Vorwort Indem ich dieses nicht in einem lustigen Sommer entstandene Buch in die Hände der Leser gebe und es ihrem guten Herzen anbefehle , drängt es mich , eine gute Gewohnheit scheuerer Zeiten und schämigerer Autoren wachzurufen und mich strengstens gegen alle Mißdeutungen zu verwahren , Ich bitte ganz gehorsamst , weder den Ort Abu Telfan noch das Tumurkieland auf der Karte von Afrika zu suchen : und was das Mondgebirge anbetrifft , so weiß ein jeder ebensogut als ich , daß die Entdecker durchaus noch nicht einig sind , ob sie dasselbe wirklich entdeckt haben . Einige wollen an der Stelle , wo ältere Geographen es notierten , einen großen Sumpf , andere eine ausgedehnte Salzwüste und wieder andere nur einen unbedeutenden Hügelzug gefunden haben , welches alles keineswegs hindert , daß ich für meinen Teil unbedingt an es glaube . – Stuttgart , im November 1867 Der Verfasser Wenn ihr wüßtet , was ich weiß , sprach Mahomet , so würdet ihr viel weinen und wenig lachen . Erstes Kapitel An einem zehnten Mai zu Anfange des siebenten Jahrzehnts dieses , wie wir alle wissen , so hochbegnadeten , erleuchteten liebenswürdigen neunzehnten Jahrhunderts setzte der von Alexandria kommende Lloyddampfer ein Individuum auf dem Molo von Triest ab , welches sich durch manche Sonderlichkeit im bunten Gewimmel der übrigen Passagiere auszeichnete und selbst den an mancherlei Erscheinungen der Menschen und Völker gewöhnten Tergestinern als etwas Neues sich darstellte . Ein verwilderteres und , trotz der halbeuropäischen Kleidung , aschanti- , kaffern- oder mandingohafteres Subjekt hatte seit langer Zeit nicht vor dem Zollhause auf seinem Koffer gesessen und verblüfft umhergestarrt . Der Mann hätte sich in das Fremdenbuch oder vielmehr auf den Fremdenzettel des Schwarzen Adlers dreist als » particolarissimo « einzeichnen dürfen : er tat es aber nicht , sondern schrieb einfach seinen Namen : Leonhard Hagebucher , hinein und fügte , den Polizeivorschriften gemäß , hinzu : » Kriegsgefangener – kommt aus Abu Telfan im Land Tumurkie , Königreich Dar-Fur – geht nach Leipzig im Königreich Sachsen . « Natürlich ließ sich eine Viertelstunde später ein kaiserlich-königlicher Beamter bei ihm melden , um sich verwundert einige weitere Auskunft zu erbitten , verließ ihn jedoch wieder eine Viertelstunde darauf noch etwas verwunderter mit der altklassischen Bemerkung : » Aus Afrika doch immer etwas Neues . « Um seine Rechnung im Schwarzen Adler bezahlen und seine weiteren Reisekosten decken zu können , verkaufte der Fremdling einen Elefantenzahn an einen Händler in der Poststraße und fuhr auf der Eisenbahn , ohne unterwegs die Adelsberger Grotten zu besichtigen , nach Wien , wo er wohl Gelegenheit gefunden hätte , einigen mitgebrachten Goldstaub gegen ein gutes Agio in Papier zu verwandeln , es jedoch in Anbetracht , daß der Triestiner Elfenbeinhändler ebenfalls bereits in Papier gezahlt hatte , unterließ . Natürlich erschien auch in Wien , außer dem bekannten , für sein Kloster sammelnden Barmherzigen Bruder , ein Polizeibeamter auf seiner Stube , ersuchte ihn ebenfalls sehr höflich , ihm einen genauern Einblick in seine Personalakten zu gestatten , und verließ ihn gleichfalls verwundert und befriedigt . Sobald sich die Tür hinter dem Beamten geschlossen hatte , legte sich der Reisende wieder ins Bett , und da er in demselben bis zu seiner Abfahrt nach Prag verblieb , so konnte er selbstverständlich weder den Sankt-Stephans-Turm besteigen noch den Prater besuchen . In Prag kam er am Abend an , und da er am andern Morgen in der Frühe nach Dresden abreiste , so kam der kaiserlich- königliche Beamte tschechischer Nationalität , welcher es gleich den Kollegen zu Triest und Wien für seine Pflicht hielt , sich spezieller nach ihm zu erkundigen , zu spät und gab nur dem Wirt zu den Drei Karpfen den Rat , künftig in solchen absonderlichen und verdächtigen Fällen den Gast den ersten Zug versäumen zu machen . Die Prager Glocken vernahm der Kriegsgefangene aus dem Lande Tumurkie noch vom Eilzuge aus , um dann sogleich wieder sänftiglich zu entschlummern . Er schlief , bis ihn die königlich-sächsischen Mautbeamten zu Bodenbach weckten , und durch den Kampf um seine Habseligkeiten ermuntert , blieb er wach bis Dresden , wo er im Schatten der Drei Palmzweige auf dem Palaisplatz in der Neustadt von neuem einschlief . Es ist nicht zu verlangen , daß die Polizei sich überall persönlich bemühe ; in Dresden kam sie nicht zu dem Reisenden aufs Zimmer , sondern zitierte , weniger verbindlich als in den kaiserlich königlichen Staaten , ihn zu sich aufs Büro , was dem Leser der Abwechslung wegen nicht unlieb sein kann , dagegen aber dem geheimnisvollen Fremdling ganz und gar nicht gelegen war . Da er mußte , so ging er , wie jeder gute Deutsche es tut , kam schlaftrunken zurück und fuhr , ohne sich nach der Sixtinischen Madonna und der Brühlschen Terrasse umzusehen , nach Leipzig ab und ruhte sanft auf dem süßen Bewußtsein , auch die Dresdener Sicherheitsbehörde über seine Persönlichkeit nicht in Unruhe und Zweifel gelassen zu haben . Zwischen Dresden und Leipzig liegt Riesa an der Bahn . Da trinkt man ein sehr gutes Eierbier . In der Nähe von Leipzig soll der Fürst Schwarzenberg den Kaiser Napoleon geschlagen haben , was jedenfalls eine große Merkwürdigkeit wäre , wenn es sich beweisen ließe . Wir wollen aber die Sache in der Dunkelheit beruhen lassen , in welcher sie uns von unsern Vätern überliefert wurde – die alten Herren wußten nicht genauer als wir , wer eigentlich bei Leipzig den Kaiser Napoleon geschlagen habe . Der Kriegsgefangene verschlief Paunsdorf , wo die Sachsen zur guten Sache übertraten , und befand sich in Leipzig , wo die Polizei , aufgeklärt durch die Verlagsartikel einiger hundert Buchhändlerfirmen und tolerant gemacht durch das dreimal im Jahre wiederkehrende Meß-Völkergewimmel , ihn zum erstenmal seit seiner Ankunft auf dem Territorium des Deutschen Bundes ungeschoren ließ und über die Unzukömmlichkeit seiner Angaben im Fremdenbuch hinwegsah . Wir sind ihr sehr dankbar dafür , denn sie hat uns dadurch einen Ruhepunkt verschafft , von welchem aus wir die fernern Erlebnisse und Abenteuer unseres interessanten Fremdlings durch einige wenige erklärende Worte einleiten können . Auf unserer wenn auch nicht langen , so doch unzweifelhaft ungemein verdienstvollen literarischen Laufbahn haben wir uns arg und viel geplagt , verkannte Charaktere , allerlei Spiegel der Tugend und der guten Sitte , abschreckende Beispiele des Trotzes , des Eigensinns und der Unart , lehrreiche , liebliche Exempel aus der Geschichte und aus der Naturgeschichte , sei es in alten oder neuen Dokumenten , sei es in den Gassen oder den Gemächern , auf dem Hausboden oder im Keller , in der Kirche oder in der Kneipe , im Walde oder im Felde , aufzustöbern und sie nach bestem Vermögen abgestäubt , gewaschen und gekämmt in das rechte Licht zu stellen . Da ist uns seit dem Jahre achtzehnhundertvierundfünfzig mancher Schweißtropfen entfallen und manche Dummheit entfahren . Hier waren wir zu breit , dort zu flach , hier zu flüchtig , dort zu reflexiv , hier zu hoch , dort zu tief . Hier waren wir affektiert , dort manieriert , hier zu sentimental , dort zu trivial , hier zu transzendental , dort zu real , und unser einziger Trost bleibt nur , daß wir überall und immer zu bescheiden gewesen sind . Seien wir letzteres heute einmal nicht , sondern rühmen wir uns nach unserm Verdienste ! Wieder liegt ein recht maulwurfsartiges Suchen und Wühlen hinter uns , und vor uns liegen die Materialien der sehr wahrhaften Begebenheiten , deren Zusammenstellung wir jetzt unternehmen . Mit dem unbedingtesten Vertrauen auf die Teilnahme und Anerkennung der Leser werfen wir unsern Hügel auf : » Allerseits schönsten guten Morgen ! « Ah , welch ein Vergnügen , wieder einmal die Nase aus der Tiefe emporzurecken ! In welcher Pracht und Herrlichkeit steht der Garten der deutschen Literatur ! Wie blitzt der Tau aus den Augen des gefühlvollen Publikums an jeder schönen Blüte , wie jubilieren die lyrischen Lerchen in der blauen Luft , wie jauchzt der Kuckuck , wie freut sich der humoristische Frosch aus dem Grunde seines gesprenkelten Bauches ! Wahrlich , es ist eine Lust , sich noch lebendig zu fühlen in seiner Haut und in seiner Nation ; aber wie haben wir auch gesucht und gewühlt ! Man gebe uns das uns von Rechts wegen gebührende Lob und gebe es uns um so willfähriger , als wir doch wieder eingestehen , daß alles menschliche Wissen und Wollen nur Stückwerk sei : unsere über alle Begriffe reichhaltigen Materialien sind lange nicht so vollständig , wie wir es im Interesse der Nachwelt wünschen möchten . Verschiedene alte Tanten und Basen haben in keiner Weise bewogen werden können , ihre Schränke , Kommoden und Strickbeutel zu öffnen ; die wichtigsten Papiere sind auf eine schmähliche Art zugrunde gegangen , und mehr als eine löbliche Verwaltungs- oder Justizbehörde mehr als eines hochlöblichen deutschen Bundesstaates hat es schroff von der Hand gewiesen , uns einen Blick in ihre Archive zu gestatten . Wir waren auf Vermutungen angewiesen , wo wir Gewißheit wünschten , und unsere Phantasie fand häufig einen viel weiteren Spielraum als unser Verstand oder das , was wir unsere Vernunft zu nennen belieben . Wir nehmen unser Lob scheffelweise und löffelweise ; – wir haben das möglichste geleistet in bezug auf Wahrheit , Ernst und Unparteilichkeit ; wir haben uns weder durch den Geschmack des Tages noch durch die glückliche Leichtigkeit unseres literarischen Handwerks zu Ausschreitungen verführen lassen . In jeder Beziehung haben wir uns bestrebt , dem großen Vorwurf nachzuwachsen , und weder häusliches noch öffentliches Ungemach haben uns je länger als eine Erdumdrehung in unserm Vorwärtsschreiten aufgehalten ; ja wir haben sogar jede schlaflose Nacht für einen Segen erachtet ; denn sie beförderte uns gewöhnlich wenigstens einen Schritt weiter auf unserm hohen Pfade . Niemals aber wurde auch ein schwierigeres , verantwortungsvolleres Werk von uns unternommen als diese Geschichte der Heimkehr Leonhard Hagebuchers . Und sie war um so schwieriger , je leichter sie im Anfange erschien ! Es war recht angenehm , einen Helden frisch , fromm und frei aus dem allerunbekanntesten , allerinnersten Afrika in Triest landen zu lassen . Man hätte glorreich lügen können , ohne die mindeste Gefahr zu laufen , dessen überführt zu werden , und wir hatten uns entschlossen , es zu tun . Was alles hätten wir mit unserer bekannten Gefälligkeit über den Gorilla , die Tsetsefliege , den Tsadsee , den Sambesi und dergleichen Kuriositäten sagen können ! Überall hatten wir es mit Dingen zu tun , von welchen jedermann etwas gehört hat , ohne jedoch etwas Genaueres darüber zu wissen . Wie gesagt , nachdem unser literarisches Schicksal uns die Gunst hatte zuteil werden lassen , die Bekanntschaft unseres Freundes Hagebucher zu machen , waren wir anfangs fest davon überzeugt , daß eine solche Art , ihn nach seiner langen Abwesenheit der erstaunten europäischen Welt von neuem bekannt zu machen , die einzig richtige sei , und unser entzücktes Herz schlug und flatterte wie ein betrunkener Schmetterling über den tausend Blumen des Mondgebirges – Dschebel al Komri . Wie jedoch auf jeden Rausch binnen kurzem die Ernüchterung folgt , so trat dieselbe auch sehr bald nach dieser ersten gehobensüßen schriftstellerischen Betäubung ein . Je bekannter wir mit dem vielgewanderten trefflichen Manne wurden , desto mehr griff in unserer Seele die Gewißheit Platz , daß er seine mannigfaltigsten , buntesten , gefahrvollsten , geheimnisvollsten Abenteuer nicht in Ägypten , Nubien , Abyssinien und im Königreich Dar-Fur erlebte , sondern da , wo aus alter Gewohnheit der mythische Name Deutschland auf der Landkarte geschrieben steht , da , wo das biederste Volk der Erde seit uralter Zeit Treu und Redlichkeit übt und , seit es aus dem Urschlamm entstand , seinen Regierungen nicht ein einziges Mal einen gerechten Grund zur Klage gegeben hat . So wurde eine große Aufgabe durch die andere verdrängt ; es handelte sich nicht mehr um Äthiopien , sondern um Germanien , nicht mehr um Nymphaea lotus , sondern um Herba nicotiana , nicht mehr um unsträfliche Lieblinge der Götter , sondern um arg und oft gestrafte Sündenböcke der Menschen . Der Schmetterling vom Mondgebirge wurde wieder zu einem gewöhnlichen , weißgelben Buttervogel , der sein kurzes Sommerleben über einer angenehmen deutschen Wiese austummelt , ruhig seine Eier legt und der Vater einer entsetzlichen Menge sehr grüner und dickleibiger Raupen wird , was man dann in bestimmten Fällen Romane schreiben nennt . Wir befinden uns aber ausnahmsweise diesmal nicht in einem solchen Falle ; wir schreiben etwas ganz anderes als einen Roman und sind fest überzeugt , daß niemals ein Biograph Lebendiger oder Toter mit tieferer Würdigung eines großen Gegenstandes die Feder ergriffen hat , durch welche Bemerkung wir noch dazu abermals unsere Berechtigung manifestieren , uns im Gasthofe zum Palmbaum in Leipzig nach dem Fremdling , der hoffentlich binnen kurzem recht vielen anständigen Leuten ein sehr guter Bekannter sein wird , umzusehen . Aller Anfang ist schwer , sagt das Sprichwort und trifft hier durchaus nicht zu . Es war nichts leichter , als den Kriegsgefangenen des Sultans von Dar-Fur vom Molo zu Triest bis in den Palmbaum zu Leipzig zu verfolgen und ihn daselbst samt seiner afrikanischen Kiste im Zimmer Nummer einundachtzig zu deponieren . Wo blieben aber Mann und Kiste nachher ? Gleich den Juden in der Wüste , welchen Jehova die ihrem Zuge voranwandelnde Feuersäule im nicht unbegründeten Ärger vor der Nase ausbläst , gleich dem liebenden Gemüt , welches beim Mondaufgang in der Jasminlaube einen Kuß erwartete und eine Ohrfeige erhält , gleich der deutschen Nation in allen den Augenblicken , wo ihr ein Licht aufgeht , stehen wir sehr verdutzt und im dicksten Nebel . Leipzig ist eine schöne Stadt und , wenn wir dem Volksliede glauben wollen , sogar eine Seestadt . In seiner nächsten Umgebung pflegen , wie wir bereits leise berührt haben , seit längerer Zeit die Völkerschlachten stattzufinden , und daß seine Messen und sein Buchhandel zu den europäischen Berühmtheiten gehören , haben wir auch schon angegeben . Leipzig ist die Stadt der Denkmäler , und es ist ein großer Vorzug , daselbst zu einem Monument berechtigt zu sein – Hagebucher aber war es nicht . Hagebucher kam nicht als Anführer von hunderttausend Mann Mongolen , Schweden oder Franzosen ; er kam nicht als Verleger oder Sortimenter , er kam nicht als Händler in Leder oder Fuchspelzen , es gelüstete ihn nicht nach den von Dichtern und Feinschmeckern gleich geachteten Lerchen – was wollte er in Leipzig ? Er hatte weder mit der » Allgemeinen Modenzeitung « noch mit den » Blättern für literarische Unterhaltung « irgend etwas zu schaffen – was wollte er in Leipzig ? Ja , was wollte er in Leipzig ? Unsäglich haben wir uns abgemüht , es herauszubekommen , und als alle unsere Nachforschungen nur zu der einen Vermutung , er wolle ausschlafen , leiteten , erhoben wir uns jauchzend : was für einen frischen , muntern , helläugigen Helden konnten wir unsern Lesern vorführen ! Leider aber verlor sich schon im nächsten Augenblick jegliche Spur von ebendiesem Helden ; wir standen , wie gesagt , verwirrt und verdutzt und tappten im dicksten Nebel umher . Wir verfolgten eine dunkle Spur über den Augustusplatz , durch die Grimmaische Straße , aber sie führte hinab in die Eingeweide der Erde , und wenn auch nicht zu den » Müttern « , so doch in Auerbachs Keller , wo sie sich verlor . Eine zweite , noch vagere Spur brachte uns durch das Frankfurter Tor an der großen Funkenburg vorüber nach dem Kuhturme und ließ uns daselbst in einem Kampf auf Leben und Tod mit dem furchtbaren Getränke » Gose « auf das schmählichste im Stich . Auch in einem Kuchengarten zu Reudnitz opferten wir uns für das allgemeine literarische Beste ohne Resultat , und ein unbestimmtes Gerücht , welches den abenteuerlichen Mann aus Afrika , den Kriegsgefangenen des Herrschers von Dar-Fur , im Knoblauchsduft und Mückentanz des Rosentals , auf einer Bank in der Nähe von Gohlis gähnend sein Reisetagebuch vervollständigen läßt , wird ewig ein Gerücht bleiben ; denn niemals wurde uns die Existenz dieses Reisetagebuches zu einer Gewißheit . Zweites Kapitel Und die Erde drehte wieder einmal ihre Ostseite der Sonne zu ; die letztere ging dem , was die Menschen die Alte Welt nennen , auf , und wurde es denn auf diesem nicht mehr ganz ungewöhnlichen Wege gottlob auch in Europa von neuem Tag . Mit der östlichen Halbkugel aber drehte sich das Städtchen Nippenburg , welches jedenfalls recht anerkennenswert war ; denn wie jedes deutsche Gemeinwesen hielt es etwas auf seine Selbständigkeit und wußte sich sonst mit Hartnäckigkeit auf seiner Stelle , im alten Recht und Unrecht , zu behaupten . Der Nonnenberg sank nach dem Orient hinüber , die Sonne blickte von seinem abgeplatteten Gipfel in den germanischen Frühling , und jeder Vogel , welcher schon stundenlang vom Lichte gesungen hatte , konnte sich nunmehr beruhigter an sein munteres Tagewerk begeben . Daß auch die Menschheit sich sofort an ihr Tagewerk begab , braucht in Ansehung der unendlichen Lust an der Tätigkeit , welche in ihr steckt , nicht erst gesagt zu werden ; aber wichtig ist es , zu wissen , daß auch das Dorf Bumsdorf , zweiundeinenhalben Büchsenschuß westlich von der Stadt Nippenburg gelegen , sich von der allgemeinen Bewegung nicht ausschloß . Es war ebenfalls ein Vogelnest im Grün , dieses Dorf Bumsdorf , aber weniger voll zwitschernder Melodien als voll Gebrumm und Gegrunz , Geschnarr und Geknarr , Gequiek und Gequak , Gefluch und Gepfeif , Gezeter und Gejodel , und die Sonne beschien heiter die Kirche , das Pfarrhaus , den Gutshof , das Wirtshaus und den Mühlenteich , die Wohnungen der Vollspänner , Halbspänner , Brinksitzer , Kotsassen , Häuslinge und Anbauer und das Haus des pensionierten Steuerinspektors Hagebucher , eines Mannes , der seiner wohlverdienten Ruhe in ländlich sittlicher Abgeschiedenheit , jedoch nicht gar zu entfernt von den Annehmlichkeiten des städtischen Lebens , genoß . Der Storch klapperte auf dem Dache des Steuerinspektors , die Schwalbe bewohnte ungestört ihr Nest an seinen Mauern : den frommen Tauben war alle Gelegenheit zu einer wünschenswerten Vermehrung geboten : über der Pforte stand der biblische Spruch : Gesegnet sei dein Eingang und Ausgang – und hinter der Tür stand der dicke Knüppel für unverschämte Bettelleute , Handwerksgesellen und fremde Hunde ; denn das Haus des Steuerinspektors war dicht an der Landstraße gelegen , und seine Küchenfenster waren nur durch einen Graben von derselben getrennt . Die Front des Hauses bildete mit der Nippenburger Landstraße einen rechten Winkel , und auf drei Seiten war es von einem nicht allzu großen , aber wohlgepflegten Garten mit Gemüsefeldern , Blumenbeeten , Grasplätzen , Obstbäumen und drei Lauben umgeben . Lebendige Hecken und stellenweise ein hölzernes Gitter zogen die Grenzen gegen die übrige Welt . Das Licht aus dem Fenster des Wohnzimmers im untern Stockwerk der Vorderseite und das Herdfeuer aus den Küchenfenstern der rechten Nebenseite warfen im Sommer wie im Winter einen gleich behaglichen Schein in die Abenddämmerung oder die schwarze Nacht . Der Dampf des Schornsteins war so appetitlich wie irgendein Opferrauch , der je zu der unsterblichen Nase Jehovas , Jupiters oder des Gottes der spanischen Inquisition emporstieg , von welchen letztern kirchlich-kulinarischen Darbietungen sich , beiläufig gesagt , die schöne Redensart herschreibt , daß jemand den Braten rieche . Tausende und aber Tausende von müden Wanderern , die auf der Landstraße an dem Hause des Steuerinspektors vorübergezogen waren , hatten den Mann beneidet , während der Winterabend düsterer herabsank und die Schneewolken tiefer sich zur Erde senkten ; wir aber beneiden ihn an diesem Frühlingsmorgen , welcher auf die Heimkehr seines Sohnes Leonhard folgte . Hund und Katze sonnten sich auf der Steinbank vor dem Hause des Steuerinspektors , und der Steuerinspektor selbst rauchte nachdenklich seine Morgenpfeife auf dem mit feinem Sand bestreuten Platze zwischen seiner Tür und seinen Rosenstöcken . Die Steuerinspektorin hielt die Hand über die Augen , um nicht von der Sonne geblendet zu werden , und sah nach den Fenstern des obern Stockwerks hinauf . Fräulein Lina Hagebucher aber saß im Innern des Hauses auf der Treppe , hielt die Hände im Schoße gefaltet , still wie ein Mäuschen , und bewegte in ihrem Herzchen alle Wunder , die sich seit gestern abend an ihr und dem Hause ihrer Eltern erfüllt hatten . Es ist keine Kleinigkeit , wenn ein Bruder , den man im Dienste des Vizekönigs von Ägypten gegen die Nubier gefallen glaubt , von dem man aus frühesten Kindheitsjahren her nur noch eine sehr dunkle Erinnerung hat und der allmählich in der Phantasie zu einem sehr romantischen , märchenhaften Wesen geworden ist , plötzlich auf der Landstraße von Nippenburg heranwandelt und , schlimmer von Aussehen als ein Zigeuner , über die Hecke in die Geißblattlaube guckt , nach dem Papa und der Mama fragt und dann entsetzlich nervös wird , unter lautem Schluchzen sein Inkognito fallenläßt und Lina beim Halse nimmt und sie abküßt , wie es ihr noch nie passierte . So war es geschehen , und Nikola von Einstein , das Ehrenfräulein aus der Residenz , welches sich auf dem Gutshofe zum Besuche oder , wie es sagte , » auf Urlaub « befand , und Sophie und Minchen , die beiden Bumsdorfer Ritterfräulein , konnten es bezeugen , denn sie waren alle drei bei dem Vorgange zugegen und schrien sämtlich mit um Hülfe . Der Papa und die Mama waren im höchsten Schrecken aus dem Hause hervorgestürzt , und Fräulein Nikola schrieb an demselben Abend noch die ganze Geschichte ausführlich , ihre eigenen Gefühle und die aller andern recht anschaulich schildernd , nach der Residenz ; – sie langweilte sich ein klein wenig bei ihrer Milch- und Molkenkur zu Bumsdorf und hatte jetzt zum erstenmal daselbst etwas erlebt , was des Berichtens wert war . Du kleines , flatterndes Herz auf der Treppe , nicht wahr , das war eine schlaflose Nacht ? Hinter der dünnen Wand schluchzte die Mutter , und der Vater lief auf und ab bis zum ersten Hahnenschrei , und du , du weintest und lachtest durcheinander und schwebtest in dem Mirakel von Mondenaufgang bis Mondenuntergang , um dann einen kurzen , unruhigen , ängstlichen Traum davon zu träumen . Nun war es Morgen , die Sonne war aufgegangen , man brauchte sich nicht mehr an der Nase zu zupfen , um sich zu vergewissern , daß man wach sei und seine fünf Sinne sämtlich beieinander habe : die Geschichte , welche Nikola nach der Residenz schrieb , war zweifellos wahr ; die wilden Mohren hatten den Bruder Leonhard nicht erschlagen – er war heimgekehrt und schlief in der blauen Stube . Die Welt und die Zeit hatten mit einem Schlage sich geändert : nicht das Kleinste erschien mehr so , wie es gestern gewesen war ; jeder Ton , jeder Schimmer und Schein hatten eine andere Bedeutung , und doch , wenn Baum und Busch , der Garten und das Feld über Nacht den grünen Rock aus- und einen blauen angezogen hätten , so wäre das durchaus von keiner Bedeutung und ganz und gar nicht merkwürdig gewesen . » Es ist in der Tat eine merkwürdige Geschichte « , sprach aber der Vater Hagebucher , zum dreizehntenmal seine Pfeife in Brand setzend . » Man gibt sich alle Mühe , das Faktum mit Überlegung und Fassung zu behandeln : allein es will nicht gelingen . Mutter , nimm dich zusammen und halte den Kopf oben : sei vernünftig und wirf einem das Rechenexempel nicht noch mehr durcheinander – heule nicht , Alte , dazu ist doch wahrhaftig kein Grund – der Junge ist wieder da , das ist jedenfalls ein Trost , den wir fürs erste sicher ins Haben schreiben können , das Weitere muß sich ja wohl allmählich finden . « » Mein Kind , mein Kind , mein armes Kind ! « schluchzte die Mutter . » Wie habe ich mich um ihn gehärmt , und wie sieht er aus ! Mein Kind ein Sklave – zwischen einem Ochsen und einem Kamel an einen Pflug gespannt ! Und zehn Jahre lang nichts zu essen als saure Elefantenmilch und spanischen Pfeffer . O mein verlorenes Kind , mein Leonhard ! Mein Kind , ein schwarzer Sklav , ich fasse es nicht , ich fasse es nicht ! Und daß wir ihn wiederhaben , daß er oben in seinem Bett liegt , daß wir hier mit dem Kaffee auf ihn warten , das kann ich , Gott mag es mir verzeihen , noch weniger fassen . « » Konfus müßte es den Besten machen : na , nur Ruhe , Ruhe ; was hilft das Gezappel , es kommt alles zu einem Fazit « , brummte der Steuerinspektor . » Addieren und subtrahieren können ist zuletzt doch die Hauptsache , und die Kunst hat noch keinen Menschen im Stich gelassen , man muß sie nur richtig anzuwenden wissen . Guten Morgen , Herr von Bumsdorf – jawohl , es ist so – wir haben ihn wieder – er ist heimgekommen . « » Gratuliere , gratuliere von Herzen ! « rief der Ritter , sich halben Leibes über den Zaun lehnend . » Aber sagen Sie , Inspektor , trägt er denn wirklich einen Ring in der Nase ? « » Gottlob , das doch nicht ! « rief die Mutter entrüstet . » Schlimm genug ist 's mit dem armen Kinde , aber einen solchen Jammer hat uns doch der Herr gnädig erspart . « » Das Frauenzimmer aus der Residenz lügt wie gedruckt und verdirbt mir meine Mädchen dazu in Grund und Boden « , sprach der Herr vom Hofe . » Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung , Frau Inspektorin – also ist die Geschichte von der grünen und gelben Tatauierung natürlich – « » Auch erlogen ! « schloß die Mama . » Schicken Sie mir nur Fräulein Nikola , Herr von Bumsdorf ; ich werde ihr meine Meinung sagen . Das arme Kind , als ob es nicht schon genug unter den Mohren und Heiden erduldet hätte . « » Die ganze Gegend auf sechs Meilen in der Runde schlägt einen Purzelbaum über diese Geschichte ! « rief jetzt der Ritter von Bumsdorf im hellen Enthusiasmus . » So etwas ist ja noch gar nicht dagewesen ; kein Mensch hat es für möglich gehalten , das geht über alle Zeitungsblätter und Romangeschichten von Eduard und Kunigunde , über den › Gehörnten Siegfried ‹ , die › Gartenlaube ‹ und den ganzen Alexander Dumas . Hagebucher , alter Freund , Sie sind ein glücklicher Patron , und wenn es Ihnen ansteht , so vertausche ich auf der Stelle meinen Leutnant gegen Ihren Afrikaner . « » Wir haben beide in dieser Hinsicht das Fazit noch nicht gezogen , Herr von Bumsdorf « , sagte der Steuerinspektor . » Daß der Junge aber wieder da ist , ist freilich ein gutes Ding , schon der Alten wegen . Wir haben böse Nächte durchlebt diese Jahre durch ; aber wer kann sagen , was wir anjetzo zurückempfangen haben ? Nun , wir wollen den angenehmen Morgen dankbarlichst genießen ; es ist gewißlich eine große Freude , wenn auch eine große Verwirrung , eine merkwürdige Konfusion . Da gehen alle vier Spezies durcheinander , daß es einem vor den Augen schwimmt ; wenn das Exempel Kopf und Fuß haben wird , so wollen wir weiter davon sprechen . « » Es ist wahr « , sprach der Ritter , » man weiß niemals , wie Petz nach Hause kommt . Mein Leutnant hat mir auch häufig genug das Gaudium am Wiedersehen raffiniert verdorben . Na , man wird ja schon sehen , was man erleben soll , Inspektor : – jedenfalls wünsche ich immer wieder aus vollem Herzen Glück , und ich denke , es weiß ein jeder , wie ich es meine . « » Ja , das wissen wir « , sagte die Mutter Leonhards , und dann ging der Ritter von Bumsdorf , seine Roggenfelder zu besehen , und überließ die Familie Hagebucher ihrer Aufregung und zitternden Unruhe . Der Steuerinspektor gab es auf , seine Pfeife im Brande zu erhalten , er setzte sie fort und trug seine » Irritation « zu seinen Spargelbeeten , die Mutter trug ihr klopfendes Herz in das Haus , und Lina machte ihr neben sich Platz auf der Treppenstufe , und beide waren überzeugt , nie in ihrem Leben auf solche Weise gehorcht und so viel , so viel durcheinandergebracht zu haben . Wir aber , indem wir den seltsamen Wanderer , dessen Spur wir in Leipzig verloren und den wir in Bumsdorf wiedergefunden haben , um dieses Lauschen und Gedankenspiel auf der Treppe sehr beneiden , wenden uns zu ihm selber . Er lag selbstverständlich noch im Bette , und man braucht eben nicht gleichfalls aus der Gefangenschaft im Tumurkielande zurückgekehrt zu sein , um sich mit Genauigkeit in seine Gefühle und Stimmungen versetzen zu können . Epimenides , die sieben Brüder von Ephesus , welche unter der Regierung des Kaisers Decius in die Höhle gingen und unter der Regierung des Kaisers Theodosius , einhundertfünfundfünfzig Jahre später , wieder herauskamen , und zuletzt Meister Rip van Winkle haben uns längst befähigt , ihm in allen seinen Empfindungen gerecht zu werden . Er lag auf dem Rücken und hatte beide Hände unter den Hinterkopf geschoben ; er schnarchte , und Mutter und Schwester hörten ihn schnarchen . Jetzt zuckte er , wie von einem elektrischen Funken getroffen , und fuhr jählings empor , meinungslos , halb erschreckt um sich her starrend – mit einem Seufzer sank er zurück und sah zweifelnd , ohne sich zu bewegen , auf den von der Sonne durchstrahlten Fenstervorhang . Eine Ahnung ging ihm auf , wo er sich befinde , und allmählich , ganz allmählich wurde diese Ahnung zur sichersten Gewißheit , und die Furcht , den Dämonen der Nacht wieder einmal zum Spielzeug gedient zu haben , verschwand nach und nach ; die Lippen zitterten , und es ging etwas über das verwilderte Gesicht , über die benarbte Stirn , was nichts mehr mit dem Königreich Dar-Fur zu tun hatte . Leonhard Hagebucher hatte sich aufgerichtet und horchte und rief dann : » Mein Gott , da sind ja wieder einmal die Erdflöhe dem Alten über das junge Gemüse geraten ! Mein Gott , mein Gott ! « Und dann sank er wieder zurück und legte beide Hände auf das geschwärzte Gesicht , und dann – dann hat er geweint , trotzdem daß er ein starker Mann und nahe an sechs Fuß hoch war und mehr erlebt hatte als das ganze Dorf Bumsdorf und die Stadt Nippenburg dazu . Gestern waren es Abu Telfan , die schwarzen Freunde mit der Peitsche aus der Haut des Rhinozeros , Moskitos , Riesenschlangen , Kopfabhacken , Bauchaufschneiden , Sumpffieber , Affen- und Gallaneger-Braten . Heute hieß es Bumsdorf , Elternhaus , deutsches Kaffeebrennen , deutscher Westwind – Spatzen Schlafrock und Pantoffeln , das war der Unterschied ! Draußen auf der Treppe flüsterte Lina : » Horch , Mama , er regt sich , er ist erwacht ! « Und beide dumme Dinger erhoben sich schwindelnd und kratzten an der Kammertüre und riefen zwischen Lachen und Weinen : » Guten Morgen , Leonhard ! « Und Leonhard rief etwas ganz Ähnliches zurück , hinzufügend , daß er in fünf Minuten bei ihnen sein werde . Darauf war es , als sei in dieser verflossenen Nacht ein neues Volkslied in einem der Schwalbennester unter dem Dachrande geboren worden und nehme jetzt seinen Flug in die Welt hinaus – es war aber nur Fräulein Lina Hagebucher , welche singend die Treppe hinunter- und hinaus in den Garten sprang und ihren Vater an den Schößen seines Schlafrocks aus seinen Erbsenfeldern hervorzog . » Er wird sogleich kommen , er wird sogleich hier sein ! « » Schön ! « sprach der Alte , die Brille zurechtrückend . » Es soll mich wundern , wie er bei Tageslicht aussieht ; gestern in der Abenddämmerung und beim Lampenschein – nun , wir wollen sehen . « » Das wollen wir , Papa ! « rief Lina und richtete sich mit glänzenden Augen empor . » Erwacht , erwacht , erwacht ! « rief Leonhard , seine Mutter unter der Haustür in die Arme schließend und sie küssend , grade unter dem alten wackern Worte : Gesegnet sei dein Eingang und dein Ausgang . Drittes Kapitel Meilenweit ins deutsche Land hinein stellte sich die Umgebung von Bumsdorf auf die Zehen , um gleich dem Freiherrn von Bumsdorf über die Hecken in den Garten des Steuerinspektors Hagebucher zu gucken . Natürlich wurde der kuriose Fall auf die verschiedenste Weise angesehen ; denn je nach Alter , Geschlecht und Stand ist der Gesichtspunkt des Menschen ein anderer , und man schlägt nicht auf eine und dieselbe Art die Hände über dem Kopfe zusammen . Zu den seltsamsten Münzen wurde das Ding ausgeprägt und in Umlauf gesetzt . In den Gerichtsstuben und in den Wochenstuben , auf dem Markte und in den Gassen , in der Wirtsstube und in dem langen Trauerzuge , welcher dem soeben verstorbenen , uns jedoch sonst weiter nicht interessierenden Nippenburger das Geleit zum Kirchhof gab , wurde von dem Mann aus dem Tumurkielande gesprochen . Unsere Aufgabe aber ist es , vor allen Dingen Herrn Leonhard Hagebucher selbst zu hören und dann erst der Welt das Wort zu geben und den behaglichen oder unbehaglichen Eindruck ihrer Meinung auf den heimgekehrten Abenteurer in Betracht zu ziehen . Also sprach Leonhard Hagebucher zu seinen Eltern und seiner Schwester und » tat bedeutend den Mund auf « , wie es in » Hermann und Dorothea « geschrieben steht , wobei jedoch noch zu bemerken ist , daß die Erzählung nicht ununterbrochen fortlief , sondern , durch alles , was naturgemäß einen solchen Bericht verzögern und von der graden Straße abdrängen muß , aufgehalten , nach altem Recht des Zuhörers und des Erzählers selbst im hüpfenden Zickzack vorschritt und sich durch Tage und Wochen ringelnd hinschleppte . » Selten mag wohl einem Menschen eine so günstige Gelegenheit , über seine Sünden und Laster nachzudenken und sie zu bereuen , gegeben werden , wie sie mir , ganz und gar gegen meinen Willen , zuteil geworden ist , und da ihr mich wieder in eurer Mitte aufgenommen habt , ohne die alten Zerwürfnisse von neuem aufzufrischen , so will auch ich so wenig als möglich Worte über das verlieren , was ihr beiden Alten zur Genüge kennt und was das Schwesterlein gottlob nicht weiter kränkt . Ein relegierter Studiosus der Theologie konnte wahrlich kein Mann für den lieben Papa sein , und auch ich habe heute nichts mehr dazu zu sagen und werde jetzt gewiß keine Untersuchung mehr anstellen , ob jenem Schläger , welcher diese Schmarre hier über die Nase und jenen Strich durch alle Hoffnungen , Erwartungen , Voraussetzungen der Familie Hagebucher in betreff meiner leichtsinnigen Individualität zog , in irgendeiner anständigen Weise ausgewichen werden konnte . Ich weiß nicht , welche Fee von der Mama nicht zu meiner Taufe eingeladen wurde , aber das weiß ich , daß sie mich diesen Verstoß gegen die Höflichkeit und den allgemeinen Anstand schwer hat büßen lassen . Ich bin in einen Schlaf gefallen wie die Prinzeß Dornröschen , aber es war ein Schlaf voll sehr unangenehmer , ärgerlicher Träume , und durch einen Kuß wurde ich auch nicht geweckt . Es liegt ein Dasein , welches nicht zu beschreiben ist , zwischen der heutigen Stunde und dem Jahre achtzehnhundertfünfundvierzig . Es ist etwas gleich der Wirkung eines Schlages vor die Stirn ; oder noch besser – die Brigg scheiterte , und zerschunden und zerschlagen richte ich mich am Strande auf mit einem dumpfen Bewußtsein von der Brandung , einem Umhergreifen nach Masttrümmern und Planken , einem Ritte auf einer leeren Wassertonne und dergleichen halb unwillkürlichem Kampf mit der Gewalt und Macht des Ozeans . Ich habe eine unklare Erinnerung , daß ich meine Fähigkeiten in Hinsicht auf die mathematischen Wissenschaften und neuern Sprachen in den Zeitungen dem Publikum rühmte , daß ich den Versuch machte , als Lehrer einer Privaterziehungsanstalt mein Schicksal zu erfüllen , daß ich als Poet mich in Gelegenheitsgedichten und Wichseannoncen versuchte , jedoch weder durch das eine noch das andere den Lorbeer weder zu noch in der Suppe erhielt . Aus Italien habe ich mehrfach nach Bumsdorf geschrieben und Nachricht über meine Zustände gegeben . Ich war Kommissionär eines großen Hotels in Venedig , ich war Kammerdiener einer belgischen Eminenz in Rom , und in Neapel lebte ich nach der Gelegenheit des Ortes harmlos , behaglich , frei , ein Lazzarone und ein Gentleman , und habe es dem Fatum kaum Dank zu wissen , als es mich dieser paradiesischen Existenz entriß und mich Hals über Kopf in die verfängliche Weltfrage der Durchstechung der Landenge von Suez warf . Wenn ich , wie leider nicht geleugnet werden kann , ein ziemlich unreputierlicher , vagabondenhafter Gesell gewesen war , so gab mir nunmehr der Zufall Gelegenheit , meinen lieben Eltern und dem , was unsereiner hier in Deutschland sein Vaterland nennt , alle Ehre zu machen . Als Sekretär des Sekretärs des Monsieur Linant-Bey , Oberingenieurs Seiner Hoheit des Vizekönigs von Ägypten , welcher damals , das heißt im Jahre achtzehnhundertsiebenundvierzig , im Kontraktverhältnisse mit Seiner Majestät dem König der Franzosen untersuchen ließ , ob in der Tat das Rote Meer dreißig Fuß höher liege als das Mittelländische , hatte ich das Vergnügen , das Interesse meiner vierzig Millionen Landsleute in dieser Frage würdig vertreten zu können . Die Engländer und Franzosen schickten Fregatten , Diplomaten und Rudel von Gelehrten , der deutsche Genius sandte mich , was jedenfalls in alle Ewigkeit ein glänzender Ruhm für Nippenburg und Bumsdorf bleiben wird . › Schwindel ! ‹ grunzte John Bull , welchem wenig oder nichts an dem Graben gelegen ist . › Welthistorische Idee ! ‹ kreischte Robert Macaire , dem bekanntlich die mer méditerranée von der Vorsehung zum Eigentum und Waschbecken überwiesen wurde ; und die Nivellementsexpedition unter den Herren Linant-Bey und Bourdaloue begab sich mit Eifer ans Werk , um die Engländer ad absurdum zu führen . Im Interesse der deutschen Bundesstadt Triest , des gesunden Menschenverstandes und meiner eigenen Stellung schlug ich mich natürlich auf die Seite Frankreichs und des Mameluckenzivilisateurs Mehemed Ali . Recht vergnüglich richteten wir uns im Sande zwischen Pelusium und Suez ein , trabten mit Meßketten und Stangen , mit Diopterlinealen , Quadranten , Sextanten und Bussolen hin und her , rechneten und maßen , daß uns der Kopf schwitzte , und wechselten ebenso häufig unsere Haut als unser Hemd unter dem Einflusse dieser wohlmeinenden ägyptischen Sonne . Dazwischen redigierten wir Zeitungsartikel für alle möglichen europäischen und außereuropäischen Blätter , um nicht nur den Kanal , sondern auch die öffentliche Meinung in das rechte Bett zu leiten ; und da es mir gegeben wurde , daß ich in mancherlei Zungen mich verständlich machen kann , so stieg ich allmählich sehr in der Achtung meiner Arbeitsgeber , was ich übrigens damals pflichtgemäß nach Bumsdorf gemeldet habe . Aber gegen das Ende des Jahres siebenundvierzig waren unsere Untersuchungen leider schon beendet , und Monsieur Paulin Talabot , der Präsident der Société d' Études du canal de Suez , welcher ruhig und bequem daheim in Paris geblieben war , publizierte das Resultat zum größten Ärger der Regierung Ihrer Majestät der Königin Viktoria . Die alte zimperliche Exjungfer Europa saß wieder beruhigt in der Oberzeugung , daß eine Durchgrabung der vielbesprochenen Landenge ihr nicht jene von großbritannischer Seite angedrohte Überschwemmung bedeute ; – John Bull fühlte sich sehr auf den Mund geschlagen , denn der Indische Ozean drückte mit höchstens zwei Fuß Übergewicht auf das mittelländische Gewässer , ja zur Zeit der tiefsten Ebbe steht sogar das Meer bei Tineh um anderthalb Pariser Fuß höher als die Wasser bei Suez . Der Kanal war zu einem unabweisbaren Bedürfnis und ein Kontrakt mit Seiner ägyptischen Hoheit in betreff der Lieferung von fünfzigtausend Fellahleben zu einer brennenden Notwendigkeit geworden . Mit großem Triumph waren die Mitglieder der französischen Expedition auf ihrer Fregatte nach Marseille unter Segel gegangen , und ich – war im Sande zwischen den Pyramiden , Ibissen , Krokodilen , Ichneumons und spekulativen Fabrikunternehmungen Mehemed Alis sitzengeblieben . Ägypter und Franken zuckten bedauernd die Achseln , als ich meine Talente zu fernern Dienstleistungen empfahl . Man hatte mir vierhundert Franken aus der Kasse der Expedition ausgezahlt , und so schlenderte ich ziemlich gemütlich in den Gassen von Kairo umher , ruhig in der sichern Voraussetzung , daß mir im Falle der Not eine Stelle als polyglotter Hausknecht in einem der großen europäischen Hotels nicht entgehen könne . Letztere Vorstellung würde für einen Nippenburger Honoratioren wenig Verlockendes gehabt haben , für mich aber hatte die gegründete Hoffnung , auf einem solchen Posten in nicht zu langer Zeit ein artiges Vermögen zu machen , durchaus nichts Stinkendes : jedoch das Schicksal hatte es anders mit mir im Sinn . Ich war eben nicht für Lehnstuhl , Schlafrock und Pantoffeln geboren worden . Die Jahrtausende , welche nach einem bekannten Ausspruch von den Pyramiden auf die Wüste herabblicken , konnten unmöglich einen ärgern Schuft gesehen haben als den ausgezeichneten Signor Luca Mollo , genannt Semibecco , und ich sollte die Ehre , die Bekanntschaft dieses berüchtigten Elfenbeinhändlers vom Weißen Nil gemacht zu haben , teuer bezahlen . Ich weiß nicht , ob je ein anderes Dichterwort so viele arme Teufel in den Sumpf geführt hat als jene klassische Zeile : Nichts Menschlichem fremd ! Die Leute , welche mit ihr das Leben zu bezwingen gedenken , werden zu allen Zeiten erfahren , welchen Unannehmlichkeiten sie sich durch dieselbe und in derselben aussetzen . Auch ich erfuhr es und wünsche keinem Bumsdorfer den Genuß der Menschlichkeiten , mit welchen ich vertraut geworden bin . Mit meinem Freunde Luca Mollo oder Semibecco und einem Haufen des niederträchtigsten Lumpengesindels , über welches Allah regnen und die Sonne scheinen ließ , zog ich nach Chartum und von da weiter stromaufwärts gen Kaka , wo wir gegen Anfang des Januar achtzehnhundertachtundvierzig eintrafen und unsern Handel mit den Leuten des Landes , den Schilluks , anfingen , welche meinen abenteuernden Genossen an Heillosigkeit kaum etwas nachgaben . Meine Ausrüstung bestand in einer guten Doppelbüchse , nebst der dazugehörenden Munition , und einem Kasten voll Nürnberger Hampelmänner , welche letztere auf einem österreichischen Lloyddampfer in Alexandria gelandet waren . Ich muß leider gestehen , daß ich in einem Jahre mehr Fetische in der Gegend zwischen dem Bahr el-Abiad und dem Bahr el-Asrek verbreitete , als die deutschen und englischen Missionäre in zehn Jahren abschaffen werden . Trotzdem aber , daß man mit uns Handel und Wandel trieb und gegen Kuhglocken , Glasperlen , Rasierspiegel und dergleichen Kostbarkeiten selbst das hergab , was der zivilisierte und sentimentalere Mensch sein › Liebstes ‹ nennt : so war unser Ruf doch nicht der beste . Wir waren nach unsern Verdiensten bekannt von der Straße Bab el-Mandeb bis weit übers Sultanat Wadai hinaus , und kein germanischer Steckbrief konnte uns schwärzer anstreichen , als wir bereits im Gedächtnis der Leute vom Nildelta bis zum Mondgebirge angeschrieben standen . So war es denn auch durchaus nicht verwunderlich , sondern einzig ein nur zu lange verschobener Akt der göttlichen Gerechtigkeit , als unserer Expedition auf einem Streifzug gegen die Baggaraneger durch einen nächtlichen Überfall plötzlich ein Ende gemacht wurde . Mit Lanzen und Keulen und Messern kamen sie über uns , als wir es am wenigsten vermuteten , um die Rechnung für dieses Mal zu quittieren , und sie bedurften keiner langen Zeit zur Auszahlung des uns von Rechts wegen Gebührenden . Der größte Teil meiner Reisegesellschaft wurde auf der Stelle totgeschlagen , und nur ein kleiner Rest wurde bis auf weiteres , ohne alle Rücksicht auf körperliche oder moralische Gefühle , mit Stricken aus Aloe- und Palmbaumfasern geknebelt . Das Weitere kam bald . Es zeigte sich , daß mein armer Freund Semibecco der bekannteste und deshalb auch gehaßteste unserer ganzen Bande war . Man spießte ihn , und ich kann nicht sagen , daß man ihm zuviel dadurch antat , wenn es gleich nicht angenehm war , der Exekution und dem dreitägigen Todeskampfe des Unglücklichen zusehen zu müssen . Die Aussicht , in gleicher Weise auf einem zugespitzten Pfahl der Sonne , dem Durste und den Moskitos ausgesetzt zu werden , konnte auch mit dem nil humani alienum a me puto in Verbindung gebracht werden . Glücklicherweise blieb ich diesem › Menschlichen ‹ jedoch fremd . Ich ging nur als ein Handelsartikel mit variierendem Werte von Hand zu Hand , von Stamm zu Stamm , und wurde zuletzt im Schatten Dschebel al Komris zu Abu Telfan im Tumurkielande einem meiner eigenen Hampelmänner , einem glotzäugigen , grinsenden Kerl mit blauen Hosen , gelben Husarenstiefeln und einer roten Jacke – zugegeben . Tiefer war doch gewiß noch niemals ein deutscher Studiosus der Gottesgelahrtheit im Preise gesunken ?! « . . . Wir haben zu Anfang dieses Kapitels unsere Meinung dahin ausgesprochen , daß man Herrn Leonhard Hagebucher seine Abenteuer erzählen lassen müsse , ohne ihn zu unterbrechen , ohne die Fragen und Interjektionen der Welt dazwischenplatzen zu lassen . An dieser Stelle aber können wir nicht umhin , unsere Ansicht zu ändern ; der Nürnberger Zappelmeier fiel denn doch der Bumsdorfer Verwandtschaft zu stark auf die Nerven . Mit offenem Munde , mit zurückgehaltenem Atem saß sie da , den Erzähler anstarrend , und als sie wieder fähig war zu sprechen , rief sie : Und dann , und dann , o Gott , und dann ? « » Nichts ! « sagte der Afrikaner mit einer Ruhe , die in der Tat etwas gespensterhaft Unheimliches hatte . Das Licht seiner Augen schien sich wie in einem Nebel zu verlieren , seine ganze Gestalt sank zusammen , die Mutter faßte ihn laut weinend in die Arme , Lina saß mit gefalteten Händen regungslos im zitternden Gram und Schrecken , und dem Papa Hagebucher ging wieder einmal die Pfeife aus . » Nichts ! « wiederholte Leonhard . » Zwanzig bis dreißig in einen kahlen , glühenden Felsenwinkel geklebte Lehmhütten – hundertundfünfzig übelduftende Neger und Negerinnen mit sehr regelmäßigen Affengesichtern und von allen Altersstufen von Zeit zu Zeit Totengeheul um einen erschlagenen Krieger oder einen am Fieber oder an Altersschwäche Gestorbenen – von Zeit zu Zeit Siegsgeschrei über einen gelungenen Streifzug oder eine gute Jagd – von Zeit zu Zeit dunkle Heuschreckenschwärme , welche über das gelbe Tal hinziehen – zur Regenzeit ein troglodytisches Verkriechen in den Spalten und Höhlen der Felsen ! Im Juni des Jahres achtzehnhundertneunundvierzig geschah jener Überfall – rechnet , rechnet – zählt an den Fingern die Jahre und – gebt mir ein Glas Wasser aus unserm Brunnen : wahrhaftig , es war eine arge Hitze und sehr schwül in Abu Telfan im Tumurkielande ! « » Aller Segen Gottes über den guten Mann , welcher dich befreite , mein armer Sohn , und dich uns wiedergab ! « rief die Mutter . » Van der Mook ! Van der Mook ! Jawohl , jawohl ; er kam ins Land , junge Löwen , Affen und andere merkwürdige Bestien zum Vertrieb an die europäischen Menagerien einzuhandeln , und da ich allmählich der Kategorie seiner Handelsartikel so ziemlich anheimgefallen war , so trat er kaum aus dem Kreise seines Geschäftes heraus , als er auch um mich zu feilschen begann . Kornelius van der Mook , der Name steht freilich mit flammender Schrift in meiner Seele ! Er kaufte mich billig und wahrscheinlich nur in einer augenblicklichen Laune ; aber er kaufte mich , und das war das wichtigste . Er gab mir Gelegenheit , auf unserm Wege durch Dar-Fur und Kordofan durch verschiedene kleine Hülfeleistungen mich an seinen Spekulationen beteiligen zu können und wenigstens mein Reisegeld bis Chartum zu verdienen . In Chartum nahm sich die katholische Mission meiner an , und meine Abenteuer endigten dort ; denn von hier an bis zur Mündung ist für einen Menschen , der elf Jahre in Abu Telfan gefangensaß , der Nil kaum vom englisierten deutschen Rhein zu unterscheiden , und das rote Reisehandbuch ersetzt die Doppelbüchse , den Revolver und das nubische Jagdmesser vollständig . Ihr sagt , dies sei Bumsdorf und ich heiße Leonhard Hagebucher – ich will es euch glauben und muß die Konsequenzen auf mich nehmen . « Viertes Kapitel Wald , Wiesen , Ackerfelder , Kirchturmspitzen und Hausdächer , blaue Höhenzüge bis in die weiteste Ferne – alles in schönster Ordnung und in anmutigster Beleuchtung : alles so hübsch und reinlich , so bunt und fein , so freundlich und friedlich wie nur möglich , aber alles dessenungeachtet nicht imstande , den an die Dekoration Gewöhnten in eine ungewöhnliche Ekstase zu versetzen . Es war aber nicht jeder daran gewöhnt . Der Wald warf seinen Schatten auf den Rand der Wiese , und im weichen Grase unter den ersten Bäumen lag Leonhard Hagebucher und blickte , zwischen den Fingern durch , hinaus in den Sonnenschein . Er für sein Teil hatte noch das Recht , am Himmel und auf Erden mehr zu sehen als ganz Bumsdorf und Nippenburg zusammen , und er machte in ungestörter träumerischer Behaglichkeit von seinem Rechte Gebrauch . Wie ein großes Kind lag er in der Wiege der Heimat und ließ sich schaukeln und von der Lerche , dem Finken und dem Wind im Buchengezweig das Lied von der ewigen Jugend und Schönheit der Welt vorsingen . Auf der Wiese Vor dem Walde glänzten die leichten Frühlingskleider der Mädchen , und jede Bewegung der jungen Geschöpfe mußte in solcher Umgebung , in solchem Lichte zierlich und grazienhaft erscheinen . Ihr Rufen und Lachen und selbst ihr helles Gekreisch , als sie sich im Spiel durch die Blumen und das Gras und um die vereinzelten Büsche jagten , war vollkommen melodisch und in Harmonie mit allen übrigen Klängen und Lauten . Sogar die beiden guten Kinder vom Gutshofe , Sophie und Minchen von Bumsdorf , welche in einem nahrhaften und sorgenlosen Dasein und unter dem Einfluß der Milch- und Molkenwirtschaft sich zu recht wohltuend rundlichen Jungfräulein entfaltet hatten , trugen hier mehr vom Reh und der Gazelle zur Schau als in der Küche oder auf dem wohlgestampften , mauerumschlossenen , vom schwerwandelnden Rindvieh belebten Boden des väterlichen Hofes . Lina Hagebucher schwebte wie eine kleine blonde Fee , und Fräulein Nikola von Einstein erschien wie Titania selber . Das war ein Gegensatz in Temperatur , Färbung , Beleuchtung und Gestaltung gegen Abu Telfan , und der Mann vom Mondgebirge empfand und fühlte ihn bis in die feinsten Abtönungen und Schwingungen . Wie in ein Zauberreich sah Leonhard Hagebucher aus dem Schatten seiner Bäume in die goldgrüne Landschaft , und ein Zauber war's , als Fräulein Nikola die drei andern Mädchen ihre Spiele allein fortsetzen ließ , langsam gegen den Waldrand heranschritt und sich , ihren Schoß voll Wiesenblumen , neben dem aus den libyschen und äthiopischen Hexenbanden Erlösten niederließ . » Der Himmel möge Ihre Beschaulichkeit segnen , Herr Afrikaner . Darf man wissen , was der gute Tag Ihnen Angenehmes zu sagen hat ? « » Er sagt nur : Halte den Mund , liege still und rühre dich nicht ! « antwortete Leonhard , und das Hoffräulein meinte lachend : » So wird es sein . Wir riefen Sie vorhin , den wilden Rosenstock dort für uns niederzuziehen , da die feinsten Knospen gewöhnlich in der Höhe wachsen . Sie ließen uns rufen , mein Herr , brummten höchstens , daß Sie sogleich kommen würden , und blieben liegen , so lang Sie sind . Das war , allem geheimnisvollen Naturverkehr zum Trotz , nicht höflich . « » Es ist so schwer , sich wieder in der Zivilisation zurechtzufinden , Fräulein « , sprach Leonhard mit einem tiefen Seufzer . » Es ist eine so schwere und traurige Arbeit , zum zweitenmal mit dem Abc des Lebens beginnen zu müssen . « » Weshalb geben Sie sich die Mühe ? « fragte Nikola von Einstein , schnell und hell von ihren Blumen aufblickend . » Ich würde es nicht tun ; ich würde bleiben , wie ich wäre ; gewiß , gewiß , ich würde eine solche mir vom Schicksal angewiesene magische Ausnahmestellung sicherlich nicht wieder austauschen gegen diese erbärmliche , langweilige Routine des europäischen Alltagslebens . « » Das klingt , als hätten sie über den Zustand meiner armen Seele ziemlich tief nachgedacht , junge Dame . « » Natürlich ! Sind Sie doch etwas ganz Neues im Kreise meiner Erfahrung ! Die Historie Ihrer Abenteuer hat mich nicht wenig aufgeregt ; ich danke den freundlichen Göttern , welche Sie während meines hiesigen Aufenthaltes nach Bumsdorf zurückführten . Sie sind ein Problem , Herr Hagebucher , und ein solches läßt das Wesen , welches Sie einen gebildeten Menschen nennen werden , in unsern Tagen so leicht nicht fahren , ohne es nach den verschiedensten Seiten hin gedreht und gewendet zu haben . « » Fräulein von Einstein , wie alt sind Sie ? « fragte Leonhard , sich halb aufrichtend , und das Ehrenfräulein lachte von neuem hellauf und antwortete mit einem vergnügten Seitenblick : » Unausdenkbar alt ! Weit , weit , weit hinaus über jegliches Abc . Länger als siebenundzwanzig sehr lange Jahre hat die Welt sich meiner Gegenwart zu erfreuen , und mein Taufschein soll Ihnen zur Einsicht bereit sein , wenn Sie mich demnächst einmal in der Residenz besuchen wollen , Herr Afrikaner . « » Siebenundzwanzig Jahre ? Siebenundzwanzig Jahre ! 's ist freilich ein schönes Alter für ein junges Mädchen « , sprach Herr Leonhard Hagebucher nachdenklich . » Und um so schöner , als mir die Ketten des Tumurkielandes noch um Hand- und Fußgelenke klirren . « » Maschallah ! « rief Leonhard mit einem Blick auf den zierlichen Knöchel , welcher sich unter dem Saume des Kleides hervorgestohlen hatte . » Das wäre eine Geschichte , welche mich freilich um manchen Schritt auf meinem Wege in den europäischen Tag hinein fördern könnte . Erzählen Sie mir ein weniges von Ihren Ketten , Fräulein Nikola , Sie finden auf der ganzen Erde keinen Menschen , der weniger Mißbrauch von Ihrem Vertrauen machen könnte und der mehr zu lernen hätte . « Nikola fügte eine neue Blume ihrem Kranze ein und summte : Debout , ihr Kavaliere ! Ihr Pagen und Hartschiere , Werft auf die Flügeltür ! Vor einem Fächerschlage Wird itzt die Nacht zum Tage , Klymene tritt herfür . Dann fuhr sie schnell in Prosa fort , fast ohne Atem zu schöpfen : » Ich heiße Nikola von Einstein , mein Herr Vater war der General von Einstein , Exzellenz ; meine gnädige Frau Mama ist eine geborene Freiin von Glimmern , und meinen Taufnamen trage ich Seiner Höchstseligen Majestät dem Kaiser aller Reußen Nikolaus dem Ersten zu Ehren , obgleich der Mann nicht mein Pate war . Meinen Vater rührte nach der Einnahme von Sebastopol der Schlag , und es fand sich nach seinem Tode , daß er kein so guter Rechner gewesen war , als man hätte wünschen mögen . Die Herrschaft mußte eintreten , um mir eine standesgemäße Erziehung zu verschaffen ; meine Mama lebt jetzt in anständiger Zurückgezogenheit , ich bin Ehrenfräulein Ihrer Hoheit der Prinzeß Marianne und befinde mich augenblicklich meiner angegriffenen Nerven wegen allhier zu Bumsdorf bei meinen Bumsdorfer Gevettern , speziell von der Vorsehung zur Mitteilung des eben Gesagten beauftragt . « » Ich danke der Vorsehung demütigst « , sagte Leonhard ; » aber – « » Das würde für jeden andern als den wilden Mann aus Afrika ein sehr indiskretes Aber sein ; doch , bei diesem blauen Himmel über uns , ich habe in der Tat Lust , Ihnen in dieser guten Stunde ein wenig von meinem Leben auszuplaudern ; die Gelegenheit und ein von der Laune des Fatums so vernaivisierter Zuhörer finden sich vielleicht niemals wieder . Sie sind vom Monde herabgefallen , Herr Leonhard Hagebucher , und ich bin eine Hofdame der Prinzeß Marianne , Hoheit ; wir tragen zwei ganze Welten zusammen , eine so kurios wie die andere – wir beide können einander nie mißverstehen , Herr Hagebucher . Also : Sie neiget sich im Kreise : Die Damen flüstern leise : Le sue spine ha ! – Was kümmert es die Rose , Klymene lächelt lose , E passo passo va . Sie nennen mich nämlich Klymene , Herr . Der Name ist von einer Schäferquadrille her an mir hängengeblieben , ohne jedoch eine Bedeutung zu haben . Unsere Verse machen wir selber , und mein Lieblingspoet ist Herr Martin Opitz von Boberfeld , und am liebsten wäre ich ein Ehrenfräulein am Hofe zu Liegnitz oder Brieg in Schlesien gewesen . Der erste Eindruck , welchen mir das Leben gab , war ein gewaltiger Respekt , eine große Furcht vor meinem kriegerischen Vater , welcher gewiß ein tapferer und guter Soldat gewesen wäre , wenn man ihm die Gelegenheit gegeben hätte , sich als einen solchen zu betätigen . Was er war in his hot youth , when George the Third was king , weiß ich nicht und würde es sehr wahrscheinlich nicht sagen , wenn ich es wüßte ; ich kann nur angeben , daß das Leben in unserm Miniaturstaate , unserer Miniaturresidenz und seiner Miniaturarmee ihn in eine Form gezwängt hatte , welche für niemand in seiner Umgebung und noch weniger für seine Untergebenen etwas Behagliches hatte . Wie viele Knöpfe trägt der Soldat an jedem Uniformstück , Herr Hagebucher ? Was , das weiß man in Abu Telfan nicht , man hat keine Ahnung davon im Tumurkielande ? Nun , ich , Nikola von Einstein , habe mehr als eine Ahnung davon , und wenn mein kleiner Vetter Bumsdorf neulich im Leutnantsexamen nicht durchfiel , so hat er das viel weniger seinen eigenen Studien zu verdanken als den meinigen . Hätte ich ihm nicht den Katechismus seiner erhabenen Rechte und Pflichten abgehört und eingepaukt , so würde er heute noch in seinem Kadettenhause sitzen . Mein Vater war ein treuer Diener seines Herrn , und gleich Seiner hochseligen Hoheit glaubte er an den Kaiser Nikolaus , und zu Ehren und zur Bekräftigung dieses rührend grandiosen Glaubens trage ich meinen Namen , welchen außerdem aber auch die Kammermädchen der ältern französischen Komödie zu führen pflegen . Meine Mutter ist eine Freundin der verwitweten Herzoginmutter und mit ihr erzogen worden ; ich glaube nicht , daß beide die Herren Herder , Wieland , Goethe und Schiller an unsern Hof berufen oder sie daselbst geduldet hätten . – Ich bin ich , und das ist das Leiden . Wie jedes anständige denkende Wesen machte ich den Versuch , in Waffen gegen die Welt aufzustehen ; sie erhaschten aber den bunten Stieglitz schon auf der nächsten Hecke wieder , und nun sitzt er in seinem Käfig und zieht seinen Bedarf an Wasser und Hanfsamen zu sich in die Höhe . Wenn ich auch nicht auf und davon und mit dem interessanten Räuberhauptmann Signor Semibecco auf die Elefantenjagd ging , so kam ich doch in das Tumurkieland , und was das schlimmste ist , ich sitze noch darin ! Liebster Herr Afrikaner , Hoheit , meine Prinzeß , bewohnt den linken Flügel des Schlosses , und wir haben von unsern Fenstern aus eine recht schöne Aussicht auf den Platz . Bei Sonnenschein und Regen sehen wir die Wachtparade aufziehen und schwärmen für die türkischen Becken , den Schellenbaum , die große Pauke und den jüngsten Leutnant . Die Posten wandeln auf und ab , unsere zeisiggrünen Portiers und krebsroten Lakaien bringen den Glanz unseres Daseins dem gaffenden Marktvolk zum Bewußtsein ; eine Familienkarte zur Besichtigung des Schlosses kostet zwei Taler , eine Einzelkarte nur einen Taler , wie ich von meinem Freunde , dem Kastellan , weiß ; Seine Exzellenz der Herr Hofmarschall und der Herr Marquis von Carabas in allen Abstufungen fahren vor und ab , wir fahren spazieren und kommen zurück , und die Wache trommelt , und eine Abwechslung ist's nur , wenn der wachthabende Offizier sich verspätet und mit verkehrt aufgesetztem Tschako hervorstürzt . Eine Abwechslung ist 's auch , wenn die Atmosphäre infolge einer Spannung mit dem rechten Flügel des Palais um einige Grade schwüler wird . Es gibt so manche gefährliche und leicht verwischte Grenzlinien , und dazu repräsentieren wir auf der Linken gar noch den Rationalismus und erbauen uns an Zschokkes › Stunden der Andacht ‹ gleich der Kusine zu Windsor . Drüben auf der Rechten und im Mittelbau gehören sie zu den ausgewählteren Gefäßen und sind uns auf dem Wege zur Gnade wenigstens um zehn Postmeilen voraus . Kennen Sie Zschokkes › Stunden der Andacht ‹ , Herr Hagebucher ? Nicht ? Nur eine dumpfe Erinnerung ? Ich habe mehr davon ; ich habe sie vorzulesen , ich kenne verschiedene Stücke auswendig ; darf ich Ihnen eines oder das andere rezitieren ? Nein ?! Es wäre aber eine große Gefälligkeit von mir ! O Herr Hagebucher , auch Abu Telfan hat Reize , nach welchen ein Bruchteil der Menschheit sich sehnen kann . Ein sehr hübsches eisernes Gitter mit vergoldeten Spitzen trennt , wie Sie vielleicht noch wissen , unsern Schloßplatz von der Hauptstraße der Stadt . Da es verboten ist , mit Paketen oder Körben am Arme , einer Zigarre im Munde , einem Kinde oder einem Hunde den geheiligten Bezirk zu durchwandeln , so bleibt die gewöhnliche Welt hübsch draußen . Wir betrachten und beobachten sie nur durch unser Gitter und achten uns viel zu hoch , um uns nicht bescheiden zu können , und können letzteres um so mehr , als uns die Vorsehung für alles , was wir entbehren müssen oder zuviel haben , so unaussprechlich reichlich entschädigt hat . Unsere Galatage heben uns hoch über das Gallaland hinaus , mit unsern hohen Geburtstagen kann keine Herrlichkeit an der Gold- und Pfefferküste konkurrieren , und die noch höheren Besuche aus allen himmlischen Reichen wären imstande , das innerste Afrika vor Neid nach außen zu kehren , wenn es nur die geringste Ahnung von ihrer Importance hätte . O Gott , und haben wir nicht die Adjutanten , die Kammerherren und die verschiedenen Leibärzte der verschiedenen Herrschaften ? O Gott , o Gott , und man sieht es Frühling werden , Sommer und Winter , und man wird immer älter – immer älter und immer sublimer und zarter , und das ganze Universum wird immer mehr zu einem ehrfurchtsvollen Geflüster . Und die Menage , die Naturalverpflegung , wie mein kleiner Vetter Bumsdorf es nennt , bleibt immer tadellos ; ein Ballkleid oder ein neues Armband fällt auch von Zeit zu Zeit für uns ab , und die Etikette sorgt mit unleidlichem Nachdruck dafür , daß wir auf unsern Redouten nicht als Immobilien die Wände zieren . Und immer wird 's wieder Frühjahr und immer wieder Sommer und immer wieder Winter ; aber kein Herr van der Mook will an unserm Horizonte aufgehen , um uns von diesem sanften , mit Sammet ausgeschlagenen Elend zu befreien ! Was glauben Sie , Herr Afrikaner , was aus mir werden würde ohne meine schwachen Nerven und den guten Onkel Bumsdorf auf Bumsdorf ? « Ehe Herr Leonhard Hagebucher dieser plötzlichen Frage gerecht werden konnte , kam atemlos sein Schwesterchen , welches sich mit den beiden andern Mädchen dem Dorfe zu hinter den Hecken verloren hatte , zurückgelaufen . » Leonhard , Leonhard , du mußt schnell heimkommen , die Tante Schnödler ist da ! « Der Afrikaner sprach einige , vielleicht nicht sehr freundliche Worte in der Sprache von Dar-Fur ; doch er befand sich noch zu kurze Zeit wieder in der Heimat , um nicht allen ihren Rufen Folge zu leisten . Auch Fräulein Nikola von Einstein sprang lachend in die Höhe . » So geht es mir doch immer – jedesmal , wenn ich im besten Zuge bin , mein Herz auszuschütten ! Nun wissen Sie doch noch nicht das allergeringste von mir , mein Herr , und es steht dahin , ob Sie in aller Ewigkeit mehr erfahren werden . Die gute Stunde ist vorübergegangen , und die Tante Schnödler ist angekommen , und der große Familienrat über Herrn Leonhard Hagebucher beginnt – gehen wir heim und unterwerfen wir uns den Dingen , Verhältnissen und Verhängnissen , da wir doch nicht um unsern Willen gefragt werden . « Leonhard wollte ihr die Hand bieten , um sie den etwas steilen Abhang hinunterzuführen : sie aber wies seine Hülfe lachend von sich . » Nein , nein ! Bei besserer Überlegung werde ich doch lieber bleiben , wo ich bin , und meinen Kranz vollenden . Ich ziehe den Wald allen Familienräten vor ; denn ich habe auch unter den letzteren gelitten und weiß davon zu singen und zu sagen . « Fünftes Kapitel Das helle Lachen des Hoffräuleins verklang hinter der Waldecke , und mit gesenktem Kopfe schritt Leonhard Hagebucher auf dem Pfade , welcher die Wiese entlang dem nahen Dorfe zu führte , weitbeinig fort . Das Schwesterchen hatte sich an seinen Arm gehängt und trippelte atemlos an seiner Seite und blickte von Zeit zu Zeit stumm , aber liebevoll-ängstlich zu dem ernsten fast finstern Gesichte des Bruders in die Höhe . Es waren am heutigen Tage grade drei Wochen seit dem Wiederkommen des afrikanischen Gefangenen verflossen , und wie kein Kind im Dorfe Bumsdorf den geheimnisvollen , staunenden Schrecken vor dem großen , braunen Mann , der mit den Menschenfressern aus einer Schüssel gegessen hatte , vollständig überwunden hatte , so war auch für Fräulein Lina Hagebucher dieser Bruder immer noch ein hohes , unsägliches Wunder und Mysterium und konnte für noch längere Zeit nicht in seiner ganzen Fülle und Bedeutung ausgedacht werden . Was Nippenburg und Bumsdorf aber im ganzen und großen anbetraf , so nahmen sie , obgleich ein Mann , der aus dem unbekannten innersten Afrika heimgekehrt , jedenfalls etwas Ungewöhnlicheres war als der abenteuerlichste Amerikafahrer , das Ding bereits viel kühler und gelassener , und die liebe weitere Verwandtschaft , die sich heute im Hause des Steuerinspektors versammeln sollte , nahm es sogar sehr kühl und sehr gelassen . Dem Manne aus dem Tumurkielande wuchsen mit den Haaren auf dem à la Tumurkie geschorenen Schädel auch die unangenehmeren europäischen Gefühle wieder , und wir müssen ihm die volle Berechtigung zugestehen , auf manchem Wege und auch auf diesem durch das Dorf Bumsdorf den Kopf hängen zu lassen . Er hatte viel geduldet bis zu seiner Befreiung durch den Herrn Kornelius van der Mook : dann war er in dem Hause seiner Eltern erwacht und hatte jene seltene Minute des vollen , sichern Glückes gekostet . Aber schnell wie immer war dieser Augenblick vorübergegangen – ein Morgenschlummer , ein sonniger Tag in der Geißblattlaube , am Abend ein Gang durch die Wiesen und Kornfelder nach dem Walde ! Schon das nächste Erwachen brachte wieder das erste leise Anspülen bitterer Fluten , und nach acht Tagen war Leonhard Hagebucher vollständig daheim , das heißt , er wußte Bescheid , und Bescheid zu wissen gehört und stimmt gewöhnlich nicht im geringsten zu und mit dem Glück . Wohl saß er noch in der Geißblattlaube an der Landstraße und freute sich der Sonne des Vaterlandes , der Stimmen und Schritte der alten Eltern , des lieblichen Lachens der kleinen hübschen Schwester , wohl suchte und fand er in Stadt und Dorf hundert und aber hundert freundliche Jugenderinnerungen ; man kam ihm immer noch an den meisten Orten mit Gruß und Handschlag herzlich entgegen , und es gab immer noch viele Leute , welche seiner Odyssee mit Herzklopfen lauschten und dankbar für alles waren , was er in dieser Hinsicht zu bieten hatte ; aber – aber dem Unbehagen wuchsen doch täglich mehr züngelnde , saugende Polypenarme , mit welchen es die Seele des müden Wanderers fester und immer fester umschlang . Nun wußte die Welt bereits , daß der Sohn des Steuerinspektors Hagebucher als ein armer Mann aus der Fremde heimgekehrt sei , und die wundervollen Illusionen , welche sich Nippenburg gemacht hatte , waren schnell in ihr Gegenteil umgeschlagen , und man teilte einander unter bedächtigem Kopfschütteln mit , daß ein Vagabond in alle Ewigkeit ein Vagabond bleiben werde und daß es vielleicht um vieles besser gewesen wäre , wenn die Mohren dahinten am Äquator den unnützen Menschen bei sich behalten hätten . In der Kiste , welche dem armen Leonhard auf einem Schubkarren gen Bumsdorf nachgefahren worden war , befanden sich keine Säcke voll Diamanten und Perlen , keine Schachteln voll Goldstaub , sondern höchstens einige afrikanische Merkwürdigkeiten zum Andenken für die näheren Freunde und Verwandten . Herr Leonhard Hagebucher konnte aus dem Inhalt dieses Reisekastens keine Villa bauen und nicht nunmehr im Schatten seines Parkes , an seinem eigenen Herde und in der Gesellschaft eines liebenden Weibes aus den bessern Ständen seine Tage verbringen . Keine Nippenburger Mutter hätte einem solchen in der Luft stehenden Individuum ihre Tochter zur Ehe gegeben , und das war noch das allerwenigste : Leonhard Hagebucher hatte während seiner Gefangenschaft im Tumurkielande so ziemlich alles vergessen , was dem Menschen in unsern zivilisierten Zuständen zu seinem Fortkommen verhilft , ja ihn nur notdürftig auf der Stelle aufrecht erhält . Jede Wissenschaft , jede Kunst , jede Technik war über ihn hinausgeschritten ; wo sonst die hohen Wasser sich umgetrieben hatten , da war jetzt öder Sand oder fruchtbares Ackerland , und wo vordem Sand und Wiesen gewesen waren , da jagten sich jetzt die Wellen . In Abu Telfan im Tumurkielande hatte den armen Gefangenen nichts gestört als die physische rohe Gewalt und die Sehnsucht nach der Freiheit , das Heimweh nach dem Vaterlande ; jetzt in der Heimat fing alles an , ihn zu stören und zu beunruhigen ; er war fremd geworden in der Zivilisation , in Europa , in Deutschland , in Nippenburg und Bumsdorf ; eine unendliche und in jeder Weise begründete Angst vor den Dingen und vor sich selber mußte sich seiner bemächtigen – ein Schritt weiter , und er konnte sich nach dem Tumurkielande leise zurücksehnen : die Würde und Freiheit , die Bildung und Sitte des europäischen Menschen imponierten ihm viel zu mächtig . Lassen wir ihn übrigens jetzt vorerst seinen Weg zum Dorfe fortsetzen , und sehen wir derweilen , wer von der Freundschaft und Verwandtschaft zum großen Rat und Kaffee im Hause seiner Eltern ankam oder schon angekommen war . Angekommen war in ihrer gelben Kutsche die Tante Schnödler , zu welcher eigentlich auch ein Onkel Schnödler gehörte , der jedoch , da die Tante das Geld hatte und er – der Onkel – dieses weder durch Talente , Energie noch die geringste männliche Grobheit ausglich , nicht mitgerechnet wurde . Sie , die Tante Schnödler , die Kusine der Mutter Leonhards , saß bereits , jede Situation beherrschend , in dem Paradezimmer des Hauses Hagebucher auf dem Kanapee und fand es , wie Ludwig der Vierzehnte , sehr provozierend , daß man sie sowohl auf den Kaffee als auch auf den Neffen aus dem » Kaffernlande « warten ließ . In Sicht auf der Landstraße war der Onkel , Kaufmann und Stadtverordnete von Nippenburg , der Herr Stadtrat Hagebucher , ein Mann von körperlichem und geistigem Gewicht , der drei Töchter in seinem Ehestande erzeugt hatte und im Gänsemarsch mit denselben gen Bumsdorf zog : heiterer als im vorigen Jahre , wo noch seine Selige stets den Zug anführte und er ihn nur beschloß . Es kamen zwei jüngere Vettern , welche jedoch auch bereits Haare auf ihrer Beamtenlaufbahn gelassen hatten und welche , obgleich der Staat ihnen ihren Gehalt quartaliter mit einem gewissen Hohn , mit zweifelloser Ironie auszahlte , sich den idealsten wie den materiellsten Mächten , den Schwärmern für die Republik Deutschland wie der reichsten Bankiers- oder Fabrikantentochter gewachsen glaubten . Eine solche wohlhabende Fabrikantentochter und Kusine , Fräulein Leonore Sackermann , langte aus entgegengesetzter Weltgegend unter den Fittichen ihrer einen sehr guten Kartoffelspiritus produzierenden Eltern vor dem Hause des Steuerinspektors an . Hoch zu Roß kam der Wegebauinspektor Wassertreter , ein dreiundsechzig Jahre alter , verächtlicher Junggesell , welcher sich von Amts und Wetters wegen dem Trunke ergeben hatte und es besser hätte haben können , wie die Base , Fräulein Klementine Mauser , die ebenfalls allein , aber zu Fuße anlangte , zur unbehaglichen Zeit der Äquinoktialstürme ihrem jungfräulichen Kopfkissen ärgerlich anvertraute . Wer kam noch ? Schließen wir die Liste , nachdem wir sie kaum begonnen haben ! Es versammelte sich so ziemlich der ganze Vetter Michel , und Herr Leonhard Hagebucher trat in den geweihten Kreis und bot ihm , wenn nicht den bekannten deutschen » guten Abend « , so doch das arabische Selam aleikum , das Heil sei mit euch , worauf die Tante Schnödler erwiderte : » Wir danken dir , Herr Neffe , und freuen uns , dich anständig und christlich in Rock , Hose und Weste wieder unter uns zu haben . Du bist einst zwar ohne Abschied weggegangen , aber hier sind wir , wie es sich geziemen will , und heißen dich in verwandtschaftlicher Kompanie willkommen in Nippenburg und sind uns vermuten , daß du nun wohl endlich genug von der Vagabondage und Unreellität und sonstigen Phantasterei haben wirst . Sag 'n Wort , Schnödler . « » So ist es , Minette « , sprach der Onkel Schnödler , und mehr wurde nicht von ihm verlangt , würde im Gegenteil sehr übel aufgenommen worden sein ; Leonhard aber fühlte sich lebhaft an jene Audienzen erinnert , welche ihm vor kurzem noch Madam Kulla Gulla , die Schwiegermutter seines Besitzers im Tumurkielande , so häufig erteilte und welche stets damit endigten , daß ihm fünfundzwanzig auf die Fußsohlen zudiktiert wurden . Es war ein großer Tag ! Wenn auch die jungen Kusinen , gleich den Kindern von Bumsdorf , noch immer mit einer aus Schrecken und Mitleiden gemischten Verwunderung auf den Vetter blickten , so hatte doch die ältere Verwandtschaft jegliche mysteriöse Scheu gründlich abgeworfen und zog ihren autochthonen Lebensanschauungen und Gefühlen alle Schleusen . Das germanische Spießbürgertum fühlte sich dieser fabelhaften , zerfahrenen , aus Rand und Band gekommenen , dieser entgleisten , entwurzelten , quer über den Weg geworfenen Existenz gegenüber in seiner ganzen Staats- und Kommunalsteuer zahlenden , Kirchstuhl gemietet habenden , von der Polizei bewachten und von sämtlichen fürstlichen Behörden überwachten , gloriosen Sicherheit und sprach sich demgemäß aus , und der Papa Hagebucher wäre der letzte gewesen , welcher für seinen Afrikaner das Wort ergriffen hätte . Es war ja der Tag des Papa Hagebucher . Er hatte diese Versammlung berufen , um sich von ihr in seinen innersten Anschauungen recht geben zu lassen . Er mochte den Verlust des Sohnes noch so sehr bedauert , ja betrauert haben : die plötzliche und so gänzlich anormale Rückkehr mußte ihm naturgemäß doch noch fataler werden . Die frohe Überraschung ging allmählich in eine mürrische , grübelnde Verstimmung über ; – berechnen ließ sich hier nichts mehr , denn sämtliche Ziffern waren ausgelöscht , nur ein Fazit stand zuletzt klar da : » Der Bursche lief fort , weil er einsah , daß man ihn hier nicht gebrauchen könne ; man hat ihn auch dort nicht gebrauchen können , er ist heimgekommen , und ich habe ihn wieder auf dem Halse ! « Klar war die Rechnung , doch nicht tröstlich , und es war jedenfalls wünschenswert , daß die liebe Freundschaft und Verwandtschaft ihre Unterschriften oder drei Kreuze zu dem Wahrspruch hergebe . Man hatte sich denn doch zu rechtfertigen vor der Welt , und das konnte nicht besser bewerkstelligt werden , als wenn man sie von Anfang an mitverantwortlich machte . Es war auch keine Kleinigkeit , wenn man sich hinter der grünen Gardine des Ehebetts auf das Urteil der Tante Schnödler , die Meinung des Bruder Stadtrats oder des Vetter Sackermanns berufen konnte – man trug die Verantwortlichkeit jedenfalls nicht gern allein . Es war ein sehr großer Tag , und Lina Hagebucher hielt zuletzt ganz ängstlich die Faust ihres Bruders , denn sie konnte viel schärfer als die Mutter für ihn fühlen und beobachtete mit Zittern , wie seine Stirn von Augenblick zu Augenblick dunkler wurde und es immer grimmiger aus seinen Augen wetterleuchtete . Jeder hatte seinen Rat zu geben und gab ihn gern und ausführlich . Es war gar nicht so schwer , sich anständig durchs Leben zu bringen , wenn nur der gute Wille dazu vorhanden war ; verschiedene Wege führten noch aus der Nichtsnutzigkeit hinüber in die wünschenswerteste Respektabilität , und ein jeder stellte sich mit Vergnügen als Wegweiser auf den Kreuzweg , vorzüglich die Tante Schnödler , welche sich räusperte und sprach : » Es ist nicht genug , daß der Mensch den Schneider kommen und sich ein neu Habit anmessen lasse ; es gehört noch mehr dazu , um wieder ein anständiger großherzoglicher Staatsbürger und Untertan zu werden . Da könnte jeder Lumpazi kommen , der sein alt zerlumpt Wams am Grabenrand zum öffentlichen Ekel abgetan und das gestohlene neue angezogen hat ! Der Mensch und wilde Indianer muß auch geistlich nach dem Balbierer schicken und keine Gesichter schneiden , wenn Leute zu ihm reden , die im Lande geblieben sind und sich in Gottesfurcht fünfundzwanzig Jahre redlich genährt haben , was ich übrigens nur beiläufig und zum Besten von der fernern guten Freundschaftlichkeit gesagt haben will . Was ich nun dem Leonhard raten will , das ist , er tut alles hochmütige und ausländische Wesen ab und fängt da wieder an , wo er aufgehört hat , das heißt , da es mit einem Pastor nunmehr wohl nimmermehr was werden wird , so geht er zum Vetter Stadtrat , läßt sich von neuem in die Schreiberei einschießen und kann's mit der Zeit und der Nachhülfe von der Verwandtschaft wieder zu einem nützlichen Mitgliede vons Gemeinwesen und bis zum Ratsskribenten bringen . « » Als wozu der Herr Neffe wenig Lust zu haben scheinen , wenn man nach seiner Miene urteilen dürfte « , sprach der Onkel Hagebucher mit einem wenig freundlichen Seitenblick auf den Verwandten aus Abu Telfan . » Sprich 'n Wort , Schnödler ! Sage deine Meinung , Leonhard ! Lasset euch aus , Steuerinspektor und Kusine Hagebucher ! Sagen Sie item , was nötig ist , Vetter Sackermann ! « rief die Tante Schnödler , » Ich aber sage , daß wir hier in Nippenburg nicht im afrikanischen Mohrenlande leben und daß kein Mensch es prätendieren kann , daß wir uns in die Mohren schicken : sondern die Mohren werden sich in uns schicken müssen , wenn sie mit uns hausen wollen . Ratsschreiber zu Nippenburg – hundertundfünfundsechzig Taler jährlich bar , achtzig Taler Sporteln und zwei Klafter Holz – und solch ein Gesicht ! Sind wir vielleicht ein regierender König im Mohrenlande gewesen ? Wenn das ist , so haben wir freilich nichts mehr zu sagen , und es handelt sich freilich nur um ein Retourbillett auf dem Postwagen und der Eisenbahn nach Afrika , und ich empfehle mich dem Herrn Potentaten ganz gehorsamst und sage nichts mehr . « Die süße Heimat fing an , einen seltsamen indianischen Kriegestanz um den armen Leonhard aufzuführen . Die Mutter hielt das Taschentuch vor die Augen ; der Vater sog mürrisch an der erloschenen Pfeife ; Lina drückte sich immer fester an den Bruder ; die beiden jüngern Vettern , welche noch mit dem Afrikaner die Universität besucht hatten , lachten : die Familie Sackermann blickte gläsern im Kreise umher ; die Tante Klementine nahm verstohlen eine Prise , und der unbenannte Verwandtenchorus beschäftigte sich unter leisem Gemurmel mit den Kaffeetassen und dem festlichen Gebäck des großen Tages ; der Onkel Wassertreter würde das Wort ergriffen haben , wenn Leonhard es nicht vorher genommen hätte . Er – der Mann aus Tumurkie – er , welcher so vielen Gefahren zu Wasser und zu Lande kaltblütig getrotzt hatte , er , welcher das Leben eines Elfenbeinhändlers auf dem Weißen Nil mit allen seinen Schrecknissen kennengelernt hatte , er , welcher den großen Signor Luca Mollo , genannt Semibecco , im Glück und Unglück und zuletzt auf dem Pfahle der Baggaraneger beobachten , studieren durfte : er fühlte sich der jetzigen Stunde nicht gewachsen . Es schwamm ihm vor den Augen , im Kreise drehte sich die Verwandtschaft , die Tante Schnödler wuchs bedenklich über Madam Kulla Gulla hinaus , und ihre rötlich angehauchte Nasenspitze erschien nicht weniger bedrohlich als die mit Henna rotgefärbten scharfnägeligen Krallen der Tumurkierin : die Atmosphäre des Vaterhauses wurde beängstigender als die heiße Luft der Lehmhütten zu Abu Telfan . Mit Stottern sprach Leonhard Hagebucher gleich einem , welcher sich mühsam in einer fremden , ungewohnten Sprache auszudrücken hat : » Ach , teure Verwandte und Angehörige , könntet ihr doch in meiner Seele lesen ! Jeder Blutstropfen , den ich heimgebracht habe , gehört dem Vaterlande . Iblis möge es nehmen ! Aber bedenket , welch ein großes Kind euch wieder auf die Arme gefallen ist . O könnte doch jeder von euch eine Viertelstunde in meiner Haut zubringen , es würde ihm dann gewiß begreiflicher erscheinen , daß man nicht heute Ratsschreiber zu Nippenburg sein kann , wenn man gestern aus der Gefangenschaft im innersten Afrika zurückkam . Wenn ich nicht sehr irre , so habe ich sogar das Schreiben verlernt , und was ich dafür in der Fremde vielleicht gelernt habe , nämlich allerlei Anfechtungen mit Geduld zu tragen , das honoriert sich selber , wird aber von keinem Gemeinwesen mit einem Jahresgehalt von hundertundfünfundsechzig Talern und zwei Klaftern Brennholz bezahlt . Verehrte Angehörige , wer länger als zehn Jahre mit den Fingern in die Schüssel greifen mußte , der wird sich nur allmählich wieder an den Gebrauch von Messer und Gabel gewöhnen , und wenn man ihm dazu nicht Zeit lassen kann , so wird ihm der beste Bissen im Halse steckenbleiben , und er muß jämmerlich daran erwürgen . Wenn ich wüßte , was noch aus mir werden kann , so würde ich es auf der Stelle sagen : aber ich weiß es nicht – « » Und damit ist alles gesagt , mein Junge « , rief der Vetter Wassertreter , » und jetzt laß mich ans Wort . Betrachte dir meine Nase und behalte deine Meinung darüber für dich ; denn ich werde das Nötige darüber selber von mir geben , sobald das verwandtschaftliche Gesumse und die Aufregung der Base Schnödler sich gelegt haben werden . « Das Familienkonklave summte und erhob sich freilich , und die Tante Schnödler war in der Tat aufgeregt und suchte hinter ihrem Taschentuche die gewohnte Fassung ; aber der Vetter Wassertreter legte den Zeigefinger an das Glied , auf welches er den Afrikaner aufmerksam gemacht hatte , und wartete mit schlauem , schändlichem Lächeln auf die Wiederherstellung der Ruhe , um sodann in seiner Rede fortzufahren : » Achte auf diese Nase , mein Sohn , sie bringt dich aus dem Sumpfe – in hoc signo vinces , wie die Lateiner sagen ; unter diesem Panier wirst du den Sieg gewinnen . Unsereiner , welcher den ganzen Tag auf der Landstraße herumzuliegen hat , denn der Wegebau hat seine Mucken gradesogut wie das Wetter , ein solcher , sage ich , der hat Zeit und Gelegenheit , den Lauf der Welt zu studieren , und kann bei passenden Umständen seine Meinung kommunizieren , wenn man ihn noch so schief und verdächtig ansieht . Es passiert allerlei über herzogliche Chaussee , und das Getränke ist auch nicht unter allen Schenkenzeichen dasselbe , und dann zottelt man auf seinem alten Gaule in die Kreuz und Quere , und es kommen einem Philosophien , von denen sich andere Leute nichts träumen lassen , und von der Kusine Mauser , dem Vetter Sackermann oder dem Vetter Stadtrat gerät man auf den Kaiser Louis Napoleon , und von der Tante Schnödler kommt man auf den Heiligen Vater , das Patrimonium Petri oder die Hohe Pforte , und von den Steinklopfern am Graben , welche die Kappen herunterziehen und › Guten Morgen , Herr Inspektor ‹ sagen , auf sich selber . Da steht einem der Verstand still , was der Mensch erlebt , wenn er Achtung auf sich gibt ; da lernt man seinen Schöpfer kennen , o du grundgütiger Himmel ! Siehe , mein Söhnchen , als sie mich im Jahre achtzehnhunderteinundzwanzig mit einem Tritt in Gnaden von der Wartburg hinunterschickten , da kam ich gradso heim wie du aus dem hintersten Afrika , und die Karlsbader Beschlüsse hatten ihr Werk gradsogut an mir verrichtet , wie die Peitsche im Tumurkielande es an dir tat . Wir waren Anno siebenzehn am achtzehnten Oktober als frische und wackere Bursche hinaufgezogen ; aber was hat die hündische Niederträchtigkeit , was haben die feigen Halunken , die über uns zu Gericht saßen , uns aus unserm blauen Himmel , aus unserm deutschen Herrgott , aus allem , was in uns und über uns war , gemacht ! Zu Hause schlugen uns die Alten natürlich auch die Tür vor der Nase zu oder setzten uns wenigstens an den Katzentisch : wir hatten es ja nicht besser haben gewollt , und was von meiner Jurisprudenz noch übrig war , das konnte ich dreist dem Herrn von Kamptz mit in die Rapuse geben , ohne viel daran zu verlieren . Da lag ich auf dem Bauche und ließ mir die Sonne auf den Rücken scheinen , und ganz Nippenburg verzog das Maul über den Lumpen . Die Tante Schnödler dort war dermalen ein recht sauber Mädel , aber um die Essig- und Vitriolfabrikation hat sie auch Anno Tobak schon recht leidlich Bescheid gewußt . Der Vetter Stadtrat war immer zu was Großem geboren und wußte es einem gut zu geben : ich sage dir , Leonhard , es ist nichts Neues unter der Sonnen , daß die angenehme Verwandtschaft ein Konzil über einen aus dem Geleis geratenen armen Tropf ausschreibt und sich weiser dünket als der liebe Gott am siebenten Schöpfungstage ; und wenn kein Consilium abeundi daraus wird , so ist die Verwandtschaft niemalen daran schuld . Ach , Kusine Mauser , es ist immerdar eine böse Welt gewesen , deswegen sollen die empfindsamen und zärtlichen Seelen zusammenhalten ; aber – Sie bringen mich doch immer aus dem Konzept , sobald ich Sie nur ansehe , Klementine ! – wo war ich stehengeblieben ? Richtig , ich hab's ! wie gewöhnlich bei der argen , hinterlistigen , nichtsnutzigen Welt und ihren Nücken und Tücken , und was ich sagen wollte , ist folgendes , Leonhard : Hier sitze ich , und Nippenburg sagt , ich saufe . Dem ist aber nicht so , sondern es ist nur ein langer Weg von der Wartburg im Lande Thüringen zu hiesigem hochlöblichem Wegebauamt , auch ein intrikater Weg , welchen man nur mit Philosophie und Geduld findet und nicht ohne geistige Stärkungsmittel wandelt , wenn man ihn gefunden hat . Innere Beschaulichkeit ist meine Force , und in ihrem Namen heiße ich dich , Leonhard Hagebucher , im warmen Schoße der Mutter Germania willkommen und sage dir und allhier gegenwärtiger hochachtbarer Verwandtschaft meine Meinung , weil wir doch deshalb von der Einladung des Vetter Steuerinspektors Gebrauch gemacht haben : Ich bin ein alter Mann , und meine Reputation ist nicht die beste ; Geld und Gut habe ich nicht , aber Philosophie ist meine Freude , und die will ich mit dir teilen , du afrikanischer Taugenichts . Komm zu mir , Leonhard Hagebucher , wenn die andern dich nicht wollen . Für ein paar Jahre , hoff ich , reicht der Lebensmut noch aus ; ein alter Bursch verläßt den andern nicht , und – Germania sei 's Panier ! Ratsschreiber zu Nippenburg ! Haben sie mich nicht auch dazu gemacht , Anno fünfundzwanzig , als ich noch einige Grade weiter herunter war als du , mein Junge ? Gehe mit mir auf die Landstraße , Leonhard – holla , wohin will die Base Schnödler ? « » Mein Teil Anzüglichkeiten und Grobheiten habe ich mit Geduld angehört : jetzt aber hab ich mein voll gerüttelt und geschüttelt Maß . Sieh nach dem Wagen , Schnödler ; – Base Hagebucher und Herr Vetter , ich bitte , es nicht für ungut zu nehmen , wenn mein Rat und meine Meinung in eurem Hause Ombrage und Ärgernis erregt haben , sie waren gut gemeint ; aber allzuviel laß ich mir auch nicht bieten . Sieh nach den Pferden , Schnödler , und empfiehl dich den Herrschaften , und was den Herrn Afrikaner betrifft , so mag er tun und lassen , was er will , und was den Herrn Wegebauinspektor Wassertreter angeht , so sage ich nichts , als daß ich seine gehorsamste Dienerin bin , aber meine Ansicht über ihn nur aus christlicher Barmherzigkeit bei mir behalte . Guten Abend . « Guten Abend kann jeder sagen ; aber die Tante Schnödler konnte den freundlichen Wunsch auf eine ganz besondere Art ausdrücken – siehe , es war gleich einem Habichtschrei über einem Hühnerhofe , gleich einem Steinwurf in einen Sperlingshaufen ! Mit Flattern und Flügelschlagen erhob sich die Verwandtschaft , und jegliches Temperament brachte sich in seiner Weise zur Geltung . Vergeblich suchte die Mutter Leonhards durch Bitten und Beschwörungen die erregten Gemüter zu besänftigen . Jedes gute Wort fiel gleich einem Tropfen Öl in das Feuer , und nur um das Truthahnsgekoller in der Versammlung auszurotten , hätte jemand dem Onkel Stadtrat und dem Vetter Sackermann den Hals umdrehen müssen , und selbst der Elfenbeinhändler vom Weißen Nil hielt sich innerhalb der Grenzen der gebildeten europäischen Welt und tat diese Tat nicht . Der Steuerinspektor Hagebucher , der Vater des Hauses , welcher der Majorität der Verwandtschaft und vor allem der Tante Schnödler vollständig recht in ihren Anschauungen gab und im Innersten seiner zahlenkundigen Seele den Vetter Wassertreter zu Atomen verrieb , sagte nichts als : » Da haben wir's . « Er verschwand hinter den Wolken seiner Pfeife und rührte sich nicht von seinem Stuhl ; denn wie er seine Leute schätzte , so kannte er sie auch und wußte , daß unter bewandten Umständen kaum eine Macht des Himmels , geschweige denn eine irdische Gewalt die Bande der Freundschaft , Neigung und Liebe für den heutigen Abend wieder fest zuziehen könne . Der Familienrat löste sich auf in seine einzelnen Bestandteile , die Agnaten und Kognaten zogen ab , wie sie gekommen waren , jeder und jede mit dem befriedigenden Bewußtsein , höchst praktisch , verständig und wohlwollend einem sehr zerfahrenen und verfahrenen Zustande gegenüber die Ehre und das Ansehen der Gevatternschaft vertreten zu haben . Die gelbe Kutsche verschwand in dem Staube der Landstraße ; die Pappelbäume zeigten wieder einmal , daß sie imstande seien , einen sehr langen Schatten zu werfen , und der Vetter Wassertreter zeigte , daß er dasselbe tun könne . Er hielt aus und saß dem grimmig schweigsamen Steuerinspektor stumm , aber behaglich gegenüber und schob erst , als es vollständig Dämmerung geworden , die kurze Pfeife in die Brusttasche . » Tue mir die Liebe an und laß dem Jungen seine Zeit « , sagte er aufstehend . » Wenn aber nicht , so zeige , daß du ein gutes Herz hast , mach dem Jammer ein Ende und wirf den Lump schnell aus dem Hause . Frau Base , ich sage meinen schönsten Dank für die angenehme Unterhaltung ; gib mir einen Kuß , Lina , und sage dem Leonhard – na , laß nur , ich will ihm schon selber meine Meinungen sagen . Horch , Philomele schlägt im Gebüsch , und dort steigt der silberne Mond über den friedlichen Hütten des Dorfes auf . Jetzt holt der Mensch sein treues Roß aus dem Stall der Schenke , und einsam trabt der Einsame zu seinem einsamen Gezelt . Auch meinerseits guten Abend ! « » Guten Abend ! « sagte der Vater Hagebucher sehr kurz und rührte sich auch dieses Mal nicht vom Platz . Die Mutter Leonhards aber begleitete den Wegebauinspektor bis zu der Tür des Gartens : » O Vetter , Vetter , was soll daraus werden ? « » Ja , Base Hagebucher , diese Frage habe ich sehr häufig an das Schicksal gestellt und selten die Antwort bekommen , welche ich zu hören wünschte . Im letzten Grunde lebt man nur deshalb , und das ist wenigstens ein Trost . Wer will so ungeduldig sein ? Auch beim Wegebau kann man lernen , daß die Vorsehung ihre Zeit haben will . Wünsche eine geruhsame Nacht , Base ; hören Sie , jetzt geht der Alte drinnen los – jaja , ich weiß schon seit dem Jahre siebenzehn , daß wir in einer kuriosen Welt leben . Wünsche recht wohl zu ruhen , Base Hagebucher . « Sechstes Kapitel Wo war der Mann aus Troglodytice geblieben ? In dem Augenblicke , in welchem die Tante Schnödler und mit ihr sämtliche Verwandtschaft rauschend und entrüstet emporfuhr , hatte er sich geduckt , war hinter dem Rücken seiner Lieben an der Wand dahingeschlichen , hatte mit einem Sprung die Haustür erreicht und mit einem zweiten Sprunge über die Gartenhecke hinter dem väterlichen Hause das freie Feld . Seit ihn die Baggaraneger jagten und fingen , hatte er nicht eine solche Gelenkigkeit der Glieder entwickelt , war er sich nicht einer solchen Schwung- und Schnellkraft bewußt geworden ; aber wie die Baggaraneger blieben ihm auch die süßen Heimatsgefühle auf den Fersen , und er konnte ihnen nicht entwischen . Da lag er im Grase unter der Hecke , atmete aus und zitierte einige auf die Tante Schnödler bezügliche Stellen des Korans ; dann fielen die Schatten des Abends auch über ihn , der Mond ging ebenfalls über ihm auf , und er Leonhard Hagebucher – sprach ein anderes Wort aus , welches der Prophet freilich nicht gesagt hatte und welches nicht nachgeschrieben werden kann , ohne den Anstand bedenklich zu verletzen . Nur ganz allmählich gewann die Grille in dem Schlehenbusch neben ihm den schrillen Heimatstönen in seiner Seele die Dominante ab ; mit leisem Gegurgel schien sich das seichte Wasser des Feldgrabens in die Tiefe der Erde zu verlaufen , und ähnlich gurgelnd verliefen sich die hohen Wasser , die vor einer Stunde noch in der väterlichen Wohnstube so arge Wellen geschlagen hatten . Am Rande des Grabens saß der Afrikaner , zog die Knie gegen das Kinn in die Höhe , umschlang die Schienbeine mit den Händen und gelangte in dieser dem Nachdenken so günstigen Positur zu der Überzeugung , daß der heutige Tag ihm kein verlorener gewesen sei . Merkwürdig , merkwürdig ! Was war der beste Wille , die Zeiten der Vergangenheit zu alter , vergnüglicher , bunter Lebendigkeit wiederaufzufrischen , gegen die Ankunft der gelben Kutsche von Nippenburg ? Was war alles Zurücksehnen , Zurückträumen , Zurückdenken gegen den Onkel Stadtrat und den Onkel Sackermann , welche beide in Fleisch und Blut das , was gewesen war und noch war , auf das gediegenste zur Erscheinung brachten ?! Das innigste und eifrigste Bestrehen , mit dem Gefühl , dem Verstande , der Vernunft , der Phantasie , mit dem süßesten Ahnungsvermögen den Dingen der Heimat wieder beizukommen , hatte sich als ein nichtiges , sehr vergebliches Abquälen erwiesen : vor diesem Familienkonklave aber waren die sieben Siegel wie von selber aufgesprungen . In klarster Beleuchtung lagen die stillen Gefilde der Kindheits- und Jünglingsjahre vor Herrn Leonhard Hagebucher da ; es war nicht mehr nötig , ihren Mysterien nachzugrübeln und sich den Kopf darüber zu zerbrechen . Wie der deutsche Mond höher stieg , fing das Wasser , welches mit dem schon beschriebenen Gegurgel den Graben durchschlich , an , hie und da lieblich zu schimmern , und der leider schon vom ehrlichen Wandsbecker Boten lyrisch verwendete weiße Nebel machte sich ebenfalls auf den Wiesen bemerkbar . Der Mond schien dem Mann aus dem Tumurkielande auf den Kopf , der Nebel stieg ihm in die Nase , und er – Hagebucher – ließ die Schienbeine fahren , schnellte empor , stand hoch aufgerichtet in der holden Nacht , rieb die Hände und hub an – leise vor sich hin zu lachen . Er lachte , der Barbar , er wagte sogar , laut zu lachen , der verwilderte Unmensch ; und dann schüttelte er sich , er wagte es , sich zu schütteln : und ohne auf die Gefühle der Tante Schnödler Rücksicht zu nehmen , gratulierte er sich selber zu der soeben zum Durchbruch gekommenen wohltätigen Krisis , und leider hatte er allen zarteren Regungen des Menschenherzens zum Trotz recht . In diesem Lachen hatte er für seine künftige Existenz tausendmal mehr gewonnen , als ihm ganze Säcke voll Seufzer und ein Dutzend von ihm selber wohlgefüllte Tränenkrüge einbringen konnten . Er hatte jetzt wenigstens in einer Beziehung die Überzeugung errungen , daß er während seines Siebenschläferschlafes im Mondgebirge nicht viel daheim versäumt habe und daß somit alles gebrochene , mutlose Fortdämmern und melancholische Hinbrüten über solchen imaginären Verlust recht überflüssig und töricht sei . Was seine jetzige Umgebung während seiner Abwesenheit gewonnen hatte , das konnte er in jedem Augenblicke auch noch haben , und wenn er mehr wollte , so gehörte vielleicht nur eine türkische Ruhe dazu , um jenseits jedes unnützen Schwebezustandes in einer nützlichen Tätigkeit wieder sicher Fuß zu fassen . Er prüfte seine Gelenke und Muskeln und tat den Sprung , das heißt , fürs erste sprang er über den Graben , welcher die nebelige Wiese von dem väterlichen Gütchen schied , und schritt bedächtig mit übereinandergeschlagenen Armen erst durch das feuchte Gras und sodann auf dem engen Fußwege an den Gärten des Dorfes hin . Es war auch die letzte Fest- und Jubelnacht der Maikäfer , deren es in diesem gesegneten Jahre eine erkleckliche Anzahl gegeben hatte . Sie schienen zu wissen , daß ihre Zeit nunmehr um sei , hatten sich zum letztenmal im Tau und Duft der Nacht berauscht und schwärmten in nicht unberechtigtem Leichtsinn in die Unsterblichkeit hinüber . Sie summten durch die Luft und umtanzten Busch und Baum ; in ihrer Trunkenheit gaben sie nicht im geringsten acht auf ihre Wege und flogen dem schier ebenso berauschten Leonhard gegen die Nase oder hingen sich ihm in Haar und Bart . » Hallo , Gesindel « , rief er , » seid ihr auch da ? Recht so , hussa , tummelt euch , nehmt die Stunde , wie sie euch gegeben wird – lustig , lustig , surr , surr , so ist 's recht , und morgen ist 's doch vorbei . Beim Berge Kaf , vivat der Vetter Wassertreter ! « Er lachte abermals hellauf , brach aber schnell horchend ab . Seine wilde Lustigkeit hatte ein melodischeres Echo hinter den Büschen gefunden ; ein lockiges Haupt erhob sich über die Hecke – der Genius dieser Mondscheinnacht des letzten Mais hätte sich nicht neckischer und vorteilhafter verkörpern können : Fräulein Nikola von Einstein – siebenundzwanzig Jahre alt – Hofdame Ihrer Hoheit der Prinzeß Marianne – unverheiratet – – – ach ! – » Er ist es , Lina « , sagte das Fräulein , » nun weine nicht länger , Närrchen ; er sieht keineswegs aus , als ob er mit Selbstmordgedanken umgehe ; tröste dich , Herz , einer geknickten Lilie gleicht er noch lange nicht ; guten Abend , unsträflicher Herr Äthiopier . « Sie reichte dem Afrikaner die Hand über das Gezweig und rief : » O Gott , wie indiskret ! Aber auch welch ein Abend für alle Indiskretionen ! Es freut mich in der Tat , Sie so heiter zu sehen , Herr Hagebucher ; hier hab ich mit dem Schwesterchen in großer Sorge um Sie gesessen . Ist es zu indiskret , wenn ich Sie frage , was für einen Grund Ihnen die Welt für Ihre Heiterkeit seit Mondenaufgang gab ? « » Hören Sie , junge Dame « , sagte Leonhard , » man kann aus der Gefangenschaft bei den Heiden recht schwache Nerven heimbringen . Bedenken Sie , daß ich an solches allerliebste Auffahren aus Hagedorn und Heckenrosen durchaus nicht gewöhnt bin . Fühlen Sie meinen Puls . « Nein , nein , ich danke und glaube Ihnen auf Ihr Wort ! « lachte Nikola . » Aber dies ist die Grenze Von meines Onkels Reich , und das Recht , hier herüberzugucken , lasse ich mir nicht nehmen . « » Ich auch nicht « , sprach der Afrikaner , sich Vorbeugend . » Lina , wo steckst du denn ? « » Hier ! « klang weinerlich die Stimme des Schwesterchens , das auf der Bank saß , auf welcher das Hoffräulein stand . » Ach , Leonhard , ich bin so betrübt um dich , und ich habe mich so geärgert . O Gott , o Gott , laß mich mit dir wieder in die weite Welt laufen ; wir wollen zusammenhalten , Leonhard , und die Mutter , weiß ich , wird auch zu uns stehen , und der Vater meint 's gewiß nicht so bös , und was geht uns die Tante Schnödler und das übrige alberne Volk an ! O Gott , o Gott , wie habe ich mich geärgert – « » Jaja , Herr Leonhard Hagebucher , und da ist sie hergelaufen und hat sich mir in die Arme gestürzt , grad als ich mit dem Haarbesen auf die Fledermausjagd gehen wollte . Nun weiß ich alles , was das Konzil gebrütet hat , und rate Ihnen recht sehr , doch ja Ihr Bestes zu bedenken und so schnell als möglich Ratsschreiber zu Nippenburg zu werden . Warten Sie , ich kenne zehn Schritte weiter abwärts ein Loch in der Hecke – komm , Lina . « Das schöne Haupt der Sprecherin tauchte unter , zwei Sprünge brachten den Afrikaner zu dem besagten Loch ; es rauschte im Gebüsch , ein schlaftrunkenes Vogelpärchen flatterte , aus dem schönsten Traum der Sommernacht geweckt , auf ; mit dem Schwesterchen wand sich Fräulein Nikola von Einstein durch das Gezweig . Die drei standen auf dem schmalen Pfade nebeneinander , und Lina umschlang den Bruder und schluchzte : » Sei nur still , sei nur ruhig ; ich halte gewiß bei dir aus ! Fürchte dich nicht , wir wollen , ja , wir wollen – « » Uns eine Drehorgel kaufen und unsere eigene Geschichte auf eine Leinwand malen lassen und ein Lied davon machen und es absingen auf allen Gassen des Vaterlandes ! « schloß das Hoffräulein den Satz . » Lustig , wir wollen unsere Sparbüchsen zusammenschütten , um die ersten Auslagen dieser Unternehmung zu decken . Vivat ! Vivat ! Herbei aus den Büschen , Oberon und Titania , Puck , Bohnenblüt , Spinnweb , Motte und Senfsamen ! Herbei , ihr Elfen , zur Ratsversammlung ; auch wir können unsere Köpfe zusammenstecken , auch wir können die Finger an die Nase legen . Laßt den Onkel Wassertreter aus der Schenke zum Goldenen Rad kommen , auf daß der Rat vollständig sei ; – ich stimme für den Leierkasten und erbiete mich , das Orgellied in Musik zu setzen . « Wie flüssiges Silber rann der Mondenschein durch die Natur , und in vollen Zügen atmete Leonhard den Zauber und das Leben dieser hellen Nacht ein . Es war wie eine Verzückung über ihn gekommen : er hätte sich die Seiten halten und immer lauter hinauslachen mögen ; es war wie der Rausch eines Opiumessers , und er wußte es und wunderte sich im Innersten seiner vernünftigen Seele selbst über seinen Zustand . Vielleicht würde es ihm sehr wohlgetan haben , wenn er sich eine Viertelstunde lang auf den Kopf gestellt hätte , um in solcher Weise den Überschuß seiner Heiterkeit loszuwerden . Die Figuren , Gruppen , Meinungen und Vorgänge des Tages schlugen auf das närrischste Purzelbäume vor ihm ; das Gleichgewicht aber stellte Fräulein Nikola von Einstein her , da sich Herr Leonhard Hagebucher nicht auf den Kopf stellte wie ein Baggaraneger oder sonst ein Exaltado aus dem Tumurkielande . Sie – Fräulein Nikola – legte ihm jetzt die Hand auf den Arm und sagte ganz ernst : » Armer Freund , wir sollten eigentlich doch nicht so lachen , zumal bei diesem dummen Mondlicht . Am hellen Tage , im Sonnenschein läßt sich weniger dagegen einwenden . Ihre Geschichte ist recht , recht traurig , mein Freund . Auf dem Grenzsteine dort oder noch besser unter dem Wegweiser an der Landstraße wollen wir uns niedersetzen , die Taschentücher hervorziehen und nach denken über unser Schicksal und über den Weg , neben welchem wir stillsitzen . Heute am Nachmittag hab ich Ihnen auch mit Lachen von meinem närrischen Dasein erzählt ; ach , jetzt hätte ich wohl Lust , Ihnen in einem andern Ton eine andere Geschichte von mir zu erzählen , wenn es mir oder Ihnen im geringsten nützlich wäre . Wenn ich ein Mann wäre , so würde ich mir einen nobeln Krieg irgendwo in der Welt aufsuchen und darin etwas tun , was mir Freude machte oder nur Ruhe gäbe oder auch nur die Gelegenheit , mit Gleichmut zu verbluten . Ich hasse diesen Mondenschein , und ich fürchte mich vor diesen surrenden Käfern . Es sind Gespenster des Frühlings , der nicht mehr ist . Sie lügen sich das Leben nur noch vor , und ich bin wie sie und halte mich meiner Nerven wegen in Bumsdorf auf – Maikäfer , flieg , Maikäfer , flieg ! Ach , Herr Leonhard Hagebucher , wir passen recht gut zueinander , Sie und ich ; kommen Sie , wir wollen uns auf den Stein an die Landstraße setzen und warten – warten . Vielleicht lese ich Ihnen auch einmal im Sonnenschein aus dem Buche meines Lebens eine finstere Seite vor . Weine nicht , Lina , mein Herz , es ist doch eine schöne Nacht ; auch für dich wird einst die Zeit kommen , wo du von der Gefangenschaft im heißen Lande Afrika wirst erzählen können . Lustig , lustig , höre nur den Frosch dort – welch ein Komiker ! Satt , zufrieden und dankbar – den Burschen lob ich mir , und horch , wer ist das ? Der Vetter Wassertreter ! Den lob ich mir auch ! Der Vetter Wassertreter ! Vivat der Vetter Wassertreter ! « Welle auf Welle rollten die Fluten des neuen Lebens heran und umspülten wachsend und steigend das Herz des Afrikaners . In jedem Atemzuge fühlte er die Erstarkung über sich kommen ; er hätte eine lange Rede halten müssen , um das in Worten auszudrücken , was in seiner Seele sich ereignete : › Halte den Mund , Mädchen , und schilt mir diese Nacht und diesen Mondenschein nicht ! Du bist zu schön , um zu schelten , und weinen sollst du noch weniger . Wie schön du bist ! Das Licht der Offenbarung ist mit dir aus dem Gebüsch emporgestiegen ; ich war ein Verirrter , doch nun kenne ich meinen Pfad wieder . Was Trauer und Verdruß , was Grübeln und Grämen , was Zerschlagenheit und Apathie ; wenn du mir hilfst , Mädchen , bin ich von neuem Herr in meinem Reich ! Das Leben war mir zerbrochen , wie einem der rechte Arm zerbricht ; ich habe ihn lange , lange in der Schlinge getragen , und jetzt prüfe ich von neuem seine Stärke . Mädchen , ich weiß wieder , in welchem Sinne ich mein Leben begann und wie ich es fortsetzen mag , ohne dem Wahnsinn zu verfallen gesegnet sei die Tante Schnödler , der deutsche Mond und du – du schöne , schöne Nikola von Einstein ! ‹ So oder ähnlich wäre es dem Afrikaner erlaubt gewesen , sich zu äußern : er hätte auch , wie folgt , sprechen können : › Gnädiges Fräulein , Sie haben gleich bei unserer ersten Begegnung einen merkwürdigen Eindruck auf mich gemacht ; denn Sie bedingen für mich einen merkwürdigen Gegensatz zu meiner bisherigen Existenz . Gnädiges Fräulein , einem Manne , welcher zehn Jahre in Abu Telfan im täglichen Verkehr mit Madam Kulla Gulla , ihren Freundinnen , Töchtern , Nichten und so weiter zubrachte , geht der Begriff des Vaterlandes in wundervoller Klarheit und Anmut auf , wenn es ihm auch nur vierzehn Tage hindurch vergönnt ist , täglich einige Male in Ihre Augen zu blicken . Fräulein von Einstein , die schönsten Illusionen der Jugend müssen sich mir notwendig in Ihnen verkörpern . Und was die Tante Schnödler anbetrifft , so bilden Sie auch zu dieser einen angenehmen Gegensatz , gnädiges Fräulein ; und wenn einmal im deutschen Mondenschein , während dem letzten Maikäfergesumme des Jahres einem Menschen in meiner Situation das Tumurkieland und das Vaterland durcheinanderquirlen und das Lachen dem Elend das Beste abgewinnt , so wird jeder Einsichtige dieses der Gelegenheit des Orts , der Zeit und der Umstände vollkommen angemessen finden . ‹ Herr Leonhard Hagebucher äußerte sich weder auf die eine noch die andere Art , er rief : » Der Vetter Wassertreter ! Wahrhaftig , es ist der Vetter Wassertreter ! « Der Mond lächelte gar vergnüglich herab , und von der Landstraße her erklang es etwas rauh und unsicher , aber jedenfalls sehr heiter : Wir hatten gebauet Ein stattliches Haus – Der Herr Wegebauinspektor und Vetter hatte die Gastfreiheit der Muhme Hagebucher nicht verachtet ; aber er verachtete auch den Krug zum Goldenen Rad nicht . Er hatte tapfer auf dem Familientage standgehalten und ebenso tapfer den Notabeln des Dorfes in der Schenke . Er hatte jedem , der ihn trocken oder naß anging , Bescheid getan . Gestärkt , friedlich und wohlwollend zog er jetzt auf seiner Landstraße heim und seinen Gaul am Zügel hinter sich her . Seine Schuld war es nicht , daß weder das Gebäude der deutschen Burschenschaft noch der Hagebuchersche Familienfriede unter Dach kamen ; er hatte das Seine redlich getan und kümmerte sich um üble Nachreden nicht im mindesten . Als ihn Lina anrief und ihm mit den beiden andern in den Weg trat , betätigte er durchaus keine ungewöhnliche Verwunderung , sondern nahm auch diesen guten Augenblick , wie er ihm gegeben wurde , schob die Mütze noch ein wenig mehr auf den Hinterkopf , drückte den Tabak in der kurzen Pfeife fest und sagte : » Guten Abend ! Ich wünsche der Jugend alles nur mögliche Pläsier miteinander . « » Danke , Herr Vetter « , erwiderte das Hoffräulein , » ich habe bereits wie gewöhnlich Ihr Loblied gesungen , und wir wissen , wie wir es meinen . Wir hielten soeben auch eine Ratssitzung zwischen den Büschen in Sachen Herrn Leonhard Hagebuchers und vermißten Sie sehr dabei , Wegebauinspektorchen . Sie haben so gut zwischen vier Wänden gesprochen , wollen Sie uns nicht auch noch ein Wörtchen hier im Mondenschein und im Grünen sagen ? « » Im Grünen und im Mondenschein , ihr Narren « , brummte der Alte , » das ist wahrlich die rechte Zeit und Gelegenheit für uns , Rat zu geben und zu nehmen . Ei freilich , die Vögel , die zueinandergehören , finden einander , und lockt der eine im Zaun , so antworten zwanzig seinesgleichen aus dem Roggenfeld , dem Walde oder von der Wiese . Mondschein und Grünkraut , unsereiner , der aus dem Jahre siebenzehnhundertachtundneunzig stammt , weiß freilich davon zu sagen . Es war eine schöne Zeit , als man neunzehn Frühlinge durchlebt hatte und in Kompanie mit den tapfern und treuen deutschen Fürsten und ihren frommen Ministern das neue heilige Reich baute . Vor dem Krachen des groben Geschützes bis zum Jahre fünfzehn hatte sich das Gewölk zerteilt , und ganz Deutschland lag in der silbernsten Beleuchtung unter unsern Berggipfeln . Junges Volk , Kreuzhimmeltausenddonnerwetter , das war eine liebliche Zeit , eine schöne Zeit , die Zeit der Halluzinationen und die Zeit für die Halunken ! O Freiheit , die ich meine – sämtliche Zuchthäuser und Kasernen von Gottes Gnaden verwandelten sich in gotische Dome , und für jeden schwarzen Sammetrock erzog eine deutsche Mutter eine deutsche Jungfrau mit blondem Haar und blauen Augen . O verflucht – das war über alle Beschreibung ; aber ein Glück war's , daß die Tante Klementine damals erst die Wände beschrie , sie hätte mich sonst ganz gewiß bei meinen süßesten Gefühlen gepackt . Mondschein und Maikäfer ! Fräulein von Einstein , sehen Sie es mir noch an , daß ich einstmalen an den Kaiser im Kyffhäuser geglaubt und die Gitarre dazu geschlagen habe ? Jaja , wir waren alle auf dem Marsche nach Utopia , gleich dem Afrikaner dort , als er von der Universität durchbrannte ; und als wir uns wie er im Tumurkielande wiederfanden , in dem › guten Land , wo Lieb und Treu den Schmerz des Erdenlebens stillt ‹ – nämlich auf der Festung , da hatten wir diesen Karlsbader Beschluß des Schicksals dankbarlichst zu akzeptieren und unsern Mainachtsrausch ohne weiteres Gesperr , Gezerr und Gezappel zu verschlafen . Als wir dann erwachten , war ein höchst ungemütlicher Tag heraufgedämmert . Der Himmel grinste uns so erbärmlich grau an , als wir es verdienten , und jeder Hanswurst , Narr , dumme Junge und Enthusiast bekam seinen Tritt , der ihn bergab in den Sumpf , in den düstern Keller , in den Winkel expedierte . Im Winkel bin ich sitzengeblieben , und wenn das Loch verschlossen sein sollte , Leonhard , so liegt der Schlüssel auf dem Vorplatz unter dem Uhrkasten . Den Küchenschrank kennst du ja wohl noch aus deiner Knabenzeit : die Knasterrolle hält sich seitwärts im Kabinette hinter der Tür auf . Du bist zu jeder Zeit willkommen , wie ich dir schon vorhin sagte , mein Junge ; und mehr Glück hast du auch als der Vetter Wassertreter , solches ist mir längst klargeworden . « Es fiel in diesem Augenblicke eine Sternschnuppe , und hastig fragte das Hoffräulein : » Was dachtest du eben , Lina ? « » An meines Bruders Glück . « Und der Gedanke war ein Wunsch – ohne Zweifel ! Was haben wir noch nötig , hier Rat zu halten ? Der Schlüssel zu des Vetters Gemächern liegt unter dem Uhrgehäuse , im Fall der Vetter nicht zu Hause sein sollte : merken Sie sich das , Herr Leonhard Hagebucher . Herr Vetter , ich rekommandiere mich Ihren Ratschlägen ; Lina , ich empfehle mich deinen süßen Wünschen ; übrigens wird es kühl und feucht ; daß wir allesamt sehr kluge und gescheite Leute sind , haben wir wieder einmal bewiesen und erfahren ; gute Nacht , gute Nacht ! « » Gute Nacht , mein Allergnädigstes « , sagte der Wegebauinspektor mit ungemeiner Zärtlichkeit und wandte sich , als das Hoffräulein durch das Loch in der Hecke des Bumsdorfer Gutsgartens verschwunden war , zu den beiden Verwandten : » Schlafe auch du wohl , Lina , mein Herzblatt ! Komm ich wieder , so bring ich dir eine große Düte voll Zuckerwerk mit , und nach einem guten Mann werde ich mich seinerzeit gleichfalls umgucken , sollte ich ihn bis in den Mond suchen müssen . Vergiß den Schlüssel unter der Uhr nicht , Leonhard . Es ist eine nichtswürdige Welt ; allein : das rechte Burschenherz Kann nimmermehr erkalten , Im Ernste wird , wie hier im Scherz , Der rechte Sinn stets walten ; Die alte Schale nur ist fern , Geblieben ist uns doch der Kern , Und den laßt fest uns halten . O jerum , jerum , jerum ! O quae mutatio rerum ! « Der Schlußreim des alten Studentenliedes verhallte fern auf der Nippenburger Landstraße , die der Vetter Wassertreter in so preislichem Zustande erhielt ; auf den Zehen schlichen Leonhard und Lina heim , und wenn der Afrikaner nicht von der Tante Schnödler träumte , so konnte er von dem Fräulein Nikola von Einstein träumen . Der Mond ging unter zu seiner Zeit , der Maikäfertanz nahm auch sein Ende , es wurde noch einmal recht dunkel und kühl , ehe das Licht des neuen Tages kam . Durch die Natur zog mehr als ein Schauern und Frösteln , vor dem die letzten Schwarmgeister und Musikanten der ersten Sommernacht in Luft und Gezweig abfielen und vergingen oder doch scheu unterduckten und sich verbrochen . Siebentes Kapitel » Nun sage mir , ob diese Gegend nicht daliegt wie Goethes sämtliche Werke in vierzig Bänden ? « rief der Vetter Wassertreter , mit beiden Backen kauend und mit der Spitze des aufgeklappten Taschenmessers einen weiten Halbkreis vor sich in der Luft beschreibend . Leonhard Hagebucher , noch immer schweigsam und wortkarg , nickte dem Gleichnis seine Billigung und hielt sich gleichfalls con amore an den nahrhaften Inhalt des geöffneten Schnappsacks . Es waren ungefähr acht Wochen seit den in den beiden vorigen Kapiteln beschriebenen Szenen vergangen , es war ein schöner , heiterer Morgen und die Stunde , in welcher der gesunde Mensch , der früh aufstand , die Scheu des Leeren in hohem Maße zu empfinden berechtigt ist . Der alte und der junge Vetter saßen auf einem Haufen zerschlagenen Basalts unter einem Apfelbaum an der fürstlichen Landstraße ; der Gaul des Wegebauinspektors stand friedlich und fromm daneben und riß mit lang vorgestrecktem Halse das Gras aus dem Graben . In Duft und Glanz lag die Nähe und die Ferne , und der Vetter Wassertreter wiederholte : » Goethes sämtliche Werke ! Von diesem Steinhaufen bis zum Horizont und hinaus über den Horizont sagt alles mit Behaglichkeit : Blättern Sie weiter , auch über die nächste Seite scheint die Sonne ! ... Vierzig Bände Weltruhms , zweiundachtzig Lebensjahre und nur vier Wochen ungetrübtes Glück oder besser eigentliches Behagen – welch ein Trost für uns alle dieser alte Knabe in seiner Fürstengrube zu Weimar ist ! Ob man ein großer Poet und Staatsminister oder ein kleiner Narr und Wegebauinspektor ist , bleibt sich am Ende verflucht gleich – ein Vivat allen guten wackern Gesellen zu Wasser und zu Lande , auf ebner Erde und auf den goldenen Wolken im blauen Äther , den guten wackern Gesellen , die aushalten und sich nicht irren lassen und bei jeder Witterung den Tag preisen . Tue , was du willst , Leonhard , aber in allen Lagen nimm dir ein Exempel an dem alten Geheimen Rat und an dem Vetter Wassertreter ; stirbst du jung , so wirst du das Deinige genossen haben , stirbst du alt , so kannst du dich in Ruhe einen Quietisten , Lumpen , oder wie es dem Pöbel sonst beliebt , schimpfen lassen : du hast , was dir gehört , gerettet und kannst die Leute reden lassen . « » Das ist alles recht schön « , sagte Leonhard Hagebucher kläglich , » aber fürs erste handelt es sich für mich weniger darum , die Nase hoch zu tragen , als sie aus dem Schlamm zu ziehen . Alles Schlagen mit Händen und Füßen versenkt mich nur immer tiefer in den Morast ; noch eine kurze Zeit , und der arme Teufel ist verschwunden , und der Vetter Wassertreter kann ihm ein Denkmal setzen mit der Inschrift : Hier liegt der Tropf , seines Schicksals würdig . Daheim im Tumurkielande – « » Daheim ? « rief der Vetter in fast kläglicherem Tone als der Afrikaner . » Daheim im Tumurkielande ! Also so weit bist du schon herunter ? Es wäre freilich nicht zu verwundern ; aber traurig ist 's doch . Armer Bursch , die Gefangenschaft hat dich grenzenlos verwöhnt – statten wir der Madam Klaudine einen Besuch ab ; auch das wäre kein Wunder , wenn sie den Rat für uns hätte , den wir nunmehr schon wochenlang vergeblich in allen Ritzen und Winkeln suchen . « » Wer ist diese Madam Klaudine ? « fragte Leonhard . » Ich höre diesen Namen nicht zum ersten Male , und immer wird er mit einer gewissen melancholischen Betonung ausgesprochen . Wer ist diese geheimnisvolle Madam Klaudine ? « » Eine Frau , welcher du schon längst einen Besuch gemacht haben solltest , Sohn Afrikas . Jetzt haben wir noch einige restaurierte Abzugsgräben und den Weg am Nonnenkopf , über welchen mir neulich der Wolkenbruch so niederträchtig herfiel , zu revidieren ; – im Ochsen zu Fliegenhausen halten wir Mittag und Mittagsruhe , und nachher gehen wir zur Madam Klaudine . Im Laufe des Tages werde ich dir dieses und jenes von der Frau erzählen . Sammle die übrigen Brocken und laß uns wandern . « Leonhard Hagebucher erhob sich , und der Vetter Wassertreter bestieg von neuem sein Roß . Sie verbrachten den Morgen ihrem Programm gemäß , zählten Steinhaufen , untersuchten Wasserläufe und Gräben und hielten allen die grüne Ferne durchschnurrenden Eisenbahnzügen zum Trotz ihre Wege rein und in gutem Zustande . Gemütlichkeit und Grobheit wechselten in den Kundgebungen des Vetters den Umständen und den Leuten gemäß , mit welchen er es in seinem Amte zu tun hatte , und was er von der Madam Klaudine zu erzählen wußte , erzählte er . Leonhard hatte wiederum Gelegenheit , sich in manchen Dingen zu orientieren , die ihm sehr neu erschienen , es aber keineswegs waren . » Fliegenhausen wird dir wohl noch bekannt sein , und der Katzenmühle wirst du dich ebenfalls noch erinnern « , sprach der Vetter Wassertreter . » Solch ein deutsches Dorf hält seine Erscheinung und seinen Geruch mit merkwürdiger Zähigkeit fest , und aus dem Boden wächst immer dasselbige Geschlecht , und im Ochsen steht der Eichentisch noch auf derselben Stelle , auf welcher er vor fünfzig Jahren stand . Mit der Mühle ist das anders , und du wirst ja sehen , was davon übriggeblieben ist . Den Bach hat der Teufel – wollt ich sagen , das neunzehnte Jahrhundert geholt , und es ist ein Jammer und Schaden um seine Forellen . Den Katzenmüller mitsamt seiner Familie hat der Teufel wirklich geholt und via Bremen nach Amerika expediert , wo es ihm besser geht , als er's verdient . Im Jahre einundfünfzig waren Bach , Mühle , Müller , Müllerin und Müllertochter noch im lustigsten Flor ; um Weihnachten zweiundfünfzig aber , als Madam Klaudine ankam , ging es zu Ende mit allem : die hübsche Karoline war in das Landeszuchthaus abgeliefert , die beiden Alten rüsteten sich zu ihrer Fahrt über die See , und oben im Lande war bereits der Grund zu den Fabriken gelegt , welche den Bach fraßen . Das ist so eine einfache Geschichte , so eine Art Dorfgeschichte , ohne Glanzwichse , Pomade und Kölnisches Wasser . Das schöne Müllermädchen spielte natürlich die Hauptrolle in dem Trauerspiel , das Kriminalgericht fand sich berufen , allerlei Dorfgerüchten nachzugehen – eine Kindsleiche wurde irgendwo gefunden im Bach , im Fichtengrunde , unter dem Düngerhaufen , wer weiß wo ! – Es ist auch einerlei , die Geschichte ist seitdem bereits wiederum einige Male in der Umgegend passiert ; die hübsche Sünderin hat ihre acht Jahre Zuchthaus hinter sich und ist Anno sechzig ihren Eltern nach Missouri gefolgt , soll nach einem Gerücht einen Quäker geheiratet haben , nach einem zweiten und wahrscheinlicheren aber die Bestimmung des Weibes zu Utah im Mormonenlande zu erfüllen suchen . Das alles hat nicht das geringste mit Madam Klaudine zu schaffen ; die hat ihre eigene Historie , welche jedoch im Grunde ebenso einfach wie die der Familie in der Katzenmühle ist . – Im Februar des Jahres achtzehnhundertzweiundfünfzig fiel hierzulande ein starker Schnee , von welchem ihr in eurem Afrika unter dem Äquator wohl kaum etwas gespürt haben mögt . Es war , als ob der Welt nach den politischen Aufregungen der jüngstvergangenen Jahre das Deckbett für einen gesunden Schlaf von einem halben Säkulum aufgelegt werden sollte . Acht Tage hindurch währte der Spaß , und das ist dann die rechte Zeit für unsereinen , welcher der Menschheit die Wege offenhalten soll und selber nicht durchkann . Herrgott , und nachher will einen die Tante Schnödler und die Kusine Mauser und die ganze übrige Verwandtschaft an seiner roten Nase zupfen und die eigene rümpfen ! Tag und Nacht bis an den Hals im Schnee oder im Wasser – Tag und Nacht keine Ruhe – Herr Inspektor vorn , Herr Inspektor hinten – von der hohen vorgesetzten Behörde Tritte , Knüffe und Püffe , daß einem der Kopf summt und man seine Seele mit Vergnügen auf dem ersten besten trockenen Bund Stroh ausächzen möchte . Na , du hast ja auch , mancherlei erlebt , Leonhard , und wirst dir eine Vorstellung davon machen können ! – Bei so bewandten Umständen rief mich nun damals meine Amtspflicht auch in das Eichental hinter Fliegenhausen , wo die Poststraße durch die Schneemassen vollständig verschüttet war und die Bauernschaft mit Aufbietung aller Kräfte den ganzen Tag über an der Aufräumung derselben gearbeitet , aber für jede Schaufel voll , die sie zur Seite warf , drei Scheffel voll über die Köpfe bekommen hatte . Der Wind wurde mit zunehmender Dämmerung immer boshafter und tat nach bestem Vermögen das Seinige , um unsere Mühen vergeblich zu machen ; es konnte in der Tat keine bessere Gelegenheit geben , eine angenehme Bekanntschaft zu machen , und so ließ mich denn auch der Himmel die Madam Klaudine auf meiner Chaussee finden . Trotz allen Hindernissen und Schrecken des Wetters hatte eine von der Residenz kommende Extrapost sich Bahn gebrochen bis zum Eingang des Fliegenhäuser Tales , wo sie denn aber doch endlich steckenblieb . Ein junger , stattlicher , sehr aufgeregter Mann – ein Offizier in Zivilkleidung , arbeitete sich durch die Schneewehen , um uns zu Hülfe zu rufen . Ich hielt ihn im Anfang für betrunken , er war 's aber nicht , und ich erfuhr bald , daß er Grund zu seiner Aufregung hatte . Sein Kutscher war ohne allen weiteren Zweifel betrunken , eines der Pferde zusammengebrochen und der Wagen selbst so tief versunken , daß er kaum noch aufzufinden war . Die Dame im Wagen lag ohnmächtig – im Fieber – dem Tode nahe ; und mit gerungenen Händen schrie mir der junge Herr zu : › Es ist meine Mutter ! Helfen Sie mir , o helfen Sie uns ! Es ist meine Mutter , welche stirbt ; wo können wir sie , wenn auch nur für einige Stunden , unter Dach bringen ? ‹ – Ganz Fliegenhausen stand nunmehr im Kreise um den versunkenen Wagen und kratzte sich hinter den Ohren , und mir für mein Teil erschien die Geschichte kurios und verwunderlich genug . Die Leute sahen anständig und vornehm aus ; aber auf den ersten Blick mußte man erkennen , daß der Unfall und das arge Wetter sie nicht allein bedrängten . Sie erschienen wie Menschen , die von einem plötzlich ausbrechenden Feuer aus dem Schlafe aufgeschreckt und aus ihrem brennenden Hause gejagt wurden ; eine wilde , hastige und doch stumpfsinnige Verzweiflung sprach aus jedem Wort , jeder Gebärde des jungen Mannes , und der stupideste meiner Arbeiter und Bauern wich betroffen vor seiner krankhaften Heftigkeit zurück . An einem solchen ärgerlichen , mühevollen Tage hat man jedoch genug zu tun , wenn man auf das Nächste und Nötigste achtet und , wenigstens für den Augenblick , zur Seite liegenläßt , was einen für den Augenblick nichts angeht . Das nächste Obdach bot die Katzenmühle , und dorthin brachten wir , nicht ohne Anstrengung , die erschöpfte Frau . Wir hatten lange zu pochen und zu klopfen , ehe man uns die Tür öffnete ; die beiden Alten waren nicht in der Stimmung , barmherzig und milde gegen die Welt zu sein , und man konnte es ihnen auch kaum verdenken . Das Elend suchte bei dem Elend Schutz , und das ist immer und allewege ein ander Ding , als wenn das Glück mit Lachen das Glück zum Tanz auffordert . Die Müllerin war natürlich noch widerborstiger und grimmiger als der Müller und wehrte sich am längsten gegen unser Eindringen in ihren dunkeln Jammerwinkel . Endlich wich auch sie halb der Gewalt , halb der Überredung und verkroch sich grollend zu ihrem Mann hinter den Ofen . Wir legten die kranke Dame auf ihrem Bette nieder und konnten nunmehr kaum noch etwas für sie tun . Ich versprach , wo möglich den Arzt von Nippenburg herüberzuschicken , aber die Kranke wies , ebenfalls mit großer Heftigkeit , diesen Dienst zurück . So nahm ich denn Abschied und zog mich mit meinen Bauern und Straßenknechten nach Fliegenhausen zurück . Wir waren gleich einem geschlagenen Heer ; der Sturm und der Schnee hatten das Feld siegreich behauptet ; den Wagen der Fremden mußten wir lassen , wo wir ihn gefunden hatten , und froh sein , daß wir noch die Gäule und den Kutscher retteten . Wenn ich den festen Entschluß hatte , schon am folgenden Tage die Katzenmühle wieder zu besuchen , so lag es nicht an mir , wenn ich ihn nicht zur Ausführung brachte . Ich hatte mir aus dem Schnee der letzten Tage ebenfalls ein Fieber geholt , welches mich unsern Herrgott in seinem Zorn erkennen ließ , mich in einem Federbett halb erstickte und halb mich in Strömen von Kamillentee ersäufte . Erst nach Wochen ritt ich wieder durch Fliegenhausen und dachte dann zum erstenmal wieder an jene Begegnung im Unwetter , welche ich dir beschrieb . Der Schnee war jetzt längst zu Wasser geworden , und der Frühling regte sich schon überall in den Büschen und unter den Büschen . Mir war recht wohl zumute , und in solcher sehr glücklichen und leichtherzigen Gemütsstimmung trabte ich denn auch zur Katzenmühle und rief mit lautem Hallo nach dem Müller , um mich nach seinen Gästen und ihren fernern Schicksalen in seiner Behausung zu erkundigen . Der Mensch soll aber ja nicht meinen , daß die Welt auf ihn wartet , während er , mit über die Ohren gezogener Nachtmütze im Bett liegend , schwitzt und Tee trinkt . Die Katzenmühle fand ich noch vor , aber den Katzenmüller und die Katzenmüllerin nicht mehr ; sie waren abgezogen nach Amerika , und an ihrer Stelle saß die Madam Klaudine in der Katzenmühle , und die Madam Klaudine war jene ohnmächtige Dame , welche ich mit Hülfe der Fliegenhäuser Bauernschaft aus dem Schnee aufgrub . Eine Magd wies mich zuerst von der Tür fort , wie uns an jenem stürmischen Abend der Müller abgewiesen hatte . Der Herr Leutnant sei in die Fremde gegangen , und Madam Klaudine sei unwohl und nicht zu sprechen , hieß es . Der Vetter Wassertreter aber hat sich nicht umsonst dem Wegebau gewidmet , er fand seinen Weg zu der geheimnisvollen Frau , und nicht zu ihrem Schaden : denn die frommen Hirten und biedern Ackerbebauer der Gemeinde Fliegenhausen machten ihr bereits das Leben sauer genug . Ich fand häufig Gelegenheit , mich der Frau nützlich zu machen und ihre Ruhe und Behaglichkeit gegen die Nachbarschaft , der das › Wesen ‹ gar nicht gefiel , in Schutz zu nehmen . Daß ich etwas Vertrauenerweckendes in und an mir habe , hat die Base Klementine mir noch nie abgestritten , und so bin ich denn im Laufe der Jahre ein guter Freund der Madam Klaudine geworden , und wir wissen , was wir aneinander haben . Sie sitzt still in einem großen Schmerze und würde ihr Geschick gewiß gern um deine Gefangenschaft zu Abu Telfan vertauscht haben ; aber ihr Leid ist ebenfalls nicht neu , ihre Historie ist sowenig zum erstenmal auf Erden passiert wie die der schönen Müllerin . Diese Frau , welche wir hier Madam Klaudine nennen , ist die Gattin eines hochgestellten Beamten , der einer Kriminaluntersuchung nur dadurch entging , daß er in dem Augenblick , als der Verhaftungsbefehl ihm vorgezeigt wurde , wie man sagt , am Schlagfluß starb . Ihr einziger Sohn glaubte seine Ehre mit der seines Vaters verloren und warf in unverständiger Verzweiflung alles von sich , was sein Leben bis dahin bedingt hatte . Als die Katastrophe über sein Elternhaus hereinbrach , muß sie ihn als einen verweichlichten , verwöhnten Knaben gefunden haben ; denn er besaß nicht die Kraft , seine Persönlichkeit , sein . Ich in dem gewohnten Lebenskreise zu behaupten , sondern ließ alles hinter sich und floh wie dein Landsmann , der Vogel Strauß , um irgendwo den Kopf in den Sand zu stecken . Die Mutter steht natürlich für die Richtigkeit seines Verhaltens ein ; sie ließ sich ebenso natürlich in dem Augenblick der Glückswende von ihm fortreißen und wäre ihm bis ans Ende der Welt auf seiner Flucht in das aschgraue Ungewisse gefolgt , wenn nicht glücklicherweise der große Schnee sämtliche Eisenbahnlinien verweht und sogar die Poststraße des Vetters Wassertreter am Eingange des Eichentals von Fliegenhausen gesperrt hätte . So sitzt sie nun länger als zehn Jahre in der Katzenmühle und harrt auf die Rückkehr ihres Sohnes , und wie ich glaube , warten andere Leute mit ihr darauf . Daß der junge Herr noch am Leben ist , steht der Mutter unzweifelhaft fest , aber desto zweifelhafter ist mir , was er aus sich gemacht hat . Der Unterhaltungsstoff ist uns während dieser zehn Jahre nicht ausgegangen ; wir wissen im Sommer wie im Winter , worüber wir zu schwatzen haben , und im Notfall können wir träumen nach Belieben . Du wirst eine schöne , alte Frau , eine weise Frau , eine Heldin kennenlernen , Leonhard Hagebucher . Wenn du im Tumurkielande dein Elend mit solchem Anstand trugest wie Madam Klaudine Fehleysen das ihrige in der Katzenmühle , so mache ich dir mein allergehorsamstes Kompliment . Himmelsackerment , nun sieh einmal an , wie mir die Lümmel hier den Winterweg zugerichtet haben ! Die ganze Böschung ruiniert ! Wie viele besoffene Kotsassen und Brinksitzer haben mit ihren Mistwagen hier im Graben gelegen ? Sollte man da nicht den Glauben an die Menschheit verlieren und den an die Karlsbader Beschlüsse finden ? Das ist ja rein um des – « » Eine Unglückliche und eine Heldin ! « sprach Leonhard in tiefem Nachdenken vor sich hin , und der Vetter , wieder in den gelassenen Ton seiner Erzählung übergehend , sagte : » Du wirst sie sehen , und hoffentlich gefällst du ihr so wie mir . Du wirst sie kennenlernen , und das ist mehr , als sehr vielen Leuten zuteil wird . Da ist übrigens Fliegenhausen ; wir wollen jedenfalls den kürzesten Weg zum Ochsen nehmen . Bei solcher Mittagshitze ziehe ich die Sehne dem Bogen immer vor , dir aus dem heißen Land Afrika kann 's einerlei sein . « Achtes Kapitel Sie erreichten den Ochsen auf einem wenn auch nicht ungewöhnlich reinlichen , so doch schattigen Nebenwege und wurden von dem Wirt und der Wirtin mit ländlicher Herzlichkeit an der Pforte in Empfang genommen . Ländlich speisten sie zu Mittag , und nach der Mahlzeit streckte sich der Vetter auf die Bank von weichem Holz und riet dem Begleiter , dasselbe zu tun und sich um die Fliegen nicht zu kümmern . Wenn sich die Fliegen nicht um den Vetter bekümmert hätten , so wäre das jedenfalls recht freundlich von ihnen gewesen . Leonhard Hagebucher legte die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Arme mit dem festen Vorsatz , das Beispiel des Wegebauinspektors nicht nachzuahmen , und verwunderte sich eine Stunde später sehr , als er , erwachend , sich nicht in der Lehmgrube der Madam Kulla Gulla zu Abu Telfan , sondern in der Gaststube des Ochsen zu Fliegenhausen fand . Auch der Vetter richtete sich verstört auf ; man trank den Kaffee des Landes weniger des Inhalts als der Form wegen . Der Gaul blieb gern im Stall des Ochsen zurück . Der Vetter und der Afrikaner machten sich auf den Weg zur Madam Klaudine , jetzt wieder der Landstraße folgend . Sie durchschritten den obern Teil des Dorfes und gelangten bald in den kühlen Schatten des Eichentales ; eine Viertelstunde von Fliegenhausen schlugen sie sich zur rechten Seite auf einem ausgefahrenen Hohlweg tiefer in den Wald ; der Pfad wurde in einem Seitentälchen immer schmäler und brachte sie durch eine kurze Wendung um eine hervorspringende Felsenecke zu der Katzenmühle , dicht hinter welcher die Welt nicht mit Brettern vernagelt , sondern durch eine ungefähr fünfzig bis sechzig Schuh hohe Granitwand von den Ährenfeldern der über dieser Steinwand beginnenden weiten Ebene abgeschnitten war . Von diesem Felsen herab stürzte sich früher der lustige Bach auf das Rad , aber , wie gesagt , die großen neuen Fabriken droben im Lande hatten längst den Hauptfluß des Wassers für sich in Anspruch genommen und dem demütigen Schwesterchen in der Tiefe nur grade soviel davon gelassen , als nötig war , um rund um das alte Gemäuer , Gestein und Gebälk und das zerbrochene Radwerk eine Vegetation hervorzubringen und zu erhalten , wie kein Maler sie sich anmutiger , üppiger , frischer und grauer vorstellen konnte , Ein wildes Gärtchen zog sich vor dem Hause her , und es war kaum zu erkennen , wo die lebendige Hecke in das Gebüsch des Waldes überging . Wilde und edle Rosen hatten sich ineinander verflochten , Zaunwinden und Jelängerjelieber ebenso unzertrennlich ineinander verschlungen . Über das Dach der Mühle hatte sich der Efeu in einer Weise gelegt , daß eine wahre Merkwürdigkeit daraus geworden war . Wie es um den Speichen und Schaufeln des alten schwarzen Rades blühte und grünte , läßt sich kaum beschreiben . Es war ein Wunder , daß die Fenster des Hauses nicht aus Bonbontafeln bestanden , und kein Wunder war's , wenn Leonhard Hagebucher vor Überraschung stehenblieb und rief : » Das ist die Katzenmühle ?! O was ist aus der geworden ? Der Anblick würde einem in den Hundstagen unterm Äquator Kühlung geben , o das ist schön ! « » Nicht wahr ? Aber so ist es immer und an jedem Orte : man braucht die Natur nur ihr Spiel weiterspielen zu lassen , sie weiß mit den gegebenen Hülfsmitteln üppig zu wuchern . Unter des Katzenmüllers Regierung sah das Ding anders aus , Madam Klaudine hat es gelernt , der alten Mutter Isis ihre Wege offenzulassen , und nicht bloß um Haus und Zaun her . « » Allah , was haben wir hier ? « rief der Afrikaner , als sich plötzlich aus dem Wald- und Gartengebüsch ein weißer Pferdekopf hob und schnaufend und vertraulich sich ihm auf die Schulter legte . » Bei allen Mächten Dschinnistans , Prospero , bist du auch da ? Weißt du auch den Weg hierher zu finden ? « » Wahrhaftig , 's ist der Engländer vom Bumsdorfer Gutshof ! brummte der Vetter . » Na , denn nur zu ; die Kompanie wird immer hübscher . « » Ich hab ihn aus seinem Stall gestohlen und , wie gewöhnlich , selber satteln müssen , Herr Vetter « , sprach Nikola von Einstein , aus der Gartentür vortretend . » Seid gegrüßt , ihr Herren . Madam Klaudine wird sich freuen , euch zu sehen , wir haben schon länger , als uns gut ist , zusammengehockt . « Eine ältere Dame in schwarzer Kleidung zeigte sich jetzt an dem offenen Fenster der Mühle und nickte freundlich lächelnd dem Wegebauinspektor zu . Geführt von dem Hoffräulein , betraten die beiden Männer das Haus , und Nikola sagte : » Frau Geduld , hier ist er denn , und es soll mir nicht darauf ankommen , seine Abenteuer und Erfindungen zum sechstenmal anzuhören . Fragen Sie ihn nur immerhin aus , Frau Geduld ; ich halte mich derweil an den Herrn Vetter , welcher auch das Seinige , und zwar jeden Tag , erlebt . « » Danke , meine Allerschönste « , sagte der Inspektor und stellte nun den Begleiter in aller Form der Frau Klaudine vor , und diese reichte dem letztern die feine hagere Hand und hieß ihn auf das herzlichste in ihrem stillen Reiche willkommen . Dem Afrikaner aber ward 's zumute , als sei er jetzt wirklich einer großen Hitze in der Libyschen Wüste , auf den Landstraßen des Vetters Wassertreter , in den Gassen von Nippenburg , einer argen Verfolgung durch immer von neuem aufspringende Widersacher von allen Hautschattierungen , einem erbärmlichen Geschrei , wilden , wüsten Rufen , Lärmen und Spektakel glücklich entgangen , als könne er jetzt wirklich in Sicherheit Platz nehmen und verschnaufen . So tat er . Die Frau Klaudine war eine schöne , alte Frau mit ruhiger , sanfter Stimme und ruhigen Augen in einem stillen Gesicht . Ihre Bewegungen waren langsam und ein wenig mühsam , wie die einer von schwerer Krankheit Genesenden . Sie trug sich schwarz und hatte im Innern ihrer Hütte gewaltet wie die Natur draußen . Mit dem geringsten Aufwande und den gewöhnlichsten Mitteln hatte sie den verwahrlosten Bau und Aufenthalt des Katzenmüllers und seiner Familie verwandelt , als eine geschmackvolle Fee , welche durch ihren Zauberstab ebenso mächtig ist wie andere Leute durch ihr Geld . Sie , Madam Klaudine , ließ auch Kaffee bringen durch ein hübsches Bauernmädchen ; der Vetter Wassertreter durfte seine Pfeife anzünden , und insgesamt saßen sie nieder zur Unterhaltung . » Fräulein Nikola hat Sie nach ihrer Art empfangen Herr Hagebucher « , sprach die Frau Klaudine ; » aber glauben Sie mir , Sie sind mir hochwillkommen , und – und wir sind auch schon recht gute Bekannte . Wenn die junge Dame die Erzählung Ihrer Erlebnisse sechsmal angehört hat so hat sie jedenfalls gut zugehört . Ich habe viel gefragt , und sie wußte immer gar schön Bescheid . Ach , geben Sie mir noch einmal Ihre Hand , Herr Leonhard : Sie müssen mir viel , viel mehr von Ihrem Leben sagen ; ich möchte noch recht vieles von Ihnen wissen . « » Und wir kommen auch , um mehreres mitzunehmen für das , was wir bringen können « , fiel der Wegebauinspektor ein . » Wir stecken fest , wir wissen nicht mehr ein und aus ! « lachte das Fräulein von Einstein . » Wir möchten gern wissen , wo die gebratenen Tauben der Zivilisation am dicksten in der Luft fliegen ; – wir möchten gern die Frau Klaudine bitten , uns zu sagen , wo und wie man sich niederzusetzen hat , um nicht mitten im alten Europa das Tumurkieland recht sehr zu vermissen . Papa und Mama , die Tante Schnödler und der Vetter Wassertreter haben uns wenig Trost geben können , und so sind wir denn zur Katzenmühle gewandert . Jaja , es geht mehreren Menschen so . « » Ach , gnädige Frau « , stammelte Leonhard mit einem Blick auf das Hoffräulein , welches anfing , mit einer Geißblattranke , die sich neugierig in das Fenster bog , zu spielen ; » Madam – Frau Klaudine , im Grunde ist es so , wie das Fräulein spricht , und soeben fühle ich zum erstenmal wieder seit langer Zeit eine kühle Hand auf der Stirn . Ich bin freilich zu Ihnen gekommen , weil so viele Leute sagen , Sie allein könnten mir einen Rat für mein verzetteltes Leben geben ; denn Sie seien nicht nur eine gute , sondern auch eine kluge Frau , und nicht nur eine kluge Frau , sondern auch eine weise . Es sei keine geringe Kunst , hier in der Katzenmühle zu leben , meinen die Leute ; wer es aber so könne wie Sie , Frau Klaudine , der habe so viel gewonnen , daß er einem andern recht gut davon abgeben könne , und darum bitte ich , der es vor Tausenden nötig hat , mir einen Rat zu geben und mir zu sagen , was ich mit einem Dasein gleich dem meinigen anzufangen habe . « Madam Klaudine hatte wieder die Hand des Afrikaners genommen und sah ihn mit einem ruhigen , aber doch sehr traurigen Blick an . » Also so reden die Leute draußen in der Welt von mir und haben Sie zu mir geschickt ? « fragte sie . » Ei , ei , soll ich euch den Merlin spielen und im Dickicht verworrene Sprüche vor mich hin sagen , daß ihr neue Rätsel zu den alten aufzulösen bekommt ? Was denken die Menschen , und was denken Sie , lieber Freund ! Ich bin eine alte Frau , und Sie sind ein junger Mann ; ich bin müde zum Einschlafen , und Sie reiben sich , soeben wieder erwachend , den Schlaf aus den Augen . Ich habe mich unter bittern Schmerzen , in hartem Kampfe dessen entledigt , was Sie mit allen Kräften wiedergewinnen möchten ; und wenn auch das letztere leichter ist als das erste , so ist es doch grade für mich schwer , sehr schwer , die Wege zu zeigen . « » Lassen Sie sich nicht darauf ein , Frau Geduld ! « rief Nikola . » Es ist ein undankbarer Herr , der so leicht nicht zu befriedigen ist . O Gott , was würde ich darum geben , wenn man mich zum Ratsschreiber von Nippenburg machen wollte ! Und wenn ich , wie er , meine Historia zu einer Orgel und einer bunten Leinwandtafel in den Gassen absingen dürfte , dann verlangte ich nichts weiter vom guten Glück und zöge sicherlich nicht so verdrossen und griesgrämlich einher und langweilte die Menschheit . Ach , es weiß selten einer , wie gut er 's haben könnte , wenn er nur wollte und wagte , nicht wahr , Frau Klaudine ? « Während der Vetter Wassertreter bestätigte , daß der Gedanke mit der Drehorgel etwas recht Verlockendes habe und jedenfalls in nähere Überlegung zu ziehen sei , sah die Bewohnerin der Mühle mit noch tieferer Melancholie auf das Hoffräulein und nahm erst nach einem längern Stillschweigen von neuem das Wort . Ich kann Sie nicht einladen , Herr Hagebucher , in den Wald zu kommen und bei den sieben Zwergen zu leben ; denn es wäre nicht gut und nützlich . Sie haben lange genug nur mit sich allein hausgehalten ; deshalb lassen Sie sich nicht verführen von augenblicklicher Abspannung und Ermüdung . Ach , ich bin keine kluge und noch viel weniger eine weise Frau , obgleich die Leute es sagen ; aber man braucht's auch nicht zu sein , um zu wissen , was den Tod für Sie bedeuten würde . Was für einen andern Rat könnte ich Ihnen geben , als daß Sie wieder hinausgehen müssen auf den Markt ; und wer sich Ihren Freund nennt der soll dazu helfen und unter keinen Umständen dazu beitragen , daß Ihnen der gegenwärtige Tag allzu behaglich werde . « » Hab ich es nicht immer gedacht , mein Junge ! « rief der Vetter Wassertreter mit Emphase . » Was hilft mir der Großvaterstuhl , wenn ich nicht drin sitzen darf ? Nur weiter , Frau Klaudine , ich habe meine Meinung schon längst gewußt , ich hab sie nur nicht ausdrücken können . Warte , mein Söhnchen , wir werden dir schon Nadeln aus jeglichem Sitz wachsen lassen . Nur immer weiter , liebste Frau Klaudine . « Lächelnd fuhr die Madam Klaudine fort : » Der Vorschlag mit dem Drehorgelbild und dem schönen Lied dazu gefällt auch mir ausnehmend wohl , und es wäre meine feste Meinung , daß wir nichts Besseres tun können , als ihn so schnell als möglich zur Ausführung zu bringen . Ja , es ist mein völliger Ernst , lieber Freund , und ich glaube auch nicht , daß man dadurch gegen die Sitte der Zeit verstoße – « » Nicht im geringsten ! « rief Nikola von Einstein . » Das wäre noch besser , nicht im allergeringsten ! « » Was jedermann tut , kann auch einer aus dem hintersten Afrika machen « , brummte der Vetter . » Leonhard , fasse dich kurz ; auf die Auslagen soll 's mir nicht ankommen , und den rechten Schick traue ich dir schon zu . « » Mein Jammer muß doch recht komisch sein , daß alle das Lachen ihrer Teilnahme beifügen « , sagte Leonhard kläglich und mit einem etwas vorwurfsvollen Blick auf Frau Klaudine . » Man hat auch recht , und das Wort ist alt genug , daß der für den Spott nicht zu sorgen braucht , welcher den Schaden hat . Es ist sehr komisch , und ich will auch lachen wie die andern , und wißt ihr , was ich tun werde , Vetter ? Mit einer Drehorgel werde ich nicht im Lande umherziehen ; aber Eure Steine will ich zerklopfen an Eurer Landstraße , Herr Vetter . Bei Allah , das werde ich tun , und morgen werde ich damit beginnen ! Das ist mein Entschluß , und niemand soll mir mehr dreinreden . Bei Allah , wie dumm der Mensch sein kann ! Ist es mir doch noch gar nicht eingefallen , daß ich die Philosophie , die ich im Tumurkielande theoretisch übte , im Lande der Deutschen praktisch ausführen könne ! Beim Ring des Königs Salomo , jetzt habe ich des guten Rates genug ; ich will nichts mehr hören , sondern meine Tage zerklopfen wie den Basalt an Euren Landstraßen , und Eure Zivilisation mag über meine Gedanken und Hirngespinste weggehen und -fahren , was kümmert's mich . « » Wohinaus , Nikola ? « fragte die Frau Klaudine , als das Fräulein sich jetzt schnell erhob und nach ihrem Hütchen und ihrer Gerte griff . » Nach Bumsdorf zurück auf dem Prospero , Liebste . « » Und Sie wollen nicht warten und uns nicht mit sich nehmen ? « rief der Vetter Wassertreter . » Nein , nein ! Was hat Sie auch angetrieben , uns jenen dort herzuschleppen ? Auch wir kommen selten genug dazu , uns einer guten Stunde zu freuen , und es ist durchaus nicht nötig , daß man uns ungeladen eine Fratze in den Sonnenschein schneide . O Frau Geduld , werden Sie einmal recht , recht ungeduldig und sagen Sie dem Herrn aus dem Mohrenlande , daß wir unsere Meinungen und Ratschläge keineswegs wie Brombeeren hergeben , oder , noch besser , rufen Sie die Christine mit dem Besen und lassen Sie Ihr Haus kehren . Guten Abend , Madam ! Guten Abend , Gentlemen ! Ich hab an meinem eigensten Eigensinn schwer genug zu tragen und brauche mir von keinem andern dazu mit dem Borstwisch durch die blaue Minute fahren zu lassen . Guten Abend , meine Herrschaften , guten Abend , Herr Leonhard Hagebucher – vielleicht treffen wir in einer bessern Stimmung wieder zusammen . « Sie hatte der Frau Klaudine die Stirn geküßt und war zur Tür hinausgesprungen . Sie saß auf dem weißen Pferde und grüßte in lachender Schönheit , die nun gar seltsam mit ihren ärgerlichen Worten kontrastierte , über die Hecke . Als die lustige , grazienhafte Erscheinung im Walde verschwunden war , saßen die beiden Männer noch eine geraume Weile sehr verblüfft da und starrten ins Leere , bis die Frau Klaudine seufzte : » Mein armes Kind , geh nur ; es darf dich niemand schelten um deine Ungeduld ! Ihr lieben Herren , da ist auch eine glatte Stirn und krause Gedanken darunter , und keiner in der Welt draußen , ihre Gespielinnen nicht und ihre Mutter nicht , kann soviel davon wissen als ich . Und sie kommt ebenfalls zu mir , um auf die Tropfen zu horchen , die von dem zerbrochenen , nutzlosen Rad meiner Mühle klingen ; aber auch sie ist zu jung , als daß die Lehre dieses Klanges den rechten Sinn für sie haben könnte , und zu jung sind auch Sie , Herr Leonhard . « Mit den letzten Worten hatte sich die Bewohnerin der Katzenmühle von neuem an den Afrikaner gewendet und fuhr jetzt fort : » Ich wollte Ihrer nicht spotten , mein Kind . 's ist auch eine Kunst wie so manches andere ; und wenn ich voreinst mehr davon wußte , so habe ich das gleich so manchem andern lange verlernt hier in der Stille . Es ist ein übel Lachen in der Katzenmühle , wenn man allein sitzt und auf das Fallen der Wassertropfen horcht und auf den Häher tiefer im Walde . Man lernt das Lachen und den Spott nicht in der Einsamkeit ! – Weshalb wollen Sie das , was Sie in der Wüste erlebten und dachten , nicht auf eine Tafel malen , um es dem Volke zu zeigen und zu deuten ? Viele kluge und gute Leute haben dasselbe getan und so einen großen Nutzen gestiftet , indem sie ihr Schicksal , ihre schweren Mühen und Arbeiten , ihr Glück und Unglück sing- und sagbar machten . Denken Sie nach über das , was Sie erlebten ; – hier im Walde , auf der Landstraße des Herrn Vetters , in Ihrer Eltern Hause , überall denken Sie darüber nach , und wenn Sie wollen , können Sie auch niederschreiben , was Sie für nützlich und neu halten . Es ist ein schöner Sommer , die Tage sind lang , und man hat volle Zeit , sich allerlei zu überlegen , bis der Herbst in das Land kommt ; – nachher , wenn Sie genug zusammengetragen haben , reden Sie zu dem Volke davon , Sie werden tausend Hörer finden , und wenn Sie Ihre Sache recht machen , so sollen Sie sich wundern , wie schnell sich Steine in Gold , Verdruß in Wohlbehagen und großes Elend in noch größeres und sehr dauerhaftes Glück verwandeln können . « » Was sagst du , Leonhard ? Was habe ich dir gesagt ? « rief der Wegebauinspektor in heller Begeisterung . » Haben wir an die rechte Tür geklopft ? O Frau Klaudine , was hätte aus mir werden können , wenn Sie Anno neunzehn in Mainz an der Tür der Zentraluntersuchungskommission auf mich gewartet hätten ! Rühr dich , Leonhard , und küsse der Madam Klaudine die Hand , oder ich ziehe die meinige so vollständig von dir ab wie nur je der Stamm Levi von der übrigen Vetternschaft , wenn der Kirchenzehnte in Gefahr kam , weil Bacchus und Venus , Baal oder der Drache zu Babel es billiger taten . « Die Herrin der Katzenmühle erhob drohend lächelnd den Finger und sagte : » Herr Vetter , Herr Vetter , es ist sicherlich zu jeder Zeit ein schweres Stück Arbeit gewesen , Sie einen Weg zu führen , den Sie nicht gehen wollten . Jetzt halten Sie gefälligst den Mund und lassen mich aussprechen . Sie fallen vom Monde herab , Herr Hagebucher , und haben somit viel zu erzählen ; singen Sie Ihr Lied vor Ihrer bunten Tafel , und das Leben der Gegenwart , das Sie unter so großen Mühen wiederzufinden suchen , wird gewiß zu Ihnen kommen , und wohl Ihnen , wenn es Sie nicht ertränkt und erstickt mit seinen bittern , trüben Fluten . « Leonhard Hagebucher hatte die Stirn tief gesenkt ; der Vetter Wassertreter aber schlug von neuem mit großer Gewalt auf sein Knie und rief begeistert : » Madam Klaudine , der Bursche kann 's machen , und ich werde ihm helfen ! Hurra , da sollen nicht Nippenburg und Bumsdorf allein Augen und Ohren aufsperren ! Vivat , jetzt haben wir eine Beschäftigung für den Winter – « » Wo steht Euer trefflicher Gaul , Herr Wegebauinspektor ? unterbrach die Frau Klaudine den Entzückten , und der Vetter , der gern noch länger das Wort behalten hätte , antwortete : » Nun , im Ochsen , wie gewöhnlich . « » So tut mir den Gefallen , Liebster , und schlendert hin zum Ochsen ; reitet heim und laßt mir diesen hier noch einige Augenblicke allein ; ich schicke ihn Euch so bald als möglich nach . Ihr habt mir ein freundliches Zutrauen erwiesen , Herr Vetter , indem Ihr Euren Schützling mir zuführtet , und daß ich dasselbe nicht täuschen werde , wißt Ihr . Laßt mir den Herrn Leonhard noch ein Stündchen , ich verspreche Euch auch , daß Ihr noch viele Freude an ihm erleben sollt . « Der Vetter Wassertreter machte eine Bewegung , als ob er sich die Hände wasche , und sagte greinend , indem er sich langsam erhob : » Madam Klaudine , es ist sicher , daß Ihr eine kluge Frau seid und daß man sich auf Euch jederzeit verlassen kann , auch wenn Ihr einem den Stuhl vor die Tür setzt . Ich habe schon Zerbrechlicheres als den Vetter Hagebucher in Eure Hände gelegt ; also wünsche ich Euch hiermit einen guten Abend und marschiere Eurem Wunsche gemäß nach dem Ochsen . Bringt ihn rum , ich meine den Jüngling aus Afrika , und laßt nicht los , eh Ihr seiner Unmündigkeit auf die Beine geholfen habt . Sei brav , Leonhard , und bedenke , wieviel Liebe und Ehre dir angetan wird . Solltest du mich bis gegen zwei Uhr morgens noch nötig haben , so melde dich unter meinem Fenster ; du weißt , daß der Schlaf meine schwache Seite ist . « » Guten Abend , Herr Wegebauinspektor ! « rief die Frau Klaudine ein wenig ungeduldig ; der Vetter Wassertreter küßte mit großer Zierlichkeit die Hand gegen sie und verschwand endlich pfeifend hinter den Büschen , ein gut Stück Weges begleitet von dem Wächter der Katzenmühle , einem stattlichen weißen Spitzhund , dessen Verwandtschaft in sehr guten Umständen auf dem Bumsdorfer Edelhofe lebte . Neuntes Kapitel Kaum hatte der Vetter den Rücken gewendet , und noch waren die melodischen Klänge , womit er seine Anabasis begleitete , nicht verklungen im Walde , als eine große Veränderung über die Bewohnerin der Mühle kam . Die ruhige Heiterkeit verschwand aus ihrem Gesichte , sie sah noch einen Augenblick angstvoll und scheu in die stille Wildnis vor ihrem Fenster ; dann faßte sie mit beinahe wilder Heftigkeit den Arm Leonhard Hagebuchers , stellte sich dicht vor ihn hin , sah ihm immer tiefer in die Augen und flüsterte : » So sind Sie endlich doch gekommen ? Weshalb kamen Sie nicht früher ? O es war sehr grausam , mich so lange warten zu lassen . Sie durften am wenigsten mit mir spielen , da Sie doch auch so Schweres leiden mußten und auch keine Waffen dagegen hatten ! Hat Ihnen niemand gesagt , wie die Einsiedlerin nach Ihnen verlangte ? Hat Ihnen selbst Nikola nicht von mir gesprochen und Sie zu mir geschickt ? O das war nicht gut , nicht gut ! Aber nun danke ich Ihnen doch , denn ich habe Sie ja und gebe Sie so leicht nicht wieder frei . Sie müssen mir alles sagen , von allem erzählen – Sie dürfen das Kleinste , das Geringfügigste nicht auslassen , denn es kann mir Leben oder Tod bedeuten , was Ihnen nichts ist . « Ratlos und bestürzt stand Leonhard unter diesem Schauer von rätselhaften Vorwürfen . Fragen und Bitten . Die Vorstellung , daß er sich einer Irrsinnigen gegenübersehe , drängte sich ihm mit aller Gewalt auf , und er wußte es dem Vetter Wassertreter wenig Dank , daß er ihn zu dieser geheimnisvollen Mühle und Frau geführt habe , um ihn sodann seinem Schicksal zu überlassen . Er sagte stammelnd und stotternd : » Es haben mir viele Leute und auch das Fräulein von Einstein von Ihnen gesprochen , und ich würde gern früher hierhergekommen sein , wenn ich geahnt hätte , daß die Frau Klaudine meinen Besuch so gern sehen würde . Ich will auch gern noch einmal meine Historie erzählen und mit allem Vergnügen jede mögliche Auskunft geben ; es läßt sich hier gut sitzen , und ich will recht oft kommen , wenn die Frau Klaudine ihre Erlaubnis gibt . « Die Frau Klaudine schüttelte traurig das Haupt . » Ich merke , man hat Ihnen doch nicht genug von mir erzählt . Ach , halten Sie mich nicht für eine Närrin : ich bin nur eine unglückliche Mutter und frage die Leute aus nach meinem Kinde . Verzeihen Sie mir meine Aufregung , lieber Freund . Ja , ich denke , wir werden recht oft und lange zusammensitzen , und da wollen wir einander allmählich besser kennenlernen . Nun reden Sie , was hat man Ihnen von der Einsiedlerin in der Katzenmühle gesprochen ? « Leonhard Hagebucher teilte mit , was dann und wann beiläufig im Gespräch vorgekommen war , und sodann , was der Vetter Wassertreter auf dem heutigen Wege von der Geschichte der Frau Klaudine ihm kundgemacht hatte , und die Bewohnerin der Mühle hörte nun wieder still und ruhig zu und nickte nur von Zeit zu Zeit mit dem Kopfe . Als er mit seinem Bericht zu Ende war , sagte sie : » Freilich , es kann niemand wissen , wie dem Nachbar zumute ist , sei's , daß ihm eine Schale aus der Hand fällt und zerbricht , sei's , daß er vor den Scherben seines ganzen Lebensglückes steht . Ich suche mein Kind – meinen Sohn , Leonhard Hagebucher ; er hat mich verlassen und ist davongegangen in die weite Welt ; er ist geflohen vor dem Schimpf der Leute und hat mich bewegungslos hier zurückgelassen , und ich bin eine Närrin , Leonhard Hagebucher , glaube an Wunder und wäre schon längst gestorben , wenn ich nicht an Wunder glauben durfte . So sitze ich hier in der Katzenmühle und horche bei Tag und Nacht . Es muß einst in dem Wind eine Stimme zu mir herüberdringen , ein Stein muß anfangen zu reden , und während ich darauf harre , lasse ich keinen , der aus der weiten Welt kommt und über meine Schwelle tritt , los , ohne daß er mir Rechenschaft gab über seine Wege und alle , welche ihm auf denselben begegneten . Ich frage sie alle nach meinem Sohne ; wenn ich hundert Jahre lebte und wüßte , mein Kind sei längst tot , ich wurde doch fragen und fragen müssen – ich lebe nur , um mit angehaltenem Atem zu horchen ; o und es ist oft sehr schrecklich , so allein zu wohnen und nichts zu hören als das Niederfallen der Tropfen dort vor dem Fenster ! Ja , die Nikola , die weiß am meisten von allen Menschen davon ; aber sie darf auch am wenigsten davon sprechen . Sagen Sie ihr nicht , daß ich ungehalten auf sie war , Herr Hagebucher ! Ich darf keinem zürnen ; das Schicksal , das über mir ist , könnte es mich entgelten lassen , und ich habe schon so lange , so traurig lange gewartet . Nur die Geduld kann mir helfen , und ich will geduldig sein ; ich will nicht an dem Zeiger der Uhr rücken ; die Leute , die aus der Welt kommen , sollen mir nur sagen , wie es draußen aussieht , wie die Menschen es treiben und wer ihnen begegnete . Es muß einmal jemand kommen , der meinen Sohn kennt , der ihn im Gewühl streifte und ein Wort mit ihm wechselte ; ich aber will still sein hier in der alten Mühle und will mit Geduld auf ihn warten ; weiß ich es doch vor Hunderttausenden nur allzu gut , wie es da draußen zugeht und wie bitter , grausam und blutig das Treiben auf den Straßen der Erde ist ! « Bewegt rief Leonhard Hagebucher : » Liebe Frau , jetzt verstehe ich Sie ganz und hätte Ursache , eine tiefe Reue zu empfinden . Kein Mensch kann die Frau Klaudine so gut verstehen wie der , welcher sich auch zehn Jahre in der Gefangenschaft in Geduld zu fassen hatte und dem nicht einmal die Geduld , sondern nur der Stumpfsinn , das blödsinnige Hinstarren und Hinhorchen in die Leere übriggeblieben war . Ja , nun will ich auch zu der Frau Klaudine sprechen wie zu keinem andern und ihr wie keinem andern Rede stehen ; denn wer könnte gleich ihr einen Sinn in diese Trostlosigkeit und bodenlose Nichtigkeit legen ?! « » Wir haben uns gegenseitig viel zu bieten und wollen einander nach Kräften helfen « , sprach die Frau aus der Katzenmühle , und dann – erzählte Hagebucher abermals seine Geschichte , diesmal jedoch in einem andern Ton , auf eine andere Weise und der rechten Zuhörerin . An diesem ersten Tage konnte er freilich nur einen Überblick geben ; schon nistete sich die Dämmerung in den tieferen Gründen des Waldes ein , und schon erglühten die höchsten Wipfel und Zweige der Bäume im rötern Lichte der untergehenden Sonne . Schon hatte Leonhard hundert Gestalten , und darunter wunderliche Gesellen , zu Land und zur See vor dem verlangenden Herzen der armen Mutter vorübergleiten lassen , aber den , welchen sie suchte , erkannte sie nicht unter ihnen . Die Dämmerung schlich von allen Seiten immer kühler und kühler aus dem Walde heran gegen die Mühle . Der moosige Fels über dem Dache erhob sich schwärzlich gegen den reinen Himmel des Sommerabends , und die erste Fledermaus verließ ihren Schlupfwinkel und prüfte ihre Schwingen , indem sie einen unsichern Kreis um den morschen Schornstein der Frau Klaudine beschrieb . Fern im Walde erhoben sich die Stimmen der Nacht , und der Spitzhund vor der Gartentür schlug leise an und schritt in dem engen Wege bis zur Tür der Mühle auf und ab , gleich einem treuen Wächter , der sich rüstet , sein Amt in der Finsternis wohl zu versehen . Noch immer saßen Leonhard und die Frau Klaudine neben dem offenen Fenster , und keines von beiden merkte , wie das Licht und die Zeit vorübergegangen waren . Noch immer sprach Leonhard Hagebucher , der jetzt längst seine Zuhörerin in das gelbe glühende Felsental von Abu Telfan zu seiner Lehmhütte geführt hatte , und nannte jetzt auch zum ersten Male den Namen des Herrn van der Mook . » Nun sagen Sie mir noch ein Wort von Ihrem Befreier und von der Stunde Ihrer Erlösung ! « rief die Frau Klaudine . » Schildern Sie mir den Mann , welchen Ihnen die Vorsehung sandte , um Sie zu retten , und wie es Ihnen war , als die Fesseln zur Erde fielen und das Fürchterliche hinter Ihnen lag . Sagen Sie mir mit Ihrem eigenen Munde , wie Sie erlöst wurden , das soll mich bestärken in dem Glauben an die eigene Erlösung ; ach , es sind zu viele , die sagen : Ihr kann nicht geholfen werden ! Und ich bin so allein , und ich habe das Wunder und den Glauben und die Leute , welchen gesagt wurde : Steh auf und wandle – so nötig , o so nötig ! « Fortgerissen von der fieberhaften Heftigkeit dieser Frau , sprach Hagebucher zum erstenmal seit seiner Rückkehr aus Afrika auf solche Weise , wie es sich nach solchen Erlebnissen gehörte . Er gab jedem Ding die rechte Farbe und wunderte sich , während er redete , selber darüber . Es erwachte ein Talent in ihm , von welchem er bis zum gegenwärtigen Augenblicke nichts gewußt hatte und über welches er sich nachher auf dem Heimwege nach Bumsdorf noch mehr zu wundern begann , wie wir bald erfahren werden . Die wilden schwarzen Jäger mit ihren Sklaven waren durch Chasm-el-Bab , den Eingang der Wüste , in ihr Felsendorf heimgekehrt . Kopfschmerzen , Übelkeiten , wunde Füße und einige sehr rote Striemen waren die Ausbeute des Tages für den Sohn des Steuerinspektors Hagebucher gewesen . Nun lag er stumpfsinnig , lang ausgestreckt , drückte das Gesicht in den Sand , um nichts mehr von dem heillosen Lichte des Tages zu sehen , und war nicht imstande , Protest gegen die fröhliche Jugend , welche im kindlichen Spiel seinen armen Leichnam zum Tummelplatze erwählte , zu erheben . Schrill erklang die Stimme der Madam Kulla Gulla durch das Gequiek der Kleinen , das Schnarchen der Kamele , das Brüllen des Rindviehs , das Schnarren der Kuhhörner und das Triumphlied der Jäger . Die Alten und Weisen unterhielten sich von dem letzten Heuschreckenzuge , und ihrer einige trieben ebensogut Politik wie die Gevattern nordwärts vom Mittelländischen Meere . Die Feuer zur Bereitung der Nachtkost wurden soeben angezündet – Leonhard Hagebucher hatte selber am Morgen den Kamelmist zusammengetragen – , einige Brüllaffen , ein junger Gorilla und zwei Rieseneidechsen waren bereits an die Spieße gesteckt ; in einer Stunde war es unwiderruflich Nacht . Es war besser , der Zubereitung des Abendessens in Abu Telfan nicht zuzusehen , man speiste mit viel größerm Appetit ; es war besser für den europäischen Menschen , auch die Ohren im Sande zu vergraben , das Stimmen der Instrumente zu dem Konzert , welches den Tag beschließen sollte , war kaum ergötzlich anzuhören . Eine Schildkröte , mit aller geistigen Begabung der Schildkröte und nicht mehr , zu sein – o die Vorstellung eröffnete einen Blick in das Reich der höchsten krönenden Gnade ! Die Vorstellung , den Kopf unter die Schale ziehen zu können und nichts zu fühlen , zu sehen und zu denken – diese Vorstellung war zu beseligend , um nicht bitterer zu sein als jener Stern Wermut , der alle Brunnen und Wasserläufe der Erde untrinkbar machte . Daß der Vollmond den Neger betrunken mache , ist zwar noch nicht vollständig erwiesen ; was jedoch sämtliche Touristen , Handelsleute , Missionäre und Entdecker von seinen Wirkungen auf die Seelen der unsträflichen Äthiopier erzählen , deutet darauf hin , daß etwas dran sei , und Hagebuchers Erfahrungen traten mit ganzer und klarster Gewißheit für das Faktum ein . Noch lag die feurige Sonnenkugel auf dem westlichen Rande des Tales ; erst in einer halben Stunde war's Nacht , und dann mußte der wahre , echte afrikanische Sabbat beginnen – Leonhard Hagebucher dachte mit Schauder daran und begrub seine Stirn zum drittenmal tiefer in den Sand . Ein Schuß , der ein hundertfaches Echo in den zerklüfteten Felsentälern weckt ! Ein zweites Krachen , das an den roten Berglehnen dahinrollt ! Stille im Dorf und Lager und darauf ein gellendes , hundertstimmiges Geschrei und Geheul ! Die Männer und Krieger zu den Waffen , die Weiber und Kinder in die dunkelsten Winkel der Hütten oder in die tiefsten Verstecke der Erdhöhlen ! Mrs. Lavinia Drawboddy in weiten roten türkischen Hosen , einer weiten gelblichen Flanelltunika und mit einer blauen Drahtbrille auf einer Kamelstute ; – Mr. Augustus Montague Drawboddy ganz in gelbem Flanell , mit Revolver , Doppelbüchse , Jagdmesser auf dem merkwürdigsten und zottigsten aller Ponys ; – Herr Kornelius van der Mook ebenfalls bewaffnet bis an die Zähne , bärtig , sonnverbrannt , in einem Kostüm , welches dem der englischen Dame an phantastischer Willkürlichkeit nichts nachgibt , auf einem stattlichen Maulesel – ein unendliches , wühlendes , staubaufrührendes , brüllendes , plärrendes , kreischendes , quiekendes , rasselndes , klapperndes , hinten und vorn ausschlagendes , purzelbaumschlagendes Gefolge von Arabern und Affen , Nubiern , Abyssiniern , Schilluks , Baggaras und Dschournegern , von Büffeln , Eseln , Lasttieren aller Art , Käfigen mit jungen Löwen und Tigern , Kasten mit Krokodilen und Schlangen und bunten Vögeln ! Halt des Zuges an der Barriere von Abu Telfan ; exaltiertestes Verhandeln der Parlamentäre und Dolmetscher – allgemeine Verständigung und wahnsinnigster Jubel ! Große gegenseitige Vorstellung von Altengland und Tumurkieland , Mrs. Lavinia Drawboddy und Madam Kulla Gulla ; – der Gorilla am Bratspieß und Mr. Augustus Montague Drawboddy in tiefsinniger Betrachtung des Gorillas – Herr Kornelius van der Mook und Herr Leonhard Hagebucher aus Nippenburg , Grand-Duchy of *** , German Confederation ! – – » Es war die allerhöchste Zeit , daß er kam , Frau Klaudine « , seufzte der Erzähler in der Katzenmühle . » Noch eine kurze Frist , und er hätte meinethalben ebensogut wegbleiben können . Einen Tag später , und der Rest wäre die unbefangenste Tierheit , die absoluteste Blödsinnigkeit gewesen ; denn was man zehn Jahre ertrug , das mag einem in den ersten Stunden des elften zuviel werden . › Law , bless me , what a horror ! ‹ sprach sogar Mrs . Lavinia Drawboddy , als sie die Kuriosität in ihr Reisetagebuch eintrug , und ihr Gatte ging dreimal um mich herum und sagte : › Wonderful , wonderful ! ‹ « » O lassen Sie diese Engländer ! « rief die Frau Klaudine . » Was sagte der Herr van der Mook ? Sprechen Sie mir von diesem ; denn er ist 's gewesen , welcher Sie erlöste und Ihnen die Ketten abnahm . Sagen Sie mir alles von ihm – was wollte ich darum geben , wenn ich ihn sehen , den Klang seiner Stimme hören dürfte . « » Er stolperte über meinen am Boden ausgestreckten Leib , als er die Madam Kulla Gulla zum Stadthaus von Abu Telfan führte , und da er beinahe gleichfalls sich zu Boden gelegt hätte , so entfuhr ihm eine nicht sehr höfliche Redensart , und zwar in deutscher Sprache . Da bin ich aufgefahren und habe ihn ebenfalls deutsch angerufen , und dann kamen mir vor übermächtiger Aufregung meine fünf Sinne für einige Zeit abhanden , und als ich das Bewußtsein wiedererlangte , war der Handel um meine Person bereits im besten Gange ; ich aber konnte nichts weiter tun als den Verlauf der Unterhandlungen in Geduld abwarten . Mr. Augustus Montague Drawboddy , der mehr als mich in seinem Leben taxiert hatte , schätzte meinen Wert auf sechs Schnüre böhmischer Glasperlen , zwei königlich großbritannische ausrangierte Perkussionsmusketen , drei Solinger Faschinenmesser , zwölf Pfund Tabak und sechs Flaschen Rum. Mrs. Drawboddy gestand ein , daß man wohl noch ein Exemplar von Bunyans › The Pilgrim's Progress ‹ zulegen könne , welcher letztere generöse Vorschlag jedoch von Tumurkieland sehr kühl aufgenommen wurde , ja sogar beinahe allen weitern Verhandlungen ein Ende gemacht hätte . Schon zuckte Altengland die Achseln und wandte sich ab , um den eigenen Geschäften nachzugehen , als der Herr van der Mook auf arabisch und in der Lingua franca dartat , daß er außer den beiden angebotenen Flinten noch einige Dutzend gute Büchsen hinter sich habe und es in mancanza d'un accordo amichevole , in Ermangelung eines gütlichen Vergleichs , auf einen Austrag durch Waffengewalt ankommen lassen werde . Übrigens gebe er den Herrschaften zu bedenken , daß er nach Abu Telfan gekommen sei , um ganz andere und lukrativere Verbindungen einzugehen , daß er aber auch verhoffe , man komme ihm freundlich und billig entgegen . Er sei bereit , die Messer und Glasschnüre zurückzuziehen und dafür drei Flaschen Rum und eine halbe Rolle Tabak mehr zu bieten ; er erwarte , daß man diesen Vorschlag annehme und den Landsmann ihm zur Verfügung stelle . Unter dieser schönen Rede ist der Mond aufgegangen , und unter seinem erregenden Einfluß wurde der Handel abgeschlossen . Mit einem letzten Fußtritt entließ mich Madam Kulla Gulla ihres Dienstes , und der Herr van der Mook sagte : › Seien Sie kein Narr , mein Bester ! ‹ Denn ich habe jetzt wie ein Kind geweint . Er hielt mich in seinen Armen aufrecht , dieser Herr van der Mook , während der afrikanische Dämonentanz ihn und mich , den Mr. Drawboddy und die Lady umkreiste . Er rieb mir die Schläfen mit Kölnischem Wasser aus dem Flakon der Lady : und , o Frau Klaudine , Jahrtausende der Zivilisation waren in diesem Duft , in welchem die europäische Welt von neuem um mich emporstieg ! Man muß das Barbarentum gerochen haben , muß es länger als zehn Jahre gerochen haben , Frau Klaudine , um das , was ich fühlte , empfand und einatmete , zu begreifen . Dieser Tropfen Eau de Cologne hat mir in der vollen Bedeutung der Worte das Leben gerettet ; denn in ihm war Europa mit all seiner Kultur , und so löste er die tödliche Stockung im Blute und wendete den Herzschlag , der mich bedrohte , ab . Es war jedenfalls echtes Kölnisches Wasser , das Mrs. Lavinia Drawboddy in ihrer Tasche mit sich führte . « » Sagen Sie mir mehr und anderes von Ihrem Befreier ! « murmelte die Bewohnerin der Mühle ; Hagebucher aber rief , indem er fast wie in einem Krampf die Hände aneinander rieb : » Verzeihung , ach Verzeihung , Frau Klaudine ! Aber ich kann jenen Tagen nicht beikommen , ich kann von jenen Gestalten nicht loskommen als auf diese Weise . Es ist eine Feigheit , aber ich kann dieser heillosen Vergangenheit nicht grad ins Gesicht sehen ; der Schauder liegt zu tief in den Nerven – mein ganzes Leben ist ja zu einem solchen Seitwärtsschielen geworden ! Freilich trage ich diesen Kornelius van der Mook in dem stillsten Winkel der Seele , wenn er gleich nicht zu jenen Menschenfreunden gehörte , die , aus Heroismus und Aufopferungsfähigkeit zusammengesetzt , nach der Meinung phantasiereicher wohlwollender Leute so häufig in der Welt vorkommen , aber doch ungemein selten im richtigen Augenblick sich Vorfinden . Der Herr van der Mook war ein mürrischer , schweigsamer Mann , der , wie jeder in Afrika Handeltreibende , seine Peitsche aus Büffelleder an dem Gürtel trug und dieselbe nötigenfalls sehr rücksichtslos gegen Menschen und Vieh gebrauchte . Er rechnete vortrefflich in allen von London bis zum Mondgebirge landläufigen Münzsorten , und während seines Aufenthalts zu Abu Telfan waren ihm die Gefühle und Stimmungen der Madam Kulla Gulla wichtiger als die meinigen Er hatte Geschäfte mit meinen früheren Gebietern zu machen und ließ sich in denselben nicht stören . Unsere halbe oder viertel Landsmannschaft achtete er wie ein echter Holländer sehr gering , und einen Wunsch , etwas Näheres über den Mann zu erfahren , der ihm zu so hohem Dank verpflichtet war , zeigte er in keiner Weise . In allem , was er tat und sagte , gab er sich als ein sehr praktischer , kühler , scharfer Rechner kund , und erst nachdem wir Von Abu Telfan aufgebrochen waren , trat er mir etwas näher , doch hab ich nicht herausgekriegt , ob er wirklich ein echter Holländer war . Die Unterhaltung in unserer Karawane wurde in allen möglichen Zungen geführt , nur nicht in der deutschen ; und der Herr van der Mook , der jedenfalls Deutsch verstand und sprach , schien sich sogar nunmehr sehr davor zu hüten , sich dieser Sprache im Verkehr mit mir zu bedienen . Es ist mir auch immer deutlicher geworden , daß er nicht von Deutschland und den deutschen Verhältnissen reden wollte : und wie ich mich abmühte , ihn zu Äußerungen und Mitteilungen in dieser Richtung zu bewegen , es blieb stets bei jener uralten batavischen Redensart , mit welcher schon Civilis und Velleda allen unbequemen Erörterungen aus dem Wege gingen : Kan niet verstaan ! – Seinen Rat , seinen Arm , seinen Geldbeutel und seinen Kredit hat er mir jederzeit , auf dem Nil und in Alexandria wie in Abu Telfan , auf das bereitwilligste zur Verfügung gestellt ; mit dem Gemüt hat er mir auf keine Weise geholfen , und so haben wir mit einem Handschütteln Abschied voneinander genommen , wie an der Türe einer Konditorei oder eines Klubhauses . Zu allem andern Unbehagen schleppe ich auch das Gefühl mit mir , daß sich auch hier wieder Schritte , die mir wert und hochgeliebt bis zum Tode bleiben müssen , in die Wüste verlieren . Es ist ein arges , grimmiges Gespenst , welches auf allen Wegen hinter mir dreintritt und die Fäden , die mich mit den Hoffnungen und Sorgen , der Arbeit , der Freude und dem Leide um mich her verknüpfen , mit scharfem Messer zerschneidet . Ich habe nichts , gar nichts heimgebracht aus der Fremde , halte es aber auch für kein Wunder , daß die Heimat gar nicht daran glaubt , eine solche Tatsache gar nicht fassen kann . « Der Erzähler brachte somit für dieses Mal seinen Bericht kleinlaut genug zu Ende , und auch die Frau Klaudine war eine Weile ganz still . Endlich sprach sie mit einem tiefen Seufzer : » Wer verliert nicht mehr , als er findet , auf seiner Wanderung ? Welche ehrlichen Leute rühmen und freuen sich dessen , was sie heimbringen ? Nur die Kleinen und Nichtigen dürfen Triumph rufen , wenn sie ihren Bettelsack ausschütten ; die Großen und Edeln werden immer sich abwenden und sagen : Das Beste gehört nicht uns zu , und wir wissen nicht , von wem wir es haben ! – Was sind wir allesamt anders als Boten , die versiegelte Gaben zu unbekannten Leuten tragen ? Die größte Schlacht und das höchste Gedicht , von wem kommen und zu wem gehen sie ? Kein rechter Sieger auf irgendeinem Felde wird je rufen : Dies ist mein Werk und das soll es wirken ! – Ich danke Ihnen , mein Freund , für die Stunden , welche Sie mir heute gegeben haben . Wir wollen immer bessere Freunde werden , Sie und ich und Nikola Einstein und noch einige andere . Wir wollen einander helfen und nicht ungeduldig sein . So lange Zeit , als Sie in der entsetzlichen Gefangenschaft lagen , hab ich hier in der Einsamkeit , in Gram und eintönigem Schmerz gesessen und hab auch heute nicht gefunden , was ich suche . Wir wollen Geduld lernen und lehren und einander helfen , wie wir vermögen . Nun wird es Nacht ; Sie müssen gehen , und ich bleibe wieder allein ; daran werden Sie denken auf Ihrem Wege , und es ist gut für Sie . Sie werden oft zu der Mühle zurückkehren , und das ist gut für mich . Nun will ich Sie auf die Stirn küssen , Leonhard Hagebucher , und Ihnen gute Nacht sagen ; heute soll kein böses Gespenst Ihnen folgen und den Faden , der Sie an die Katzenmühle bindet , zerschneiden . Ich will gute Wache darüber halten , und morgen sollen Sie die alte Frau in der alten Mühle loben . « Zehntes Kapitel » Gute Nacht , Madam Klaudine « , hatte auch Leonhard Hagebucher gesagt und war seines Weges , oder was man so nennen mag , gegangen ; denn er wußte wenig von seinem Wege , er spürte ihn jedenfalls kaum unter den Füßen . Von den ersten Bäumen des Waldes aus hatte er noch einmal zurückgeblickt nach der kleinen Hütte unter der Felsenwand . Der Fels war dunkel , das Gärtchen lag in tiefer Dämmerung , und es war wie Magie , als jetzt Christine die Lampe der Frau Klaudine anzündete und der Lichtschein aus dem Fenster der Mühle dem zögernden Lauscher nachfolgte in den Wald . Leonhard grüßte diesen Schein noch einmal tiefer zwischen den Bäumen und schritt erst dann schneller vorwärts , als der Stamm einer alten Eiche ihn seinem Blick entrückte ; die letzten Worte der Greisin erhielten jetzt erst ihr volles Gewicht : kein arglistiger Dämon durfte seine heutigen Schritte auslöschen oder verwirren , eine Ruhe und Sicherheit , die er lange nicht mehr gekannt hatte , erfüllten sein Herz und machten seine Seele still wie die schöne Nacht rings um ihn her . Nicht alles , was er heute sah , hörte und erlebte , war geeignet , ihm die so wünschenswerte Klarheit des Daseins zu gehen ; aber ein erster Hauch eines neuen Tages hatte ihn getroffen und kühlte ihm die heiße Stirn :