , sagte er einst , wenn Ihnen das Herz brechen wird . « » So möge es geschehen ! « entgegnete ich . » Frevle nicht , Sibylle ! rief Paul und sprach zu Astrau . Mißgönne ihr doch nicht ihre zarte Unerfahrenheit ! es ist so selten und so schön wenn das Weib sie hat . « » Ja wol !