1 Also das war ihr Zimmer . Sie streifte die Handschuhe ab und sah sich um . Das eiserne Bett , der Schrank aus weichem gestrichenen Holz , die fleckige Tischdecke , das in der Mitte eingesessene Sofa machten keinen besonders freundlichen Eindruck . Aber das Ärgste , nein , das konnte sie nicht sehen . » Fräulein ! « » Jawoll . « » Sagen Sie , müssen diese Öldrucke da hängen ? « » Die Bilder ? I Jott bewahre ! Wenn die gnä Frau schönere hat , können wir die da wechnehmen . « » Schönere ? Ich führe keine Bilder bei mir . Ich habe ja ein möbliertes Zimmer gemietet , aber diese grellen Gemälde schmerzen meine Augen . « » Wollen se fortnehmen . Nachdem , wenn die gnä Frau zum Essen jehn , denn et wird Staub jeben . Die Bilder hängen schon manchet Jahr da . Den Herrn Mietern haben se immer jefalln . « Ich danke Ihnen . Wasser ist in der Kanne , nicht wahr ? « Die junge Frau neigte sich über den Waschtisch . » Det will ick meenen , dat Wasser drinne is : wenn man von de Reise kommt , det weeß ick schon . Habn Se sonst noch 'n Wunsch ? « Das fahle Gesicht des Dienstmädchens sah mit impertinentem Lächeln auf die junge Dame . » Sonst nischt , denn ziehe ick mir zurück . « Die Thüre fiel ins Schloß . Draußen drehte die Magd die Visitenkarte der Dame zwischen den Fingern . › Hildegard Wallner . Also die soll an de Dhüre kommen ? Na meintswejen . Een besonderer Name is det nich . Un nich 'mal Frau steht druf . Nu , man weeß ja ooch nich . – ‹ Sie heftete das Kärtchen mit vier kleinen Nägeln an die Korridorthüre . Während dessen tauchte Frau Hildegard ihr Gesicht in die Waschschüssel und wunderte sich , daß man ihr warmes Wasser gebracht hatte . Nach einer Weile steckte sie den Kopf durch die Thür . » Fräulein . « » Jawoll . « » Könnt ich nicht etwas kaltes Wasser haben ? « » Habn Se ja schon . « » Wie ? Ich meine ganz kaltes , von der Leitung . « » Haben Se ja schon , Frau Wallnerchen , haben Se ja schon . Bei uns is det det kältste Wasser . Sonst müssen Se sich von'n Konditer Eis holen lassen . « Frau Hildegards Lippen verzogen sich leicht . » Danke . « Sie zog den Kopf wieder herein , trocknete sich das Gesicht , kämmte ihr schönes dunkelbraunes Haar , und schlüpfte in ihr Kleid . Dann ließ sie sich auf das Sofa nieder und stützte den Kopf in die Hand . Nun , so arg war es ja wohl nicht , wie es im ersten Augenblick erschien . Natürlich , sie war ihre Kleinstadt gewöhnt mit der schneeweißen Sauberkeit und dem kalten Quellwasser . Dafür hatte sie ja jetzt ein anderes Gut eingetauscht , ein Gut , nach dem sie lange geschmachtet : die Freiheit . Was lag an all den Nebenumständen , die vielleicht jetzt ungünstiger als früher wurden ? Sie würde nun sicher zufrieden werden , besonders wenn sie erst eine Beschäftigung gefunden hatte . Wer , der jahrelang in einer unglücklichen Ehe geseufzt , wird nicht den ersten Tag , da er sich frei weiß , einen glücklichen nennen ? Wenn man bloß denken , Einiges noch überlegen könnte ; aber der Lärm , der von der Straße heraufdrang , war zu toll . Sie schloß das Fenster . Ob das immer und ewig so forttollte ? oder ob heute ein besonderer Tag war , Markttag , oder so etwas ? Sie mußte über sich selbst lachen . Hatte sie sich doch wieder in ihre kleinstädtischen Verhältnisse zurückversetzt . Hier in der Millionenstadt war vermutlich jeder Tag ein Markttag . Sie versank in Gedanken ; dann trat sie zum Fenster , um es zu öffnen . Die Luft hier war gar zu erstickend . Wonach roch es nur eigentlich ? Sie grübelte eine zeitlang ; dann entschloß sie sich auszugehen – irgendwohin zum Mittagessen . Es war ein Uhr , die Stunde in der sie auch zu Hause gespeist hatten . Sie zog das Jaquet an , setzte das Hütchen auf , das sie sorgfältig einer Pappschachtel entnommen hatte , und ging hinaus . Draußen im Vorzimmer am Fenster saß das Mädchen und las . Es war ein Leihbibliotheksband , über und über von Fettflecken bedeckt . Die Lesende ließ ihn langsam in ihren Schooß gleiten . » Juten Apptit , Se jehn woll frühstücken ? « » Nein , ich gehe zum Mittagsbrod ; wo kann man hier essen ? « » Wo ? In 'n Franziskaner , jleich um de Ecke links . Eene Mark det Kuvert . « » So , das wäre nicht zu teuer ; kann eine Dame auch allein hingehen ? « » Det will ick meenen . Ick zum Beispiel dhus ooch . Freilein Schulze jiebt mich Speisejeld , da jeh ick jedn Mittag los . « » Essen auch Sie beim Franziskaner ? « » Nee , ick jeh zur Lachmuskel . Hintn im Hof is eene famose Stube ; in de vorn jelegene jeh ick nich , weils da dheurer is . « » Weshalb kochen Sie nicht zu Hause ? « » I wo denken Se hin ? Bei den weiten Weg , den Freilein Schulze int Jeschäft hat . Un für mir alleene kochen , nee , det wär nischt . « Hildegard schüttelte den Kopf . » Die Thüre da drüben führt wohl zu Fräulein Schulzes Zimmer ? « » Ja det thut se . « » Und wo schlafen Sie ? « » Hier uf 'm Sofa . « Das Vorzimmer war eng , aber anständig möbliert ; Sofa , Tisch , und einige Stühle bildeten seine Einrichtung . Am Fenster befand sich ein Nähtisch . In einer Ecke stand ein Kleiderrechen , daneben ein Reisekorb . » Viel Licht haben Sie hier nicht . « Hildegard sah in den engen Schacht hinab , der den Hof vorstellte . » Brauch ick ooch nich ; dafor jiebts Lampen . « Ob die Dienstmädchen hier alle so impertinent waren ? Frau Wallner maß mit leichtem Stirnrunzeln die Magd . Es schien ihr , als habe sie noch nie ein so häßliches Gesicht gesehen . Um den breiten Mund gegen das Kinn hin befand sich eine Menge kleiner Warzen und erinnerte an die Haut der Kröten . Die Nase glich einem birnförmigen Fleischklumpen ; die Augen stachen zwischen weißlich blonden Wimpern klein und tückisch hervor . Unendlich spärliches semmelfarbenes Haar umgab die niedere Stirn . Armes Geschöpf , dachte die schöne junge Frau ; dann sagte sie mit freundlicherer Stimme als vorher : » Wie soll ich Sie rufen ? › Fräulein ‹ , ist auf die Dauer doch zu langweilig . « » Find ick nich . Ick heeße Anna Niehm . Aber ick höret lieber , wenn Se mir bloß Freilein rufen . « Hildegards Wangen röteten sich leicht ; dann wandte sie sich zum Ausgang . » Richtig , der Schlüssel . Ich habe noch keinen Korridorschlüssel . « Die Magd erhob sich träg und langte von dem Bordbrett neben dem Sofa einen Schlüssel herab . Hildegard ging vorsichtig die steile enge Wendeltreppe hinab . Unten blieb sie einen Augenblick stehn , um sich das Haus näher zu betrachten . Es war ein ganz schmaler , alter , spitz zulaufender Bau , vielleicht eines der ältesten Häuser Berlins . Das höchst gelegene Fenster , dort bald unterm Giebel , war das ihre . Als sie , noch von Konstanz aus , hier in einer Tageszeitung ihr Wohnungsgesuch einrücken ließ , hatte sie ein besseres Resultat ihres Suchens erwartet . Sie hatte aus einem Wust angebotener möblierter Zimmer gerade dieses hier gewählt , weil die Straße , in der es sich befand , Unter den Linden hieß , und sie sich unter dieser Straße Herrliches vorstellte . Nun , vielleicht würde sie sich auch hier einleben . Fräulein Schulze , die Wohnungsinhaberin kam immer erst abends nach Hause . Sie war von neun Uhr morgens an in einem Geschäfte . Hildegard würde heute Abend mit ihr sprechen . Hoffentlich war sie anmutiger als ihre Dienerin . Das Mittagessen beim » Franziskaner « verlief überaus peinlich für Frau Wallner . Man starrte sie an ; sie errötete , geriet in Verlegenheit und gab so Veranlassung , daß man sich über sie lustig machte und sie noch mehr anstarrte . Nach dem Essen unternahm sie einen Spaziergang , verirrte sich natürlich , mußte in eine Droschke steigen , und kam schließlich gegen Abend heim . Sie war todmüde geworden , warf sich auf das Sofa und schlief ein . Ein starkes Klopfen an der Thür erweckte sie . Eine Dame trat herein . » Verzeihen Sie , daß ich den Schlüssel als Klopfer benutzt habe . Aber wenn man nicht mit etwas Derberem als dem Finger anpocht , hört mans hier innen nicht . « Hildegard , noch ganz verschlafen , lächelte . Fräulein Schulze , nichtwahr ? O bitte setzen Sie sich . « Sie zog die Andere neben sich auf das Sofa . » Na , ich wünschte bloß , daß es Ihnen bei mir gefällt . Ich habe immer vornehme Mieter gehabt . Es ist sehr ruhig hier ; ich bin den ganzen Tag nicht zu Hause . « » Das thut mir leid , « meinte Hildegard , ihre Hausfrau von der Seite betrachtend , » ich hätte Sie gerne um allerlei gefragt , mir Ihren Rat erbeten . « » Das können Sie ja , liebes Frauchen . « Das gutmütige , volle , stark gepuderte Gesicht der Vermieterin verzog sich zu einem freundlichen Lächeln . » Ich komme jeden Abend gegen elf Uhr nach Hause . Da können wir nachher immer noch ein Weilchen plaudern . « » So spät erst « meinte Hildegard . Das Fräulein zupfte sich die leicht angegrauten blonden Löckchen in die Stirn . » Das nennen Sie spät ? Aber ich bitte Sie , das ist ja ganz zeitig . Um acht Uhr schließen wir das Geschäft , dann gehe ich mit Bekannten soupieren . Dann – übrigens wie ists denn , haben Sie gar Niemand hier in Berlin ? « Frau Wallner schüttelte den Kopf . » Keinen Menschen . « » Das ist traurig , aber – Sie werden mehr Bekanntschaften machen , als Ihnen angenehm ist . « Wieso ? « fragte Hildegard etwas brüsk . » Ich bin hierhergekommen , um mir eine Stellung zu suchen , nicht um mich zu unterhalten . « » Sie sind von Ihrem Mann geschieden , wie mir Ihr Brief andeutete . « » Getrennt . « Hildegards Wangen färbten sich purpurn . » Und ich wünschte schnell irgend eine Beschäftigung zu finden ? « » Hm . « Fräulein Schulze betrachtete die hübsche junge Frau . » Als was möchten Sie denn angestellt werden ? « » Als was ? Ach , vielleicht als Sekretärin oder so . Ich weiß selbst nicht . Ich spreche französisch und englisch . « » Verstehen Sie die Buchführung ? « » Nein . « » In ein Geschäft möchten Sie nicht . « » In ein Geschäft ? Nein . « Hildegards Augen drückten Befremden aus . » Na ich meinte nur – « Fräulein Schulze lächelte ein wenig . » Wenn man ein einträgliches Auskommen sucht – « » Ich habe immer gehört und gelesen , daß in Geschäften angestellte Damen sehr schlechte Bezahlung erhalten . « » Das trifft nicht überall zu . Ich beziehe zum Beispiel eine jährliche Einnahme von zweitausend Mark . Das ist doch nicht übel , wie ? « » Wahrhaftig ? « rief Hildegard verwundert , » Zweitausend Mark , das ist eine hübsche Summe . Haben Sie sehr viel zu leisten ? « » Ach es geht . Die Schneiderinnen zu beaufsichtigen , einige unserer ältesten Kunden bedienen , und so weiter . « » Ich möchte am liebsten studieren , « meinte Frau Wallner , » aber ich bin wohl zu alt dazu ; auch besitze ich zu wenig Mittel , um mich etliche Jahre über Wasser halten zu können – und so lange dauerts wohl , bis man sich als Rechtsanwalt oder Doctor medicinae Geld verdient . « » Ja freilich , freilich , « sagte das Fräulein , » so lange dauerts schon . Ich habe auch einmal so hohe Träume gehabt , aber – na , man wird bescheidener . « Sie stand auf und drückte Hildegards Hand . » Für heute gute Nacht , Frau Wallner . Ich laß Sie ausschlafen . Morgen Abend erzählen Sie mir mehr , wenn Sie Lust haben . « Sie entfernte sich grüßend . Sie ist nicht hübsch aber sympathisch , dachte Hildegard . Da steckte die Andere den Kopf zur Thür herein . » Wie ists mit dem Frühstück ? Nehmen Sie es hier oder außerhalb ? « Hildegard dachte an das Gesicht der Magd . » Außerhalb , « sagte sie . » Gute Nacht . « » Gute Nacht . « 2 Als Hildegard sich zur Ruhe begeben und die Lampe auslöschen wollte , entdeckte sie , daß überhaupt keine angezündet war . Und doch war das Zimmer in taghelles Licht getaucht . Sie trat verwundert ans Fenster . Eine riesige elektrische Bogenlampe , die unter demselben hing , klärte sie auf . Sie starrte in das blendende Licht . Die Augen thaten ihr weh . Und da sollte ein Mensch schlafen können ? Zu Hause hatte ihr das Mädchen nie dunkel genug im Schlafzimmer machen können . Schon wieder das Rückwärtsschweifen ... Hier wars eben anders . Und die zwei Millionen Menschen schliefen doch , trotzdem sich an den meisten Fenstern keine Laden , sondern nur dünne Stors befanden . Gut , wenns die Andern konnten , wollte sies auch versuchen . Die » Andern « war ja immer ihr Losungswort gewesen . Sie legte sich zu Bette . Bald aber erhob sie sich wieder . Nicht die Helle trieb sie empor , der Lärm , der brausende dröhnende Straßenlärm . Sie hatte ihr Fenster offenstehen lassen , weil die Luft in der Stube so schlecht war . Sie schloß es nun und legte sich wieder hin . Aber die dünnen Glasscheiben machten das donnernde Getöne von draußen nicht leiser . Das Klingeln der Omnibusse , das Getute der Mail Coatch , das Rasseln der Wagenräder , die Stimmen der tausendköpfigen Menge , die sich eng aneinandergepreßt da unten vorüberschob , und aus der der Eine den Andern zu überschreien suchte , klang nervenzerreißend herauf . Hildegard drückte den Kopf ins Kissen . Sie wollte nicht hören , aber sie hörte doch . Sie band ihr Taschentuch über die Ohren . Nun hörte sie schwächer , aber umso beängstigender . Einige Töne klangen sogar vernehmbarer so , andere erstickten zu einem dumpfen Sausen . Furcht ergriff sie . Es schien ihr , als gehörten diese tausend und tausend Töne einem riesigen Ungeheuer an , das in jedem Augenblick die dünnen Wände des Hauses eindrücken , zu ihr hereinbrechen und sie zermalmen würde . Sie erhob sich und ging im Zimmer auf und nieder . Sie suchte sich damit zu trösten , daß all dieser Lärm doch wohl gegen Mitternacht aufhören müßte . Und dann sagte sie sich , daß sie heute übermüdet und besonders gereizt sei . Morgen würde es ihr schon besser gelingen , ihre Nerven dem Getriebe der Großstadt anzupassen . Sie nahm einen Schluck Wasser aus der Karaffe , konnte es aber nicht hinabschlingen . Es mochte wohl seine vierzehn Grad Wärme haben . Ach Gott , nein , das alles hatte sie sich anders gedacht – ganz anders . Und sie war doch kein kleines verträumtes Mädchen mehr . Aber so , gerade so hätte der Anfang nicht zu sein brauchen . Sie hatte sich unter einer Zimmervermieterin in Berlin eine schöne alte Dame mit weißem Haar vorgestellt , die sie mit den Worten empfangen würde : » Liebes Kind , ich will Sie chaperonnieren , seien Sie nur ruhig , wir werden eine gute prächtige Stellung für Sie ausfindig machen ; schlafen Sie sich indessen aus . Sehen Sie , dies ist Ihr Zimmer . « Und die Dame geleitet sie in ein kleines niedliches Zimmerchen . Ein Resedastock steht am Fenster und duftet . Die altmodischen Möbel sind mit weißen Schutzdecken geziert . In der Ecke steht ein grüner Kachelofen . An den Wänden hängen etliche gute alte Ölporträts , die Verwandte aus der Familie der braven Zimmervermieterin vorstellen . Und da kommt auch schon ein Dienstmädchen im sauberen weißen Häubchen , ein zierliches Kaffeebrett mit dem dampfenden Getränk in den Händen . Und die sagt im lieben Badener Dialekt : » Lasse Sie sichs wohlschmecke , Madamche . « Ach Gott ! Hildegard setzte sich auf den Bettrand und begann zu weinen . Das Alles hatte sie ja besessen und weggeworfen , weil sie sich als Frau des Fortschritts fühlte , der das eheliche Zusammenleben mit einem schlichten Menschen viel zu wenig bot , um ihre geistigen Fähigkeiten zu entwickeln . Das Weib muß sich selbständig machen , um beweisen zu können , daß es auch ohne Mann , ja gerade ohne ihn , sich eine hervorragende Stellung auf dem Kampfplatze des Lebens zu erringen vermag . So hatte sie es gelesen , Tag für Tag , in den hübschen blauen , grünen und gelben Broschüren , die ihre » Genossinnen im Streite um ihr Menschenrecht « ihr hatten zugehen lassen . Seit es ihr klar geworden war , daß sie Einhart nicht liebte , war plötzlich der Durst nach » Bildung « in ihr erwacht . Sie begann zu lesen ; zuerst Romane , dann auch anderes . Schließlich war sie kühn geworden und hatte ein oder dem andern Autor , meist waren es weibliche , die sie interessierten , geschrieben . Nach kurzem Briefwechsel wußten die Andern bereits , daß sie eine Unglückliche , Unverstandene sei , eine jener Tausende , die unter dem Sklavenjoch der Ehe schmachteten . Das war ja eine , wie sie sie brauchen konnten . Die Vertreterinnen der männerverdammenden Richtung antworteten ihr und sandten Bücher , Broschüren und Flugblätter aus ihrer Werkstatt an sie . Sie fühlte sich gehoben , beglückt . Nach den letzten trübseligen Monden ihrer Ehe , wo oft Wochen vorübergegangen waren , ohne daß eines der Gatten zum andern sprach , hatte er sie endlich freigegeben . Ihre Bekannten überhäuften sie mit Vorwürfen – Eltern hatte sie nicht mehr – und bewiesen ihr klipp und klar , daß sie eine Närrin wäre , einen braven edlen Mann zu verlassen , den sie überdies aus einem lebensfrohen Menschen zu einem wortkargen Sonderling gemacht hätte . Sie gab scharfe Antworten : daß die andern eben dem alten , sie aber dem neuen Geschlechte angehöre , das zu höhern Berufen geboren sei . Mitzuarbeiten am großen Befreiungswerke der Frau , das sei Pflicht jedes denkenden Weibes . So stolz hatte sie gesprochen , und nun saß sie auf dem Bettrand und weinte , weils unruhig auf der Straße war . Sie griff nach der Uhr , es war beinahe zwölf , und streckte sich wieder aus . Nun mußte es doch jeden Augenblick still werden . Eine Genugthuung hatte sie wirklich . Die elektrische Lampe vor dem Fenster verlöschte . Aber der Lärm ? Als sie wieder zur Uhr griff , war es vier . Und dem Lärm fiel es gar nicht ein , zu verstummen . Es toste , krachte , schmetterte , pfiff fort . Dann endlich begann es zu dämmern . Hildegard wälzte sich mit rotgeweinten Augen auf den Kissen . Ihre Gehörorgane waren so gereizt , daß sie nicht wahrnahm , wie es jetzt mählig stiller und stiller zu werden begann . Sie erwog im Geiste , wie sie Fräulein Schulze sagen würde , sie vermöchte es keine zweite Nacht in diesem Höllenspektakel auszuhalten , das Fräulein möge ihr – sie hatte leider schon die Miete für einen Monat voraus bezahlt – die Hälfte derselben zurückgeben und sie ziehen lassen , sie würde sich sofort um ein anderes Zimmer umsehen . Diesen Vorsatz erwägend schloß sie die Lider . Als sie sie wieder aufschlug , stand die Sonne am Himmel . Hildegard setzte sich verwundert im Bette auf . Hatte sie geschlafen ? Nein , das konnte doch nicht gut sein . Sie sprang auf . Sie mußte ja Fräulein Schulze sprechen , und diese ging schon um neun Uhr ins Geschäft . Es war gleich zehn . Mit einem Seufzer sank sie aufs Sofa . Nun war die Andere natürlich längst fort , und sie würde noch eine Nacht – nein , lieber wollte sie in einem Hotel schlafen . Aber ihr Geld ! Sie mußte sehr sparen , um überhaupt auszukommen . Ihr Mann würde ihr monatlich hundert Mark geben . Mehr konnte er nicht . Er verdiente nicht allzuviel . Sie wusch sich , kleidete sich an und überlegte , was am klügsten zu thun wäre . Und da fiel ihr ein , sie könnte nach dem Geschäft gehen , wo Fräulein Schulze Directrice war . Sie wollte ihr Vorstellungen machen . Ihre Toilette war bald beendet . » Fräulein Schulze ist wohl schon lange fort « sagte sie ins Vorzimmer tretend . Die Dienerin , die nähend am Fenster über ein rosa Kleid gebeugt saß , verzog ihr Gesicht zu einem hämischen Grinsen . » Det will ick meenen . Hier in Berlin werden die Jeschäfter schon vor zehn Uhr jeöffnet . « Frau Wallner runzelte die Brauen und entfernte sich . Sie frühstückte in der ersten Konditorei , an der sie vorbeikam , und begab sich nach der Jägerstraße . Man rief Fräulein Schulze aus der Schneiderinnenwerkstätte in den Laden herüber . Sie war nicht wenig verwundert , ihre Mieterin zu sehen , und lachte hell auf bei deren Anliegen . » Sie glauben doch nicht im Ernst , daß ich Ihnen die Miete zurückzahle , liebe Frau . Nee , das glauben Sie nicht . Aber – « die thränengefüllten Augen der jungen Frau rührten sie – » ich will Ihnen einen Vorschlag machen . Nehmen Sie mein Zimmer , und ich gehe nach vorn . Einen Monat lang werden Sie's schon aushalten können . Sind Sie 's nicht , ists wer anders . Ich böte nicht Jedem diesen Vergleich an , aber Sie dauern mich , weil Sie fremd sind , und weil die dreißig Mark unnötiger Ausgabe Ihnen schwer fielen . Also . Hinten nach dem Hofe zu ists totenstill , und die Herren Nerven werden sich schon zufrieden geben . « Hildegard lächelte schwach . » Also Sie meinen – « » Ja ich meine , so wirds gehen , versuchen wirs heute Abend ; aber jetzt entschuldigen Sie – ja , ja Fräulein Kohler , ich komme schon ! – Sie sehen , man ruft mich ; adieu indessen . « Und zwischen einem Knäuel kaufender Kunden und herumstehender Ladendiener wand sie sich geschickt hindurch und eilte wieder nach der Arbeitswerkstätte . Hildegard verließ kleinlaut das Geschäft . So hatte sie's eigentlich nicht beabsichtigt ; aber vielleicht war es besser für ihre Kasse , als ein neues Zimmer zu mieten . Sie erkundigte sich nach den Museen und schlenderte dorthin . Für etliche Stunden vergaß sie über die herrlichen Kunstschätze ihre persönlichen Sorgen . Später ging sie in eine Restauration , aß , und durchflog mehrere Zeitungen . Da fiel ihr eine Ankündigung auf . » Heute Abend , acht Uhr , im kleinen Konzertsaal , Leipzigerstraße , Frauenversammlung . Sprecherin Frau Eugenie Blatt , Fräulein Cornelie Speiler . Präsidentin Frau von Werdern . « Frau Blatt ! Ob das dieselbe war , mit der sie in Briefwechsel stand ? Erst neulich hatte sie geschrieben : › Nur Mut ! Unsere Sache wird siegen ! Könnte ich Sie doch sprechen . Wir vermögen nicht genug Soldaten unter unsere Fahne zu bekommen . ‹ Gewiß , es konnte nur ein- und dieselbe Person sein . Auch jene hieß Eugenie und war Pionier der Frauensache . Wäre das ein Wink des Schicksals ? Sollte Hildegard nicht gleich hineilen zu dieser Genossin und ihr die ganze hilflose Lage mitteilen ? Natürlich würde sie das thun . Aber heute nicht , morgen . Heute würde Frau Eugenie viel zu thun , sich für den Abend vorzubereiten haben . Morgen . Morgen . Gott sei Dank , der sie diese Notiz hatte finden lassen . Und daß diese Frau gerade hier sprach . Sie wohnte für gewöhnlich in Frankfurt . Hildegards Augen begannen zu strahlen . Nun würde vielleicht doch noch ihre Hoffnung , die große Hoffnung , die sie auf Berlin gesetzt hatte , sich erfüllen . Sie hatte immer gedacht : die andern Frauen sitzen in Dresden , Zürich , Frankfurt , Leipzig , du aber gehst gleich in die größte Stadt , wo die meisten Chancen für die » Sache « sind , und wirst da eine bedeutende Rolle spielen . Hildegard besah sich einige der schönsten Schaufenster in der Leipziger Straße , trat in eine der Konditoreien ein , und ging dann nach Hause . Zu ihrem Erstaunen wars bereits sieben Uhr . Die Zeit verging hier märchenhaft schnell . Das Warzengesicht war nicht zu Hause . Hildegard sah zum Fenster hinaus , frisierte sich aus langer Weile , und ärgerte sich über den Verdruß , den sie über Fräulein Niehms Abwesenheit empfand . Endlich klirrte draußen der Schlüssel im Schloß . Aber nicht Anna , sondern Fräulein Schulze war die Ankommende . » Ei , da sind Sie ja schon « sagte sie freundlich , » ich dachte , Sie wären noch nicht zu Hause . Ich bin Ihretwegen so früh gekommen . Es ist heute Donnerstag . An diesem Abend hat Anna immer Ausgang . Die armen Mädels müssen auch ihr Vergnügen haben . Sonntag Abend kann ich sie nicht recht entbehren . Da habe ich meist Theebesuch ; mein Bräutigam kommt , oder andere Bekannte . « » Wollen Sie nicht bei mir eintreten ? « fragte Hildegard . » Ich denke , wir räumen zuerst um , nur das Bettzeug , das andere macht Anna morgen . Ohne sie bringen wir doch nichts fertig . « Fräulein Schulze ging auf ihr Zimmer und erschien bald mit einem Arm voll Wäsche bei Hildegard . Unter einigen Scherzen wurde das Wechseln der Betten vollzogen . » So , nun kommen Sie in Ihr neues Zimmer ; der Theekessel steht noch drüben , wir wollen eine Tasse Thee trinken . Ich habe meinem Bräutigam heute abgeschrieben , wegen der Umzieherei . « Die junge Frau sagte einige höfliche Worte und setzte sich neben ihre Hausfrau , die den Docht unter der Theemaschine anzündete . Hildegard mußte immerfort auf den dunklen , fast schwarzen Kattunvorhang blicken , der das Zimmer in zwei Hälften schied . Dahinter stand das Bett und der Nachttisch . Hier vorn in der Nähe des Fensters befanden sich etliche Sessel , das Sofa , der Theekessel , eine Kommode , ein Kleiderschrank . Gefällts Ihnen hier ? « fragte Fräulein Schulze . » Ich müßte eigentlich für dieses Zimmer viel mehr fordern als für das andere , denn eigentlich sind hier zwei Apartements « setzte sie scherzend hinzu . » Aber die Aussicht « warf Hildegard ein , die ans Fenster getreten war . Sie wandte sich schauernd ab . » Sind Sie schwindlich ? « Fräulein Schulze lachte . » Das ist ja schrecklich . Sind die Berliner Höfe alle so ? « » Beinahe alle . « Ein enger Schacht , der so schmal war , daß man die Hand zum Fenster des Vorzimmers strecken konnte , das gegenüber lag , zog sich drei Stockwerke tief hinab . Modrige Feuchtigkeit bedeckte das viereckige Stück Asphaltboden dieses häßlichen Abgrundes . » Die Fenster der übrigen Hinterzimmer sehen auch hinab « bemerkte Fräulein Schulze . Deshalb war sie sofort mit dem Tausch zufrieden , dachte die junge Frau . Hier rückwärts war ja kein Tropfen frischer Luft . Zögernd nahm sie die Tasse heißen Thees , den das Fräulein ihr anbot . » Da sind auch einige Cakes . « Hildegard dankte . Ihr wurde übel in dieser Luft . Die Vermieterin schien etwas gereizt zu werden . » Sind Sie eine Dame von großen Ansprüchen , sagte sie im Laufe des Gesprächs , » was haben Sie eigentlich für Ihre dreißig Mark erwartet ? Leute in vornehmen Häusern vermieten keine Zimmer . Und zuvorkommender gegen Sie , als ich bin , könnte ich auch nicht sein . « » Aber ich danke Ihnen ja auch herzlich . « Hildegard zwang sich zur Heiterkeit und kämpfte die aufsteigenden Thränen nieder . Ich bin ja auch ganz zufrieden . Blos das Ungewohnte , die große Stadt .... « » Na ja « meinte die Directrice und lehnte sich ins Sofa zurück , » das entschuldigt Sie ja auch . Sonst könnte ich Sie nicht begreifen . Sie sind hier bei anständigen Leuten . Meine Anna ist eine Perle , sie wird Sie aufs Beste bedienen . « » Ist sie wirklich gut ? « fragte Hildegard schüchtern . » Sie sieht « – Fräulein Schulze lachte . » Sie ist häßlich . Aber auf das Äußere darf man nie gehn . Sehen Sie , mein Bräutigam ist auch kein Adonis , und doch ist er ein vorzüglicher Mensch . Anna ist die Aufopferung selbst . Denken Sie , einmal als ich schwer krank war , hat sie mich acht Wochen lang allein gepflegt . Sie ist kolossal ehrlich . Das bischen Häßlichkeit , na , das vergißt man in Anbetracht ihrer sonstigen Eigenschaften . Früher schlief sie nicht hier . Aber seit ich so elend war , bin ich froh , daß sie selbst gewünscht hat , hier nachts über zu bleiben . Sie erspart sich Schlafgeld , und ich weiß , daß Jemand da ist , wenn ich nach Hause komme . « Sie plauderten noch eine Weile , dann trennten sie sich mit einem freundlichen Gutenacht . Hildegard kroch in das große Bett hinter dem dunklen Vorhang . Das Fenster stand weit offen . » Lassen Sie 's geöffnet , damit Luft hereinkommt « hatte Fräulein Schulze gesagt . Hildegard horchte anfangs auf jedes Geräusch ; sie hatte sich hier ebenso wenig wie im Vorderzimmer einschließen können ; beide Thürschlösser waren schadhaft . Aber endlich versank sie in Schlummer . Hier rückwärts wars wirklich ruhig , drückend ruhig . Das Geräusch der Stadt drang wie fernes Wogenrauschen herein , einschläfernd , müdemachend . – – – – – Hildegard wußte nicht , was vorgegangen war . Ihre Lider hatten sich plötzlich geöffnet , und ein Schauern rann ihren Leib hinab . Sie starrte mühsam vor sich hin ins Dunkel , ohne jedoch die schwarze Finsternis durchdringen zu können . Es war etwas da , unfehlbar war etwas da , hier innen im Zimmer , ein Körper , etwas Fremdes , etwas Athmendes ... . Die junge Frau blickte angestrengt auf den Vorhang ; da teilte er sich , eine Hand glitt herein , strich über das Nachtkästchen neben dem Bett und zog sich zögernd zurück . Hildegard vermochte sich nicht zu regen ; die Sinne vergingen ihr . Als sie erwachte , war heller Tag . Sie blieb eine Zeitlang liegen und ließ das Ereignis der Nacht an ihrem Geiste vorüberziehen . Wie , wenn sie nur geträumt hätte ! Wenn nur der Genuß des starken Thees an dieser Hallucination schuld war . Oder ihr dummes Grauen vor dem dunklen Bettvorhang ! Wenn , wenn aber nicht ? Wenn es keine Wahnvorstellung , kein Traum war ? An allen Gliedern zerschlagen , erhob sie sich und kleidete sich an . Sie wußte noch nicht , was sie thun sollte . Ob sie sich Fräulein Schulze mitteilen sollte oder nicht ? Sie verließ das Zimmer , um zum Frühstück zu gehen . » Juten Morjen , Frau Wallner . Jut jeschlafen im neuen Bett ? Heut is zeitijer als jestern . Na is et da hinten ruhijer ? « Das Dienstmädchen näherte sich ihr freundlich . Hildegard wollte zuerst nicht antworten , dann bezwang sie sich . » Ja , ich habe besser geschlafen . « » Na sehn Se woll . Nu wern Se immer so schlafen . « Die graugrünen , von hellen Wimpern beschatteten Augen folgten der jungen Frau zum Ausgang . 3 Hildegard hatte durch das Adreßbuch die Wohnung von Frau von Werdern erfahren . Dorthin lenkte sie jetzt ihre Schritte . Die Dame wohnte in der Charlottenstraße ; bald war ihr Haus erreicht . Mit Herzklopfen klingelte die junge Frau an einer Thür des zweiten Stockwerks und gab ihre Karte dem öffnenden Mädchen . Gleich darauf wurde sie in einen Salon geführt , in dem ihr eine ältere Dame entgegentrat . Was ihr die Ehre verschaffe ? Sie wies leicht auf einen der herumstehenden Sessel und ließ sich selbst nieder . Hildegard stotterte zuerst einige Phrasen , dann sagte sie : » Es ist eigentlich kühn von mir , Sie , gnädige Frau , zu belästigen . Ich bin fremd hier , kenne keinen Menschen , und wollte Sie bitten , mir gütigst die Adresse von Frau Blatt mitzuteilen . « » Ah « , Frau von Werdern zuckte bedauernd die Schultern , » das thut mir leid . Meine Freundin ist heute Morgen abgereist . « Hildegard erblaßte . » Abgereist ? Nach Frankfurt ? « » Ja , nach Frankfurt . Sind Sie bekannt mit ihr ? « » Wir schrieben einander ab und zu . Sie war so liebenswürdig , mir ihre Schriften zuzuschicken , nachdem ich ihr einmal mitgeteilt hatte , wie sehr ich mich für sie und die Richtung ihrer Thätigkeit interessiere . « » Das freut mich sehr . Je mehr Freunde wir uns gewinnen , um so sicherer wird die Aussicht , unsere große Aufgabe zum Sieg zu führen . Es wäre an der Zeit . « » Ja , es wäre an der Zeit « bestätigte Hildegard . » Das Verhältnis , das die Frau gezwungener Weise zur Gegenwart , zu all den neuen herrlichen Fortschritten einnimmt , ist ein geradezu unerhörtes . « Frau von Werdern nickte zustimmend . Ihre grauen Augen blickten mit erwachendem Interesse auf Hildegard . » Sie sprechen wohl aus – Erfahrung . « Die junge Frau errötete leicht . » Gewiß gnädige Frau . Ich habe ein Leben der Bequemlichkeit , der Sorglosigkeit hinter mir gelassen , um mich ganz in den Dienst der großen Aufgabe zu stellen , die uns Frauen zugefallen ist . « » Ja es ist eine große Aufgabe , und wir werden siegen . Sie sind verheiratet ? « » Ich war es . « » Hm , ich verstehe . Lebt Ihr Mann ? « » Oja , er ist kaum älter als ich . « Frau von Werdern wollte offenbar nicht als neugierig erscheinen und lenkte das Gespräch auf anderes . Was Frau Wallner eigentlich von Eugenie Blatt gewünscht habe . Ob es nur ein Besuch sein sollte . » O , viel mehr « antwortete Hildegard . » Ich wollte Frau Blatt bitten – ich habe , wie gesagt , alles hingegeben um der Sache willen – ich wollte sie bitten , mir irgend eine Beschäftigung zu nennen , durch die ich mir die notwendigsten Mittel zum Leben erwerben könnte . Ich möchte nämlich nicht gerne die Unterstützung meines Mannes in Anspruch nehmen . Ich selbst bin vermögenslos . « » Was ist Ihr Mann ? « » Maler . « » Ah , Künstler . Und über welche Kenntnisse verfügen Sie , wenn ich so fragen darf ? « » Ich spreche englisch und französisch , zeichne ein wenig – « » Hm , hm ! « Frau von Werdern nickte gedankenvoll mit dem Kopfe . » Es ist ein so starker Andrang ; wir können kaum noch jemand beschäftigen . Damen aus den ersten Kreisen stellen sich uns kostenlos zur Verfügung . Sie wohnen im Hotel ? « » Nein , ich habe mir ein Zimmer für einen Monat gemietet . Aber ich würde es sofort aufgeben – – « » Nein , nein , das hätte ja keinen Zweck « meinte Frau von Werdern . » Bleiben Sie nur ruhig dort wohnen , bis Sie ein sicheres Unterkommen gefunden haben . Und ganz in Stellung möchten Sie nicht , ich meine etwa als Gesellschafterin , Hausrepräsentantin oder Ähnliches ? « » Nein , nein , das möchte ich nicht . « Hildegards Stimme zitterte leicht . » Eine solche Unterordnung unter fremden Willen wäre mir unmöglich . Ich bin an Freiheit gewöhnt . Ich that immer , was ich wollte . « Frau von Werdern lächelte ein wenig . » Was haben Sie sich eigentlich vorgestellt , als Sie hierher kamen ? « » Vorgestellt ? O gnädige Frau , nur das Schönste . Ich hoffte , ich würde eine Stellung finden , die – ich habe übrigens über diesen Punkt wenig nachgegrübelt « setzte sie in leichter Verlegenheit hinzu . » Eines Tages , als es mir zu unerträglich zu Hause wurde , sagte ich einfach meinem Manne : › Nun möchte ich fort ‹ , und er antwortete : › Thue , was Du nicht lassen kannst ‹ « . » Er gehört wohl zu den Murgerschen Künstlergestalten ? « Hildegard lachte . » Im Gegenteil . Er ist ein sehr ernster Mensch , Pedant sogar . Was mich – aber ich weiß nicht , ob es Sie interessiert , die Schicksale einer Ihnen fremden Frau – « » O bitte sehr « wandte Frau von Werdern ein , mich interessieren die Schicksale eines jeden Menschen , und die natürlich ganz besonders , die Eine der Unseren betreffen . « Hildegard verneigte sich leicht . » Auch habe ich zufällig noch eine Viertelstunde frei « , die Vorsteherin warf einen Blick auf ihr Uhrarmband , » und wenn Sie mich Ihres Vertrauens – « » Nun , es ist nichts Spannendes , gnädige Frau , das ich Ihnen erzählen will . Es ist ein , wie ich glaube , uralter Zwist . Künstler , insbesondere Maler , dürften nie heiraten . Mein Mann beschäftigte sich viel mit Aktstudien und war stunden- und tagelang mit seinen Modellen zusammen . Die erste Zeit schwieg ich und duldete stumm . Dann ertrug ich es nicht länger . Ich machte ihm Vorstellungen . Er lachte mich aus . Das gehöre zu seinem Beruf und so weiter . Was es mit unserer Liebe zu thun hätte ? Aber ich konnte nicht darüber hinwegkommen . Je reifer ich wurde , desto verabscheuungswürdiger erschien mir diese Seite seiner künstlerischen Thätigkeit . Ich verbot ihm einfach , Modelle zu empfangen . Er bewies mir , daß dies ein unmögliches Verlangen wäre , erinnerte mich an den guten Namen , den er sich bereits mit seinen Bildern erworben hätte , und ob ich durch meine Launen seine ganze Zukunft vernichten wolle . Ich verschloß mir die Ohren vor seinen Argumenten , ich wußte , was mir als Gattin zukam . Und nun « – Hildegard hielt inne , und errötete stark , » nun kommt das Ärgste . Wissen Sie , was er mir eines Tages sagte ? › Gut ‹ , sagte er , › wenn ich die Anderen abschaffen soll , dann sei Du mir Modell ‹ . Ich wollte damals in meiner begreiflichen Entrüstung sofort das Haus verlassen ; nur den Anstrengungen meiner Freunde gelang es , mich zurückzuhalten . Aber von diesem Tage an war eine große Kälte über mein Herz gekommen . Ein Mann der so etwas von seiner Frau fordern kann , ist kein anständiger Mensch , sagte ich mir . Nachdem meine Empörung ihm genugsam die Augen über die Frivolität seiner Forderung geöffnet hatte , redete er kein Wort mehr von dieser Sache . Er verreiste für einige Zeit ins Hochgebirge . Als er wieder zurückkam , kündigte er das Atelier , unsere hübsche , große Wohnung , und mietete eine viel kleinere . Auf meine erstaunte Frage , was dies zu bedeuten habe , sagte er mir kurz , er brauche kein Atelier mehr , er hätte die Malerei aufgegeben . › Und was wirst Du thun ? ‹ fragte ich entrüstet – denn da wir nicht wohlhabend sind , war es sein Verdienst , der unsere Lebensbedürfnisse deckte . Wenn er ihn aufgab ? › Ich werde Theetassen für eine Porzellanfabrik malen ‹ beruhigte er mich in einem Ton , von dem ich nicht wußte , war er bitter oder höhnisch . Und richtig : er begann auf Porzellan zu malen und fertigte Stoffmuster an , die eine Kattunfabrik bei ihm bestellte . Wir zogen in die kleine Wohnung . Es begann ein ödes Leben . Ich befand mich in den engen Verhältnissen gar nicht wohl und verschonte Einhart nicht mit Vorwürfen . Was meinen Sie , was er mir entgegnete ? Nichts . Er schwieg . Kann es eine empörendere Antwort geben ? Zuletzt schwieg auch ich , und wir sprachen fast gar nicht mehr miteinander . In dieser Zeit kamen mir zufällig Bücher , die die Frauenfrage behandelten , in die Hände . Ich verschlang sie . Ja , das wars . Die Frau muß den Launen des Mannes gegenüber sichergestellt werden . Es müssen ihm darüber die Augen geöffnet werden , daß sie das Recht hat , von ihm eine Behandlung zu fordern , wie er sie Seinesgleichen zuteil werden läßt . Ich hatte meinen Boden gefunden . Ich schrieb an Eugenie Blatt , an Karoline Weigel , und an viele andere , die an der Spitze dieser herrlichen Bewegung stehen . Auch Ihren Namen , gnädige Frau , verfolgte ich mit Bewunderung . Eines Tages bemerkte ich meinem Mann ruhig , daß ich mich nach neuen Verhältnissen sehne , und daß ich nach Berlin reisen wolle , um dort an dem großen Werke der Frauenbefreiung mitzuthun ! Er schwieg lange ; dann meinte er , ich möge thun , was ich für gut hielte ; nur eins solle ich ihm gestatten : mich die ersten Monate hindurch mit dem notwendigsten Geld zu versehen . Anfänglich war ich geärgert über diese merkwürdige Zumutung – unsere Scheidung ist noch nicht eingeleitet , wird es aber bald – dann erklärte ich mich bereit , für die erste Zeit seine Unterstützung anzunehmen . Und so bin ich hier . « » Hm , hm . « Frau von Werdern sah mit unverhohlenem Interesse in das schöne vom Sprechen gerötete Gesicht der jungen Frau . » Unverstanden ! Das ist eben die Tragik des Weibes ! « » Sie haben das rechte Wort gefunden « rief Hildegard . Dann schwiegen beide . Frau von Werdern blickte auf ihre Uhr und erhob sich . » Entschuldigen Sie mich , ich muß fortgehen . Die feste Aussicht auf eine Stellung kann ich Ihnen nicht geben , liebe Frau Wallner , aber was ich thun kann , werde ich für Sie thun , des seien Sie versichert . Vor der Hand bleiben Sie ruhig in der Wohnung , die Sie haben , verzagen Sie nicht , und lassen Sie ohne Gewissensbisse Ihren Gatten Ihre Rechnungen bezahlen . Man muß die Schwäche ausnützen , da man sie nicht bewundern kann , und Ihr Mann ist schwach , wie mir aus allem hervorzugehen scheint . Haben Sie einen Erwerb gefunden , der Ihnen Geld einbringt , gut , dann können Sie Herrn Wallner ja alles zurückerstatten . Sonnabend Nachmittag empfange ich . Es wird mich freuen , Sie meinen bekannten Damen vorstellen zu können . « Hildegard drückte ihr die Hand . » Vielen Dank , und wenn ich bitten darf , meine Grüße an Frau Blatt . « » Gerne . « Die beiden Frauen nickten einander zu , dann entfernte sich Hildegard . Sie lächelte froh , als sie die Treppen hinabstieg . Die Hoffnung , die sie zu verlassen gedroht hatte , faßte wieder festere Wurzeln in ihr . Peinlich war 's ja , noch Geld von Einhart annehmen zu sollen , aber wenns nicht anders ging ? Das einzig Tröstliche dabei war die komische Seite , die seine Güte besaß . Er unterstützte sie im Krieg gegen die Männer , also gegen sich selbst . Er gab ihr die Mittel an die Hand , sich von ihm zu befreien . Wie einfältig ist doch ein Mann , dachte sie ; niemals würde sich eine Frau so mißbrauchen lassen . Und sie lächelte vor sich hin , trat in eine Restauration , und bestellte sich ein Mittagessen . Plötzlich mitten in ihrem sonnigen Behagen fiel ihr ihr Zimmer unter den Linden ein . Das schreckliche Zimmer ! Ob alles nur ein Traum war ? O wenn sie doch mehr Geld besessen hätte ! Sofort würde sie ausziehen . 4 Diese Nacht wars besser gegangen . Der dunkle Bettvorhang hatte sich nicht geregt . Einmal hatte sie wohl vermeint , das leise Knarren einer Thüre zu hören , aber das durfte in einem so großen Hause mit vielen Mietern nicht wundern . Am Morgen sah sie lange in den feuchten Schacht hinab , der den Hof vorstellte . Die Fenster aller Korridore des Hauses mündeten hinein . Wenn nur die häßlichen langen Leitern nicht in der einen Ecke gestanden hätten ! Sie zog schauernd den Kopf zurück . Lieber nicht hinsehen . Sie konnte die Vorstellung nicht loswerden , daß in diesem Hause etwas Unheimliches vorging . Als sie das Fenster schloß , erblickte sie drüben ein fahles Gesicht . Gott bewahre mich , dachte sie , diese Magd wird mich noch durch ihre Häßlichkeit verrückt machen . Und schnell zog sie sich an und ging fort . Sie frühstückte und machte dann einen längeren Spaziergang . Jetzt , da sie frischen Mut gefaßt hatte , gefiel ihr die Stadt , gefielen ihr die Menschen besser . Bloß das ewige Angestarrtwerden war ihr widerlich . Im Innern wunderte sie sich über sich selbst . Wie kams eigentlich , daß sie , die stolzeste Befürworterin der Frauenfreiheit , unter den Blicken wildfremder sie fixierender Männer in Verlegenheit geriet ? daß sie wie närrisch zu laufen begann , wenn es ihr schien , als verfolgten sie die Schritte eines Bewunderers ? Stand sie denn nicht über all diesen Äußerungen einer braven Kleinbürgerin ? Sie , die kühne Verächterin des anderen Geschlechts ? Indem sie sich diese Fragen vorlegte , erkannte sie gemach , daß sie nichts weniger als selbstbewußt , mutig , sich selbst genügend war . Im Gegenteil . Sie mußte sich gestehen , daß sie eine größere Philisterin sei als die Frauen , die ruhig an ihrem häuslichen Herde walteten . Die hatten nämlich ein breites unaufgeschrecktes Gewissen , und wenn sich ihnen ein Galanter näherte , konnten sie ihm im Gefühl ihrer unantastbaren Würde ruhig ins Gesicht lachen . Was aber hatte sie der Kühnheit der Männer entgegenzusetzen ? Ihre Persönlichkeit ? Ihren Willen ? Aber die ließen sie aus Angst vor der bloßen Zumutung eines Unrechts schmählich im Stiche . Wie kams nur , daß eine Frau allein – Thaten sich die Damen der Frauenbefreiung deshalb auch immer in Rudeln zusammen , weil sie das Alleingehen , -Stehen , -Handeln fürchteten ? Mit Vor- und Nachtrab war es sicherer , für eine Idee zu kämpfen . Hildegard lief unter den Bäumen des Tiergartens dahin , als ihr diese Gedanken kamen . Jetzt , wo sie keinen Haushalt zu versorgen hatte , und nicht mehr das stumme Gesicht ihres Mannes vor sich sah , das so laut redete , wo keine Freundinnen ihr die Zeit zu stehlen kamen , mußte sie notwendigerweise auf allerlei Ideen kommen , die ihr früher ferne gelegen hatten . Ihre hauptsächliche Sehnsucht ging jetzt dahin , eine Gesinnungsgenossin zu finden , mit der sie zusammen wohnen konnte , um des trübseligen Alleinstehens , all der Verantwortlichkeiten enthoben zu sein , die eine für sich gehende Frau auf sich nimmt . Nun , es würde sich hoffentlich noch alles nach ihrem Wunsche fügen . War es doch bisher auch so gewesen . Viel ruhiger , als die Tage vorher , ging sie diesen Abend nach Hause . Sie wachte sogar noch , als Fräulein Schulze heimkam , und sagte ihr guten Abend . Sie hatte das Bedürfnis , auf das viele Grübeln und Denken mit einem Menschen ein paar Worte zu reden . » Das ist nett « sagte die Directrice und schüttelte ihr die Hand , » na , schon etwas gefunden ? « » Noch nicht , aber bald « meinte Hildegard . » Ja wenn Sie praktisch wären , aber – na . Sie sind jung und schön und mit der Stellung ist es Ihnen wohl nicht so bitterer Ernst ? « Hildegard fühlte heißes Rot ihre Wangen bedecken . Sie wollte ein hochfahrendes Wort erwidern , besann sich aber . Weshalb hatte sie sich mit dieser Dame in solche Vertraulichkeiten eingelassen , nun durfte sie darüber nicht erzürnen . » Was meinen Sie denn , was ich thun sollte , wenn ich › praktisch ‹ wäre ? « fragte sie mit leiser Ironie . Fräulein Schulze tupfte sich etwas Puder auf ihre rötliche Nase . » Vor allem würde ich mir an Ihrer Stelle ein Unterkommen in einem großen Konfektionshause suchen . Da sieht man und wird gesehen . Da macht man Bekanntschaften , und niemand kann einen Stein auf einen werfen , denn man hat ja eine Stellung . Na – wenn Sie mich nicht verstehn , thut 's mir leid . Ich bin praktisch . War 's all meiner Lebtage . Ich bitte Sie , wer hilft denn einer Frau , wenn sie alt ist ? Keiner . Deshalb muß man , so lange man jung ist , zuschauen , sich etwas zurückzulegen . Ich jedenfalls bin immer fürs Praktische . « Hildegard lächelte etwas gezwungen zu diesen ihr nicht ganz klaren Auseinandersetzungen und zog sich bald zurück . Es ist ja wahr , dachte sie bei sich , eine Frau , die sich allein ernährt , verdient alle Achtung , aber ob Fräulein Schulze das wirklich that ? War sie wirklich so praktisch ? Hildegard wußte nicht recht was , aber etwas in dem grauen gutmütigen Gesichte ihrer Hauswirtin ließ sie nicht recht an deren praktischen Sinn glauben . Es lag irgendwo in ihren Zügen ein Leichtsinn versteckt , ein über vieles Hinweggleiten , das Hildegard nicht gefiel . Sie schlief gut , von dem frohen Gedanken eingewiegt , daß in zwei Tagen Sonnabend war , an dem sie mit angenehmen Menschen zusammenkommen würde . 5 Obwohl Hildegard sehr sparsam lebte und unnötige Geldausgaben scheute , entdeckte sie doch bald eine bedenkliche Ebbe in ihrer Börse . Das Essen in den Restaurationen kostete viel , das oftmalige Pferdebahnfahren verschlang auch täglich ein Sümmchen . Ein leises Angstgefühl beschlich sie . Was thun , wenn das letzte Geldstück verausgabt war ? Ihren Mann konnte sie doch nicht mitten im Monat um Geld schreiben . War es ihr doch schon bitter genug , am Ersten wieder seine Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen . Nun , Frau von Werdern mußte um jeden Preis Rat schaffen . Sie mußte . War es doch auch ihre eigene Sache , die Hildegard vertrat . Sonnabend Abend klingelte sie nicht ohne Herzklopfen bei der Vorsitzenden an . Sie wurde in einen Salon geführt , in dem schon einige Damen anwesend waren . Frau von Werdern nahm sie freundlich an der Hand und stellte sie ihren Bekannten vor . Man war sehr liebenswürdig gegen sie . Einige Damen begannen gleichzeitig ein Gespräch mit ihr , so daß sie bald links , bald rechts antworten mußte und schließlich in Verwirrung geriet . Dann wurde Thee herumgereicht . Frau von Werdern verlas einige Briefe von auswärtigen Gesinnungsgenossinnen , die mit großem Jubel von der Gesellschaft aufgenommen wurden . Man sprach von Frau X. und Frau Y. , die Hildegard unbekannt waren . Dann begann ein allgemeines Durcheinanderreden . In Frau Wallner begann sich leise Ungeduld zu regen . Wozu war sie eigentlich hergekommen ? Die Fragen , die man vorhin an sie gerichtet hatte , waren nur Fragen der Neugierde gewesen . » Sie sind aus Konstanz ? « » Ist's schön in Konstanz ? « » Gefällt es Ihnen in Berlin ? « » Haben Sie eine gute Wohnung gefunden ? « und so weiter . Wirkliche Teilnahme hatte aus keiner geklungen . Und gerade ihrer bedurfte Hildegard so sehr . Aber abgesehen davon , auch ihre ganze Lage ließ keine große Wartezeit zu . Frau von Werdern war von einem Ring hastig auf sie einredender Frauen umgeben . Mit ihr war heute wohl nicht zu reden . So wandte sich Hildegard mit einer beiläufigen Frage an die neben ihr sitzende Dame . » Verzeihen Sie , gnädige Frau , « begann sie , » giebts hier nicht ein Leseinstitut , in dem man für nicht zu hohen Entgelt Eintritt hätte ? « Die Angeredete lächelte verbindlich . » Ich bin unverheiratet , Frau Walker – « Hildegard verbesserte sie – » meine Name ist Kampfmann , Lehrerin an der Elisabethenschule . Ja , was Sie sagten wegen des Lesekabinets – gewiß giebts das . In der Kronenstraße 60 , famos eingerichtet . Man läßt sich vorher in die Schriftstellergenossenschaft aufnehmen – « » Aber ich bin ja keine Schriftstellerin . « – » Das thut nicht das geringste , – und genießt da allerlei Vorteile . Zum Beispiel steht Ihnen ein Rechtsanwalt unentgeltlich zur Verfügung , Sie dürfen täglich nach Herzenslust hundert Zeitungen durchstöbern und last not least , man macht eine Menge netter Bekanntschaften . Wir alle gehen da aus und ein . « » Es ist sehr verlockend , was Sie mir da erzählen , aber – wie teuer kommt – « » Ah bah , ein für alle mal fünfzig Mark und jährlich zwölf Lesegebühr ; doch wahrhaftig nicht zu viel für das Gebotene . « » Das nicht , aber – « Die Lehrerin mit den etwas männlichen Zügen und den starken , kohlschwarzen Augenbrauen sah sie verständnisvoll an . » Mein Gott , ja , das kenne ich . Man ist manchmal ausgebeutelt . Jeder Pfennig ist da zu viel . Connu , connu . Aber sagen Sie , besitzen Sie denn niemand , der für Sie etwas thut , der für Sie sorgt ? « Gott sei dank , dachte Hildegard , endlich ein menschliches Wesen , mit dem man reden konnte . Die ehrlichen dunklen Augen Fräulein Kampfmanns veranlaßten Hildegard , offenherzig zu sein . Bald befanden sich die beiden in tiefem Gespräch miteinander . Vertrauen fordert Vertrauen . Auf den Wangen des Fräuleins glühten zwei rote Flecke auf . » Ich habe mich Ihnen als Lehrerin vorgestellt , aber ich bin nur äußerlich Lehrerin . Mein Beruf ist die Kunst ; das Zeichnen , das ich den Kindern beibringe , ist mir nur Mittel zum Gelderwerb . Sehen Sie , ich bin mit großen malerischen Anlagen zur Welt gekommen . Aus mir hätte ein Genie werden können . Schon mit acht Jahren porträtierte ich meine Eltern . Aber was glauben Sie ? Meinen Sie , ich hätte Aufnahme auf einer Akademie gefunden ? Mit nichten . Abgewiesen hat man mich . In München , in Dresden , in Berlin . Die Akademien wären nur für Männer da , wurde mir geantwortet . Ich arbeitete hierauf in verschiedenen Ateliers , aber selbstverständlich ohne es zu etwas rechtem zu bringen . Ich möchte Lenbach oder Grützner ohne ihre Akademie-Lehrjahre sehen . Aber die Frau natürlich , für die ist die Fortbildungsanstalt der männlichen Geniusse zu gut . Die kann ja auch hinterm Ofen vermittels Inspirationen etwas lernen . « Glauben Sie nicht , « wandte Hildegard ein , » daß ein wirklich starkes , großes Talent sich doch Bahn bricht , wenn es auch › nur ‹ einer Frau angehört ? « » Niemals , meine Liebe ; wie sollte es auch , wenn ihm ununterbrochen Hindernisse in den Weg gelegt werden . Beständige Entmutigung lähmt auch die robusteste Kraft . Und sehen Sie , diese Unterdrückung , diese himmelschreiende Ungerechtigkeit hat mich der Frauenbewegung zugeführt . Gebt Raum den Frauen , öffnet ihnen die öffentlichen Bildungsanstalten ! Zu Hauf werden sie kommen und euch beweisen , daß das Weib gleich befähigt mit dem Manne ist . « » Fräulein Kampfmann macht wieder ihrem Namen Ehre . « Eine große schlanke Dame neigte sich zu der erregten Sprecherin und legte ihr die Hand auf die Schulter . » Machen Sie unsere neue Genossin nur nicht gar zu kühn , sonst verknallt sie ihr Pulver an unrechter Stelle . « Hildegard lachte . » Denken Sie denn anders als das Fräulein ? « » In manchem ja , in manchem nein . Ich finde vor allem Fräulein Kampfmann zu heftig . Durch Leidenschaft erreichen wir nichts . Unsere wirksamste Waffe ist die Ironie . Die Männer von heute bieten ein so klägliches Bild , daß nichts besser zu ihrer Änderung beitragen kann , als ihnen dies Bild vor Augen zu halten . « Hildegard betrachtete interessiert die hübsche noch junge Frau , der das schwarzseidene , mit Perlen besetzte Kleid vortrefflich stand . » Sie haben leicht reden « sagte Fräulein Kampfmann über die Schulter . Die schöne Frau machte eine abwehrende Handbewegung und trat zu einer Gruppe plaudernder Damen . » Wer ist sie ? « fragte Hildegard . » Melanie Langenwang ? Vor allem eine schlaue Dame , mit viel Verstand – das glaubte sie nämlich – und wenig Herz . Aber ihr großartiger Verstand hat sie doch sitzen lassen . Sie hat sich nämlich mit einem halb blödsinnigen Mann verheiratet , in der Hoffnung , daß er nach der Hochzeit noch etwas blödsinniger würde , und sie dann die Verwaltung seines beträchtlichen Vermögens in die Hände bekäme . Aber sie hat sich schmählig getäuscht . Der › Staat ‹ hat ihrem Mann einen Vormund gegeben , und sie hat nur einen Teil ihrer Zinsen zur Disposition bekommen . Seither ist sie Anhängerin der Frauenemancipation geworden . Sie möchte den Paragraphen im bürgerlichen Gesetzbuch , der von der Verwaltung des Vermögens der Frau handelt , umgeändert wissen . « In diesem Augenblick entstand einiges Gedränge an der Thür . Mehrere Frauen brachen auf und verabschiedeten sich in stürmischer Weise von Frau von Werdern . Hildegard erhob sich . » Mein Gott , es ist spät geworden . Ihre interessante Gesellschaft hat mich die Zeit vergessen lassen . « Auch Fräulein Kampfmann stand auf . » Ich habe noch fünfzig Hefte zu korrigieren , kann auch mir nicht schaden , wenn ich gehe . Haben Sie denselben Weg wie ich ? Ich wohne Schiffbauerdamm . « » Ich unter den Linden . « » Also ein Stück gehen wir jedenfalls miteinander « sagte Fräulein Kampfmann , der die neue Bekannte sehr zu gefallen schien . Elvira schwärmte für alles , was schön und neu war . Und Frau Wallner erfreute sich dieser beiden Eigenschaften in ihren Augen . Man verabschiedete sich von der Gastgeberin , die Hildegard freundlich die Hand drückte . » Nur guten Mutes ! « Hildegard sah ihr einen Augenblick lang bittend , fragend in die Augen . Aber sie lächelte bloß verbindlich und sagte nichts als : » Auf Wiedersehen , wenn nicht früher , so Sonnabend . « Das war ein schwacher Trost , oder eigentlich keiner . Hildegards Stirne verdüsterte sich . » Fahren wir oder gehen wir ? « fragte die Lehrerin unten . Gehen wir . « Und dann fragte Hildegard : » Wo essen Sie immer ? « » In der Pomona . « » Was ist das ? « » Ein Restaurant , wo man sich für dreißig Pfennig satt essen kann . « » Wahrhaftig ? « rief Hildegard in naivem Erstaunen , » giebt es so etwas ? So viel brauch ich ja beinah an Trinkgeld des Mittags . « » Nun , wenn Sies haben , warum denn nicht ? « meinte Fräulein Kampfmann gleichmütig . » Ich habs ja aber nicht . « » Dann , entschuldigen Sie , sind Sie recht unklug , so viel Geld hinauszuwerfen . « » Ist das Fleisch denn auch frisch für diesen Preis ? « » Fleisch ? In der Pomona giebts kein Fleisch , nur Gemüse und Obst . « Hildegard blieb stehen . » Ist denn das gut , gesund , schmackhaft ? « » Es ist schmackhaft und billig « sagte lachend die Lehrerin , » ich habs auch nicht allzu reichlich , wissen Sie . « » In welcher Straße liegt Ihr Restaurant ? « » In der Dorotheenstraße . « » Wann essen Sie ? « » Um ein Uhr . « Ists Ihnen recht , wenn ich morgen Mittag an Ihren Tisch komme ? « » Gewiß , sehr ! « antwortete die Lehrerin freundlich . Dann trennten sie sich . Fräulein Elvira stieg in einen vorüberfahrenden Dmnibus , während Hildegard die paar Schritte nach Hause zu Fuß zurücklegte . Es war ihr merkwürdig zu Mut . Einerseits interessierte sie alles , was sie erlebte , andererseits gabs eine Täuschung um die andere für sie . Sie hatte sich immer vorgestellt , die Frauenrechtlerinnen hätten ideale Ziele im Auge . Sie hätten eine große » Idee « , nach deren Verwirklichung sie strebten . Nun sah sie , daß jede von ihnen ihrem eigenen kleinen Interesse nachlief . Wenn Fräulein Elvira mehr Talent besessen und Aufnahme in eine Akademie gefunden hätte , würde sie sich da je für die » Befreiung « der Frauen interessiert haben ? Und wenn die schöne Frau Langenwang Herrin über den Mammon ihres Gatten geworden wäre , würde ihr nicht das bürgerliche Gesetzbuch mit seinen Paragraphen höchst gleichgültig sein ? Also lauter Privatinteressen , aus denen sich dieser heilige Krieg für die Rechte der bedrückteren Hälfte der Menschheit zusammensetzte . Merkwürdig , wie anders das alles in der Nähe aussah ! Warum hatte Einhart nur immer geschwiegen , wenn sie ihm von der Herrlichkeit dieser Frauenbewegung vordeklamierte ? Sie hatte damals in ihrer Gereiztheit immer gemeint , er denke sich garnichts dabei , oder etwas Dummes . Am Ende hatte er aber doch etwas dabei gedacht , und vielleicht etwas nicht Dummes . – Herrgott , daß sie ihm jetzt um Geld kommen mußte . Nun , wenn sie vegetarisch lebte , würde sie viel weniger brauchen . Mit schwerem Herzen schlief sie ein . Ihr letzter Blick galt noch ängstlich dem dunklen Vorhang , der sehr gleichgültig herabhing . 6 In der Pomona gings lebhaft zu . Gäste kamen und entfernten sich , um neuen Platz zu machen . Die kleinen Stuben , aus denen das Speisehaus bestand , waren dicht gefüllt . An einem Tisch im letzten Zimmer entdeckte Hildegard ihre neue Bekannte . Die Lehrerin trat gleich auf sie zu und stellte sie einer jungen Dame vor , die an demselben Tische aß . » Fräulein Glanegg « sagte Elvira , » studiert Naturheilmethode , um später eine Anstalt zu eröffnen . « » O bis dahin hats noch lange Zeit « meinte das hübsche blonde Mädchen , das sehr wohlgenährt und zufrieden aussah . » Kann ich die Speisekarte haben ? « fragte Hildegard eine vorübereilende Kellnerin . » Gleich « wurde geantwortet . Hildegard sah sich indessen um . Soviel Leute auch da waren , soviel Wünsche und Begehren auch geäußert wurden , es geschah alles ohne Lärm , ohne Hast . Man sprach halb flüsternd und aß dabei mit großen Löffeln das Gemüse von den Tellern , auf denen es serviert wurde . Als Hildegard nach etwa einer Viertelstunde noch nicht bedient wurde , rief sie abermals das Mädchen . Nun erhielt sie ihre bestellten Maccaroni . » Hier muß man Geduld haben « meinte Elvira , » die Mädels bedienen die Herren zuerst , wir Frauen kommen später an die Reihe . « » Und lassen Sie sichs gefallen ? « » Aber ich bitte Sie , was soll man denn machen ? « » Kellner anstellen . « » Puh ; lieber eine Stunde lang warten , als solch einen faden Gecken herumschwänzeln sehen . « Hildegard lachte . » Sie haben es aber scharf auf die Männer abgesehen . « » Mag sein , aber nicht mit Unrecht . « » Und doch lassen Sie ihnen willig den Vortritt . « » Willig nicht , nur gezwungen . Es ist eben so im Leben , was kann man dagegen machen ? « » Aber dann wäre ja die ganze Frauenbewegung nur eine Komödie . Sie beanspruchen doch gleiche Rechte . « Die Lehrerin wischte sich mit der Papierserviette die Lippen und lehnte sich zurück . » Wir wollen doch nicht mit solchen Kleinigkeiten unsere Reform beginnen . Wir wollen nicht von unten nach oben , sondern von oben nach unten reformieren . Räumt man uns erst die gesellschaftliche Stellung des Mannes ein , dürfen wir ebenso im Gerichtssaal , auf dem Katheder wirken wie er , dann ergiebt sich alles andere von selbst . Abwarten . « Hildegard bestellte sich noch einen Teller Paradiesäpfel . » Ich denke , wir haben lange genug gewartet . Wenn die Frauen « setzte sie nachdenklich hinzu » wirklich überzeugt von dem Recht ihrer Ansprüche wären , würden sie nicht viel mutiger auftreten ? « Das junge Mädchen am Tische nickte . » Das kann ich nicht leugnen . Wir sind sehr feig . Als der Arzt , unter dem ich meine ersten Studien begann , mir eines Tages eine Liebeserklärung machte , blieb ich aus Angst fort , statt ihn gehörig abzukanzeln . « » Na hören Sie , wenn Sie von Feigheit reden , wer ist dann mutig unter uns ? « Fräulein Glanegg lachte , daß man ihre glänzenden Zahnreihen sah , und entgegnete nichts . Elvira winkte der Kellnerin . Man bezahlte . Dann erhoben sich die drei Damen . Vor dem Hause nahmen sie Abschied von einander . Fräulein Glanegg stieg in einen Pferdebahnwagen , und Hildegard schloß sich Elvira an , um sie zu ihrer Schule zu begleiten . » Ein hübsches Mädchen « sagte sie im Gehen . » Ja , nichtwahr ? « Verkehrt sie auch bei Frau von Werdern ? « » Gott bewahre « rief Elvira , » die würde dort nicht geduldet werden . Unsere Emanzipierten halten sehr auf die gesellschaftliche Sauberkeit , das muß man ihnen lassen . Und Gott sei Dank ! Denken Sie nur , was würde es unserer Sache für Schaden bringen , wenn solche sogenannte interessante Existenzen sich daranhingen . « » Spielen Sie auf dies junge Mädchen an ? « Elvira blieb stehen und blickte Hildegard an . » Wissen Sie , ich für meinen Teil habe nichts gegen Fräulein Glanegg einzuwenden , aber – doch hören Sie . Es bleibt natürlich unter uns . Sie lebt mit einem zwanzig Jahre älteren Manne zusammen , der Vater von drei Kindern ist , und dessen Frau sich in den dürftigsten Verhältnissen befindet . « » Weshalb trennt er sich nicht von der Gattin , um die Glanegg zu heiraten ? « » Das ist ja eben das Unglaubliche an der Sache . Sie will nicht geheiratet werden . Sie ist für die › freie Liebe ‹ . « » Das ist stark « meinte Frau Wallner , » und zu seiner Frau zurückkehren mag er auch nicht ? « » I wo ! Er liebt ja die Andere . « Hildegard schüttelte den Kopf . » So etwas begreife ich nicht . Es kommt mir einfach verrückt vor . « In diesem Augenblick fuhr eine elegante Equipage vorüber , aus der eine Dame Elvira gnädig zunickte . Die Lehrerin verneigte sich tief . » Frau von Kranbüchler , Eine unserer Hauptstützen . Nächsten Sonnabend werden Sie sie wohl bei Frau von Werdern treffen . Sie ist alle paar Abende da . « » Wer ist sie denn ? « » Eine sehr reiche , von ihrem Manne geschiedene Frau . Die Frauenbewegung ist ihr Schooßkind . « » Sie hat wohl keine andern Kinder ? « » Doch , sogar deren drei . Aber diese verfügen über Gouvernanten , Erzieherinnen , Bonnen , so daß die eigene Mutter wenig mehr für sie zu thun findet . « » Und da widmet sie sich der Frauenbewegung ? « » Jawohl . « » Aber dann ist es ihr ja bloßer Zeitvertreib , nichts anderes . « Elvira zuckte die Schultern . » Möglich . Jedenfalls ist ihr Geld , mit dem sie sehr freigebig umgeht , für unsere Sache gut zu gebrauchen . « Die beiden Frauen gingen eine zeitlang schweigend neben einander , dann meinte Hildegard : » Diese Glanegg verläßt meine Vorstellung nicht ; wissen Sie , im weitern Sinne gehört sie doch auch zu den Emanzipierten . Nur diese ganze Bewegung konnte ihr den Boden ebnen , auf dem sie jetzt geht . « » Das leugne ich nicht « meinte Fräulein Kampfmann , aber sagen Sies nie im Salon der Frau von Werdern . Der bloße Name der Glanegg macht ihr unwohl . « Hildegard schüttelte den Kopf . » Ich finde mich in all diesem nicht zurecht . « Dann reichte sie Elviren die Hand hin . Sie waren vor der Schule angekommen . Frau Wallner setzte einsam ihren Weg fort . Sie spürte von Stunde zu Stunde eine immer größere Leere in sich wachsen . Etwas wie eine tiefe Beschämung bemächtigte sich ihrer . Sie mußte doch sehr naiv gewesen sein früher , – oder nein , eigentlich grenzenlos hochmütig , oder noch etwas anderes : borniert . Sie trat in eine Konditorei , die auf ihrem Wege lag , ließ sich eine Tasse Chokolade geben , und versank in Gedanken . Merkwürdig , früher hatte sie so wenig selbst gedacht . Immer mit den Gedanken Anderer . Beim Lesen von Büchern , in der Kirche , in der Gesellschaft ihrer Freundinnen . Alle möglichen Einflüsse hatten auf sie gewirkt , nur ihr eigenes Selbst hatte sie nie aufgefordert , sein Bekenntnis zu sagen . Wie wäre das auch möglich gewesen ? Als braves Kind wurde sie erzogen zu denken wie ihre Eltern , gute Kleinbürger , dachten . Dann kam sie zur Schule , wo ziemlich beschränkte Lehrerinnen , die im Plappern fremder Sprachen das Heil ihrer Schülerinnen sahen , ihre Erziehung leiteten . Dann geriet sie unter den Einfluß ihrer Freundinnen , tadelloser Gesellschaftsgänse , die keinen Schritt vom Wege thaten , aber auch keine Ahnung besaßen , was einen wirklichen Menschen ausmacht . Die ganze Ödheit des jungen wohlerzogenen Mädchens schmückte sie . Die Schablonenjungfrau , wie sie im Ballsaal und im Wohlthätigkeitsbazar prangt , war ihr Ideal , dem sie auch ähnlich wurde . Eines Tages kam ein junger warmherziger Schwabe in ihr elterliches Haus . Er war Maler und hatte in Stuttgart sein Atelier . Er wollte sich um Studien zu machen kurze Zeit in dem lieblichen Konstanz aufhalten . Ja damals ! Hildegard seufzte auf . Er verliebte sich in ihre blonden Haare , ihren rosenfarbenen Teint , ihre blitzenden Zähne . Er warb um sie . Drei Monate später war Hochzeit . Einhart war nicht dazu gekommen , die Seele seiner Erkorenen kennen zu lernen . Wann auch ? In so geordneten Verhältnissen werden keine Opfer gefordert noch gebracht . Aus der guten Stube des elterlichen Hauses kam sie in die gute Stube ihres eigenen Heims . Als die Eltern tot waren , Vermögen hatten sie nicht hinterlassen , mußten sich die jungen Leutchen etwas einschränken . Aber Einhart verdiente viel . Er war von Stuttgart nach Konstanz übergesiedelt , und alles ging flott . Da begannen ihre Eifersuchtsanwandlungen , die ersten Schatten , die auf ihr Glück fielen . Er in seiner warmen Güte rechnete mit ihnen . Er wollte ihr entgegenkommen und stellte ihr die Zumutung , die die Philisterin in ihr so empört hatte . Jahre des Zwistes begannen . Sie war beständig von Bitterkeit erfüllt . Sie mochte nicht , daß er malte , wünschte aber doch auch wieder nicht , daß der Verdienst fortfiel , den seine Kunst ihnen eintrug . Und als er in seiner Verzweiflung nach dem letzten Mittel gegriffen hatte , sie nach beiden Seiten hin zufriedenzustellen , denn er hing sehr an ihr , wandte sie sich erbost ganz von ihm ab . Er hatte kein böses Wort , keinen Vorwurf für sie gehabt . » Thue , was du nicht lassen kannst « war das Einzige gewesen , das sie ihm entrungen hatte . » Geh , wohin du magst . « » Aber ich will von dir geschieden sein . « » Das geht nicht so schnell « hatte er mit gepreßter Stimme geantwortet . » Laß es dir einstweilen an der Trennung genügen . Ich will indessen die notwendigen Schritte einleiten . « Und sie war von ihm gegangen , mit seinem Geld in der Tasche , von einem letzten ruhigen Blick seines Auges begleitet . – Sie bezahlte rasch und eilte hinaus . Sie mußte Luft schöpfen . – – – – – Nach längerem planlosen Hinirren kehrte sie nach Hause zurück . Sie entkleidete sich und begab sich zu Bette . Der dunkle Vorhang glitt lautlos nieder . Heute flößte er ihr keinen Schrecken ein . Es war ihr alles gleichgültig , was sie betraf . Sie wollte nur eins : sich anschauen . Dieser Hang zur Selbstschau war ihr neu . Und indem sie einschlief , dachte sie : Wie seltsam ! Für alles sorgen unsere guten Eltern , nur für etwas nicht : sie bringen uns das Denken nicht bei . Statt uns mit Spielzeug zu überhäufen , dessen Zweck es ist , uns zu » zerstreuen « , sollten sie uns lieber in ein kahles Zimmer führen . » So Kind , nun bleibe eine Weile in Deiner eigenen Gesellschaft . « 7 Die nächsten Tage vergingen ohne ein neues Ereignis . Hildegard aß mit den beiden Damen zu Mittag , ging spazieren und wartete vergeblich auf ein Wort von Frau von Werdern . Sonnabend Abend ging sie zu ihr . Es waren wie jüngsthin viele Damen anwesend . Man sprach lebhaft vom kommenden Dienstag , an dem eine Frauenversammlung stattfinden sollte .