In der Pfahldorfgeschichte hat der geneigte Leser das Manuskript kennen gelernt , das mir aus Venedig zukam . Der zwei Bedingungen , an welche die Vollmacht zum Abdruck geknüpft war , erinnert er sich aus unserem Gespräch in Göschenen . Er wird also aus der Thatsache , daß der Abdruck vorliegt , bezüglich der einen Bedingung von selbst den Schluß ziehen , daß ich in der Pfahldorfgeschichte noch etwas Anderes fand , als nur einen anachronistisch satirischen Scherz . Was dieß Andere sei , hat A. E. dazumal so bescheiden angedeutet , als man es irgend von einem Menschen erwarten darf , der Selbstgefühl , der Charakter hat ; ich würde näher darauf eintreten , wenn ich nicht allen Schein der Parteilichkeit für meinen Mann vermeiden möchte ; eher ist es von Interesse für mich , auf die Mängel hinzudeuten , wozu Gelegenheit sich ergeben wird . Bevor ich erzähle , wie die andere Bedingung eintraf , will ich noch melden , was auf dem beigelegten Zettel geschrieben stand ; es lautete : „ Sollte Ihnen das Opus in dem Sinne , wie ich damals in Göschenen gesagt , nicht eben unwerth erscheinen , so mögen Sie es also vom Stapel lassen , wenn ich todt bin . Dann müssen Sie aber eine Bemerkung beifügen . Ich habe in dem Hymnus des Barden ein Gedicht von einem lebenden Dichter auf eine Weise verwendet , die unverantwortlich ist , wenn ihm nicht eine Genugthuung gegeben wird , falls der Spaß gedruckt erscheint . Ich habe seine Strophen erweitert , da verändert , dort unverändert gelassen . So verlangte es mein Zusammenhang . Es lieber durch ein anderes ersetzen ? Das konnte ich nicht über mich bringen , weil ich einen gleich guten Grund für den gegebenen Zweck zu legen mich unfähig fühlte . Aber auf mein heilig Ehrenwort , es soll kein Diebstahl sein und ebensowenig eine wohlweise Verbesserung . Wer die Gedichte des Mannes kennt , der weiß , welches ich meine ; wer sie nicht kennt , den geht diese Bemerkung eben einfach nichts an . Noch eine andere Unthat habe ich begangen : demselben Poeten ist das Kahnlied zugeschrieben , das Alpin singt dort , wo über die Beschickung der Barden berathen wird . Taugt es nichts , so habe ich sehr gefrevelt . Es soll für beide Sünden seine Verzeihung , seine Zulassung eingeholt werden . “ Ist geschehen . Anm. d. Herausg . Mit Seufzen packte ich das Manuskript zusammen , als ich es gelesen , und barg es bei den Papieren , die ich am sorglichsten verwahre . Je mehr es mich rührte , daß der Mann , mit dem ich menschlich einst in so eigenthümliche Berührung gekommen , mich nun so vertraut auch in die Gänge seines Talents blicken ließ , desto stärker wollte sich der Unmuth in mir melden , daß er mit seiner Person solch ' grillenhaft heimliches Wesen trieb . Von Zeit zu Zeit überfiel mich auch einfach die Neugierde , ein paarmal schoß der Gedanke in mir auf , ich wolle schnell nach Italien aufbrechen , seine Spuren aufsuchen , seinen Namen und Stand erkunden . Doch ebenso schnell faßte ich mich nach solchen Momenten und sagte mir , daß das kindisch wäre . Und gerade diese Selbstrüge führte auch wieder zu gerechterer Auffassung jener Grille . Mußte ich mir gestehen , daß ein solcher Spürungsgang ein kleinliches Thun wäre , so war damit auch anerkannt , daß es gar so unnatürlich eben nicht war , wenn der Sonderling die Anhängsel seiner Persönlichkeit , Namen , Heimat , Stand verbarg und nur Mensch zu Mensch sich stellen wollte . Freilich konnte auch diese Erwägung nicht immer vorhalten ; denn jene Anhängsel sind ja das Mittel , wodurch Menschen , die sich kennen gelernt , sich menschlich nahe getreten , einander wieder auffinden können . Warum sollte ich ihn , warum wollte er mich nicht wiedersehen ? Dieß war denn doch krank . Was konnte dahinter stecken ? Hatte ihm unser Abenteuer in den Schöllenen den Gedanken des Selbstmords , der ja unheimlich genug aus seinem Selbstgespräch am schauerlichen Felsrand hervorblitzte , noch nicht ausgeheilt ? Wollte er allein wandeln , um frei dem Todesgedanken nachzugehen und ungestört , wenn er reif wäre , ihn zur That zu machen ? Bei dieser Betrachtung überkam mich wieder das Mitleid , jenes Mitleid , das mich einst zum halsbrecherischen Kletterwagniß getrieben , das mir beim Abschied die Thräne ausgepreßt hatte . Und nun ward mir der Inhalt der Pfahldorfgeschichte zu einer Quelle neuer herzlicher Rührung . Ich zog sie wieder hervor und vertiefte mich so recht rein pathologisch in das durchgehende Motiv : die wunderliche Erfindung einer Religion , einer Mythologie , worin sich Alles um den Katarrh dreht . Doch wurde durch ein Gefühl anderer Art dem Mitleid das Gleichgewicht gehalten : der Arme , der mit diesem lästigen Leiden so fatal verwachsen war , daß sein Gedankenleben sich gewöhnt hatte , sich halbwahnsinnig um diesen Einen und verwandte Punkte zu drehen : er hatte es ja doch vermocht , sich so seiner selbst zu entäußern , daß der Krankheitsstoff als gegenständliches Bild humoristisch ausgeschieden wurde . Das war denn wirklich kein geringer Akt geistiger Freiheit . Immerhin komisch war mir allerdings die Stelle in Arthur's Feuerrede , wo so manches Böse doch als Aus fluß genannten Uebels entschuldigt wird , der Redner aber fühlt , daß dieß gegen den Strich seines Gedankengangs läuft und sich mühsam in diesen zurückhilft . Dabei drängte sich mir zugleich die Bemerkung auf , daß er sich im Verhältniß zum Umfang seiner Grille im Grund enthaltsam erwiesen habe , denn die Versuchung mußte groß genug sein , sich nicht auf das eine der sogenannten kleinen Uebel zu beschränken , sondern durch reichliche Einführung anderer eine Aussicht auf das unabsehliche Gebiet lästiger Durchkreuzungen menschlichen Seins und Thuns durch den winzigen Zufall zu eröffnen , mit dem er sich in so großer Ausdehnung und so verbissen beschäftigte . Einzelnes der Art , was vorkommt , wie das Herabfallen des Druiden von der Kanzel , ist doch motivirt und zählt also eigentlich nicht in die Sphäre des reinen Widersinns . Diese Einschränkung durfte ich ebenfalls für einen Erweis von Freiheit gelten lassen : er konnte eine Menge komischer Motive aus diesem Gebiete schöpfen , aber der Zusammenhang seiner Komposition wollte es nicht zulassen , und als Künstler fügte er sich in dieß Verbot , während er als Mensch doch gewiß auf Schritt und Tritt einen starken Reiz fühlen mußte , es zu übertreten . So schwankte mir Denken und Gefühl hin und her , bis endlich die allgewaltige Macht der Zeit , die politischen Ereignisse , die Häufung täglicher Arbeit das Bild des Mannes und seines Werks mir in den Hinter grund der Erinnerung schoben , aus dem es nun seltener , doch allemal frisch und lebendig wieder auftauchte . Des Tages dachte ich weniger daran , aber häufig träumte mir von Urhixidur , vom Wisentkampf , vom Scheiterhaufen , zu welchem Arthur verdammt war , und ein andermal schwebte ich schwindelnd über Abgründen , tosenden Wassern , über mir , hoch am steilen Fels , eine geisterhafte , titanisch bewegte Gestalt , und oft erwachte ich dann schweißgebadet im Augenblick , wo ich in die jähe Tiefe zu stürzen glaubte . Es war in der Nacht , nachdem die französische Kriegserklärung 1870 bekannt geworden , als sich mir solche Erinnerungsbilder mit Vorstellungen , welche diese Kunde mit sich brachte , wunderlich im Traume verknüpften . Ich befand mich wieder in der Schöllenenschlucht und sah auf einer der wilden , steilen Felsenhöhen — nicht meinen Mann , sondern einen Spahi , einen wilden Sohn Afrikas — nicht stehen , sondern reiten ; der Fels nahm die Form eines Pferdes an , der Spahi , während sein weißer Mantel dunkler und dunkler wurde , sich mehr und mehr ausbreitete und als silbergesäumte Wetterwolke am Himmel zu flattern schien , spornte es heftig in die Seite und rief : „ Nach Berlin ! nach Berlin ! “ Jetzt kam A. E. herbeigeeilt , schrie : „ Herab , Pferdsschinder ! “ packte ihn am Bein , der Spahi springt aus dem granitnen Sattel herab , zieht seinen krummen Säbel , ich stürze hinzu , wir raufen , und im Handgemenge sehe ich A. E. stürzen , die blitzende Waffe ist ihm in die Hüfte gefahren , ein Blutstrahl spritzt aus der Wunde , der Schreck weckt mich auf und erwacht meine ich noch mein Stöhnen im Traume zu hören . Am Morgen darauf hatte ich eine kleine Reise anzutreten in der Richtung gegen Süden . Ich stand auf dem Perron eines Bahnhofs und sah die Leute in einen Zug einsteigen , der , von oben kommend , einen kurzen Halt gemacht hatte . Das Zeichen zur Weiterfahrt war schon gegeben , als ich einen Mann , der sich etwas verspätet hatte , dem Wagen zueilen sah . Er erreichte ihn noch , blieb aber mit der Brusttasche seines nur umgeworfnen Ueberrocks im Griff der Wagenthüre hängen ; ich hörte einen heftigen Fluch und sah zugleich , wie der Fremde einen zornigen , so gewaltsamen Ruck mit seinem Kleide that , daß die Tasche rieß : man hörte trotz dem Prusten des Dampfrohrs die Nähte krachen und der Inhalt rollte über den Wagentritt auf die Schienen und über sie hinweg bis an die Grenze des Perrons . Inzwischen war der Mann im Wagen verschwunden und der Zug fortgesaust . Ich war seiner nur von hinten ansichtig geworden , aber Gestalt und Bewegung waren mir bekannt vorgekommen , die Stimme , der Fluch und das ungeduldige Reißen kamen mir noch bekannter vor ; jetzt beeilte ich mich , die Sachen aufzunehmen ; es war eine Brieftasche und eine Cigarrenspitze ; mit dem ersten Blick erkannte ich diese Dinge als Eigenthum A. E. 's , denn wenn sich bedeutende Stunden in unserem Gedächtniß festsetzen , so gräbt sich ja gern auch unwichtig Aeußerliches als geläufige Zubehör der Persönlichkeit in die geistige Tafel mit ein . Ich begab mich mit meinem Fund auf das Zimmer des Inspektors . Er öffnete vor meinen Augen die Brieftasche und zog neben einigen Blättern und Briefen eine Paßkarte hervor ; sie war 1869 ausgestellt nach Italien ( und Sicilien ) , daneben aber lag ein älterer , ganz vergilbter Paß von 1865 , der wohl mitgenommen war für den Fall , daß die Paßkarte nicht genügen sollte . Er lautete ebenfalls nach Italien . Ganz merkwürdig : der Name hieß Albert Einhart ; also die Anfangsbuchstaben ebendie , womit ich mir nur zur Aushülfe , die Bedeutung : „ Auch Einer “ hineinlegend , bisher den Mann bezeichnet hatte . Alter auf dem Paß : fünfzig Jahre , Paßkarte demgemäß : vierundfünfzig . Stand : Vogt außer Diensten . Flugs fiel mir dabei der Auftritt mit den zwei Strolchen auf dem Gotthardpaß ein . — Den Wohnort wollen wir übergehen : er thut nichts zur Sache und der Leser , wenn ihn etwa die Neugierde hinreizte , würde den Mann doch nicht mehr finden . Ich schrieb auf eine Karte mit meinem Namen : „ Der glückliche Finder , der Reisekamerad von 1865 , grüßt ; “ ich bat den Beamten , die Karte zu den Sachen zu legen ; er erklärte , daß er am übernächsten Tage , wo sich die Ankunft des Eigenthümers in seinem Wohn ort als erfolgt mit Wahrscheinlichkeit annehmen lasse , telegraphiren werde . Der Vorfall machte mir Spaß , wohlgestimmt reiste ich weiter ; allein die Zufriedenheit hielt nicht lange vor , eine Unruhe kam über mich ; du mußt hin , sagte ich mir , eine Dummheit wär's , sich länger an die Schrulle eines Eigensinnigen binden ; naturwidrig , barbarisch ist's , daß man sich nicht mehr sehen soll . Ich entschloß mich und wollte , wieder zu Haus angekommen , ungesäumt aufbrechen . Allein ich konnte mich so schnell nicht losmachen . Der Krieg hatte seine blutige Arbeit begonnen , nahe Verwandte hatten Söhne im Feld , Schlag auf Schlag folgten sich die großen , mörderischen Schlachten , es gab zu Hause gar viel zu thun für Pflege der Verwundeten , für Sanitätszüge , ich durfte , ich konnte mich von meinen nächsten Umgebungen nicht trennen . Endlich kam der Schicksalstag von Sedan . Die Hoffnung auf das Ende des Kriegs konnte ich zwar nicht theilen , aber eine Pause mußte folgen , ich glaubte mich auf einige Tage frei machen zu dürfen und fuhr ab . Auf der Station , wo der erzählte Vorfall spielte , setzte ich einen Zug aus und fragte an , ob die Sachen abgegangen und Nachricht von ihrer Ankunft eingetroffen sei . Der Beamte zeigte mir den Empfangschein und ich erkannte mit dem ersten Blick die Handschrift . Man kann sich denken , daß ich mich doch nicht wenig gespannt fühlte , als der Zug am folgenden Morgen dem Ziele sich näherte . Ich enthielt mich , Mitreisende mit Erkundigungen anzugehen ; ungeschmälert von halbem Vorwissen wollte ich die Wohlthat genießen , nun den Mann in seiner Heimath , seinen Lebensbedingungen erst ganz kennen zu lernen . Gleich nach der Ankunft eilte ich in einen Gasthof und fragte schon unter der Thüre nach der Wohnung des räthselhaften Freundes . „ Sie treffen ihn nicht mehr am Leben , “ sagte mit schmerzlicher Miene der Wirth . Ich zuckte zusammen . „ Ein blutiger Tod , “ setzte er hinzu ; „ Tod durch einen Messerstich im Streite mit einem rohen Fuhrmann . “ — „ Hat er Familie hinterlassen ? “ — „ Er war Junggeselle , eine Verwandte hielt ihm Haus , Frau Hedwig , eine Wittwe . “ — „ Ist sie noch da ? “ — „ Sie verbleibt im Hause . “ — Ich ließ mir Straße und Hausnummer angeben , wies Begleitung ab und fand mich bald zurecht . Ich sah an der Nummernzahl , daß ich der Wohnung nahe sein müsse , als mir hart an der Nase ein Trinkglas vorüberflog und auf dem Pflaster klirrend zerschellte . Mir war , als streifte mich der Geist des Verstorbenen . — Das Haus war gefunden und wurde auf mein Läuten geöffnet ; im Flur stürzten zwei Hunde die Treppe herab auf mich zu , laut bellend , doch nicht in feindlichem Tone , es war der halbwimmernde Ruf , welchen dieß Hausthier in der Aufregung der Freude hören läßt . Plötzlich blieben sie vor mir stehen , blinzten mich an und hängten die Schweife . Es war ein großer Hatzrüde von der gelbgrau geströmten Rasse und ein borstiger Rattenfänger . Ich betrachtete sie mir und redete sie wie alte Bekannte an , denn das waren sie doch , da ihr verlorener Herr sie mir ja im Geist längst schon vorgeführt hatte . — „ Ach , ihr guten Kerle , gelt , 's ist eben nicht euer Herr , der kommt nicht mehr . “ Die Thiere winselten leise und giengen mir die Treppe hinauf zur Thüre voran , die nun geöffnet wurde , ehe ich sie erreicht hatte . Eine Frau im Alter von etwa fünfzig Jahren , ganz in Schwarz gekleidet , kam mir entgegen ; ich nannte meinen Namen . — „ Ach , sind Sie's ? “ rief sie , „ es war mir doch vor , ich hab's gleich gedacht ! Denken Sie , ich bin zusammengefahren , als Sie schellten ! Sie ziehen die Glocke ganz wie der Herr selig ! “ — Sie gab mir die Hand , führte mich in ein behagliches getäfeltes Zimmer , worin auf dem Fenstersims ein großer Kater ruhte und halbschläfrig nach mir hersah . Wir standen uns gegenüber und sahen uns in die Augen . Sie weinte und auch ich konnte die Thränen nicht unterdrücken . Mit gebrochener Stimme brachte sie nach einer Pause hervor : „ O , wie ist das unglücklich gegangen ! Er hat mir von Ihnen erzählt , ich weiß , daß Sie die Pfahldorfgeschichte haben , ich hab' ihm recht Vorwürfe gemacht , daß er so grundlos Geheimniß hielt , er war darin gar so eigensinnig , doch gegen das Ende ist er milder geworden und als die Sachen ankamen mit Ihrer Karte , so wollte er Ihnen schreiben oder Sie besuchen , aber dann verschleppte er es wieder , nun kam das Unglück und darnach in seinen letzten Stunden hat er noch einmal von Ihnen gesprochen und mir das Versprechen abgenommen , Sie noch recht herzlich zu grüßen , auch noch einen Auftrag gegeben , von dem wir ein andermal reden wollen . “ „ Und das Unglück ? Wie ist es geschehen ? “ Wir hatten uns gesetzt . Sie fieng an : „ Mein Vetter war seit der Nachricht von der Schlacht bei Gravelotte — “ Sie wurde durch ein Klopfen unterbrochen . Ein Polizeidiener trat ein , blieb an der Thüre stehen und sagte , den Kopf schief haltend und schmunzelnd : „ Frau Hedwig , 's Gewöhnliche ! “ Die Frau wurde hochroth bis unter die Stirnhaare , gieng zu einem Schranke , holte Münze heraus und gab sie dem Polizeimann , der immer noch halblächelnd mit Verbeugung abgieng . Ich hatte verstanden — das Glas ! Also auch sie — auch diese sichtbar so gehaltene , verständige Frau ! — Sie machte sich beiseite zu schaffen , suchte ihr Gesicht zu verbergen , besann sich aber , trat vor mich , sah mich fest an und sagte : „ Göschenen — ich weiß . “ Mir kam mitten im Weh das Lachen , ihr auch und sie überließ sich der befreienden Erschütterung , während ihr noch die hellen Thränen in den Augen standen . Und so lachten zwei redlich tiefbetrübte Menschen ein Duett . Der Ernst stellte sich schnell genug wieder ein und sie erzählte : „ Herr Einhart kam im Frühjahr 1866 von seiner zweiten Reise nach Italien zurück . Die erste hat er im Jahre 1860 gemacht . Er hatte Italien früher sehen wollen ; ein Jahr Urlaub von 1847 auf 1848 war , das weiß ich , zuerst für Norwegen , dann für Italien bestimmt . Damals muß ihn nicht nur ein Nervenfieber aufgehalten haben , das ihn dort heimsuchte , dort spielt ein Geheimniß , und statt über die Alpen gieng er in den Kampf für Schleswig-Holstein . Genug , es gelang ihm zwölf Jahre später , das ersehnte Land endlich zu sehen . Er kam sehr erfrischt und erheitert zurück , mit ganz besonderer Empfindung sprach er von den umbrischen Bergstädten , hielt aber ein paarmal auffallend schnell inne , als ihn die Schilderung der Madonnen der alten sienesischen Meister auf den dortigen Frauentypus zu sprechen brachte . Das neue größere Amt , das er um dieselbe Zeit angetreten , nahm nun seine ganze , stets willige Arbeitskraft in Anspruch . Lassen Sie mich für jetzt schweigen von den Dingen , die nachher kamen , von seinem Sturz , von der Stimmung , in welcher er die zweite Reise nach Italien unternahm , auf welcher er im Hin weg Sie kennen lernte . Nach seiner Rückkehr gieng es im Anfang ordentlich , er lebte gesammelt in seinen Reiseerinnerungen , manchmal freilich befiel ihn eine plötzliche Unruhe und es schoß der Gedanke in ihm auf , er wolle wieder fort , wieder nach Italien . Er schob es auf das nordische Wetter , es wollte mir scheinen , es müsse noch etwas Anderes dahinter stecken . Es kostete mich Mühe , es ihm auszureden . Ab und zu thaute er auf und sprach dann prächtig über einige Hauptstellen seiner Reise , über Land und Leute , über Formen und Farben der südlichen Natur , über Kunstwerke , die er sah , wie sie nicht Jeder sieht , nemlich mit den eigenen Augen . Dabei fehlte es nicht an komischen Beobachtungen und Erlebnissen , und so hat er mir denn auch den großen Opferakt , den er auf der Hinreise auf dem Gotthard mit Ihnen vollzogen , heiter und feierlich erzählt . Doch immer kehrten dunkle Stunden wieder ; es mußte mir scheinen , der verschlossene Mann verschweige mir irgendwelche neue trübe Erfahrungen . “ „ Hat er Ihnen auch erzählt , “ fragte ich , „ was jenem Auftritte vorangieng ? “ „ Nichts , “ war die Antwort . Sie fuhr fort : „ Nun blieben auch neue Verkältungen nicht aus und warfen sich ihm wie immer auf die Schleimhäute und da war er dann , wie Sie sich denken können , — schrecklich — “ Ich unterbrach sie mit der Frage , ob sie ihn auch schwer krank gesehen und wie er dann sich gehalten habe . „ O , wie ein Lamm , “ war die Antwort ; „ kein Wort der Klage . Zweimal hab' ich 's erlebt : einmal Gesichtsschmerz , glücklicherweise vorübergehend ; man hörte kaum ein unterdrücktes Stöhnen ; einmal eine Luftröhrentzündung ; dieses Mal sprach man ihm von möglichem Tode und er nahm es ganz unbewegt auf . Nur zu beklagen war's , daß er fast alle Pflege abwies . Ein Kranker sei ein Lump , stieß er aus , der müsse bescheiden sein und sich hübsch verbergen . Uebrigens sagte er auch gern , wenn man seine Geduld rühmte : ‚ Das Moralische versteht sich immer von selbst . ' Um jene Zeit nahmen auch seine sehr guten Augen etwas ab , er wurde fernsichtig , mußte zum Lesen eine Brille , zu augenblicklicher Aushülfe eine Lorgnette tragen . Nun kam das häufige Suchen , das ewige Putzen , wobei er jedesmal über die Heimtücke der Stangen wetterte , daß sie hindernd über die Gläser hereinfielen , und , was noch schlimmer war : die Schnur , woran er das Gläschen trug , that ihm gar so viel Schabernack , fieng sich an einem Westenknopf , schob sich in die Brusttasche mit ein , wenn er sein Notizbuch hineinstecken wollte , so daß es sich staute , und das immer am liebsten , wenn die Sache Eile hatte . Herr meines Lebens , ist er da wild geworden ! “ „ Kenne , kenne , weiß , “ sagte ich etwas ungeduldig . „ Inzwischen war es in der Welt draußen ja zum Kriege zwischen Preußen und Oesterreich gekommen . Sie können sich denken , wie es einem alten Kämpfer für Schleswig-Holstein zu Muthe war , als die Sache diesen Gang nahm , als nun die Preußen in Böhmen einrückten , als Schlag auf Schlag ihre blutigen Siege folgten . Man sah dem Mann einen schweren inneren Kampf an , er sprach wenig , ich hörte ihn droben häufig mit starken Schritten auf und ab gehen . Einmal sagte er : , ’s ist unrecht , aber es wäre schwerlich anders gegangen ;‘ das andere Mal : ‚ es wäre schwerlich anders gegangen , aber es ist unrecht , es wird nachhaltig der öffentlichen Moral schaden .‘ Aus seiner Abendgesellschaft im Stern kam er meist aufgeregt , oft verstimmt nach Hause . Wenn ich ihn zu beruhigen suchte und zur Langmuth ermahnte , konnte er sagen : ‚ Es sind eben Parteisimpel , alle bis auf Einen .‘ Er meinte einen jungen Mann , den Assessor . Schließlich schöpfte er doch immer wieder Hoffnung . Man konnte merken , daß ein Umschlag alter Ansichten in ihm vor sich gieng . Einmal fuhr er bei Tische plötzlich auf , trat an's Fenster , als sähe er nach dem Wetter und sagte dann mit einem Tone wie ein Schlafredner : ‚ Da ist Hoffnung , ja , ja , — der Spieler in Frankreich — der hilft uns noch — ein guter Krieg korrigirt den schlimmen und die Mainlinie .‘ „ Die Jahre , “ fuhr sie fort , „ zogen sich so hin , er warf sich wieder recht auf seine Bücher , die Laune wurde erträglicher und als ich einen jungen Kater von ungewöhnlichem Feuer einthat , war er dessen sehr zufrieden . Dort sitzt das Thier , aber es ist seit seinem Eintritt in's mannbare Alter sehr langweilig geworden , ganz rein materiell , der Selige hat einmal behauptet , er habe den Kerl überrascht , wie er aus seiner Bibliothek Büchner's Schrift : „ Kraft und Stoff “ hervorgezogen hatte und studierte . — Im vorigen Jahr kam wieder ein ganz böser . “ Frau Hedwig nahm mit Grund an , ich wisse hiezu das Hauptwort zu ergänzen . — „ Ich rieth ihm , den Winter in Rom oder lieber in Palermo zuzubringen und vorher oder nachher Neapel zu besuchen , das er noch nie gesehen hatte . Schon öfters , ja schon in den vorderen Mannesjahren , war man für seine Brust besorgt gewesen ; er muß doch eine sehr starke Natur gehabt haben , daß die Lunge den Folgen so vieler Verkältungen so lange zu widerstehen vermochte . Er ließ sich meinen Vorschlag gefallen , ja mehr als dieß , mir schien aus einzelnen abgebrochenen Winken dießmal wie früher , nur noch merklicher , hervorzugehen , es treibe ihn neben dem besonderen Reiz , den das klassische Land auf eine so nordische Natur üben mußte , noch etwas Einzelnes , Geheimes . Freche Raubanfälle waren damals in Sicilien vorgekommen , das machte ihm keine Sorge , doch nahm er die Reise dießmal schwerer als sonst und war viel in Gedanken . Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein , er wolle das Thal ‚ noch einmal‘ sehen , wo er vier Jahre , vom vierzehnten bis zum achtzehnten , in einer Erziehungsanstalt zugebracht hat . Er hatte immer gern von jener Zeit gesprochen , von den alten Klosterräumen , worin die Schule sich befand , von der Schönheit des Thales , von den alten Kameraden . Still und sichtbar weich gestimmt kam er zurück und trat bald darauf die Reise an . Er schien sich nach den wenigen Lebenszeichen , die mir aus der Entfernung zukamen , in Neapel , dann in Palermo ganz munter zu befinden . Ueber Pompeji schrieb er einen ausnahmsweise langen , gar schönen Brief ; durch den tiefen Ernst seiner Schilderung und Betrachtungen schien mir etwas wie eine Todesahnung hindurchzuklingen , am Schluß aber sprang er auf seine Weise in Scherz um , indem er berichtete , er beschäftige sich jetzt profund mit der Frage , ob die Griechen und Römer auch Hühneraugen gehabt haben ; er habe die Figuren der Verschütteten , die man durch Gypseinguß in den Lavamantel gewonnen , mikroskopisch genau darauf angesehen , aber leider sei die Epidermis zu sehr zerstört . Von Palermo sollte im Frühling eine Rundreise durch die Insel angetreten werden , aber auf einmal kam ein Brief aus Rom , dann lange keiner mehr , ich dachte , er sitze nun im römischen Gebirge , als endlich , um die Zeit des Kriegsausbruchs , ein paar hingeworfene Zeilen aus Assisi anlangten , die mir seine plötzliche Rückreise anzeigten . Ein paar Wochen darauf war er da , eigenthümlich verändert . Es war etwas Geklärtes in seinen Zügen , die Stirne erschien glätter , der Blick freier und heller , die Mundwinkel neigten nicht mehr zu dem bitteren Zug nach unten . Er erklärte , er wolle in den Krieg . Ich erschrack , wiewohl ich es voraussehen konnte ; es wäre ein Wunder gewesen , wenn der Freiwillige von 1848 sich nicht in ihm geregt hätte . Nach seinem Kraftmaß reichte auch die Rüstigkeit noch aus , aber mit so unseliger Haut , zu schweren Verkältungen so entsetzlich geneigt , wie wäre es möglich gewesen , die Strapazen , namentlich die Beiwachen , auszuhalten ! Mit so schwarzen Farben als denkbar malte ich ihm das vor und stellte ihm das Gespenst eines Nervenfiebers in Aussicht . ‚ Nervenfieber oder Schuß ,‘ rief er , ‚ gleichviel , doch anständig gestorben ! ‘ Er wollte ein freiwilliges Jägerkorps , ein berittenes , errichten , gewann Freunde zu Niedersetzung eines Komite , man wandte sich an das Kriegsministerium , er schaffte sich ein neues Reitpferd an und nahm bei einem Rittmeister Lektionen in der Offizierschule . Da kam mir ein Unfall zu Hülfe : er stürzte auf einem Ritt und verrenkte den Fuß . Er pflegte auf ebenem , sicherem Boden äußerst vorsichtig , ja ängstlich , dagegen auf schlimmen , gefährlichen Wegen ganz tollkühn zu reiten ; so rannte er eines Tags über einen holprigen , steinigen Abhang , und zwar ohne Anstoß , aber auf der bequemen Landstraße angekommen , machte er durch unnöthiges Zockeln sein Pferd unruhig , es scheute an einem Papierblatt auf dem Wege , stieg , croupirte , fiel mit ihm und er konnte noch von Glück sagen , daß er mit verletzten Fußsehnen davonkam . So erfuhr man es von einem Augenzeugen , er selbst wetterte auf die bösen Geister , die ihm Solches angethan , während er doch so vorsichtig sei . Sie können sich denken , wie schlecht er die Geduldprobe des langen Stillhaltens , Schonens , nachdauernden Hinkens in so drangvoller Zeit bestanden hat . Inzwischen wurde das kriegerische Vorhaben ohnedieß vereitelt , da die Regierung , nachdem sie sich zuerst geneigt erwiesen , am Ende doch abschlägig beschied . So war es denn kein Wunder , wenn die klare und freie Stimmung , die A. E. von der Reise mitgebracht hatte , nicht vorhielt . Aber es war da noch etwas Anderes , als Mislaune ; wäre es diese allein gewesen , sie hätte den Siegesbotschaften , wie sie sich auf dem Fuße folgten , doch nicht zu widerstehen vermocht . Sie entzückten ihn auch , aber dahinter stieg ein dunkler Geist in ihm auf , den ich anfangs nicht enträthseln konnte , der erst nach und nach durch bestimmtere Aeußerungen mir verständlich wurde . ‚ Ich bin der Eulenspiegel ,' sagte er einmal , ‚ der heult , wann's lustig bergab geht . ' Als der Tag von Sedan kam , rief er , sichtbar den Jubel der Seele unterdrückend : ‚ Ach Gott , ach Gott ! so viel Glück ertragen die Deutschen nicht ! ‘ Schließlich folgte das klare Wort : ‚ Wir werden unser Ziel erreichen , aber von so viel ungewohntem Gelingen auch einen schlimmen Butzen davon tragen ; wenn der Tempel aufgebaut ist , gebt Acht , wie sich die Fälscher , Krämer , Wechsler , Wucherer breit darin einnisten werden ! ‘ Am Abend jedoch ließ er frei und hell den Freudensturm des Herzens hervorschießen und gab seinen Hunden einen Festschmaus . So trieb es ihn um . Wo er Schlechtes sah — und es gibt dessen genug in unserer Stadt , mein Herr , gar Viele wollen schneller reich werden , als es mit Ehre und Gewissen vereinbar ist , und die Mehrheit ist gar genußsüchtig , Verbrechen , Raub , Todtschlag , Brandstiftung häufen sich — da wurde er noch grimmiger als sonst , beklagte auf 's Neue , was verschmerzt schien , den Verlust seines Amts , seiner Amtsgewalt — “ Wie sehr es mich drängte , über diesen schweren Schlag , den sie mir schon angedeutet hatte , Näheres zu erfahren , wollte ich doch mit Fragen jetzt nicht in die Erzählung eingreifen ; ich sah der Frau an , daß sie sich dem Schlusse näherte , ihr Athem wurde kürzer — „ Um die Zeit mußte wieder ein Katarrh kommen , und als er sich erträglich abwickelte , stellten sich bereits Anzeichen eines neuen ein . In diesem Zustand geht er eines Tags aus — zum letzten Mal : man brachte ihn mir ohnmächtig mit einer tiefen Wunde in der Hüfte . “ Sie verfiel in Schluchzen und sammelte sich mühsam , den Bericht zu vollenden . „ Er begegnete auf der Landstraße einem Fuhrmann , der mit grausamen Hieben ein überladenes Pferd mishandelte . Es war ein Mensch , den er einst als Vogt wegen derselben Rohheit scharf bestraft hatte . Zuerst ermahnt er ihn ruhig , bekommt darauf eine rohe Antwort und der Barbar haut nur noch wilder auf das Thier los . Einhart entreißt ihm die Geißel , sie raufen , der Fuhrmann vermag ihn nicht zu bewältigen , zieht sein Messer und versetzt dem Pferd mehrere Stiche ; jetzt haut A. E. mit der entrissenen Peitsche auf den Wütherich ein , dieser springt wie ein Tiger gegen ihn und das Messer fährt ihm in die Hüfte . „ Leute , die des Weges kamen , fanden den Fuhrmann zu Boden gerissen und hier festgebannt vom drohenden Rachen des Hatzrüden , daneben den Verwundeten ; ein Wagen wurde rasch herbeigeschafft , die Kunde verbreitete sich pfeilschnell , als man ihn durch die Straßen führte ; ein Freund , der Assessor , kam herbeigeeilt und brachte unsern Arzt schon mit , den er unterwegs aufgeboten hatte . Wir trugen den Ohnmächtigen auf's Bett , ich und der Assessor , nachdem mit seiner Hülfe ein Verband angelegt war , verließen das Zimmer , um durch keinen Laut den Schlummer zu stören , in welchen nach schmerzhaftem Zucken die Ohnmacht übergegangen war . Der Arzt hat mir nachher so erzählt : Nach einiger Zeit schlug der Kranke die Augen auf , schien mit Verwundern sich in dieser Lage und den Arzt neben sich zu sehen , besann sich eine Weile und nickte dann wie Einer , dem Entschwundenes zum Bewußtsein kommt . Er fühlte an seine Hüfte , nickte noch einmal , nahm dann nach einer neuen Pause die Hand des Arztes und sagte : ‚ Doktor , eine Gewissensfrage : ‚ Ist anzunehmen , daß ich noch einen kriege ? ' Der Doktor war in kurzem Kampfe mit sich , erwiderte dann ruhig den festen , wartenden Blick des Kranken und sagte : ‚ Kaum .' — ‚ Ich danke ,' versetzte dieser und zog die Glocke . „ Wir waren indessen schweigend , in tödtlicher Spannung im Nebenzimmer gestanden , traten jetzt leise hinein , A. E. sah uns der Reihe nach freundlich an und sagte dann mit schwacher Stimme , aber in ganz warmhellem Tone : ‚ Freut euch mit mir , ich kriege keinen mehr , ich weiß es vom Doktor da ! Ich darf anständig sterben . Es ist doch so auf eine Art , wie wenn ich im Kriege gefallen wäre . ‘ Der Arzt widersprach nicht . Der Kranke fiel wieder in Schlummer . ‚ Warum sollte ich es ihm verschweigen ? ‘ flüsterte nun jener uns zu , ‚ er ist ein Mann ; wir müssen uns gefaßt halten , er ist unrettbar , jede weitere Behandlung seiner Wunde würde nur die Qual vermehren ; er wird den Tag nicht überleben . ‘ Wieder erwacht , gab A. E. ein Zeichen , daß er ein Wort mit mir allein sprechen wolle . ‚ Frau Base ,' sagte er , als die Andern das Zimmer verlassen hatten , ‚ in Plato's Phädon hat mir immer etwas so gut gefallen : wie Sokrates den Tod herankommen fühlt , sagt er den Freunden , sie sollen dem Asklepios einen Hahn opfern ; das möchte ich wohl auch thun . ' Ich übernahm den Auftrag , er sank mit geschlossenen Augen in's Kissen zurück , schlug sie aber nach einigen Minuten wieder auf und sagte : ‚ Wissen Sie was ? wir lassen es , mein' ich , lieber bleiben , es wäre doch nur eine Nachahmung , und dann , warum soll der Gockel , der zum Opfer ausersehen würde , nicht noch eine Weile fröhlich und stolz scharren und krähen und sein Hühnervolk beherrschen ? ‘ Die Augen fielen ihm wieder zu , er entschlummerte , schien zu träumen , seine Lippen zuckten , er sprach : ‚ Tief da unten wirbelt die Reuß ! Wie tobt sie ! Hinab ? Nein ! ' — Er wachte wieder auf und fragte : ‚ Wo ist er ? ' — ‚ Wer ? ' — ‚ Der Reisekamerad ! ' — Er nannte Ihren Namen , kam klar wieder zu sich und nun hat er mir den herzlichen Gruß an Sie und den Auftrag gegeben , den ich Ihnen mittheile , wenn ich Ihnen seinen Nachlaß zeige . „ Die Männer traten wieder ein . Er wurde schwächer und schwächer , die Zwischenräume tiefen , matten Schlummers länger . Gegen Abend aber richtete er sich mit unerwarteter Kraft im Bett auf und sprach mit fester Stimme : ‚ Ich hab's erleben dürfen , daß meine Nation zu Ehren gelangt , und ich will mit Manneskraft die Angst abschütteln , daß der traurige Ansatz sittlicher Fäulniß in ihr fortfresse ; ein Volk , dem zu Ehren der Weltgeist den Tag von Sedan eingeleitet hat , kann nicht so bald verlottern ! — Ach , daß ich nicht mitthun konnte , — bringt Wein ! ' Ich sah den Arzt an , er nickte ; es wurde Rheinwein gebracht , Jedem ein Glas gefüllt , er hob das seine , stieß an und trank es kräftig aus . Dann fiel er in solche Ermattung , daß wir den letzten Augenblick gekommen glaubten ; er begann aber noch einmal zu phantasieren , er schien sich träumend in der Schlacht zu befinden und in heißer Bedrängniß Befehle zu geben , die Stimme war aber zu schwach zum Ruftone , man vernahm nur gepreßte Laute ; die Worte : Signal — Front — Feuer — Bajonet — Klumpen bilden ! — sind mir , wie fremd auch einem weiblichen Ohr , im Gedächtniß geblieben , — die Lippen bewegten sich lautlos noch kurze Zeit , das Haupt sank zurück , doch nach einer Viertelstunde etwa erwachte er noch einmal , da unversehens der kleine Hund , der Schnauz , winselnd auf sein Bett sprang , während Tyras daneben saß und kein Auge von seinem Herrn verwandte . Er reichte mir matt die Rechte und sprach : ‚ Ich danke Ihnen für alle Treue ; droben im Schreibtisch , mittleres Fach , liegt mein letzter Wille . ' Mit der Linken streichelte er dann zuerst den kleinen , dann den großen Hund , zu dem er noch kaum hörbar murmelte : ‚ Armes , treues Thier , hast mir nicht mehr helfen können . ‘ Nach einer Pause stammelte er noch wenige Worte : ich meinte zu verstehen : ‚ Kommst du , Erik , führst — an der Hand ? Sie nickt —‘ Mitten in diesen gebrochenen Lauten verschied er . Der zweite Name , den er genannt , war mir unverständlich geblieben , er klang nicht deutsch . “ Wir schwiegen lang . Ich drängte alle weiteren Fragen über Persönlichkeit und Leben des Verstorbenen zurück ; es war mir nicht darnach zu Muthe , jetzt weiter zu reden ; ich brach auf . Eine Einladung zu Tische lehnte ich dankbar ab , bat dagegen am Abend eintreten zu dürfen , begab mich in meinen Gasthof und gieng nach Fassung ringend in meinem Zimmer auf und nieder . Peinlich genug war es mir , in dieser Stimmung an die Wirthstafel sitzen zu sollen , dennoch mochte ich nicht allein auf meinem Zimmer essen , es schien mir noch unheimlicher . Einige Stammgäste und wenige Fremde saßen am Tische . Unter jenen war ein junger Mann , dessen Gesicht mir wohlgefiel , ich meinte , einen Ausdruck von Vernünftigkeit in seinen Zügen zu sehen ; er trug eine Brille , die ihm doch keinerlei Anschein von Wohlweisheit gab , und fixierte mich ein paarmal flüchtig , ohne den geringsten Anflug lästiger Neugierde . Ich brach vor Beendigung der Tafel auf , er folgte mir und sagte : „ Entschuldigen Sie , daß ich als Unbekannter mich Ihnen selbst vorstelle , Assessor N. Ich habe vom Wirth erfahren , daß Sie gekommen sind , nach unserem verstorbenen A. E. zu fragen : ich schließe , Sie seien der Herr , den er auf seiner zweiten italienischen Reise kennen gelernt hat ; er hat mir von Ihnen erzählt . Sie sind wohl begierig , Näheres von ihm zu erfahren . Nicht eben viel , doch Einiges kann ich Ihnen mittheilen . “ Das war denn der junge Mann , den Frau Hedwig erwähnt hatte ; ich nahm dankbar sein Anerbieten an und er schlug mir auf die spätere Nachmittagszeit einen gemeinschaftlichen Gang vor . Bis dahin streifte ich zuerst planlos durch einige Straßen der Stadt , immer begleitet von dem Gedanken : diese Häuser , diese Wege sind das Bild gewesen , das täglich in sein Auge fiel : daran verspürte ich , wie theuer mir der Todte geworden war . Tief in Betrachtung versunken wartete ich dann zu Hause , bis ich abgeholt wurde . Der Assessor schlug mir einen Gang um die Stadt und dann zu Einhart's Grabe vor ; wir brachen auf und sobald wir uns außerhalb der belebteren Straßen befanden , bat ich den jungen Mann , mir zu erzählen . So erfuhr ich denn die früheren Lebensumstände . „ Ich war Referendär unter ihm , “ begann er , „ als er noch wohlbestellter Vogt war — — Sie wissen , der alte Titel für unsere Oberamtleute oder Bezirkspolizeidirektoren ? — Er war rasch in das hiesige Amt , einen bedeutenden Wirkungskreis vorgerückt ; man hatte ihm verdenken wollen , daß er auf einer Urlaubreise im Jahr 1848 sich von Norwegen nach Schleswig-Holstein aufmachte und mitkämpfte ; er war damals Beamter in einem kleinern Landkreis , im Jahr nach seiner Rückkehr aber gelang es ihm , eine große Gaunerbande durch die Umsicht und die Straffheit seiner Fahndungen zu bewältigen . An einem Kampfe mit den zwei überlegenen Führern nahm er persönlich Theil und rieß den Einen , der seine Pistole auf ihn abgefeuert , zu Boden . Bald darauf wurde er auf den größern Posten hieher versetzt . Ein Jahr vor seiner Entlassung trat ich als junger Anfänger bei ihm ein . Haarscharf streng war der Mann in der Ordnung des Dienstes , ein Minos und Rhadamant gegen rohe oder frivole Willkürexzesse , gegen Alles , was nach Zuchtlosigkeit aussah , insbesondere richtete sich sein Eifer auch gegen die Thierquälerei , einen Zug von Rohheit , der in unserem Volke leider sehr stark ist und in dem er ein Hauptsymptom wachsender Verwilderung sah ; seine Polizeimannschaft war streng angewiesen , diese Form der Barbarei scharf zu überwachen . Dabei ganz unpedantisch , nachsichtig , soweit irgend das Amt es erlaubte , gegen Ausschreitungen harmloser Art , hülfreich , höchst thätig in Pflege von Wohlthätigkeitsanstalten , in Verbesserung der Gefängnisse , in Auftreibung von Mitteln zur sittlichen Rettung Bestrafter , und äußerst mild in der Form , wo nicht Kampf gegen Trotz und schlechten Willen geboten war , dann aber , wenn dieß eintrat , voll imponirender Straff heit und wohlbeherrschten , befehlenden Zornes . Der Mann war nun aber doch wenig beliebt bei der Regierung . Man kannte seine Mücken , die ich Ihnen nicht zu nennen brauche ; man war zur Nachsicht geneigt , obwohl es dabei nicht ohne Ausschreitungen ablief , die am allerwenigsten bei einem Polizeibeamten vorkommen sollten . Da muß ich Ihnen doch einen einzelnen Fall erzählen . Die ‚ Exekutionen ‘ , die er an ‚ strafwürdigen Objekten ‘ vorzunehmen liebte , sind Ihnen vielleicht bekannt . “ „ Ja , ziemlich , “ sagte ich kleinlaut . „ Sie galten gewöhnlich nur leblosen Gegenständen . Einmal aber hatte ihn ein Hund durch wiederholten Ungehorsam erzürnt . Er war sonst nur zu gut gegen Thiere , aber wo es Disziplin galt , verstand er auch da keinen Spaß und konnte sehr hart sein . In seinem Grimm packt er den Hund und schleudert ihn aus dem Fenster . Der Unstern will es , daß das Thier einem Menschen an den Kopf fliegt und ihn zu Boden wirft . Der Mensch war zufällig ein Ministerialrath und Abtheilungschef im Ministerium des Innern . Mit großer Mühe wurde der schlimme Fall ausgeglichen ; der Herr hatte eigentlich auf Realinjurie klagen wollen ‚ wegen Werfung eines Hunds an den Kopf ‘ . Man sah durch die Finger , weil der Thäter im Uebrigen ein so verdienter Beamter war . Auch bei einigen starken Verstößen in Kanzleirechnungen kam er mit leichter Rüge davon . Uebler vermerkte man allerdings , daß er zu Hause Philosophie , Literatur- und Kunststudien trieb , man roch hinter denselben politische Ketzerei . Und hier lag nun ein bedenklicher Punkt ; er war politisch eben gar nicht so ganz korrekt . Er war von der Freiheitsbewegung der Jahre von 1848 nicht berauscht worden , aber zu sehr ein Mann des Rechtes , um die Stumpfheit , Rohheit und Heuchelei , die nach ihrem Niedergang an's Ruder kam , nicht von Herzen zu verabscheuen und offen zu verdammen . Sie kennen die Jahre der schnöden Reaktion , Sie wissen , wie SchleswigHolstein preisgegeben wurde , Sie werden sich vorstellen , wie das dem Kämpfer von Bau in die Seele schnitt ; nun kam die Wiederaufrichtung des Bundestags , kamen die Reden vom christlichen Staat , die Bündnisse zwischen der Gewalt und ihrer vermeintlichen Stütze , der Hierarchie , die Konkordate , kam die Begrüßung Napoleon’s III. als Retters der Gesellschaft . Ich verfolge nicht die weiteren Ereignisse in der politischen Welt bis in den Anfang der sechziger Jahre , denn es war eine Frage der innern Gesetzgebung , welche zu dieser Zeit die Katastrophe im Schicksal Einhart's herbeiführte . Es begab sich das Wunder , daß ein Beamter , und gar ein durch seine Strenge bekannter Polizeibeamter , vom hiesigen Wahlkreis in die Kammer gewählt wurde . Es war dieß sonderbarerweise ebenso sehr das Werk von Umtrieben der Regierung , als von Agitationen der patriotisch Gesinnten in der liberalen Partei ; jene , obwohl ihm sonst doch eben nicht hold , begünstigte in ihm den Mann der strengen Ordnung , diese den Mann des Rechts und noch mehr des deutschen Einheitstrebens . Die Dinge in Schleswig-Holstein waren soeben wieder in Fluß gekommen , und man wußte , daß Einhart zu sagen pflegte , die deutsche Kaiserkrone liege dort im Küstensand begraben , müsse dort herausgehauen werden . Einhart nahm die ungesuchte Wahl an und führte seinen Sturz herbei . Sie erinnern sich , daß damals viel von Wiedereinführung der Prügelstrafe die Rede war . Er stellte einen Antrag , der sich in den Vordersätzen nachdrücklich dagegen aussprach , weiterhin aber eine Ausnahme postulirte , und zwar gegen die Mishandlung von Thieren . In der Kammerrede , worin er den Antrag begründete , — Sie müßten sie gehört haben wie ich ! — es war ein Feuerstrom und doch Alles wohlbedacht ! so mag Demosthenes auf der Rednerbühne gesprüht und sonnenhell gestrahlt haben — im ersten Theil dieser Rede nahm er den Ruf der reaktionären Kreise nach Wiedereinführung der entehrenden Strafe zum Ausgangspunkt , ein vernichtendes Bild jener kurzsichtigen Leidenschaft zu entwerfen , welche damals die Regungen alles berechtigten Dranges der Nation nach einem würdigen politischen Dasein zerstampfte , welche sich nicht begnügte , die Propheten maßloser , centrifugaler Freiheit mit später Strenge zu verfolgen , sondern auch schnöde Rache gegen Alle sann , die den Gedanken der nationalen Einigung mit der Energie und Vernunft des Mannes zu verwirklichen gestrebt hatten . Aezende Ironie wechselte mit Donnerschlägen des reinsten sittlichen Zornes . Wie arme Sünder saßen die Herren herum , die damals jene Phrase vom christlichen Staat im Munde führten , gerade diese und ihre nackte Heuchelei zerrieb er zu Staub im Mörser seiner Dialektik und seines echten Pathos . Jetzt ging er zum Bilde der Schmach über , welche die Politik der ‚ Feuerlöschanstalt ‘ angesichts der Völker Europas über Deutschland gebracht , welche es dahin getrieben , daß ein Zwerg wie Dänemark uns verhöhnen dürfe . ‚ Schmach ,‘ rief er , ‚ den Seelen , die nichts von der Ehre einer Nation wissen ! — Ihr lächelt und steckt die Köpfe zusammen ? Ich weiß , was ihr flüstert , ihr meint , ich habe vergessen , wer es zuerst war , der die schöne Bewegung für Freiheit und Einheit der Nation entstellt und verderbt hat , aber mit nichten ist das Unrecht Derer , die dieß verschuldet , euer Recht ! ‘ — Jetzt wurde die Front verändert , die Hiebe fielen gegen die Blindheit und Wildheit , in welcher die Demokratie durch Unmaß , rohes Treiben , Putsch und Barrikaden und Mord verwüstet hatte , was so groß , so rein im Werden war . Bis dahin war Alles Ein Guß aus glühendem , echtem Redemetall . Nun aber , als diese Kraftfülle entladen war und als der Redner auf sein Thema , die Prügelstrafe zurückkam , gerieth er bald auf eine schiefe Fläche . Was er gegen Wiedereinführung der rohen , menschenentehrenden Strafart überhaupt vorbrachte , war nur vernunftgemäß und gut , wenn auch mitunter barock . So sagte er , indem er sie mit der Todesstrafe vergliech , für die er sich erklärte , unter Anderem , der unschuldig Hingerichtete habe doch nicht nöthig , sich aus Verzweiflung über das ungerecht Erduldete umzubringen , aber der unschuldig Geprügelte müsse ja dieß noch auf sich nehmen . Dann aber , da es an die Ausnahme gieng , kam mehr und mehr unausgeschiedener Stoff aus den Eigenheiten des Redners zum Vorschein . Den wahren Satz , daß frühe Thierquäler oft zu Mördern und in politischen Stürmen zu Blutmenschen werden , stellte er nicht nur als einen unbedingten hin , sondern stürmte los , als wäre er auch umzudrehen , so daß folgte , jeder Verbrecher müsse nothwendig zuerst ein Thierquäler gewesen sein . Die Zuhörer wurden unruhig , fiengen an zu murren , und als er nun gar verlangte , Thierpeiniger sollen auf öffentlichem Platz ausgepeitscht werden , wuchs der Tumult zu einem Gewitter , wie es unsere Kammer nie erlebt hat ; rechts die Männer des Rückschritts , links die Fortschrittsleute , sie übertobten sich um die Wette , die Einen gegen jene , die Anderen gegen diese Hälfte der Rede . Einige Augenblicke war es prächtig , zu hören , wie der Redner mit seinem mächtigen Organ diesen furchtbaren Lärm noch überdonnerte ; plötzlich aber schlug ihm die Stimme über , lächerlich hohe Fisteltöne ließen sich vernehmen , Gelächter mischte sich jetzt in das Geschrei der empörten Gegner und wüthend stürzte Einhart von der Rednerbühne . “ — „ Das kenne ich von unserer Reise her , kann mir 's sehr gut vorstellen . Und ? “ „ Die Folgen des unglücklichen Vorgangs ließen nicht lang auf sich warten . Sein Minister berief ihn , ließ ihn heftig an , worauf A. E. sagte : „ Excellenz leiden wohl an Katarrh ? Kondoliere . ‘ Abends am selben Tage kam ihm ein schriftlicher Verweis zu , so gesalzen , daß er umgehend sein Entlassungsgesuch eingab . Daheim wollte das Volk sein Haus stürmen , man warf die Fenster ein , und der Frau Hedwig , die krank zu Bette lag , flog ein schwerer Stein hart am Kopfe vorbei . Schnell benachrichtigt , eilte er von der Residenz nach Hause , am folgenden Abend erneuerte sich der Sturm , seine Mannschaft war zu schwach , ihn zurückzuschlagen , und als wieder Steine in die Fenster flogen , feuerte er sein Gewehr in den Haufen ab und tödtete einen der Schreier . Es war ein Glück , daß gleichzeitig die Entlassung da war , da sie auf diese Handlung unerbeten hätte folgen müssen . Er kam vor 's Schwurgericht , es sprach ihn frei , die Nothwehr konnte nachgewiesen werden und der Getödtete war ein Elender aus der Hefe des Volkes . “ „ Wie trug er sein Schicksal ? “ „ Still und fest , doch hat er 's nie ganz verwunden . “ „ Ich begreife doch immer noch nicht , kann mir eine Persönlichkeit , die doch so vorwiegend Innenleben war , als Polizeimann nicht denken . Wie reime ich den verbohrten Phantasiekampf gegen den kleinen Zufall mit dem Willensstrom einer thätigen Natur ? “ „ Je nun , in wie Manchem stecken zwei Naturen ! Uebrigens ist doch ein Zusammenhang . Er war eine befehlende Kraft und eine dichterisch denkende ; den befehlenden Mann empörte der Widerstand der unbotmäßigen todten Dinge , denen der dichterisch vorstellende einen Willen lieh , und den harmoniesuchenden Denker das Chaos der Durchkreuzungen . Wissen Sie , was eines seiner ersten Worte war , als er amtlos in der Welt stand ? ‚ Auch gut ,‘ sagte er zu Frau Hedwig , ‚ jetzt les' ich in meinen Büchern , schreibe Etliches nieder , prügle ab und zu einen argen Thierquäler und exekutionire einiges allzu rebellische Objekt . ' “ — Wir waren an den Kirchhof gekommen und giengen an der Werkstätte eines Grabmalkünstlers vorbei . „ Gerade recht , “ sagte der Assessor , „ treten wir einen Augenblick ein . “ Er zeigte mir in der Ecke des Hofes eine Marmorplatte : „ Da , sehen Sie die Inschrift an ! “ Sie lautete : „ Hier ruht nach —jährigem redlichem Kampfe gegen das Albert Einhart , weiland Vogt , fernerhin nur Mensch , geboren den 1. Juli 1815 , gestorben den — “ Ich ahnte dunkel , was die Lücke bedeuten mochte , aber wie hätte ich die Lösung wirklich finden können ? Der Assessor kam zu Hülfe . „ Diesen Grabstein , “ sagte er , „ hat sich A. E. schon bald nach seiner Entlassung bestellt , damit er einst sein Grab schmücke . Es sollte heißen : ‚ Hier ruht nach ( so und so viel ) -jährigem redlichem Kampfe gegen das verfluchte Objekt u. s. w.' Aber der Tetem erfuhr es und erklärte , dieser Stein dürfe nie gesetzt werden ; o , es gab schreckliche Händel ! “ In mir tauchte es auf wie ein alter Traum . Die Axenstraße , dann der Gotthardpaß standen vor mir , ich sah die Felsengesichter wieder , hörte sie höhnen : „ Tetem , “ ich sah mich mit meiner Reisetasche wieder laufen , hörte sie mit dem absurden Laute : „ Tetem , Tetem “ an meine Hüfte schlagen — „ Wie ? Was ? Tetem ? Was ist das ? Wer ist das ? “ „ Verzeihen Sie , mein Herr , Sie sprechen die zwei E unrichtig aus ; es heißt — “ „ Aber so sagen Sie mir doch — “ „ Die E sind eigentlich so zu sprechen wie in Flexionssylben , mit dem Nebenlaut eines dumpfen , halb nasalen A. “ „ Nun ja , meinetwegen , also ? “ „ Der Tetem ist unser zweiter Stadtgeistlicher , ein hochbeliebter Kanzelredner . Er heißt eigentlich Zunger . Er ist freisinniger Theolog. A. E. kannte ihn gut , er unterhielt sich gern mit ihm , denn er ist ein humanistisch wohlgebildeter Mann . Allein das Verhältniß wechselte zwischen Anziehung und Abstoßung . A. E. hatte dieser Schattirung im geistlichen Stande gegenüber statt Eines Standpunkts zwei , die sich schwer vereinigen ließen und , wie es in solchen Fällen geht , wechselsweise die Oberhand bekamen . Mit seiner schwertscharfen Logik erkannte er leicht die Inkonsequenz , bis zu gewissen Grenzmarken der modernen Wissenschaft ihr Recht einzuräumen , an diesen Stellen aber ihr Halt zu gebieten oder mit schönen Redensarten sich und Anderen Einklang zwischen ihr und dem Dogma vorzutäuschen ; „ überdieß , “ so pflegte er zu sagen , „ sind sie eben doch Heuchler auf alle Fälle , denn auch die Glaubensstücke , die sie offen für unhaltbar erklären , müssen sie in Gottesdienst und Seelsorge trotzdem jederzeit im Munde führen ; was hilft da die Hinterthüre des symbolischen Sinnes ? Unwahr ist und bleibt unwahr . “ Dazu kam , daß Zunger immerhin auch ein Geschmäckchen von Wohlweisheit hat . Er ermahnt gern , gibt gern erzieherische Winke ; man bekommt zu fühlen , daß er der Menschennatur im Grunde nicht viel Gutes zutraut . Allein A. E. war doch auch wieder viel zu billig und gerecht , um nicht einzusehen , wie man durch Lebensbedingungen in solch' ein Fahrwasser hineingerathen kann , zu klar , um nicht einzusehen , daß die Welt ohne Halbheiten nicht durchkommt und daß sich das Volk in den Händen dieser Halbdurchsichtigen unzweifelhaft besser befindet als unter den Fingern und Fäusten der Schwarzen . Ich erinnere mich , wie er einmal sagte : ‚ Ach , geht mir mit diesen geweihten Besserungstechnikern ! ‘ Aber er nahm das Wort schnell zurück : es müsse eben doch einen Stand geben , so berichtigte er sich , welcher der Wechselerziehung der Leute ein wenig nachhelfe , eine Art Sittengoumer . Sie kennen das Wort ? Ich habe es von ihm . “ „ Ja wohl , ich auch . “ „ Nun , “ fuhr er fort , „ so vertrug man sich denn zwar nicht ohne Ebbe und Flut , doch ganz leidlich . Ebbe pflegte namentlich einzutreten , wenn ein gewisser süßer Zug in dem würdigen Manne hervortrat . Zunger ist musikalisch und singt gern Choräle zur Hausorgel . Er gibt ab und zu Gesellschaften und schenkt es den Gästen nicht , beim Thee ein Zwischenspiel musikalischer Erbauung sich gefallen zu lassen . A. E. war einmal eingeladen und hatte dieß mitzugenießen . Zunger liebt ganz besonders das Lied : ‚ Wie groß ist des Allmächt'gen Güte . ' A. E. konnte es nicht leiden , nicht ausstehen . Dieser Kinderbrei , pflegte er zu sagen , reize zu entbrannter Opposition , bei so zuckerigem Lobpreis müsse es Jedem , der kein Dummkopf sei , gerade recht einfallen , daß in der Natur ebensoviel , wenn nicht mehr teuflische Grausamkeit als Güte herrsche ; gebe es darüber einen Trost , so sei der mit kräftigen Gedanken mannhaft zu erringen , zu erkämpfen , zu ertrotzen , denn er ruhe auf einem : trotzdem ; solchen Trost sauge man nicht aus dem Kinderschnuller . Nun , erinnern Sie sich der Melodie ; bitte , vergegenwärtigen Sie sich , wie sie klingt bei den Worten : ‚ Der mit verhärtetem Gemüthe' . Zwei ausdrucksvolle Noten fallen gerade auf die bedeutungslosen Biegungssylben des Worts : ‚ verhärtetem ‘ , und ebendiese zwei Noten sang Zunger so gefühlsinnig , so höchst seelenvoll , daß allerdings ein gründlich komischer Widerspruch zwischen Sinnwerth und Tonwerth entstand ; er schwelgte förmlich in diesem gefühlten ‚ tetem '. A. E. war zum Lachkrampf disponirt . Er versteckte sich , da er dieß Uebel anpochen fühlte , unter den Zuhörern , aber es schüttelte ihn so , daß es nicht zu verbergen war , und ihm blieb nichts als ausbrechen , entwischen , abstürzen . Von da an führte bei ihm Zunger den Namen ‚ Tetem ' , Frau Hedwig eignete sich die Nomenclatur auch an , weiterhin ich und Mehrere . Tetem nun erfuhr um dieselbe Zeit von der verrückten Grabschrift und erklärte , wie gesagt , er werde nie dulden , daß ein Stein mit solcher Inschrift auf dem Kirchhof stehe ; man muß ja wohl auch zugeben , daß er es wirklich nicht konnte , nicht durfte . A. E. aber war darin unbillig , ja unvernünftig , hat ihm von da an gezürnt , daß er ihm sein ‚ schönes ‘ Epitaphium unterdrücke , dieß Zeugniß edler und gerechter Selbstachtung , das er sich nach seinem Tode vor der Welt auszustellen gedenke . Vom Tetem muß ich rühmen , daß er ihm sein Zürnen nicht nachgetragen , daß er ihm eine nach Möglichkeit dogmenfreie , nach Kräften verständnißvolle , ja schöne Grabrede gehalten hat . “ Wir waren auf den Kirchhof eingetreten . Wie ernst-andächtig hatte ich mir diesen Moment vorausgedacht ! Wie anders sollte es kommen ! Ich mußte mir immer den frommen Sänger mit seiner gefühlvollen Partizip-Deklinationsendung und dahinter den lachkrämpfigen A. E. vorstellen , mit aller innern Anstrengung konnte ich das alberne Bild nicht los werden , vergeblich sagte ich mir , wie schmachvoll es wäre , wenn ich lachend an den Todtenhügel träte ; das wäre ja , so ermahnte ich mich , nicht ein entlastendes , rührungsvolles Lachen wie jenes , das mich am Vormittag mit der guten Frau Hedwig in Einer Stimmung vereinigte , sondern häßlich , mit bösem Gewissen behaftet , armensündermäßig , wüst , schnöd , ja bübisch ; gerade die grausame Anspannung des Willens gegen eine solche erniedrigende Naturgewalt wirkte mit dem Reize des Verbotenen nur doppelt stark auf das blinde Zwerchfell , damit steckte ich meinen Begleiter an , und so schritten zwei ernste Männer mit krampfverzogenen Gesichtern , momentane Ausbrüche des verhaltenen Kitterns erbärmlich verbeißend , an eine Stätte , die sie mit dem reinen Gefühl der tiefstgesammelten Trauer zu betreten gewillt waren . Ach , was ist der Mensch ! Zwei Hunde mußten uns zu uns bringen . Einhart's Lieblingsthiere lagen auf dem Grabe , sie wedelten und wimmerten , als sie uns sahen , ohne sich von der Stelle zu rühren . Mit Einem Schlage war durch diesen Anblick die Stimmung gereinigt , und schnell wiech die profane Thräne des Lachens dem heiligen Thau , der vom krystallenen Nachthimmel frommen Gedenkens fällt , Gedenkens an gute Menschen , an Menschenloos und an das , was ewig ist . Als wir hinweggiengen , lockte ich den Hunden und sie folgten mir . „ Sie sind der Erste , dem das gelingt , “ sagte mein Begleiter ; „ die Thiere schliechen dem Leichenzuge nach , sie ließen sich nicht abtreiben , seither machen sie von Zeit zu Zeit den Gang und gehorchen keinem Befehl , die Stelle zu verlassen , bis sie Nacht und Hunger nach Hause treiben . “ Der Assessor lud mich beim Abschied ein , mich am Abend des folgenden Tags im Herrenstübchen des Gasthofs „ zum Stern “ einzufinden , wo ich eine Gesellschaft treffen werde , in welcher A. E. jede Woche ein paar Abende zugebracht habe . Gern sagte ich zu und begab mich zu Frau Hedwig . Ich traf die trauernde Frau im Helldunkel der Dämmerung ohne Licht . Wie manche Abendstunden mochte sie so zugebracht haben , still in Gedanken an den Todten ! Sie ermunterte sich bei meinem Eintritt , ließ die Lampe anzünden und begann Thee zu bereiten . „ Er mochte ihn nicht , “ sagte sie dazwischen ; ich gestand , daß ich es darin mit ihm halte , sie schien das erwartet zu haben und stellte mir ein schweres geschliffenes Glas hin mit den Worten : „ Sie sollen seinen Wein aus seinem Tischglas trinken . “ Als ich durch die erhellte dunkelrothe Flut auf den Grund des Gefäßes sah , fiel mir Justinus Kerner's schönes Gedicht auf das Trinkglas eines Freundes ein , ich gedachte dieser liebenswürdigen Dichternatur , und erfuhr von Frau Hedwig , daß A. E. in seiner Abendgesellschaft ein paarmal sich für ihn verstritten habe . „ Die Menschen , “ sagte er einmal beim Frühstück nach einem solchen Zanke , „ wissen doch auch von nichts als von Alternativen ! Entweder , oder , so steht 's in ihren Zwischenwandköpfen ! Entweder Betrüger oder Narr ! Keiner wollte begreifen , daß der Mann mit einem Fuß im Geisterwesen stand , mit dem andern heraus war . Logische Konsequenz fordern von einem Poeten , dessen bestes Talent ein ungemein herrlicher , grundnaiver und doch freier Phantasiesinn für's Verrückte war ! O , Poeten schweben ja ! Es ist ja ein Schweben ! “ Wir saßen eine Weile nun schweigend beisammen , an der Wand pickte eine Schwarzwälderuhr , am Boden lagen die Hunde , Tyras zuckte und bellte dumpf im Schlaf — ob er wohl im Traum wieder für seinen Herrn kämpfte ? — Frau Hedwig , wohl fühlend , wie manche Fragen ich am Vormittag werde zurückgehalten haben , begann nun unaufgefordert von sich und von A. E. zu erzählen . Ich gebe nur in Kürze wieder , was sie selbst betrifft , da uns hier ein anderes Schicksal beschäftigt . Sie war Drittenkind mit ihm und verlor frühe einen geliebten Gatten . Dieser Tod brachte ihr zugleich den Wermuthbecher der Armuth. A.E. war ihr Retter , er bat sie , sein Haus zu führen , — „ und wie schön ist es , dankbar sein zu dürfen , wenn man zugleich weiß , daß man nützlich sein kann ! Wie sah es da im Haushalt aus , als ich die Leitung in die Hand nahm , wie war der Mann vernachlässigt und betrogen worden ! Ach , er konnte ja gar nicht rechnen ! Nur das Addiren gieng noch so halbwegs ! “ „ Eine schlimme Sache bei einem Beamten , “ meinte ich , „ auch wenn er kein Finanzbeamter ist ! “ „ Freilich , freilich ! es hat doch auch ein wenig zu seinem Sturze mitbeigetragen , es fanden sich Verstöße schwerer Art in seinen Amtsrechnungen , und nur halb sah man ein , daß man es hier mit einem Kind im Zahl- und Geldwesen zu thun habe . Wären nicht seine vielen Verdienste gewesen , hätte man vergessen dürfen , daß er dazumal die gefährliche Gaunerbande eingefangen , man hätte ihn schon viel früher fortgeschickt . “ Ich erfuhr weiter , daß A. E. nicht reich , doch vermöglich war . „ Er brauchte blutwenig für sich , viel für die Armen und “ — setzte sie noch einmal erröthend hinzu — „ Einiges für Exekutionen an aufrührerischen Objekten , die er seine weisesten , sittlichsten , wahrhaft gemeinnützigen Handlungen nannte . “ „ Weiß , weiß , kenne das , “ fiel ich ein . — „ Wir verstehen uns mit ihm , “ sagte sie lächelnd . „ Und nun kommen Sie , lassen Sie uns in sein Studierzimmer gehen ! “ Wir stiegen über eine Treppe und betraten einen prunklosen Raum mit Schreibtisch , Bücherschränken , wenigen Möbeln für die Bequemlichkeit und einigen Gemälden und Kupferstichen an den Wänden . Sie öffnete ein verschlossenes Fach am Schreibtisch , zog ein Blatt heraus und reichte mir es hin . „ Das Original , “ sagte sie , „ liegt auf dem Rathhaus ; es ist amtliche Abschrift . “ Ich las : „ Ich setze Frau L. Hedwig als Erbin meines Hauses und Vermögens ein . Ich füge eine Liste der Armen bei , die sie ferner zu unterstützen hat . Sämmtliche Papiere , die zu meinen Studien ge hören und sich in den Fächern ... befinden , vermache ich Herrn ... als Eigenthum und überlasse seinem Ermessen , welche Bestimmung er ihnen geben will . Albert Einhart , Vogt a. D. “ „ Und also auch das Haus gehört mir , “ sagte sie , indem sie das Blatt aus meiner Hand zurücknahm und Thränen ihr in's Auge traten , „ das Haus , das er gekauft und sich zurechtgebaut hat , als er verabschiedet war ; ich bin reicher geworden , als ich bedarf , und kann dafür mehr an den Armen thun , als mir wörtlich aufgegeben ist . “ — Das Vermächtniß , das unvermuthet mir geworden , war mir im ersten Augenblick befremdend , ich konnte die Ueberlassung nicht mit dem Wesen eines Mannes reimen , dem es eben nicht gleich sah , sich vor irgend Jemand nackt zu zeigen , und Enthüllungen waren von diesen Blättern doch zu erwarten . Da fiel mir Hamlet ein , wie er sterbend den Horazio bittet , dem versammelten Volke kund zu geben , wie Alles gekommen sei , um seinen schwer verletzten Namen zu retten . Jetzt erfaßte ich , daß dieser seltsam verhüllte , dem tragischen Helden nicht eben unverwandte Mann doch ein Bedürfniß in sich getragen habe , nach seinem Tode in richtigem Lichte gesehen zu werden , und herzlich fühlte ich mich nun geehrt , daß er mich als seinen Horazio auserlesen . Während Frau Hedwig die Fächer öffnete , worin die Papiere lagen , sah ich mich etwas im Zimmer um . Drei Landschaftgemälde von guter Hand schmückten eine der Wände : das eine Perugia , das andere die römische Campagna , das dritte Venedig darstellend ; an einer andern Wand fiel mir ein Bild auf , das durch ein Loch verunstaltet war . Als ich näher trat , erkannte ich ein Werk aus der altdeutschen Schule ; ein heiliger Sebastian , von den Pfeilen durchbohrt , schien im Ausdruck ergreifend gegeben , so weit der defekte Zustand errathen ließ , gewisse Eigenheiten der Form , die leuchtende Kraft der Farbe , die warme Mürbe des Fleisches schienen mir auf Zeitblom zu weisen , das Loch aber gieng mitten durch die Nase und erstreckte sich noch auf die Nasenwurzel , so daß ein sicheres Kennzeichen des Ulmer Meisters ausgetilgt war ; denn dieser ernste , feierliche , innigfromme , farbensaftige , lebenswahre Künstler hat ja leider die Grille gehabt , fast alle seine Köpfe mit roth angelaufenen Nasen und einer knopfigen Anschwellung der Nasenwurzel auszustatten . „ Was ist denn nun aber das ? “ fragte ich . — „ Ja , der schöne Zeitblom ! “ war die Antwort , „ den der Herr auf einer Reise nach Schwaben entdeckt und um schweres Geld gekauft hat ! Er schätzte und liebte das Bild nicht nur wegen seines Kunstwerths , er dachte dabei gern an seine eigenen Leiden unter den spitzen Bolzen der Lebensübel . Da fuhr einer der Steine durch , die dazumal , als ich krank lag , durch's Fenster flogen , der Selige hängte das Bild nun in sein Studierzimmer und war schlechterdings nicht zu einer Herstellung zu bewegen . Das geschah keineswegs bloß zum Andenken an die überstandene Gefahr . Er hatte immer seinen Spaß getrieben über die rothe Nase und geschwollene Nasenwurzel . ‚ Es werden wohl ,' pflegte er zu sagen , ‚ die starken Donaunebel schuld sein , daß in Ulm Jedermann immer Schnupfen hat , alten oder neuen ; der gute Meister wird seine Mitchristen wohl nie in einem andern Zustande gesehen haben ! Das wär' ein Aufenthalt für mich , das Ulm ! ‘ Nun , als der Stein durchschlug , da gieng , sobald nur Schrecken und Zorn verraucht waren , der Spaß erst recht an : ‚ Der Lümmel hat's verstanden ! Radikalkur ! Der Sebastian kriegt keinen mehr ! Nun , und der Schütze auch keinen mehr ! Dem ist 's fast zu gut geworden ! ' — So gieng es fort . „ Da , “ sagte Frau Hedwig , indem sie nun eine eingerahmte , auf dem Schreibtisch stehende Photographie mir hinhielt , „ das ist ein Bild , das er immer vor Augen hatte . “ Es war das Porträt eines Mannes in den besten Jahren , und je mehr ich es betrachtete , um so tiefer fühlte ich mich angezogen . Selten habe ich so viel Festigkeit mit so viel Güte in Einem Ausdruck verbunden gesehen . — „ Diesem Mann ist zu trauen ! “ sagte ich . — „ Ja , “ erwiderte Frau Hedwig , „ und dem muß der Verstorbene viel verdankt haben , mehr als wir wissen . “ Sie konnte nur angeben , daß es das Bild eines schwedischen Arztes sei , der ihn auf der norwegischen Reise von einem Nervenfieber gerettet habe ; „ aber , “ sagte sie , „ da muß noch etwas mitgespielt haben , was ich nie erfuhr , es war etwas Geheimnißvolles in dem Kultus der Pietät , womit er an diesem Bilde hieng ; und ein Jahr vor der zweiten Reise nach Italien , auf der Sie mit ihm zusammentraffen , erfuhr Einhart den Tod dieses Mannes . Er schloß sich einen Tag lang ein und man hörte ihn weinen . Er hat nie aufgehört , ihn zu betrauern . “ Sie nahm ihr Geschäft an den Schubfächern wieder auf und als sie eine Blätterschichte aus einer der Laden heben wollte , stieß ihre Hand in der hintersten Ecke an etwas Hartes , sie zog einen schwarzen Gegenstand heraus und rief bei seinem Anblick : „ Ah , dort stack's ? find' ich 's wieder ? “ Sie reichte mir ein Etuis hin , aus dem mir , als ich es öffnete , eine Photographie entgegensah , ein weibliches Brustbild von großer , aber unheimlicher Schönheit . Ein ganzer Wald von glänzenden Locken umgab wie eine Löwenmähne das wohlgebildete Haupt ; ich konnte es nicht bloß auf die Lichtwirkung schieben , daß mir dieses Haar wie metallisch erschien . Warum wollte mir , wenn mein Auge von der Betrachtung des Gesichts zu dieser reichen Umkränzung zurückkehrte , mehr und mehr scheinen , als bewegten sich diese Ringel , als zischelten Schlangen aus ihren Spitzen ? Das konnte nur eine Phantasieübertragung des Eindrucks sein , den die Gesichtszüge mir machten . Aus diesen Augen blitzte etwas , auf diesen Lippen , dieser leicht gehobenen Unterlippe saß etwas , um diese Mundwinkel spielte etwas , das ich unbewußt in die Vorstellung Schlange übersetzte . Und doch wieder ein Gepräge der Tüchtigkeit und eine Anmuth ! Aus denselben Augen schien Juno und Aphrodite zu blicken , auf diesen Lippen sich edler Stolz und freie Gewährung zu wiegen , auf dieser Stirne , auf dieser fein gebogenen Nase sinniges Denken und heiterer Witz zu thronen . Während ich in diesen Anblick verloren war , rief Frau Hedwig : „ Halt ! hier ist das rechte ! “ Unter dem Umschlag eines Papierstoßes war ein Blatt hervorgefallen , sie hatte es aufgenommen , betrachtete und bot es mir her . Es war eine Kreidezeichnung , ebenfalls ein weibliches Brustbild , und ich erkannte im Augenblick die Dame von Flüelen und Bürglen . Ich hielt beide Bildnisse nebeneinander in der Hand , Frau Hedwig sah mir über die Schulter , vertieft wie ich in den vergleichenden Anblick . Unter dem zweiten stand : Σώτειϱα . Als ich das Wort aussprach , rief Frau Hedwig : „ Das ist's ! So klang sein letztes Wort ! “ Ich übersetzte : Retterin . — „ Retterin ? “ sagte sie , nickte und wurde sehr nachdenklich . Dann fragte sie mich : „ Haben Sie dieß Weib gesehen ? “ Ich erzählte ihr jetzt den Theil unserer gemeinsamen Reiseerlebnisse , den ihr A. E. verschwiegen hatte , doch nicht sogleich Alles , nicht den traurig komischen Abbruch in Bürglen , nicht die Scene am Felsen . — „ Was wissen Sie denn , “ sagte ich , „ wenn die Frage nicht unzart ist ? “ Eigentlich muß ich gestehen , daß seit Jahren und jetzt in diesen Tagen stärker denn doch etwas wie Neugierde im Innern mir umschliech , ob denn dieser seltsame Mann auch Beziehungen zum Weib — oder vielmehr , da sich dieß von selbst bejahte — was für er wohl gehabt habe . Geborener und geschworener Weiberfeind konnte er nicht sein , die letzten Momente in Göschenen sprachen zu hell dagegen ; aber gewordener ? hartgesottener Junggeselle ? Und warum ? Wie mochte das mit den zwei Bildern zusammenhängen ? „ Wissen ? “ sagte Frau Hedwig , „ eigentlich nichts , nur rathen . Rathen aus Andeutungen , die ihm in bewegten Momenten entschlüpften . Einmal , ja , in der Zeit vor seiner Entlassung , als ihm eine hiesige Frau durchaus kuppeln wollte — die Frau des Herrn Tetem , — gewiß auf wohlgemeintes , besserungseifriges Zureden ihres Mannes , — da wurde er sehr wild , sprang dann auf sein Studierzimmer , polterte wieder herab und hielt mir das eine Bild unter die Augen , das da ( sie zeigte auf die Dämonische ) , und stieß hervor : ‚ Die Valandinne hat mir's vertrieben !' Das Wort hab' ich dann in seinem altdeutschen Lexikon aufgeschlagen , Teufelin heißt's . Weiter kein Wort ! Das Eine schien ihn zu reuen . Es war Schlafenszeit , er eilte auf sein Zimmer . Ich hörte ihn oben laut mit sich selber reden , was er freilich gar oft that . Es ist schmählich zu sagen , ich habe dann im Vorbeigehen ein wenig gehorcht — ich hörte ihn auf und ab stürzen , Stühle auf die Seite schleudern — ich vernahm unverständliche Laute , ein Wort kehrte wieder , das hieß Foß , aber in Zusammensetzungen , die ich nicht behalten konnte , dazwischen : ‚ Schweiß der Scham ! ' — ‚ Höllischer Hohn ! ' — Nach einer Pause hörte ich wieder fremdklingende Namen rufen , eine Zusammensetzung mit Strand , Sjöstrand oder ähnlich , und mit Hag — ich meine : Baldurshag . Er schrie öfters : ‚ O ! o ! ' Er stöhnte . — Dann war es lange still und dann vernahm ich weiche Laute : ‚ Lichtgeist , Friedensbote — frei ! frei ! ' — Wieder ward es stiller , hierauf hörte ich ihn laut kommandieren , ähnlich wie später in seiner Todesstunde ; soweit ich es verstehe , waren es Rufe , wie wenn einer Truppe auf drangvollem Rückzug vor starker Uebermacht öfters Halt und erneuerte Gegenwehr geboten wird , dabei hörte ich eine Mühle und ein Gehölz nennen . “ „ Die Kupfermühle bei Krusau , “ sagte ich , „ ich wollte damals , als Sie mir das Aehnliche von seinen Traumreden kurz vor dem letzten Augenblick erzählten , nicht mit einer Notiz unterbrechen ; ich erinnere mich noch der Berichte von dem Kampfe bei Bau , A. E. muß beim rechten Flügel gestanden sein , der sich so heldenmüthig bis zur Eisengießerei vor Flensburg durchgeschlagen hat . “ „ Nach geraumer Zwischenzeit meinte ich ein leises Weinen zu vernehmen und wieder das Wort : ‚ Gerettet ! ’ Dann den Seufzer : ‚ Spät ! — Cordelia , o Cordelia — warum —' Bei diesen Lauten voll Innigkeit überfiel mich eine Scham , daß ich horchte , und ich schliech hinweg . — Es muß in Norwegen etwas vorgegangen sein , ehe er von dort nach Schleswig-Holstein gieng und verwundet wurde . hat immer so sichtbar abgelenkt , wenn ich auf das Land zu sprechen kam oder wenn man ihn gar in Gesellschaft mit Fragen bedrängte . “ Dunkle Schlüsse aus diesen kargen Spuren ziehend verweilte ich in der Betrachtung der beiden Bilder . Es war , als ränne ein milder Geist des Friedens aus den sanften Zügen des zweiten Bildes und legte sich beruhigend über die wirren Wogen widersprechender , beängstigender Vorstellungen , die aus dem andern wie aus einem Hexenkessel brodelnd hervorquollen . Es war ganz der Ausdruck der Lauterkeit , Güte und Vernunftruhe , der mich vor Jahren an diesem Weibe so herzlich gerührt hatte , jetzt nur doppelt wirksam im schlagenden Gegensatze zur wilden Schönheit des Nebenbildes . „ Nun aber , “ fieng Frau Hedwig nach einer Weile wieder an , „ muß da später noch etwas gekommen sein , irgend ein Unglück , ein Unstern , der Unglück wurde . Denn nach der Reise , wo er Sie kennen gelernt hat — “ „ Eben auf der Reise ist solch ein Unstern vorgekommen , “ fügte ich ein . Sie fragte gespannt und ich erzählte jetzt den Auftritt in Bürglen und was dann in der Gotthardschlucht Unheimliches , Erschütterndes dem närrischen Schlußakte in Göschenen vorangegangen . Es wäre kindisch gewesen , ihr das Unschickliche , was dort geschah und den plötzlichen Aufbruch veranlaßte , zu verschweigen oder mit einem erfundenen Surrogate zu vertuschen ; die Frau hatte ja Salz . Sie wurde sehr aufmerksam , lachte über das Komische jenes ersten Vorgangs nicht , schwieg nachdenklich und fragte dann , ob ich keine weitere Spur von der reisenden Familie entdeckt habe . Ich verneinte . „ Er wird gemeint haben , sie meiden zu müssen , “ sagte sie , „ ich muß da noch etwas anführen : daß er nach seiner Rückkehr damals bald wieder in Mißlaune und Trübsinn verfiel , dazu muß diese Folge des Vorfalls mitgewirkt haben . Im Anfang eines neuen heftigen Katarrhs hörte einmal der Bediente , der neben seinem Studierzimmer zu thun hatte , wie er nach wiederholtem starkem Niesen tief aufathmend schrie : ‚ Ach , gottlob , gottlob ! Hier verjagt mich 's doch von Himmelsboten , der vielleicht — Gelt , gutes , dummes Vieh (— das konnte nur seinem Kater gelten , den er gern bei sich duldete , wenn er sich schnurrend auf seinem Schreibtisch niederließ — ) , gelt , dir ist's gleich , ob ich dich anniese ? ' “ Wir wetteiferten in Vermuthungen und Verknüpfungen , mußten aber , da uns aller bestimmtere Anhalt fehlte , unsere Versuche aufgeben . Es war auch offenbar nicht Ort und Stunde , zu grübeln ; das Gefühl sträubte sich dagegen , an der Schnur der Reflexion fortzuspinnen , und strebte zurück zur Vertiefung in reine Trauer um den theuren Todten . Aber eine Beimischung des Geheimnißvollen erhielt nun dieß einfache Gefühl des innigen Leides . In diesem Leben mußte ein Sturm gewüthet haben , dessen Gewalt wir wohl kaum ahnten ; rettendes , himmlisches Licht mußte dann erschienen , aber irgend ein Schmerz nachgeblieben sein , der einen Wolkenschleier von Wehmuth um die Lichterscheinung legte . Wir saßen noch ein Stündchen in der Nacht beisammen und sprachen von dem Todten . Die gute , klare Frau erzählte mir noch Manches aus seinem Leben , seinen Verhältnissen zu manchen Menschen aus allerlei Ständen . Das Bild der Persönlichkeit wurde mir runder , voller , ohne mir planer zu werden . Der andere Tag , der letzte des kurzen Aufenthalts , den mir meine Zeit erlaubte , war bestimmt , eine erste Einsicht von den Papieren zu nehmen , die mein Eigenthum geworden waren . So betrat ich denn des andern Morgens zu früher Stunde den stillen Raum , worin der Geist des Verstorbenen mich zu umschweben schien . Die Bücher rings in den Schränken sahen mich an , als wollten sie mit mir sprechen , mir vom Zwiegespräch zwischen ihnen und dem Todten erzählen . Ich fand die staatswissenschaftliche Literatur weit abseits gestellt und nur mäßig vertreten . Dagegen nahe zur Hand standen philosophische und schön-wissenschaftliche Werke . Starke Spuren von häufigem Gebrauch zeigten die Werke des Plato , des Aristoteles , Spinoza . Kant 's , Fichte's , Schelling's , Hegel's Schriften , die größeren , wie einzelne Abhandlungen , füllten eine Reihe von Fächern : was von Schopenhauer bis dahin erschienen , fand sich in der Nähe ; den meisten Bänden sah man , wie jenen Werken der älteren Philosophen , leicht an , daß sie nicht als müßige Zierde standen . Eine ausgewählte poetische Literatur reihte sich an diese ernsten Kolonnen , Homer , Aeschylos , Sophokles , Euripides und neben ihnen Shakespeare befanden sich griffbequem auf dem Bücherbrett just dem Sitzenden gegenüber ; ich schlug im Vorübergehen den Hamlet auf und fand alle Blätter zwischen den Linien und am Rand über und über beschrieben , ebenso Goethe's „ Faust “ , als ich mich in der deutschen , solid vertretenen Literatur umsah . Mein Blick fiel im Streifen auf den Namen Hölderlin ; neben den sämmtlichen Werken in der bekannten verdienstvollen Ausgabe von Christoph Schwab standen die Ge dichte in der Sammlung von 1843 , mit dem Bildnisse nach der Zeichnung von Luise Keller , das ich erwähnt habe , als ich von der Gotthardreise erzählte . Ich griff nach diesem Bändchen und als ich es aufschlug , entglitt ein Blatt , das neben dem Stiche lag , ich nahm es auf und fand mit Bleistift querüber darauf geschrieben : „ Armer Werther Griechenlands ! Dein Lieben war ja wohl hoffnungslos , denn einem Albert , der seine Braut strenge verschließt , dem unerbittlichen Chronos war deine Lotte verlobt . — Du führtest zu wenig Eisen , du Guter , du Schöner , du mein edlerer Bruder mit dem Heiligenschein des ganzen Wahnsinns um's Haupt ! “ Ich wurde begierig , zu wissen , ob er nicht auch in J. Paul's Werke etwas eingeschrieben habe , die daneben standen . Und richtig fand ich auf dem weißen Blatt vor dem Titel des ersten Bandes folgende Verse , die ich mir sogleich abschrieb : „ O du , dem unter Narrheit , unter Witzen Der Sehnsucht Zähren an der Wimper blitzen , In Scherz und Schmerzen schwärmender Bacchant ! Der Kunstform unbarmherziger Vernichter ! Du Feuerwerker , der romanische Lichter Aufwirft und Wasser , Kies und Koth und Sand ! O du , dem hart am überschwellten Busen Ein Spötter wohnt , ein Plagegeist der Musen , Der Todfeind des Erhab’nen . der Verstand ! Grabdichter , Jenseitsmensch , Schwindsuchtbesinger ! Herz voll von Liebe , sel'ger Freude Bringer Im armen Hüttchen an des Lebens Strand ! Du Kind , du Greis , du Kauz , Hanswurst und Engel ! Durchsicht'ger Seraph , breiter Erdenbengel , Im Himmel Bürger und im Bayerland ! Komm' , laß an deine reiche Brust mich sinken , Komm' , laß uns weinen , laß uns lachen , trinken , In Bier und Thränen mächtiger Kneipant ! “ Der Leser soll sich nicht weiter bemühen , die Büchersammlung mit mir zu durchmustern ; erwähnt sei nur noch , daß mehrere englische , französische , deutsche Werke nebst Julius Cäsar's Schrift de bello gallico (— ein Zeichen stack noch im Abschnitt von den Druiden — ) auf eingängliche keltische Studien zu schließen gaben , die der Verstorbene für seine Pfahldorfgeschichte gemacht haben mußte . Ob ganz zum Nutzen derselben ? schien mir nicht eben ausgemacht . Manchmal wollte mir dünken , es sei ihm nicht recht gelungen , die seltsame Religion , welche er für seine Pfahlbewohner erfunden hatte , mit den mythischen Vorstellungen , die er seinen historischen Quellen entnommen , genügend ineinander zu verarbeiten , verschiedene Zeiten seien zu grell gemischt und es blicke da und dort ein Zug antiquarischer Belehrung hervor , der einer dichterischen Komposition so übel ansteht . Doch schwankte ich wieder ; gegen den letzteren Vorwurf ließ sich sagen , daß die gelehrten Brocken doch eben selbst auch größtentheils humoristisch gemeint seien . Ich vermochte mein Urtheil nicht abzuschließen . Das ist nun Sache des Lesers . Ich füge noch hinzu , daß in einem der geschlossenen Fächer des Schreibtischs auch das Konzept der Pfahldorfgeschichte sich vorfand , ein Manuskript , von Durchstrichen , Korrekturen , Einschiebungen über und über durchschnitten und übersät . Da ich schon öfters Gelegenheit gehabt hatte , mit Hülfe solcher Blätter in die geheime Werkstätte eines Dichters zu sehen , so konnte mich dieser Zustand nicht zu der Vorstellung verleiten , die Arbeit sei wie ein mühsames Mosaik entstanden . Frei poetische Initiative und häufiges Umändern und Nachbessern schienen mir einander nicht auszuschließen . Dem Dichter schwebt ein Bild vor wie ein Traumbild , hell in allen wesentlichen Zügen und doch noch schwebend , unbestimmt in Umrissen . Zudem ist die Sprache ein sprödes Material , das nicht leichten Kaufes sich hergibt , sein dem Prosabedarf dienendes Gefüge zur durchsichtigen Form für freie Anschauung umwandeln zu lassen . Er sucht und sucht , ringt und ringt , er reibt , wie man reibt , um einen verdunkelnden Firnis zu entfernen , der über einem Gemälde liegt , endlich gelingt es der sauern Mühe , herauszuarbeiten , was ganz frisch , ganz leicht , ganz Ein Guß und Fluß aus eigener Tiefe von Anfang an vor der Seele stand . Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir vermachten Papieren . Es wird wohl gut sein , wenn ich vom Zufall den Rath annehme , gewisse Stücke aus denselben dem Leser vorzuführen , ehe ich zur weiteren Mittheilung übergehe . Sie fielen mir bei vorläufigem Durchblättern in die Augen und sind so närrischen Inhalts , daß ich sie lieber gesondert vom Uebrigen aufdecke , — nicht daß der Leser erwarten dürfte , im Nachfolgenden ununterbrochenen Ernst zu finden , bunt genug sieht es überall aus in diesem Tagebuche — wenn man ihm den Namen geben darf , denn es ist keineswegs erzählende Buchführung des Verstorbenen über sein Leben ; ein abgebrochenes Hinwerfen von Erlebtem , untermischt mit nachdenklichen Reflexionen und wetterleuchtenden Einfällen möchte ich es nennen , und überall , wie man sich denken kann , wechselt Ernst mit Humor oder schimmern beide durcheinander . Die Dinge aber , die mir da zuerst entgegensprangen , sind von der Art , daß ich besorge , sie möchten , wenn ich sie nicht getrennt halte , der Stimmung des Lesers , obwohl sie auf solche Mischung gefaßt ist , denn doch zu viel bieten . Nur unterdrücken glaube ich sie nicht zu dürfen , denn ich soll ein Bild von einem Menschen geben und darf nichts ausscheiden , was bezeichnend ist . So mag denn das vor dem Eintritt abgethan werden . Zunächst fielen mir zwischen den Blättern gewöhnlichen Formats zwei zusammengelegte Bogen auf , dickes Zeichenpapier und ungemeiner Umfang . Ich entfalte sie und meinem Auge zeigt sich ein Chaos von Linien auf dem einen , ein noch größeres von Linien und Farben auf dem andern . In den Feldern dieser krausen Netze stand Schrift in verschiedenen Richtungen geführt , wie solche durch die eintheilenden Linien gegeben waren : senkrecht , wagrecht und über's Kreuz in Diagonalen . Beide mühsamen Kunstwerke waren unvollendet , man sah ein Stück ausgeführt , daneben auf derselben Fläche Versuche , andere Theilungslinien zu führen , die verworrener und verworrener wurden und schließlich erkennen ließen , daß der Künstler nicht weiter wußte , stecken blieb , erlag . Kleinere Blätter lagen dabei , auf denen der Unglückliche es mit wiederholten neuen Anordnungsentwürfen versucht und einzelne Anmerkungen niedergeschrieben hatte . Beide Papierungeheuer trugen die sehr schön in Fraktur geschriebene Ueberschrift : System des harmonischen Weltalls . Mir wurde ganz schwindlig , als ich angefangen , mich in den Inhalt hineinzulesen , und mit Hülfe des wenigen Kommentars auf den Beilagen zu einer ungefähren Vorstellung von der Absicht des Unternehmens gelangte . Ich rannte wie betrunken mit den zwei Riesentabellen zu Frau Hedwig hinab , hielt sie ihr vor Augen und fragte : „ Kennen Sie denn das ? “ — „ Ach freilich , freilich ! “ war die Antwort , „ das war 's ja eben ! Ich weiß noch , als wär 's heute , wie er anfieng , sich oben einzuschließen , ganz zergrübelt , in allen Nerven gespannt aussah , wenn er zu Tische eintrat , wie er einmal herabgesprungen kam und den Bedienten fortjagte , ihm einen Reißzeug zu kaufen , — er müsse eine geometrische Figur ausführen — , dann wie er ebenso hastig des andern Tags nach einer Farbenschachtel schickte ! Wie es immer ärger mit ihm wurde , hab' ich dann nicht geruht , bis er mir seine Arbeit gestand und zeigte . Ich begieng anfangs die Thorheit , ihm helfen zu wollen , wurde aber selbst darüber fast verrückt . Und nun erkannte ich , daß es hohe Zeit sei , ihn herauszureißen , denn wirklich , er war nah' am Ueberschnappen ; so erreichte ich es denn mit viel Bitten und Drängen , daß er nach Italien abreiste durch die Schweiz über den Gotthard , und nun sehen Sie , in dieser Periode haben Sie ihn kennen gelernt ! “ Ich gehe nun mit Seufzen an die Aufgabe , dem geneigten Leser ein , nach Möglichkeit abgekürztes , Bild von dem Bilde des harmonischen Weltalls vorzuführen . Was gegeben werden sollte , war eine klar geordnete Uebersicht der Durchkreuzungen , denen das Leben und Thun des armen Sterblichen durch die Tücke jenes Etwas unterliegt , das wir in Kürze den kleinen Zufall nennen . Man begreift , daß A. E. seinem Plane gemäß eigentlich hätte schreiben müssen : Harmonisches Bild des unharmonischen Weltalls ; man begreift aber ebensosehr , daß ein Geschmack wie der seine den ironischen Ausdruck vorziehen , man ahnt auch zum Voraus , wie es ihm bei seinem Versuche systematischer Ordnung ergehen mußte . Kaum ist die Vorbemerkung nöthig , der Leser möge sich erinnern , wie A. E. gewohnt war , vermöge einer poetischen Verwechslung von Objekt und Subjekt die Stellen und Gegenstände , worin nach seiner Mythologie die bösen Geister sich einzunisten lieben , so zu tituliren , als wären sie selbst die bösen Geister oder verwandelten sich in solche . Fangen wir nun an , die Oberund Untereintheilungen des Materials , mit welchem unser Philosoph schaltet , aufmarschieren zu lassen , so wird der Leser sogleich in eine Art von logischer Beunruhigung sich gestürzt fühlen . „ Hauptarten der Teufel “ ist die erste Obereintheilung und diese zerfällt in : innere und äußere Teufel . Unter „ innere Teufel “ versteht er die Stellen und Angriffspunkte , die der Mensch durch seinen Körper ( natürlich ebensosehr als geistig höchst leidensfähiges Wesen ) dem störenden Zufall darbietet ; unter „ äußere Teufel “ die Leiden verursachenden Gegenstände in unserer Umgebung . Schon dieß ist verwirrend . Die Eintheilung scheint nur Störungen im Auge zu haben , die von außen kommen ; sitzen nun in den Organen unseres Leibes Teufel und ebenso in den äußern Dingen , von denen die Störung ausgeht , so folgt ja , daß in allen diesen Fällen ein Teufel einen Teufel plagt . Es entstehen aber doch viele Leiden direkt aus dem eigenen Organismus , das einzelne Organ erkrankt infolge von Störungen in irgend einem größeren Funktionsgebiete ; sitzt nun dort ein innerer Teufel , dann wohl auch hier und somit plagt auch in diesem Fall ein Teufel einen Teufel , dießmal ein innerer einen innern . Jedoch kann man sagen , auch Störungen , die zunächst aus dem Innern des Organismus kommen , seien indirekt durch Einflüsse der äußern Natur herbeigeführt , dann kehrt aber das erste der genannten Verhältnisse wieder : ein ( äußerer ) Teufel plagt einen ( innern ) Teufel . Dieß sind nur Andeutungen , die Reihe der sich ergebenden Skrupel ist unendlich . Genug , der Urheber wird selbst nicht am wenigsten darunter gelitten haben , zur Sache ! Als Motto steht ein ziemlich ruchloser Vers : O Weltgeist , was hast du getrieben ! So gerade zu bauen , so toll zu verschieben ! In deinem weiten Königthum Wird Alles schief , wird Alles krumm , Wo nicht Menschen denken und lieben . Hierauf folgt die Eintheilung und lautet also : I. Hauptarten der Teufel . A. Innere Teufel . Schleimhäute . Zunge . Kehle . Lunge . Zwerchfell . Magen . Gedärme . Blase . Gelenke . Sehnen . Nerven . Gehirn . Augen . Nase . Ohren . Haut . Hals . Rücken . Arme . Finger . Kreuz . Beine . Zehen. Nägel . Es fällt sehr auf , wie wenig dieß ist . A. E. hätte ja eigentlich alle empfindungsfähigen Stellen unseres Körpers , selbst die mikroskopisch kleinste , aufführen müssen . Er wollte sich auf die vorzüglich gefährdeten beschränken und diese nur in Bausch und Bogen angeben , wurde an diesem Verfahren irre , fieng an , mehr in's Einzelne zu gehen , führte unter Anderem die einzelnen Theile des Auges auf , z. B. Lid und Wimper ( offenbar , um nachher das peinliche Einstrupfen von Wimperhaaren anzubringen ) , er sah im Fortgang ein , daß er in's Unendliche geriethe , striech wieder aus , schrieb doch wieder , striech wieder aus und so fort . — Merkwürdig verloren steht zwischen dem Uebrigen das Gehirn , doch begreift man die Verlegenheit des Anordners ; denn von der einen Seite wird freilich jeder Eindruck im Gehirn erst empfunden , und darnach müßte eine klare Eintheilung zeigen , daß hier Alles im Mittelpunkte sich sammelt ; von der andern Seite gibt es aber doch auch lokale Leidenszustände des Gehirns und insofern war dieß Centralorgan unter andere einzureihen . Er sichtlich ist übrigens , daß er unter Gehirn auch die geistigen Funktionen in der Weise mitinbegriff , daß er an Durchkreuzungen eines Gedankenzusammenhangs durch Vorstellungen dachte , die in denselben nicht gehören , an Zerstreutheiten , Gedächtnißirrungen und dergleichen , wie solche sich dann im Sprechen äußern ; da die Zunge aufgeführt ist , so haben wir allerdings das Material beisammen , um erwarten zu können , daß dann in der betreffenden Rubrik der entsprechende Zufallsakt , also z. B. närrisches Vernennen , nicht fehlen sollte . B . Aeußere Teufel . a . Unorganisches und abgestorbene organische Stoffe . Luft . Wind . Licht . Finsterniß . Nebel . Wasser . Regen. Schnee. Eis. Erde . Morast . Pfützen . Staub . Sand . Steine . Gruben . Holzpflöcke . Strohhalme . Dorne . Härchen . Schreibfedern . Sägmehl . Eisenfeilspähne . b. Artefakte . Brillen . Haken . Nägel . Uhren . Zündhölzchen . Kerzen . Lampen . Münzen . Stiefelknechte . Schnüre . Bändel . Beinkleider . Hosenträger . Knöpfe . Knopflöcher . Rockhängeschleife. Hut. Armlöcher . Schuhe . Stiefel . Galoschen . Messer . Gabel . Löffel . Teller . Schüsseln mit Suppe und Anderem . Papier . Tinte . Böden , besonders Parketböden . Treppen . Thüren . Schlösser . Wände . Fenster . Kandeln . Fußbänke . Wägen , speziell Eisenbahnwägen . c. Pflanzen . Blatt . Stengel . Zweig . Ast . Stamm . Wurzeln . Kirsch- und Trauben- und andere Kerne . Erbsen . Bohnenfasern . Spitzgras . Brennnesseln . d. Thiere . Insekten . Vögel . Mäuse . Rind . Pferd . Hunde . Katzen . Hasen . Rehe . Hirsche . Roß . Elephant . Würmer . Fische . Gräten . e. Menschen . Kinder . Frauen . Männer . Greise . Stände : besonders vornehme . An dieser Stelle wimmelte es von Korrekturen und Durchstrichen . Man sah in eine wahre logische Verzweiflung hinein . Der Verfasser fieng an , aufzuzählen , nämlich die Organe , vermittelst welcher uns von außen durch Menschen verdrießliche Störungen bereitet werden , sichtbar aber erkannte er , daß er dadurch in Wiederholungen gerieth , theils mit I. A. , theils mit der folgenden Rubrik : Aktionen . Immerhin war denn nun eine — freilich sehr mangelhafte — Uebersicht der Leidensquellen und Leidensstellen gegeben . Nun mußten die Leiden selbst aufgezählt werden , die im Zusammenstoß aller dieser Dinge den leidensfähigen Theil mehr oder minder empfindlich treffen . Dieß bringt die nächste Haupteintheilung : II. Aktionen . A . Der inneren Teufel . Kratzen . Kitzeln . Niesen . Husten . Schleimen überhaupt . Tröpfchen an der Nase . Rasseln . Orgeln . Pfeifen . Raspeln. Schnarchen . Sich verschlucken . Lachkrampf . Kolik . Rheumatismen . Hexenschuß . Dumpfheit . Schlafdruck . Schwindel . Stechen . Glühen . Brennen . Toben . Brausen . Jücken . Beißen . Bohren . Rutschen . Stolpern . Fallen . Anstoßen. Danebengehen . Sich verwickeln . Fehlgreifen . Fehlschlagen . Fehltreten . Hühneraugenstich. Ueberschlagen ( der Stimme ) . Fehlsprechen . Sich vernennen . Bock schießen . Vergessen . Mit sich reden . Im Schlaf sprechen . Verwechseln . B . Der äußeren Teufel . Hier hat es denn , wie wir vorbereitend schon bei I. bemerkt haben , dem Verfasser große Schwierigkeiten gemacht , daß er Vieles , was der Rubrik I. B. a. ( unorganische und abgestorbene organische Stoffe ) entspricht , bereits unter II. A. gebracht hat , als z. B. Rutschen , Stolpern , Fallen : Ereignisse , die allerdings öfters ohne erkennbares Einwirken eines äußern Teufels vorkommen , am öftesten aber doch durch solche herbeigeführt werden , die sich in Schnee , Eis , Steine , Holzpflöcke , Strohhalme verstecken . Auch was die weiteren Eintheilungen unter I. B. betrifft , so konnte er in gegenwärtiger Rubrik nicht mehr mit ihnen zurechtkommen , wenn er in dieser letzteren Eintheilungsfelder ziehen wollte , die den I. B. a. b. c. d. e. logisch entsprächen ; denn es ist doch klar , daß z. B . Sich verstecken eine Tücke ist , welche von der Schreibfeder , die unter I. B. a. vorkommt , ebenso häufig verübt wird , als von der Brille , die unter I. B. b. auftritt . Er ließ also in dieser jetzigen Rubrik alle Untereintheilung weg und schrieb getrost ohne symmetrische Ordnung nieder , was ihm eben gerade einfiel , als z. B. : Sich verstecken . Einhaken . Fallen . Fliegen . Flattern . Knotenbilden . Zu weit , zu eng sein . Fortrollen . Gleiten , Mitgehen (— ein Randzeichen verweist hier auf ein Beiblatt , das Belege enthält , als z. E. : ein Jahr lang wird in der Registratur der letzte Bogen eines Aktenstoßes verzweifelt und vergeblich gesucht , endlich findet er sich auf dem Grund eines andern Faszikels ; er war beim Verpacken mitgegriffen worden . Der Leser wird sich erinnern , daß A. E. dieses hochwichtige Ereigniß auch in Brunnen erwähnt hat . Folgt noch eine Reihe ähnlicher Trauerspiele ) . Klemmen . Ankleben . Ein Loch kriegen. Umstrupfen ( z. B. Regenschirm , Handschuh ) . Verlöschen , ausgehen . Dazwischen rennen , reden u. s. f . Nun fügte er zu den Aktionen A. der inneren , B. der äußeren Teufel noch eine Rubrik und zwar : C. Kombinirte Aktionen oder Häufungen . Man versteht , daß hier das Zusammentreffen von zwei oder mehreren Unfällen an die Reihe kommt . Hier war denn aufzuführen z. B. Husten und Hexenschuß vereinigt ( Beisatz : „ so daß bei jedem Hustenstoß ein Schmerz durch's Kreuz geht , als führe ein glühendes Bajonet hinein . “ ( Der Verfasser hatte hier im Zorn einen Fluch beigesetzt , doch sich fassend ihn wieder gestrichen . ) Hier ferner : Katarrh und Kolik ( Beisatz : für letztere rother Wein verordnet , für ersteren verboten ) ; Kolik auf der Eisenbahn . Hut vom Wind fortgerollt , gleichzeitig eine Galosche vom Fuß verloren , auch summirt mit Umstrupfen des Schirms , etwa überdieß mit Hinunterfallen der Brille . Merkwürdigerweise steht unter Anderem ahnungsvoll , als hätte er vorausgesehen , was ihm auf der Fahrt nach Luzern widerfuhr : Stimme überschlagen , Hängenbleiben , Fallen vereinigt . Welche Schwierigkeiten sich hier einer den andern Theilen parallel entsprechenden Anordnung entgegenstemmten , werden wir sehen ; erst müssen wir alles Material beisammen haben . Der Verfasser begnügte sich nicht mit den bisher aufgereihten Rubriken . Als Mann von Geist mußte er diese nackte Aufzählung von Mißgeschicken , die großentheils nur sinnlicher Art sind , doch ungesalzen finden . Es fehlte noch eine höhere Beziehung , eine ideale Beleuchtung . Es sollte dargestellt werden , wie die Teufel lügen , als wären die Künste , womit sie die Menschen foltern , schöne Künste , als wäre ihre Hölle ein Paradies , ein Himmel , ihre Folter- und Schmachwelt eine Welt der Romantik . „ Schön ist häßlich , häßlich schön . “ So beschloß er denn , seinem Aufzählungssystem eine ästhetische Weihe zu geben , ein Afterbild von Weihe freilich , eine Taufe des Satans , eine Glorie von farbig schillernden Lichtern aus dem Schwefelpfuhle des Abgrunds . Dieß sollte vollzogen werden durch Zusammenstellung der aufgezählten Uebel mit den schönen Künsten und deren Zweigen . Dabei schien er es mit der Architektur und Skulptur ohne Erfolg versucht zu haben , dagegen mit der Malerei , Musik und Poesie gieng es ihm sichtbar besser — vorerst nämlich — d. h. im Konzept , auf den Beiblättern . Hier hat er sich zunächst seine Rubriken aufgestellt : Malerei mit ihren Zweigen : Landschaft , Sittenbild , Historie , dazu Untereintheilungen : Freske , Staffeleibild und Anderes . Musik : Instrumentalund Vokalmusik ; in Untereintheilungen steht : Dur , Moll ; verschiedene Taktarten , tempi , Ouvertüre , Symphonie ; Lied , Arie ; Duett , Terzett , Quartett und so manches Weitere . Bei Poesie fehlte natürlich nicht die Hauptunterscheidung : Lyrik , Epos , Drama ; bei Lyrik : Hymne , Dithyrambus , Ode , Elegie , Lied , Ballade . Bei Epos fand sich die beliebte Eintheilung : ernstes und komisches nicht , — begreiflich , da in diesem ganzen System Alles komisch ist , nämlich für uns , und Alles sehr ernst , nämlich für seinen philosophischen Urheber . Nicht vergessen waren natürlich die modernen Formen der epischen Dichtung , Roman und Novelle . Bei Drama wird in erster Linie die Gliederung in Exposition , Schürzung und Katastrophe betont , sodann der Unterschied der Style : klassisch hoher Styl und modern charakteristischer oder realistischer . Die Eintheilung : Tragödie und Komödie fehlt aus demselben Grunde , warum diese Stimmungsgegensätze im Epos nicht aufgeführt sind . — Als Anhang zur Poesie ist noch die Rhetorik aufgeführt . Dieß also das Ganze des Materials , das zusammenzustellen war . Wie es nun tabellarisch ordnen ? Für I. A. B. wurden zuerst senkrechte Felder durch Linien abgetheilt und das Einzelne in Kolonnenform hineingeschrieben . Es machte sich sehr ungleich : für die inneren Teufel ( A. ) hatte der Schöpfer dieses Systems , wie der Leser mit uns schon begriffen hat , keine nähere Eintheilung finden können . Er hatte es versucht , z. B. indem er setzte : a ) Bedeckung , b ) Eingeweide , c ) Schleimhäute , d ) Sinne , e ) Glieder , f ) Muskel , g ) Nerven , Gehirn u. s. w. ; allein er gab es wieder auf , da er sah , daß sich hier so nicht trennen lasse , indem doch , um nur Ein Beispiel anzuführen , die Nase hauptsächlich um Schleimhaut leidens willen aufgeführt war , die Schleimhäute aber unter einer andern Nummer standen . Dagegen die äußeren Teufel ( B. ) erfreuten sich ja einer ziemlich reichlichen Disposition . — Nun gieng es an die Aktionen . Für diese wurden wagrechte Felder abgetheilt , das Einzelne kam also in ebensolche Linienform zu stehen ; der Papierbogen wurde in derselben Dimension in zwei gleiche Hälften getheilt , die eine für innere Aktionen , die andere für äußere . Viereckige Fächer waren jetzt entstanden und in ihnen sollten je die bezüglichen Aktionen sowohl mit den betreffenden Organen des Körpers , als auch mit den äußeren Teufeln sich zusammenfinden . Sie fanden sich auch etwa da und dort zusammen , z. E. Eisenfeilspähne mit Augen oder Härchen mit Schreibfeder , aber dieß eben nur ausnahmsweise , im Ganzen entstand lediglich ein kunterbuntes Gemische . Nun aber die kombinirten Aktionen ! Für sie wurden Linien gezogen , welche die vorigen Quadrate in der Diagonale schnitten , so daß also nun auch ein System von Dreieckfeldern entstand . Jetzt sollten denn zum Beispiel Hexenschuß und Husten aufeinanderstoßen und zwar ersterer zugleich mit : Kreuz , der zweite mit : Schleimhäute ; allein es gieng nicht anders , als vorher , wo das Einzelne von I. A. B. mit dem Einzelnen von II. A. B. richtig zusammentreffen sollte : die Sachen trafen eben nicht zusammen , oder ebenso wie vorhin nur ganz ausnahmsweise fand sich etwa : Fortrollen mit Hut und Morast in nachbarlicher Stellung . Und endlich die Künste ! Für diese , das gesammte Gebiet der realen Leiden überspannende Idealbeziehung wurde wiederum eine Quereintheilung angeordnet : Diagonalen , die mit den vorigen sich kreuzen , so daß jetzt sämmtliche Vierecke nicht mehr nur in zwei größere , sondern in vier kleinere Dreiecke , dem Kreuzgewölbe gleich , zerfielen . Nun gieng es aber eben nicht anders , als bei den früheren Eintheilungen . Es war leicht abnehmen , wohin der Schalk eigentlich zielte , auf Beiblättern war sogar ausdrücklich vorgemerkt , was zusammentreffen sollte , es braucht dem denkenden Leser nicht gesagt zu werden , welche Unfälle mit welchen Formen der Musik , welchen Instrumenten , ferner mit welchen Formen der Dichtkunst sollten nebeneinander zu stehen kommen . Allein es wollte eben wiederum nicht gehen ; ausnahmsweise wohl auch hier : z. B. Hals , Kehle , Schnarchen , Fagot trafen zusammen , aber Anderes , was noch viel klarer sich zusammenfinden sollte , verirrte sich rein irrationell in andere Kreuzgewölbe . Es ist schon erwähnt , daß unser Tabellenbildner behufs klarerer Unterscheidung auch zu den Farben griff . Offenbar waren es die Künste , die ihn dazu gestimmt hatten , dieß augerfreuende Mittel beizuziehen . Ein starkes Blau sollte diesen Pseudohimmel charakterisiren und war in den starken Strichen der genannten zweiten Diagonalen repräsentirt ; nun wurde die koloristische Behandlung fortgesetzt ; kombinirte Aktionen feuerroth ; einfache Aktionen grün in zwei Schattirungen , innere Teufel gelb , äußere rothgelb . Die Farben waren am leeren Rand ungemischt vorgesetzt . Aber nun , da in allen Feldern Alles zusammentraf , durchdrangen sich ja alle diese Farben und entstand ein verschwommenes Schmutzbild , unter dessen Geschmiere man die Schrift kaum noch lesen konnte . Diese und alle vorhin genannten Uebelstände bestimmten den Künstler , es öfters auf 's Neue mit andern Anordnungen zu versuchen : l. A. B. wagrecht , II. A. B. senkrecht , die linke Diagonale ( kombinirte Aktionen ) rechts , die rechte ( Künste ) links , das Einzelne in allen Rubriken umgestellt , das Farbengemengsel durch feine Lasuren gemildert : — Alles umsonst , das Gewirre und Gekleckse wuchs und wuchs und spiegelte sich so sichtlich auf den Hauptbögen und Beiblättern ab , daß aus diesen stummen Flächen in mein eigenes Gehirn der Wahnsinn herüberzuschweben drohte . Ich warf den schnöden Papierhaufen zu Boden , eine gründliche Empörung kam über mich . Ich wußte doch genug von diesem Menschen , um ihm ein höchst empfindliches Gefühl des Werthes seiner Zeit zuzutrauen . Man durfte ihn nur eine Stunde kennen , um überzeugt zu sein , daß sein Geist immer in Arbeit war . Sein Grimm über die kleinen Zufälle war ja in seiner besseren Quelle nichts Anderes , als Grimm über Zeitraub , der auf einer Vergleichung des Werths der kleinen Außendinge mit dem Werthe seiner Geistesthätigkeit ruhte . So konnte man den Widerspruch begreifen und verzeihen , daß er eben aus diesem Grimm bei der Betrachtung jener Dinge sich aufhielt und eben die Zeit , deren sie nicht werth sind , ihnen widmete . Aber nun diesen Widerspruch so weit treiben , sich so schwer an seiner Zeit versündigen : das war denn doch zu arg , war unverantwortlich , war abscheulich ! Mir fiel wieder ein , was ich einst auf der Axenstraße ihm zu Gewissen geführt , ich hätte den Todten aus dem Grabe fordern und in Donnerpredigt wiederholen mögen , was ich ihm schon damals vorgehalten , ich ballte den Papierhaufen zu einer großen Kugel zusammen und schleuderte sie an die Wand , als wäre ihre Fläche die Stirne des strafwürdigen Sünders . Doch dessen schämte ich mich wieder , legte den Knäuel vor mich hin , sah ihn ruhig an und fand bei gesammeltem Nachdenken , daß dieser närrische Versuch so ganz unmerkwürdig eben nicht sei , freilich nur im negativen Sinne , nemlich als abschreckendes Beispiel . A. E. wollte der Weltordnung — allerdings nur dem unteren Stockwerk derselben , denn an der Güte des oberen Stockwerks , des sittlichen Reiches , war er ja nicht verzweifelt — den Possen spielen , ihr einmal tabellarisch vor die Augen — als hätte sie solche — zu rücken , was für eine schlechte Ordnung sie sei . Also ein geordnetes Bild des Ungeordneten sollte auf gebaut , eine harmonische Uebersicht über alle disharmonischen Durchkreuzungen sollte hergestellt werden . Wie konnte es anders kommen , als daß das Objekt auf das Subjekt , der Inhalt auf die Form sich übertrug ? Durchkreuzungen sind ja Durchkreuzungen , ich kann sie nicht berechnen , nicht ordnen , sie laufen von und nach allen Seiten , sind rein unbestimmbar ; so mußte denn die Uebersicht einer ungeordneten Welt natürlich selbst ungeordnet , das Bild der Disharmonie selbst disharmonisch werden ; es gibt ja keinen Plan für's Planlose , kein System des Systemlosen . — Ich wollte , da sie nun in diesem verneinenden Sinne Werth für mich bekamen , die Papiere doch nicht zerstören , faltete den Klumpen wieder auseinander , glättete die Bögen , da fiel mein Blick auf eine Stelle , wo ein Wort stand , das ein in dunkler Ferne schwebendes Erinnerungsbild in mir auffrischte . Es hieß amplificatio . Ich sah aufmerksamer nach . Es kam vor bei der Rubrik Rhetorik . Dort standen einige der Namen , mit welchen die alte Wissenschaft der Beredtsamkeit gewisse Theile der Rede lateinisch zu bezeichnen pflegte : exordium , narratio , reprehensio und dergleichen . Amplificatio nannte man eine Prachtwendung am Schlusse , worin der Redner durch eine Fülle von Bildern und Häufung konzentrirter Beweissätze seine Weisheit noch einmal tüchtig aufputzt , um so mit einem recht flotten Trumpf abzutreten . Diese amplificatio sollte nun auf der Tabelle zu einem Hauptstück kombinirter Aktionen zu stehen kommen . Und dießmal war es ihm denn wirklich gelungen , das Wort zusammenzubringen mit der vorhin erwähnten Kombination : Husten , Hängenbleiben , Fallen . Geheimnißvoller Zug des Menschenschicksals ! Als hätte er es geahnt , was ihm kurz darauf bei Küßnacht widerfahren sollte ! War es ein Wunder , wenn er uns das gelehrt klassifizirende Wort zurief , als seine Ahnung so furchtbar sich erfüllt hatte ? Und nun — was konnte ich machen ? — nun dauerte er mich wieder . Gesondert vom Uebrigen theile ich ferner die unvollendete Skizze eines Singspiels mit , die mir beim Blättern in die Hände fiel . Die Ueberschrift bezeichnet dieß Produkt als Singtragödie . Akt I . Szene 1. Schreibzimmer . Personen : Ein Härchen . Tinte . Eine Schreibfeder . Ein Buch . Das Härchen , mikroskopisch klein , in einem Tintenfaß befindlich , trägt im dünnsten Sopran eine Arie vor , Text gerichtet an die daneben liegende Schreib feder , welche den ausgedrückten bösen Absichten Entgegenkommendes in einer Antistrophe spitz vorträgt , hierauf entsprechendes Duett . Demnächst Rezitativ , Baßstimme , ausgehend von einem Buch auf dem Bücherbrett über dem Schreibtisch . Kichernde Antwort von Geistern in der Tinte . Duett von Tinte und Buch vereinigt sich mit Härchen und Feder zu einem gefühlten Quartett . Szene 2 . Personen : Hilario , schöner Jüngling . Die Vorhergehenden . Man hört Schritte , genannte Geister verstummen . Hilario tritt ein . Monolog . Hilario liebt auf's Aeußerste eine Jungfrau Adelaide . Ist schüchterner Komplexion , hat noch kein Wort gewagt , beschließt zu schreiben . Tunkt ein . Härchen und Feder vereinigen sich innig , Hilario wird nach mehreren Versuchen , mit dem verfluchten Pinsel zu schreiben , sehr wild , schreibt Grobheiten statt Zärtlichkeiten . Neue Feder . Fängt von vorn an . Es geht fließend vorwärts . Beschließt Citat aus Petrarka . Will den Band herabnehmen , er fällt auf's Tintenfaß , das ganze Schreiben wird schwarz übergossen . Hilario beschließt in Verzweiflung , es doch mit dem lebendigen Worte zu ver suchen . Er hofft , der Geliebten im Park zu begegnen , will wagen , sie anzureden . Ab . Hinter ihm her höllischer Lach-Chor genannter Personen der ersten Szene . Szene 3. Park . Personen : Eine Pfütze . Ein Hühnerauge . Arie mit einem gewissen klebrigen Etwas in der Tonfärbung vorgetragen von der Pfütze , entsprechend von Instrumenten begleitet . Ein weißlicher Punkt schwebt herbei ; derselbe erweist sich , näher sichtbar , als Hühnerauge ( äußerst giftiger Blick und Gesammtausdruck ) . Arie : hornig harter , friktiv brennender Ton . Text offenbart teuflische Absichten . Verschwörungsduett zwischen Beiden . Akt II . Szene 1 . Personen : Die Vorhergehenden . Hilario . Adelaide , selbstbewußte Jungfrau . Vögel . Hilario tritt auf , heiter gespannt , das Hühnerauge schwebt , einen feurigen Faden durch die Luft ziehend , nach ihm hin , verschwindet in seinem Lackstiefel . Er winselt , hinkt , fällt in die Pfütze , wird sehr dreckig . In diesem Augenblick erscheint Adelaide . Lacht sehr , verhöhnt ihn bitterlich . Beide ab . Triumphchor genannter Objekte , vermehrt durch Vögel , welche von Bäumen zugeschaut . Dieß wird genügen , ein Bild von A. E. 's Komposition zu geben ; ich darf die Geduld des Lesers nicht durch weiteren Auszug ermüden . Es genügt , noch zu erwähnen , daß die Skizze andeutet , Hilario wisse , durch einen Kampf mit einer Reihe ähnlicher Hindernisse vordringend , endlich doch Adelaidens Liebe zu erringen , eineselige Stunde werde ihm in Aussicht gestellt ; dann folgt noch eine um Weniges ausgeführtere Szene : Szene X. Apotheke . Personen : Ein Kolben mit Mandelmilchsyrup . Eine junge Katze . Ein junger Apotheker . Hilario . Arie obgedachten Kolbens : weichlich zäher , doch zugleich tückischer Ton , entsprechender Text . Junge Katze erscheint ; kindlich heiterer Gesang . Duett . Sehr eilig eintretend Hilario . Aus dem Nebenzimmer kommt der Apotheker . Hilario bittet sehr dringend um einige Tropfen Laudanum , der Apotheker verlangt ärztlichen Vorweis , und allzu gewissenhaft (— noch junger Gehülfe — ) , da Hilario solchen nicht besitzt , verweigert er die Bitte . Hilario : „ dann Mandelmilch , schnell ! “ — Apotheker : „ dieß gern ! “ holt den Kolben , stolpert über die junge Katze , der Kolben liegt zerschellt am Boden . Hilario rasend ab . Furienhafter , grell-gellender Verhöhnungschor der Scherben und der Katze . Trio mit der Jammerstimme des Apothekers . Hier brach das Fragment mit einem wilden Fahrstriche der Feder ab , die dann wie toll in kratzigen , borstigen Linien auf dem Papier umhergewüthet haben , hierauf etliche Male senkrecht aufgestaucht worden sein mußte ; dieß bewiesen starke , von Spritzaureolen umgebene Tintenkleckse . Das pathologisch geschnellte Abbrechen war mir nicht gerade komisch , es gab an Anderes , wenn auch noch so Verschiedenes , zu denken . Bei weiterem Durchstöbern stieß ich auf eine Schichte gedruckter Blätter , auf deren Rand ich Anmerkungen mit rother Tinte bemerkte . Das Gedruckte konnte nicht von A. E. verfaßt sein , es war der Anfang eines Romans , dessen Styl und Inhalt weiblichen Ursprung erkennen ließ , das Titelblatt fehlte . Auf einem Beiblatt stand von seiner Hand geschrieben : „ Das ist keine Kunst , ideal thun , wenn man Alles ungenau nimmt . Wart' , Blaustrumpf , wart' , Gans , ich will dir 's einmal zeigen ! Meinst du , die Dinge der Welt laufen nur so glattweg in geölter Kurbel ? “ Ich stelle einige Sätze heraus mit den Anmerkungen , um einen Begriff von diesen Korrekturen zu geben : „ Es war ein lachender Morgen Ende Augusts . Wir standen reisefertig . Der gute , liebe Onkel ! Es war ihm schwer geworden in seinen Jahren , aber er hatte sich entschlossen ; mein Sehnen sollte erfüllt werden ; er führte mich nach Paris . Die Koffer waren gepackt — Anmerkung : bis auf einen , den Hauptkoffer , wozu der Schlüssel verlegt war — Die Droschke war bestellt — Anm. : und kam nicht . Endlich steigen wir in den Wagen — Anm. : wobei der Onkel fehltrat und umfiel — Wir sitzen , das Dampfroß schnaubt , die Räder beginnen zu rollen — Anm. : das Handgepäck fällt aus dem Netzfach und treibt dem Onkel den Hut an . Noch ein Gruß an die liebe Schwester Ida , ein Schwenken meines Tuchs — Anm. : wobei das Fenster fällt und mir die Hand einklemmt . Der Kondukteur coupirt , o , er erschien mir wie ein Götterbote , der meine Seele nach Elysium einlade — Anm. : doch der Onkel fand unsere Billette nicht . Mir gegenüber — o schöner Anfang ! ein junger Mann — in Civil — hat aber etwas edel Kriegerisches , selbstbewußte Haltung , Blick lebhaft , dabei etwas männlich Herrschendes und doch zugleich so Feines — wohl Gardeoffizier ? Anm. : worauf besagter Herr den einen und dann den andern Fuß neben den Onkel auf's Polster hinüberlegt und der Onkel sich sanft beschwert und eine sackgrobe Antwort bekommt . Mit ritterlich gefälligem Tone fragt mich der junge Mann , ob ich erlaube , daß er das Fenster öffne — Anm. : welches geschieht und worauf dem Onkel eine Kohlenfaser in's Auge fährt . Balsamische Morgenluft weht herein , Städte und Dörfer im Sonnenglanze fliegen vorüber , die Schwalben schwirren , die Natur taucht , badet , schwimmt beseligt in sich selbst . Ja , die Natur hat Seele , sie ist doch immer seelisch besagend . Die Natur ist Geistflüsterung , der Mensch Geistsprechung , sie ist Geistduftung , der Mensch Geistblitzung . — Dieß ist ein Gedanke ! Ich zeichne mir ihn in mein Poesiealbum . — Und nun , du Natur der Natur , goldiger Süden , dufte mir labend entgegen ! Anm. : Sie sucht die mitgenommenen Orangen , der liebe Onkel hat sie versessen . Wehe ! kann wolkenlos kein Himmel bleiben ? Das lachende Antlitz der Natur trübt sich , ein Strichregen beginnt zu fallen , sie sinkt sich selbst als weinendes Kind in die Arme . Aber warum so heftig , deine Thränen netzen mich zu stark ! ‚ Ja , bitte , edler junger Mann , schließen Sie das Fenster —‘ Anm. : welches eingequollen ist , weßwegen der Onkel mithilft . Beide drücken und da es rasch nachgibt , stoßen sie die Scheibe hinaus . “ Genug und wohl schon allzuviel , der Spaß wäre geradezu langweilig zu nennen , wenn er nicht auf eine Steigerung losarbeitete ; ich darf nicht verschweigen , daß diese etwas stark ist , indem die Scherben der Scheibe auf die Sitze fallen , und da ich eine Pflicht fühle , die vielleicht zarten Nerven des Lesers zu schonen , so breche ich ab , wiewohl es an einigen Witzkörnern im Folgenden nicht fehlt . Uebrigens waren es nur wenige Blätter ; die Nörgelei muß dem Krittler selbst denn doch entleidet sein oder er muß gefühlt haben , daß ja jede seiner Anmerkungen die folgende und so den ganzen Roman aufhob . Haben diese grillenhaften Phantasieen , wie sie bis in die Schnurre , die Kinderei ausschweifen , den hartgeprüften Leser verdrossen , geärgert , fast um die Geduld gebracht , so söhnt er sich doch vielleicht mit dem schiefgewickelten Manne wieder aus , wenn er nun im Tagebuche die Goldfäden findet , die sich durch das bunte Garn dieser Wicklung reich und stark hindurchziehen . Das Feinste dieses Goldes ist Denken , philosophisches Denken , „ des Menschen allerhöchste Kraft “ . Ob man darum den Mann einen Philosophen nennen darf , das freilich ist eine Frage : ich enthalte mich , das Wort darüber zu nehmen , das Tagebuch mag selbst antworten . Vielleicht ist ein Theil des innern Unglücks in diesem Leben auf dieser Stelle zu suchen ; der Leser wird Andeutungen finden , die dahin zeigen ; vielleicht trug es zu seiner Verstörung bei , daß die Mischung der Kräfte in ihm zu bunt war , um der edelsten ein gerades und ausgewachsenes Gebilde zu erlauben . Und doch war sie stark genug , ihrer Gegenfüßlerin , der Phantasie , des Raumes so viel wegzunehmen , daß ihr dieselbe Hemmung widerfuhr . Freilich ist es mit diesem bunten Theil des Einschlags an sich schon eben auch seltsamlich bestellt ; der Weber neigt zu sehr zum Zickzack , als daß man ein harmonisches Geflechte von ihm erwarten könnte , und wir dürfen es ihm wohl immerhin gutschreiben , daß er es dieser Neigung wenigstens abgerungen hat , die Pfahldorfgeschichte fertig zu bringen , die doch in einem gewissen Sinn ein Ganzes genannt werden kann . Dieß ist aber auch das einzige Durchgeführte ; da und dort finden sich Fäden für andere Kompositionen , sie brechen aber ab , sind fallen gelassen , und so kann man schließen , daß auch nach dieser Seite ein Gefühl des Unglücks über eine unterbundene Ader in ihm umwühlte ; denn er wollte thätig sein , wollte leisten , wollte der Welt etwas sein . Was ich Zickzack nenne , dazu gehört auch eine über das Maß gehende Liebe zum Elemente der närrischen Vorstellung . Oft mußte ich schon beim ersten Durchlesen an Lichtenberg denken .