Oskar Hänichen zugeeignet . Von einem Grabe komm' ich her . – Du weißt , Mein lieber Freund – : von welchem Grabe – Du weißt – : wie viele Träume , wie viel Glück – Wie viele Vergangenheit ich da begraben habe ... Von des vergessens Fluth unüberspült Mahnt dieser Hügel noch im fernen Süden – Da wir so groß gelebt , so stark gefühlt , So heiß gekämpft um uns'res Willens Frieden . Ob wir ihn fanden – ? Nun , mein lieber Freund – Wir lächeln schmerzlich – doch wir lächeln eben – Wir sind allein – wir haben nur noch uns – So bleiben wir Zusammen für das Leben ... Der Regen klatscht an meine Fensterscheiben – In's Nordland wieder wurden wir verbannt – Getrost mein Freund ! wir werden südwärts treiben In uns'rer Sehnsucht – uns'res Sieges Land ! Ein Grab zu hüten gilt's . Mit weißen Kerzen Hat 's unterweil der junge Lenzgeschmückt – Für das Unsterbliche verglüh'n die Kerzen – Mit rothem Blut getauft der tiefsten Schmerzen Ward uns der Geist , der Zukunftsfrüchte pflückt . – I . Es gab gerade die Zeit um die vierte und fünfte Nachmittagsstunde an einem Märztage . Der Wirth vom Café Caesar stand hinter dem Buffet und zählte Geld . Das Klimpern und Klirren der Metallstücke klang deutlich zu dem Tische herüber , an dem Herr Dr . Adam Mensch und Herr Referendar Clemens von Bodenburg saßen . Bodenburg zog sich jetzt hinter den Figaro zurück . Nur ein Paar Gäste noch lebten da und dort im Lokal herum . Der Verkehr war im Ganzen geringfügig um diese Stunde . Adam Mensch trank den letzten Schluck seines cognacgemischten Kaffees aus und rückte seiner Börse auf den Leib . » Kellner ! « » Herr Doctor ! « » Bitte zahlen ! « » Jawohl ! « Der Kellner kam herangelaufen . » Ein Kaffee – schwarz – und einen Cognac – « » Vierzig Pfennige ! « Adam gab einen Fünfziger hin : » Bitte ! « » Danke sehr ! « Der Kellner raffte die Zeitungen zusammen , die auf dem Tische und den nächsten Stühlen herumlagen , bückte sich nach einem Journal , das ihm entglitten war , und schleppte die papierne Bürde von dannen . Adam Mensch stand auf , fuhr sich mit der linken , etwas fieberfrostrothen Hand über Stirn und Haar und griff mit einer Bewegung , die nicht ganz frei von Pose war , nach seinem Ueberzieher . Der Kellner , der sich seiner Zeitungen entledigt hatte und eben um das Buffet bog , stürzte wieder auf Adam zu , um ihm beim Anlegen behülflich zu sein . » Danke ! « » Bitte ! « Da that sich die Thür des Café's auf und eine Dame trat herein , machte ein paar Schritte , blieb sodann stehen , wurde etwas verlegen , etwas roth , sah sich fragend um , ging noch einen Schritt weiter – und blieb wiederum stehen . Das Buffet war jetzt leer , der Wirth zufällig abwesend . Nun tauchte vom hinteren Raume des Café's der Zeitungskellner , ein kleiner , beweglicher Gesell mit einem angenehm verkniffenen Gesicht , auf . Er trug eine Zeitung in der Hand , die er der Dame übergab . Diese drehte sich , ohne ein Wort zu sagen , um und verließ mit nicht ganz sicherem Schritt das Lokal . Adam bemerkte , wie sie von den Blicken der meisten Gäste zuvorkommend hinausbegleitet wurde . Auch Herr von Bodenburg hatte seinen breitblättrigen Figaro sinken lassen . » Ganz niedliches Kind ! « urtheilte er schmunzelnd . » Wer ist die Dame eigentlich – ? « fragte Adam den Kellner , der noch immer in seiner Nähe stand und natürlich an der allgemeinen Aeugelei theilgenommen hatte . » Ich habe sie schon mehrere Male um diese Zeit hier gesehen « , fuhr der Herr Doctor fort . » Ich glaube , Fräulein Irmer heißt sie – sie holt immer die Volkszeitung für ihren Vater – der hat nachabonnirt « , berichtete der Kellner . » So ! Danke schön ! Adieu , Herr von Bodenburg ! « » Adieu , Herr Doctor ! « Adam Mensch ging langsam hinaus , Herr von Bodenburg sah ihm nach und schüttelte den Kopf . » Sonderbarer Kerl ! « murmelte er . » Kellner , nehmen Sie das Schachbrett weg und bringen Sie mir noch – ach ja ! ich wollte ja einmal Ihren Absynth probiren – also bitte ! ... « rief der wackere Herr Referendar sodann laut . » Ja wohl – ! « – Adam hatte vor dem Café nach rechts und links ausgeschaut , um die Spur von Fräulein Irmer – » ja ja ! so hieß sie doch – ? hatte der Kellner nicht diesen Namen genannt ? « – wiederzufinden . Richtig ! Da drüben ging sie . Nud jetzt bog sie um die Ecke . Sollte er ihr folgen ? Aber warum ? Hatte er einen Grund dazu – ? Ließ er sich , indem er diesem spontanen Bedürfnisse nachgab und dasselbe in einen bewußten Willensakt umsetzte , nur von einer zufälligen Stimmung , einer ersten besten Laune leiten ? Wollte er sich zerstreuen , auf andere Gedanken kommen , sich den stechenden Schmerz in den Schläfen vergessen machen ? Oder reizte ihn irgend Etwas an diesem Weibe , das er schon öfter im Café Caesar gesehen ... dessen aufgereckte Gestalt mit ihrer reservirten Halbfülle seinem Auge wohlgethan ? War ihm dieses bleiche Gesicht mit der sonderbaren Kreuzung im Ausdruck , wenn seine ursprüngliche Herbheit und abweisende Strenge sich mit der momentanen Verlegenheit , Scheu und Unsicherheit paarten – war es ihm » anziehend « ? Adam war noch nicht zu einem transparenten Ergebnisse gelangt , als er sich schon über den Fahrdamm schreiten und die Richtung nach jener einmündenden Straße nehmen sah , um deren Ecke Fräulein Irmer soeben verschwunden war . Einige Minuten später hatte der grübelnde Herr Doctor die Dame dicht vor sich . Fräulein Irmer ging langsam , einförmig , beinahe schwerfällig . Sie wandte sich nicht nach rechts noch nach links , gerade aufgerichtet trug sie den Kopf und mußte , wie Adam aus ihrer Haltung schloß , stets in der Richtung ihres Weges vor sich hinstarren – und doch über all' die Menschen , die vor ihr hergingen oder ihr begegneten , hinwegsehen , unberührt von den lärmenden , zuckenden Schatten , mit denen das unstäte Leben sie umgab . Adam Mensch imponirte diese Theilnahmlosigkeit immerhin ein Wenig . Und sie imponirte ihm vor allem darum , weil seine eigene , sehr nervöse und unruhige Natur sich von Jedwedem in Anspruch nehmen ließ , was auf sie eindrängte , auf Alles eingehen mußte , was um sie herum athmete , lebte und sprach . Nun fiel es ihm gerade ein , sich der Dame einmal bemerklich zu machen . Er ging hart an ihr vorüber , sah sie scharf von der Seite an und schritt ihr dann voraus . Jetzt blieb er vor dem Schaufenster eines großen Delicatessengeschäftes stehen und wandte sich auffällig um , als er annehmen konnte , daß Fräulein Irmer in seiner Nähe war . Er fixirte sie scharf und suchte ihr Auge festzuhalten . Die Dame streifte ihn mit einem kurzen Blicke und sah dann über ihn hinweg . Das ärgerte den Herrn Doctor ein Wenig . Er hielt sich jetzt in ihrer intimen Nähe und folgte ihr dicht auf den Sohlen . Fräulein Irmer wurde augenscheinlich unruhig . Der Kopf senkte sich und drehte sich in kurzen , harten Bewegungen , bald nach links , bald nach rechts . Sie hatte begonnen , von ihrem Begleiter Notiz zu nehmen . Die Dämmerung wuchs . Die Schatten der auseinanderquellenden Nacht fielen dichter und dunkler . Jetzt flammten die ersten Laternen auf . Eine Buchhandlung lag am Wege . Fräulein Irmer trat in den Laden , Adam Mensch folgte ihr nach einigen Secunden . Er hörte , wie sich die Dame mit etwas belegt-ansgefranster Stimme Eugen Dühring's » Werth des Lebens « ausbat . Ihr Gesicht trug wieder denselben Doppelausdruck , den es im Café Caesar anzunehmen pflegte . Adam bestellte flugs ein Exemplar desselben Werkes . Das mußte doch auffallen . Und es schien auch Fräulein Irmer aufzufallen . Sie wandte sich zu ihrem Nachbar um , schlug die braunen ernsten Augen groß auf ... und fragte mit ihnen eine stumme , tiefe Frage , auf die Adam nur eine gleiche , stumme Antwort wußte , die für ihn plötzlich nicht minder tiefen Inhalts war . Das Werk fand sich natürlich nicht auf Lager . Der Gehilfe erbat sich die Adressen und versprach die Exemplare in spätestens acht Tagen besorgt zu haben . » Hedwig Irmer – oder senden sie das Buch bitte direct an meinen Vater : Dr. Leonhard Irmer , Herderstraße 7 III ... « » Danke verbindlichst , mein gnädiges Fräulein – soll geschehen ! Und Sie , mein Herr – ? « » Dr. Adam Mensch , Gartenstraße 14 II ... « Der Herr Doctor erhielt jetzt zwei verwunderte Blicke . Dem Gehilfen schien ein Mensch , der Adam Mensch heißen könnte , bisher unmöglich gewesen zu sein . Auch Fräulein Irmer war betroffen . Adam gab ihren Blick mit einem diskret-ironischen Lächeln zurück . Die Dame wurde vorwiegend verlegen . Nun wandten sich die beiden zum Gehen . Adam öffnete die Thür und ließ das gnädige Fräulein zuerst hinaustreten . Dann folgte er schnell . Er konstatirte , daß seine Nervenschmerzen nachgelassen hatten . » Man muß nur einmal in einer fremden Atmosphäre herumvagabundiren und dem ehrenwerten Corpus ein wenig Abwechslung gönnen : dann machts sich schon – « monologisirte er still vor sich hin . Instinctiv hatte er Fräulein Irmers Spur , wieder aufgenommen . Aber er war doch zweifelhaft . Sollte er noch weiter hinter der Dame hertrollen , wie ein zitternder Gymnasiast hinter seiner in sich hineinkichernden Poussade , hinter seiner » Flamme « – oder sollte er ihr seine » Begleitung anbieten « – oder sollte er wieder umkehren und ruhig nach Hause stapfen – ? Was hatte dieses närrische Nachlaufen für Sinn ! Uebrigens – die Adresse wußte er ja , wenn er also – – » Herderstraße 7 III. « – – ja ! ja ! – ach was ! – » wenn er « – Unsinn ! – Aber Adam ging noch immer dicht hinter der Dame . Man war allmählich in einen stilleren Stadttheil gekommen . Plötzlich fand sich Adam an der Seite Fräulein Irmers vor ! Er stutzte einen Moment , verstand sich nicht und ... fragte schließlich , indem er etwas linkisch und rathlos den Hut zog : » Erlauben Sie , mein gnädiges Fräulein , daß ich Sie – « Keine Antwort . » Verzeihen Sie , mein Fräulein – aber Sie werden unschwer – – « » Ich verstehe Sie nicht , mein Herr ! Was wollen Sie ? – Verlassen Sie mich ! – « Mein Fräulein – ! « » Noch einmal – verlassen Sie mich – ich ersuche Sie dringend – oder ... « Adam war plötzlich sehr selbstbewußt und trotzig geworden . Er betippte nachlässig seinen Hut , wandte sich ab , ging einige Schritte zurück , stampfte einmal recht erbittert aufs Pflaster und lachte sehr indignirt . Was nun ? Er drehte sich noch einmal um . Und es dünkte ihn , als ob Fräulein Irmer recht langsam ginge – zudem – zudem noch gar nicht so besonders weit entfernt von ihm wäre – sollte sie doch – sollte er – – aber nein ! – nichts da ! – Unsinn ! – – – Adam schob sich entschlossen wieder um und wanderte nach Hause . Nach einer halben Stunde stieg er die Treppen zu seiner Wohnung empor . Die Glieder waren ihm schwer und die Schläfen schmerzten wieder heftiger . Und es fiel ihm ein , daß man doch im Grunde kaum Herr seiner Handlungen ist . Plötzlich , im wahren Sinne » unvorbereitet , « hatte er vor einer kleinen Weile vor Fräulein Irmer gestanden . Wie war er an ihre Seite gekommen ? Urtheil – Vorstellung – Willensimpuls – Coordinationscentren – Muskelcontraction – – – Alles Blech ! Adam wußte nur , daß man einmal ebenso » unvorbereitet « eine ... Waffe in der Hand haben könnte – – und daß man unter Umständen schon nicht mehr sein könnte , ehe man es überhaupt bewußt gewollt hatte . Aber ... aber aus dem Leben gehen , ohne ... Hedwig Irmer – hm ! – ohne ! – ja ! was denn : » ohne ? « – ohne – ohne ! ... Diese beleidigte Schöne ! Sie einmal küssen – ? » Küssen « ? Pah ! Zu geschmacklos ! Aber ah ! eigentlich stand er doch noch sehr fest im Leben , noch so mitten darin ! Und wie sicher er mit beiden Füßen noch auftrat ! Wie ihm aus der engen Zone seiner Augenblicksphantasieen heraus das Leben doch noch so ... so ... lebenswerth erschien ! Herr Gott ! Und nur , weil er heute dieses Weib – dummes Zeug ! Er hatte wahrhaftig Ernsteres zu thun , als immer wieder auf derartige U.-S.-W.-Weiblichkeiten 'reinzufallen . – Grauschwarze Dämmerungsflocken lagen im Zimmer . Es pochte . Die Wirthin erschien , die flammende Lampe in der Hand . Nach einer kleinen Frist : – » Sie sehen recht blaß aus , Herr Doctor – « » Hm ! « – II . Wie einer seiner Vorfahren eigentlich dazu gekommen war , sich schlechtweg » Mensch « zu nennen oder zu einem derartigen Besonderheitsmenschen sich ernennen zu lassen , hatte Adam wirklich nicht ergraben und ergründen können . Ja ! Er hatte sich alle Mühe gegeben , sotanes Geheimniß zu entlarven , und manche Stunde war darüber vergrübelt worden . Uebrigens gefiel ihm sein Familienname , dieser Name , der das Moment des Typischen und des Individuellen so intim vereinigte , der ebenso originell und tiefsinnig , wie gewöhnlich , oberflächlich und trivial war , gar nicht übel . Und nicht übel paßte objectiv und behagte seinem Besitzer auch subjectiv der Vorname Adam – » Adam Mensch « : eine originelle Idee seines Vaters war es doch gewesen , die Familienüberlieferung , nach welcher jeder Erstgeborene den Vornamen Gottfried erhalten sollte , zu durchbrechen und seinen Erstling » Adam « zu taufen ! Manchmal war der Name seinem Träger allerdings mehr eine Last , denn eine Lust gewesen : zu den Zeiten , da er die Volksschule seiner kleinen Vaterstadt besucht und mit Kameraden auf einer Bank hatte sitzen müssen , die an sich wohl auch so etwas Aehnliches , wie ... wie Menschen eben gewesen waren , sonst aber nur Richter , Schneider , Gernegroß , Potschappel – und zuweilen selbst Müller und Schulze geheißen hatten . Da hatte denn sein Name den Fisch abgegeben , nach dem die wühlende Bubensippschaft die Angeln ihres tölpelnden Nörgelns ausgeworfen . Das hakt sich fest in der Seele dessen , der früh von der großen , breiten Durchschnittsstraße abzubiegen beginnt ... oder , wenn in jungen Jahren auch noch nicht wirklich abbiegt , so sich doch schon mehr und mehr an die Ränder der Straße schlängelt , auf daß er dem Nebendickicht näher sei und besser und deutlicher einen schmalen Einzelpfad durch die wuchernde Wildniß für sich erspähe . Adam war in engen , drückenden , rohen Verhältnissen aufgewachsen . Sein Vater , Gottfried Mensch , hatte einen Bäckermeister vorgestellt . Ein Mann , verschwommen an Leib und Geist , eigenwillig , aufbrausend , unstät in Stimmungs- und Willensgegensätzen lebend , von schnurrigen Einfällen behaftet , nicht ohne eine gewisse Eigenart und Kraft , aber ohne die Sicherheit , ohne die Lebensgarantie der Beschränktheit . Er hatte sich in seiner Natur ausgelebt – das heißt : er hatte nach Welt und Menschen nicht viel gefragt und nur dem bunten Bündel seiner Neigungsströme gefröhnt . Dabei war das Geschäft natürlich heruntergekommen – und unbewußt , naturgemäßig-nothwendig , im Besitze des Muthes , Alles gehen zu lassen , wie es geht , und dem ökonomischen Verderbensmoloch ruhig seine Giftzähne zu lassen , hatte sich Meister Gottfried Mensch immermehr an den Alkohol angeschlossen , welcher ihm allerdings weniger Tröster war , als ein guter Kamerad , der Feuer in die Seele goß und wirbelnde Phantasie'n gebar . Und eines Tages war dann das Delirium gekommen . Die Krämpfe und Wuthausbrüche wuchsen an Oftheit und Stärke , aber es trat auch nicht allzuspät der Gehirnschlag ein , der den Rasenden eines Abends ausblies . Adams Mutter hatte sich die Kehlkopfschwindsucht anschaffen müssen . Vier Kinder waren da : zwei Knaben und zwei Mädchen . Die Brut war nicht gesund . Adam mußte sich in späteren Jahren noch öfter sattsam wundern , daß er alle die Plackereien und Quälereien , die er hatte auf sich nehmen müssen , ausgehalten , wenigstens einigermaßen ausgehalten . Nun ja doch ! Brüchig und in sich mannigfach auseinandergekeilt war er schon längst . Das Leben hatte ihm kein Stück gesunder Krafterde hingeschoben , auf daß er fest in sie hineinwurzele und aus ihr heraus drangvoll und säftereich treibe . Das war sein ganzes Leben lang nur ein loses Wurzelhängen gewesen . Von seinem achten , neunten , zehnten Jahre bis zu dem neunundzwanzigsten , in dem er nun stand ... und das vielleicht noch nicht das letzte war , dessen Ring er sich eingrub . Nach dem Tode des Vaters hatte der Bäckergeselle Karl Salge den Kopf ordentlich in die Höhe gereckt und sich an's Meisterspielen gemacht . Das Geschäft versuchte wieder einen kleinen Lebensaufschwung . Dafür war denn die Meisterin dankbar gewesen ... und hatte in einer Stunde der Freude , Hoffnung und Seelenschwäche dem drängenden Gesellen ihre Hand zugesagt . Die Hochzeit war auch eines Tages still , glanzlos , verschämt gefeiert – und Herr Salge somit Meister und Besitzer einer Bäckerei geworden , die ihm , dem bisher armen Burschen , doch immerhin eine gewisse Würde gab und ein bewußteres Auftreten gestattete . Ueberdies war ja die Meisterin todtkrank ... ihr Lichtlein brenzelte , zuckte und knarrte schon leise ... lange konnte es nicht mehr brennen ... Eines Tages erlosch es denn auch , und Herr Salge , der wacker gearbeitet hatte und dem es auch gelungen war , seine Waare wieder mehr zu Ehre und Ansehen zu bringen , heirathete seine Dienstmagd , mit der er sich schon vorher eingelassen hatte , und die sich eine nicht ganz kümmrige Summe aus ihren früheren Dienstschaften zusammengespart . Die Stiefkinder kamen natürlich früh aus dem Hause . Die Mädchen mußten sich nach ihrer Einsegnung bald nach auswärts verdingen , Gustav wurde zum Nachbar Schlächter in die Lehre gethan : er konnte ja vielleicht dasselbe Glück haben , wie sein Stiefvater . Adams nahm sich , als die Zeit dazu gekommen war , einer seiner Lehrer an und verschaffte ihm einen Platz im Gymnasial-Alumnat der nächsten größeren Provinzialstadt : in dem Jungen schien etwas Mehr zu stecken , als in seinen Geschwistern ... und des Experiments , das nothwendig war , um seine etwaigen Fähigkeiten an's helle Licht der Sonne zu befördern , war er ja immerhin werth ! Hieß er doch nicht nur Mensch , noch dazu Adam Mensch – war er doch schließlich auch ein Mensch und bot als solcher fürtreffliche Gelegenheit , christliche Nächstenliebe getreu nach dem Evangelium zu üben . Und nun kam die lange , drückende , ausmergelnde Leidenszeit Adams . Wie engten ihn die Schulwände ein ! Wie gaben sie ihm so blutwenig Luft und Licht und Freiheit und Wind ! Wie langsam schleppten sich die Jahre hin – und wie viel Fleisch von todten , crepirten Fischen wurde ihm als Geistesspeise zum Hinunterschlingen vorgesetzt ! Wie oft mußte er sich verleugnen , sich demüthigen , zu Kreuze kriechen , um die Brosamen nicht zu verlieren , die man ihm bewilligt hatte – und die man ihm Jahre lang so gern und so freudig gab ! Aber die Stunde , da dieses Zusammenleben mit dem Buchstabendogma der Kirchenlehrer , dieses Erkaltenmüssen in den todten Schnee- und Eis- und Gletscherregionen der galvanisirten Antike Ciceros und Vergils aufhörte , sie kam doch . Und nun sprang das Thor auf – und der Mulus lief wie wahnsinnig vor Freude im ostwindverkühlten Sonnenschein der jungen Märztage herum ... und dachte nicht daran , daß er doch eigentlich verdammt wenig Aussicht besäße , ein rechtschaffenes Burschenleben auf der Universität führen zu dürfen . Der Glückliche , der mit Patent entlassene Sträfling , dachte nicht daran , daß in naher Zukunft ein neuer Wermuthskelch wieder einmal – nicht an ihm vorübergehen würde – daß er noch Jahre ... noch drei , vier Jahre lang ärmlich und erbärmlich wie die bewußte Kirchenmaus würde leben müssen – und die ganze Fülle der Kräfte , die in ihm rang und stritt und nach Ausbruch und Bethätigung lechzte , würde entweder verleugnen , eindämmen , einsargen , » kaltstellen « , ersticken oder – in ein Strombett lenken müssen , das seinen Lauf nach dem an materieller Ausbeute gewiß reicheren Meere des » praktischen « Lebens nimmt ... Und die Stunden , Wochen , Monate und Jahre kamen und gingen – und Adam Mensch durchlebte sie : ein Sclave seiner Armuth und ein Freier zugleich . Die große Fluth des Lebens umbrandete ihn . Aber er hatte kaum einen Platz an der Tafel dieses Lebens . Durch Ertheilen von Privatunterricht verdiente er sich nothdürftig die paar Kreuzer , die dazu gehörten , um ihn überhaupt über Wasser zu erhalten . Manchmal , wenn es ihm gar zu heiß in der Brust wurde , sprang er mitten ins Leben hinein und spielte trotzig va banque . Dann staunte er wohl auch dieses so bunte , so verwickelte Leben an , und es dünkte ihn bisweilen gar nicht so schwer , Fuß in ihm zu fassen und auf all das tausendfältig Kleine und Besondere , das sich nun plötzlich vor ihm aufrollte , liebevoll einzugehen . In Stunden des Taumels riß er ein verlorenes Weib an seine Menschenbrust und lachte und schwelgte und weinte mit der Armuth und mit der Schmach . Sein philologisches Brotstudium betrieb er mit bedeutendem Eifer : war es doch , beim Styx ! der einzige Weg , der ihn hinaufführen konnte in die Bergsiedeleien der geistig und leiblich » Vornehmen « , der » Bildungsidealisten « ! Mitunter machte er Schulden , und die Docentenhonorare ließ er sich mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit stunden . Er versuchte wohl auch die buntscheckige Sammlung seiner Talente : er schrieb Leitartikel für Zeitungen , machte Gelegenheitsgedichte , die ihm manchmal einige Mark eintrugen , verbrach Recensionen philosophischer Werke für akademische » Organe « und hielt in studentischen Vereinen Vorträge über culturgeschichtliche Themata , dann und wann mit einem vagen Saumstreifen moderner politischer Verhältnisse ... Einmal war es ihm auch geglückt , ein Theaterreferat über eine Sommertheaterbühne für eine untergeordnete Zeitung zu erlangen : da ließ er sich denn die Gelegenheit zu allerlei Coulissenstudien nicht entgehen ... und ob es wohl nicht vorgekommen war , daß er sich mit dem ... Kusse einer Soubrette bestechen oder belohnen ließ ... ? Auch im Strudel der studentischen Kameradschaften trieb und wirbelte er eine Zeit lang herum – und so floß dieses Stück Leben hin voll Wirrwarr , Zerrissenheit und Zerstücktheit ... Eines Tages stand Adam vor dem Staatsexamen . Er genügte gerade noch den Prüfungen – und kroch eine kleine Frist später in das Joch einer Hauslehrerstellung bei einer adligen Gutsbesitzersfamilie . Seine beiden Zöglinge erfreuten sich zwar einer ganz braven Leibesgesundheit – mit der Kraft und Gesundheit ihres Geistes jedoch war es ein Bissel schwächer bestellt – und so redliche Mühe sich Adam zuweilen auch gab , dem edlen Blaublut die Geheimnisse des » Accusativi cum infinitivo « zu erschließen : im Grunde erreichte er nur verdammt Wenig mit seiner Abquälerei . Nach zwei Jahren hing er den Präceptorrock an den Nagel und zog von dannen . Er hatte sich wenigstens einige hundert Mark erspart und war somit in der Lage , sich den Doctorhut , welchen zu tragen doch nun einmal unter Anderem » auch « in das corpulente Pflichtenregister eines » akademisch gebildeten « Menschen gehört , zu kaufen . Fortan durfte er sich also mit Fug und Recht die sehr gewöhnliche Anrede » Herr Mensch « verbitten und die jedenfalls wohllautendere » Herr Doctor « verlangen . – An dem Progymnasium einer kleineren Provinzialstadt absolvirte er sein Probejahr . Hier wurde das Maß voll . Adam konnte durchaus nicht begreifen , warum er seinen Schülern außer den interessanten Anfangsgründen der lateinischen Syntax auch noch die Schönheiten alttestamentlicher Mythen , Märchen und mindestens sonderbarer Opfergeschichten zu Gemüthe führen sollte . Zudem ekelten ihn die kleinen und engen Verhältnisse dieser lobesamen Spießerwelt unbeschreiblich an . Und so schnitt er das Tafeltuch zwischen sich und einer soliden , gesicherten Zukunft entzwei – einer Zukunft , welche so gern eine der reizenden Honoratiorentöchter des Städtels , allwo er ihren Brüdern ein in mancherlei Hinsicht doch etwas merkwürdiger Lehrer gewesen war , mit ihm getheilt hätte – sotanes Tafeltuch schnitt er also mitten durch – und ließ sich auf den curiosen Einfall kommen , ein ... » moderner « Mensch zu werden . – Hm ! So war er denn wirklich ein » moderner « Mensch geworden . Und so saß er zu dieser Stunde dort auf dem Sopha , zog seine Virginia-Cigarette mechanisch durch die Lippen , gab den Qualm mechanisch von sich , preßte ab und zu Zeige- und Mittelfinger der linken Hand gegen die linke Seite seiner Schläfen und dachte manchmal an Hedwig Irmer . Wie dumm ihm jetzt die Geschichte vorkam , die er vor kaum einer Stunde mit dieser Dame in Scene gesetzt ! Nein ! Er wußte es : er besaß kein ... wenigstens noch kein tieferes Interesse für dieses Weib ... Ob er wohl jemals in den Besitz dieses » tieferen Interesses « für Fräulein Irmer gelangen würde ? Kaum ... Er konnte sich allerdings nicht trauen . Zuweilen überraschte ihn sein sonderbar complicirtes Ich mit Thatsachen , die ihn in Erstaunen setzten . Er hätte eigentlich immer en vedette sich gegenüber sein müssen . Doch vorausbestimmen konnte er absolut Nichts . So mußte er sich denn eben überraschen lassen . Besaß er Ellenbogen ? O ja ! Aber er gebrauchte sie nicht , sich Platz auf der Welt zu verschaffen . Wollte er sie nicht dazu gebrauchen ? Hm ! War er blasirt ? Gâté ? Nein ! Nein ! Er kannte ja das Leben noch kaum . Es war ja eigentlich noch gar nicht so lange her , daß er aus dem Ei gekrochen . Ein paar Eierschaalenrestchen hafteten ihm sicher noch an . Was verschlugs ! Das Eine stand jedenfalls fest : frei , ganz frei , keiner Machtsphäre unterthan , keinem Urtheilstribunal unterworfen mußte er sein , wenn er wenigstens die Absicht gebären sollte , sich – irgend einem Joche zu fügen . Er spielte wohl zuweilen , mit dem Gedanken , aus diesem allmählichen Zerfallen , Verwittern und Vermorschen seiner » Persönlichkeit « an Kraft und Talent und Muth noch zu retten , was zu retten wäre , und mit den Resten und Stümpfen , die trotz ihrer relativ-subjektiven Kärglichkeit vielleicht noch zehntausend Mal bedeutender und werthvoller waren , denn die zur Einheit gesammelt gebliebenen Fähigkeiten manches unzersplitterten Durchschnittlers – mit ihnen also in eine normale und genau abgesteckte Laufbahn einzubiegen . Ach ! Adam wußte so manches Mal sehr genau , daß er mit diesem Gedanken nur spielte . Konnte er sich zu dieser That der Umkehr wirklich noch aufraffen ? Hm ! Hielt er die Umkehr denn überhaupt noch der Mühe für werth ? Sein psychologisches Feingefühl sagte ihm doch wahrhaftig genau , daß man schließlich Alles gehen lassen muß , wie es geht . O ja ! Man faßt Entschlüsse . Aber man kehrt doch bald wieder in die Bahn zurück , der man eben verfallen ist . Adam gehörte zur Sippe jener » unglücklichen « Naturen , bei denen Willenskraft , Phantasie und nüchterner Verstand gleiche Stärke- oder gleiche Schwächegrade besitzen . Wohl löst zeitweilig , gleichsam das eine Persönlichkeitsmoment das andere in der Herrschaft ab . Jedoch sind diese Menschen sehr oft nachdrücklichster Hochgefühle fähig , dabei alle Kräfte sich zu einheitlicher Stärke zusammenschließen – und darum müssen sie so oft auch die Gegenwirkung auf diesen Aufschwung : eine allgemeine Gleichgültigkeit , eine schwere , blutleere Herabgestimmtheit , über sich ergehen lassen . Ist das nicht eigentlich ihr – was man so nennt : ihr » Normalzustand « ? Adam Mensch war sich soweit klar über sich , daß er diese Wesenheit seiner Natur erkannt hatte und sie zuweilen berücksichtigte , das heißt : sich mit ihr tröstete . Die klare Einsicht in eine Thatsache hat ja immer etwas Tröstendes – nicht wahr ? Aber bestätigte er mit diesem Troste nicht sein Leben – seine Neigung zum Leben ? War da nicht sein » Wille zum Leben « thätig ? Wohl doch . Und dann : hatte er das Leben eigentlich schon » genossen « ? Oefter packte ihn – oh ! er erinnerte sich dessen ! – ein wahrer Heißhunger auf das gewissenhafte , feierliche Genießen der buntesten , tollsten , seltensten , süßesten Lebensreize . Allein dieser Heißhunger war im Grunde doch sehr gegenstandslos . Wissenschaftlichen Ehrgeiz besaß Adam nicht . Zur Liebe hatte er nicht Geduld , nicht Ausdauer mehr . Erkenntnißresultate befriedigten ihn nicht , da er wußte , daß es ihm doch nicht gegeben war , dem mystisch-metaphysischen Drange seiner Seele ganz zu genügen . Ja ! Unberechenbar in seinen Stimmungen , in seinen Neigungen und Launen ; zersplittert in seinen Kräften ; unbeständig , flackernd in » erotischen Fragen , « in der » Leidenschaft « satt und unbefriedigt zugleich ; müde , todtmüde – und begeisterungsfähig wie ein Jüngling , der soeben mannbar geworden ist ; angefressen von dem Skepticismus seiner Zeit ; unklar und wechselnd in seinen Bestrebungen ; radical in seinen Anschauungen ; und wieder über Alles bornirt , einseitig , engherzig , intolerant , besonders hinsichtlich mancher gesellschaftlichen Formen und Gewohnheiten ; – der Volksseele mitunter in Allem so nahe und dem dargestellten Volke selber zumeist in Allem so fern , so fremd ; auf sich neugierig , über sich erstaunt und seiner selbst überdrüssig ; nicht wissend : Warum das Alles ? Wozu ? Wohin mit dem Allen ? Wo hinaus ? Oder wo hinein ? – Oft deklamatorisch , pathetisch , agitatorisch ; oft ironisch , cynisch , gezwungen geistreich , selten » normal , « selten schlicht , einfach , gewöhnlich , mittelmäßig , mittelhoch oder mitteltief – : also war es im Allgemeinen bestellt um Adam Mensch – um diesen » Menschensohn , « der noch immer in seiner Sophaecke sitzt , das letzte Stümpfchen seiner Cigarette an die Lippen geklebt hält – und an sich ... und manchmal auch an Hedwig Irmer denkt , an diese Dame , die ihm vorhin eigentlich einen rechtschaffenen Korb gegeben hat , – die ihm auch skandalös gleichgültig ist – und in die er sich doch eigentlich so etwas wie ... wie » verlieben « möchte , bloß um Gelegenheit ... bloß um einen inneren Grund zu besitzen , ihr dann und wann noch ein Wenig zu schaffen zu machen . – III . Hedwig Irmer war die drei Treppen zu ihrer Wohnung langsam emporgestiegen . Sie hatte beim Hinaufgehen öfter inne halten , öfter stehen bleiben und Athem schöpfen müssen . Was war ihr nur ? Es lag ein Druck auf ihr , den sie sich nicht erklären konnte . Schreckte sie auf einmal zurück vor der Enge , Einförmigkeit und Kärglichkeit der Existenz , die sie mit ihrem halb gelähmten , halb blinden , schwerhörigen Vater führte ? Nun schon seit Jahr und Tag führte ? Sie kam wieder einmal draußen aus der Welt . Wohl war sie im Grunde sehr gleichgültig durch diese sie umflirrende Welt gegangen . Sie besaß nicht das Talent , sich in die Herzen der Menschen hineinzudenken . Sie hatte nicht das Bedürfniß , hinter jeder Gesichtsmaske ein Schicksal zu suchen . Sie dachte an die Menschen eigentlich kaum , sie dachte kaum an sich , sie lebte nur auf , bestätigte sich nur , wenn sie mit ihrem Vater in intim-wissenschaftlichen , zumeist philosophischen Verkehr trat . Eine tiefere Tendenz ihrer Natur stellte dieses ernste Studium allerdings auch nicht dar . Sie mußte sich oft zwingen , zu den Büchern zu greifen , wenn nicht eine unmittelbare Anregung dazu von ihrem Vater vorausgegangen war . Alle diese Weisheiten der modernen Philosophie waren ihr ja so gleichgültig . Die Stürme ihrer Seele waren vorüber . Ihr Blut war todt . Grenzenlos nüchtern und kahl lag das Leben vor ihr ... eine große , öde , handflache Ebene ... lag es vor ihr ... würde es vor ihr liegen , weiter und weiter – wenn sie es nicht eines Tages freiwillig ausblies ... lag es vor ihr mit seinem kleinlichen Kampf ums Dasein , seinen erbärmlichen Mühen und Sorgen , seinem reizlosen , einförmigen , so unendlich überflüssigen Wellenschlage ... Immer dieselbe Mechanik , immer dasselbe einschläfernde Surren der Spindel ... Hatte ihr die Philosophie ihres Vaters diese Ruhe und Kälte und Theilnahmlosigkeit gebracht ? Damals , als sich die Wasser der Katastrophe verlaufen , hatte er sie eingeführt in seine Gedankenwelt , in seine philosophischen Glaubenssätze ... hatte er ihr Stille und Trost durch die Erkenntniß bringen wollen . Nun – und ? Darüber waren fast fünf Jahre hingegangen . Die Stürme ihrer Seele waren vorüber , ihr Blut war todt , ihre Natur eingefroren . Manchmal wohl ... manchmal raschelte plötzlich ein heißer , schwüler Sehnsuchtshauch durch die dürren Blätter der Resignationsphilosophie , in der ihr Vater lebte und deren Resultate auch ihr einleuchten mußten . Aber sie konstatirte eigentlich diese Resultate nur vernunftsmäßig , sie besaß nicht Grund und Bedürfniß , sich dieselben verinnerlicht zuzueignen . Hedwig hatte auf dem schmalen , engen , von einer blakenden Küchenlampe mit angebrochenem Cylinder nothdürftig erhellten Corridor Hut und Mantel abgelegt , war eine Sekunde vor einem kleinen , schmucklosen , halb erblindeten Wandspiegel stehen geblieben , hatte flüchtig an ihrem Haar geordnet ... und war sodann durch die nächste Thür in ein Zimmer eingetreten , welches sich als Wohnzimmer zugleich und Arbeitsgemach ihres Vaters benahm . Der Raum , mittelgroß , einigermaßen behaglich eingerichtet , augenblicklich von einer milden Wärme durchfüllt . Rechts hinten in der Ecke , neben dem jetzt rouleaux- und teppichverhangenen Fenster , stand der Schreibtisch ihres Vaters , ein ansehnliches , massiveichenes Gestell , nach Einrichtung und Ausstattung mit dem ganzen Wirrwarr behaftet , den eine starke geistige Thätigkeit , welche für die kleinliche Krämerordnung der Dinge keine Zeit hat , herausfordert und bestehen läßt . Rechts vom Schreibtisch drückte sich ein hohes Bücherregal an die Wand , in dessen Fächern es auch recht bunt aussah . Fräulein Hedwig besaß entschieden wenig Sinn für häusliche Ordnung . In seinem Sessel vor dem Schreibtisch sitzt Doctor Leonhard Irmer . Er hat sich zurückgelehnt , der Kopf hängt ein Wenig der Brust zu , die Arme liegen auf den Lehnen des Sessels . Die Augen zumeist halb geschlossen , blinzelnd , öfter ganz überlidert . Das gedämpfte Licht der mit einem grünen Schirm bedeckten Lampe fällt auf sein Gesicht . Dieses Gesicht hat einen großen , fesselnden Zug , einen außergewöhnlichen Stil . Leidend , sehr leidend erscheint es mit seiner mehr krankhaft weißen , denn verschossen angeröthelten Farbe . Stirn gefurcht , um Nase und Mund pointirte Schmerzensfalten . Hinter dieser hohen Stirn ist viel gedacht worden , diese Unterpartie des Gesichts hat sich wohl oft genug für ein bitteres , ironisches Lächeln hergeben müssen . Ein gestutzter , weißgrauer Bart liegt um Kinn und Wangen . Das spärliche Kopfhaar vertheilt sich in einigen dünnen , sprödfasrigen Strähnen über die Platte . » Guten Abend , lieber Papa ! « Hedwig begrüßt ihren Vater mit angenommener Munterkeit . » Guten Abend , mein Kind ! Du bist recht lange heute ... « Herr Doctor Irmer spricht langsam , schleppend , halblaut , undeutlich . Mehr mit den Lippen , denn mit dem inneren Munde . » Findest Du , Papa ? Ich bin etwas langsam gegangen – mag sein ! Hier ist die Volkszeitung . Soll ich Dir jetzt vorlesen oder nach Tisch ? Das Buch von Dühring war nicht vorräthig . Ich habe es bestellt . In acht Tagen werden wir 's haben . Brauchst Du's zu irgend einer Arbeit ? ... « Der Vater schüttelt den Kopf . » Na ! dann schadet's ja nichts ! Dann können wir ja warten . Emma holt wohl ein zum Abendbrot ? Schmerzt der Kopf noch so , Papa ? Wenn Du Dich nur entschließen könntest , wieder einmal eine Straße zu gehen – die ewige Stubenluft thut Dir nicht gut – « » Morgen vielleicht ... morgen , Hedwig ... Ich möchte Dir eigentlich noch vor Tisch ... vor Tisch einige Zeilen dictieren – willst Du ... ja ? ... Du weißt : zu dem Aufsatze › Poesie und Philosophie in ihrem gegenseitigen Verhältniß ‹ – aber nachher – nachher stört uns doch das Essen wieder – – was steht denn heute in der Volkszeitung ... ? « Hedwig rückt sich einen Stuhl neben den Sessel ihres Vaters , faltet die Zeitung auseinander und liest zuerst die Telegramme . Vater und Tochter haben mit der Zeit ein eigenthümliches Verhältniß zu einander gefunden . Irmer ist ein hoher Fünfziger , Hedwig dreiundzwanzig Jahre alt . Sie hat sich , allerdings mit einer gewissen Aeußerlichkeit , in die Anschauungen ihres Vaters eingelebt , sie hat es gelernt , sich seinen Gewohnheiten zu fügen . Sie ist seine Gehilfin , seine Schülerin , seine einzige , zuverlässige Lebensstütze geworden . Die Stürme ihrer Seele sind vorüber , ihr Blut ist todt , sie braucht sich nicht mehr zu bezwingen , sie kann alles mechanisch , alles hübsch automatenhaft bewältigen . Ihr Vater fragt nicht viel darnach , ob sie sich zur gläubigen , wirklich überzeugten Anhängerin entwickelt . Er besitzt den Egoismus des Kranken , des Leidenden , des Hülflosen . Er lebt ganz in der Welt seiner Gedanken . Die andere Welt , der Mutterboden der geistigen , dünkt ihn so ziemlich verschollen . Die Sphäre der Idee hat für ihn fast etwas Körperliches , formell Reales angenommen . Er sinnt über die Räthsel der Dinge nach . Er sieht , denkt , träumt , visionirt , combinirt , gewinnt . Nichts ist ihm das Individuum mehr . Nicht reizt es ihn mehr , individuelle Entdeckungen zu machen . Damit hat er abgeschlossen . Ob er auch schon über die Tendenz der Selbsterkenntniß hinausgekommen ? Kaum . Er wird auch noch nicht wissen , wer er ist . Hedwig hat keine Neigung , sich über ihren Vater zu wundern . Sie hat eben überhaupt keine Neigungen mehr . Liebt sie ihren Vater ? Er erhält sie , sie darf bei ihm wohnen , zusammenwohnen mit ihm in den wenigen , engen Räumen , für die er den Miethszins nothdürftig zusammenarbeitet . Ein paar Heller sind ihnen noch aus früheren , volleren , runderen Zeiten geblieben . Die beiden Leute kommen einigermaßen aus . Hedwig kann sich sogar noch ein » Dienstmädchen « halten . Es ist ein farbloses , eintöniges Leben , das sie lebt . Wird es ihr öfter nicht doch zu Sinn , als müßte sie aufspringen , einmal laut ... laut aufschreien – aufschreien , wie Jesus , ehe er am Kreuze verreckte – und dann hinausstürzen aus dieser lähmenden Enge – irgendwohin – irgend Etwas , von dem sie sich beängstigend-unklar bezwungen fühlt , befriedigen – ? In dieser dämonischen Oscillation sich ausleben ? ... Wird es ihr also nicht öfter doch zu Sinn ? Nein ! Sie kann sich nicht erinnern , von solchen elementaren Erschütterungen heimgesucht zu sein . Vielleicht dann und wann einmal ein jähes Aufzucken – mehr war 's nicht – nein ! mehr nicht . Manchmal sagt sie sich ganz klar und vernunftsmäßig : dies und das im Leben müßte doch eigentlich auch für mich noch einen Reiz besitzen , da es doch Millionen Andere auch reizt – in irgend einem Stärkegrade reizt – ? Hm ! Das Theater ! Die Musik ! Geht nicht durch die Träume ihrer Nächte manchmal ein Schatten , der ihr in die Seele prickelt ? Ist die Luft nur voll von Stecknadeln ? Da sitzt ein Stück comprimirten Lebens vor ihr – ihr Vater . Ein Menschenalter liegt hinter ihm . Von allen Seiten ist das Leben zu ihm herangekommen . Der nun Einsame besaß einmal tausend Beziehungen . So viel verrauscht , so viel vergilbt , vergessen , verschleppt und verloren ! Freut sie sich nicht doch darüber , wenn ihr manchmal unter ihres Vaters Anleitung und Führung ein Gedanke tiefer Eigenthum wird , eine Erkenntniß ihr in schärferen Linien aufgeht ? So sonderbar ist ihr dann und wann . Etwas in klarer Grenzbestimmung erfassen , macht ihr zeitweilig doch eine Art Spaß , so etwas wie Vergnügen . Sie weiß : darüber vergißt man sich am Besten und Leichtesten . Aber sie weiß auch : Stimmungen sind Blasen , die aufsteigen , sich eine Sekunde lang irisfarben brüsten und zerplatzen . Unhemmbar rollt der Grundstrom weiter . Zu der und der Grundcombination haben sich die Moleküle ihres Wesens zusammengeschlossen . Sie bleibt , diese Combination ; sie bestimmt ihr Leben . Von ihr wird sie in Gedanken , Wort und That geleitet . Eine » Bekehrung « , eine entscheidende Beeinflussung ist nicht mehr möglich . Das Schicksal vollzieht sich . Hedwig weiß , daß ihr einmal eine überschäumende Leidenschaft aus der Brust gebrochen . Vor Jahren . Sind neue Ausbrüche möglich ? Aber Nichts stört ja ihre Kreise . Sie war einmal ein sehr sinnliches Weib . Wie nüchtern sie bleibt , wenn sie jetzt an ihre » Schmach « denkt , wenn sie sich ihres Kindes erinnert ! Wie kalt sie bleibt , wenn es ihr einfällt , daß dieses Kind ihr entrissen worden ist ! Sie hat es nicht geliebt . Nein ! Sie hat es nicht geliebt . Sie haßt auch den Vater des Kindes nicht . Es ist ihr wirklich Alles gleichgültig , sehr gleichgültig . Die Stürme ihrer Seele sind vorüber und ihr Blut ist todt . Hedwig ist bei dem Verzehren ihrer Sardellenleberwurst und bei dem Hinunternippen ihres Glases Dresdener Tafelbiers sehr schweigsam gewesen . Sie hat ihrem Vater die Bissen zurechtgeschnitten und selbst sehr mechanisch die Speisen zu sich genommen . Nun streicht sie sich mit der Serviette über den kleinen , feinlippigen Mund und schellt . Emma tritt ein und deckt ab . Herrn Doctor Irmer ist es nicht aufgefallen , daß seine Tochter während des Essens so verschlossen gewesen . Ihm ist es sehr gleichgültig , was für Selbstbetrachtungen sie anstellt . Er ist , ohne daß er es eigentlich weiß , so verbissen in seine Art , geistig abgelöst , hinweggesondert , zu existiren , daß er kaum mehr im Stande , die leichteste Spur eines subjektiven Zwiespalts zu vermuthen . Wenn es ihm gerade einfällt , bestätigt er sich , daß er durch seine Philosophie seiner Tochter das innere Gleichgewicht , das sie einmal verloren hatte , wiedergegeben . Und er fügt wohl unwillkürlich noch als Ergebniß hinzu , daß Hedwig schon in ihrer Jugend durch ein gewaltiges Wetter gehen mußte , um früh zu Erkenntnissen kommen zu können , die er sich erst in späteren Jahren zueignen durfte . So läßt sich denn aus All' und Jedem etwas Zweckmäßiges und individuell Verwendbares herausdenken . In den nächsten Stunden liest Hedwig ihrem Vater einige Kapitel aus Hartmanns » Phaenomenologie des sittlichen Bewußtseins « vor . – IV . Gestern um die Mittagsstunde , als Adam eben zum Speisen gehen wollte , war er mitten auf dem Marktplatze Herrn Traugott Quöck in die Arme gelaufen . Sapristi ! hatte sich dieser Mensch doch gefreut ! Adam hätte es gar nicht für möglich gehalten . Er war beinahe ganz entsetzt gewesen über diese Freudensprünge und Hühnerhundscapriolen . Hatte er dem Manne denn jemals Gelegenheit gegeben , ihn für einen approbirten » Freund « von sich , wenigstens für einen » Freund seines Hauses , « zu halten – ? Ih bewahre ! Keine Spur ! Es giebt Leute , die aus ehrbarer menschlicher Lebenslangeweile immer guter Dinge , immer in der besten , weltfreundlichsten Laune sind . Traugott Quöck gehörte nicht ganz zu diesen Stoikern des Optimismus , aber doch sehr theilweise . Er war halb und halb mit der Couponscheere auf die Welt gekommen . Das giebt gewiß ein ganz nettes und bequemes Rundreisebillet durch's » menschliche Leben « ab . Traugott Quöck sen . war in einer sächsischen Provinzialstadt Tuchmacher gewesen , hatte es aber in den letzten Jahren seines gesegneten Erdenwallens fertig gekriegt , sich zum » Fabrikanten « umzuzüchten und in die Höhe zu schwingen . Man muß mit seiner Zeit » fortschreiten . « Also hat man eines Tages die Pflicht , » Fabrikant « zu werden . Das ist einfach . Traugott Quöck sen . besaß einen Sohn , an den er » viel drangewandt « hatte , das heißt : Viel Geld , viel Mühe , Geduld , Lebensspesen , Nachsicht – und schließlich war es ihm auch nicht darauf angekommen , ein kleines Bündel unerfüllt gebliebener Hoffnungen an seinen eingeborenen Filius noch extra » dranzuwenden « . – Nach dem Tode seines Vaters hatte es Traugott Quöck jun. für nützlich befunden , sich schon in jüngeren Läuften seines angenehm gesicherten Lebens zum jovialen Menschen heranszufexen . Er hatte die » Fabrik « seines Vaters , deren Mitinhaber er ein paar Jahre hindurch formell gewesen , nach dem Tode ihres Begründers schleunigst verkauft , war in die nächste größere Stadt versiedelt – und » verwaltete « nun sein Vermögen , » spekulirte « ein Wenig zum Zeitvertreib , war Mitglied einer bierbräulichen Aktiengesellschaft – er saß sogar in ihrem » Verwaltungsrathe « ! – und genoß im Uebrigen sein Leben harmlos , einfach , bescheiden , gemüthlich , höchstens mit einem nur ganz kleinen , nur ganz spröden Stich in's Raffinirte , befriedigte zeitweilig , wie es gerade kam , auch seine » geistigen Bedürfnisse « , ging ' mal in's Theater , ' mal in's Concert , unterstützte mit Vorliebe einen Verein , der es sich angelegen sein ließ , für Vermehrung der öffentlichen Aborte und Retiraden Sorge zu tragen , trug einen großen , monströs-breitspurigen Siegelring mit schmutzig grünem Stein auf dem Zeigefinger der rechten Hand – und führte gelegentlich ' mal ein paar mehr oder weniger » geistreiche « Leute , zu deren Bekanntschaft er zumeist gekommen war , wie die bewußte Magd zu ihrem Kinde , in sein Haus ein , » schmiß « diesen Auserwählten ein kleines Frühstück oder ein delikates Souper , setzte ihnen , aus der menschenfreundlichsten Stimmung von der Welt heraus , einen trinkbaren Wein und ein rauchbares Kraut vor ... und arrangirte schließlich eine Scatpartie ... in höheren , weiteren Abendstunden ... eine Scatpartie , bei der man gewöhnlich » ganz zwanglos , « » ganz unter sich « war ... und für welche sich Adam Mensch mit der Zeit beinahe so etwas wie ein kleines » Fäbel « angezüchtet hatte . Es waren wirklich immer sehr nette , sehr amüsante Abende gewesen ... diese späteren Scatnächte bei Mister Traugott Quöck ... Allerdings ! in den letzten sechs Wochen war Adam Mensch nicht dazu gekommen , in die gastfreundliche Burg seines » jovialen Freundes « einzukehren , dieses Mannes , der schon seit erklecklicher Zeit gerade in seinen » besten Jahren « stand und vermuthlich noch in Zukunft eine beträchtliche Weile also weiterstehen würde . Hatte Adam irgend ein ernsteres Etwas von dieser » Einkehr « zurückgehalten ? Nein . Er erinnerte sich nicht . Aber das Leben reißt so hin und her , verzettelt , verkrümelt und zerkrümelt so , ist so bei der Hand mit dem Entwegen , Verschieben , Aufschieben , mit dem Ueberschatten und Vergrauen . Oder – ja doch ! richtig ! – so war's – : irgendwo , irgendwann hatte er 'mal gehört , im Café oder in der Kneipe oder sonstwo , daß Frau Möbius , die alte Verwandte Herrn Quöck's , welche dieser als weibliche Repräsentationsfigur in sein Haus aufgenommen hatte , seit längerer Zeit leidend sei – na ! und da war es ja sowieso ausgeschlossen , daß – hm ! – aber ein Beileidsbesuch , ein Erkundigungsbesuch wäre dann wohl erst recht geboten gewesen ... Nun ! Der Herr Doctor war denn auch gestern nett ' reingeplumpst – das heißt : nur vor sich selber . – Herr Quöck schien die Geschichte nämlich gar nicht ernsthaft capirt zu haben – war hübsch 'reingefallen also , als er sich nach dem Befinden der Frau Möbius – es ginge ihr doch hoffentlich wieder besser ? – erkundigt und damit verrathen hatte , daß er ziemlich sauber orientirt war – : » Ach Gott ! die alte Schachtel ! Die hat auch immer ' was ! heute das , morgen das ! Na ! sie hat wenigstens Zeit , ihre Krankheiten poussiren zu können . So hängt Jedem sein kleines Privatvergnügen an . Momentan ist sie übrigens wieder auf dem Damm ... « Somit könnte denn morgen Abend , das war also heute Samstag , endlich ' mal wieder ein kleines Souper vor sich gehen , hatte Herr Quöck nunmehr gemeint . Lydia käme natürlich auch . Lydia – ? » Wer ist denn das – ? « – » Ach so ! Sie kennen meine – sie will nämlich eine Cousine von mir sein , wenigstens hat 's meine Tante Wort – na ! thun wir ihr den Gefallen ! – mir kann 's ja egal sein – Cousine hin , Cousine her – aber ich sage Ihnen , Doctor – : so 'n Weib haben Sie überhaupt noch nicht gesehen – – « – » Na ! na ! Herr Quöck – Sie ! – – « »– Ruhig ! ruhig , mein Lieber ! Feudal , capital , pikant , Sie wissen ja , kennen ja die Litanei – ei-genartig , emanci-pirt , capri-ciös – was Sie wollen ! Mit einem Wort – : 'n janz jöttliches Frauenzimmer ! – Wird Ihnen gefallen . Spielt nämlich ooch so 'n Bischen mit der Feder – verstehen schon ! ... hätte 's ja gar nich nöthig , nicht im Geringsten – ist ihr ooch nicht Ernst damit – bewahre ! – bloß – na ! Federwisch und Flederwisch und so weiter – junge Wittwe – lebt erst seit Kurzem hier – hat wenig Umgang noch – will sich 'n Bissel zerstreuen – 's Leben genießen – ganz hübsch vermögend – laß ich mir gefallen – Alles solid bei ihr , Doctor : – Geld , Fleisch , Lebensanschauung – und so weiter .... Warum also nicht – ? 'n Narr , der's menschliche Leben nicht so nimmt , wie's ist . – Habe übrigens schon mit ihr von Ihnen gesprochen – sie sagt : sie interessirte sich – – « » Um Gottes Willen – « » Was erschrecken Sie denn so – ? Werden mir noch dankbar sein . Das heißt , lieber Doctor – : Sie sind in gewissen Dingen 'n kleener Schwerenöther , ich weiß wohl – aber hier – – « » Sie haben die Vorhand , Herr Quöck – versteht sich ! – versteht sich ! – wir mogeln grundsätzlich nicht – « hatte Adam laut lachend eingeräumt , zugestanden , ganz und gar ohne inneren Rückhalt – und doch ein klein Wenig gnädig , einen Fingerhut voll Souveränität in der Seele , eine Idee » von oben ' runter « ... Aber er kannte ja diese Dame , dieses » janz jöttliche Frauenzimmer « überhaupt nach gar nicht . Also ! War er etwa neugierig – ? Quatsch . Seitdem er sich selber so oft als pointenloser , interessant dekadirter Schlingel vorkam , hatte Adam ein wahres und auch ganz aufrichtiges , ehrliches Entsetzen vor allem Neuen , Außergewöhnlichen , allem » Ei-genartigen . « Manchmal wenigstens pilzte sich das Abwehrgefühl prall auf und energisch entgegen – : » Alles ! – nur das nicht ! « Dieser verfluchte Exotismus ! Das » gewöhnliche « Leben ist ernst , schwer , traurig , elend , verworren , monströs , angenehm , lieblich , beseligend , berauschend genug . Ha ! das » gewöhnliche , « das gewöhnlichste Leben . Aber Adam hatte die Einladung Herrn Quöcks doch angenommen . » Selbst-verständlich ! « Sich so Etwas auch entgehen lassen sollen ! Ein patenter Abend : Wein , Cigarren , Scat , Souper , Weiber – da bleibe der Teufel zu Hause ! Lydia – ? Nein ! Sie reizte ihn nicht . Dieser dämliche Köder . Vielleicht eine ganz angenehme Zugabe ... eine pikante Würze – warum denn nicht – ? Also abwarten . Nur nichts erwarten . Hinterher ist man auch nicht enttäuscht . Enttäuschungen verstimmen so . Und wenn man die Karten nachher doch wieder in die Hand nimmt , in die Hand nehmen muß , sind sie mit einem Male so klebrig , so schmutzig , so ... so ... so – abgespielt eben – man weiß gar nicht – man gewöhne sich bitte ! daran , allenthalben als das Selbstverständlichste von der Welt nur Dreck , Moder , Schweiß , Staub , Koth , Schleim und andere Parfums ... zu erwarten . Handschuhe . Hm ! Handschuhe ? Handschuhe sind doch eigentlich sehr merkwürdige Dinger . Adam erinnerte sich wirklich nicht mehr , bei welcher Gelegenheit er Herrn Quöcks Bekanntschaft gemacht hatte . Ein ganz nettes Zeitweilchen war's immerhin doch schon her . Aber das war ja jetzt sehr schnuppe . Der » Zufall « ist ein so gediegener , ein so zuverlässiger Improvisator . – V . Es war also heute Samstag Abend um die achte Stunde . Adam Mensch hatte sich natürlich ein Paar neuer Glacés erstanden , die er mit großem Behagen , mit großer Selbstgefälligkeit über seine weißen Hände zog , als er die Treppe hinunterschritt , um gen Quöck-Heim zu wallfahrten . Der Herr Doctor trug leidenschaftlich gern Glacéhandschuhe . – Es gab viel Unrast und Bewegung in den Lüften . Die Zeit lief wieder einmal dem Kalenderfrühling in die Arme – und dabei war einiger Windrumor , verschiedentliches Stürmen und Blasen und Pfeifen unumgänglich nothwendig . Aber die Temperatur war noch kaum angelenzt . Der Wind kalt , schneidend , stechend , als wirbelte er kleine , spitze Eiskristalle durch die Luft . Es hatte am Nachmittage geregnet , und große Pfützen standen auf den Straßen . Das Pflaster hatte ein sehr schmieriges , breiiges , klebriges Gesicht aufgesteckt . Die Gasflammen zuckten nervös in ihren Glaskäfigen hin und her und spiegelten sich unruhig in den Pfützen wieder . Am Himmel war schläfrigdämmernde Mondhelle . Die Wolken zogen in großen , unförmigen Schwämmen und Schwärmen hin . Ab und zu ließ sich die eine oder andere herbei , den Mond gleichsam zu verschlingen . Und gleichsam von ihrem Magen her floß ein weißgelbes Feuer in alle ihre Glieder und durchleuchtete sie blendend von innen heraus . Adam sagte sich , daß dieser Aufruhr in der Natur ein köstliches Frühlingssymbol sei . Und doch dünkte ihn dieser stechende Stecknadelwind impertinent . Er klappte den Kragen in die Höhe und schob die frierenden Hände resignirt in die Rocktaschen . Ja ! Es gehörte ein sehr biegsamer und an's Pariren gewöhnter » Wille « dazu , um an dieses Frühlingssymbol glauben zu können . Adam schlug den Rockkragen wieder nieder und drückte auf den Knopf der elektrischen Klingel . Das Gaslicht lag dick auf dem gelben , funkelnden Metallschild , das den Namen » Traugott Quöck « eingravirt trug . Ein Diener öffnete . Er complimentirte den Ankömmling in den Vorsaal hinein und war ihm beim Ablegen des Ueberziehers behülflich . Dann stieß er die Thür zum Salon auf . Adam trat ein . Herr Quöck schnellte von einem Fauteuil auf und eilte seinem Gaste entgegen . » Willkommen , Herr Doctor – « » Guten Abend , Herr Quöck – « » Darf ich Ihnen meine – ich sagte ja Ihnen gestern schon – Sie werden sich erinnern – also meine Cousine – Frau Lydia Lange – vorstellen – ? « Herr Quöck deutete auf eine Dame , die im Hintergrunde des Zimmers an einem kleinen Ecktische stand und sich soeben umwandte . Ein aufgeschlagenes Album wurde jetzt sichtbar . » Herr Doctor Mensch – « Adam verneigte sich sehr ceremoniell . Die Dame nickte kurz . » Wollen Sie nicht Platz nehmen , Herr Doctor ? – « » Wenn Sie gestatten – « Adam warf sich in einen Fauteuil . Er knöpfte seine Glacé's auf und sah zu der Frau hinüber , die näher getreten war und jetzt am Sophatisch stand . Hm ! Frau Lange besaß allerdings Etwas , das – gewiß ! das » eigenthümlich « war , das interessiren , das unter Umständen sogar – hm ! – sogar – » Na ! nur nicht gleich so hitzig ! « bremste Adam seine schmunzelnde Zufriedenheit fest ... und gestand sich nun eine volle , die durchschnittliche Mittelgröße ein Wenig überragende Gestalt ; einen , wie die Dame so dastand , durch kleine , runde , gelenke Bewegungen mit den Armen , mit dem Kopfe , Elasticität und Geschmeidigkeit verrathenden Körperbau ; eine prachtvoll durch das Corset zu eleganter Wölbung herausgecurvte Brust ; volle , warme Arme , die durch das glatt und eng anliegende Kleid entzückend bestimmt hervortraten – einen breit und gebärtüchtig sich ausladenden Unterkörper – » allerdings ! derartige Frauen sind sehr oft unfruchtbar « – – und schließlich ein , wenn auch nicht gerade » durchgeistigtes , « so doch sehr regelmäßiges Gesicht : feine , zierliche Nase , kleiner , üppiger Mund , niedrige , weiße , von einigen zwanglos herabfallenden Ringeln des rothblonden Haars coquett überschattete Stirn – und ein Paar grauer , merkwürdig unruhiger , verzettelt sich ausgebender Augen , die einen Moment groß aufgeschlagen sind , um im nächsten wiederum halb überlidert zu werden . » Das ist also unser berühmter › Proletarier des Geistes ‹ – sagtest Du nicht , liebe Lydia , daß Du Dich für den Ul-k – – pardon , Herr Doktor ! – interessirtest ? Ich erzählte Dir doch neulich davon ... nicht wahr – der Herr Doctor sieht gar nicht so proletarierhaft aus , gar nicht so ... ? – « Frau Lydia Lange und Adam Mensch sahen sich scharf in die Augen . Dann rümpfte die Dame ein Wenig das feine Näschen und meinte leichthin : » Es kommt so oft vor , daß man in Wirklichkeit doch das ist , was man sich – einbildet – « » Aber Lydia – « wehrte Herr Quöck mit poussirlicher Erschrockenheit ab . Adam war einen kleinen Augenblick verblüfft . Auf eine derartige ... hm ! immerhin paradoxe Conversation war er kaum gefaßt gewesen . Dann verzog er den Mund zu einem nachsichtig-ironischen Lächeln und parirte ab : » Sie haben so Unrecht nicht , gnädige Frau . Aber ich möchte mir eine Lanze , sogar eine › warme ‹ Lanze , wie man zu sagen pflegt , für die andere Seite Ihrer Behauptungsmedaille – › wie geschmacklos ! ‹ dachte er bei sich , als ihm diese nette › Metapher ‹ entfahren war – zu brechen erlauben . – Es giebt nämlich in der That auch Fälle , wo ... wo ... nun sagen wir : wo › man ‹ sich das nicht einbildet , was › man ‹ im Grunde – auch ... nicht ist – « Herr Quöck that sehr verwundert über diese Art von Unterhaltung . Die Beiden schienen ja sogleich beim ersten Sichbegegnen sehr energisch Notiz von einander nehmen zu wollen . Er blickte erst zu Adam hinüber , dann wandte er sich , eine stumme Frage in den Augen , zu seiner Cousine hin . Diese mußte auch ein wenig erstaunt sein . Wagte ... wollte ... dieser – nun ja ! der Herr hieß ja curios genug thatsächlich » Mensch « – – also wagte ... wollte' dieser – Mensch ihr eine ... Impertinenz sagen ? Das wäre doch unerhört gewesen – » Sie meinen damit , Herr Doctor – ? « kam es darum sehr indignirt von ihren Lippen . » Nun ... ich meine damit , gnädige Frau , um mich Ihrer Urtheilsart an–zu–schließen – – noch einmal , wenn Sie gütigst gestatten , anzuschließen – – ich meine damit , daß es Individuen giebt , die zu viel ... und zumeist zu viel innerlich erlebt haben , als daß sie nicht so weit ... also so weit unklar über sich sein sollten , um das zu behaupten , wofür sie keine direkten Beweise besitzen ... « redete sich Herr Doctor Adam Mensch sehr dunkel aus und zwar , indem er sehr langsam , sehr gedehnt sprach ... Frau Lydia Lange war wie verwandelt . Sie lachte hell auf , zupfte unruhig an ihrer Uhrkette und rief lustig : » Das ist mir zu hoch oder zu tief Herr Doctor ! Das verstehe ich nicht – « » Ich eigentlich auch nicht , gnädige Frau – « versicherte Adam treuherzig . Er mußte nicht minder lachen . Traugott Quöck sah ziemlich verdutzt aus . Da öffnete sich die Thüre zum Nebenzimmer und Frau Möbius trat über die Schwelle . Adam begrüßte die Dame und erkundigte sich sehr theilnehmend nach ihrem Befinden . Die » alte Schachtel « war enorm gerührt . » Es ist Alles so weit fertig , Traugott – « bemerkte sie nun zu ihrem Neffen – » wir könnten anfangen – « » Schön , liebe Tante ! Aber Du vergißt ganz – wir haben ja noch Fräulein Irmer und Herrn Referendar Oettinger geladen – – so müssen wir denn wohl noch einen Augenblick warten – ich denke : die Beiden kommen noch . Oder haben sie in letzter Stunde absagen lassen – ? « » Nein ! – aber es ist schon so spät – und der Braten – « » Die Geschichte wird ja immer famöser , « plauderte sich Adam zu und wollte sich einreden , daß er nicht im Mindesten verwundert wäre . Also kannte Herr Quöck auch Hedwig – das heißt – : jedenfalls ihren Vater – ? Aber seit wann denn eigentlich – ? Na ! dös war nun halt ' mal so ! da ließ sich Nix gegen machen – also 'mal zu , Kutscher , bis zur Pechhütte ! Die Klingel schlug an . Die Thür ging auf und ein ... Herr trat in den Salon . Herr Referendar Oettinger wurde den Anwesenden , soweit er ihnen unbekannt war , vorgestellt . Adam musterte den Ankömmling mit scharfen Blicken . Er bemerkte , wie dessen Augen sich sehr intim mit dem Erfassen von Frau Lydias menschlicher Ausgedrücktheit beschäftigten . Die streifte ihn mit einem kurzen Blicke , wandte sich sodann wieder Adam zu und kehrte nochmals zum Gesicht Herrn Oettingers zurück . Adam konnte sich eines verkappten Lächelns nicht enthalten . Aha ! Sie vergleicht ! constatirte er stillvergnügt . Wie doch die Weiber sofort an das Aeußere , an die zufällige Erscheinung anknüpfen ! Plötzlich verspürte er den Blick Lydias anhaltend auf sich . Er reagirte naiv-brüsk auf diese augenscheinliche Zurechtweisung . Die Beiden verstanden sich . Und Adam mußte sich mit einer heiteren Befriedigung einräumen , daß Frau Lange seine Gedanken durchschaut hatte . Herr Referendar Oettinger besaß im Ganzen sehr nichtssagende , sehr nichtsthuende Züge . Ein mattrothes , ziemlich volles , prahlerisch gesundes Gesicht . Das Haar mit zudringlicher , beleidigender Sauberkeit in der Mitte gescheitelt . Ein süßliches Gesellschaftslächeln um den unschönen , langweilig breiten Mund . In Kleidung und Haltung natürlich tadellos , natürlich » patent . « Ein discreter Moschusduft quoll von ihm aus durch den Raum . » Fräulein Irmer bleibt aber wirklich etwas lange – « urtheilte Herr Quöck , der ziemlich hungrig sein mochte . » Warten wir doch noch 'ne Sekunde ! Wir werden doch nicht ' gleich verhungern – « schlug Frau Lydia sorglos vor . Sie erhielt einen etwas mißbilligenden Blick von ihrem Herrn Vetter . » Sie kommen eben aus Italien , Herr Referendar – ? « fragte Herr Quöck seinen Gast , weniger aus Theilnahme oder objectivem Interesse , als aus dem Bedürfniß heraus , sich über die peinliche Zwischenaktsfrist nach Kräften hinwegzutäuschen . Er hatte wirklich redlichen Hunger . » Ja – ! Das heißt – ich bin schon vier Wochen wieder in Deutschland ... Es war ja ganz nett jenseits der Alpen – natürlich ! Aber es gab doch 'n Bissel zu viel – Schmutz ... Die Damen verzeihen , allein die Wahrheit über Alles – « » Bravo , Herr Referendar ! « rief Adam ungenirt . Ihm kam das Geständniß und zumal die Entschuldigungsphrase Herrn Oettingers überaus drollig vor . Der platzte dem Bravorufer mit einem ungnädigen Blicke entgegen , in welchem Blicke allerdings zugleich ein verhaltenes Erschrockensein lag . Frau Lydia trug ein moquantes Lächeln um die Mundwinkel . Sie sah Adam an , der erwiderte ihren Blick . Und Herr Oettinger , welcher dieses Herüber und Hinüber der Augen bemerkt , schaute wirklich einen Moment lang rechtschaffen unzufrieden aus . Der Märzwind schnob die Straße entlang . Das war ein wüthiges Brausen , als stünde das Herz des körperlosen Athemgottes in hellen Zornesflammen , als suchte er etwas Verlorenes , das ihm entwischt wäre ... und das er durchaus nicht wieder finden könnte ... durchaus nicht ... Das Gespräch war plötzlich verstummt . Es schien , als hätten die Menschen da drinnen im Salon das Gefühl , den Unhold unbehelligt vorüberrasen lassen zu müssen . » Das ist aber windig – « unterbrach Frau Möbius die Stille . Die alte Dame besaß entschieden das Talent , zur rechten Zeit sehr richtige Bemerkungen zu machen . » Frühlingssymbol , gnädige Frau – ! « erläuterte Adam scherzend . Frau Lange verzog den Mund zu einem gegenstandslosen Lächeln . » Es symbolt sich ' was , Herr Doktor – ! « urtheilte Herr Quöck mit gezwungenem Gesichtsausdruck . Sein Hunger schien entschieden wieder ein tüchtiges Stück gewachsen zu sein . » In Palermo hatten wir einmal – – « begann Herr Oettinger – da klang ein spitzes , scharfes Läuten auf . » Das wird doch endlich Fräulein Irmer sein – « hoffte der Wirth des Hauses brummig . Die Dame war es denn auch . » Ich bitte um Entschuldigung , daß ich so spät komme – mein Vater – – « begann Hedwig , als sie in den Salon getreten war und die Anwesenden kurz begrüßt hatte . Ihre Stimme gab einen hastigen Stoß , im Ausdruck tief , monoton , etwas verschleiert , etwas heiser . Frau Möbius stellte ihr die beiden Herren vor , die zum Souper mitgeladen waren . Fräulein Irmer wurde ein Wenig verlegen , als sie sich unvermuthet Adam gegenübersah . Der hatte sich erhoben und verneigte sich unendlich passiv . Er freute sich im Stillen 'n Bein aus , daß er sich vollkommen beherrscht hatte . » Nun darfst Du Deinen Willen haben , liebe Tante – « wandte sich Herr Quöck großmüthig zu Frau Möbius , die sich auch sofort nach dem Speisezimmer kehrte . » Darf ich bitten – ? « lud der Wirth seine Gäste ein . Adam saß zur Rechten Herrn Quöcks , diesem zur Linken Herr Referendar Oettinger . Neben letzterem Frau Lydia , also Adam schräg gegenüber . Seine rechte Nachbarin war Fräulein Irmer . Frau Möbius , die kleine , purzlige Frau mit dem harmlosen Gesicht – der goldene Kneifer , den sie bald aufsetzte , bald wieder von dem Rücken der scharfgefalteten Nase herunterholte , nahm diesem Gesicht nichts von seiner blasigen Teigheit – Frau Möbius rundete die kleine Gesellschaft liebenswürdig ab . Adam war vollständig ein Opfer der Situation geworden . Die Atmosphäre berührte ihn außerordentlich sympathisch , stimmte ihn überaus einheitlich . Die Gegenwart Fräulein Irmers dünkte ihn ausnehmend pikant , kam ihm wie das Vorspiel eines interessanten Abenteuers vor – eines Abenteuers , das ihm ein tüchtiges Maß bunter Reize zuwerfen mußte . Da stand etwas bevor , das ihn mit einer köstlichen Unruhe erfüllte . Und Frau Lydia ? Sie coquettirte doch ein klein Wenig mit ihm . Auch das schmeichelte ihm . Seine Beziehungen zu ihr mußten nicht minder Form und Farbe , bestimmte Contouren annehmen : das ahnte , wußte , hoffte er . Seine Phantasie tändelte gern . Sie war augenscheinlich heute Abend in der besten Laune . Zudem diese reichbesetzte Tafel , diese Fülle von Eleganz , dieses geschmackvoll zusammengeordnete Leben , diese behagliche Zwanglosigkeit – die verhalten-gesummte Musik der Lüstreflammen : das Alles prickelte sich ihm berauschend in die Seele , schob und hob ihn ohne jede Absichtlichkeit über sich hinaus , ließ ihn vergessen , was hinter ihm lag , was vor ihm lag , was er sich selbst eigentlich war – nahm ihn ganz hin – zehrte ihn ganz auf .... Herr Quöck aß sehr tapfer drauf los . Der saftige Rehbraten mundete ihm vortrefflich . Die Ouvertüre : delicate grüne Erbsen mit Beilage , hatte er ziemlich unbehelligt vorübergehen lassen . Er schien sich an das Körperlichere halten zu wollen . » Nehmen Sie Rum oder Rothwein zum Thee , Herr Doctor – ? « fragte Frau Möbius Adam . » Danke sehr , gnädige Frau ! Ich habe mich schon mit Rum bedient – « » Ich gieße mir immer Rothwein hinzu – « gestand Quöck . » Und Sie , Herr Referendar – ? « » Auch ich , gnädige Frau , habe mir schon erlaubt , Rum vorzuziehen – « » Wie geht es Ihrem Herrn Vater , Fräulein Irmer – ? « fragte der Wirth des Hauses und schob ein ansehnliches Stück Rehrücken zwischen die Zähne . Fräulein Irmer , die soeben nach ihrem Theeglase gegriffen , setzte es wieder nieder und antwortete : »– Papa war gerade in den letzten Tagen recht leidend – hatte viel nervösen Kopfschmerz ... Er läßt sich Ihnen übrigens bestens empfehlen , Herr Quöck – « » Danke , liebes Fräulein , danke – ! Ich glaube , Ihr Herr Papa arbeitet zu viel ... er sollte sich mehr Ruhe gönnen ... das viele Denken strengt so an – « » Mag sein , Herr Quöck – aber das ist nun einmal sein Leben – und ich glaube , man kann die Gesetze , nach denen sich ein individuelles Leben regelt , nicht ungestraft verletzen – « Herr Quöck kaute gerade an einem etwas heißen Stück Bratkartoffel herum und konnte darum nicht sogleich zu Wort kommen . Adam wandte sich zu seiner Nachbarin hin – : »– Wenn ich mich nicht irre , mein gnädiges Fräulein , hörte ich neulich – ich erinnere mich freilich nicht gleich , wo ? – , daß Ihr Herr Vater auch – hm ! auch Bücher zu schreiben pflegt – ? – Ich huldige zeitweilig leider auch dieser tristen Praxis – es wäre mir darum ganz interessant und zudem eine hohe Ehre , Ihren Herrn Vater gelegentlich persönlich kennen lernen zu dürfen – › Collegialität ‹ ist zwar sonst nicht gerade – « » Papa ist , wie gesagt , sehr leidend ... wir leben sehr zurückgezogen ... empfangen selten Besuche ... Papa ist so ungesellschaftlich geworden ... das ist ja natürlich ... Aber wenn Ihnen daran liegt , Herr Doctor – – ich werde Papa vorbereiten – – « Hedwig hatte sehr kalt , sehr zurückhaltend , beinahe abweisend , gesprochen . Es schien ihr persönlich gar nichts daran zu liegen , eine Beziehung zwischen ihrem Vater und Herrn Doctor Mensch herzustellen oder hergestellt zu sehen . » Sehr liebenswürdig , mein Fräulein ! « dankte Adam reservirt und wollte sodann fortfahren : » Der Werth des Lebens – « Da fiel Frau Lange ein : » Pardon , Herr Doctor , wenn ich Sie unterbreche – ich – ich – « Frau Lange wußte entschieden nicht recht , was sie eigentlich von Adam wollte in diesem Augenblick . Es schien ihr nur unbequem zu sein , ihn und Fräulein Irmer in ein ernsthafteres , längeres Gespräch kommen zu sehen . Als Adam die Worte »– Werth des Lebens – « über die Lippen gebracht , war Hedwig zusammengefahren . Er wird doch nicht – – – » Ja ! « fuhr Frau Lydia fort , » Sie haben , Herr Doctor – « » Darf ich Ihnen noch einmal Thee eingießen , Herr Referendar – ? « fragte Frau Möbius an ... » Wenn ich bitten darf , gnädige Frau – – . « » Mir auch noch 'n Schluck , liebe Tante , ja – ? « bat Herr Quöck . » Recht gern , Traugott – « » Ich mache Ihnen mein Compliment , gnädige Frau , « hub Herr Oettinger an , »– Ihre Küche ist vorzüglich ! Ich habe selten ein so delikates Stück Fleisch – – « Ach , bitte , bitte ! ... « wehrte Frau Möbius bescheiden ab . » Uebrigens , « wandte sich Lydia an Adam – » sagen Sie , Herr Doctor : – sind Sie denn immer so ... so steif ... so ceremoniell – ? Ich hörte zufällig vorhin , als Sie zu Fräulein Irmer – Sie geben ja in der That keinen einzigen ... wie soll ich sagen – ? keinen ... keinen einzigen Naturlaut von sich – . « Adam war ein Wenig verblüfft . Er reichte gerade die Schüssel mit Bratkartoffeln seiner Nachbarin hin . » Immer so – ? « wiederholte er befangen-mechanisch . Er wußte nicht sogleich , was er antworten sollte . Lydia lachte hell auf : »– Aber , Herr Doctor– « » Aber , Lydia – ! « monirte verlegen-unwillig ihr Vetter . Herr Oettinger schmunzelte . Um diese süße Freude über Adams kleine Abfuhr ein Wenig zu verhüllen , griff er schnell nach seiner compote mêlée ... Adam hatte sich gefaßt . Er schlug die Augen groß auf und sah scharf zu Lydia hinüber . Dann kniff er den Blick etwas zusammen – und während ihm ein wegwerfendes Lächeln Mund und Nase umkräuselte , fragte er seine schöne Gegnerin : » Wollen Sie es dem Schornsteinfeger verdenken , gnädige Frau , daß er sich zuweilen ... wäscht – ? « Fräulein Irmer blickte ihren Nachbar erstaunt-erwartungsvoll von der Seite an . Was meinte er damit – ? Auch Frau Lange wußte nicht recht , was sie von dieser Antwort denken sollte . Der Herr Referendar hielt das Gesicht gebeugt und stocherte mit dem kleinen Löffel in seinem steifschleimigen Fruchtbrei herum . Seine rosigen , wohlgepflegten Fingernägel glänzten . Adam legte Messer und Gabel über seinen Teller und lehnte sich zurück . Er sah Frau Lydia herausfordernd an . Herr Quöck blickte bei seinen Tischgästen fragend herum und machte sich dann an das Geschäft , seinen goldgelben Rüdesheimer zu verschenken . » Pythius – ! « warf Lydia provokant hin . » › Pythius ‹ – ? « – Adam lachte . » Nein ! gnädige Frau scherzen ... Ich weiß ganz genau , was ich will ... was ich gesagt habe ... Uebrigens gestehe ich recht gern zu , daß Ihnen meine Worte weniger dunkel – « » Heraklitisch dunkel – « warf Herr Oettinger ein . » Ganz Recht , Herr Referendar ! ... also › heraklitisch ‹ dunkel und räthselhaft erscheinen würden , wenn ich die Ehre genösse , von Ihnen näher gekannt zu werden – « » Na ! Dazu kann ja eventuell noch Rath werden – « äußerte Lydia offen und sah Adam groß und coquett- versprechend an . – Hedwig machte ein ziemlich müdes und gelangweiltes Gesicht . Was wollten eigentlich diese Leute von ihr – ? Was gingen sie diese Menschen an – ? Was hatte sie in dieser leichtsinnig phosphorescirenden Welt zu suchen – ? Nichts ! Rein gar Nichts ! Vertrug sich überhaupt dieser Aufenthalt in einer Sphäre , die ihr im Grunde absolut gleichgültig ... ja ! ja ! ... ganz bestimmt ! ... ganz bestimmt absolut gleichgültig war – vertrug er sich überhaupt mit ihrer › Weltanschauung ‹ – ? Nein ! Sie that es nur ihrem Vater zu Gefallen , wenn sie zeitweilig in diesen Kreisen verkehrte . Ihr Vater zwang sie allerdings nicht dazu , diesen lächerlich leeren Formencultus mitzumachen . Aber er sah es im Grunde doch ganz gern . – gewiß ! › ideell ‹ , › theoretisch ‹ verwarf er den Humbug ... aber so » lebensklug « war er immerhin doch noch – schien er immerhin doch noch zu sein , daß er sich und seiner Resignation Nichts zu vergeben glaubte , wenn er seine Tochter den Firlefanz bisweilen mitmachen ließ . Hedwig sagte sich sehr klar , daß ihr Vater sich nur als Denker bethätigen konnte , wenn er lebte – wollte er aber › leben ‹ , mußte er mit gewissen Verhältnissen klug und praktisch rechnen – sonst konnte er eben einpacken . Oder – oder war sie heute Abend bloß so übellaunig , so verstimmt , wenigstens so gleichgültig , weil ihr Lydia unsympathisch ? Weil ihr Nachbar sie störte , dieser suffisante Doctor Mensch , der sich ihr neulich so impertinent frech aufgedrängt hatte – ? Aber nein ! Diese Welt war nicht ihre Welt – und sie durfte sich mit dem Bewußtsein trösten , daß sie dieselbe nur zuweilen besuchte , um ihre eigene Welt – selbstverständlicher zu finden . Prosit , meine Herrschaften – ! « lud Herr Quöck ein und erhob sein Glas zum Anstoßen . Die Gläser klangen zusammen . Frau Lydia hatte ihren › Kelch ‹ zuerst an den Adams klingen lassen . Der lächelte ironisch . Dann wandte er sich auffallend seiner Nachbarin zu . Er begegnete ihrem müden , theilnahmslosen Blicke . Und er bemühte sich , diesen Blick festzuhalten und ihm damit ein eigenes Feuer , einen besonderen , selbständigen Werth zu geben . Plötzlich stieg ein leises , diskretwolkiges Roth in Hedwigs Gesicht . Lydia , welche diese kleine , überflüssige Scene beobachtet hatte , war etwas pikirt und kehrte sich mit nervöser Plötzlichkeit zu ihrem Nachbar : »– Wie lange waren Sie in Italien , Herr Referendar – ? « Herr Oettinger , der soeben von seinem Weine getrunken , schluckte den köstlichen Tropfen hinunter , jedenfalls zu hastig für sein Gefühl , und antwortete : » Fünf Monate , gnädige Frau ! Gerade genug , um die Schönheiten und , wie gesagt , auch – den Schmutz dieser Dorados der guten Nordländer kennen lernen zu können – « » Fünf Monate – « wiederholte Lydia mechanisch und sah zu Adam hinüber , der zerstreut-gedankenvoll an seiner Serviette herumspielte . » Wollen Sie nicht einmal von diesem Apfelsinencompot kosten – ? « wandte sich Frau Möbius an Hedwig . Diese nahm dankend an , schöpfte ein paar Löffel des Nachtisches auf ihr Tellerchen und gab die kleine Terrine weiter an Adam . Herr Quöck hatte wieder einmal an seinem Glase genippt und schnalzte befriedigt mit der Zunge . » Wissen Sie übrigens schon , lieber Doctor – « hub er jetzt zu Adam Mensch zu sprechen an , »– daß meine verehrliche Frau Base auch – auch – schriftstellert – das heißt – « » Bester Traugott – « » Ich bin erstaunt , gnädige Frau – , « heuchelte Adam – : er wunderte sich doch ein Wenig , daß Herr Quöck manchmal so merkwürdig taktfest im gesellschaftlichen Lügenspiel sein konnte . » Na ! So schlimm ist das nicht – « gab Lydia lachend zu – » schwache Versuche , die – « » Nette › schwache Versuche ‹ , wenn man gleich 'ne › moderne Bibel ‹ schreiben will – « flüsterte Herr Quöck mit drolligem Geheimnißvollthun über den Tisch – » Das ist ja außerordentlich interessant – « versicherte der Herr Referendar – : » eine › moderne Bibel ‹ – « » Ja – ? finden Sie ? « fragte Lydia neckisch-boshaft . » Auf Ehre , gnädige Frau – ! « » Ich habe einen Gedanken , liebe Cousine – « nahm Herr Quöck wiederum das Wort – » Und das wäre – ? Du hast , wenigstens so weit ich es vorläufig beurtheilen kann , so selten Gedanken , bester Herr Vetter – daß ich wirklich gespannt bin – « » Sei doch nicht so ... so eigenthümlich liebenswürdig , Lydia – höre mich doch erst an – vielleicht genüge ich Deinen hohen Ansprüchen ausnahmsweise doch einmal – « ließ Herr Quöck beleidigt-zurechtweisend verlauten ... » Na ! – nur nicht böse sein , Vetter ! Ich widerrufe ja gern , wenn – – « » Also ... Ja ! ... Wie wäre es , wenn Du im Verein mit ... Herrn Doctor Mensch Deine ebenso schöne wie tiefe Idee ausführtest – ? Der Herr Doctor ist wohl , wenigstens soweit ich urtheilen darf – ich habe ja die Ehre , ihn schon seit mehreren Jahren zu kennen – also der Herr Doctor möchte Dir ein ganz famoser – verzeihen Sie gütigst , Herr Doctor , dieses etwas burschikose Beiwort – aber mein Jugendfreund Saldern gebrauchte das Wort öfter – und da habe ich es mir denn auch un poco – – « » Ah ! › un poco ‹ ! Süßer Laut der schönen Fremde – « fiel Herr Oettinger affektirt-pathetisch ein . Der Wein schien ihm die Zunge etwas schwippig gemacht zu haben . » Also auch etwas angewöhnt – – ja ! ... um den Satz endlich fertig zu bringen – « fuhr Herr Quöck fort – » ein ganz prächtiger Mitarbeiter sein ... Ich glaube nämlich ehrlich , daß das Buch Aufsehen machen – unter Umständen sogar einen sensationellen Erfolg haben würde , wenn es nur erst ... erst fertig wäre – « Frau Lange sah zu Adam hinüber . Der war immerhin etwas betreten . Diese Wendung des Gesprächs kam ihm zu unerwartet . Sollte das den Weg bedeuten , auf welchem sich seine Beziehungen zu diesem schönen Weibe , das ihn ausnehmend reizte , anknüpften ... enger zusammenfädelten – ? Und ... und Hedwig ? ... Er sah sich zu ihr um . Fräulein Irmer machte ein etwas maliciöses Gesicht . Die Schmerzensfalten um die Nase waren schärfer hervorgetreten . Und doch lag in diesem Gesicht zugleich ein Zug des Gespanntseins , der Neugier , der Theilnahme . » Hm ! ... hm ! – « begann Lydia . Sie wunderte sich ein Wenig , daß Adam nicht sogleich freudig und hingerissen auf den Vorschlag einging . Das ärgerte sie . » Ja ! Ja ! Der Gedanke ist ... ausnahmsweise wirklich nicht so übel ... Ich danke Dir , lieber Vetter ... nur fragt es sich , ob ... ob der Herr Doctor – ich – ich – gewiß ! – mir behagt die Idee sehr ... sehr ... ich finde sie ganz ausgezeichnet , aber eben – « » Na ! Mir gefällt sie natürlich auch – « versicherte Adam brüsk . Lydia stutzte . Der Ton , in welchem diese Worte gesprochen waren , mußte ihr auffallen . Sie wollte eben eine spitze Bemerkung loslassen – sie hatte allerdings vorläufig bloß das Gefühl , das thun zu müssen , ohne im Augenblick schon zu wissen , wie sie die Unart dieses ... unverschämten Menschen rügen sollte – als dieser , ein Wenig moquant-lächelnd , seine Worte wieder mit den alten Farben der steif-gespreizt-ironischen Höflichkeit zu bemalen begann – : » Vorausgesetzt natürlich , gnädige Frau , daß Sie es der Mühe für werth halten , mich intimer in Stoff und Motiv einzuführen – « Lydia war wieder versöhnt . – » Also Sie spielen mit – ? « fuhr sie lebhaft auf , »– das enchantirt mich aufrichtig , Herr Doctor ! Sie sollen sehen – : wir kriegen ein ganz prächtiges Gesch – – also – nicht wahr – ? auf gute Kameradschaft ! Wahrhaftig der Stoff fängt wieder an , mich stärker zu interessiren – « Sie reichte ihre kleine , fleischige , ringblitzende Hand über den Tisch zu Adam hinüber . Der brachte seine Finger mit der Sammthaut Lydias in eine vornehm-zurückhaltende Berührung . Frau Lange's Augen strahlten . Adam fragte scherzend – : » Theilen wir nun , gnädige Frau , die Arbeit systematisch– ? Dann möchte ich mir das moderne neue Testament zur Bewältigung ausbitten – « » Wie wir's anstellen – nun ! das werden wir ja noch finden , Herr Doctor ! Sie trinken vielleicht in den nächsten Tagen , wenn Sie über sich verfügen können , eine Tasse Thee bei mir – ? Dann können wir ja das Problem in aller Ruhe einmal näher anschauen . Aber warum erbaten Sie sich vorhin das › neue ‹ Testament zur Bearbeitung – ? Ist Ihnen das alte – « » Das alte – hm ! – das alte Testament , gnädige Frau , ist mir , wenn ich offen sein soll , ist mir ein Wenig zu ... zu semitisch ... Gewiß ! es hat gewaltige , von der bewußten › elementaren ‹ Poesie strotzende Capitel – aber – « » Ah ! das freut mich , Herr Doctor ! Sie scheinen auch Antisemit zu sein ? « – fragte Herr Oettinger lebhaft – » das einzig Vernünftige heute – versteht sich ... « » Ob ich gerade regelrechter › Antisemit ‹ bin – › Antisemit ‹ mit allen Chikanen – – das – das weiß ich eigentlich nicht recht , Herr Referendar ... Aber ich glaube kaum ... Die Frage , die gewiß eine › moderne ‹ und zudem gewiß auch eine sehr › brennende ‹ ist , bedeutet bei mir weniger eine neutrale Angelegenheit des Intellekts mit dem Stempel der Selbstverständlichkeit – selbstverständlich aus wirtschaftlichen , politischen , socialen , philosophischen und tausend anderen ›Vernunfts‹-Gründen – als vielmehr eine Art von Herzensbedürfniß ... Meine Weltanschauung ist , den Haupttendenzen , der Polarität meiner Natur gemäß , eine vorwiegend ästhetische ... Sogenannte › Principien ‹ habe ich nicht , höchstens nur in sehr schwachen Ansätzen – sie › liegen ‹ meiner Natur nicht ... und ich halte sie darum für geschmacklos und langweilig ... u. s.w . – aber verzeihen Sie ! – ich bin ganz abgeschweift – – « » › Abgeschwiffen ‹ – Pflegte Otto von Saldern immer zu sagen « – warf Herr Quöck lachend ein . » Also ! . ja ! . – sehen Sie « – nahm Adam das Gespräch wieder auf , halb zu Lydia , halb zu Oettinger hingewendet – » der große Marx z.B. war auch ein Jude – dann Lassalle- und nehmen wir Heine , Börne – – « » Marx ? – Marx ? – Ist das nicht – nicht der ... der – « » Ganz recht , Herr Referendar , der ... der – der große Werthanalytiker nämlich – Sie werden gewiß seine Werke kennen , wenigstens seine Sätze , seine Resultate , seine Definitionen – « » Nein ! – Gott sei Dank ! nicht – « » Aber – Pardon ! – Sie sind doch Jurist– « » Allerdings ! Und ich muß zu meinem allergrößten Bedauern bemerken , daß ich sehr – sehr viel jüdische Collegen habe ... Diese Herren mögen die Thesen ihres Heros besser kennen , als ich – ich bin streng – ich bin à tout prix monarchisch , Herr Doctor – stockconservativ , wenn Sie wollen – mein Kaiser braucht bloß zu winken , so lege ich mit tausend Freuden mein Haupt auf den Block für ihn – dulce et decorum , pro imperatore mori , Herr Doctor ! Heilig – heilig ist mir die Regierung – unantastbar – – « » Unfehlbar – « warf Lydia ein , die sich zurückgelehnt hatte und amüsirt , ein verhaltenes , halb spöttisches , halb gutmüthiges Lächeln im Gesicht , den Versicherungen ihres Nachbars zuhörte . » Jawohl , gnädige Frau ! In gewissem Sinne sogar › unfehlbar ‹ ist mir die Regierung ! Und ich wäre glücklich , sollte es mir vergönnt sein , dereinst einmal ein guter Hüter und Wahrer und Pfleger des Gesetzes zu werden – des Gesetzes , das für mich vorläufig nur einen Fehler hat – nämlich den , daß es in mancher Beziehung zu mild , zu tolerant ist . So sollte z.B. Jeder – ich wähle das Beispiel , weil mir gerade kein anderes einfällt – so sollte also Jeder , der im öffentlichen Besitze einer Waffe gefunden wird , quasi als Mörder behandelt werden , denn er hat , respective hatte es ja jeden Augenblick in der Hand , einen seiner Mitmenschen das Leben , dieses höchste , kostbarste Gut , wie Sie mir zugestehen werden , zu nehmen – « » Das kann doch nicht Ihr Ernst sein , Herr Referendar – ? « fragte Adam belustigt . » Wollen Sie nicht auch einmal den Käse kosten , Herr Doctor ? « bot Frau Möbius , die aufmerksame Wirthin , an . Sie benutzte den Moment , wo das Gespräch sich wieder gabeln zu wollen schien . Auch Hedwigs Gesicht hatte einige Ausdrucksgrade seines Ernstes verloren . Auch ihr mußten die Geständnisse Herrn Oettingers etwas drollig und schattentöterig-bizarr vorkommen . » Zweifeln Sie daran , Herr Doctor ? – Ich bitte doch sehr ... Allerdings – Sie scheinen mir in dieser Beziehung etwas laxere Ansichten zu haben – « entgegnete der Herr Referendar ein Wenig indignirt . Er führte sein Weinglas an die Lippen und sah furchtbar moralisch entrüstet aus . » › Laxere ‹ ... hm ! – ich weiß nicht , Herr Referendar , ob gerade › laxere ‹ – – jedenfalls ... hm ! nun ! jedenfalls modernere ... « warf Adam mit einem kleinen Anflug von Spott hin . » Was verstehen Sie eigentlich unter › modern ‹ , Herr Doctor ? – Man hört das Wort heute so oft . Man kann sich gar nicht mehr retten vor ihm – « fragte Lydia dazwischen . Sie schien momentan ganz vergessen zu haben , daß sie ja selbst eine – › moderne ‹ Bibel schreiben wollte . » Ja ! das ist schwer zu sagen mit einem Worte , gnädige Frau ... « begann Adam . Auch ihm fiel der Umstand , daß gerade Lydia ihn um eine Art von Begriffsbestimmung gebeten , weiter nicht auf . » › Modern ‹ sein heißt , heißt , gnädige Frau – ja ! also sagen wir – heißt : sich auf Etwas vorbereiten , was Einen im Grunde gar nichts angeht – – ich meine : auf Etwas , dessen Eintreten in die Welt man sicher nicht erleben wird , das sich vielleicht erst in einer sehr fernen Zukunft erfüllt – › modern ‹ sein heißt aber zugleich : – bei dem Vorbereiten auf dieses problematische Etwas ganz gefälligst ... zu Grunde gehen – « fuhr Adam sodann mit einem spröden Stich ins Paradoxe und Bittere fort . Hedwig sah ihren Nachbar erstaunt-theilnehmend an . Herr Oettinger machte ein verblüfft-ungläubiges Gesicht . Von Lydia erhielt Adam einen sehr eigenthümlichen Blick . Und nun erkundigte sie sich etwas leichthin – : » Gehört das › Zu-Grunde-Gehen ‹ , wie Sie sich ausdrückten , Herr Doctor , absolut dazu – ? « » Allerdings , gnädige Frau , « erwiderte Adam ernst , » das gehört dazu , wenn man treu sein will ... und sich , wenigstens in der Hauptsache , in den Grundzügen , in den Kernlinien seiner Natur , erkannt hat – das heißt : wenn man weiß , daß man nicht treu sein kann ... Der incarnirte Widerspruch ist immer Subtrahent – « » Herr Gott ! Wieder einmal Pythius ! Wenn Sie im Alterthum , zu Zeiten Frau oder Fräulein Pythia's gelebt hätten , Herr Doctor , – ich bin fest überzeugt : aus Ihnen und jener ehrenwerthen Dame wäre ein Paar geworden ... « scherzte Lydia lachend . » Meinen Sie , gnädige Frau ? – Ob aber die Concordanz immer addirt – ? « » Himmlischer Vater ! Nun fehlt bloß noch das Multipliciren und Dividiren ... Die armen vier Spezies ! – « Hedwig konnte sich nicht mehr verbergen , daß Adam sie jetzt interessirte . Und sie mußte sich gestehen , daß sie in ihrem Denken und Fühlen diesem merkwürdigen Causeur unter den Anwesenden jedenfalls am Nächsten stände . Das machte sie immerhin eine Idee stolz und befriedigte sie . Tiefer in Anspruch genommen wurde sie allerdings auch kaum , es war ihr nur lieb , daß in das Gespräch einmal ein paar kühnere , neuere Töne hineinklangen . » Sie scheinen nicht gerade religiös zu sein , Herr Doctor– ? « interpellirte jetzt Oettinger Adam . » › Religiös ‹ ? Sie etwa , Herr Referendar– ? « fragte Adam barsch entgegen . » Ich – ich schmeichle mir allerdings , mein Herr , in gewissem Sinne religiös zu sein – ja ! Gott sei Dank ! noch religiös zu sein – « gab Oettinger etwas von oben herab zur Antwort . » Na ! das ist kennzeichnend – : › in gewissem Sinne ‹ – hm ! « – Herr Quöck wurde unruhig : » Prosit , meine Herrschaften ! « Die Gläser klangen wieder einmal zusammen . Und wieder ließ Lydia das ihrige zuerst an das Adams tönen . Dieser hatte plötzlich die ganze Situation , zumal sein Verhältniß zu Frau Lange , klar erfaßt und wandte sich jetzt mit einer auffälligen Wendung zu Hedwig hin ... und zwar so beklemmend nahe , als wollte er dieser Dame Etwas ins Ohr flüstern . Hedwig sah verwundert auf . Ihre Brauen zogen sich zusammen . Verstand sie das Manöver – ? » Ich muh doch bitten , Herr Doctor – « nahm Oettinger das Gespräch wieder auf . » Um was – ? « flegelte Adam . » Ja ! . Aber ... Gewiß bin ich religiös ... wenn auch – – wie ich mir schon einmal zu bemerken erlaubte – : in erster Linie bin ich conservativ – und dieser Standpunkt schließt ja ein mehr oder weniger intimes Verhältniß zu den Satzungen der Landeskirche ganz von selber ein – – ich klebe durchaus nicht am Dogma – gehe sogar so weit , in gewissem Sinne – verzeihen Sie ! – nun ! wie soll ich sagen ? – ja ! – frei – vielleicht › modern ‹ zu sein – es ist wahr : ich besuche selten die Kirche – vertrete aber als Jurist , als Gesetzeshüter , ganz entschieden die Ansicht , daß die Masse der Religion bedarf – und sollte das – Sie sehen , ich bin ganz aufrichtig – und sollte das auch nur nothwendig sein , damit sie , die Plebs , der Mob , kurz : das Volk – damit dieses also stets in der Gewalt , in den Händen der › oberen Zehntausend ‹ bleibt ... Ich bitte , in meinen freimüthigen Worten weiter keinen Cynismus zu suchen – « Adam lächelte sehr ironisch . Er spielte mit den Fingern der rechten Hand an dem Griffe seines Weinglases herum und warf nun mit gutmüthig-boshaftem Gesichtsausdruck die Frage über den Tisch zu seinem Gegner hinüber : » Dann gehören Sie also , Herr Referendar , so ungefähr zu den Leuten , die im Grunde als erste Autorität über sich ihren – Cylinder anerkennen – ? « Frau Möbius sah recht erschrocken aus . Lydia lächelte wie zustimmend , lenkte dann aber mit feinem Takte ab : » Und die Cigaretten , Herr Vetter – ? « Traugott Quöck verstand . Er erhob sich , warf dabei Adam einen nicht gerade » gnädigen , « kaum freundlichen und aufmunternden Blick zu und wünschte seinen Gästen » Gesegnete Mahlzeit ! « – » Sie rauchen doch , Herr Referendar – ? « Oettinger starrte noch immer auf Adam hin . Es schien ihm unbegreiflich zu sein , daß dieser Mensch gerade ihm mit seinen Impertinenzen zu kommen wagte . Sollte er die Beleidigung auf sich sitzen lassen – ? Sollte er einen Skandal provociren – ? Er war unschlüssig . Adam machte ein unschuldig-heiteres Gesicht . Er wandte sich jetzt zu Fräulein Irmer , die hinter ihrem Stuhle stand und theilnahmslos vor sich hinsah , mit der Frage : » Rauchen Sie auch , mein gnädiges Fräulein ? « » Nein ! « kam es kurz und schroff von Hedwigs Lippen . Wollen die Herren in mein Zimmer treten – ? « forderte Herr Quöck auf . Man verbeugte sich ziemlich steif gegen einander . Lydia sah nach ihrer kleinen , goldnen Uhr . » Schon Zehn durch ! Um Elf kommt mein Wagen – «