Erstes Buch : Theoderich Erstes Kapitel . Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach Christus . Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunkeln Fläche der Adria , deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel : nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna . In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Höhenzug , welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt , einst gekrönt von einem Tempel des Neptun , der , schon damals halb zerfallen , heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist . Es war still auf dieser Waldhöhe : nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter , und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben , die den ganzen Kreis der Seefestung umgürteten . Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstufen , – Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes . Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann , der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß , den Rücken an die höchste Stufe gelehnt , und schweigend und unverwandt in Einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte . Lange saß er so : regungslos , aber sehnsüchtig wartend : er achtete es nicht , daß ihm der Wind die schweren Regentropfen , die einzeln zu fallen begannen , ins Gesicht schlug , und ungestüm in dem mächtigen , bis an den ehernen Gurt wallenden Bart wühlte , der fast die ganze breite Brust des alten Mannes mit glänzendem Silberweiß bedeckte . Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder : » Sie kommen , « sagte er . Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar , die sich rasch von der Stadt her dem Tempel näherte : man hörte schnelle , kräftige Schritte , und bald danach stiegen drei Männer die Stufen der Treppe herauf . » Heil , Meister Hildebrand , Hildungs Sohn ! « rief der voranschreitende Fackelträger , der jüngste von ihnen , in gotischer Sprache mit auffallend melodischer Stimme , als er die lückenhafte Säulenreihe des Pronaos , der Vorhalle , erreicht . Er hob das Windlicht hoch empor – schöne , korinthische Erzarbeit am Stiel , durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm , und den gewölbten durchbrochenen Deckel – und steckte es in den Erzring , der die geborstne Mittelsäule zusammenhielt . Das weiße Licht fiel auf ein apollinisch schönes Antlitz mit lachenden , hellblauen Augen ; mitten auf seiner Stirn teilte sich das lichtblonde Haar in zwei lang fließende Lockenwellen , die rechts und links bis auf seine Schultern wallten ; Mund und Nase , fein , fast weich geschnitten , waren von vollendeter Form , ein leichter Anflug goldhellen Bartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn ; er trug nur weiße Kleider : einen Kriegsmantel von feiner Wolle , durch eine goldne Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festgehalten , und eine römische Tunika von weicher Seide , beide mit einem Goldstreif durchwirkt ; weiße Lederriemen befestigten die Sandalen an den Füßen und reichten , kreuzweis geflochten , bis an die Kniee ; die nackten , glänzendweißen Arme umzirkten zwei breite Goldreife : und wie er , die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen , die ihm zugleich als Stab und als Waffe diente , die Linke in die Hüfte gestemmt , ausruhend von dem Gang , zu seinen langsameren Weggenossen hinunterblickte , schien in den grauen Tempel eine jugendliche Göttergestalt aus seinen schönsten Tagen wieder eingekehrt . Der zweite der Ankömmlinge hatte , trotz einer allgemeinen Familienähnlichkeit , doch einen von dem Fackelträger völlig verschiednen Ausdruck . Er war einige Jahre älter , sein Wuchs war derber und breiter , – tief in den mächtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelockte braune Haar – und von fast riesenhafter Höhe und Stärke : in seinem Gesicht fehlte jener sonnige Schimmer , jene vertrauende Freude und Lebenshoffnung , welche die Züge des jüngern Bruders verklärten : statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von bärenhafter Kraft und bärenhaftem Mut : er trug eine zottige Wolfsschur , deren Rachen , wie eine Kapuze , sein Haupt umhüllte , ein schlichtes Wollenwams darunter , und auf der rechten Schulter eine kurze , wuchtige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel . Bedächtigen Schrittes folgte der dritte , ein mittelgroßer Mann von gemessen verständigem Ausdruck . Er trug den Stahlhelm , das Schwert und den braunen Kriegsmantel des gotischen Fußvolks . Sein schlichtes , hellbraunes Haar war über der Stirn geradlinig abgeschnitten : eine uralte germanische Haartracht , die schon auf römischen Siegessäulen erscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heut' erhalten hat . Aus den regelmäßigen Zügen des offnen Gesichts , aus dem grauen , sichern Auge sprach besonnene Männlichkeit und nüchterne Ruhe . Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrüßt hatte , rief der Fackelträger mit lebhafter Stimme : » Nun , Meister Hildebrand , ein schönes Abenteuer muß es sein , zu dem du uns in solch unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Natur und Kunst geladen hast ! Sprich – was soll 's geben ? « Statt der Antwort fragte der Alte , sich zu dem Letztgekommnen wendend : » Wo bleibt der Vierte , den ich lud ? « – » Er wollte allein gehen . Er wies uns alle ab . Du kennst ja seine Weise . « » Da kömmt er ! « rief der schöne Jüngling , nach einer andern Seite des Hügels deutend . Wirklich nahte dorther ein Mann von höchst eigenartiger Erscheinung . Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Antlitz , das fast blutleer schien ; lange , glänzend schwarze Locken hingen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis auf die Schultern . Hochgeschweifte , schwarze Brauen und lange Wimpern beschatteten die großen , melancholischen dunkeln Augen voll verhaltner Glut , eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen den feinen , glattgeschornen Mund , den ein Zug resignierten Grams umfurchte . Gestalt und Haltung waren so jugendlich : aber die Seele schien vor der Zeit vom Schmerz gereift . Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz , und in seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem , lanzengleichem Schaft . Nur mit dem Haupte nickend begrüßte er die andern und stellte sich hinter den Alten , der sie nun alle vier dicht an die Säule , welche die Fackel trug , treten hieß und mit gedämpfter Stimme begann : » Ich habe euch hierher beschieden , weil ernste Worte müssen gesprochen werden , unbelauscht und zu treuen Männern , die da helfen mögen . Ich sah umher im ganzen Volk , mondenlang : – euch hab' ich gewählt , ihr seid die Rechten . Wenn ihr mich angehört habt , so fühlt ihr von selbst , daß ihr schweigen müßt von dieser Nacht . « Der dritte , der mit dem Stahlhelm , sah den Alten mit ernsten Augen an : » Rede , « sagte er ruhig , » wir hören und schweigen . Wovon willst du zu uns sprechen ? « » Von unsrem Volk , von diesem Reich der Goten , das hart am Abgrund steht . « » Am Abgrund ? « rief lebhaft der blonde Jüngling . Sein riesiger Bruder lächelte und erhob aufhorchend das Haupt . » Ja , am Abgrund , « rief der Alte , » und ihr allein , ihr könnt es halten und retten . « » Verzeih ' dir der Himmel deine Worte ! « – fiel der Blonde lebhaft ein – » haben wir nicht unsern König Theoderich , den seine Feinde selbst den Großen nennen , den herrlichsten Helden , den weisesten Fürsten der Welt ? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all seinen Schätzen ? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten ? « Der Alte fuhr fort : » Hört mich an . König Theoderich , mein teurer Herre und mein lieber Sohn , was der wert ist , wie groß er ist , – das weiß am besten Hildebrand , Hildungs Sohn . Ich hab' ihn vor mehr als fünfzig Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knäblein gebracht und gesagt : › Das ist starke Zucht : – Du wirst Freude dran haben . ‹ Und wie er heranwuchs – ich habe ihm den ersten Bolz geschnitzt und ihm die erste Wunde gewaschen ! Ich habe ihn begleitet nach der goldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehütet , Leib und Seele . Und als er dieses schöne Land erkämpfte , bin ich vor ihm hergeschritten , Fuß für Fuß , und habe den Schild über ihn gehalten in dreißig Schlachten . Wohl hat er seither gelehrtere Räte und Freunde gefunden als seinen alten Waffenmeister , aber klügere schwerlich und treuere gewiß nicht . Wie stark sein Arm gewesen , wie scharf sein Auge , wie klar sein Kopf , wie schrecklich er war unterm Helm , wie freundlich beim Becher , wie überlegen selbst den Griechlein an Klugheit , das hatte ich hundertmal erfahren , lange ehe dich , du junger Nestfalk , die Sonne beschienen . Aber der alte Adler ist flügellahm geworden ! Seine Kriegsjahre lasten auf ihm – denn er und ihr und euer Geschlecht , ihr könnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meine Spielgenossen – : er liegt krank , rätselhaft krank an Seele und Leib in seinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt . Die Ärzte sagen , wie stark sein Arm noch sei , jeder Schlag seines Herzens mag ihn töten wie der Blitz und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zu den Toten . Und wer ist dann sein Erbe , wer stützt dann dieses Reich ? Amalaswintha , seine Tochter , und Athalarich , sein Enkel : – ein Weib und ein Kind . « » Die Fürstin ist weise , « sprach der dritte mit dem Helm und dem Schwert . » Ja , sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet römisch mit dem frommen Cassiodor . Ich zweifle , ob sie gotisch denkt . Weh' uns , wenn sie im Sturm das Steuer halten soll . « » Ich sehe aber nirgends Sturm , Alter , « lachte der Fackelträger und schüttelte die Locken . » Woher soll er blasen ? Der Kaiser ist wieder versöhnt , der Bischof von Rom ist vom König selbst eingesetzt , die Frankenfürsten sind seine Neffen , die Italier haben es unter unsrem Schild besser als je zuvor . Ich sehe keine Gefahr , nirgends . « » Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis , « sprach beistimmend der mit dem Schwert , » ich kenne ihn . « » Aber sein Neffe , bald sein Nachfolger , und jetzt schon sein rechter Arm – – kennst du auch den ? Unergründlich wie die Nacht und falsch wie das Meer ist Justinian : – ich kenne ihn und fürchte was er sinnt . Ich begleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz : er kam zu unsrem Gelag : er hielt mich für berauscht : – der Narr , er weiß nicht , was Hildungs Kind trinken mag , – und fragte mich um alles , genau um alles , was man wissen muß , um – uns zu verderben . Nun , von mir hat er den rechten Bescheid gekriegt ! Aber ich weiß es so gewiß wie meinen Namen : dieser Mann will dies Land , dies Italien wieder haben und nicht die Fußspur eines Goten wird er darin übrig lassen . « » Wenn er kann , « brummte des Blonden Bruder dazwischen . » Recht , Freund Hildebad , wenn er kann . Und er kann viel . Byzanz kann viel . « Jener zuckte die Achseln . » Weißt du's , wieviel ? « fragte der Alte zornig . » Zwölf Jahre lang hat unser großer König mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt . Aber damals warst du noch nicht geboren , « fügte er ruhig hinzu . » Wohl ! « – kam jenem der Bruder zu Hilfe . – » Aber damals standen die Goten allein im fremden Land . Jetzt haben wir eine ganze zweite Hälfte gewonnen : wir haben eine Heimat , Italien , wir haben Waffenbrüder , die Italier . « » Italien unsre Heimat ! « rief der Alte bitter , » ja , das ist der Wahn . Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz ! Du junger Tor ! « » Das sind unsres Königs eigne Worte , « entgegnete der Gescholtene . » Ja , ja , ich kenne sie wohl , die Wahnreden , die uns alle verderben werden . Fremd sind wir hier , fremd , heute wie vor vierzig Jahren , da wir von diesen Bergen niederstiegen und fremd werden wir sein in diesem Lande noch nach tausend Jahren . Wir sind hier ewig die Barbaren ! « » Jawohl , aber warum bleiben wir Barbaren ? Wessen Schuld ist das als die unsre ? Weshalb lernen wir nicht von ihnen ? « Schweig still , « schrie der Alte , zuckend vor Grimm , » schweig , Totila , mit solchen Gedanken : sie sind der Fluch meines Hauses geworden . « Sich mühsam beruhigend fuhr er fort : » Unsre Todfeinde sind die Welschen , nicht unsre Brüder . Weh , wenn wir ihnen trauen ! O daß der König nach meinem Rat getan und nach seinem Sieg alles erschlagen hätte , das Schwert und Schild führen konnte , vom lallenden Knäblein bis zum lallenden Greis ! Sie werden uns ewig hassen . Und sie haben recht . Wir aber , wir sind die Toren , sie zu bewundern . « Eine Pause trat ein : ernst geworden fragte der Jüngling : » Und du hältst keine Freundschaft für möglich zwischen uns und ihnen ? « » Kein Friede zwischen den Söhnen des Gaut und dem Südvolk ! Ein Mann tritt in die Goldhöhle des Drachen : er drückt das Haupt des Drachen nieder mit eherner Faust : der bittet um sein Leben : der Mann erbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge an den Schätzen der Höhle . Was wird der Giftwurm tun ? Hinterrücks , sobald er kann , wird er ihn stechen , daß der Verschoner stirbt . « » Wohlan , so laß sie kommen , die Griechlein , « schrie der riesige Hildebad , » und laß dies Natterngezücht gegen uns aufzüngeln . Wir wollen sie niederschlagen – so ! « und er hob die Keule und ließ sie niederfallen , daß die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel in seinen Grundfugen erdröhnte . » Ja , sie sollen's versuchen ! « rief Totila , und aus seinen Augen leuchtete ein kriegerisches Feuer , das ihn noch schöner machte . – » Wenn diese undankbaren Römer uns verraten , wenn die falschen Byzantiner kommen « – er blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder – » sieh , Alter , wir haben Männer wie die Eichen . « Wohlgefällig nickte der alte Waffenmeister : » Ja , Hildebad ist sehr stark ; obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und Walamer und die andern waren , die mit mir jung gewesen . Und gegen Nordmänner ist Stärke gut Ding . Aber dieses Südvolk , « fuhr er ingrimmig fort – » kämpft von Türmen und Mauerzinnen herunter . Sie führen den Krieg wie ein Rechenexempel und rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden in einen Winkel hinein , daß es sich nicht mehr rühren noch regen kann . Ich kenne einen solchen Rechenmeister in Byzanz , der ist kein Mann und besiegt die Männer . Du kennst ihn auch , Witichis ? « – so fragend wandte er sich an den Mann mit dem Schwert . » Ich kenne Narses , « sagte dieser , der sehr ernst geworden , nachdenklich . » Was du gesprochen , Hildungs Sohn , ist leider wahr , sehr wahr . Ähnliches ist mir oft schon durch die Seele gegangen , aber unklar , dunkel , mehr ein Grauen als ein Denken . – Deine Worte sind unwiderleglich : der König am Tod – die Fürstin ein halbgriechisch Weib – Justinian lauernd – die Welschen schlangenfalsch – die Feldherrn von Byzanz Zauberer von Kunst , aber « – hier holte er tief Atem – » wir stehen nicht allein , wir Goten . Unser weiser König hat sich Freunde , Verbündete geschaffen in Überfluß . Der König der Vandalen ist sein Schwestermann , der König der Westgoten sein Enkel , die Könige der Burgunden , der Heruler , der Thüringe , der Franken sind ihm verschwägert , alle Völker ehren ihn wie ihren Vater , die Sarmaten , die fernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend Pelzwerk und gelben Bernstein . Ist das alles « – – » Nichts ist das alles , Schmeichelworte sind 's und bunte Lappen ! Sollen uns die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Narses ? Weh uns , wenn wir nicht allein siegen können . Diese Schwäger und Eidame schmeicheln , solang sie zittern , und wenn sie nicht mehr zittern , werden sie drohen . Ich kenne die Treue der Könige ! Wir haben Feinde ringsum , offene und geheime , und keinen Freund als uns selbst . « Ein Schweigen trat ein , in welchem alle die Worte des Alten besorgt erwogen : heulend fuhr der Sturm um die verwitterten Säulen und rüttelte an dem morschen Tempelbau . Da sprach zuerst Witichis , vom Boden aufblickend , sicher und gefaßt : » Groß ist die Gefahr , hoffentlich nicht unabwendbar . Gewiß hast du uns nicht hierher beschieden , daß wir tatlos in die Verzweiflung schauen . Geholfen muß werden : so sprich , wie meinst du , daß zu helfen sei . « Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu und faßte seine Hand : » Wacker , Witichis , Waltaris Sohn . Ich kannte dich wohl und will dir 's treu gedenken , daß vor allen du zuerst ein männlich Wort der Zuversicht gefunden . Ja , ich denke wie du : noch ist Hilfe möglich , und um sie zu finden habe ich euch hierher gerufen , wo uns kein Welscher hört . Saget nun an und ratet : dann will ich sprechen . « Da alle schwiegen , wandte er sich zu dem Schwarzgelockten : » Wenn du denkst wie wir , so sprich auch du , Teja . Warum schwiegst du bisher ? « » Ich schweige , weil ich anders denke denn ihr . « Die andern staunten . Hildebrand sprach : » Wie meinst du das , mein Sohn ? « » Hildebad und Totila sehen nicht die Gefahr , du und Witichis , ihr sehet sie und hoffet , ich aber sah sie längst und hoffe nicht . « » Du siehst zu schwarz , wer darf verzweifeln vor dem Kampf ? « meinte Witichis . » Sollen wir , das Schwert in der Scheide , ohne Kampf , ohne Ruhm untergehen ? « rief Totila . » Nicht ohne Kampf , mein Totila , und nicht ohne Ruhm , so weiß ich , « antwortete Teja , leise die Streitaxt zuckend . » Kämpfen wollen wir , daß man es nie vergessen soll in allen Tagen : kämpfen mit höchstem Ruhm , aber ohne Sieg . Der Stern der Goten sinkt . « » Mir deucht , er will erst recht hoch steigen , « rief Totila ungeduldig . » Laßt uns vor den König treten , sprich du , Hildebrand , zu ihm wie du zu uns gesprochen . Er ist weise : er wird Rat finden . « Der Alte schüttelte den Kopf : » Zwanzigmal hab ich zu ihm gesprochen . Er hört mich nicht mehr . Er ist müde und will sterben , und seine Seele ist verdunkelt , ich weiß nicht , durch welchen Schatten . – Was denkst du , Hildebad ? « » Ich denke , « sprach dieser sich hoch aufrichtend , » sowie der alte Löwe die müden Augen geschlossen , rüsten wir zwei Heere . Das eine führen Witichis und Teja vor Byzanz und brennen es nieder , mit dem andern steigen ich und mein Bruder über die Alpen und zerschlagen Paris , das Drachennest der Merowinger , zu einem Steinhaufen für alle Zukunft . Dann wird Ruhe sein , im Osten und im Norden . « » Wir haben keine Schiffe gegen Byzanz , « sprach Witichis . » Und die Franken sind sieben wider einen gegen uns , « sagte Hildebrand . » Aber wacker meinst du's , Hildebad . Sage , was rätst du , Witichis ? « » Ich rate einen Bund , mit Schwüren beschwert , mit Geiseln gesichert aller Nordstämme gegen die Griechen . « » Du glaubst an Treue , weil du selber treu . Mein Freund , nur die Goten können den Goten helfen . Man muß sie nur wieder daran erinnern , daß sie Goten sind . Hört mich an . Ihr alle seid jung und liebt allerlei Dinge und habt vielerlei Freuden . Der eine liebt ein Weib , der andre die Waffen , der dritte irgendeine Hoffnung oder auch irgend einen Gram , der ihm ist wie eine Geliebte . – Aber glaubt mir , es kömmt eine Zeit – und die Not kann sie euch noch in jungen Tagen bringen – , da all diese Freuden und selbst Schmerzen wertlos werden wie welke Kränze vom Gelag von gestern . Da werden denn viele weich und fromm und vergessen des was auf Erden und trachten nach dem was hinter dem Grabe ist . Ich kann 's nicht und ihr , mein' ich , und viele von uns können's auch nicht . Die Erde lieb' ich mit Berg und Wald und Weide und strudelndem Strom und das Leben darauf mit heißem Haß und langer Liebe , mit zähem Zorn und stummem Stolz . Von jenem Luftleben da droben in den Windwolken , wie's die Christenpriester lehren , weiß ich nichts und will ich nichts wissen . Eins aber bleibt dem Mann , dem rechten , wenn alles andre dahin . Ein Gut , von dem er nimmer läßt . Seht mich an . Ich bin ein entlaubter Stamm , alles hab' ich verloren was mein Leben erfreute : mein Weib ist tot seit vielen Jahren , meine Söhne sind tot , meine Enkel sind tot : bis auf einen , der ist schlimmer als tot : – der ist ein Welscher worden . Dahin und lang vermodert sind sie alle , mit denen ich ein kecker Knabe und ein markiger Mann gewesen , und schon steigt meine erste Liebe und mein letzter Stolz , mein großer König , müde in sein Grab . Nun seht , was hält mich noch im Leben ? Was gibt mir Mut , Lust , Zwang zu leben ? Was treibt mich Alten wie einen Jüngling in dieser Sturmnacht auf die Berge ? Was lodert hier unter dem Eisbart heiß in lauter Liebe , in störrigem Stolz und in trotziger Trauer ? Was anders als der Drang , der unaustilgbar in unsrem Blute liegt , der tiefe Drang und Zug zu meinem Volk , die Liebe , die lodernde , die allgewaltige , zu dem Geschlechte , das da Goten heißt , und das die süße , heimliche , herrliche Sprache redet meiner Eltern , der Zug zu denen , die da sprechen , fühlen , leben wie ich . Sie bleibt , sie allein , diese Volksliebe , ein Opferfeuer , in dem Herzen , darinnen alle andre Glut erloschen , sie ist das teure , das mit Schmerzen geliebte Heiligtum , das Höchste in jeder Mannesbrust , die stärkste Macht in seiner Seele , treu bis zum Tod und unbezwingbar . « Der Alte hatte sich in Begeisterung geredet – sein Haar flog im Winde – er stand wie ein alter hünenhafter Priester unter den jungen Männern , welche die Fäuste an ihren Waffen ballten . Endlich sprach Teja : » Du hast recht , diese Flamme lodert noch , wo alles sonst erloschen . Aber sie brennt in dir , – in uns , – vielleicht noch in hundert andern unsrer Brüder . Kann das ein ganzes Volk erretten ? Nein ! Und kann diese Glut die Masse ergreifen , die Tausende , die Hunderttausende ? « » Sie kann es , mein Sohn , sie kann es . Dank allen Göttern , daß sie 's kann . Höre mich an . Es sind jetzt fünfundvierzig Jahre , da waren wir Goten , viele Hunderttausende , mit Weibern und Kindern , in den Schluchten der Hämusberge eingeschlossen . Wir lagen in höchster Not . Des Königs Bruder war von den Griechen in treulosem Überfall geschlagen und getötet , und aller Mundvorrat , den er uns zuführen sollte , verloren : wir saßen in den Felsschluchten und litten so bittern Hunger , daß wir Gras und Leder kochten . Hinter uns die unersteiglichen Felsen , vor uns und zur Linken das Meer , rechts in einem Engpaß die Feinde in dreifacher Überzahl . Viele Tausende von uns waren dem Hunger , dem Winter erlegen : zwanzigmal hatten wir vergebens versucht , jenen Paß zu durchbrechen . Wir wollten verzweifeln . Da kam ein Gesandter des Kaisers und bot uns Leben , Freiheit , Wein , Brot , Fleisch – unter einer einzigen Bedingung : wir sollten getrennt voneinander , zu vier und vier , über das ganze Weltreich Roms zerstreut werden , keiner von uns mehr ein gotisch Weib freien , keiner sein Kind mehr unsre Sprache und Sitte lehren dürfen , Name und Wesen der Goten sollte verschwinden , Römer sollten wir werden . Da sprang der König auf , rief uns zusammen und trug 's uns vor in flammender Rede und fragte zuletzt , ob wir lieber aufgeben wollten Sprache , Sitte , Leben unsres Volkes oder lieber mit ihm sterben ? Da fuhr sein Wort in die Hunderte , die Tausende , die Hunderttausende wie der Waldbrand in die dürren Stämme , aufschrieen sie , die wackern Männer , wie ein tausendstimmiges , brüllendes Meer , die Schwerter schwangen sie , auf den Engpaß stürzten sie und weggefegt waren die Griechen als hätten sie nie gestanden , und wir waren Sieger und frei . « Sein Auge glänzte in stolzer Erinnerung , nach einer Pause fuhr er fort : » Dies allein ist , was uns heute retten kann wie dazumal : fühlen erst die Goten , daß sie für jenes Höchste fechten , für den Schutz jenes geheimnisvollen Kleinods , das in Sprache und Sitte eines Volkes liegt wie ein Wunderborn , dann können sie lachen zu dem Haß der Griechen , zu der Tücke der Welschen . Und das vor allem wollt' ich euch fragen , fest und feierlich : fühlt ihr es wie ich so klar , so ganz , so mächtig , daß diese Liebe zu unsrem Volk unser Höchstes ist , unser schönster Schatz , unser stärkster Schild ? könnt ihr sprechen wie ich : mein Volk ist mir das Höchste und alles , alles andre dagegen nichts , ihm will ich opfern was ich bin und habe , wollt ihr das , könnt ihr das ! « » Ja , das will ich , ja , das kann ich ! « sprachen die vier Männer . » Wohl « , fuhr der Alte fort , » das ist gut . Aber Teja hat recht : nicht alle Goten fühlen das jetzt , heute schon , wie wir und doch müssen es alle fühlen , wenn es helfen soll . Darum gelobet mir , von heut ' an unablässig euch selbst und alle unsres Volkes , mit denen ihr lebt und handelt , zu erfüllen mit dem Hauch dieser Stunde . Vielen , vielen hat der fremde Glanz die Augen geblendet : viele haben griechische Kleider angetan und römische Gedanken : sie schämen sich , Barbaren zu heißen : sie wollen vergessen und vergessen machen , daß sie Goten sind – wehe über die Toren ! Sie haben das Herz aus ihrer Brust gerissen und wollen leben , sie sind wie Blätter , die sich stolz vom Stamme gelöst und der Wind wird kommen und wird sie verwehen in Schlamm und Pfützen , daß sie verfaulen : aber der Stamm wird stehen mitten im Sturm und wird lebendig erhalten , was treu an ihm haftet . Darum sollt ihr euer Volk wecken und mahnen überall und immer . Den Knaben erzählt die Sagen der Väter , von den Hunnenschlachten , von den Römersiegen : den Männern zeigt die drohende Gefahr und wie nur das Volkstum unser Schild : eure Schwestern ermahnt , daß sie keinen Römer umarmen und keinen Römling : eure Bräute , eure Weiber lehrt , daß sie alles , sich selbst und euch opfern dem Glück der guten Goten , auf daß , wenn die Feinde kommen , sie finden ein starkes Volk , stolz , einig , fest , daran sie zerschellen sollen wie die Wogen am Fels . Wollt ihr mir dazu helfen ? « » Ja , « sprachen sie , » das wollen wir . « » Ich glaube euch , « fuhr der Alte fort , » glaube eurem bloßen Wort . Nicht um euch fester zu binden – denn was bände den Falschen ? – sondern weil ich treu hange an altem Brauch und weil besser gedeiht , was geschieht nach Sitte der Väter – folget mir . « Zweites Kapitel . Mit diesen Worten nahm er die Fackel von der Säule und schritt quer durch den Innenraum , die Cella des Tempels , vorüber an dem zerfallenen Hauptaltar , vorbei an den Postamenten der lang herabgestürzten Götterbilder nach der Hinterseite des Gebäudes , dem Postikum . Schweigend folgten die Geladenen dem Alten , der sie über die Stufen hinunter ins Freie führte . Nach einigen Schritten standen sie unter einer uralten Steineiche , deren mächtiges Geäst wie ein Dach Sturm und Regen abhielt . Unter diesem Baum bot sich ihnen ein seltsamer Anblick , der aber die gotischen Männer sofort an eine alte Sitte aus dem grauen Heidentum , aus der fernen nordischen Heimat gemahnte . Unter der Eiche war ein Streifen des dichten Rasens aufgeschlitzt , nur einen Fuß breit , aber mehrere Ellen lang , die beiden Enden des Streifens hafteten noch locker am Grunde : in der Mitte war der Rasengürtel auf drei ungleich in die Erde gerammte hohe Speere emporgespreizt , in der Mitte von dem längsten Speer gestützt , so daß die Vorrichtung ein Dreieck bildete , unter dessen Dach zwischen den Speersäulen mehrere Männer bequem stehen konnten . In der so gewonnenen Erdritze stand ein eherner Kessel , mit Wasser gefüllt , daneben lag ein spitzes und scharfes Schlachtmesser , uralt : das Heft vom Horn des Auerstiers , die Klinge vom Feuerstein . Der Greis trat nun heran , stieß die Fackel dicht neben dem Kessel in die Erde , stieg dann , mit dem rechten Fuß vorauf , in die Grube , wandte sich gegen Osten und neigte das Haupt : dann winkte er die Freunde zu sich , mit dem Finger am Mund ihnen Schweigen bedeutend . Lautlos traten die Männer in die Rinne und stellten sich , Witichis und Teja zu seiner Linken , die beiden Brüder zu seiner Rechten und alle fünf reichten sich die Hände zu einer feierlichen Kette . Dann ließ der Alte Witichis und Hildebad , die ihm zunächst standen , los und kniete nieder . Zuerst raffte er eine Handvoll der schwarzen Walderde auf und warf sie über die linke Schulter . Dann griff er mit der andern Hand in den Kessel und sprengte das Wasser rechts hinter sich . Darauf blies er in die wehende Nachtluft , die sausend in seinen langen Bart wehte . Endlich schwang er die Fackel von der Rechten zur Linken über sein Haupt . Dann steckte er sie wieder in die Erde und sprach murmelnd vor sich hin : » Höre mich , alte Erde , wallendes Wasser , leichte Luft , flackernde Flamme ! Höret mich wohl und bewahret mein Wort : Hier stehen fünf Männer vom Geschlechte des Gaut , Teja und Totila , Hildebad und Hildebrand und Witichis , Waltaris Sohn . Wir stehen hier in stiller Stunde , Zu binden einen Bund von Blutsbrüdern , Für immer und ewig und alle Tage . Wir sollen uns sein wie Sippegesellen In Frieden und Fehde , in Rache und Recht . Ein Hoffen , Ein Hassen , Ein Lieben , Ein Leiden , Wie wir träufen zu Einem Tropfen Unser Blut als Blutsbrüder . « Bei diesen Worten entblößte er den linken Arm , die andern taten desgleichen , eng aneinander streckten sich die fünf Arme über den Kessel , der Alte hob das scharfe Steinmesser und ritzte mit Einem Schnitt sich und den vier andern die Haut des Vorderarmes , daß das Blut aller in roten Tropfen in den ehernen Kessel floß . Dann nahmen sie wieder die frühere Stellung ein , und murmelnd fuhr der Alte fort : » Und wir schwören den schweren Schwur , Zu opfern all unser Eigen , Haus , Hof und Habe , Roß , Rüstung und Rind , Sohn , Sippe und Gesinde , Weib und Waffen und Leib und Leben Dem Glanz und Glück des Geschlechtes von Gaut , Den guten Goten . Und wer von uns sich wollte weigern , Den Eid zu ehren mit allen Opfern « – Hier traten er , und auf seinen Wink auch die andern , aus der Grube und unter dem Rasenstreifen hervor : » Des rotes Blut soll rinnen ungerächet Wie dies Wasser unterm Waldwasen « – Er erhob den Kessel , goß sein blutiges Wasser in die Grube und nahm ihn wie das andre Gerät heraus : » Auf des Haupt sollen des Himmels Hallen Dumpf niederdonnern und ihn erdrücken , Wuchtig so wie dieser Wasen . « Er schlug mit Einem Streich die drei spannenden Lanzenschäfte nieder und dumpf fiel die schwere Rasendecke nieder in die Rinne . Die fünf Männer stellten sich nun mit verschlungenen Händen auf die wieder von Rasen gedeckte Stelle , und in rascherem Ton fuhr der Alte fort : » Und wer von uns nicht achtet dieses Eides und dieses Bundes und wer nicht die Blutsbrüder als echte Brüder schützt im Leben und rächt im Tode und wer sich weigert , sein Alles zu opfern dem Volk der Goten , wann die Not es begehrt und ein Bruder ihn mahnt , der soll verfallen sein auf immer den untern , den ewigen , den wüsten Gewalten , die da hausen unter dem grünen Gras des Erdgrundes : gute Menschen sollen mit Füßen schreiten über des Neidings Haupt und sein Name soll ehrlos sein soweit Christenleute Glocken läuten und Heidenleute Opfer schlachten , soweit Mutter Kind koset und der Wind weht über die weite Welt . Sagt an , ihr Gesellen , soll 's ihm also geschehn , dem niedrigen Neiding ? « » So soll ihm geschehen , « sprachen die vier Männer ihm nach . Nach einer ernsten Pause löste Hildebrand die Kette der Hände und sprach : » Und auf daß ihr 's wißt , welche Weihe diese Stätte hat für mich – jetzt auch für euch – , warum ich euch zu solchem Tun gerade hierher beschieden und zu dieser Nacht – kommt und sehet . « Und also sprechend erhob er die Fackel und schritt voran hinter den mächtigen Stamm der Eiche , vor der sie geschworen . Schweigend folgten die Freunde , bis sie an der Kehrseite des alten Baumes hielten und hier mit Staunen gerade gegenüber der Rasengrube , in welcher sie gestanden , ein breites offenes Grab gähnen sahen , von welchem die deckende Felsplatte hinweggewälzt war : da ruhten in der Tiefe , im Licht der Fackel geisterhaft erglänzend , drei weiße lange Skelette , einzelne verrostete Waffenstücke , Lanzenspitzen , Schildbuckel lagen daneben . Die Männer blickten überrascht bald in die Grube , bald auf den Greis . Dieser leuchtete lange schweigend in die Tiefe . Endlich sagte er ruhig : » Meine drei Söhne . Sie liegen hier über dreißig Jahre . Sie fielen auf diesem Berg , in dem letzten Kampf um die Stadt Ravenna . Sie fielen in Einer Stunde , heute ist der Tag . Sie sprangen jubelnd in die Speere – – für ihr Volk . « Er hielt inne . Mit Rührung sahen die Männer vor sich hin . Endlich richtete sich der Alte hoch auf und sah gen Himmel . » Es ist genug , « sagte er , » die Sterne bleichen . Mitternacht ist längst vorüber . Geht , ihr andern , in die Stadt zurück . Du , Teja , bleibst wohl bei mir : – dir ist ja vor andern , wie des Liedes , der Trauer Gabe gegeben – und hältst mit mir die Ehrenwacht bei diesen Toten . « Teja nickte und setzte sich , ohne ein Wort , zu Füßen des Grabes , wo er stand , nieder . Der Alte reichte Totila die Fackel und lehnte sich Teja gegenüber auf die Felsplatte . Die andern drei winkten ihm scheidend zu . Und ernst und in schweigende Gedanken versunken stiegen sie hinunter zur Stadt . Drittes Kapitel . Wenige Wochen nach jener nächtlichen Zusammenkunft bei Ravenna fand zu Rom eine Vereinigung statt , ebenfalls heimlich , ebenfalls unter dem Schutze der Nacht , aber von ganz andern Männern zu ganz andern Zwecken . Das geschah an der appischen Straße nahe dem Cömeterium des heiligen Kalixtus in einem halbverschütteten Gang der Katakomben , jener rätselhaften unterirdischen Wege , die unter den Straßen und Plätzen Roms fast eine zweite Stadt bildeten . Es sind diese geheimnisvollen Räume – ursprünglich alte Begräbnisplätze , oft die Zuflucht der jungen Christengemeinde – so vielfach verschlungen und ihre Kreuzungen , Endpunkte , Aus- und Eingänge so schwierig zu finden , daß nur unter ortvertrautester Führung ihre inneren Tiefen betreten werden können . Aber die Männer , deren geheimen Verkehr wir diesmal belauschen , fürchteten keine Gefahr . Sie waren gut geführt . Denn es war Silverius , der katholische Archidiakonus der alten Kirche des heiligen Sebastian , der unmittelbar von der Krypta seiner Basilika aus die Freunde auf steilen Stufen in diesen Zweigarm der Gewölbe geführt hatte : und die römischen Priester standen in dem Rufe , seit den Tagen der ersten Christen Kenntnis jener Labyrinthe fortgepflanzt zu haben . Die Versammelten schienen auch sich hier nicht zum erstenmal einzufinden : die Schauer des Ortes machten wenig Eindruck auf sie . Gleichgültig lehnten sie an den Wänden des unheimlichen Halbrunds , das , von einer bronzenen Hängelampe spärlich beleuchtet , den Schluß des niedrigen Ganges bildete , gleichgültig hörten sie die feuchten Tropfen von der Decke zur Erde fallen und , wenn ihr Fuß hier und da an weiße , halbvermoderte Knochen stieß , schoben sie auch diese gleichgültig auf die Seite . Es waren außer Silverius noch einige andere rechtgläubige Priester und eine Mehrzahl vornehmer Römer aus den Adelsgeschlechtern des westlichen Kaiserreichs anwesend , die seit Jahrhunderten in fast erblichem Besitz der höheren Würden des Staates und der Stadt geblieben . Schweigend und aufmerksam beobachteten sie die Bewegungen des Archidiakons , der sich , nachdem er die Erschienenen gemustert und in einige der einmündenden Gänge , in deren Dunkel man junge Leute in priesterlichen Kleidern Wache halten sah , prüfende Blicke geworfen hatte , jetzt offenbar anschickte , die Versammlung in aller Form zu eröffnen . Noch einmal trat er auf einen hochgewachsenen Mann zu , der ihm gegenüber regungslos an der Mauer lehnte und mit dem er wiederholt Blicke getauscht hatte : und nachdem dieser auf eine fragende Miene schweigend genickt , wandte er sich gegen die übrigen und sprach : Geliebte im Namen des dreieinigen Gottes ! Wieder einmal sind wir hier versammelt zu heiligem Werk . Das Schwert von Edom ist gezückt ob unsrem Haupt und König Pharao lechzt nach dem Blut der Kinder Israel . Wir aber fürchten nicht jene , die den Leib töten und der Seele nichts anhaben können , wir fürchten vielmehr jenen , der da Leib und Seele verderben mag mit ewigem Feuer . Wir vertrauen im Schauer der Nacht auf die Hilfe dessen , der sein Volk durch die Wüste geführt hat , bei Tag in der Rauchwolke , bei Nacht in der Feuerwolke . Und daran wollen wir halten und wollen es nie vergessen : was wir leiden , wir leiden es um Gottes willen , was wir tun , wir tun 's zu seines Namens Ehre . Dank ihm , denn er hat gesegnet unsern Eifer . Klein , wie des Evangeliums , waren unsre Anfänge , aber schon sind wir gewachsen wie ein Baum an frischen Wasserbächen . Mit Furcht und Zagen kamen wir anfangs hier zusammen : groß war die Gefahr , schwach die Hoffnung : edles Blut der Besten war geflossen : – heute , wenn wir fest bleiben im Glauben , dürfen wir es kühnlich sagen : der Thron des Königs Pharao steht auf Füßen von Schilf und die Tage der Ketzer sind gezählt in diesem Lande . « » Zur Sache ! « rief ein junger Römer dazwischen , mit kurzkrausem , schwarzem Haar und blitzenden , schwarzen Augen ; ungeduldig warf er das Sagum von der linken Hüfte über die rechte Schulter zurück , daß das kurze Schwert sichtbar wurde . » Zur Sache , Priester ! was soll heut' geschehn ? « Silverius warf auf den Jüngling einen Blick , der lebhaften Unwillen über solch kecke Selbständigkeit nicht ganz mit salbungsvoller Ruhe zu verdecken vermochte . Scharfen Tones fuhr er fort : » Auch die an die Heiligkeit unsres Zweckes nicht zu glauben scheinen , sollten doch den Glauben an diese Heiligkeit bei andern nicht stören , um ihrer eignen weltlichen Ziele willen nicht . Heute aber , Licinius , mein rascher Freund , soll ein neues hochwillkommenes Glied unsrem Bunde eingefügt werden : sein Beitritt ist ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes . « » Wen willst du einführen ? Sind die Vorbedingungen erfüllt ? Haftest du für ihn ? unbedingt ? oder stellst du andre Bürgschaft ? « so fragte ein andrer der Versammelten , ein Mann in reifen Jahren , mit gleichmäßigen Zügen , der , einen Stab zwischen den Füßen , ruhig auf einem Vorsprung der Mauer saß . – » Ich hafte , mein Scävola ; übrigens genügt seine Person – « » Nichts dergleichen . Die Satzung unsres Bundes verlangt Verbürgung und ich bestehe darauf « , sagte Scävola ruhig . – » Nun gut , gut , ich bürge , zähster aller Juristen ! « wiederholte der Priester mit Lächeln . Er winkte in einen der Gänge zur Linken . Zwei junge Ostiarii führten von da in die Mitte des Gewölbes einen Mann , auf dessen verhülltes Haupt aller Augen gerichtet waren . Nach einer Pause hob Silverius den Überwurf von Kopf und Schultern des Ankömmlings . » Albinus ! « riefen die andern in Überraschung , Entrüstung , Zorn . Der junge Licinius fuhr ans Schwert , Scävola stand langsam auf , wild durcheinander scholl es : » Wie ? Albinus ? der Verräter ? « Scheuen Blickes sah der Gescholtene um sich , seine schlaffen Züge bekundeten angeborne Feigheit : wie Hilfe stehend haftete sein Auge auf dem Priester . » Ja , Albinus ! « sagte dieser ruhig . » Will einer der Verbündeten wider ihn sprechen ? Er rede . « – » Bei meinem Genius , « rief Licinius rasch vor allen , » braucht es da der Rede ? Wir wissen alle , wer Albinus ist , was er ist . Ein feiger , schändlicher Verräter ! « – der Zorn erstickte seine Stimme . – » Schmähungen sind keine Beweise , « nahm Scävola das Wort . » Aber ich frage ihn selbst , er soll hier vor allen bekennen . Albinus , bist du es , oder bist du es nicht , der , als die Anfänge des Bundes dem Tyrannen verraten waren , als du noch allein von uns allen verklagt warst , es mit ansahst , daß die edeln Männer , Boëthius und Symmachus , unsre Mitverbündeten , weil sie dich mutig vor dem Wüterich verteidigten , verfolgt , gefangen , ihres Vermögens beraubt , hingerichtet wurden , während du , der eigentliche Angeklagte , durch einen schmählichen Eid , dich nie mehr um den Staat kümmern zu wollen und durch urplötzliches Verschwinden dich gerettet hast ? Sprich , bist du es , um dessen Feigheit willen die Zierden des Vaterlandes gefallen ? « Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung . Der Angeschuldigte blieb stumm und bebte , selbst Silverius verlor einen Augenblick die Haltung . Da richtete sich jener Mann , der ihm gegenüber an der Felswand lehnte , auf und trat einen Schritt herzu ; seine Nähe schien den Priester zu erkräftigen und er begann wieder : » Ihr Freunde , es ist geschehen was ihr sagt , nicht wie ihr 's sagt . Vor allem wisset : Albinus ist an allem am wenigsten schuldig . Was er getan , er tat 's auf meinen Rat . « – » Auf deinen Rat ? « – » Das wagst du zu bekennen ? « – » Albinus war verklagt durch den Verrat eines Sklaven , der die Geheimschrift in den Briefen nach Byzanz entziffert hatte . Der ganze Argwohn des Tyrannen war geweckt : jeder Schein von Widerstand , von Zusammenhang mußte die Gefahr vermehren . Der Ungestüm von Boëthius und Symmachus , die ihn mutig verteidigten war edel , aber töricht . Denn er zeigte den Barbaren die Gesinnung des ganzen Adels von Rom , zeigte , daß Albinus nicht allein stehe . Sie handelten gegen meinen Rat , leider haben sie es im Tode gebüßt . Aber ihr Eifer war auch überflüssig : denn den verräterischen Sklaven raffte plötzlich vor weitern Aussagen die Hand des Herrn hinweg und es war gelungen , die Geheimbriefe des Albinus vor dessen Verhaftung zu vernichten . Jedoch glaubt ihr , Albinus würde auf der Folter , würde unter Todesdrohungen geschwiegen haben , geschwiegen , wenn ihm die Nennung der Mitverschworenen retten konnte ? Das glaubt ihr nicht , das glaubte Albinus selbst nicht . Deshalb mußte vor allem Zeit gewonnen , die Folter abgewendet werden . Dies gelang durch jenen Eid . Unterdessen freilich bluteten Boëthius und Symmachus : sie waren nicht zu retten : doch ihres Schweigens , auch unter der Folter , waren wir sicher . Albinus aber ward durch ein Wunder aus seinem Kerker befreit wie Sankt Paulus zu Philippi . Es hieß , er sei nach Athen entflohen und der Tyrann begnügte sich , ihm die Rückkehr zu verbieten . Allein der dreieinige Gott hat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtsstätte bereitet , bis daß die Stunde der Freiheit naht . In der Einsamkeit seines heiligen Asyles nun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar gerührt und , ungeschreckt von der Todesgefahr , die schon einmal seine Locke gestreift hat , tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste Gottes und des Vaterlands sein ganzes unermeßliches Vermögen . Vernehmt : er hat all sein Gut der Kirche Sanktä Mariä Majoris zu Bundeszwecken vermacht . Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmähen ? « Eine Pause des Staunens trat ein : endlich rief Licinius : » Priester , du bist klug wie – wie ein Priester . Aber mir gefällt solche Klugheit nicht . « – » Silverius , « sprach der Jurist , » du magst die Millionen nehmen . Das steht dir an . Aber ich war der Freund des Boëthius : mir steht nicht an , mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten . Ich kann ihm nicht vergeben . Hinweg mit ihm ! « – » Hinweg mit ihm ! « scholl es von allen Seiten . Scävola hatte der Empfindung aller das Wort geliehen . Albinus erblaßte , selbst Silverius zuckte unter dieser allgemeinen Entrüstung . » Cethegus ! « flüsterte er leise , Beistand heischend . Da trat der Mann in die Mitte , der bisher immer geschwiegen und nur mit kühler Überlegenheit die Sprechenden gemustert hatte . Er war groß und hager , aber kräftig , von breiter Brust und seine Muskeln von eitel Stahl . Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen verrieten Reichtum , Rang , und Geschmack , aber sonst verhüllte ein langer , brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt . Sein Kopf war von denen , die man , einmal gesehen , nie mehr vergißt . Das dichte , noch glänzend schwarze Haar war nach Römerart kurz und rund um die gewölbte , etwas zu große Stirn und die edel geformten Schläfe geschoren , tief unter den fein geschweiften Brauen waren die schmalen Augen geborgen , in deren unbestimmtem Dunkelgrau ein ganzes Meer versunkener Leidenschaften , aber noch bestimmter der Ausdruck kältester Selbstbeherrschung lag . Um die scharf geschnittenen bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gott und seine ganze Welt . Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit den Blick über die Erregten streifen ließ , wie seine nicht einschmeichelnde , aber beherrschende Redeweise anhob , empfand jeder in der Versammlung den Eindruck bewußter Überlegenheit und wenige Menschen mochten diese Nähe ohne das Gefühl der Unterordnung tragen . » Was hadert ihr , « sagte er kalt , » über Dinge , die geschehen müssen ? Wer den Zweck will , muß das Mittel wollen . Ihr wollt nicht vergeben ? Immerhin ! Daran liegt nichts . Aber vergessen müßt ihr . Und das könnt ihr . Auch ich war ein Freund der Verstorbenen , vielleicht ihr nächster . Und doch – ich will vergessen . Ich tu es , eben weil ich ihr Freund war . Der liebt sie , Scävola , der allein , der sie rächt . Um der Rache willen – Albinus , deine Hand . « – Alle schwiegen , bewältigt mehr von der Persönlichkeit als von den Gründen des Redners . Nur der Jurist bemerkte noch : » Rusticiana , des Boëthius Witwe und des Symmachus Tochter , die einflußreiche Frau , ist unsrem Bunde hold . Wird sie das bleiben , wenn dieser eintritt ? Kann sie je vergeben und vergessen ? Niemals ! « » Sie kann es . Glaubt nicht mir , glaubt euren Augen . « Mit diesen Worten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seitengänge , dessen Mündung bisher sein Rücken verdeckt hatte . – Hart am Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt : er ergriff ihre Hand : » komm' , « flüsterte er , » jetzt komm' . « – » Ich kann nicht ! ich will nicht ! « war die leise Antwort der Widerstrebenden . » Ich verfluche ihn . Ich kann ihn nicht sehen , den Elenden ! « – » Es muß sein . Komm , du kannst und du willst es : – denn ich will es . « Er schlug ihren Schleier zurück : noch ein Blick , und sie folgte wie willenlos . Sie bogen um die Ecke des Eingangs : » Rusticiana ! « riefen alle . – » Ein Weib in unserer Versammlung ! « sprach der Jurist . » Das ist gegen die Satzungen , die Gesetze . « » Ja , Scävola , aber die Gesetze sind um des Bundes willen , nicht der Bund um der Gesetze willen . Und geglaubt hättet ihr mir nie , was ihr hier sehet mit Augen . « Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus . » Seht , Rusticiana verzeiht : wer will jetzt noch widerstreben ? « – Überwunden und überwältigt verstummten alle . Für Cethegus schien das weitere jedes Interesse verloren zu haben . Er trat mit der Frau an die Wand im Hintergrund zurück . Der Priester aber sprach : » Albinus ist Glied des Bundes . « – » Und sein Eid , den er dem Tyrannen geschworen ? « fragte schüchtern Scävola . – » War erzwungen und ist ihm gelöst von der heiligen Kirche . Aber nun ist es Zeit , zu scheiden . Nur noch die eilendsten Geschäfte , die neuesten Botschaften . Hier , Licinius , der Festungsplan von Neapolis : du mußt ihn bis morgen nachgezeichnet haben , er geht an Belisar . Hier , Scävola , Briefe aus Byzanz , von Theodora , der frommen Gattin Justinians : du mußt sie beantworten . Da , Calpurnius , eine Anweisung auf eine halbe Million Solidi von Albinus : du sendest sie an den fränkischen Majordomus , er wirkt bei seinem König gegen die Goten . Hier , Pomponius , eine Liste der Patrioten in Dalmatien : du kennst die Dinge dort und die Menschen : sieh zu , ob bedeutende Namen fehlen . Euch allen aber sei gesagt , daß , nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna , die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt : tiefe Schwermut , zu späte Reue über all seine Sünden soll seine Seele niederdrücken und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern . Harret aus noch eine kleine Weile : bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen : dann kömmt der Tag der Freiheit . An den nächsten Iden , zur selben Stunde , treffen wir uns wieder . Der Segen des Herrn sei mit euch . « Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammelten : die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengängen und geleiteten die Einzelnen in verschiedenen Richtungen nach den nur ihnen bekannten Ausgängen der Katakomben . Viertes Kapitel . Silverius , Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufen hinauf , welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian führten . Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darangebaute Haus des Diakonus . Dort angelangt überzeugte sich dieser , daß alle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven , der im Atrium bei einer halb herabgebrannten Ampel wachte . Auf den Wink seines Herrn zündete er die neben ihm stehende silberfüßige Lampe an und drückte auf eine Fuge im Marmorgetäfel . Die Marmorplatten drehten sich um ihre Achse und ließen den Priester , der die Leuchte ergriffen , mit den beiden andern in ein kleines , niedres Gemach treten , dessen Öffnung sich hinter ihnen rasch und geräuschlos wieder schloß . Keine Ritze verriet nun wieder , daß hier eine Tür . Der kleine Raum , jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz , einem Betschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfach ausgestattet , hatte in heidnischen Tagen offenbar , wie die an den Wänden hinlaufenden Polstersimse bezeugten , dem Zweck jener kleinen Gelage von zwei oder drei Gästen gedient , deren zwanglose Gemütlichkeit Horatius feiert . Zurzeit war hier das Asyl für die geheimsten geistlichen – oder weltlichen – Gedanken des Diakonus . Schweigend setzte sich Cethegus , auf ein gegenüber in die Wand eingelegtes Mosaikgemälde den flüchtigen Blick des verwöhnten Kunstkenners werfend , auf den niederen Lectus . Während der Priester beschäftigt war , aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die bereitstehenden Becher zu gießen und eine eherne Schale mit Früchten auf den dreifüßigen Bronzetisch zu stellen , stand Rusticiana Cethegus gegenüber , ihn mit unwillig staunenden Blicken messend . Kaum vierzig Jahre alt , zeigte das Weib Spuren einer seltenen , etwas männlichen Schönheit , die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaften gelitten hatte ; schon war hier und da nicht graues , sondern weißes Haar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt , das Auge hatte einen unsteten Blick und starre Falten zogen sich gegen die immer bewegten Mundwinkel . Sie stützte die Linke auf den Erztisch und strich mit der Rechten wie nachsinnend über die Stirn , dabei fortwährend Cethegus anstarrend . Endlich sprach sie : » Mensch , sage , sage , Mann , welche Gewalt du über mich hast ? Ich liebe dich nicht mehr . Ich sollte dich hassen . Ich hasse dich auch . Und doch muß ich dir folgen willenlos . Wie der Vogel dem Auge der Schlange . Und du legst meine Hand , diese Hand , in die Hand jenes Schurken . Sage , du Frevler , welches ist diese Macht ? « Cethegus schwieg unaufmerksam . Endlich sagte er , sich zurücklehnend : » Gewohnheit , Rusticiana , Gewohnheit . « » Jawohl , Gewohnheit ! Gewohnheit einer Sklaverei , die besteht , seit ich denken kann . Daß ich als Mädchen den schönen Nachbarssohn bewunderte , war natürlich ; daß ich glaubte , du liebtest mich , war verzeihlich : du küßtest mich ja . Und wer konnte – damals ! – wissen , daß du nicht lieben kannst . Nichts : kaum dich selbst . Daß die Gattin des Boëthius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte , die du wie spielend wieder anfachtest , war eine Sünde , aber Gott und die Kirche haben sie mir verziehen . Doch , daß ich jetzt noch , nachdem ich jahrzehntelang deine herzlose Tücke kenne , nachdem die Glut der Leidenschaft erloschen in diesen Adern , daß ich jetzt noch blindlings deinem dämonischen Willen folgen muß – das ist eine Torheit zum Lautauflachen . « Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten über die Stirn . Der Priester hielt in seiner wirtlichen Beschäftigung inne und sah verstohlen auf Cethegus ; er war gespannt . Cethegus lehnte das Haupt rückwärts an den Marmorsims und umfaßte mit der Rechten den Pokal , der vor ihm stand : » Du bist ungerecht , Rusticiana , « sagte er ruhig . » Und unklar . Du mischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen . Du weißt es , daß ich der Freund des Boëthius war . Obwohl ich sein Weib küßte . Vielleicht ebendeshalb . Ich sehe darin nichts Besonderes und du : – nun dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben . Du weißt ferner , daß ich diese Goten hasse , wirklich hasse , daß ich den Willen und – vor andern – die Fähigkeit habe , durchzusetzen , was dich jetzt ganz erfüllt : deinen Vater , den du geliebt , deinen Gatten , den du geehrt hast , an diesen Barbaren zu rächen . Du gehorchst daher meinen Winken . Und du tust daran sehr klug . Denn du hast zwar ein sehr bedeutendes Talent , Ränke zu schmieden . Aber deine Heftigkeit trübt oft deinen Blick . Sie verdirbt deine feinsten Pläne . Also tust du wohl , kühlerer Leitung zu folgen . Das ist alles . – Aber jetzt geh . Deine Sklavin kauert schlaftrunken im Vestibulum . Sie glaubt dich in der Beichte , bei Freund Silverius . Die Beichte darf nicht gar zu lange währen . Auch haben wir noch Geschäfte . Grüße mir Kamilla , dein schönes Kind , und lebe wohl . « Er stand auf , ergriff ihre Hand und führte sie sanft zur Türe . Sie folgte widerstrebend , nickte dem Priester zum Abschied zu , sah nochmal auf Cethegus , der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien , und ging mit leisem Kopfschütteln hinaus . Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus . » Sonderbarer Kampf in diesem Weibe , « sagte Silverius und setzte sich mit Griffel , Wachstafeln , Briefen und Dokumenten zu ihm . » Nicht sonderbar . Sie will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gut machen , indem sie ihn rächt . Und daß sie diese Rache gerade durch ihren ehemaligen Geliebten findet , macht die heilige Pflicht besonders süß . Freilich ist ihr dies alles unbewußt . – Aber , was gibt 's zu tun ? « Und nun begannen die beiden Männer ihre Arbeit , solche Punkte der Verschwörung zu erledigen , die allen Gliedern des Bundes mitzuteilen sie nicht für ratsam hielten . – » Diesmal , « hob der Diakonus an , » gilt es vor allem , das Vermögen des Albinus festzustellen und dessen nächste Verwendung zu beraten . Wir brauchten ganz unabweislich Geld , viel Geld . « – » Geldsachen sind dein Gebiet , « sagte Cethegus trinkend . » Ich verstehe sie wohl , aber sie langweilen mich . « » Ferner müssen die einflußreichsten Männer auf Sizilien , in Neapolis und Apulien gewonnen werden . Hier ist die Liste derselben mit Notizen über die einzelnen . Es sind Menschen darunter , bei denen die gewöhnlichen Mittel nicht verfangen . « » Gib her , « sagte Cethegus , » das will ich machen « , und zerlegte einen persischen Apfel . – – Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Geschäfte bereinigt und der Hausherr legte die Dokumente wieder in ihr Geheimfach hinter dem großen Kreuz in der Mauer . Der Priester war ermüdet und sah mit Neid auf den Genossen , dessen stählernen Körper und unangreifbaren Geist keine späte Stunde , keine Anspannung ermatten zu können schien . Er äußerte etwas dergleichen , als sich Cethegus den silbernen Becher wieder füllte . » Übung , Freund , starke Nerven und « setzte er lächelnd hinzu , » ein gutes Gewissen : das ist das ganze Rätsel . « » Nein , im Ernst , Cethegus , du bist mir auch sonst ein Rätsel . « – » Das will ich hoffen . « – » Nun , hältst du dich für ein mir so unerreichbar überlegenes Wesen ? « – » Ganz und gar nicht . Aber doch für gerade hinreichend tief , um andern nicht minder ein Rätsel zu sein als – mir selbst . Dein Stolz auf Menschenkenntnis mag sich beruhigen . Es geht mir selbst mit mir nicht besser als dir . Nur die Tropfen sind durchsichtig . « – » In der Tat , « fuhr der Priester ausholend fort , » der Schlüssel zu deinem Wesen muß sehr tief liegen . Sieh zum Beispiel die Genossen unsres Bundes . Von jedem läßt sich sagen , welcher Grund ihn dazu geführt hat . Der hitzige Jugendmut einen Licinius : der verrannte , aber ehrliche Rechtssinn einen Scävola : mich und die andern Priester – der Eifer für die Ehre Gottes . « » Natürlich , « sagte Cethegus trinkend . » Andere treibt der Ehrgeiz oder die Hoffnung , bei einem Bürgerkrieg ihren Gläubigern die Hälse abzuschneiden , oder auch die Langeweile über den geordneten Zustand dieses Landes unter den Goten oder eine Beleidigung durch einen der Fremden , die allermeisten der natürliche Widerwille gegen die Barbaren und die Gewöhnung , nur im Kaiser den Herrn Italiens zu sehen . Bei dir aber schlägt keiner dieser Beweggründe an und « – » Und das ist sehr unbequem , nicht wahr ? Denn mittels Kenntnis ihrer Beweggründe beherrscht man die Menschen ? Ja , ehrwürdiger Gottesfreund , ich kann dir nicht helfen . Ich weiß es wirklich selbst nicht , was mein Beweggrund ist . Ich bin selbst so neugierig darauf , daß ich es dir herzlich gern sagen und mich – beherrschen lassen wollte , wenn ich es nur entdecken könnte . Nur das Eine fühl' ich : diese Goten sind mir zuwider . Ich hasse diese vollblütigen Gesellen mit ihren breiten Flachsbärten . Unausstehlich ist mir das Glück dieser brutalen Gutmütigkeit , dieser naiven Jugendlichkeit , dieses alberne Heldentum , diese ungebrochnen Naturen . Es ist eine Unverschämtheit des Zufalls , der die Welt regiert , dieses Land , – nach einer solchen Geschichte , – mit Männern wie – wie du und ich – von diesen Nordbären beherrschen zu lassen . « Unwillig warf er das Haupt zurück , drückte die Augen zu und schlürfte einen kleinen Trunk Weines . » Daß die Barbaren fort müssen , « sprach der andere , » darüber sind wir einig . Und für mich ist damit alles erreicht . Denn ich will ja nur die Befreiung der Kirche von diesen irrgläubigen Barbaren , welche die Göttlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen . Ich hoffe , daß alsdann der römischen Kirche der Primat im ganzen Gebiet der Christenheit , der ihr gebührt , unbestritten zufallen wird . Aber solange Rom in der Hand der Ketzer liegt , während der Bischof von Byzanz von dem allein rechtgläubigen und rechtmäßigen Kaiser gestützt wird « – » Solange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof der Christenheit , solange nicht Herr Italiens : und deshalb der römische Stuhl , selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird , nicht das , was er werden soll : das Höchste . Und das will doch Silverius . « Überrascht sah der Priester auf . » Beunruhige dich nicht , Freund Gottes . Ich weiß das längst und habe dein Geheimnis bewahrt , obwohl du es mir nicht vertraut hast . Allein weiter . « Er schenkte sich aufs neue ein : »– dein Falerner ist gut abgelagert , aber er hat zu viel Süße . Du kannst eigentlich nur wünschen , daß diese Goten den Thron der Cäsaren räumen , nicht , daß die Byzantiner an ihre Stelle treten : denn sonst hat der Bischof von Rom wieder zu Byzanz seinen Oberbischof und einen Kaiser . Du mußt also an der Goten Stelle wünschen – nicht einen Kaiser – Justinian , – sondern – etwa was ? « – » Entweder « – fiel Silverius eifrig ein – » einen eignen Kaiser des Westreichs « – » Der aber , « vollendete Cethegus seinen Satz , » nur eine Puppe ist in der Hand des heiligen Petrus – « – » Oder eine römische Republik , einen Staat der Kirche – « – » In welchem der Bischof von Rom der Herr , Italien das Hauptland und die Barbarenkönige in Gallien , Germanien , Spanien die gehorsamen Söhne der Kirche sind . Schön , mein Freund . Nur müssen erst die Feinde vernichtet sein , deren Spolien du bereits verteilst . Deshalb ein altrömischer Trinkspruch : wehe den Barbaren ! « Er stand auf und trank dem Priester zu . » Aber die letzte Nachtwache schleicht vorüber und meine Sklaven müssen mich am Morgen in meinem Schlafgemach finden . Leb wohl . « Damit zog er den Kukullus des Mantels über das Haupt und ging . Der Wirt sah ihm nach : » Ein höchst bedeutendes Werkzeug ! « sagte er zu sich . » Gut , daß er nur ein Werkzeug ist . Möge er es immer bleiben . « Cethegus aber schritt von der Via appia her , wo die Kirche des heiligen Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt , nach Nordwesten dem Kapitole zu , an dessen Fuß am Nordende der Via sacra sein Haus gelegen war , nordöstlich vom Forum Romanum . Die kühle Morgenluft strich belebend um sein Haupt . Er schlug den Mantel zurück und dehnte die breite , starke , gewaltige Brust . » Ja , ein Rätsel bist du , « sprach er vor sich hin ; » treibst Verschwörung und nächtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder ein Verliebter von zwanzig Jahren . Und warum ? – Ei , wer weiß warum er atmet ? Weil er muß . Und so muß ich tun was ich tue . Eins aber ist gewiß . Dieser Priester mag Papst werden : er muß es vielleicht werden . Aber eins darf er nicht . Er darf es nicht lange bleiben . Sonst lebt wohl , ihr Gedanken , ihr kaum eingestandenen , die ihr noch Träume seid und Wolkendünste : vielleicht aber ballt sich daraus ein Gewitter , das Blitz und Donner führt und mein Verhängnis wird . Sieh , es wetterleuchtet im Osten. Gut . Ich nehme das Omen an . « Mit diesen Worten schritt er in sein Haus . Im Schlafgemach fand er auf dem Zederntisch vor seinem Lager einen verschnürten und mit dem königlichen Siegel gepreßten Brief . Er schnitt die Schnüre mit dem Dolch auf , schlug die doppelte Wachstafel auseinander und las : » An Cethegus Cäsarius , den Princeps Senatus , Marcus Aurelius Cassiodorus Senator . Unser Herr und König liegt im Sterben . Seine Tochter und Erbin Amalaswintha wünscht Dich noch vor seinem Ende zu sprechen . Du sollst das wichtigste Reichsamt übernehmen . Eile sogleich nach Ravenna . « Fünftes Kapitel . Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwül über dem Königspalast zu Ravenna mit seiner düstern Pracht , mit seiner unwirtlichen Weiträumigkeit . Die alte Burg der Cäsaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manche stilwidrige Veränderung erfahren . Und seit an die Stelle der Imperatoren der Gotenkönig mit seinem germanischen Hofgesinde getreten war , hatte sie vollends ein wenig harmonisches Aussehen angenommen . Denn viele Räume , die eigentümlichen Sitten des römischen Lebens gedient hatten , standen mit der alten Pracht ihrer Einrichtung unbenutzt und vernachlässigt : Spinnweben zogen sich über die Mosaiken der reichen , aber lang nicht mehr betretenen Badgemächer des Honorius , und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschten die Eidechsen über das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mauern . Dagegen hatten die Bedürfnisse eines mehr kriegerischen Hofhalts manche Mauer niedergerissen , um die kleinen Gemächer des antiken Hauses zu den weiteren Räumen von Waffensälen , Trinkhallen , Wachtzimmern auszudehnen . Und man hatte anderseits durch neue Mauerführungen benachbarte Häuser mit dem Palast verbunden , daraus eine Festung mitten in der Stadt zu schaffen . Es trieben jetzt in der » piscina maxima , « dem ausgetrockneten Teich , blonde Buben ihre wilden Spiele und in den Marmorsälen der Palästra wieherten die Rosse der gotischen Wachen . So hatte der weitläufige Bau das unheimliche Ansehen halb einer kaum noch erhaltnen Ruine , halb eines unvollendeten Neubaus : und die Burg dieses Königs erschien so wie ein Sinnbild seines römisch-gotischen Reiches , seiner ganzen politischen halbunfertigen , halbverfallenden Schöpfung . – An dem Tage aber , der Cethegus nach Jahren hier zuerst wieder eintreten sah , lastete ein Gewölk von Spannung , Trauer und Düstre ganz besonders schwer auf diesem Haus : denn seine königliche Seele sollte daraus scheiden . – Der große Mann , der von hier aus ein Menschenalter lang die Geschicke Europas gelenkt , den Abendland und Morgenland in Liebe und Haß bewunderten , der Heros seines Jahrhunderts , der gewaltige Dietrich von Bern , dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich ausschmückend bemächtigt hatte , der große Amalungenkönig Theoderich sollte sterben . So hatten es die Ärzte , wenn nicht ihm selbst doch seinen Räten verkündet und alsbald war es hinausgedrungen in die große volkreiche Stadt . Obwohl man seit lange einen solchen Ausgang der geheimnisvollen Leiden des greisen Fürsten für möglich gehalten , er füllte doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhängnisvollen Schlages alle Herzen mit der höchsten Aufregung . Die treuen Goten trauerten und bangten : aber auch bei der römischen Bevölkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschende Empfindung . Denn hier in Ravenna , in der unmittelbaren Nähe des Königs hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im allgemeinen zu bewundern und durch besondere Wohltaten zu erfahren am häufigsten Gelegenheit gehabt . Ferner fürchtete man nach dem Tode dieses Königs , der während seiner ganzen Regierung , mit einziger Ausnahme der jüngsten Kämpfe mit dem Kaiser und dem Senat , in welchen Boëthius und Symmachus geblutet , die Italier vor der Gewalttätigkeit und Rauheit seines Volkes beschützt hatte , unter einem neuen Regiment Härte und Druck von Seite der Goten zu befahren . Endlich aber wirkte noch ein anderes , Höheres : die Persönlichkeit dieses Heldenkönigs war so großartig , so majestätisch gewesen , daß auch diejenigen , die seinen und seines Reiches Untergang oft herbeigewünscht hatten , doch in dem Augenblick , da nun diese Sonne erlöschen sollte , sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernsterer Erschütterung nicht erwehren konnten . So war die Stadt schon seit grauendem Morgen – da man zuerst vom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Diener in die Häuser der vornehmsten Goten und Römer hatte eilen sehen – in höchster Erregung . In den Straßen , auf den Plätzen , in den Bädern standen die Männer paarweise oder in Gruppen beisammen , fragten und teilten sich mit , was sie wußten , suchten eines Vornehmen habhaft zu werden , der vom Palaste herkam und sprachen über die ernsten Folgen des bevorstehenden Ereignisses . Weiber und Kinder kauerten neugierig auf den Schwellen der Häuser . Mit den wachsenden Stunden des Tages strömte sogar schon die Bevölkerung der nächsten Dörfer und Städte , besonders trauernde Goten , forschend in die Tore Ravennas . Die Räte des Königs , voraus der Präfectus Prätorio Cassiodorus , der sich in diesen Tagen um Aufrechterhaltung der Ordnung hohes Verdienst erwarb , hatten solche Aufregung vorausgesehen , vielleicht Schlimmeres erwartet . Seit Mitternacht waren alle Zugänge zum Palast geschlossen und mit gotischen Wachen besetzt . Auf dem Forum des Honorius , vor der Stirnseite des Gebäudes , war ein Zug Reiter aufgestellt . Auf den breiten Marmorstufen , die zu der stolzen Säulenreihe des Hauptportals hinaufführten , waren starke Scharen gotischen Fußvolks , mit Schild und Speer , in malerischen Gruppen gelagert . Nur hier konnte man , nach Cassiodors Befehl , Ein tritt in den Palast erlangen und nur die beiden Anführer des Fußvolks , der Römer Cyprian und der Gote Witichis durften die Erlaubnis dazu erteilen . Ersterer war es , der Cethegus einließ . Wie dieser den altbekannten Weg zum Gemach des Königs verfolgte , fand er in den Hallen und Gängen der Burg die Goten und Italier , denen ihr Rang und Ansehen Zutritt erwarben , in ungleichen Gruppen verteilt . Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalle die jungen Tausendführer und Hundertführer der Goten beisammen oder flüsterten einzelne besorgte Fragen , während hier und da ein älterer Mann , ein Waffengefährte des sterbenden Helden , in einer Nische der Bogenfenster lehnte , seinen lauten Schmerz zu verbergen ; in der Mitte des Saales stand , laut weinend , das Haupt an einen Pfeiler drückend , ein reicher Kaufmann von Ravenna : der König , der jetzt scheiden sollte , hatte ihm eine Verschwörung verziehen und seine Warenhallen vor der Plünderung durch die ergrimmten Goten gerettet . Mit einem kalten Blick der Geringschätzung schritt Cethegus an dem allen vorüber . Er ging weiter . In dem nächsten Gemach , dem zum Empfang fremder Gesandten bestimmten Saal , fand er eine Anzahl von vornehmen Goten , Herzogen , Grafen und Edeln beisammen , die offenbar Beratung hielten über den Thronwechsel und den drohenden Umschwung aller Verhältnisse . Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia , der die Stadt Arles heldenmütig gegen die Franken verteidigt hatte , Ibba von Liguria , der Eroberer von Spanien , Pitza von Dalmatia , der Besieger der Bulgaren und Gepiden , gewaltige , trotzige Herren , stolz auf ihren alten Adel , der dem Königshaus der Amaler wenig nachgab – denn sie waren aus dem Geschlecht der Balten , das bei den Westgoten durch Alarich die Krone gewonnen hatte – , und auf ihre kriegerischen Verdienste , die das Reich beschirmt und erweitert . Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen . Das waren die Führer der Partei , die längst eine härtere Behandlung der Italier , welche sie haßten und scheuten zugleich , begehrt und die nur widerstrebend dem milden Sinn des Königs sich gefügt hatten . Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmen Römer , der da Zeuge der Sterbestunde des großen Gotenhelden sein wollte . Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorüber und hob den schweren Wollvorhang auf , der den nächsten Raum abschied , das Vorzimmer des Krankengemaches . Eintretend begrüßte er mit tiefer Verbeugung des Hauptes eine hohe königliche Frau , die , in schwarze Trauerschleier gehüllt , ernst und schweigend , aber in fester Fassung und ohne Tränen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand : das war Amalaswintha , die verwitwete Tochter Theoderichs . Eine Frau in der Mitte der Dreißiger war sie noch von außerordentlicher , wenn auch kalter Schönheit . Sie trug das reiche dunkle Haar nach griechischer Weise gescheitelt und gewellt . Die hohe Stirn , das große , runde Auge , die geradlinige Nase , der Stolz ihrer fast männlichen Züge und die Majestät ihrer vollen Gestalt verliehen ihr gebietende Würde und in dem ganz nach hellenischem Stil gefalteten Trauergewand glich sie in der Tat einer von ihrem Postament heruntergeschrittenen Hera des Polyklet . An ihrem Arme hing , mehr gestützt als stützend , ein Knabe oder Jüngling von etwa siebzehn Jahren , Athalarich , ihr Sohn , des Gotenreiches Erbe . Er glich nicht der Mutter , sondern hatte die Natur seines unglücklichen Vaters Eutharich , den eine zehrende Krankheit des Herzens in der Blüte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte . Mit Sorge sah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaters werden und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna , daß alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten . Athalarich war schön wie alle Glieder dieses von den Göttern stammenden Hauses . Starke schwarze Brauen , lange Wimpern beschatteten ein edles , dunkles Auge , das aber bald wie in unbestimmten Träumen zerfloß , bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte . Dunkelbraune wirre Locken hingen in die bleichen Schläfe , in denen bei lebhafter Erregung die feinen blauen Adern krampfhaft zuckten . Der edlen Stirn hatte leiblicher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet , befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz . Rasch wechselten Marmorblässe und heißes Rot auf den durchsichtigen Wangen . Die hoch aufgeschossene aber geknickte Gestalt schien meistens wie müde in ihren Fugen zu hangen und schoß nur manchmal mit erschreckender Raschheit in die Höhe . Er sah den eintretenden Cethegus nicht , denn er hatte , an der Mutter Brust gelehnt , den griechischen Mantel klagend um das junge Haupt geschlagen , das bald eine schwere Krone tragen sollte . – Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches , der den Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen gewährte , stand , in träumerisches Sinnen verloren , ein Weib – oder war es eine Jungfrau ? – von überraschender , blendender , überwältigender Schönheit : das war Mataswintha , Athalarichs Schwester . Sie glich der Mutter an Adel und Höhe der Gestalt , aber ihre schärferen Züge hatten ein feuriges leidenschaftliches Leben , das sich nur wenig unter angenommener Kälte barg . Ihre Gestalt , ein reizvolles Ebenmaß von blühender Fülle und feiner Schlankheit , mahnte an jene bezwungene Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesander , die , nach der Sage , der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt verbannen müssen , weil diese marmorne höchste Einheit schönster Jungfräulichkeit und schönster Sinnlichkeit die Jünglinge des Eilands zu Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte . Der Zauber höchster reifer Mädchenschönheit zitterte über diesem Wesen . Ihr reichwallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz und von so außerordentlicher Wirkung , daß er der Fürstin , selbst bei diesem durch die prächtigen Goldlocken seiner Weiber berühmten Volk , den Namen » Schönhaar « verschafft hatte . Ihre Augenbrauen aber und die langen Wimpern waren glänzend schwarz und hoben die blendend weiße Stirn , die alabasternen Wangen leuchtend hervor . Die fein gebogene Nase mit den zartgeschnittenen manchmal leise zuckenden Flügeln senkte sich auf einen üppig schwellenden Mund . Aber das Auffallendste an dieser auffallenden Schönheit war das graue Auge , nicht so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe , wie durch den wunderbaren Ausdruck , mit dem es , meist in träumerisches Sinnen verloren , manchmal in versengender Leidenschaft aufleuchten konnte . In der Tat , wie sie da an dem Fenster lehnte , in der halb hellenischen , halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewählten Tracht , den weißen , hochgewölbten Arm um die dunkle Porphyrsäule geschlungen und hinausträumend in die Abendluft , glich ihre verführerische Schönheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellenmädchen , deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germanische Sage gefeiert hat . Und so groß war die Macht dieser Schönheit , daß selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus , der die Fürstin längst kannte , bei seinem Eintritt von neuem Staunen berührt wurde . – Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letzten der im Gemach Anwesenden , von Cassiodor , dem gelehrten und treuen Minister des Königs , dem ersten Vertreter jener wohlwollenden , aber hoffnungslosen Versöhnungspolitik , die seit einem Menschenalter im Gotenreich geübt wurde . Der alte Mann , dessen ehrwürdige und milde Züge der Schmerz um den Verlust seines königlichen Freundes nicht weniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches , stand auf und ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen , der sich ehrfurchtvoll verneigte . In Tränen schwimmend ruhte das Auge des Greises auf ihm , endlich sank er seufzend an die kalte Brust des Cethegus , der ihn für diese Weichheit verachtete . » Welch ein Tag ! « klagte er . – » Ein verhängnisvoller Tag , « sprach Cethegus ernst ; » er fordert Kraft und Fassung . « – » Recht sprichst du , Patricius , und wie ein Römer , « – sagte die Fürstin , sich von Athalarich losmachend , » sei gegrüßt . « Sie reichte ihm die Hand , die nicht bebte , ihr Auge war klar . » Die Schülerin der Stoa bewährt an diesem Tage die Weisheit Zenos und die eigne Kraft , « sprach Cethegus . Sagt lieber , die Gnade Gottes kräftigt ihre Seele wunderbar , « verbesserte Cassiodor . » Patricius , « begann Amalaswintha , » der Präfectus Prätorio hat dich mir vorgeschlagen , zu einem wichtigen Geschäft . Sein Wort würde genügen , auch wenn ich dich nicht längst schon kennte . Du bist derselbe Cethegus , der die ersten beiden Gesänge der Äneis in griechische Hexameter übertragen hat ! « – » Infandum renovare jubes , regina , dolorem . Eine Jugendsünde , Königin , « lächelte Cethegus . » Ich habe alle Abschriften aufgekauft und verbrannt an dem Tage , da die Übersetzung Tullias erschien . « Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas : Cethegus wußte das : aber die Fürstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung . Sie war in ihrer schwächsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort : » Du weißt , wie es hier steht . Die Atemzüge meines Vaters sind gezählt : nach dem Ausspruch der Ärzte kann er , obwohl noch rüstig und stark , jeden Augenblick tot zusammenbrechen . Athalarich hier ist der Erbe seiner Krone . Ich aber führe an seiner Statt die Regentschaft und über ihn die Mundschaft bis er zu seinen Tagen gekommen . « – » So ist der Wille des Königs , und Goten und Römer haben dieser Weisheit längst schon zugestimmt , « sagte Cethegus . – » So taten sie . Aber die Menge ist wandelbar . Die rohen Männer verachten die Herrschaft eines Weibes « – und sie zog bei diesem Gedanken die Stirn in zornige Falten . » Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten wie der Römer , « begütigte Cassiodor , » es ist ganz neu , daß ein Weib – « – » Die undankbaren Rebellen ! « murmelte Cethegus , gleichsam für sich . » Wie man darüber denken mag , « fuhr die Fürstin fort , » es ist so . Gleichwohl baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen , mögen auch einzelne aus dem Adel Gelüste nach der Krone tragen . Auch von den Italiern hier in Ravenna , wie in den meisten Städten , fürchte ich nicht . Aber ich fürchte – Rom und die Römer . « Cethegus horchte hoch auf : sein ganzes Wesen war in plötzlicher Erregung : aber sein Antlitz blieb eisig kalt . » Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewöhnen , es wird uns ewig widerstreben – wie könnte es anders ! « setzte sie seufzend hinzu . Es war , als ob die Tochter Theoderichs eine römische Seele hätte . » Wir fürchten deshalb , « – ergänzte Cassiodor , – » daß auf die Kunde von der Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin ausbrechen könnte , sei es für Anschluß an Byzanz , sei es für Erhebung eines eignen Kaisers des Abendlandes . « Cethegus schlug , wie nachsinnend , die Augen nieder . – » Darum , « fiel die Fürstin rasch ein , » muß , schon ehe jene Kunde zu Rom eintrifft , alles geschehen sein . Ein entschlossener , mir treu ergebener Mann muß die Besatzung für mich – ich meine für meinen Sohn – vereidigen , die wichtigsten Tore und Plätze besetzen , Senat und Adel einschüchtern , das Volk für mich gewinnen und meine Herrschaft unerschütterlich aufrichten , ehe sie noch bedroht ist . Und für dies Geschäft hat Cassiodor – dich vorgeschlagen . Sprich , willst du es übernehmen ? « Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erde gefallen . Cethegus bückte sich , ihn aufzuheben . Er hatte nur diesen einen Augenblick für die hundert Gedanken , die bei diesem Antrag sich in seinem Kopfe kreuzten . War die Verschwörung in den Katakomben , war vielleicht er selbst verraten ? Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschsüchtigen Weibes ? Oder waren die Toren wirklich so blind , gerade ihm dies Amt aufzudringen ? Und wenn dem so war , was sollte er tun ? Sollte er den Moment benutzen , sogleich loszuschlagen , Rom zu gewinnen ? Und für wen ? für Byzanz ? oder für einen Kaiser im Abendlande ? Und wer sollte das werden ? Oder waren die Dinge noch nicht reif ? Sollte er für diesmal – aus Treulosigkeit – Treue üben ? Für all diese und manche andere Zweifel und Fragen hatte er , sie zu stellen und zu lösen , nur den einen Moment , da er sich bückte : sein rascher Geist brauchte nicht mehr : er hatte im Bücken das arglos vertrauende Gesicht Cassiodors gesehen und entschlossen sprach er , den Griffel überreichend : » Königin , ich übernehme das Geschäft . « – » Das ist gut , « sagte die Fürstin . Cassiodor drückte seine Hand . » Wenn Cassiodor , « fuhr Cethegus fort , » mich zu diesem Amte vorgeschlagen , so hat er wieder einmal seine tiefe Menschenkenntnis bewährt . Er hat durch meine Schale auf meinen Kern gesehen . « – » Wie meinst du das ? « fragte Amalaswintha . – » Königin , der Schein konnte ihn trügen . Ich gestehe , daß ich die Barbaren – verzeihe ! – die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe . « – » Dieser Freimut ehrt dich und ich verzeih' es dem Römer . « – » Dazu kommt , daß ich seit Jahrzehnten dem Staat , dem öffentlichen Leben keine Teilnahme mehr zuwandte . Nach vielen Leidenschaften leb' ich – ohne alle Leidenschaft – nur einer spielenden Muse und leichten Gelehrsamkeit , unbekümmert um die Sorgen der Könige , auf meinen Villen . « – » Beatus ille qui procul negotiis « , zitierte seufzend die gelehrte Frau . – » Aber eben weil ich die Wissenschaft verehre , weil ich , ein Schüler Platons , will , daß die Weisen herrschen sollen , deshalb wünsche ich , daß eine Königin mein Vaterland regiere , die nur der Geburt nach Gotin , der Seele nach Griechin , der Tugend nach Römerin ist . Ihr zu Liebe will ich meine Muße den verhaßten Geschäften opfern . Aber nur unter der Bedingung , daß dies mein letztes Staatsamt sei . Ich übernehme deinen Auftrag und stehe dir für Rom mit meinem Kopf . « » Gut , hier findest du die Vollmachten , die Dokumente , deren du bedarfst . « Cethegus durchflog die Urkunden . » Dies ist das Manifest des jungen Königs an die Römer , mit deiner Unterschrift . Seine Unterschrift fehlt noch . « Amalaswintha tauchte die gnidische Rohrfeder in das Gefäß mit Purpurtinte , deren sich die Amaler , wie die römischen Imperatoren bedienten : » Komm , schreibe deinen Namen , mein Sohn . « Athalarich hatte während der ganzen Verhandlung stehend und mit beiden Armen vorgebeugt auf den Tisch gestützt , Cethegus scharf beobachtet . Jetzt richtete er sich auf : er war gewohnt , in seinen Formen die Rechte eines Khronfolgers und eines Kranken zu gebrauchen : » Nein , « sagte er heftig , » Ich schreibe nicht . Nicht bloß , weil ich diesem kalten Römer nicht traue , – nein , ich traue dir gar nicht , du stolzer Mann ! – es ist empörend , daß ihr , während mein hoher Großvater noch atmet , schon an seiner Krone herumtappt , ihr Zwerge nach der Krone des Riesen . Schämt euch eurer Fühllosigkeit . Hinter jenen Vorhängen stirbt der größte Held des Jahrhunderts – und ihr denkt nur an die Teilung seiner Königsgewänder . « Er wandte ihnen den Rücken und schritt langsam nach dem Fenster zu , wo er den Arm um seine schöne Schwester schlang und ihr schimmervolles glänzendes Haar streichelte . Lange stand er so , sie achtete seiner nicht . Plötzlich fuhr sie auf aus ihrem Sinnen : » Athalarich , « flüsterte sie , hastig seinen Arm fassend und hinausdeutend auf die Marmorstufen , » wer ist der Mann dort ? im blauen Stahlhelm , der eben um die Säule biegt ? Sprich , wer ist es ? « » Laß sehn , « sagte der Jüngling sich vorbeugend , » der dort ? ei , das ist Graf Witichis , der Besieger der Gepiden , ein wackrer Held . « Und er erzählte ihr von den Taten und Erfolgen des Grafen im letzten Kriege . Indessen hatte Cethegus die Fürstin und den Minister fragend angesehen . » Laß ihn ! « seufzte Amalaswintha . » Wenn er nicht will , zwingt ihn keine Macht der Erde . « Weiteres Fragen des Cethegus ward abgeschnitten , indem sich der dreifache Vorhang auftat , der das Schlafgemach des Königs von allem Geräusch des Vorzimmers schied . Es war Elpidios , der griechische Arzt , der , die schweren Falten aufhebend , berichtete , der Kranke , eben aus langem Schlummer erwacht , habe ihn fortgeschickt , um mit dem alten Hildebrand allein zu sein : dieser wich nie von seiner Seite . Sechstes Kapitel . Das Schlafgemach Theoderichs , schon von den Kaisern zu gleichem Zweck benutzt , zeigte die düstre Pracht des späten römischen Stils . Die überladenen Reliefs an den Wänden , die Goldornamentik der Decke schilderte noch Siege und Triumphzüge der römischen Konsuln und Imperatoren : heidnische Götter und Göttinnen schwebten stolz darüber hin : überall in der Architektur und Dekoration waltete drückender Prunk . Dazu bildete einen merkwürdigen Gegensatz das Lager des Gotenkönigs in seiner schlichten Einfachheit . Kaum einen Fuß vom Marmorboden erhob sich das ovale Gestell von rohem Eichenholz , das wenige Decken füllten . Nur der köstliche Purpurteppich , der die Füße verhüllte , und das Löwenfell mit goldnen Tatzen , ein Geschenk des Vandalenkönigs aus Afrika , das vor dem Bette lag , bekundete die Königshoheit des Kranken . Alles Gerät , das sonst das Gemach erfüllt , war prunklos , schlicht , fast barbarisch schwer . An einer Säule im Hintergrund hing der eherne Schild und das breite Schwert des Königs , seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht . Am Kopfende des Lagers stand , gebeugten Hauptes , der alte Waffenmeister , die Züge des Kranken sorglich prüfend : dieser , auf den linken Arm gestützt , kehrte ihm das gewaltige , das majestätische Antlitz zu . Sein Haar war spärlich und an den Schläfen abgerieben durch den langjährigen Druck des schweren Helmes , aber noch glänzend hellbraun , ohne irgend graue oder weiße Spuren . Die mächtige Stirn , die blitzenden Augen , die stark gebogene Nase , die tiefen Furchen der Wangen sprachen von großen Aufgaben und von großer Kraft , sie zu lösen und machten den Eindruck des Gesichts königlich und hehr : aber die wohlwollende Weichheit des Mundes bekundete , trotz dem grimmen und leise ergrauenden Bart , jene Milde und friedliche Weisheit , mit welcher der König ein Menschenalter lang für Italien eine goldne Zeit zurückgeführt und sein Reich zu einer Blüte erhoben hatte , die damals schon Sprichwort und Sage feierten . Lang ließ er mit Huld und Liebe das goldbraune Adlerauge auf dem riesigen Krankenwart ruhen . Dann reichte er ihm die magre aber nervige Rechte . » Alter Freund , « sagte er , » nun wollen wir Abschied nehmen . « Der Greis sank in die Knie und drückte die Hand des Königs an die breite Brust . » Komm , Alter , steh' auf : muß ich dich trösten ? « Aber Hildebrand blieb auf den Knieen und erhob nur das Haupt , daß er dem König ins Auge sehen konnte . » Sieh , « sprach dieser , » ich weiß , daß du , Hildungs Sohn , von deinen Ahnen , von deinem Vater her tiefere Geheimkunde hast von der Menschen Siechtum und Heilung , als alle diese griechischen Ärzte und lydischen Salbenkrämer . Und vor allem : du hast mehr Wahrhaftigkeit . Darum frage ich dich , du sollst mir redlich bestätigen , was ich selbst fühle : sprich , ich muß sterben ? heute noch ? noch vor Nacht ? « Und er sah ihn an mit einem Auge , das nicht zu täuschen war . Aber der Alte wollte gar nicht täuschen , er hatte jetzt seine zähe Kraft wieder . » Ja , Gotenkönig , Amalungen Erbe , du mußt sterben , « sagte er : » die Hand des Todes hat über dein Antlitz gestrichen . Du wirst die Sonne nicht mehr sinken sehen . « Es ist gut , « sagte Theoderich , ohne mit der Wimper zu zucken . » Siehst du , der Grieche , den ich fortgeschickt , hat mir noch von ganzen Tag vorgelogen . Und ich brauche doch meine Zeit . « » Willst du wieder die Priester rufen lassen ? « fragte Hildebrand , nicht mit Liebe . – » Nein , ich konnte sie nicht brauchen . Und ich brauche sie nicht mehr . « – » Der Schlaf hat dich sehr gestärkt und den Schleier von deiner Seele genommen , der sie solang verdunkelt . Heil dir , Theoderich , Theodemers Sohn , du wirst sterben wie ein Heldenkönig . « » Ich weiß , « lächelte dieser , » die Priester waren dir nicht genehm an diesem Lager . Du hast recht . Sie konnten mir nicht helfen . « – » Nun aber , wer hat dir geholfen ? « » Gott und ich selbst . Höre . Und diese Worte sollen unser Abschied sein ! Mein Dank für deine Treue von fünfzig Jahren sei es , daß ich dir allein , nicht meiner Tochter , nicht Cassiodor es vertraue , was mich gequält hat . Sprich : was sagt man im Volk , was glaubst du , daß jene Schwermut war , die mich plötzlich befallen und in dieses Siechtum gestürzt hat ? « – » Die Welschen sagen : Reue über den Tod des Boëthius und Symmachus . « – » Hast du das geglaubt ? « – » Nein , ich mochte nicht glauben , daß dich das Blut der Verräter bekümmern kann . « – » Du hast wohlgetan . Sie waren vielleicht nicht des Todes schuldig nach dem Gesetz , nach ihren Taten . Und Boëthius habe ich sehr geliebt . Aber sie waren tausendfach Verräter ! Verräter in ihren Gedanken . Verräter an meinem Vertrauen , an meinem Herzen . Ich habe sie , die Römer , höher gehalten als die Besten meines Volkes . Und sie haben , zum Dank , meine Krone dem Kaiser gewünscht , dem Byzantiner Schmeichelbriefe geschrieben : sie haben einen Justin und einen Justinian der Freundschaft des Theoderich vorgezogen : mich reut der Undankbaren nicht . Ich verachte sie . Rate weiter ! Du , was hast du geglaubt ? « – » König : dein Erbe ist ein Kind und du hast ringsum Feinde . « Der Kranke zog die kühnen Brauen zusammen : » Du triffst näher ans Ziel . Ich habe stets gewußt , was meines Reiches Schwäche . In bangen Nächten hab' ich geseufzt um seine innere Krankheit , wann ich am Abend beim Gastgelag den fremden Gesandten den Stolz höchster Zuversicht gezeigt hatte . Alter , du hast , ich weiß , mich für allzu sicher gehalten . Aber mich durfte niemand beben sehen . Nicht Freund noch Feind . Sonst bebte mein Thron . Ich habe geseufzt , wann ich einsam war und meine Sorge allein getragen . « – » Du bist die Weisheit , mein König , und ich war ein Tor ! « rief der Alte . » Sieh , « fuhr der König fort , – mit der Hand über die des Alten streichend – , » ich weiß alles , was dir nicht recht an mir gewesen . Auch deinen blinden Haß gegen diese Welschen kenne ich . Glaube mir , er ist blind . Wie vielleicht meine Liebe zu ihnen war . « Hier seufzte er und hielt inne . » Was quälst du dich . « – » Nein , laß mich vollenden . Ich weiß es , mein Reich , das Werk meines ruhmvollen , mühevollen Lebens kann fallen , leicht fallen . Und vielleicht durch Schuld meiner Großmut gegen diese Römer . Sei es darum ! Kein Menschenbau ist ewig und die Schuld zu edler Güte – ich will sie tragen . « » Mein großer König ! « – » Aber , Hildebrand , in einer Nacht , da ich so wachte , sorgte und seufzte über den Gefahren meines Reiches , – da stieg mir vor der Seele auf das Bild einer andern Schuld ! Nicht der Güte , nein , der Ruhmsucht , der blutigen Gewalt . Und wehe , wehe mir , wenn das Volk der Goten sollte untergehn zur Strafe für Theoderichs Frevel ! – Sein , sein Bild tauchte mir empor ! « Der Kranke sprach nun mit Anstrengung und zuckte einen Augenblick . » Wessen Bild ? Wen meinst du ? « fragte der Alte leise , sich vorbeugend . » Odovakar ! « flüsterte der König . Hildebrand senkte das Haupt . Ein banges Schweigen unterbrach endlich Theoderich : » Ja , Alter , diese Rechte – du weißt es – hat den gewaltigen Helden durchstoßen , beim Mahl , meinen Gast . Heiß spritzte sein Blut mir ins Gesicht und ein Haß ohne Ende sprühte auf mich aus seinem brechenden Auge . Vor wenigen Monden , in jener Nacht , stieg sein blutiges , bleiches , zürnendes Bild wie eines Rachegottes vor mir auf . Fiebernd zuckte mein Herz zusammen . Und furchtbar sprach 's in mir : um dieser Bluttat willen wird dein Reich zerfallen und dein Volk vergehn . « Nach einer neuen Pause begann diesmal Hildebrand , trotzig aufblickend : » König , was quälst du dich wie ein Weib ? Hast du nicht Hunderte erschlagen mit eigner Hand und dein Volk Tausende auf dein Gebot ? Sind wir nicht von den Bergen in dies Land herabgestiegen in mehr als dreißig Schlachten , im Blute watend knöcheltief ? Was ist dagegen das Blut des einen Mannes ! Und denk' : wie es stand . Vier Jahre hatte er dir widerstanden wie der Auerstier dem Bären . Zweimal hatte er dich und dein Volk hart an den Rand des Verderbens gedrängt . Hunger , Schwert und Seuche rafften deine Goten dahin . Endlich , endlich fiel das trotzige Ravenna ; ausgehungert , durch Vertrag . Bezwungen lag der Todfeind dir zu Füßen . Da kömmt dir Warnung , er sinnt Verrat , er will noch einmal den gräßlichen Kampf aufnehmen , er will zur Nacht desselben Tages dich und die Deinen überfallen . Was solltest du tun ? Ihn offen zu Rede stellen ? War er schuldig , so konnte das nicht retten . Kühn kamst du ihm zuvor und tatest ihm abends , was er dir nachts getan hätte . Und wie hast du deinen Sieg benützt ! Die Eine Tat hat all dein Volk gerettet , hat einen neuen Kampf der Verzweiflung erspart . Du hast all die Seinen begnadigt , hast Goten und Welsche dreißig Jahre leben lassen wie im Himmelreich . Und nun willst du um jene Tat dich quälen ? Zwei Völker danken sie dir in Ewigkeit . Ich – ich hätt' ihn siebenmal erschlagen . « Der Alte hielt inne , sein Auge blitzte , er sah wie ein zorniger Riese . Aber der König schüttelte das Haupt . » Das ist nichts , alter Recke , alles nichts ! Hundertmal hab' ich mir dasselbe gesagt , und verlockender , feiner , als deine Wildheit es vermag . Das hilft all' nichts . Er war ein Held , der einzige meinesgleichen ! – Und ich hab' ihn ermordet , ohne Beweis seiner Schuld . Aus Argwohn , aus Eifersucht , ja – es muß gesagt sein , aus Furcht – aus Furcht , noch einmal mit ihm ringen zu sollen . Das war und ist und bleibt ein Frevel . – Und ich fand keine Ruhe hinter Ausreden . Düstre Schwermut fiel auf mich . Seine Gestalt verfolgte mich seit jener Nacht unaufhörlich . Beim Schmaus und im Rat , auf der Jagd , in der Kirche , im Wachen und im Schlafen . Da schickte mir Cassiodor die Bischöfe , die Priester . Sie konnten mir nicht helfen . Sie hörten meine Beichte , sahen meine Reue , meinen Glauben , und vergaben mir alle Sünden . Aber Friede kam nicht über mich , und ob sie mir verziehen , – ich konnte mir nicht verzeihen . Ich weiß nicht , ist es der alte Sinn meiner heidnischen Ahnen : – aber ich kann mich nicht hinter dem Kreuz verstecken vor dem Schatten des Ermordeten . Ich kann mich nicht gelöst glauben von meiner blutigen Tat durch das Blut eines unschuldigen Gottes , der am Kreuze gestorben . « – – Freude leuchtete über das Antlitz Hildebrands : » Du weißt , « raunte er ihm zu , » ich habe niemals diesen Kreuzpriestern glauben können . Sprich , o sprich , glaubst auch du noch an Thor und Odhin ? Haben sie dir geholfen ? « Der König schüttelte lächelnd das Haupt : » Nein , du alter , unverbesserlicher Heide . Dein Walhall ist nichts für mich . Höre , wie mir geholfen ward . Ich schickte gestern die Bischöfe fort und kehrte tief in mich selber ein . Und dachte und flehte und rang zu Gott . Und ich ward ruhiger . Und sieh , in der Nacht kam über mich tiefer Schlummer , wie ich ihn seit langen Monden nicht mehr gekannt « . Und als ich erwachte , da schauerte kein Fieber der Qual mehr in meinen Gliedern . Ruhig war ich und klar . Und dachte dieses : » Ich habe es getan und keine Gnade , kein Wunder Gottes macht es ungeschehen . Wohlan , er strafe mich . Und wenn er der zornige Gott des Moses , so räche er sich und strafe mit mir mein ganzes Haus bis ins siebente Glied . Ich weihe mich und mein Geschlecht der Rache des Herrn . Er mag uns verderben : er ist gerecht . Aber weil er gerecht ist , kann er nicht strafen dieses edle Volk der Goten um fremde Schuld . Er kann es nicht verderben um des Frevels seines Königs willen . Nein , das wird er nicht . Und muß dies Volk einst untergehen , – ich fühl' es klar , dann ist es nicht um meine Tat . Für diese weih' ich mich und mein Haus der Rache des Herrn . Und so kam Friede über mich , und mutig mag ich sterben . « Er schwieg . Hildebrand aber neigte das Haupt und küßte die Rechte , welche Odovakar erschlagen hatte . » Das war mein Abschied an dich . Und mein Vermächtnis , mein Dank für ein ganzes Leben der Treue . – Jetzt laß uns den Rest der Zeit noch diesem Volk der Goten zuwenden . Komm , hilf mir aufstehen , ich kann nicht in den Kissen sterben . Dort hangen meine Waffen . Gib sie mir ! – Keine Widerrede – ! Ich will . Und ich kann . « Hildebrand mußte gehorchen . rüstig erhob sich mit seiner Hilfe der Kranke von dem Lager , schlug einen weiten Purpurmantel um die Schultern , gürtete sich mit dem Schwert , setzte den niedern Helm mit der Zackenkrone auf das Haupt und stützte sich auf den Schaft der schweren Lanze , den Rücken gegen die breite dorische Mittelsäule des Gemaches gelehnt . » So , jetzt rufe meine Tochter . Und Cassiodor . Und wer sonst da draußen . « Siebentes Kapitel . So stand er ruhig , während der Alte die Vorhänge an der Tür zu beiden Seiten zurückschlug , so daß Schlafzimmer und Vorhalle nunmehr Einen ungeschiedenen Raum bildeten . Alle draußen Versammelten – es hatten sich inzwischen noch mehrere Römer und Goten eingefunden – näherten sich mit Staunen und ehrfürchtigem Schweigen dem König . » Meine Tochter , « sprach dieser , » sind die Briefe aufgesetzt , die meinen Tod und meines Enkels Thronfolge nach Byzanz berichten sollen ? « » Hier sind sie , « sprach Amalaswintha . Der König durchflog die Papyrusrollen . » An Kaiser Justinus . Ein zweiter : an seinen Neffen Justinianus . Freilich , der wird bald das Diadem tragen und ist schon jetzt der Herr seines Herrn ! Cassiodor hat sie verfaßt – ich sehe es an den schönen Gleichnissen . Aber halt « – und die hohe klare Stirn verdüsterte sich » Eurem kaiserlichen Schutze meine Jugend empfehlend . « » Schutze ? Das ist des Guten zu viel .