1 Leopold Heißenstein war der reichste und einer der geachtetsten Bürger des mährischen Landstädtchens Weinberg . Ob auch einer der beliebtesten , das stand dahin und machte die geringste seiner Sorgen aus . Witzbolde unter den Eingeborenen meinten , ein Mann von Geist und Geschmack sei er jedenfalls , das bringe schon sein Geschäft mit sich – das ansehnliche Weingeschäft nämlich , das sich seit Generationen in seiner Familie forterbte und das er zu unerhörter Blüte gebracht hatte . Wie Leopold der einzige Sohn seines Vaters gewesen war , so wurde auch ihm nur ein männlicher Sprosse , aber ein prächtiger Junge beschert , der den Ruhm des alten Hauses glorreich fortzusetzen versprach . Ein Töchterchen , das seine Frau ihm in den späteren Jahren der Ehe gebar , betrachtete Heißenstein als ziemlich unwillkommene Zugabe zu seinem Glücke . » Denn « , pflegte er zu sagen , » der Sohn trägt Geld in das Haus , die Tochter trägt Geld aus dem Haus . « Auf eine Mitgift übrigens , wenn auch auf eine sehr anständige , kommt es einem Manne wie Heißenstein nicht an , und damit fertigt er dereinst das Mädchen ab . Die Existenz dieses Kindes , dem Vater so gleichgültig , wurde für die Mutter eine Quelle unsäglicher Freude ; der letzten , welche die kränkliche Frau auf Erden genießen sollte . Der Sohn war ihrer Sorgfalt , sobald dies nur halbwegs anging , entzogen und nach Wien in eine Erziehungsanstalt gebracht worden . Heißenstein hatte geglaubt , ihn nicht früh genug aus der Kinderstube und den Händen der » Weibsleute « befreien zu können . Wie recht er daran getan , das wurde ihm täglich durch den unheilvollen Einfluß bestätigt , den die abgöttische Liebe der Mutter auf die kleine Rosa ausübte . Die Unarten des Kindes erfüllten ihn mit einer Art von spöttischer Befriedigung . Ihm selbst war die Unerbittlichkeit , mit welcher er Mutter und Sohn einander entfremdete , manchmal grausam erschienen – jetzt fand er sie auf das glänzendste gerechtfertigt . Daß die arme Frau sich eben mit allen Kräften ihres entschwindenden Lebens an das einzige klammerte , das man ihr ließ , daran dachte er nicht . Er war nicht gewohnt , auf die Empfindungen andrer Rücksicht zu nehmen , am wenigsten auf die seiner stillen Lebensgefährtin . Was er tat , war wohlgetan , und der Eindruck , den es hervorbrachte , gleichgültig . In sicherer Ruhe schritt er dahin , seiner selbst gewiß , nichts fürchtend , nichts bereuend . Und so , in der Fülle der Zufriedenheit , traf ihn der schwerste Schlag , der ihn treffen konnte : er verlor seinen Sohn . Der Knabe wurde so rasch hinweggerafft , daß seine Eltern , die bei der ersten Nachricht seiner Erkrankung herbeigeeilt kamen , ihn nicht mehr am Leben trafen . Es dauerte lange , bis Heißenstein an seinen Verlust glauben lernte . Die Wirkung des ersten großen Unglücks , das der zuversichtliche Mann erfuhr , war vernichtend . Für wen habe ich gearbeitet ? – Ich habe keinen Erben ! – in dieser Klage gipfelte sein Schmerz . Seine Hoffnungen waren zerstört , seine Erinnerungen vergällt . Wer blickt gern auf ein Leben voll Mühen zurück , wenn ihm die Früchte derselben geraubt worden ? Heißenstein konnte , was sein Fleiß erworben , nicht einem Namensträger hinterlassen , demnach war der Lohn seines Fleißes dahin . Mit wunderbarer Standhaftigkeit hingegen benahm sich die Mutter bei dem Tode ihres Erstgeborenen . Keiner hatte es gehört , wie sie mit dem letzten Kusse auf seine Lippen ihm die Worte zugehaucht : » Ich komme bald zu dir ! « Und von dem bleichen Toten hinweg wandte sie sich mit verdoppelter Zärtlichkeit ihrem rosigen , lebensfreudigen Liebling zu . Beständig von der Ahnung naher Trennung erfüllt , geizte sie mit jedem Augenblicke , den sie bei dem Kinde zubringen , frohlockte über jedes Lächeln , das sie ihm abgewinnen konnte , warb um seine Liebkosungen und zagte und zitterte vor seinen Tränen . Röschen war schon zu dem vollen Bewußtsein ihrer Wichtigkeit und der Unverletzlichkeit ihres Willens gelangt , als sich plötzlich die Augen schlossen , die mit verwöhnender Liebe über ihr gewacht hatten . Frau Heißenstein entschwand eines Morgens wie ein Schatten von der Wand ; ohne vorhergegangene sichtbare Krankheit , ohne die geringste Pflege in Anspruch , ohne Abschied genommen zu haben von dem gefürchteten Manne und von dem geliebten Kinde . Bevor Herr Leopold ahnte , daß auch dieser Verlust ihn bedrohe , erfuhr er ihn . Und seltsam ! Die demütige Frau , welcher er , solange sie lebte , nur eine sehr oberflächliche Beachtung gegönnt hatte , wurde von ihm jetzt so bitter vermißt , als ob sie der Mittelpunkt all seiner Interessen gewesen wäre . Das Gefühl des Verlassenseins ergriff ihn , das keinen Menschen mit solcher Trostlosigkeit überfällt wie den Egoisten , wenn die von ihm scheiden , deren Existenz er zu seinen Gunsten ausbeutete . Nun machte er den Versuch , das einzige Geschöpf , das er auf Erden noch sein nannte , an sich heranzuziehen . Allein zwischen dem an Widerspruch nicht gewöhnten Vater und seinem eigensinnigen Töchterlein wollte kein Band sich knüpfen lassen . Der Trotz und der Ungehorsam des Kindes setzten die Geduld Herrn Leopolds gar bald auf harte Proben . Er bestand sie nicht . Nach einigen stürmischen Auftritten , aus denen Rosa zwar hart mißhandelt , aber als Siegerin hervorging , erschrak ihr Vater vor seiner eigenen Heftigkeit und überließ die fernere Erziehung des Wildfangs der Magd des Hauses , einer derben und verläßlichen Person von zweiundzwanzig Jahren , mit Namen Božena . Für diese äußerte das Kind schon zu Lebzeiten seiner Mutter eine zärtliche Liebe , welche die arme Verstorbene oft eifersüchtig gemacht hatte . Rosa nannte die Dienerin , wie sie es wohl von andern gehört hatte , » die schöne Božena « und ertrug die rauhe Behandlung , die sie zeitweis von ihr erfuhr , mit fröhlicher Standhaftigkeit . Die schöne Božena hätte sich an Größe und Stärke kühnlich mit einem Flügelmanne des Garderegiments Friedrich Wilhelms I. messen können . Dabei besaß sie ein ausdrucksvolles und gescheites Gesicht , in dem ein Paar rabenschwarze Augen funkelten , die auch der mutigste Mann nicht ohne leises Grauen in Ungnaden auf sich gerichtet sah . Das Schönste jedoch an der schönen Božena war die Röte ihrer Wangen und das blendende Weiß ihrer Zähne . Allerdings konnten die Lippen , hinter denen das prächtige Gebiß zum Vorschein kam , etwas schwellend genannt werden , und was die Nase betraf , so geschah ihr kein Unrecht , wenn man sie – wie ein launiges Mitglied der Paßbehörde » ex officio « getan – » landesüblich « nannte . Gegen alles Schmucke und Zierliche empfand Božena Verachtung , aber mit der Reinlichkeit nahm sie es genau ; die Arbeit flog unter ihren Händen , und so blitzblankes Hausgerät , einen so nett gedeckten Tisch , so sauber gehaltene Stuben wie im Hause Heißenstein fand man auf Meilen in der Runde nicht wieder . Mit dem Kinde , das ihr nun ausschließlich anvertraut war , ging sie um , wie eine Bärin mit einem jungen Hündchen umgegangen wäre , für das sie eine mütterliche Zuneigung gefaßt hätte . Wenn sie ihre Riesenfaust gegen die Kleine ballte und sie mit einer Stimme anschrie , die aus der Brust eines Ogers zu kommen schien , dann lachte das verwegene Ding , aber es gehorchte . Božena war sich wohl bewußt , das Kind und der Haushalt ihres Herrn könnten schwerlich besser betreut werden , als es durch sie geschah , und lebte in tätiger Ruhe dahin ; sehr zufrieden mit ihrem Lose , ohne Furcht , daß jemals eine Veränderung eintreten könnte . Indessen wurde sie , noch vor Verlauf eines Jahres nach dem Tode der Frau , welche sie so vollständig ersetzen zu können meinte , aus ihrer Sicherheit aufgeschreckt . Das Gerücht , Herr Heißenstein stehe im Begriffe , sich zum zweitenmal zu verheiraten , verbreitete sich , und Neugierige , die durch Božena Bestimmteres darüber zu erfahren hofften , trugen es ihr zu . Sie wurden zwar mit ihrer Nachricht nicht viel besser empfangen als ein Zündfaden von einer Rakete , aber so fest überzeugt , als Božena zu sein vorgab , ihr Herr werde » keine solche Dummheit « begehen , war sie doch nicht . Von Stunde an begann sie den Gebieter unter scharfer Aufsicht zu halten . Trotz der größten Aufmerksamkeit vermochte sie jedoch nicht die geringste Veränderung , weder in seiner Lebensweise noch in seiner Stimmung , wahrzunehmen . Höchstens daß sich die letztere in der jüngsten Zeit noch um etwas verschlechtert hatte . Und Božena , deren Weise es sonst war , wenn sich eine Wolke auf dem Gesichte ihrer Herrschaft zeigte , auf dem ihren sofort ein ganzes Gewitter aufsteigen zu lassen , lächelte jetzt um so freundlicher , je finsterer der Kaufmann erschien . Als dieser eines Abends mit ganz besonders verdrossener Miene heimkam und , nachdem er Befehl gegeben , das für ihn bereitstehende Abendessen wieder abzutragen , sich in sein Zimmer begab , hatte Božena Mühe , ihren Jubel zu unterdrücken . » Gute Nacht ! « rief sie Herrn Leopold mit ihrer süßesten Stimme nach und setzte für sich triumphierend hinzu : Er hat ihn , den Korb ! Sie schlief sehr gut in dieser Nacht und begab sich mit ausgezeichnetem Frohmut am nächsten Morgen an die Arbeit . Es war Sonntag , und da gestern besonders gründlich gescheuert worden war , genügte heute eine leichte Nachhilfe . Božena beschäftigte sich eben mit Besen und Wischtüchern im Speisezimmer , da trat ihr Herr Heißenstein entgegen , glatt rasiert und stattlich , das Gebetbuch in der Hand . » Mach fertig « , sprach er , » kleide Rosa an . Ich werde nach der Messe meine Braut hierherbringen , damit sie das Haus und das Kind kennenlerne . « Nur ein König , dem Krone und Zepter plötzlich entrissen wurden , weiß , was Božena bei diesen Worten empfand . Ihr Blick zuckte an Heißenstein wie ein Blitz vom Wirbel bis zur Sohle hinab , und unter der Fülle von Geringschätzung , die sich auf ihre Lippen gelagert hatte , erschienen dieselben noch dicker als sonst . » Braut ? « rief sie . » Sie wollen wieder heiraten ? ... Wozu denn ? « Herr Heißenstein richtete sich , so hoch er konnte , der Riesin gegenüber auf , knöpfte mit stolzer Entschlossenheit seinen neuen dunkelbraunen Winterrock zusammen und erwiderte : » Meine Tochter braucht eine Mutter , und ich brauche einen Sohn . « Damit verließ er wuchtigen Schrittes das Zimmer . 2 Die Braut , die der angehende Greis sich erkoren hatte , war die Tochter eines Professors am städtischen Gymnasium . Nach dem Tode ihres Vaters hatte sie sich in die Landeshauptstadt begeben , um dort eine Stelle als Erzieherin des Grafen Karl von Rondsperg anzutreten . Zehn Jahre hindurch wurde diese Position unter mancherlei Kämpfen siegreich von ihr behauptet . Nach dem Verlaufe jener Zeit war – wie die Gouvernante auf das bestimmteste erklärte – die Erziehung der Zöglinge vollendet . Aller Schmuck der Bildung setzte die angeborenen Vorzüge der jungen Komtessen in das hellste Licht . Fräulein Nannette hielt in Gegenwart der gräflichen Eltern und einiger hochgeborenen Angehörigen eine kleine Rede , in der sie den Satz verfocht , daß sagen zu sollen , was hier noch zu lehren sei , ihr die größte Verlegenheit bereiten würde . Helle Freudentränen , welche über die männlichen Wangen des Vaters und über die zarten Wangen der Mutter liefen , belohnten die Spenderin einer so ehrenhaften Anerkennung . Durch den Anblick der hervorgebrachten Wirkung berauscht , ließ sich die Rednerin zu einem uneingeschränkten Lobe der opferfreudigen Unterstützung , welche ihren pädagogischen Bestrebungen von seiten des edlen Elternpaares stets zuteil geworden sei , hinreißen . Die Erschütterung aller Gemüter wurde dadurch noch erhöht ; und als Fräulein Nannette mit den Worten schloß , es bleibe ihr nun nichts mehr zu tun übrig , als zu scheiden und die Erinnerung an all das genossene Gute mit sich zu nehmen , baten der Graf und die Gräfin , sie möge ihnen das Herz nicht zerreißen . O schöne Stunde ! unvergeßlicher Anblick ! Alle Anwesenden umschlangen Fräulein Nannette in einer Umarmung und küßten sie auf ihren Mausmund . Der Herr Graf aber begab sich stracks in sein Zimmer und ließ aus der Kanzlei Tinte und Papier holen . Er setzte unter dem Beistande seiner Gemahlin und des Gutsverwalters ein Diplom in die Welt , das ein Wunder war an Auffassung , Stil und pompöser Sprache . Es ließ sich kein einziger Schlußpunkt darin erblicken , die Sätze flossen ineinander und auseinander , ein Redestrom so breit , wie die Aufzählung der Tugenden , Verdienste , Vorzüge und Talente Fräulein Nannettens ihn erforderte . Und so gestaltete sich die Abreise der plötzlich allen teuer gewordenen Hausgenossin zu einem wahren Familienfeste . Die heiligsten Schwüre ewiger Liebe und Dankbarkeit wurden ausgetauscht , und Vater , Mutter und Töchter einerseits , Fräulein Nannette andrerseits brachten es im Taumel ihrer Gefühle so weit , nicht nur zu sagen , nein , auch zu glauben , die Zeit ihres Zusammenlebens sei eine schöne und glückliche gewesen . Die Erzieherin hatte beschlossen , ehe sie daran ging , sich einen neuen Wirkungskreis zu schaffen , einige alte Verwandte zu besuchen , die ihr im heimatlichen Städtchen noch lebten . Sie kehrte denn nach Weinberg zurück an der Spitze ihres großen Ruhmes , ihrer kleinen Pension und einiger Ersparnisse . Der Nimbus , den der jahrelang gepflogene Umgang mit vornehmen Leuten ihr verlieh , umstrahlte sie mit schier unheimlichem Glanze und imponierte besonders denen unter ihren Mitbürgern die sich für eingefleischte Demokraten hielten . Schon einige Tage nach Nannettens Ankunft – und etwa drei Vierteljahre nach Frau Heißensteins Tode – begegneten einander auf der Promenade der reichste Sohn und die gebildetste Tochter der Stadt . Sie drückte ihm ihre Teilnahme an seinem Verluste in Worten aus , die man so geschmackvoll gewählt noch nie vernommen hatte unter den Kastanienbäumen der städtischen Anlagen . Sie gedachte auch mit Wehmut der freundschaftlichen Beziehungen , in welchen sie in schönen Jugendtagen zu der edlen Verklärten gestanden . Ihr größtes Mitgefühl jedoch erregte die Sorge , die dem » alleinstehenden Witwer « aus dem Dasein einer Tochter erwuchs . » O Herr Heißenstein , welche Aufgabe für Sie , dieses Dasein ! Eine Aufgabe , deshalb so groß für einen Mann , weil sie eigentlich zu klein für ihn ist . Wie soll er dem erziehlichen Momente gerecht werden , das alles ist , Herr Heißenstein , alles ! « Sie legte auf dieses letzte Wort ein Gewicht , das zusammengeballt schien aus der Überzeugungskraft von tausend fanatischen Seelen , empfahl sich mit bescheidener Würde und enteilte mit so gleichmäßigen kleinen Schritten , daß es war , als rolle sie auf unsichtbaren Rädern über den Kies des Weges dahin . Herr Heißenstein blickte ihr eine geraume Weile nach und dachte : Das erziehliche Moment , ja ja – das erziehliche Moment ! Er wußte freilich nicht , was sie darunter gemeint hatte , aber die Worte prägten sich seinem Gedächtnis ein , und zugleich erwachte in ihm ein gewisser Respekt vor dem erstaunlichen Frauenzimmer , das solche Ausdrücke mir nichts , dir nichts gebrauchte , wie gewöhnliche Menschen Wasser oder Brot sagen . Er sah sie wieder , er besuchte sie ab und zu bei ihren alten Verwandten . Die Ehrfurcht , welche von diesen dem Fräulein gezollt wurde , und die demütige Liebenswürdigkeit , mit der die Verehrte ihn behandelte , taten seinem stolzen Herzen wohl . Er gewann die Überzeugung , daß er sich im Notfalle an Nannettens spitzes Gesicht würde gewöhnen können . Leicht wurde ihm der Entschluß , sich ein zweitesmal zu verheiraten , nicht , aber er faßte ihn doch , dem Hause , dem anzuhoffenden Erben zu Ehren , dessen Mutter zu werden die über alles Lob erhabene Dame Nannette ihm gerade gut genug schien . Feierlich trug er ihr denn eines Tages seine breite Rechte an , und sie legte ihr Pfötchen mit einer Eile hinein , die ihn fast bestürzt machte ob seines raschen Glückes . Sein Wort war kaum verpfändet , als er sich von der Ahnung ergriffen fühlte , er habe der Erhaltung seines Stammes ein schweres Opfer gebracht . Die nächste Zukunft rechtfertigte diese Befürchtung ; es war ein unseliger Ehebund , den Herr Leopold mit Frau Heißenstein II. schloß . Der Mann , starr , unbeugsam , von dem Glauben an sich selbst durchdrungen ; die Frau , von dem Teufel der Hofmeisterei besessen , hätte leichter auf das Atemholen als auf das Spenden guter Lehren verzichtet . Sie unterzog das Benehmen ihres Gatten , seine Art , zu gehen , zu grüßen , zu sprechen , zu essen , einer beständigen Kritik und suchte ihn in allen diesen Beziehungen durch ihre Ratschläge auf das gründlichste zu reformieren . Der erstaunte Herr Heißenstein ließ sich dies alles eine Zeitlang ruhig gefallen , er begriff nach und nach , was sie damals gemeint haben mochte , als sie von dem » erziehlichen Momente « sprach , das » alles « sei . Er schwieg lange , plötzlich jedoch fuhr er empor und war im Zorne so fürchterlich , daß Frau Nannette sich von dem Schrecken , den er ihr in diesem Augenblicke einflößte , nie mehr ganz erholte . Er erklärte ihr , er sei , ohne jemals » erzogen « worden zu sein , zu Vermögen , Ansehen und hohen Jahren gekommen . Er denke nicht daran , jetzt nachzuholen , was er , ohne den geringsten Schaden davon zu verspüren , in seiner Jugend versäumt habe . Der Mensch lebe nicht , dem zuliebe er auch nur eine seiner Gewohnheiten , möge sie gut oder übel sein , aufgeben wolle . Er wies sie übrigens an , ihre Erziehungskünste an seiner Tochter zu üben , dazu habe er die Gouvernante geheiratet , dazu sei sie da . Dieser Befehl gehörte freilich zu der großen Menge derer , die leichter gegeben als befolgt werden . In ihrer Art war Rosa ebensowenig danach angetan wie ihr Herr Papa , sich einem fremden Willen zu unterwerfen . Das Kind , heimlich von Božena unterstützt , leistete Unglaubliches an Widerstand gegen die stiefmütterliche Autorität und brachte es wirklich dahin , daß Frau Nannette gestand , es sei doch etwas an der Behauptung gewisser Materialisten und Nihilisten , die sie bisher auf Tod und Leben bekämpft hatte , es gäbe Kinder , deren unbändigem Naturell gegenüber selbst die bewährtesten , von pädagogischen Autoritäten ersten Ranges als unübertrefflich anerkannten Erziehungsmethoden sich ohnmächtig erwiesen . Am kläglichsten jedoch scheiterten Frau Heißensteins Bemühungen , doch wenigstens in den Augen der Magd Božena einiges Ansehen zu gewinnen . Waren Herr Leopold und seine Tochter naive Gegner , die sich nur kräftig wehrten , wenn sie angegriffen wurden , so galt es bei Božena auf der Hut sein vor einer stets kampfbereiten , hartnäckigen Plänklerin , die auf jede Gelegenheit lauerte , die Feindseligkeiten selbst zu eröffnen . Frau Nannette war in allem , was die Leitung eines Hauswesens betrifft , unerfahren wie ein Säugling , und es gab für Božena Veranlassungen genug , ihre Überlegenheit fühlen zu lassen , ob sie nun genau das Gegenteil einer erhaltenen Weisung mit Erfolg ins Werk setzte oder eine ungeschickte Anordnung wörtlich befolgte und dadurch die Gebieterin grausam bloßstellte . So hatte sich die Existenz Frau Heißensteins II. recht bedauerlich gestaltet , und nicht wenig moralischer Mut gehörte dazu , um doch , wie sie es tat , vor Verwandten und Nachbarn den Schein der Zufriedenheit zu retten und an ihre ehemaligen Zöglinge regelmäßig alle Vierteljahre Briefe zu entsenden , in denen nur von Liebe zu Mann und Kind und von » Gesang der Sphären in Haus und Gemüt « die Rede war . Endlich jedoch trat ein Umstand ein , der die Stellung Dame Nannettens in dem alten Heißensteinschen Familienneste völlig und günstig veränderte . Božena bemerkte mit schwer gebändigter Entrüstung , daß Herr Leopold seine Gemahlin mit Rücksicht und Aufmerksamkeit zu behandeln begann . Dinge , die bisher für ihn zu den gleichgültigsten gehört hatten , ihre Stimmung und ihr Befinden , schienen ihm wichtig geworden . » Wie geht 's der Frau ? « fragte er beim Kommen ; » gebt acht auf die Frau « , sagte er beim Gehen . Nur an seinem Arme durfte sie das Haus verlassen . Der mürrische Kaufmann fand Koseworte für seine Nannette , er nannte sie » seine liebwerte Oberhofmeisterin « und » seine alte graue Maus « ; er empfahl Božena und Rosa die unbedingteste Unterwerfung der geringsten Laune der Gebieterin und Mutter gegenüber und drohte , jeden Widerstandsversuch auf das unbarmherzigste zu bestrafen . Božena rang mit der Verzweiflung ; sie verlor den Schlaf und einen Teil ihres Appetits und fegte in ihrer Küche herum wie ein Wirbelwind . Die Anzahl der Koch- und Speisegeschirre , die damals im Heißensteinschen Hause in Trümmer verwandelt wurden , erreichte eine erstaunliche Höhe . Es versteht sich von selbst , daß ein rauchender Vulkan leichter dahin zu bringen gewesen wäre , seine glühende Lava still hinabzuschlucken anstatt sie auszuwerfen , als Božena , den Ausbruch ihres gärenden Grolls zu unterdrücken . Nicht lange , und Herr Leopold fand eines Morgens seine Gattin und seine Magd , die erste zornesblaß , die zweite zornesrot , in einem Wortwechsel begriffen , der nur seines Sängers bedurft hätte , um unsterblich zu werden wie jener der Königinnen vor dem Dome zu Worms oder wie jener der gekrönten Schwestern im Parke zu Fotheringhay . Der Kaufherr warf einen Blick voll Besorgnis auf seine Frau und einen ingrimmigen auf die kecke Dienerin . » Was unterstehst du dich ?! « rief er dieser zu und stürzte ihr mit erhobener Hand entgegen . Sie aber , hochaufgerichtet , den Kopf zurückgeworfen , die Arme in die Seiten gestemmt , stand wie ein Fels . Herausfordernd blickte sie ihren Herrn an , dessen stattliche Gestalt sich neben ihrer hünenhaften fast klein ausnahm , und schleuderte der Gebieterin über seinen Kopf hinweg eine niederschmetternde , in kurze Sätze zusammengefaßte und mit Kraftworten gewürzte Kritik ihrer Tätigkeit als Stiefmutter und Hausfrau zu . Jeder Versuch , den der Kaufmann machte , Boženas derber Beredsamkeit Einhalt zu tun , verlieh derselben nur einen höheren Schwung , der Zorn der Riesin wuchs , indem er tobte wie die flammende Lohe , vom selbsterzeugten Sturme angefacht . Endlich raffte Heißenstein alle seine Kraft zusammen : » Hinaus , Canaille ! Aus dem Zimmer – aus dem Hause – du bist entlassen ! « schrie er , bei jedem Satze neu Atem holend . Ein wildes Gelächter antwortete ihm . » Entlassen ?! « wiederholte Božena mit grimmigem Hohne : » Nicht entlassen ! ... Oh – ich gehe selbst ! Und gehe heut und gehe gleich ! « Der ungebändigte Hochmut der echten Plebejerin brach aus diesen Worten hervor und verkündigte jubelnd , was sie nicht aussprachen , die stolze Überzeugung : Ich gehe , und das Behagen , die Ordnung , die Wohlfahrt des Hauses nehm ich mit ! Von vorahnender Wollust der Rache berauscht , stürmte Božena dem Ausgange zu . Sie hatte schon die Schwelle betreten , schon die Klinke erfaßt , als sie sich plötzlich am Kleide ergriffen und zurückgehalten fühlte . Ohne sich umzusehen , versuchte sie von sich zu schieben , was sie hinderte in ihrer triumphierenden Flucht . Da berührten ihre Finger seidenweiche Locken , da lag ihre Hand auf dem Haupte eines Kindes . Schmerzdurchzuckt , als hätte sie ein glühendes Eisen berührt , fuhr sie zusammen . Ein Laut , nicht Schrei , nicht Schluchzen , ein qualerpreßtes Stöhnen entrang sich den halbgeöffneten Lippen der Riesin . » Fort , du Range ! « rief sie dann , und die mächtig erwachte , zornig bekämpfte Rührung gab ihrer Stimme einen heiseren , unheimlichen Klang . Aber der hartgewöhnte Zögling Boženas ließ sich so leicht nicht einschüchtern . Nur heftiger zerrte Rosa ihre rauhe Freundin am Gewande und wiederholte ohne Aufhören und in allen Tonarten : » Bleib ! Bleib doch ! Bleib bei mir ! « Und Božena , wie ein plötzlich ohnmächtig gewordener Simson , biß die Lippen und rang die Hände . Doch gärte in ihr die aufrichtigste Wut gegen den Unband , der sich zwischen sie und ihren Sieg drängte ; gegen das undankbare Geschöpf , das sich an ihr Kleid hängte und sagte : » Bleib ! « – anstatt zu sagen : » Geh , befreie dich ! « Oh , sie gibt nicht nach , die Rosa . Aber die Božena noch weniger , das ist gewiß ; sie reißt sich los , sie geht , ohne einen Blick auf das eigensinnige Ding zu werfen . – Täte sie 's – wer weiß , was noch geschähe ? Sie tut es nicht ! sie will nicht ! ... Und indem sie sagt : Ich will nicht – ist es geschehen . Du grundgütiger Gott ! Da steht das Kind vor ihr im Nachthemdchen mit ganz zerzausten Haaren , in denen noch ein Flaum aus dem Kissen wie eine Schneeflocke liegt , und sieht dem Bilde des Christkindleins so ähnlich , das Božena auf dem letzten Jahrmarkte gekauft hat . – Aus dem Bette ist die Kleine gesprungen , um ihr nachzueilen , und stampft jetzt völlig ungeduldig den Boden mit ihren kleinen nackten Füßen und fragt zugleich schmollend und schmeichelnd : » Wer gibt mir heut mein Frühstück ? Wer kleidet mich heut an ? « Nun war 's vorbei mit Boženas Herrlichkeit . » Wer heut ? wer morgen ? wer je ? « ruft sie mit einem Ausbruch leidenschaftlicher Klage – ihr Zorn , ihr Trotz , ihre Stärke : alles dahin ! Sie hebt den Schützling empor und preßt ihn mit inbrünstiger Liebe an ihre Brust . Ein letzter Kampf , und die Gewaltige beugt sich , das Kind immer in den Armen , vor der Herrin , die sie verabscheute , beinahe bis zur Erde . Zum erstenmal im Leben kam ein Wort der Versöhnung aus ihrem Munde : » Verzeihen Sie mir , Frau , verzeihen Sie mir , Herr ! – Behalten Sie mich ! « bettelte demütig , die sich unentbehrlich und unersetzlich wußte . Und man behielt sie . Aber Božena mußte das Eingeständnis , daß sie sich vom Hause Heißenstein nicht trennen konnte , teuer bezahlen . » Macht besitzen und nicht mißbrauchen ist Tugend « – Frau Nannette besaß diese Tugend nicht . Sie ersparte der überwundenen Löwin keinen Fußtritt und keinen Nadelstich . Ihre kleinlichen Nörgeleien wurden von Božena mit Größe ertragen . Einmal zum Bewußtsein gekommen , daß sie in unzerreißbaren Fesseln lag , nahm sie die Konsequenzen ihrer Schwäche mit hochherziger Ergebung hin . Nur sehr scharfsichtige Augen merkten , daß sie leide . Ein alter Kommis des Kaufherrn , der Božena immer mit Auszeichnung behandelte und zum Lohne dafür ein Wohlwollen genoß , welches die Schöne sonst nicht an das Männervolk verschwendete , fragte sie um diese Zeit : » Wie leben Sie ? « Und sie antwortete ohne Anmut , aber mit Kraft : » Wie soll ich leben ? Ich fresse Galle und saufe Tränen . « Es kam der Tag , an dem Herr Heißenstein der Magd befahl , die Wiege vom Bodenraum herabzuholen . Božena gehorchte schweigend , aber nachts stand sie auf , trat an das Bettchen , in dem ihr Liebling schlief und jammerte : » O du armer Wurm ! Du armer Wurm , du ! « Und ein andrer Tag kam , an dem Herr Heißenstein , steif wie eine Bildsäule , im Fenster des dunkel getäfelten Speisezimmers lehnte und mit rotunterlaufenen Augen auf den großen Platz hinausstarrte . Trotz der äußeren Bewegungslosigkeit war sein ganzes Wesen in Aufruhr , er murmelte unverständliche Worte vor sich hin , und sein fahles Angesicht trug den Ausdruck der größten Spannung . Zusammengekauert auf einem der hochlehnigen Holzstühle saß Rosa . Sie hatte mehrmals versucht , sich leise aus dem Zimmer zu schleichen , und war daran ebensooft durch ein gebieterisches » Du bleibst ! « das ihr der Vater zurief , verhindert worden . Sie begann sich zu fürchten vor ihm , vor der Stille , vor der hereinbrechenden Dunkelheit ; sie regte sich nicht mehr , sie zählte , um sich die Angst zu vertreiben , die Gläser und Tassen auf dem altertümlichen Kredenzkasten , erst stumm , dann halbflüsternd , endlich halblaut singend nach einer selbsterfundenen Melodie . Da wurde ein Geräusch vernehmbar , die Tür öffnete sich , und auf der Schwelle stand Božena , ein Licht in der Hand , das ihre Züge grell beleuchtete . Ein sonderbares Gemisch von Empfindungen , von Freude und Sorge drückte sich in ihnen aus . Heißenstein war aus der Fenstervertiefung hervorgetreten an den großen Speisetisch , auf den er seine beiden flachen Hände legte . Die Knie zitterten ihm , und pfeifend entrang der Atem sich seiner Brust . Božena rief : » Kommen Sie , Herr ! Kommen Sie ! « Er sah die Botin unverwandt und mit fragenden , erwartungsvollen Blicken an und keuchte endlich , ohne seine Stellung zu verändern : » Es ist ein Sohn – rede ! – es ist ein Sohn ! « Was – Sohn ! « erwiderte Božena – » Sie sollen kommen , der Frau geht es schlecht . « Heißenstein richtete sich mit Gewalt empor und ging mit heftigen und doch müden Schritten auf die Magd zu . » Aber das Kind ... « rief er , » das Kind ist da – lebt ? « » Ist da – – lebt « , wiederholte sie . » Ist ein Knabe !? « setzte er hinzu , fast schreiend in bangender Qual . » Ist ein Mädchen « , sagte Božena . Sie sagte es ruhig und beschwichtigend . Er jedoch , außer sich , sinnverwirrt , meinte Hohn und Schadenfreude aus ihrer Stimme klingen zu hören . Mit einer Verwünschung stürzte er auf die Verkünderin der unwillkommenen Botschaft los , stieß sie vor die Brust , daß sie taumelte , und ging – nicht zu seiner schwerkranken Frau , nicht zu dem neugeborenen Kinde , sondern zurück in sein Gemach , dessen Tür er hinter sich zuwarf und verriegelte . Božena war von dem unerwartet erhaltenen Schlage einen Augenblick wie betäubt ; der Leuchter entsank ihr . Aber schon in der nächsten Minute hatte sie sich aufgerafft . Sie sandte ihrem Herrn ein boshaftes Gelächter nach und streckte ihrer kleinen Rosa , die auf sie zuflog , die Arme entgegen . Sie hob ihren Liebling hoch empor auf ihren mächtigen Händen und rief jauchzend : » Er hat keinen Sohn – er wird keine Tochter haben als dich – du bleibst die einzige ... Die dort – sterben ! « flüsterte sie liebkosend in des Kindes Ohr , » du lebst , du wirst leben – und schön und reich und glücklich sein ! « 3 Den Befürchtungen der Ärzte und den Hoffnungen Boženas zum Trotze erholte sich Frau Heißenstein ; und auch ihr Sprößling , dem bei seinem Erscheinen die Möglichkeit abgesprochen wurde , die Nacht zu überdauern , blieb am Leben . Ja , er bekundete bei Überwindung der Fährlichkeiten , die jede Säuglingsexistenz bedrohen , eine Zähigkeit und Kraft , die alle Sachverständigen in Erstaunen setzte . Die Neugeborene erhielt in der Taufe den Namen Regula , und während ihre Mutter wochenlang hilflos und ohnmächtig daniederlag und ihr Vater sich grollend von ihrer Wiege abwendete , fand sie ein Herz am Eingang ihres Lebensweges , das sich ihr hingab mit stürmischem Entzücken . Die kleine Rosa begrüßte in dem plötzlich erschienenen Schwesterchen ein Geschenk , das der gute Storch für sie , und ganz allein für sie gebracht hatte . Sie faßte Posto an der Seite des gelben , winzigen Geschöpfes , das jämmerlich kreischend in seinen Kissen lag und so erbärmliche Gesichter schnitt und die mageren Händchen so sonderbar ballte und ausstreckte . » Es stirbt ! es stirbt ! « rief sie , wenn sich die kleinen alten Züge veränderten und verzerrten . Und wenn es die Augen aufschlug , sang sie ihm vor und bewunderte es und wollte ihm beständig etwas zu essen geben . Als Frau Heißenstein wieder auf die Beine kam , war es ihre erste Sorge , ihre Tochter in Schutz zu nehmen vor Rosas aufdringlicher und äußerungsbedürftiger Liebe . » Durch die wird ihr nichts Gutes « , meinte sie , und blieb immer darauf bedacht , die beiden Kinder voneinander fern zu halten . Stets hinweggewiesen und fortgedrängt , kam Rosa dennoch wieder . Das wilde , ungestüme Ding saß oft stundenlang an der Tür des Zimmers , in dem Regula zunahm an Häßlichkeit und Wohlbefinden vor Gott und den Menschen , still wartend , bis ihr endlich gestattet wurde einzutreten . » Aber nur für einen Augenblick ? – du hörst ? – Und nur , um sie zu sehen – du verstehst ? Zum Sehen sind uns die Augen gegeben , nicht die Hände . Keine Umarmung ! « – Derlei ganz unnötige Kundgebungen waren Frau Nannetten besonders verhaßt . Das gelbe Töchterchen hingegen wuchs unter dringenden Warnungen vor der Schwester heran : » Mache es nicht wie die ! Danke Gott , daß du nicht bist wie die ! « Das Entgegengesetzte von allem , was Rosa tat , das war das Rechte . Der Glaube Nannettens an sich selbst konnte von jeher zu den starken Dingen gezählt werden , seitdem sie aber ein Kind geboren , kam sie sich so merkwürdig und wichtig vor , als ob sie die erste gewesen sei , der eine solche Tat überhaupt gelungen war . Früher gehörte zu ihren stehenden Redensarten auch der Satz : » Kinder in die Welt setzen ist leicht , sie erziehen ist schwer . « Jetzt geriet sie in Zweifel , welcher von beiden Wirksamkeiten die Palme zu reichen sei . Abwechselnd beugte sich die Gouvernante vor der Mutter , die ihr ein solches Erziehungsmaterial geliefert wie dieses Wunder : Regula , und die Mutter vor der Gouvernante , die es so glänzend auszunützen verstand . Schon in der Wiege hatte das Kind die ersten dunkeln Begriffe von Schicklichkeit in sich aufgenommen . Mit drei Jahren gab es bereits Beweise von ernstem Wissensdrang . Einer Strafe bedurfte es nie , mit Lob und Bewunderung wurde es geführt ; diese beständig hervorzurufen war sein unablässiges Bemühen . Kein Kind war jemals so bestrebt , seinen eigenen Willen durchzusetzen , wie Regula einen mütterlichen Befehl zu erfüllen ; keines haschte jemals so gierig nach guten Bissen wie sie nach guten Lehren , und die Resultate derselben blühten als ausgesucht feine Manieren , überraschend höfliche Redewendungen aus ihrem wohlgeschulten Benehmen hervor . Im fünften Jahre trug sie schon einen Schnürleib und sagte mit echtem Pariser Akzente » oui monsieur « und » non madame « . Mit dem Widerspiel ihrer eigenen Vollkommenheit , der unartigen Rosa , wollte sie natürlich nichts zu tun haben , und diese gab es endlich auf , sich um ihre Liebe zu bewerben ; sie kehrte wieder zu ihrer schönen Božena zurück , die sie mit offenen Armen aufnahm . So war das Gleichgewicht von neuem hergestellt , und die beiden Parteien standen einander im offenen und verdeckten Kampfe gegenüber . Einen scheinbaren Mittelpunkt bildete der Hausvater . Nur einen scheinbaren ; in der Tat vereinsamte er immer mehr , die ganze » Weiberwirtschaft « war ihm im Grunde gleichgültig . Empfand er überhaupt eine sympathische Regung für eines seiner Kinder , so war es für die stille Regula . Wenn ihm ein oder das andere Mal das Lob , das ihre Mutter ihrer Musterhaftigkeit spendete , gar zu übertrieben schien , so sagte er nur : » Brav – zu brav ! Was nicht gegoren hat , ist , solange die Welt steht , noch nicht Wein geworden . « Worauf Frau Nannette die Ellbogen fest an die Rippen drückte , sich steif aufrichtete und , dem Blicke des immer noch gefürchteten Mannes ausweichend , erwiderte , sie sei bisher des Glaubens gewesen , » des Rebensaftes Klärung « vollziehe sich nach andern Gesetzen als diejenigen , welche der Erziehung einer jungen Dame vorstünden . Herr Heißenstein war sehr alt geworden seit seiner letzten Enttäuschung , und Regula wurde die Vermittlerin des Einflusses , den Nannette allmählich auf ihren Gatten zu üben begann . Einen gewissen Grad von Bewunderung vermochte er seinem wohlerzogenen Kinde nicht zu versagen . Sie verneigte sich so ehrerbietig vor ihm , brachte ihm fortwährend stumme Ovationen dar ; ihre Haare waren immer so glatt gekämmt , ihre Kleider immer so nett ; sie saß und stand immer so gerade , fiel niemals einem andern ins Wort , widersprach nie . Und dann – ihre Kenntnisse ! Ihr Wissen ! Die Gelehrsamkeit seiner Frau hatte Herrn Leopolds Eitelkeit oft verletzt , die Gelehrsamkeit seiner Tochter schmeichelte ihm . Es war doch hübsch , wenn sie sich an seinem Geburtstage vor ihn hinpflanzte , als Esther gekleidet ; eine Verbeugung machte , so tief , daß man im Zweifel sein konnte , ob sie sich auf den Estrich niederlassen oder wieder aufrichten werde , und dann begann : » Peut-être on t'a conté la fameuse disgrâce De l'altière Vasthi dont j' occupe la place ... « Oder wenn sie als Schwester der Pallantiden erschien und , ohne auch nur einen Augenblick zu stocken , die famose Tirade deklamierte : » Que mon cœur , chère Ismène , écoute avidement Un discours qui peut-être a peu de fondement ... « – Und so weiter ! Mußte Herr Heißenstein da nicht sagen : » Bravo , meine Regel , Bravo ! « Und mußte sein Blick sich nicht fragend und mißbilligend auf die große Tochter richten , die von der Sprache , in der die Kleine sich so geläufig ausdrückte , nicht mehr verstand als eine Kuh vom Spanischen , das heißt soviel wie ihr eigener Vater ? Mußte da nicht Frau Nannettens heuchlerisch bekümmertes : » An der erlebst du keine Freude « , Eindruck auf ihn machen ? Freilich bewahrte Rosa ihre Unabhängigkeit , aber dies geschah auf Kosten der Familiengemeinschaft und der Zusammengehörigkeit . Sie war gleichsam außerhalb des Gesetzes erklärt , und man ließ ihr diejenige Nachsicht zuteil werden , welche aus dem Verzweifeln an einem Menschen entspringt . Und Rosa , die bisher lachend getrotzt und die indirekten Ermahnungen der Stiefmutter , die heftigen Rügen des Vaters mit einem Scherzworte erwidert hatte , begann nachdenklich zu werden . Ihre Heiterkeit verschwand , ihr froher Gesang erscholl nicht mehr in den Gängen des düstern alten Hauses , man sah die liebliche Gestalt des Fräuleins Augentrost , wie der Kommis sie nannte , nicht mehr treppauf treppab hüpfen zur Wette mit Hündchen und Kätzlein . Sie saß eingeschlossen in ihrer Stube , pflegte die Blumen und Vögel , die sonst ohne Boženas Beihilfe verdurstet und verhungert wären , oder las Romane aus der Leihbibliothek des Städtchens , in der sie sich im geheimen abonniert hatte . Und gerade damals , wo sie einer Stütze am bedürftigsten gewesen wäre , wurde ihr von ihrer einzigen Beschützerin keine geboten . Die schöne Božena war um diese Zeit , in der ihr Herzensliebling in die Mädchenjahre , sie selbst aber in die Jahre der reiferen Weiblichkeit trat , eine lahmgelegte Kraft . Sie verbrauchte all ihre Seelenstärke für sich , konnte an andre nichts davon abgeben . Mit gewohnter Pünklichkeit verrichtete sie zwar ihren Dienst , sie hatte ihn ja im kleinen Finger , aber das Herz war nicht mehr dabei . Ihr Feuereifer brannte hell wie je , aber als eine stille Flamme , nicht mehr funkensprühend nach allen Richtungen . Man sah sie jetzt nach beendeter Arbeit müßig dasitzen , die Hände im Schoß . Plötzlich angerufen , fuhr sie auf wie aus einem Traume . Das seltsamste war , daß sie begann , ihrer äußeren Erscheinung mehr Aufmerksamkeit zu widmen und sogar Freude am Putz zu finden . Die haushälterische Božena verwendete so manchen Gulden für Schmuck und Tand . Ihr lebhaftes Interesse für die Ereignisse in Haus und Stadt war erloschen . Etwas Großes ging vor in ihrem Innern , und auf die ganz erfüllte Seele besaßen von außen kommende Eindrücke keine Macht . Worin die Ursache der merkwürdigen Umwandlung in Boženas Wesen zu suchen war , das ahnte nur ein Mensch : Mansuet Weberlein , der Kommis . Ein stummes Verständnis , das allezeit tiefer ist als eines , das Worte braucht , um sich zu offenbaren , herrschte zwischen den beiden . Božena wußte dem Alten Dank für sein einsichtsvolles Begreifen und für sein rücksichtsvolles Schweigen ; die Gesellschaft des einzigen , der sie durchblickte , tat ihr wohl und wurde von ihr aufgesucht . Dem Alten hingegen war Božena viel lieber , als sie und er selbst es ahnte . Die Woche hindurch war Herr Mansuet außerhalb seines Glasverschlages in den ebenerdigen Geschäftslokalitäten nicht zu erblicken , aber » am Namenstage der Faulenzer « , wie er den Sonntag nannte , gönnte auch er sich eine kleine Erholung . Da kam er gegen Abend staubig wie eine Ofenfigur aus seiner Höhle hervorgekrochen und nahm Platz in einer der Mauernischen des Torweges , die wohl ursprünglich zur Aufnahme einer Statue oder einer Blumenvase bestimmt sein mochten . Er zündete seine Pfeife an und meinte nun , er schmauche im Freien . Regelmäßig stellte sich Božena bei ihm ein , er nickte ihr zu und sagte : » Muß mir ein bißchen die Bummler ansehen . « – » Muß Ihnen ein bißchen helfen « , erwiderte sie . In Wahrheit aber machten sich beide aus den Bummlern nichts . Gewöhnlich erschien Božena in ihren Hauskleidern , die Festgewänder legte sie nach dem Kirchenbesuche ab , und sich nach beendetem Tagewerk noch einmal in Staat zu werfen , war ihr nicht der Mühe wert . Auch in ihrer Einfachheit gefiel sie ihren zahlreichen Anbetern nur zu wohl und hatte ohnedies genug zu tun , die Zudringlichsten in respektvoller Entfernung zu halten . Herr Weberlein war nicht wenig erstaunt , als sich Božena eines Sonntags prächtig angetan zum Nachmittagsgeplauder einfand . Sie kam langsam , in Gedanken versunken , die Treppe herab . Ihre rechte Hand glitt das Geländer entlang , den Rücken der linken hielt sie fest an den Mund gedrückt . Das runde Häubchen mit den flatternden Bändern saß wundergut auf dem reichen Haar mit seinem schwarzblauen Glanze . Eine Korallenschnur umfaßte den kräftigen und geschmeidigen Hals , über die Brust war ein schneeweißes Tuch gekreuzt . Kurze , bauschige Ärmel ließen die wohlgeformten Arme frei . Ein Rock von broschiertem , dunkelgrünem Damast fiel in schweren Falten bis zu den Knöcheln nieder , eine seidene Schürze , bunt gestickte Strümpfe und glänzende Schnallenschuhe vervollständigten den halb städtischen , halb ländlichen nagelneuen Anzug . Der Tausend ! sie war schön und majestätisch anzusehen in dieser Pracht , die mächtige Gestalt . Weberlein betrachtete sie vergnügt , kauerte sich tiefer in seine Nische und murmelte : » Sauber ! Sauber ! « Božena stand nun vor ihm und grüßte mit einem Anfluge von Verlegenheit . » Sapperlot « , sprach der Alte , » das ist ja schön von Ihnen , daß Sie sich auch einmal mir zu Ehren in Parade versetzt haben . « » Ihnen zu Ehren doch nicht « , antwortete sie . Er schlug ein Schnippchen , als wollt er sagen : Sie haben gut leugnen , ich weiß , was ich weiß . Boženas Gesicht bedeckte sich mit hoher Röte , und sie sprach leise , aber resolut : » Es ist heut Tanz beim › Grünen Baum ‹ , da geh ich hin . « Der Blick , den Weberlein jetzt auf sie warf , bewies , daß es möglich sei , zugleich Mitleid und Verachtung auszudrücken . Sein unproportioniert großes Kinn bewegte sich ein paarmal hin und her in der hohen , halbmilitärischen Krawatte , in der es endlich zur Hälfte verschwand , und er rief : » Sie sind , scheint mir – närrisch ! « Božena erwiderte nichts . Sie hatte die Arme gekreuzt , lehnte sich an die Wand und blickte stumm und trotzig vor sich nieder . Auf dem Platze wurde es immer lebendiger . Dem heißen Sommertage war ein erquickender Abend gefolgt ; ihn zu genießen strömte die schöne Welt der Stadt der Promenade zu . Unter denen , die am Hause vorüberkamen , dünkten sich nur wenige zu vornehm , um dem Vertrauensmanne Herrn Heißensteins einen Gruß zuzurufen ; so mancher blieb stehen und wechselte mit ihm einige Worte . Auch Bekannte Boženas kamen – stille Verehrer , die es nicht auszusprechen wagten , wie begehrenswert ihnen die rüstige Jungfrau mit ihrem Fleiß und Geschick und mit ihren , wie man wußte , ansehnlichen Sparpfennigen erschien ; kühne Bewerber , die sie heimzuführen hofften , wenn nicht gleich , so doch sicherlich dann , wenn einmal Fräulein Rosa wegheiraten würde aus dem väterlichen Hause . Auch einige hübsche Mädchen , bestens geschmückt zum heutigen Tanze , fanden sich ein und vergrößerten den Halbkreis , der sich um Božena gebildet hatte wie um eine Audienz erteilende Königin . So war schon eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft im Torwege versammelt . Und jetzt trat aus dem gegenüberliegenden , vom Kreishauptmann Grafen Kühnwald bewohnten Hause ein junger Mann , auf den sich sofort die allgemeine Aufmerksamkeit richtete . Die Mädchen stießen einander an und kicherten , die Männer zuckten die Achseln ; ein Schreiberlein in einem schäbigen Rocke , den nur der Umstand zum Sonntagsrocke stempelte , daß er einst schwarz gewesen war , sagte mit einem Ausdruck von schlecht verhehltem Neide : » Da kommt Bernhard der Pfau ! « » Dann wird auch die › Gräfin ‹ nicht weit sein « , ließ eine Mädchenstimme sich vernehmen . Und wirklich , die sogenannte Gräfin schritt eben über den Platz . Sie war eine stattliche Bauerntochter , die reichste und umworbenste aus dem nahen Dorfe , das gleichsam die Vorstadt Weinbergs bildete . Begleitet von ihrer Sippe begab sie sich zum Tanze . Der junge Mann näherte sich ihr und schien eine Frage an sie zu stellen . Die Dorfgräfin nickte gnädig und setzte ihren Weg fort , indessen er auf das Haus Heißenstein zuschritt . Ein schlanker Bursche war's , in der kleidsamen Montur eines herrschaftlichen Büchsenspanners , im dunkelgrünen Rock mit Aufschlägen von Samt , silbernen Wappenknöpfen und Achselschnüren , ein schmuckes Mützchen auf den braunen , dichten , kurz gehaltenen Locken . Seine Haltung war vornehm und frei , das Gesicht fein geschnitten ; Siegesgewißheit in jeder Miene und Bewegung , kam der Bursche heran , und kindische Freude an sich selbst leuchtete ihm aus den Augen . Er grüßte die Gesellschaft mit der herablassenden Freundlichkeit eines gutsituierten Mannes gegen geringe Leute . Dem Kommis gegenüber äußerte er einigen Respekt , die übrigen neckte er , wußte aber auch jedem etwas Angenehmes zu sagen und jeden in das Gespräch zu ziehen . Nur eine Person in dem Kreise sah er nicht , bemerkte er nicht – die ansehnlichste und auffallendste von allen : Božena . Und die war plötzlich verstummt . Sie hatte den Kopf an die Wand zurückgelehnt und die Augen halb geschlossen . Von ihren Schläfen herab , die Wangen entlang zog sich ein weißer Streifen – das Erbleichen sehr rot gefärbter Menschen . Verstohlen warf der Jäger manchmal einen Blick nach ihr hin , und je gequälter ihm der Ausdruck ihres Gesichtes erschien , desto lustiger wurde er , desto übermütiger seine Laune . Mansuet Weberlein kämpfte mit einem nervösen Zucken im Arme , verdrehte die Beine so , daß seine einwärts gebogenen Fußspitzen einander auf dem vorspringenden Mauersockel begegneten , und schoß gegen Bernhard den Pfau eine bissige Bemerkung nach der andern ab . Endlich rief er giftig : » Schad um Sie ! Indessen Sie uns hier Späße vormachen , tanzt Ihnen ein Tölpelpeter oder ein Lümmelhans Ihre Gräfin weg ! « Der Jäger wollte antworten , aber ein stämmiger Bursche kam ihm zuvor : » Seine Gräfin ? « spöttelte er , » dem Büchsenspanner seine ? ... Warum nicht gar ? « Ein hochmütiges Lächeln kräuselte Bernhards Lippen : » Oho , du Gescheiter , nicht mehr lange Büchsenspanner . Im Herbst gibt mir mein Graf ein Revier « , sprach er . » Die Bäuerin schiert sich was um dein Revier « , entgegnete der Bursche ; und zu einem der Mädchen gewendet fügte er rasch hinzu : » Wollen wir sie fragen , Toni ? « – Und Toni antwortete eiligst » Ja « , und dem sich entfernenden Pärchen folgten andere Tanzlustige nach , und bald war die ganze Versammlung auseinandergestoben . Auch der Jäger empfahl sich jetzt auf das höflichste bei Weberlein , nach einigen Schritten aber blieb er , als besänne er sich plötzlich , stehen , wandte sich gegen Božena und fragte wie jemand , der innerlich widerstrebend eine Pflicht der Artigkeit erfüllt : » Kommen Sie nicht auch ? « Dann eilte er den übrigen nach mit großen Schritten und schlecht verhehlter Besorgnis , daß sie sich ihm vielleicht anschließen könnte . » Prosit ! « zischelte der Kommis zwischen den Zähnen , » sonst haben Sie keine Schmerzen ? « Aber wie ward ihm , als Božena nun vor ihm stand und mit gepreßtem Tone und niedergeschlagenen Augen sagte : » Alsdann adje , Herr Weberlein . « Nein ! das kann nicht sein ... Das ist ja die bare Unmöglichkeit ! – In Scharen waren sie oft gekommen , die allerbesten Tänzer der Stadt und des Dorfes , und hatten gesagt : » Erweisen Sie mir die Ehre « , und : » Machen Sie mir die Freude ... « Und sie hatte geantwortet : » Ich geh zu keinem Tanz . « Und jetzt warf ihr ein Laffe , ein Geck von oben herab eine Aufforderung hin , so leer , so gnädig , so gar nichts sagend als höchstens : Ein ganzer Bengel will ich doch nicht sein : und sie lachte ihm nicht ins Gesicht , sie schwieg – sie folgte ihm , dem Laffen , dem Gecken , demütig wie ein Hund seinem Herrn ?! Donner und Wetter ! Wenn der liebe Gott vom Himmel gestiegen wäre und es dem Kommis Weberlein erzählt hätte , dieser würde geantwortet haben : » Verzeih mir 's – Gott ! aber das kann ich nicht glauben . « ... Und nun sah er's , nun mußte er es sehen mit seinen eigenen Augen und konnte seine eigenen Finger legen in die Wunden , die dem Stolze Boženas geschlagen worden . Er blickte völlig verstört zu ihr empor und brachte nur ein Wort heraus , nur das einzige Wort : » Was ? « Sie schien ein Weilchen zu zögern , dann sprach sie mühsam und mit trockenen Lippen : » Ich muß wissen , wie es steht mit ihm und der Eva « , und wandte sich , und von weitem , in wohlberechneter Entfernung , folgte sie dem Jäger . Herr Weberlein nahm eine boshafte und wegwerfende Miene an , mit abscheulich menschenfeindlichen Blicken stierte er auf den Platz hinaus und kehrte ihm und dem Treiben da draußen endlich ganz und gar den Rücken . Wie ein Alräunchen hockte er in seiner Nische und zog in kurzen , raschen Zügen den Rauch aus seiner Pfeife . Er schmauchte nicht mehr , er tobakelte und umgab sich mit kleinen dichten Wolken , die ihn dräuend und unheilverkündend , als Zeichen seiner großen inneren Erregtheit , umflogen . 4 Beim » Grünen Baum « hatte die Unterhaltung schon begonnen , aber noch war wenig Wein getrunken worden , noch gab es keine ausgelassene Lustigkeit , noch hatte kein Streit stattgefunden . Die Paare drehten sich langsam und mit bewunderungswürdiger Ausdauer . Von Zeit zu Zeit ertönte ein lauter Jubelruf , ein Bursche klatschte in die Hände , hob seine Tänzerin hoch empor , ließ sie dann sich ein Weilchen allein neben ihm herschwenken , umfaßte sie von neuem , und ruhig tanzten sie weiter mit denselben schläfrigen Gesichtern , mit denen sie ihre Fronarbeit verrichteten . Bernhard trat oft in die Mitte der Stube , sah mit Wohlgefallen , wie viele Mädchenaugen sich erwartungsvoll auf ihn richteten , winkte jedoch keine der Anwesenden nach Bauernsitte zu sich herbei . Eva war für diesen Walzer versagt , und mit einer Geringeren trat er nicht in den Reigen . Božena stand , alle Frauen und die meisten Männer , die sie umgaben , überragend , finster und grollend in einer Ecke und wies alle Aufforderungen , sich an dem Tanze zu beteiligen , kurz ab . Sie sei nur gekommen , ein wenig zuzusehen , müsse gleich wieder heim . Die Musik schwieg , ein Tanz war zu Ende , nach kurzer Pause wurde wieder aufgespielt , und jetzt hatte Bernhard die » Gräfin « erfaßt und wirbelte mit ihr durch die Stube . Nicht langsam und mattherzig wie ihr früherer Partner , frisch , mit fröhlicher Anmut und Leichtigkeit schwenkte er sie im Takte . Wie zwei Vögel schwebten sie , flogen sie , als ob die Lüfte sie trügen , jetzt im engen Kreise wie die Lerchen , jetzt wie die Schwalben – dahingleitend in weiten Bogen . Er flüsterte ihr etwas zu , und die kokette Dorfschöne blinzelte ihn herausfordernd an ; fester drückte er sie an sich , warf den Kopf zurück und schien zu fragen : Wer widerstände mir ? Sie , nicht minder selbstbewußt , aber weniger naiv , schlug die Augen nieder und schien zu antworten : Ich – vielleicht ! Božena verwandte von den beiden keinen Blick , ihr Herz klopfte zum Zerspringen , schmerzliche Eifersucht zerschnitt ihr die Brust . Oh , jung sein und begehrenswert wie jene dort ! Im Angesichte aller mit Stolz von ihm umfangen werden wie sie , nur einmal , nur einen einzigen seligen Augenblick ! Tu ein Wunder , Gott , der du alles kannst ! Befriedige diese dürstende Sehnsucht , erlöse diese arme , ringende Seele , lasse sie einmal unschuldig sein ohne Reue und Scham ! .. . Zu so unerfüllbaren Wünschen hatte Božena sich verstiegen , als eine Stimme sie anrief : » Grüß Gott ! « Evas Vater , ein alter schöner Mann , war zu ihr getreten , er deutete mit dem Mundstück seiner Pfeife auf seine Tochter und fuhr fort : » Das tanzt ! das tanzt ! « Wohlgefällig betrachtete er sein Kind und sah dann wieder die Angeredete an , als wollte er sie zur Bewunderung auffordern . Schon drängte sich ein hartes Wort auf Boženas Lippen , aber sie sprach es nicht aus , vielmehr sprach sie , den Greis forschend ins Auge fassend : » Ein schönes Paar ! « Der Bauer verzog den Mund : » Paar ? « wiederholte er , » Paar ? die zwei ? – je nun , auf dem Tanzboden – ja . « Und Božena atmete auf . Derselbe Ausdruck des engherzigen Hochmuts , der in den welken Zügen des Alten wie versteinert lag – das blühende Gesicht seiner Eva trug ihn auch . Die wird ihr nicht im Ernste eine Nebenbuhlerin , der ist der Jäger trotz aller seiner Vorzüge zu gering ! – Božena verließ die Wirtsstube , sie schritt über den Hof einem kleinen Obstgarten zu , von dem aus der Fußsteig , der bis an die Stadtmauer führte , leicht zu erreichen war . Auf eine Bank unter einem Apfelbaume ließ sie sich nieder und versank in ihre düsteren Gedanken . Eine kurze Zeit nur , und lebhafte , eilende Schritte näherten sich . Sie blickte nicht zurück , sie wußte , er ist es , er sucht sie auf . Im nächsten Augenblicke war er bei ihr , setzte sich neben sie auf die Bank und sprach schmeichelnd : » Božena ! läßt sich die Böse endlich finden ? « Sie antwortete ihm nicht . Er suchte , jedoch vergeblich , ihre Hand zu fassen . » Was hast du wieder ? So sag doch ein Wort ! – Was ist dir ? « sagte Bernhard mit dem leicht erregten Unwillen verwöhnter Menschen . Nun fuhr sie auf : » Er fragt ! er fragt noch ! ... Wie ? jetzt kann er kommen , weil ich allein bin ! Vor den Leuten kennt er mich nicht ! ... Weißt du was ? Wie du mit mir spielst , so spielt die Eva mit dir ! « Das hatte sie nicht sagen wollen , nicht gleich , nicht so , aber der Ingrimm , der in ihr kochte , sprudelte die Worte heraus . Keuchend lehnte sie sich zurück an den Stamm des Baumes , biß die Zähne übereinander und kreuzte die Arme über der gequälten Brust . Bernhard lachte gezwungen . » Mit mir spielt niemand « , entgegnete er . » Die Eva weiß recht gut , daß mir 's nicht im Ernst zu tun ist um sie . – Und du – solltest wissen , daß ich dich liebhabe ! « rief er mit plötzlich ausbrechender Zärtlichkeit und wollte sie umfassen . Sie stieß ihn zurück und sprach , an allen Gliedern bebend : » Seit einem Jahr vergällt er mir mein Leben . Küßt mich im geheimen und verleugnet mich vor den Leuten ... Fort von mir ! « herrschte sie , als er statt aller Antwort die Zürnende an sein Herz zu ziehen strebte : » Es muß aus sein – hörst du ? – ich verstelle und verstecke mich nicht mehr . Laß mich in Frieden , wenn du dich meiner schämst ! « Božena stemmte die Hand gegen seine Brust und hielt ihn von sich mit ausgestrecktem Arme . Und mit diesem stählernen Arme , das wußte Bernhard wohl , hätte er vergeblich gerungen . So senkte er den Kopf auf ihn nieder , lehnte seine Wange daran und sprach : » Ich mag das Gerede der Klatschmäuler nicht – es könnte meinem Grafen zugetragen werden . Und der , du weißt ja , meint , am besten wär 's für mich , wenn ich die Kammerjungfer der Frau Gräfin nähme . Aber ich mag sie nicht ! « rief er , sich aufrichtend . » Sie ist mir zuwider – ich hab nur eine gern ... Laß mich nur einmal Förster sein – und die ganze Welt soll schon sehen – wen ?! « Es war ein Klang von warmer , überzeugender Empfindung in seinen Worten . Er hatte sie lieb , die Božena , gewiß ; er war stolz auf den uneingeschränkten Besitz dieses bisher unbesiegten Herzens . Er freute sich der Gewalt , die ihm über die Gewaltige gegeben war . Sein unsicheres Wesen wurde von ihrem starken , sein schwankender Wille von ihrem festen mächtig angezogen . Im Bewußtsein ihrer unbegrenzten Liebe ruhte er wie in einer goldenen Wolke , er fühlte sich durch ihre Hingebung gehoben und verklärt . Schützend umhüllte sie ihn , ohne ihn je gedemütigt zu haben , denn immer war sie bereit , sich ihm zu unterwerfen , und alle Lust und alles Weh kam ihr von ihm . Ein Wort , und die Unbezwingliche lag zu seinen Füßen , die größere Seele beugte sich vor seiner Kleinheit , denn kraft ihrer Liebe war er ihr Herr . Božena hatte den Arm sinken lassen , der Jäger schlang den seinen um ihren Hals und preßte seine Lippen auf die ihren . Ihr Zorn zerschmolz unter seinen Küssen . Heiße Tränen traten ihr ins Auge , und sie sprach wehmütig : » Ich werde niemals deine Frau ! Du wirst dich niemals zu mir bekennen . Schweig ! « fiel sie ihm ins Wort , da er widersprechen wollte . » Dazu hast du nie den Mut ! ... Ich bin nur eine arme Magd , und du willst höher hinaus – wir sind nicht füreinander ... « » Ich will dich « , beteuerte Bernhard mit Ungestüm , » keine andere , weil sich keine mit dir vergleichen kann . Meinst du , ich bin blind und seh das nicht ? ... Hab Geduld ! ... Wirf mir nichts vor ... Wir kommen doch zusammen , aber jetzt will ich nichts wissen , nichts hören , nichts fragen als nur : Hast mich lieb ? « Božena legte die gerungenen Hände in ihren Schoß und seufzte schmerzlich auf : » Fragst nicht auch , ob Gott im Himmel lebt ? ... O Jesus , ob ich ihn liebhabe ? Ich wollt , ich könnte sagen nein , oder ich wollt , ich könnte sagen warum ! « Trotzig richtete sie sich auf und sprach , als trachte sie sich selbst zu beruhigen über die Natur ihrer Liebe : » In dein hübsches Gesicht hab ich mich nicht vergafft ! « Der Jäger lachte und küßte sie , und Božena erduldete seine Liebkosungen , aber sie erwiderte sie nicht . » So bist du heute « , grollte sie , » und morgen ist alles wieder wie früher , und morgen trittst du mir wieder aufs Herz . Oh , könnt ich frei sein ! ... könnt ich mich losmachen von dir ! « Er erschrak über die Verzweiflung , die aus ihrer Stimme klang ; zum ersten Male tauchte die Möglichkeit , sie zu verlieren , vor ihm auf und erfüllte ihn mit tiefster Besorgnis , mit bitterstem Weh . » Dich losmachen von mir ? « fragte er vorwurfsvoll , » das möchtest du ? « » Wohl möcht ich's ! « antwortete sie , » aber was hilft mir das ? .. . Bin ich nicht wie verfangen im Dorngestrüpp , es zerfleischt mich – und läßt mich nicht los ... Bernhard ! Bernhard ! « Sie beugte sich vor , mit beiden Händen griff sie in sein Haar , zog seinen Kopf an ihre Brust und schaute in die Augen , die sich bittend und voll heißer Zärtlichkeit zu ihr erhoben . » Bist mir denn treu ? « schrie sie plötzlich auf . Das rief wieder die alte Božena ! das war wieder die echte alte Leidenschaft ! – Sie zitterte um ihn , er hatte sie wieder ! Der funkelnde Blick des Jägers ruhte fest in dem ihren , und seine Seele frohlockte . Übermütig strich er mit Daumen und Zeigefinger den Schnurrbart in die Höhe und sprach schmollend wie ein berechnender , kluger , vollendeter Don Juan : » Bist du denn mein ? « » Schäm dich ! « erwiderte sie und barg ihr Gesicht in ihre Schürze und schluchzte laut . Er aber flehte , tröstete , beteuerte . Kein Liebesschwur , den er nicht tat , kein Schmeichelwort , das er nicht sagte . Und Božena lauschte seiner süßen Rede , von neuem überwunden , von neuem überzeugt . Er wolle ein Ende machen ! das gelobte er , und sollt es ihn die Stelle kosten und seines Grafen Gnade ! Von der Božena läßt er nicht , er kennt ihren Wert , ihr gehört er an in Glück und Not , im Leben und im Tode . Nur sie vermag – – da fährt er zusammen , hält inne ... hinter den Büschen des Zauns hat sich's geregt . Der Teufel ! haben seine Worte einen Zeugen gehabt ? War ein Lauscher da ? Bernhard springt empor und auf die Stelle los , von der aus das Geräusch gekommen . Er ruft laut : » Wer da ? « – keine Antwort , und ringsum niemand zu erblicken . Sie sind allein . Etwas verlegen über die Bestürzung , die er unwillkürlich hatte erblicken lassen , kehrt der Jäger zurück . In einen andern Menschen verwandelt , gleichgültig und kalt stand er vor seiner Geliebten und sagte : » Es ist spät – ich muß fort . « Sie biß die Zähne übereinander und maß ihn mit verachtungsvollen Blicken . » O du ! « rief sie , » wenn einer dort gestanden hätt , und wär 's der Stallbub gewesen aus eurem Hause ... Und hätte der gespaßt : Unser Jäger geht mit der Magd des Weinhändlers – vor dem Stallbuben hättest du mich verleugnet ! Jetzt hättest du 's getan ! ... Und wenn dich heut abends beim Tische der Hausoffiziere jemand nach mir fragt , wirst du antworten : Ich kenne sie nicht ! Gelt ? « schrie Božena mit vernichtendem Hohne und richtete sich hoch auf vor ihm , der mit finsterem Gesichte zur Erde starrte und – schwieg . » Ich Narr ! Ich Narr ! « stöhnte sie und wandte sich und rannte davon . Sie schaute nicht – er rief sie nicht zurück , und dennoch hemmte sie bald die Raschheit ihrer Schritte . Sie blieb stehen – sie lauschte – sie wartete und setzte dann immer langsamer ihren Weg fort . Wie oft hatten sie sich schon so getrennt , aber niemals hatte ein Abschied ihr das Herz zerrissen wie dieser . Hatte sie doch nie so harte Worte zu ihm gesprochen , war ihm doch niemals so weh durch sie geschehen . Wird er ihr je verzeihen ? – Schon denkt sie nichts andres mehr als : Wird er mir je verzeihen ? .. . Das macht : sie ist gefangen , ein Spielball in eines Knaben Hand – die große Božena ! 5 Während Božena in so schweren Herzenskämpfen rang , wurde auch ihr Schützling von seinem Schicksal ereilt . Zugleich glücklicher und unglücklicher als ihre Getreue , hatte Rosa eine Neigung eingeflößt , die sich nicht verbarg , die nur allzu eifrig zur Schau getragen wurde , die aber so gut wie keine Hoffnung bot , zu ihrem Ziele , dem Frieden einer erwünschten Ehe , zu gelangen . Seit einigen Monaten war in der Umgebung Weinbergs ein Ulanenregiment einquartiert , dessen hübschester Leutnant den großen , sehr mittelmäßig gepflasterten Platz des Städtchens für den geeignetsten Ort zu halten schien , wo seinen Pferden die letzte , höchste Dressur beizubringen wäre . Er kam heut auf dem Mohrenkopf und morgen auf dem Schwarzbraun ; er umkreiste den steinernen Brunnen im Jagdgalopp , im spanischen Schritt , im kurzen und im langen Trabe . Er jagte , die Hand am Schirme seines Käppchens , im Fluge wie ein Kosak , oder er ritt feierlich und langsam wie der Cid unter Ximenens Altan an dem alten Hause vorüber . Und am Fenster stand Rosa voll Bewunderung und lächelte ihm zu . Seit dem Augenblicke , da sie ihn zum ersten Male gesehen , hatte ein neues Leben für sie begonnen . Seltsam , seltsam war ihr's damals ergangen . So , meinte sie , so rasch , so plötzlich und unwiederbringlich hätte noch keine ihr Herz verloren , nein , verschenkt – gern , glückselig verschenkt . Mit klingendem Spiele und flatternden Fähnlein war das Regiment auf einem Marsche nach der neuen Garnison durch die Stadt geritten . Und Rosa , von dem Schalle der lustigen Musik an das Fenster gelockt , hatte sich ergötzt an dem bunten Schauspiel zu ihren Füßen ; Zug um Zug marschierte vorüber , und manches Auge richtete sich mit Wohlgefallen auf das Mädchen , das so übermütig auf die staubbedeckten Reiter herabsah , als defilierten sie nur ihr zu Ehren und zum Spaße da vorbei . Endlich kam er herangeritten , nachlässig , mit schlaffen Zügeln , und träumte vor sich hin . Nun schien das alte Haus seine Aufmerksamkeit zu erregen . Wie ein verwitterter Aristokrat inmitten geschniegelter Emporkömmlinge nahm es sich mit seinen etwas abgebröckelten Stukkaturen , seinen schweren Strebepfeilern und tiefen Fensterbogen aus neben den blanken , charakterlosen Nachbarn . Der Offizier sah an dem grauen Gemäuer empor , wie überrascht von seiner altertümlichen Schönheit . Als wecke es in ihm eine wehmütige Erinnerung , betrachtete er es ernsthaft , ja traurig und doch fast liebevoll . Und jetzt begegnete sein Blick dem der Rose am Fenster , dieser holden , trotzigen Rose , so schön , so frisch in ihrer düsteren Umrahmung . Vier junge Augen ruhten ineinander mit unschuldigem Erstaunen , mit selbstvergessenem Entzücken . Und das alte , ewig neue Wunder vollzog sich ; in zwei von Schmerz und Glück noch unberührten Seelen erwachte die Sehnsucht und mit Bangen die Ahnung all der Wonnen und all des Wehs , die sie bestimmt waren einander zu bereiten , die Ahnung des großen Lebensgeheimnisses , das Aufgehen des eigenen in einem fremden Dasein . Unwillkürlich hielt der Jüngling sein Pferd an und stand regungslos mit emporgewandtem Haupte , mit dem Ausdruck der seligsten Bewunderung auf seinem Gesichte . Eine Hand , die sich auf seine Schulter legte , eine Stimme , die ihn anrief : » Schläfst du , Fehse ? « weckte ihn aus seiner Versunkenheit . Er errötete über und über und setzte sich wieder in Bewegung . Der Kamerad aber war der Richtung , welche die Augen des Freundes genommen , mit den seinen gefolgt , er lächelte und machte eine Bewegung , als wollte er sagen : Ja so – jetzt verstehe ich ! Und Rosa , bestürzt , beschämt , eilte vom Fenster hinweg mit dem Gefühl einer ertappten Sünderin . Wie peinlich war der Augenblick ! Und doch – sie hätte ihn nicht tauschen mögen gegen alle frohen Stunden , die sie bisher erlebt . Das kindische Pärchen flog in sein erstes Liebesabenteuer hinein wie junge Vögel in das Feuer . Damals hatte ein österreichischer Offizier alle mögliche Zeit , seine Privatangelegenheiten zu besorgen . Wenn er , wie Fehse es tat , auch täglich drei Meilen weit ritt , um an der Wand den Schatten seiner Angebeteten oder am Fenster den Schimmer ihres Nachtlämpchens zu erblicken , der Dienst , der ihm oblag , brauchte nicht darunter zu leiden . Später wurde der Leutnant in ein dem Städtchen näher gelegenes Dorf versetzt , und nun begannen jene Fensterparaden auf dem Platze , die sehr bald Rosas Freude ausmachten und Herrn Heißenstein ein Ärgernis gaben . Frau Nannette nahm von alldem keine Notiz . Eine Sache , von der man sich nur Kenntnis verschaffen konnte , indem man aus dem Fenster sah , fand sie für angemessen zu ignorieren . Sie predigte nicht etwa mit Worten allein , sie predigte durch ihr Beispiel . Sie pflegte zu unterlassen , was Regula bleibenlassen sollte . Jawohl , bleibenlassen ! Oder hat man jemals gehört , daß ein wohlerzogenes Mädchen Lust und Zeit hätte , aus dem Fenster zu sehen ? Wenn dies der Fall , dann muß Frau Nannette sich schämen und ihre Unwissenheit bekennen . Denn wahrlich , ihr ist dergleichen niemals zur Kenntnis gekommen . Einen stillen , aber heißen Bewunderer fanden die equestrischen Übungen des Leutnants an Mansuet Weberlein . Von seinem Kasten aus , in dem er hockte wie der Frosch im Wetterglase , begleitete der Kommis die Versuche des Ulanen , Fräulein Augentrosts Aufmerksamkeit zu erwecken , mit seinen innigsten Sympathien . Er war ein so begeisterter Anhänger des Militärs , daß er jedem Unternehmen , gleichviel ob es von dem ganzen Stande oder von einem einzelnen seiner Mitglieder in das Werk gesetzt wurde , das beste Gedeihen wünschte . Wie es kam , daß sich in Weberleins Seele kriegerische Neigungen entwickelten , ist unerklärt geblieben . Er stammte aus einem friedfertigen Geschlechte . Seine Ahnherren hatten als Kommis im Geschäfte Heißenstein gedient , solange dasselbe überhaupt bestand , und sein Vater hatte ihn auferzogen in der Furcht Gottes und der Militärpflicht . Und trotzdem ! Als er achtzehn Jahre alt und noch nicht viel über drei Schuh in der vertikalen , aber schon bedenklich in der schrägen Richtung gewachsen war , da kamen Werber aus Ungarn herüber in die Stadt . Mansuet entlief seinem väterlichen Hause und stellte sich . Er wurde ausgelacht und heimgeschickt . Aber von diesem Tage an galt er in seiner Familie für einen Haudegen und fühlte sich in einem gewissen Grade mit dem Soldatenwesen verbunden . In gemütlichen Stunden sagte er zu seinen Vertrauten : » Sehen Sie , jetzt wäre ich Hauptmann , wenn ich nämlich gedient , ich wäre sogar Major , wenn man mich nämlich dazu gemacht hätte . « Er wußte den Militärschematismus auswendig und avancierte mit seinen eingebildeten Kameraden in seinem eingebildeten Range . Wenn der hübsche Leutnant Fehse am Hause vorüberritt , da verfehlte Mansuet niemals , dem zweiten Kommis zuzuflüstern : » Sehen Sie , der wäre jetzt mein Subordinierter , wenn ich nämlich gedient hätte , bei den Ulanen nämlich , und zwar im zweiten Regimente . « Die unschwer zu erratenden Absichten seines » Subordinierten « aus allen seinen Kräften zu fördern , empfand Weberlein den lebhaftesten Drang . Und eines schönen Morgens , als Fehse wieder sein Pferd auf dem Platze tummelte , bemerkte sein stiller Gönner , mit einer Hand auf den Schützling deutend und mit der andern dem Prinzipal einen Brief zur Unterschrift vorlegend : » Ansprechendes Exterieur , das des Herrn Leutnants . Scheinen hier einen Punkt der Anziehung gefunden zu haben . « Und als Heißenstein schwieg , fuhr der Kommis mit einem diplomatischen Lächeln fort : » So frei gewesen , über den Herrn Leutnant Erkundigungen einzuziehen . Bei Großhändler Heller . Sind dort täglicher Gast . Gute Referenzen . Sehr ästimiert im Regimente , höchst anständig . « » Kümmert das Sie ? « fragte Herr Heißenstein in wegwerfendem Tone und schob dem Kommis den unterzeichneten Brief hin . Weberlein legte einen zweiten vor und erwiderte : » Sehr viel . Die Anständigkeit des Nebenmenschen kümmert mich immer sehr viel . « Sie wollen sich vermutlich mit ihm in Verbindung setzen « , bemerkte der Prinzipal spöttisch . Weberlein war einmal entschlossen , kühn zu sein ; er ließ sich nicht irremachen durch die majestätische Ironie Heißensteins . Er dachte : Wetter ! man muß etwas tun für seine Freunde . Ein gutes Wort kann Wunder wirken ; es kann Möglichkeiten ins Auge fassen lassen , die sonst nicht erwogen worden wären . Und so sprach er : » In Verbindung – ich ? – Nur insofern , als ich vermöchte , eine Verbindung mit andern Personen zu vermitteln , die ihm wahrscheinlich erwünschter wäre . « Während dieser letzten Rede hatte der Haudegen seine Augen recht fest auf das Blatt in seiner Hand gerichtet . Jetzt wandte er sie seinem Chef zu . Der saß kerzengerade aufgerichtet und machte eine so eisige Miene , daß Mansuet sich von ihrem Anblick durch und durch erkältet fühlte und hüstelnd , als fröre ihn , seinen Rock zuknöpfte . Heißenstein sah den Kommis von der Seite an , und jede Falte auf seinem Gesichte , jedes Haar seiner emporgezogenen Augenbrauen schien zu sagen : Dieser Mensch wird mich niemals verstehen ! Der Tag verging . Herr Heißenstein kam auffallend früh und in auffallend schlechter Laune zum Abendessen . Die letztere wurde noch vermehrt , als er Rosas Platz am Tische unbesetzt fand . Ein unerquickliches Gespräch entspann sich zwischen dem Herrn und der Frau vom Hause . » Wo ist Rosa ? « » Wie allabendlich bei Heller . « » Wer gab ihr die Erlaubnis ... « » Die nimmt sie wohl selbst . Wer hätte der etwas zu erlauben ? « » Ich ! « schrie Heißenstein . » Du hast doch bis jetzt gegen diese Besuche nichts einzuwenden gehabt « , meinte Frau Nannette . » Von nun an hab ich dagegen einzuwenden « , war des Hausvaters kategorische Antwort , und Božena erhielt den Befehl , Rosa sofort abzuholen und nach Hause zu bringen . Die Magd gehorchte , und Regel , die inzwischen ihre Suppe ausgelöffelt und ohne das leiseste Geräusch geschleckt hatte , küßte ihren Eltern die Hände , verbeugte sich ehrfurchtsvoll und verließ das Zimmer . Das Ehepaar war allein . Er hatte die » Brünner Zeitung « , sie ihren Strickstrumpf zur Hand genommen . Vor ihm stand eine Flasche Weines , vor ihr ein kleiner Arbeitskorb , in dem das Knäuelchen infolge der unglaublichen Geschwindigkeit , mit der sie strickte , ruhelos umherhüpfte . Die Bewegung dieses Knäuelchens schien Herrn Heißenstein unangenehm zu sein , denn er sah es manchmal über die Zeitung hinweg grimmig an . Eine Atmosphäre des Unbehagens umgab die beiden alten Leute , und Frau Nannette bemühte sich vergeblich , sie zu zerstreuen . Sie lächelte , nickte mit dem Kopfe , sagte von Zeit zu Zeit : » Ja , ja « , und : » Du lieber Gott , schon ein Viertel nach neun ! « oder : » Wie doch ein Tag so rasch vergeht ! « Sie versuchte sogar durch ein kleines , gemütliches Gähnen die gezwungene Stimmung in eine bequeme zu verwandeln . Alles umsonst ! Endlich hielt sie im Stricken inne , und indem sie mit der Nadel einige Brotkrümchen auf dem Tische in eine gerade Linie schob , teilte sie ihrem Manne mit , als besänne sie sich dessen plötzlich – daß sich ihr heute vormittags auf der Promenade Leutnant von Fehse habe vorstellen lassen . Herr Heißenstein äußerte den Anteil , den er an dieser Nachricht nahm , dadurch , daß er halblaut zu lesen begann : » Versteigerung der kärntnerischen Kammerfondsherrschaft Friesach samt der Fronleichnamsbruderschaft Metnitz ... « Frau Nannette fuhr fort : » Ein sehr gebildeter , sehr wohlerzogener junger Mann ... « » An Gebäuden , an Grundstücken , an Untertanen , an Zehenten « , murmelte Heißenstein . » Du hörst nicht , Lieber « , sprach seine Gemahlin und setzte mit größerem Nachdrucke hinzu : » Von altem Adel , aus Hannover . « In einem Tone , der deutlich sagte : Ich will auch nicht hören , und mit , wie es schien , gesteigertem Interesse an seiner Zeitung las Heißenstein : » An Untertansgiebigkeit , an unsteigerlichem Gelddienste 609 Gulden 23 3/4 Kreuzer ... « » Die Fehse sind so alt wie die Montmorency « , rief nun Frau Nannette etwas gereizt dazwischen und vergaß in der Aufregung , ihrer Rede die logische Gliederung zu geben , die sie ihr sonst so gern verlieh . – » So alt wie die Montmorency , und er spricht das schönste Deutsch , das ich jemals hörte . « » An Kleinrechten « , las Heißenstein weiter , » ein Paar Filzstiefel , ein Stück Hechten , siebenundzwanzig Hendeln , zwei Faschingshühner – – einhundertundfünf Pfund Harreisten ... « Jetzt riß der Faden von Frau Nannettens Geduld . Mühsam , mit großer Selbstüberwindung knüpfte sie ihn wieder zusammen . Sie beugte sich vor , tippte mit der Stricknadel auf den Ärmel ihres Mannes und sprach : » Es wäre mir angenehm , wenn meine Regula öfters Gelegenheit hätte , dieses ganz vortreffliche Deutsch sprechen zu hören . Das Kind ist so bildungsfähig ! Man sollte es nicht glauben , aber heute vormittags wechselte Herr von Fehse einige Worte mit ihr , und schon nachmittags überraschte sie mich mit der Anwendung einiger Imparfaits und Subjonctifs und mit einer weichen Aussprache der Zischlaute , die mich entzückte . Gestatte demnach , lieber Mann ... « Die Stricknadel fuhr schmeichelnd über den Rockärmel , und bittende Augen ruhten auf dem hartnäckigen Leser . Dieser erhob den Kopf und lächelte seine Ehehälfte an , spöttisch , geringschätzig , herausfordernd . Frau Nannette fühlte augenblicklich ihre Lippen trocken werden und ihren Hals sich zusammenschnüren . Sie dachte , nicht ohne einen kleinen Schauder , daß es möglich sei , einen Menschen inständigst zu hassen durch ein ganzes Leben hindurch wegen eines einzigen Lächelns , wenn es soviel Verachtung , soviel Hohn ausdrücke wie dieses . » Du wünschest also « , sprach Herr Heißenstein , » wenn ich recht verstehe , einen Montmorency « – Gott , wie sprach der Mann diesen edlen Namen aus ! – » als Sprachlehrer für unsere Regel . Ich zweifle , ob diese Art in solcher Eigenschaft zu fungieren pflegt , bei Weinhändlerstöchtern . « Jetzt wurde die Türe des Vorzimmers geöffnet ; die Stimme Rosas ließ sich vernehmen . Herr Leopold stand auf . » Genug gescherzt ! « rief er , während seine Tochter eintrat . Er wandte sich gegen sie und schleuderte ihr in drohendem Tone die Worte zu : » Herr Leutnant von Fehse wird mein Haus niemals betreten ! « Das Mädchen erbleichte und fragte ganz verwirrt über diesen sonderbaren Empfang : » Warum , Vater ? – Warum ? – Was hast du gegen ihn ? « » Nichts gegen ihn , nichts für ihn « , erwiderte Heißenstein , » und dabei soll 's sein Bewenden haben . « » Warum ? « wiederholte sie , » er ist brav und gut , alle Welt liebt ihn . « » Du wohl auch ? « fuhr er sie mit grausamem Spotte an . » Ja ! « antwortete Rosa hochaufatmend . Er sah sie an , und eine leise Regung des Erbarmens mit dem Kinde wurde lebendig in seiner Seele . Streng , aber ohne Härte sprach er : » Schlag dir die Löffelei aus dem Kopfe ! Ich will nichts wissen von einem Herrn von Fehse . Du hast gehört , mein Haus betritt er nie . « » Doch , Vater ! « war die kühne Antwort des Mädchens , » er kommt morgen . Er will bei dir um mich werben . « » Werben ?! « schrie Heißenstein in aufloderndem Zorne . » Werben ?! « Mit flammendem Gesichte schritt er auf seine Tochter zu ... Frau Nannette lief es kalt über den Rücken , und mit einem kleinen Schrei sprang sie auf , floh in die Fensterecke und wünschte zu sein , was ihr Mann sie einst genannt : eine Maus – um sich verkriechen zu können . Anders empfand die Tochter , die Schuldige , auf deren Haupt das Ungewitter sich zu entladen drohte , das die funkelnden Augen des Vaters , seine zuckenden Lippen , sein röchelnder Atem verkündeten . Furchtlos kreuzte sie die Arme und sah ihn mit trotziger Entschlossenheit an . Sie war schön , und Božena hatte doch recht : sie glich ihrer Mutter . Selbst jetzt noch , in ihrem Zorne mahnte sie an die sanfte Frau . – Jene hätte das Haupt gebeugt , sie erhob 's – jene hätte den Kampf vermieden , sie nahm ihn auf – und dennoch ! und dennoch ! ... Mitten in seiner Wut , in seiner Empörung über den Widerstand , den sie zu leisten wagte , kam es ihm : Ich hab das Mädel lieb ! – Und wie Ekel an all der Kriecherei und Heuchlerei um ihn her erfaßte es ihn und zog ihn mit Macht zu der einzigen , die seinem Willen ihren Willen entgegensetzte . Es war totenstill im Zimmer . Frau Nannette zitterte unhörbar , und Vater und Tochter standen einander lautlos gegenüber . Endlich sprach Heißenstein : » Er will kommen ? Gut denn . « » Vater ! « rief Rosa , jubelnd über diese unerwartete Antwort . Sie ergriff seine Hand und wollte sie küssen . Er entzog sie ihr mit den Worten : » Mache dir keine Hoffnung , du Törin . « Heißenstein empfing den Herrn Leutnant von Fehse mit aller möglichen Steifheit . Als der Offizier , von Božena geleitet , eintrat , erhob sich der Herr des Hauses , ging ihm aber nicht entgegen . Er ließ ihn herankommen , erwiderte seinen militärischen Gruß mit einem Kopfnicken , und als Fehse sich nannte , wies er ihm schweigend einen großen Lehnstuhl an , der neben dem Schreibtische stand . Er selbst setzte sich wieder auf seinen kleinen unbehaglichen Strohsessel . Gerade aufgerichtet vor seinem Gaste , die Hände auf die Knie gelegt , jede einleitende Phrase verschmähend , erklärte er dem jungen Manne , er wisse , welch einen ehrenvollen Antrag zu stellen der Herr Leutnant gekommen sei , und bedauere lebhaft , daß die obwaltenden Verhältnisse ihn zwängen , denselben abzulehnen . Fehse wurde abwechselnd blaß und rot , richtete seine sanften blauen Augen voll Treuherzigkeit auf den Kaufmann und erklärte seinerseits , daß er Fräulein Rosa innigst liebe . Herr Heißenstein schenkte dieser Versicherung unbedingten Glauben , und der Offizier fühlte seine Hoffnung , daß der Vater seiner Geliebten nicht unerbittlich sein könne , wachsen . Er rief , er sei zwar noch sehr jung , bekleide noch keine hohe Charge , habe kein Vermögen , aber er stamme aus einer geachteten Familie , trage einen ehrenwerten Namen , besitze leidliche Fähigkeiten und hoffe Karriere zu machen . Über seinen Ruf bei Vorgesetzten und Kameraden möge Heißenstein Erkundigungen einziehen , sein Oberst sei bereit , sie zu erteilen . Während er sprach , beobachtete der Geschäftsmann ihn scharf . – Eines großen Geistes Kind bist du nicht , dachte er , aber ein hübscher , anständiger Bursche . Fehses offenes Wesen machte einen günstigen Eindruck auf den mißtrauischen und zurückhaltenden Kaufherrn , und der Gedanke an die Möglichkeit einer Vereinbarung flog ihm durch den Sinn . Aus Liebe hat schon mancher größere Opfer gebracht , als das wäre , das der junge Edelmann um Rosas willen bringen müßte , sagte sich Heißenstein . Er begann umständlich und mit Bedacht dem Offizier zu erzählen , seit wie vielen Generationen das Geschäft , an dessen Spitze er stehe , sich in seiner Familie vom Vater auf den Sohn fortgeerbt habe . Ihm hätte der Himmel seinen Sohn genommen , aber seine ehrenwerte Firma müsse doch fortbestehen , und so sei es denn sein unabänderlicher Entschluß , die Hand seiner älteren Tochter nur demjenigen Manne zu gewähren , der sich herbeiließe , den Namen Heißenstein an zunehmen und dereinst das Handlungshaus weiterzuführen . Das Gesicht Fehses verfinsterte sich , und als Heißenstein mit den Worten schloß : » Wollen Sie auf diese Bedingung eingehen ? « antwortete er bebend vor Entrüstung : » Was berechtigt Sie zu glauben , daß ich meinen Namen weniger hochhalte als Sie den Ihren ? ... Ich bin übrigens Soldat mit Leib und Seele und will es bleiben mein Leben lang . « Herr Heißenstein zollte der klaren und männlichen Sprache des Offiziers , die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ und ihre Unterredung beendete , seine Anerkennung . Er fügte , sich erhebend , hinzu , daß er von einem Manne von so korrekter Gesinnung auch ein korrektes Benehmen erwarte . Er äußerte seine aus seiner Hochachtung für Herrn von Fehse entspringende Überzeugung , daß dieser künftighin jede Gelegenheit , Rosa zu begegnen , meiden werde und unter der soeben ausgesprochenen Verzichtleistung auf ihre Hand auch die Verzichtleistung auf ihre Neigung verstehe . » Keine von beiden ! « entgegnete der junge Offizier flammend und glühend . » Ich liebe Ihre Tochter und werde von ihr geliebt , ich werde alles daransetzen , sie zu erringen ! « Und gleich darauf , seine Heftigkeit bereuend , flehte er : » Machen Sie uns nicht unglücklich ! « » Verlieren Sie keine Worte « , sprach Heißenstein . » Es dürfte Sie später verdrießen , wenn Sie sich erinnern würden , Herr Leutnant von Fehse , daß Sie sich vor einem Weinhändler umsonst gedemütigt haben . « Er machte einige Schritte gegen die Tür . » Ich werde « , rief Fehse außer sich , » nie von Ihrer Tochter lassen ! – und seien Sie überzeugt : sie auch nicht von mir ! ... Sie sollen bereuen , was Sie heute tun . Merken Sie wohl : Ich habe Ihnen nichts versprochen . Ich habe kein Wort zu halten als das Wort , das ich Ihrer Tochter gab ! « Heißenstein stand eine Weile in Gedanken versunken und blickte dem Enteilenden nach . Dann setzte er sich an den Schreibtisch und verfaßte einen langen Brief , den er noch am selben Tage eigenhändig der Post übergab . Rosa wurde fortan unter strenger Aufsicht gehalten . Zwei traurige Monate hindurch durfte sie das Haus nicht verlassen und außer in Gegenwart Frau Nannettens keinen Besuch empfangen . Dennoch gelang es Fehse einmal , ihr Nachricht zu geben , und Božena , die im Zimmer neben dem ihren schlief und der es war , als habe sie ihren Liebling schluchzen gehört , fand Rosa , als sie an ihr Bett trat , im Schlafe weinend , wie sie es als Kind so oft getan . Und dabei hielt sie ein beschriebenes , von Tränen durchnäßtes Blättchen an ihre hochgerötete Wange gedrückt . Am nächsten Morgen fragte Božena wohl : » Was war das für ein Brief ? « Aber sie bekam eine ausweichende Antwort , und begnügte sich damit . » Wie mögen Sie die Rosa quälen ? « sagte sie zu ihrem Herrn . » So eine erste Liebelei , das ist wie Märzenschnee ... « So rein , meinte sie , und so vergänglich . Von Ahnungen und Träumen nährt sich die junge Liebe , ist fern von ihrem Gegenstand glücklich durch den Gedanken an ihn ; wenn sie weint , so freut sie sich ihrer Tränen , und wenn sie leidet , ist sie stolz auf ihren Schmerz ... Was bedeutet die unschuldige Schwärmerei eines Kindes gegen die lodernde Höllenglut im Herzen Boženas ? 6 Heißenstein erschien eines Tages in ungewöhnlich guter Stimmung im Familienzimmer . Er hatte zwei angenehme Nachrichten erhalten . Die erste lautete , das Regiment des Leutnants von Fehse sei im Begriffe , in eine neue Garnison zu marschieren ; die zweite hatte ein Brief gebracht , die Antwort auf das Schreiben , das er nach seiner Unterredung mit dem Offizier nach Wien geschickt . Sie lautete : » Wohledler Herr ! Euer Wohledlen zeige ich hiermit an , daß mein Sohn Joseph sich im Verlaufe der nächsten Woche die Ehre geben wird , Euer Wohledlen persönlich aufzuwarten . Derselbe ist vor wenigen Tagen aus England hier eingetroffen , allwo er die ihm aufgetragenen Geschäftsangelegenheiten zu gedeihlichem Abschlusse gebracht hat . Meine angenehme Hoffnung ist es jetzo , daß es ihm auch reüssieren möge , sich die Wohlgeneigtheit und die gute Gesinnung Euer Wohledlen und deren werter Familie zu erwerben , und kann keineswegs umhin zu versichern , daß mein innigster Wunsch befriedigt wäre , wenn mir heut über ein Jahr die Gelegenheit geboten und die Satisfaktion gewährt würde , in großväterlichem Kometenwein ( grünes Siegel ) die Gesundheit des ersten Frohburg-Heißenstein ausbringen zu dürfen . Der ich verharre , Euer Wohledlen dienstwilliger Frohburg . « Während der Mahlzeit sprach Heißenstein wiederholt von seinem ehemaligen Jugend- und jetzigen Geschäftsfreunde Frohburg . Er lobte dessen wohlgeratene Kinder , er lobte vor allen dessen zweitgeborenen Sohn Joseph , den er zum letztenmal vor fünf Jahren in Wien gesehen hatte . Der Jüngling war damals zwanzig Jahre alt und berechtigte zu den schönsten Hoffnungen . In gut bürgerlichen Verhältnissen erzogen , zur Arbeit und Pflichterfüllung angehalten , hatte er sich zu einem tüchtigen Manne herangebildet . Wohl dem Vater , der sich eines solchen Sohnes rühmen darf , wohl der Frau , die er einst mit seiner Hand beglückt ! – Heißenstein kündigte den bevorstehenden Besuch Josephs an und trug Frau Nannette auf , das Gastzimmer zu seinem Empfange auf das beste herstellen zu lassen . » Ich hoffe und wünsche , daß er sich heimisch fühle bei uns ! « setzte er hinzu , und die Drohung : Weh euch , wenn er sich nicht heimisch fühlt ! klang aus seinem Tone . Obwohl Frau Nannettens stummes Kopfnicken die einzige Antwort war , die er erhielt , obwohl sich nicht die leiseste Einwendung gegen seine Behauptungen und Befehle erhob , hatte er sich in eine Gereiztheit hineingeredet , die nur hartnäckiger Widerspruch erklärt haben würde . Oder wurde sie vielleicht durch Rosas bleiches Gesicht hervorgerufen ? – durch den verhaltenen Schmerz , mit dem sie ihre Lippen biß ? – durch die Blicke , die sie ihm aus glühenden Augen zuwarf , die in der letzten Zeit dunkler geworden schienen und in jenem feuchten und feurigen Glanze leuchteten , den vieles Weinen jungen Augen verleiht ? ... Las er die Gedanken von ihrer Stirn ab ? Lag ihr Herz offen vor ihm ? Sie hatte ihn verstanden und schauderte . So wenig kannte sie der alte Mann ? Er meinte sie zwingen zu können zu einer ihr widerstrebenden Ehe ? Wäre ihr Herz auch frei gewesen , niemals hätte sie sich zwingen lassen . Und jetzt , da sie liebte , da er es wußte , glaubte er für sie wählen zu können ? ... Welch ein Abgrund klaffte zwischen ihm und ihr , wie fremd stand sie mitten unter den Ihren , wie allein im Vaterhaus ! Mit welcher bitteren Qual empfand sie die traurigste von allen Einsamkeiten , die unter Menschen , die uns die nächsten sein sollten . Unzufrieden mit sich selbst verließ Heißenstein das Gemach . Er hatte sich übereilt . Er hätte noch schweigen , noch nichts verraten sollen von seinen Zukunftsplänen , hätte einen Monat oder zwei ins Land gehen lassen sollen , bevor er den Geschäftsfreund an die längst schon zwischen ihnen genommene Verabredung mahnte . Er machte einen Gang durch die Stadt und besann sich , daß im Kontor die Arbeit seiner warte . Er begab sich in das Kontor und sah bald ein , daß er unfähig war , auch nur zwei zusammenhängende Zeilen niederzuschreiben . Endlich versuchte er , sich mit Mansuet in ein Gespräch einzulassen . Aber der war schweigsam und niedergeschlagen und gab nur einsilbige Antworten . Wissen Sie schon ? die Ulanen marschieren « , fragte der Chef unter anderm . » Weiß « , brummte Mansuet und spitzte die Ohren , wie in die Ferne lauschend . » Sie kommen schon hier vorbei ! « rief der zweite Kommis und sprang auf , » man hört die Musik ! « Heißenstein verließ das Kontor und stieg zum Zimmer seiner Tochter empor . Als er die Tür des weitläufigen Gemaches leise öffnete , sah er Rosa in der Fensternische halb sitzend , halb liegend hingestreckt . Sie hatte die Arme über ihren Arbeitstisch geworfen und das Gesicht in die Linnen vergraben , die ihn bedeckten . Ihr ganzer Körper bebte unter den Erschütterungen eines heftigen Schluchzens , das sich schmerzlich emporrang aus der Tiefe ihrer Brust . Von einem flüchtigen Mitleid ergriffen , blieb ihr Vater , ohne ein Zeichen seiner Gegenwart zu geben , am Eingange stehen . Er war gekommen , um sie zu verhindern , dem Geliebten ein letztes Lebewohl zuzuwinken , nun dachte er : Mag sie doch ! – nachher ist ja ohnehin alles vorbei . Das Getrappel der Pferde ertönte auf dem Pflaster , die Klänge eines alten Reiterliedes schallten durch die Luft . » Lebewohl ! Lebewohl , mein Lieb ! « sprachen sie , riefen sie dem verstehenden , pochenden Herzen zu . Langsam richtete Rosa sich auf , sie öffnete das Fenster nicht , beugte sich nicht hinaus . Mit dem Rücken an die Wand gelehnt , die Arme schlaff herabhängend , stand sie regungslos , atemlos und starrte hinunter . Und jetzt stieg eine dunkle , heiße Blutwelle in ihr Gesicht ... Jetzt war er vorbeigekommen . – Und jetzt nickte sie ernsthaft und wiederholt , als hätte ihr jemand fragend zugewinkt und als antworte sie : Ja ! – ja , gewiß ! Und wie beteuernd preßte sie beide Hände an ihre Brust . Was soll's ? War das eine Verabredung ? ... Geräuschvoll schloß Heißenstein die Türe , deren Klinke er noch in der Hand hielt . Rosa wandte sich , erblickte ihren Vater , und mit einem Schrei , mit ausgebreiteten Armen stürzte sie auf ihn zu . Sie warf sich vor ihm nieder und umklammerte seine Knie , sie drückte ihre Lippen auf seine abwehrenden Hände und beschwor ihn mit Tränen und mit Schluchzen : » Vater , Vater , gib mich ihm ! « Aber das bißchen Mitleid , das er mit einem Geschöpf empfinden konnte , das sich ihm widersetzte , war erloschen . Daß sie noch hoffte , daß sie noch meinte ihren Willen durchzusetzen , daß sie es noch versuchte , das empörte ihn . Ist er der Mann , der seine Entschlüsse ändert ? – hat er nicht so manchen , den er übereilt gefaßt , zu seinem eigenen Nachteil ausgeführt , bloß deshalb , weil er ihn einmal gefaßt hatte ? Und sie traute ihm zu , er werde jetzt nachgeben , da es sich um die Erfüllung eines Lebenswunsches handelte , um das Gelingen sorgsam vorbereiteter und lang gehegter Pläne ? Er hatte ihr wohl zuwenig Strenge gezeigt , sie fürchtete ihn nicht genug . Er ließ sich nicht zu einem Zornesausbruch hinreißen , er blieb nur dabei : sie muß sich fügen . Der Sinn von allem , was er sagte , war : Mit dem Ungeliebten wirst du leben , den Geliebten wirst du vergessen . Auch in ihr waren die weichen und sanften Empfindungen nicht die vorherrschenden . In die Laune , zu bitten , kam sie selten . Heut galt es ihr ganzes Lebensglück , und das alte Wort : Not lehrt beten , bewahrheitete sich an ihr . Sie flehte demütig und inbrünstig ; aber so wie er von seinem Entschlusse nicht wich , so blieb auch sie bei dem ihren : Ich heirate keinen andern als meinen Geliebten . » Ich hab ein trauriges Leben « , klagte sie . » Du warst niemals gut gegen mich , und die andern sind bös und falsch gewesen . Endlich hab ich mein Herz an einen Fremden gehängt , kann ich dafür ? Hat eure Gleichgültigkeit mich nicht dazu gestoßen ? Sei du jetzt väterlich – verzeih mir – denke , wenn ich ein Unrecht getan habe , es ist zur Hälfte dein . Verzeih mir , Vater , und laß mich gewähren . Du weißt , ich war zeitlebens ein störrisches Geschöpf . Und den braven Joseph heiße warten ; ein paar Jahre nur , dann heiratet er die brave Regula . Die sagt ja zu allem , was du befiehlst , die ist nicht widerspenstig wie ich . Belohne sie für ihren Gehorsam mit deinem ganzen Hab und Gut . Ich will nichts , ich verzichte auf alles – nur deinen Segen gib – sag nur : ziehe hin ... « » Ins Elend ! « rief Heißenstein . » Weißt du , was du verlangst ? Kennst du den Jammer einer armseligen Militärwirtschaft ? das Herumzigeunern von Dorf zu Dorf ... Eine Ehe ohne eigenen Herd , einen Haushalt , den man nicht bestreiten , Kinder , die man nicht erziehen kann ? Und er – glaubst du , daß er dich möchte , wenn du ihm kämst ohne einen Heller ? Ein Narr wäre er , wenn er dich so nähme , und gewissenlos dazu . Also : nein ! Und kein Wort mehr darüber : du gehorchst ! « Sie bewegte noch ihre Lippen , aber sie sprach nicht mehr . Ihre Tränen waren versiegt , finster blickte sie ihren Vater an , der schon an der Türe stand . Da schien ein plötzlich ausbrechendes Gefühl sie zu überwältigen . Sie eilte ihm nach und warf sich an seine Brust . Er fragte : » Bist vernünftig ... willst gehorchen ? « Sie gab keine Antwort , sie trat weg von ihm , nachdem sie ihn noch einmal innig geküßt hatte . Eine Stunde später ließ sie ihn bitten , den Rest des Tages auf ihrem Zimmer zubringen zu dürfen , und die Erlaubnis dazu wurde ihr gewährt . Frau Nannette lauerte und beobachtete und schlich mehrmals an Rosas Türe vorbei und sah zufällig – sie wußte wenigstens selbst nicht , wie es geschah – durch das Schlüsselloch . Rosa saß an ihrem kleinen Pulte und ordnete die Gegenstände , die in der Lade aufbewahrt waren . Im ganzen Hause herrschte einmal wieder dumpfe Gewitterschwüle . Der » Herr « grollte , Božena ging mit verstörter Miene umher , Mansuet war in bärbeißiger Laune und hatte auf offener Straße einen Streit gehabt mit Bernhard dem Pfau . Einen Streit , den der kleine Kommis mutwillig heraufbeschwor . Ohne allen Grund war er im Gespräche mit dem Jäger immer anzüglicher geworden und hatte endlich etwas gemurmelt von einem » erbärmlichen Wicht « . Und Bernhard hatte erwidert : » Führen Sie keine solchen Stichelreden , Sie haben kein Savoirvivre . « Worauf Mansuet rief : » Das ist mir tuttegal ! Wenn ich auch nicht sage , was Sie sind , deswegen bleiben Sie 's doch . « Der Streit würde sicherlich zu Tätlichkeiten geführt haben , wenn der gräfliche Kammerdiener , der demselben beiwohnte , den Jäger nicht fortgezogen und gesagt hätte : » Laß ihn , was kümmerst du dich um den alten Krakeeler ! « Früher als gewöhnlich wurde heut zur Ruhe gegangen . Jeder der Hausbewohner schien Eile zu haben , sich in seine Stube zurückzuziehen . Frau Nannette schritt in der ihren auf und nieder , seltsame Gedanken und Hoffnungen bewegten sie . Sie war kurzsichtig , ihr Ehrgeiz zu wenig hochfliegend gewesen . Sie hatte in dem Leutnant von Fehse nur einen bildenden Umgang gesehen , nur einen Reformator für Regulas vom Dialekt etwas angehauchte Aussprache . Und nun zeigte sich , daß er sie hätte befreien , erlösen können von dem ewig störenden Einfluß der Stieftochter ; er hätte , geschickt unterstützt , diese vielleicht sogar dahin bringen können , sich mit ihm zu verbinden , auch gegen den Willen ihres Vaters . Ein unversöhnlicher Zwiespalt wäre daraus entstanden . Heißenstein hätte sich losgesagt von der verlorenen Tochter , und in alle Rechte , die Rosa einbüßte , würde Regula getreten sein . Frau Nannetten schwindelte , als alle diese Gedanken in ihr aufstiegen . So nahe war , so erreichbar die Erfüllung ihrer kühnsten , verwegensten Wünsche gewesen , und sie hatte nichts davon geahnt . Eine kostbare , einzige , nie wiederkehrende Gelegenheit war versäumt , ihrer Tochter die alleinige Herrschaft über das Haus und all seine reichen Güter für die Zukunft zu sichern . Aufgeregt wie nie in ihrem Leben , bestieg sie ihr Lager und löschte das Licht . Aber an Schlaf war nicht zu denken . Sie lag sinnend und grübelnd , und ihre Pulse hämmerten fieberhaft . Im Kamin heulte der Sturm , und draußen umraste er das Haus ; warf Sand an die Scheiben , daß sie klirrten , prallte an das Tor , daß es dröhnte ; riß Ziegel vom Dach und schleuderte sie mit Gepolter auf die Straße . Frau Nannette hüllte sich in ihre Decke und flüsterte mechanisch ihr Abendgebet . Wie ist ihr ? Wird ihre spröde Phantasie beweglich und gaukelt ihr die Verwirklichung ihrer Träume vor ? ... Narrt sie die Einbildung , oder hört sie wirklich das Haustor knarren in seinen verrosteten Angeln ? – Es ist geöffnet worden , mühsam , langsam – und alsbald schlägt der Sturm es wieder zu , und schwer fällt es ins Schloß . Nannette erhebt sich und eilt ans Fenster . Die Nacht ist dunkel , von keinem Stern erhellt . Die vier Öllampen , welche die Beleuchtung des Platzes zu besorgen haben , verbreiten ein gar spärliches Licht . Sie lauscht , sie späht in die Nacht hinaus , sie wünscht sich die Augen einer Eule , um die Finsternis durchdringen zu können . Jetzt , jetzt sieht sie in die Lichtscheibe , die eine der Lampen auf den Boden wirft , eine Gestalt treten – eine Gestalt im weißen Reitermantel – sie scheint eine zweite zu stützen , zu leiten ... Einen Augenblick sind die beiden klar und deutlich sichtbar , dann verschwinden sie im Dunkel . Nannette hat sie erkannt ... Und ihr Gewissen ruft ihr zu : Verhindere Unheil – rette das Haus vor Schmach . Auf ! auf ! den Mann geweckt – ein Wort , ein Ruf von ihm führt das verirrte Kind zurück . Noch ist es Zeit – tu deine Pflicht ! Was Pflicht ! ... Ihrer Tochter die Wege bereiten , das ist ihre Pflicht ! ... Minuten vergehen , schwerwiegende Minuten . Das Schicksal gönnt ihr noch eine Frist , um ihre Kraft zusammenzuraffen zu einer guten Tat . Sie läßt sie ungenützt vergehen . Ein leichter Wagen fliegt über das Pflaster , Funken sprühen auf unter den Hufen der Rosse . – In den Lüften aber wird es still – still ringsumher – nichts laut als nur der Schall , den jenes Gefährte weckt und sein jagendes Gespann . Von Fieberfrost geschüttelt , horcht Nannette . Sie möchte den Sturm beschwören , daß er das Gerassel der Räder übertöne , das den Vater wecken , ihre Hoffnungen noch jetzt vernichten kann ... Grundlose Sorge ! Der Sturm hat nur neuen Atem geschöpft ; er erhebt sich stärker als zuvor und verschlingt in seinem Toben das ohnmächtige Geräusch , das die Erde ihm zusendet in sein luftiges Reich . Am nächsten Morgen , als Božena ihm das Frühstück auf sein Zimmer brachte , war Heißensteins erste Frage : » Wie geht es Rosa ? « » Alles still bei ihr , sie schläft wohl noch « , antwortete die Magd . Er zürnte : » Schläft – um acht Uhr ? Was für Gewohnheiten ! ... Hat die Prinzessin soviel Zeit übrig ? Wecke sie . Schicke sie hierher . « Eine Viertelstunde verging . Rosa kam nicht , Božena brachte keinen Bescheid . Ist das Kind krank ? – Unsinn ! Man wird nicht krank wegen einer bekämpften Laune . Das kommt in Romanen vor , nicht im Leben . Oder stellt sie sich vielleicht krank ? Das wäre sehenswert ! Mit raschen Schritten geht er über den Gang , kleine Treppen auf und ab . Der Weg von seinem Zimmer zu dem der Tochter scheint ihm endlos . – Ein rechtes Winkelwerk , denkt er , dieses Haus . Er würde den alten Kasten umgebaut haben , wenn ihm der Himmel einen Sohn gelassen hätte . Aber so ! – Für einen Schwiegersohn unternimmt er dergleichen nicht . An die Stelle eines Kindes wird der niemals treten , wenn er auch noch so ehrenvoll den Namen der allgeschätzten Firma trägt . Heißenstein biegt um die Ecke des schmalen Ganges , der zu Rosas Zimmer führt , und staunt , die Tür nur angelehnt zu finden . Er tritt ein ; Rosa ist nicht da – das Bett ist unberührt – die Lade des Pultes , in dem sie ihre kleinen Reichtümer aufzubewahren pflegt , geöffnet , doch scheint nichts darin zu fehlen , und der Schlüssel steckt . Heißenstein schließt die Lade und zieht den Schlüssel ab . » Nachlässig und vergeßlich wie immer ! « brummt er , dabei jedoch erfaßt ihn eine unerklärliche Angst . Er eilte zu seiner Frau hinüber ; sie saß am Klavier und gab ihrer Tochter Unterricht . » Hast du Rosa schon gesehen ? « fragte er und bemühte sich , seinem Ausdruck den Anschein der Gleichgültigkeit zu geben . » Heute noch nicht « , antwortete Frau Nannette obenhin , ergrünte wie der Freiherr von Münchhausen und wandte sich sofort wieder zu Regula , sie beschwörend , dis und es , trotz ihrer scheinbaren Ähnlichkeit , niemals zu verwechseln . Heißenstein murmelte einen Fluch und schritt hinaus . Er ist wohl verrückt , sich Gedanken zu machen . Wohin anders sollte Rosa gegangen sein als in die Kirche , die Frühmesse zu hören , zu beten um Ergebung , Sanftmut , Geduld , die ihr nottun , wahrlich ! – Das ist's . Wie kam er nicht gleich darauf ? ... Daß man doch immer die einfachste , natürlichste Erklärung zuletzt findet . Jetzt wird sie wohl zurückgekehrt sein , und wenn auch nicht , er will sie erwarten in ihrem Zimmer und sie ohne Härte empfangen . Er nimmt sich überhaupt vor , in Zukunft milder gegen sie zu sein . Ihr Vorwurf gestern , so ungerecht er war , hat ihm weh getan und fordert zum mindesten eine Widerlegung , eine Zurechtweisung . Auf dem Gange rennt Božena ihrem Herrn in den Weg ; verstört – bleich wie der Tod . » Fort ! « keucht sie – » das Kind ist fort ! « » Schweig , Närrin ! « ruft er ihr zu , » Rosa ist daheim – in ihrem Zimmer , muß daheim sein « – und zum zweiten Male tritt er in das Gemach . Božena weiß : es ist nicht – er irrt ! und dennoch weckt die Zuversicht , die ihr Herr zur Schau trägt , in ihr einen Schimmer von Hoffnung ; er ist trügerisch ; wie bald , und er erlischt . Sie stehen in dem Gemache des Kindes und finden es leer . Von neuem jammert Božena : » Sie ist fort ! « Und den alten Mann überfällt plötzlich und mit Entsetzen die Gewißheit , daß er seine Tochter verloren hat . Augenblicklich fordert seine Qual ein Opfer , an dem sie sich rächen kann . Schäumend , mit der blinden Wut eines Tieres dringt er auf Božena ein und schmettert sie zu Boden . Sie fällt hin wie ein Baum , sie wehrt sich nicht . So hast du sie gehütet ? « schreit er halb von Sinnen und wiederholt ohne Aufhören : » So hast du sie gehütet ? « Sie zuckt nicht unter seiner ehernen Faust , sie erhebt sich nicht , sie fühlt nichts , sie weiß nichts zu sagen als : » So hab ich sie gehütet ! « Er faßt ihre gerungenen Hände und reißt sie empor auf ihre Knie . » Sie mußte durch dein Zimmer – mußte sie nicht ? ... Und du liegst auf dem Ohr – und hörst nichts , siehst nichts – hast geschlafen wie ein Klotz ! ... Hast geschlafen , während sie davonging – du ! du ! Die sich ihre Pflegemutter nannte ... Eine saubere Pflegemutter ! Eine saubere Wärterin ! Eine brave Magd ! « Božena lag gebrochen und ohnmächtig vor ihm auf den Knien . Als er die Worte sprach : » Hast geschlafen ... « hatten ihre Augen ihn mit der Scheu des Wahnsinns angeblickt und sich dann gesenkt in verzweiflungsvoller Scham . Ein klägliches Wimmern und Stöhnen entrang sich ihrer Brust . – Geschlafen ? das glaubte er ? .. . O der harte , rauhe Gebieter – der schonungslose Herr , vor dem alle zittern , den sie unbarmherzig nennen , der das geringste Versehen wie einen unverzeihlichen Fehler bestraft ... Nicht mit dem leisesten Verdacht streift er ihre Schuld ! Was sie getan hat , das traut er ihr nicht zu . Er klagt sie an , doch er verunehrt sie nicht , wie er 's sollte – wie sie es verdient , wie sie selbst sich verunehrt hat ! Was sie getan , er kann es nicht einmal im höchsten Zorn denken – sie ist schlechter , als ein Mensch denken kann ! ... Sorglosigkeit wirft er ihr vor .