Erster Band Erstes Buch I . » Ja , heut ist in Calais Probeschießen mit den neuen Sprenggeschossen und dem neuen Gewehr ! « erläuterte der würdige Hafenoffizial , und indem er ein prüfendes Auge auf Graf Xaver warf , der seinem Gepäckträger soeben ein überflüssig hohes Trinkgeld reichte , fügte er dienstbeflissen hinzu : » Die englischen Herren Offiziere brauchen sich blos beim Herrn Colonel zu melden , dann können sie die Revue in der Nähe besehn . « » So ? « brummte Krastinik , während sein gleichgültiger Blick über das vorbeidefilierende reitende Artillerieregiment hinglitt . » Ich bin aber keiner . « Sein zweifelhaftes Englisch bürgte auch dafür . Der Beamte verbeugte sich . Sein Irrthum mochte für die oberflächliche Beobachtung eines Franzosen verzeihlich sein . Denn Graf Xaver Krastinik schien mit peinlicher Sorgfalt möglichst englisch gekleidet , von dem glänzenden breitkrämpigen Cylinder bis zu den hackenlosen knappanschließenden Schnürenschuhen . Aber die untersetzte breitschulterige Gestalt von kaum Mittelgröße , die sonnenverbrannte Hautfarbe , die tiefliegenden scharfen Augen unter hervorstehendem Knochenbau der Stirn , der röthliche Vollbart und das braunrote kurzgeschorene Haar , endlich die markirten Züge verriethen einen sarmatischen Typus . Auch soldatische Haltung konnte man unmöglich verkennen . Die Sonne blinzelte grell auf die Bohlen der Holzbrücke , welche zur Landungsstelle , wo der Dampfer via Calais-Dover seine Opfer erwartet , hinlief . Ohnehin verdrießlich , fühlte sich der Graf peinlich berührt , als ihm der dort lauernde Beamte , ein stämmiger Kerl mit riesigem Knebelbart , die gewöhnliche Frage zuschnarrte : » Êtes vous Français ? « Da der Ueberraschte nicht sogleich antwortete , fuhr der Inquisitor eindringlich in einem Athem fort : » Are you English ? Votre nom , monsieur ? Your name , sir ? « Geärgert über dies zudringliche Verhör , brummte der Graf zwischen den Zähnen : » My name is the devil « , was dem höflichen Franzmann , der natürlich nach zwanzigjährigem Umgang mit Engländern die insularische Barbarensprache kaum radebrechte , vollkommen genügend schien . Der Graf jedoch , der noch einen fragenden Blick wahrzunehmen glaubte , schwang sich sofort zur Höhe der Situation empor , indem er trocken beifügte : » Et je suis Allemand . « Dies böse Wörtchen erwies sich als Zauberformel . Augenblicklich ließ man ihn passiren , indem man wie vor einem schädlichen Reptil auswich . » Allemand ?! Ah ! Merci , monsieur ! « Der Beamte versetzte ihm einen unnachahmlichen Bückling höflicher Grobheit , wie nur Franzosen diese widersprechende Mischung zu bereiten wissen , indem er wüthend seinen Schnauzbart und hernach noch unbarmherziger seinen Henri-Quatre am Kinn zwirbelte , Krastinik lächelte höhnisch . Die Ueberfahrt erfolgte mit frischer Brise , die See ging bewegt , ein Mousselin-Flor von Schaum kräuselte sich über ihren wogenden Busen , die Stöße kamen ruckweise . Eine Ammensage behauptet , daß selbst englische Admiräle seekrank würden , sobald sie den Kanal passirten . So wunderte sich denn Graf Xaver , der weder die weithinschwingenden vollausgetragenen Wogen des Oceans noch das wilde Rütteln der skandinavischen Nordsee kannte , nicht wenig , daß er als Landratte gelassen betrachten durfte , wie die schwarzhäutigen und gallig-gallischen Phystognomieen allmählich nacheinander ins Grünliche schillerten . Ein Chor barmherziger Schwestern saß allda , jede mit einem Napf in fromm gefalteten Händen , als beteten sie einen Rosenkranz . Alles spuckte und spokte durcheinander . Man verschwand und ward nicht mehr gesehn . Baß erstaunte der Osterreicher , als sogar die blondfleischigen oder blondbleichen Gesichter Albions sich zusehends verzerrten , um dem Neptun Weihrauchopfer zu bringen , während nur einige deutsche Wollhändler , wie massive Blöcke in der Brandung , unerschütterlich Stand hielten . Einer derselben belehrte Krastinik scharfsinnig darüber , daß insulare Lage und jeweilige Seefahrerei nichts gegen die Seekrankheit fruchte , für welche die englischen Mägen durch heiß verschlungenen Pudding und anhaltende Brandybegießung veranlagt seien . Erst als die gleichsam übereinander stehenden Segel der zahllosen , den Kanal passirenden Schiffe am Horizont unterduckten und die runden Thürme von Dover emportauchten , fühlte Xaver die erste Beklemmung . Denn angesichts des Shakespeare-Cliffs und der andern Kreideriffe , die hier als Panzerbrünne die meerbeherrschende Brunhild Albion umgürten , entwickelten sich vor seinen Augen verschiedene innere Krämpfe – die Wellen brachen sich plötzlich mit besonderer Heftigkeit . Er erprobte jene schlimmste Spielart der Seekrankheit , die kurz vorm Landen anhebt und drum auf dem Lande noch tagelang fortdauert . Wie schwach wurde ihm aber erst zu Muth , als ihm an der Landungstreppe die wie Befehle klingenden Fragen der wachthabenden Matrosen entgegensprudelten : » Charing Croß , Victoria Station , Ludgate Hille , Cannon Street ? « Nur mit Mühe begriff er den Sinn dieser Namen der vier Haupteisenbahnstationen der Metropolis . Die verwirrende Schnelligkeit der Aussprache glich sehr wenig der gemütlichen Conversation seines englischen Sprachlehrers in Wien . Mit rasender Hast in einen Waggon des Charingeroß-Zuges gedrängt , fühlte er sich alsbald , während die drei andern , am Strande dicht aneinander gepreßten , Züge zugleich losstarteten , wie mit Riesenhaken über Thal und Höhen hingerissen . War es doch der » Infernal Train « , der » Höllenzug « der Chatam-Dover-Bahn ! Die unerträgliche Hitze , das Ueberhasten mit der » Halben « Bordeaux und dem halben Huhn in Calais , die Jähe und Fremdartigkeit der wechselnden Bilder , die Hatz der unablässig weiterrasenden Lokomotive wirkten zusammen . Krastiniks röthlichbrauner Teint spielte ins Purpurne hinüber . Auf seiner breiten braunen Stirn , von der die Schweißtropfen perlten , traten die Adern hervor . Er bekam Nasenbluten . Indem er sich abwechselnd die Nase und die Stirn trocknete , verschwamm ihm Alles in einer unbestimmten Beleuchtung . Wie durch einen Nebel hindurch , sah er die feinen Züge und die elegante Haltung der englischen Damen , die ihm einer ganz andern höheren Race als auf dem Continent anzugehören schienen , und die nach deutschen Begriffen auffallende schweigende Galanterie der Männer . Wie durch einen Nebel hindurch , hörte er Englisch und Französisch wie eine Sprache durcheinanderparliren . Zeigt sich doch die innere unzerstörbare Entente cordiale der zwei Westmacht-Völker und ihr kaltverächtliches sich Abschließen gegen alle andern Nationalitäten nirgends so deutlich , wie auf der Reiseroute Paris-London . Ein Ruck weckte ihn aus seinen bewußtlosen Betrachtungen auf – stop ! Charing Croß ! Nachdem er noch während des Gepäck-Wartens die unheimliche Spionage eines zweideutig aussehenden Männchens , offenbar Detectiv , ausgehalten hatte , der in ihm eine Aehnlichkeit mit irgend einem Industrieritter zu wittern schien , aber durch seine hülflose Miene inmitten des ungeheuren Wirrwarrs dieser Centralstation vom Gegenteil überzeugt wurde – gelang es ihm überraschend gut , mit Zöllnern , Gepäckträgern , Cabmen fertig zu werden . Wider alles Erwarten ging ihm sein notdürftiges Stuben-Englisch glatt von der Zunge und sein durch die Aufregung geschärftes Ohr verstand die rapide Sprechweise des Londoner Cockney's ganz wohl . Auch als er seine Empfehlungskarte an den Besitzer eines vornehmen Privathotels in Piccadilly abgab , ging ihm die Rede erträglich von Statten . Zu seinem Mißvergnügen bemerkte er nur , daß der Millionär vor seinem continentalen Grafentitel wenig Ehrfurcht zu empfinden schien und daß auch dieser Busineß-Mann gentlemanlike Formen entwickelte . Wie viele Märchen hatte Graf Xaver , der in der Jugend nie über die Güter seiner Familie in Ungarn und später als Offizier nie über die engere österreichische Heimat hinausgekommen war , aus dieser Reise berichtigen müssen ! Schon auf dem Bahnhof in Verviers fielen ihm kolossale massige Wallonen und lange martialische Franzosen ins Auge . War das die angeblich schwächer gebaute und zierliche Romanische Race ? In Nordfrankreich sahen die Leute fast germanischer aus und zeigten eine frischere Hautfarbe als die Briten . Und diese Letzteren , die man ihm als schlenkernde Hopfenstangen ohne Manieren geschildert hatte , entpuppten sich schon beim ersten Eindruck als Gentlemen von wahrhaft musterhaftem Benehmen und zuvorkommender Höflichkeit , wie man sie selten auf dem Continente findet . Als er das breite Trottoir von Piccadilly behaglich hinunterschlenderte , um seinen ersten Abend auszunutzen , machte ein hinter ihm gehender Herr ihn mit höflichem Ernst darauf aufmerksam , daß seine Cravatte sich verschoben habe , nickte aber nur freundlich , als Krastinik dankend den Hut zog . Erst stutzte dieser – gewöhnte sich aber durch Beobachtung bald an den englischen Gruß des nicht-Hutziehens , statt dessen man den unentbehrlichen Regenschirm , der selbst bei schönstem Wetter hier nie daheim bleibt , zur Hutkrempe erhebt . – Später auf dem Oberdeck des ungeheuren blaugelben Omnibus , den er für eine Strecke bestieg , bot sein Nebenmann ihm freiwillig seine Lucifer-Matches an , als er Krastinik's Cigarrenbedürfniß merkte . Der biedre Graf verliebte sich auf den ersten Blick in die englische Nation . Allerdings , am Anfang , als er zu Charing Croß ins Freie gelangte , war ihm beklommen zu Muth gewesen , als das Brausen des Weltverkehrs immer höher anschwellend an sein Ohr schlug . Da kreuzten sich mit gellem Pfiff die Themsedampfer : ihr zischendes Schaufeln stimmte ein in das Poltern der Omnibusse , mit riesigen Pecheronpferden davor auf Trafalgar Square . Ueber den Dächern schnaubte das Dampfroß ; hin mit flatternder Dunstmähne , unter der Erde donnerten seine ehernen Hufe . Und wie von hohem Riff , starrt Nelson von seiner Säule in den Menschenstendel hinab , der das schwache Einzelschiff mitleidlos umherschleudert , wo Parliamentstreet ihren Strom von Wagen und Fußgängern auf den Trafalgar Square ergießt . Auch hier im vornehmen Westend fehlte es ja nicht an wirbelndem Drang . Wo Piccadilly mündet , bei Oxford Circus konnte Krastinik bewundern , wie der weise Policemen nur mit der Beredsamkeit seiner Blicke und Handbewegungen unauflösliche Wagenknäuel entwirrt . Aber rückwärts schlendernd , empfing den Neuling die vornehme Ruhe von Pall Mall . An der Terrasse , die zum St. James'-Park hinabführt , sah er Müssiggänger vom feinsten » Ton gähnend und rauchend lehnen , unschlüssig , ob sie die Clubs mit ihrer Gegenwart beglücken oder im Criterion-Theater schneidige Klatschworte mit gleichgestimmten Seelen austauschen sollten . Einige junge Fähnriche von der Garde in ihren enganliegenden Rothjacken , die Mützen aufs Ohr gestülpt wie studentische Cereviskappen , die Reitgerte unter den Arm gesteckt , Brust heraus , Kopf zurück , wandeln mit wehenden Schnurrbärten als triumphirende Ladies-Killer gen Regentstreet . Wie die aristokratische Schönheit sich erst beim Kerzenlicht in voller Toilette zeigt , so strahlt London erst in der Nacht im Diadem seiner Gasflammen . Das ist die Zeit des Westend , wie der Mittag die Zeit der City . Und je trüber und rauher die Nacht , um so heller leuchten , um so wohnlicher winken Häuser und Läden . Die City wimmelt von Clerks und Ladendienern , die soeben ihre methodische Arbeit mit dem Glockenschlag geschlossen haben . Vor den Theatern bummeln Leute , die zum ersten Mal diese Tempel besuchen und mit höchster Aengstlichkeit sich ein Billet sichern wollen . Die Dining-Parlours sind zum Brechen voll , lustig knistert das Feuer im Kamin und der göttliche Duft solider Dinners verbreitet sich durch ganz Regentstreet und Piccadilly , zum Aerger müder und hungriger Wanderer . Ganz Soho und Seven Dials lehnt an den Hausthüren , unter stillem Genuß sogenannter Havannahs . Die Leute von Coventgarden vor der Italienischen Oper setzen jedem ein Textbuch auf die Brust . In den Vorstädten geht man nachbaren , » Biere « und Kuchen « wandeln durch Southwark . Die Policemen rücken in geschlossener Colonne , in ihre Nachtmäntel und ahnungsvolles Schweigen gehüllt , nach der City ab , um die leeren Shops zu bewachen . In Little Russel Street wird der erste betrunkene Kutscher aus seiner Inn hinausgeworfen . Die Kellner im Café Monico wissen nicht , wie sie diese Menschenmasse bedienen sollen ; in den kleineren Cafés sitzt ein Kreis von Gentlemen comfortabel vorm Feuer und vierten Glase Sherry bei zugezogenen Fenstervorhängen . Cromwell- , Brompton- , Glosterroad scheinen durch Wagenmassen abgesperrt , bei Oxford Circus herrscht babylonische Sprachverwirrung und kein rother Omnibusconducteur versteht die Injurien seines blauen Rivalen . Ein schwüler Dunst von Parfüm , Cigarren und Champagner verbreitet sich über Haymarket : die nächtliche Lustbörse , mit bestimmtem Cours und nach Nationalitäten geordnet , wie die wirkliche Börse in Lombard-Street . » Das Licht brennt blau , ist 's nicht um Mitternacht ? « citirte Krastinik vor sich hin . Ja , die Stunde der Geister und Gauner brach an , und ohne dem gedruckten Sirenengesange eines » wandelnden Mannes « zu folgen , der noch so spät die Annonce auf dem Rücken spazieren trug , daß in Cremorne Gardens zum unwiderruflich letzten Mal Fandango in türkischen Hosen getanzt werde , suchte der müde Fremdling sein Lager auf . Schon früh am andern Morgen gürtete er seine Lenden , zu wandeln von Dan bis Bersaba . Piccadilly , das gestern Abend den koketten Putz seiner glänzenden Läden entfaltet hatte , athmete jetzt Frische und Lebendigkeit , wie eine junge Landpomeranze in ihrer ersten Season . Auf frisch begossenen Trottoirs zog eine Karawane von Landmädchen nach Conventgarden-Markt hinauf , Früchte und Blumen und Gemüse bringend . Der feuchte Duft des Green- und Hyde-Park reinigte die Luft , die noch nicht vom Straßenverkehr durchseucht . Milchhändler begannen ihr eintöniges Geschrei , Fleischerkarren rasselten gen Tottenham Court Road , Fischverkäufer marschirten von der Themseseite her heran . Die unvermeidlichen Stiefelputzer-Boys in rother Jacke postirten sich bereits an den Straßenecken , um jeden Vorübergehenden mit der Bürste und flehendem Penny-Blick anzufallen . Einige Straßenjungen gaben ihre Anerkennung der ausgestellten Eßwaaren so unzweideutig zu erkennen , wo Auster- und Pastetenhändler ein Straßenfrühstück feilboten , daß man ehrenrührige Strafen an ihnen vollziehen mußte . Durch den Marmorbogen des Hyde-Park , wo als Schildwach der eiserne Herzog Wellington auf eisernem Roß herniederstarrt , flutheten morgendliche Spaziergänger , Maiglöckchen im Knopfloch , den gelben Olivenstock als Gruß-Stange benutzend . Knallrothe Handschuhe mit breiten schwarzen Streifen schienen Mode – es fiel dem Oesterreicher schwer aufs Herz , daß er dieselben an seinem sonst tadellosen Anzug vermißte . Welch endlose Schnur von Roß und Reisigen ! Blaue Bänder , gleich Preußens loyalen Kornblumen , verkünden , daß man zu St. Sport von Epsom , dem Nationalheiligen , wallfahrte . Heut war Derbytag . Ganz England scheint solches Rennen nach einem geschäftsmäßig , Uhr in der Hand , erledigten Pensum Vergnügen . Krastinik bummelte noch eine Zeitlang hin und her , über Knightsbridge nach Brompton hinein . Die vielen Fisch- und Fleischbuden legten soeben ihre Waaren aus . Dieselben verbreiteten jedoch einen solchen Blut-und Salzgeruch und die Verkäufergruppen brüllten mit ihren Stentorkehren den eleganten Spaziergänger so mißtönig an , indem sie mit ihren nervigen nackten Armen und blutigen Schürzen wenig appetitliche lebende Bilder stellten , – daß Xaver sich hülfeflehend nach einem Cab umsah , das langsam vorbeitrottete . Kaum hatte das immer wache Auge des Rosselenkers ihn erspäht , als auch der Peitschenstiel sich senkrecht in die Lüfte erhob zum Zeichen der Verständigung , worauf mit einem kräftigen , » All right , Sir ! « der hübsche rothgrünbemalte zweiräderige Hansom heranschoß . » Das geht fixer , wie die faulen Fiaker und Droschken des Kontinents ! « dachte der Oesterreicher ; laut wies er den Cabman an , ihn nach » Bolton 's Terrace « zu fahren . Es dauerte jedoch eine Weile , eh ihn der Mann verstand . Endlich rief er : » Ah , to Bolton's , I see « , indem er » Boltons « wie » Baltons « aussprach . Noch blieben dem Fremden die Geheimnisse des Cockney-Slang verschlossen , wonach » paper « wie » piper « und » James « wie » Jimes « lautet . – Dies war also Bolton's Terasse . Eine nette freundliche Straße mit kleinen Vorgärtchen , jedes Haus mit einer kurzen Treppe und zwei Säulen an der Thür versehen . Alles so glatt , reinlich , frisch , wie ein Sinnbild des englischen Comfort . Als er vor einem der Häuser das Cab entließ und die Treppe hinanstieg , öffnete sich die Hausthür von selbst und ein alter Herr , groß , aber von etwas gebückter Haltung , trat ihm entgegen . Beide umarmten sich . » My dear fellow « , rief Lord Dorrington fröhlich , » das ist gut , daß Du da bist . Ich sah Dich vom Erdgeschoß aus , wo wir essen , der Kühle wegen . Komm nur gleich hinunter , Lady Dorrington wird sich sehr freuen . « Er hatte dies alles Deutsch gesagt , unterbrach sich aber : » But English is better for you ! « und unterzog sich von nun ab der Mühe , das Kauderwelsch des radebrechenden Fremdlings zu verstehen und zu corrigiren . Ein Blick in das edle Auge des altes Mannes genügte . Man erkannte sofort in ihm einen jener seltenen Menschen , denen stete Rücksichtnahme auf Andere , philanthropische Humanität , zur andern Natur geworden . Ein Abglanz dieses Wohlwollens hatte sich sogar den un-englischen Zügen seiner Gattin eingeprägt , so völlig sie von dem vornehmen Race-Typus des Lords abstach . Obschon ihr Haar ergraut , schien die stattliche Matrone eine scharfe Beobachtung der Lebensverhältnisse bewahrt zu haben . Ganz Weltdame . Sie begrüßte Xaver mit Wärme . Dieser küßte ihr ehrerbietig die Hand . » Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen , gnädige Tante ? « » Danke , lieber Cousin , « erwiderte sie mit stark österreichischem Accent . » Ich lebe ja nun schon so lange in England , daß ich mich völlig acclimatisirte . Also willkommen hier ! Ich sah Sie nicht , seit Sie so groß waren . « Sie bezeichnete eine Minimal-Höhe mit der Hand . » Was macht Ihr Bruder , der Majoratsherr ? « » Er sendet Lady Dorrington , geborene Gräfin Krastinik , seine verbindlichste Empfehlung . Uebrigens sehe ich ihn sehr selten . Wir haben verschiedene Neigungen . Er betreibt auf seinen Gütern in Ungarn den edeln Sport der Fuchsjagd . Ich schwitze in meiner Garnison als Kavallerieoffizier . Sie wissen , ich bin kürzlich übergetreten – war früher Ingenieurhauptmann , weil ich mich mit Leib und Seele für Kriegswissenschaft interessiere . Aber es ging halt nicht mehr ; meine Familie meinte , ein Krastinik gehöre nur in die Kavallerie . Das allein sei ritterlich , ich dürfe doch nicht als bewaffneter Bücherwurm hinvegetieren . Auch reizte mich selbst der noble Pferde-Sport ( ich bin ein wenig romantisch , gnädige Tante ) – kurz , so wäre ich denn Rittmeister . « » Wie lange hast Du Urlaub ? « fragte Dorrington . » Auf unbestimmte Zeit . Ich muß mich einmal auslüften . Man verbauert ganz . Und da hab' ich denn London als Ziel meiner Reise gewählt , weil Ihr ja so gütig waret , mich wiederholt anzufordern . « » Sie sind hier zu Haus , lieber Neffe ! « » Das versteht sich , « rief der alte Lord . » Dein Vater , der General , war der Intimus meiner Jugend , als ich noch als Attaché bei der britischen Gesandtschaft in Wien stand . Ich betrachte Dich wie einen Sohn . « » Ja und deswegen , « fiel die praktische Lady ein , » wollen wir uns auch mal ein wenig mit Ihrer Zukunft beschäftigen . Wie geht's Ihnen denn ? « Schlecht und recht , wie ein armer jüngerer Sohn es verlangen kann . « Xaver zuckte mit vielsagendem Lächeln die Achseln . » Oho , so ! Nun , um Ihre Verhältnisse aufzubessern , wäre ja doch das Bequemste eine reiche Heirath . Wie , mon cher , sollten Sie nicht daran gedacht haben , als Sie nach England gingen ? « Er machte eine abwehrende Bewegung . » O nein . So sehr dies wünschenswerth wäre , verkaufen mag ich mich nicht ! « Lady Dorrington hob mit komischem Erstaunen beide Hände empor . » Verkaufen ! Welch' ein Wort ! Sie sollen eben thun , wie tout le monde ! Nur ruhig , Lieber , wir werden das schon in die Hand nehmen . Ueberlassen Sie das meinem Takt ! « Xaver küßte ihr verbindlich die Hand . » Wie soll ich Ihnen danken für das Interesse , gnädige Tante , das Sie mir entgegenbringen ! Doch fürs erste . . übrigens wird das wohl auch kaum so leicht sein wie Sie denken . « » Das überlasse man mir ! Ich denke doch , einem Grafen Krastinik stehen alle Pforten offen ! « Und Lady Dorrington warf stolz das Haupt in den Nacken , als wäre sie der vereidigte und patentirte Anwalt für alle Generationen Derer von Krastinik . » Apropos , haben Sie viele › introductions ‹ nach London mitgebracht ? « » Nicht eine . All solche Pläne lagen mir ja ohnehin fern . Ich will nur einen Monat hier zubringen , um mich zu erholen – das ist Alles . Ich gedenke gar nicht , mich wieder in die Gesellschaft einzupferchen . Und im Sommer obendrein , wo sonst in ganz Europa die Saison längst endet ! Wie drollig verschieden hier alles doch ist ! « Lord Dorrington lachte leicht auf , die Lady lächelte . » Nehmen Sie gleich einen Hinweis und guten Rath , lieber Xaver : Finden Sie nichts › drollig ‹ , was ihnen hier auffällt . Das wäre in England der gröbste Verstoß . Bedenken Sie , daß gerade den Engländern alles › drollig ‹ , vorkommt , was sie auf dem Continent sehen ! Und jeder Brite nimmt stillschweigend an , daß man seine Sitten als etwas Superiores ehrt und anerkennt . – Nun , wir werden Sie schon in gute Gesellschaft bringen . « » George , my dear , « wandte sie sich an ihren Gatten , » Nächsten Sonnabend ist eine › Garten-Parthie ‹ bei Egremonts . Sorgen wir dafür , daß unser Freund eine Einladung erhält , nicht ? « » Aha ! « machte der Lord , indem er verschmitzt ein Auge zudrückte . » Well . Das soll geschehn . « Der Graf verbeugte sich . Seine vornehme Reservirtheit verbot ihm , sich näher zu erkundigen , wer » Egremonts « seien . » Ich nehme das dankbar an . Heut Nachmittag will ich noch eine Karte bei unserem Botschafter abgeben ; dann ist mein gesellschaftliches Tagewerk fürs erste gethan . « Man unterhielt sich eine Weile über allgemeine Gegenstände . Es zeigte sich , daß der schneidige Kavallerist neben der gebräuchlichen Theilnahme für Pferde und Wettrennen als begeisterter Amateur der Musik und besonders der schönen Litteratur seine freien Stunden widmete . Als er jedoch seiner Landsmännin ein Ungarisches Lied vorsingen wollte und sie eifrig dabei accompagnirte , schienen ihre beiderseitigen Sprachkenntnisse im Magyarischen nur mangelhaft entwickelt . Hatten sie doch ihr Lebenlang nur Deutsch gesprochen und auf ihren ungarischen Gütern selten verkehrt . Dies hinderte aber nicht , daß sie völlig darüber d' accord waren , die Deutschen seien eine maßlos arrogante und rohe Nation , welche gedemüthigt werden müsse . » Die armen Franzosen ! « seufzte Lady Dorrington wehmüthig . » Bismarck wollte Deutschland einen – und dafür mußten die Franzosen bluten . Und jetzt droht er schon wieder ! Dies Deutschland will nie Frieden halten . « » Hm ! « Der alte Lord runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf . Sein englisches Gerechtigkeitsgefühl bäumte sich auf . Er vermied jedoch , mit seiner Frau , deren Bruder bei Königsgrätz als Divisionär gefallen war , über diesen Punkt zu rechten . Lady Dorrington mußte sich verabschieden , um eine nothwendige Visite zu machen . Die beiden Männer plauderten bei einer Flasche Portwein und griechischen Cigaretten im Bibliothekzimmer weiter . Allerlei schnurrige und ernste Erinnerungen erwachten bei dem alten Herrn , aus der Zeit seines Aufenthalts in Wien , wo er als flotter Lebemann geglänzt hatte . Er erkundigte sich angelegentlich , ob die österreichischen Damen der großen Welt noch immer so naiv-liederlich seien . So gab er eine Anekdote zum besten , wie in einem gewissen Badeort die Damen am Fenster durch Operngucker zugesehen hätten , wie ihre Herren im See badeten . Dabei hatte die schöne Gräfin Mizi . . , die in dem Rufe stand , systematisch ihre Liebhaber zu wechseln , naiv ausgerufen : » O , dies Jahr nehme ich Dorrington ! « Man mochte wohl glauben , daß er früher ein sehr schöner Mann gewesen sei – noch die Ruine wies darauf hin . Der gute alte Herr kicherte behaglich mit wohlwollender Theilname für die menschliche Schwäche . » Die Arme ! Sie ist nun auch schon lange todt ! « Allein , er wußte auch ernstere Details aus seiner diplomatischen Carrière zu erzählen . Hatte er sogar Metternich noch gut gekannt , der ihm echten Johannisberger oftmals vorgesetzt hatte . Auf den ließ er nichts kommen . Beeinflussen die persönlichen Verbindungen doch stets das objektive Urteil auch bei urteilsfähigen Geistern . Und Lord Dorrington war ein Urteilsfähiger . Seine diplomatischen Spielereien lagen lange hinter ihm . Jetzt hatte er sich der Wissenschaft gewidmet und der Litteratur . In seinem Bibliothekzimmer hingen eine Reihe interessanter Zeichnungen und Portraits von berühmten Dichtern aus jener großen Epoche der englischen Litteratur zu Anfang des Jahrhunderts , die er in früher Jugend noch miterleben durfte und aus welcher er viele Autographen bewahrte . Als Xaver mit augenscheinlichem Eifer diese Sammlungen besichtigte , rief Dorrington , nachdem er ihn eine Zeitlang aufmerksam betrachtet hatte , plötzlich : » Et tu , Brute ? Du bist ja auch ein Poet ? « Der k.k. Rittmeister ward dunkelroth . » Ich – ein Poet ? « stammelte er . » Wie – kommen Sie darauf ? « » O ! Ich lasse mich nicht beirren . Beichte mal : Bist Du nicht schon öfters mit dem Pegasus gestürzt ? « Ich kann nicht leugnen . . « machte Jener zögernd . » Siehst Du wohl ! « » Aber wie . . errathen Sie das ? « » O ganz einfach . Ich bin nämlich ein ganz altmodischer alter Kerl und huldige immer noch fanatisch der Gall'schen Schädeltheorie , die jetzt ein überwundener Standpunkt sein soll . Ja ja , ich bin bekannt und gefürchtet ob meiner Manie , die Schädel zu untersuchen . Und doch hab' ich mich nie getäuscht . Habe Disraelis Schädel untersucht und Gladstones , und habe immer gesagt , daß trotz seiner Charakterfehler Disraeli noch die noblere Natur von den Beiden sei . Da haben wir ja jetzt seit lange die Bescheerung mit diesem Gladstone ! Dieser eitle quack , dieser Charlatan und Doktrinär ! « Er schimpfte noch eine Zeitlang auf den » Verräter « , dessen Haltung in der Irischen Frage ihn als Briten der alten Schule entrüstete . » Und . . und , « warf Xaver hin , der sehr aufmerksam zuhörte . » Bei mir wollen Sie erkannt haben ... « » Und ob ! Hier der Winkel an den Schläfen über den Augen , der Schnitt der Augenbrauen . . laß mich mal Deinen Kopf untersuchen ! « Halb lachend , halb interessirt , gab Jener seine Zustimmung . Dorrington betastete seinen Hinterkopf genau , brummte eine Menge psychologisch – physiologisch – physiognomischer Lehrsätze durcheinander und constatirte aus einer Reihe phrenologischer Dokumente : » Zweifellos ein stark receptives , doch auch productives ästhetisches Organ vorhanden . « Er verbreitete sich noch lange über diesen Punkt . Xaver war auffallend still geworden . » Ein Dichter ! « sang es in ihm , als er nach Hause schritt . » Ein Dichter ! « schien das Echo seiner Tritte zu wiederholen , als er mit unbewußt leichterem und stärkerem Schritt wie ein Triumphator dahinwandelte . Hatte er doch stets geahnt , daß etwas Besonderes in ihm schlummere . Stets war er einsam seinen Pfad fürbaß gewandelt . Auf der Kriegsschule hänselte man ihn als sauertöpfisch ; später beim Regiment galt er als ein Gentleman und als tüchtiger Offizier , streng im Dienst , aber im Offizier-Casino zählte er durchaus nicht zu den beliebten Mitgliedern . Die Damen fanden ihn interessant , aber etwas steif . Ein paar Verhältnisse mit Damen der Aristokratie ( dem Theater und Ballet hielt er sich fern , schon seiner beengten Geldverhältnisse wegen ) hatte er gelöst , ohne dabei sein Herz beschwert zu finden . Immer suchte er etwas , was ihm seine Umgebung nicht bieten konnte » Ich habe manchmal auch meine idealen Stunden , « entgegnete er einmal bitter einem Componisten , der ihm vorgestellt wurde und der wie üblich von der Vereinsamung des Künstlers in der rohen Welt jammerte . – Ein Dichter ! So mußte es sein . Noch Abends beim Dinner im St. James Restaurant , wo er , das Parisian Dinner zu 5 Shilling verschmähend , für 3 Shilling ein opulentes Table d' hôte zu den Klängen einer Musikkapelle einnahm , grübelte er über dies Thema weiter . Es beschäftigte ihn so , daß er erst am andern Tage dazu kam , beim Botschafter vorzusprechen . Dieser empfing ihn mit der Auszeichnung , die einem Krastinik gebührte ( selbst wenn dieser halt nur ein jüngerer Sohn war ) und stellte sich völlig zu seiner Disposition , wenn er ihm mit etwas dienen könne . » Wünschen Sie vielleicht bei Hofe vorgestellt zu sein , mein theurer Graf ? « » Excellenz verzeihen , wenn ich auf die hohe Ehre verzichte . Ich bin gleichsam auf der Durchreise in London.. « » Gleichsam incognito . Verstehe . « Excellenz sagten das mit einer so eingefleischt wichtigen Amtsmiene , als ob hinter diesem » Verstehen « ein wichtiges diplomatisches Geheimniß stecke . » Aber in die Gesellschaft wünschen Sie doch wohl eingeführt zu werden ? « Auch dies lehnte Krastinik ab . Als der verwunderte Gesandte aber in ihn drang , wenigstens den Rout der herrschenden Saison-Schönheit mitzumachen , der demnächst stattfinde – er sehe die Herzogin noch heut Abend und verbürge sich für sofortige Einladung – , sagte er zu . Sie plauderten noch einige Zeit über – Nichts , wie nur geborene Aristokraten dieses vornehme Tätteln in anmuthiger Ungezwungenheit verstehn . Zum Abschied empfahl ihm der Vertreter der vierten Großmacht , doch ja das Kochbuch seines verehrten Kollegen , des deutschen Botschafters Graf Münster , zu studiren . Krastinik fühlte sich befriedigt , als er die Marmorstufen hinabschritt , daß er diese lästige Pflicht erfüllt hatte . Seufzenden Herzens machte er sich sodann gen Regentsstreet auf und verfügte sich zu Nicoll's , um einen Frack nach Londoner Schnitt mit Seidenaufschlägen zu erwerben , die man dort vorräthig findet für jedes erdenkliche Leibesmaß . Mit dem stolzen Bewußtsein , daß der Prinz von Wales einen ähnlichen Frack mit seinem allerhöchsten Geschmack zu beehren geruht habe , wie wenigstens der Atelier-Maitre versicherte , kehrte er heim . Düster philosophirte er über die Häßlichkeit dieses Kleidungsstücks , indem er sich im Spiegel musterte . Dabei ertappte er sich bei dem Gedanken , der ihm blitzschnell durchs Gehirn huschte : » Dichter sollten sich poetischer kleiden ! « II . Egremonts waren Sonnabend » at home « , wie ihn eine Karte belehrte , die fast zugleich mit der Einladungskarte der Herzogin , bei welcher er anstandsgemäß eine Karte abgeworfen hatte , bei ihm eintraf . Ein Billet seiner Tante und Gönnerin belehrte ihn , wer Egremonts seien . Mr. Egremont ein vielfacher Millionär , der sich von seinem berühmten Verlagsgeschäft zurückgezogen und zur Ruhe gesetzt hatte . Die Töchter , Miß Alice und Miß Maud , seien reizend . Xaver lächelte und » verstand « – so diplomatisch , wie der Herr Gesandte . Es war eine » Garten-Parthie « . Ein Theil der jungen Leute spielte Lawn-Tennis , der andre saß im Kreise und übte sich im » Flirting « . Man reichte nur Thee , Eis und Kuchen . Miß Alice , welche leicht erröthete , als Lady Dorringtons Stimme hinter ihr mahnte : » Darf ich Ihnen meinen Neffen , den Grafen , vorstellen , « verzog unmerklich den Mund , als sie desselben ansichtig wurde . Sie hatte ihn sich größer und schlanker gedacht , einen gräflichen Husaren aus der Pußta . Miß Maud hingegen rief sofort mit der ihr eigenen , nur einer englischen Jungfrau anstehenden Kordialität : » Hocherfreut . Les amis de mes amis sont mes amis . Mein Ideal , Lord Dorrington , den ich anbete , ist Ihr Freund – also ! « Dabei schüttelte sie ihm kräftig die Hand . Sie war sehr groß und schlank . Ihr Teint wachsbleich , ihre schwarzen Augenbrauen über der Stirn zusammengewachsen . Wenn sie redete , enthüllten ihre Lippen eine Reihe blendender , scharfer , aber zu großer Zähne . Sie hatte etwas stark Emancipirtes , obschon eine gewisse redliche Tüchtigkeit sich in ihren großgeformten Zügen aussprach , und war hochgebildet mit einem Strich in's » Blaue « . Wenigstens dachte Krastinik gleich an die etwaige Farbe ihrer Strümpfe . Miß Alice war ebenfalls groß und leichtgebaut mit ziemlich platter , wenig gewölbter Brust . Ihre weiblich zarten Züge stachen merklich von denen ihrer Schwester ab und ihr rosiger Teint noch mehr , Ihr Kopf war klein und fein gemeißelt und das hinten à la Greque zusammengeknotete Haar hob die ovale runde Form des zarten Schädelbaues noch mehr hervor . In ihren ziemlich kleinen Augen , tiefblau , aber matt und glanzlos , lag ein zugleich kalt-kluger und schmachtender Ausdruck , der einem Psychologen vielleicht nicht ganz behagt hätte . Etwas Mißgestimmt-Spleeniges und Blasirtes gab sich in ihrer ruhigen überlegten Art so , als ob es sich um eine edle Schwermuth handele . Wenigstens fand dies Krastinik , der von ihrem ladyliken Wesen ein wenig bezaubert wurde . Er schien überhaupt bezaubert . Denn er radebrechte aus Leibeskräften drauf los und schnitt Complimente , die zwar dem Genius der englischen Sprache Trotz boten , aber nichtsdestoweniger oder gerade wegen ihres un-englischen Klanges von den Damen » charming « befunden wurden . Eine Freundin Miß Mauds nannte ihn » nice « , eine Freundin Miß Alice's » lovely « , nachdem er auf die Frage , was ihm in England am besten gefalle , die auf der Hand liegende Antwort gegeben : Die Ladies ! Und sobald erst die Ladies Jemanden als » nice « und » lovely « gestempelt , ist er als » Löwe « anerkannt . » Wenn Sie die Engländerinnen so sehr bewundern , sollten Sie eine heirathen , « fügte Lady Dorrington insinuirend bei . Miß Maud horchte auf und ihr Blick nahm etwas Lauerndes an . Bald darauf erschien auch der Herr , des Hauses , welcher den Fremdling in ein emsiges Gespräch verwickelte . » Ja , Sir , es war der Stolz meines Hauses , « sagte Mr. Egremont , ein kurzer dicker Herr in weißer Weste , indem er zwei Finger vorn zwischen zwei Knopf-Oeffnungen besagter Weste steckte , und würdevoll das kahle Haupt wiegte , »– meines Hauses sage ich , Sir , daß bei mir die litterarischen Erzeugnisse der britischen Aristokratie veröffentlicht wurden . Man beehrte mich , Sir , mit allgemeinem Wohlwollen . Bei mir hat Ihre Gnaden die Herzogin Fitz-Doodle ihre › Lyrischen Seufzer ‹ ertönen lassen . Auch erschienen bei mir fast alle Keepsakes – rothseidener Einband mit Goldschnitt , sehr geschmackvoll – , in welchen sich die poetischen Seelen der britischen Aristokratie ein Rendezvous gaben . Ja , Sir , wir standen und stehen gleichsam in einer Familien-Verbindung zur ganzen Nobility und Gentry , wir sind und waren die Hoflieferanten der britischen Aristokratie für geistige Nahrung , you know . – Wir werden wohl übrigens selbst demnächst . . doch ich darf noch nichts sagen , bis Sache spruchreif . . kurz , ein Baronet-Titel wird demnächst von Ihrer Majestät der Königin verliehen werden . . hehe , hm ! Ja , Mr. Count de Rasteinik , ich freue mich , Sie in diesem Lande begrüßen zu dürfen . › Das unverletzbare Eiland der Weisen und Freien , ‹ wie Sr. Lordschaft , Lord Byron , sehr treffend singen . Die britische Aristokratie , Sir , dieser Stützpfeiler unsrer gesegneten Constitution , gleicht jener Eiche der Freiheit . . « So schwatzte er ununterbrochen fort , bis Krastinik fast die Geduld riß . Auch suchte er vergeblich , das consequente Englisch-Aussprechen seines Namens zu corrigiren . » Count de Rasteinik « blieb er für den freien Briten , welcher diese Titelwörtchen ohne Unterlaß im Munde zurechtknetschte , als ob ihm das Aussprechen eines continentalen Adelsnamens eine geheime Wollust bereite . Der hat ja Größenwahn ! dachte der Graf , dessen vornehmes Gefühl dies aufgeblasene Parvenuthum bedenklich beleidigte . Mr. Egremont , dessen Eitelkeit übrigens von Lady Dorrington als anerkennenswerthes Streben nach dem Höheren und löbliche Gesinnung patronisirt wurde , trug sodann in größerem Kreise mit vieler Pomphaftigkeit die architektonischen Absichten vor , welche er bei Erbauung eines Stammsitzes für seine kommende Adelsfamilie durchführen wollte . Dies Ahnenschloß gedachte er im Tudorstil auszubauen . Natürlich gemäß dem Stil der übrigen alten Mansions der » britischen Aristokratie « . Er mißbrauchte dies Wort , als wolle er durchaus gegen das zweite Gebot freveln : Du sollst den Namen Deines Götzen nicht unnützlich führen . » Und Sie , mein theurer Xaver ? « wandte sich Lady Dorrington mit aufmunterndem Lächeln an ihren Neffen , » Sie bauen ja wohl an Ihrem Schloß ? Der Neubau wird hoffentlich in großartigem Stile ausgeführt ? « » So großartig es unsre , wie Sie wissen , gnädige Tante , sehr beschränkten Verhältnisse erlauben , « erwiderte Jener , nicht ohne Verlegenheit . » O versteht sich ! Ihre Verhältnisse sind so bescheiden ! « rief sie lächelnd , obschon dabei leicht errötend . » Porphyrsäulen am Portiko , wie ich hoffe . – Und Ihr Marstall verlangt ja eine beträchtliche Renovirung . Der weitere Ausbau – eine Tasse Thee , liebe Maud ? Danke . « Diese , welche selbst als Wirthin ein Thee-Tablet umherreichte , sah , wie der Graf sich auf die Lippen biß und die Stirne runzelte . Und der schreckliche Verdacht stieg in ihr auf , der mögliche Freier möge gar wenig Geld besitzen . Demgemäß eine Art Glücksjäger , der wohl auf Erbinnen spekulirte . Durch einige schlaue Fragen , die sie that und die er arglos beantwortete , schien ihr dieser Verdacht Gewißheit zu werden . Ihr kam er überhaupt zu unbedeutend vor ; sie beschloß daher , sich selbst möglichst aus dem Spiele zu halten . Mochte Alice thun , was sie wollte . Nachher versuchte Xaver das edle Lawn-Tennis zu lernen , wobei die unreifen jungen Kälber – die Engländer werden erst mit 30 Jahren Männer – ihn gutmüthig unterwiesen , mit großherzigem Mitleid dem Continentalen seine Unerfahrenheit zu Gute haltend . Die Damen umringten den » distinguished foreigner « und sein Radebrechen gefiel ihnen so wohl , daß er der Hahn im Korbe schien und einen freundlichen Eindruck zurückließ . Lady Dorrington beglückwünschte ihn ernsthaft zu seinem » Succeß « , wie sie es nannte , und ließ verschiedene Ziffern über die etwaige Mitgift der Egremonts fallen . Xaver schwieg . Der alte Egremont mißfiel ihm sehr . Der leidet ja an Größenwahn ! dachte er . III . Auch der Ball bei der Herzogin mußte überstanden werden . Die Gesellschaftsstunde nahte . Wappenkronengezierte Karossen , vollgepackt mit Fracks und Ballroben , rollten heran . Ihre Räder wurden übertönt vom Donnern der Messingklopfer , wenn die gallonirten gepuderten Footmen vom Hinterbrett absprangen , indem sie ihre weißen Seidenstrümpfe , sammtenen Kniehosen und Schnallenschuhe vor dem plebejischen Straßenschmutze sorglich hüteten . Der Portier öffnete unablässig , und der Fremde erstaunte baß , auf den Teppichtreppen die Gäste lagern zu sehn nach guter Londoner Sitte , weil die engen Räume von der ungeheuren Zahl der Geladenen bald überfüllt . Eine hektische Röte schien auf jedem Gesicht zu fiebern , die Luft scheint fieberhaft erhitzt . London gleicht einer Schwindsüchtigen , die sich zu Tode tanzt . Die Ball-Menge , dichtineinandergedrückt verschwamm in der Entfernung zu einer einzigen schwarzflimmerigen Masse , wie eine dicke Häufung von Steinkohlen . Nachdem Krastinik die Herzogin begrüßt , welche am Eingang des Saales hundertmal gegen jeden Eintretenden den Fächer schwenkte und ein verbindliches Lächeln austauschte , fühlte er sich in den großen Drawing Room geschoben , wo zwei tanzende Paare im denkbar schleppendsten Tempo sich drehten und beide Wände entlang eine dichte Masse von Herrn und Damen sich staute . Das Ganze machte einen völlig physiognomielosen Eindruck . Mechanisch schien man Kravatte , Lorgnon , Kopfputz und Schleppe zurechtzurücken , die Conversation stockte gänzlich und nur ein halblautes Summen schwirrte durch den Saal . Krastinik sah sich verzweifelt in seiner Nähe um . Da ihm das Schweigen unerträglich wurde , wandte er sich an einen zunächst Stehenden und stellte sich mit einer Verbeugung vor : » My name is Count Krastinik . « Der Insulaner gefror förmlich zur Salzsäule . Anfangs schien er schlechterdings nicht zu begreifen , was dieser Mensch von ihm wolle . Dann suchte er seinen steifsten Bückling aus dem Lexikon der Anstandsformeln hervor und reckte , ohne weiter ein Wort zu verschwenden , seinen Giraffenhals nach entgegengesetzter Richtung . Krastinik stutzte etwas , faßte sich jedoch und versuchte die gleiche Selbstvorstellung bei einem nächsten . Dieser starrte ihn feierlich an , räusperte sich verlegen und murmelte : » Oh indeed ! Delighted . to be sure . « Daß er nun selbst verpflichtet sei , seinen Namen zu nennen , schien ihm ganz unfaßlich . Mit dem Mut der Verzweiflung , schoß der arglose Fremdling endlich auf einen Herrn in indischer Uniform , von dessen bronzirtem Teint sein strohgelber Schnurrbart pikant abstach , los . Der Herr hatte nach Pariser Sitte die Haare vorn in die Stirn geklebt und unter der Manchette ein silbernes Armband nach unten baumeln . Das mußte ein Mann sein , der viel umhergekommen und continentale Sitten kannte . So verbeugte sich denn Krastinik zum dritten Mal und schnarrte verbindlich : » My name is Count Krastinik , « wobei er diesmal hinzufügte : » Captain in the Austrian service . « Der also jählings Ueberfallene schien doch ein wenig verblüfft , doch gewann er rasch seine Haltung und nickte mit gönnerhaftem Lächeln : » Höchst erfreut . « Dann deutete er leicht auf sich und nannte sich : » Sir Thomas de Mowbray , vom Bombay Stabscorps . « Das Eis war gebrochen . Ohne daher die stieren , verwunderten , ja mißbilligenden Blicke der Umstehenden zu würdigen , verlautbarte sich der arme Ausländer nach einer Pause in seinem stammelnden Englisch : » 's ist sehr heiß . « » Sehr heiß , « bekräftigte Jener trocken , als ob er eine nicht unbedeutende neue Wahrheit entdecke . Und sämmtliche Umstehende reckten die Hälse und murmelten – einige bewegten , wie automatisch , lautlos die Lippen : » Sehr heiß . « Graf Xaver fand diese geistvolle Bemerkung doch eigentlich nicht abschließend . Er versuchte also noch etwas geistreicher zu werden . » Viele Schönheiten ! « warf er hin mit der Miene eines Weltmannes , der sich ganz zu Hause fühlt . » Very ! – Well – rather « kam es zögernd aus dem Munde seines neuen Bekannten und Krastinik merkte , wie ein gradezu mißtrauischer Blick ihn streifte . » Was will der Mensch , wer ist er , wie hat er sich herverirrt ? « lag in diesem Blick . Allein , eine kurze prüfende Musterung schien ihn zu beruhigen , daß der seltsame Fremde in seiner Art ein Gentleman sei , und so setzte er denn die Unterhaltung fort . Es war lehrreich zu beobachten , mit welcher souverainen Herablassung der hehre Brite diese exotische Pflanze behandelte . Nicht etwa , als ob er eine unartige Gleichgültigkeit und Geringschätzung affektirt hätte – im Gegentheil . Aber grade seine Liebenswürdigkeit , dies verächtliche Wohlwollen , mit welchem er auf die oberflächliche Conversation des mühsam radebrechenden Grafen einging , hatte etwas unsäglich Beleidigendes . Manchmal wandte er sich bei einer auffälligen Bemerkung des Fremden mit einem freundlichen und entschuldigenden Lächeln zu den neben ihm Stehenden um , als wolle er sagen : Das sind nun die sogenannten Continentalen . Da haben Sie ein Prachtexemplar des » Foreigners « ! Haben Sie Nachsicht ! Was kann man von Barbaren verlangen ? – O diese » Ausländer « ! Welche Verletzung der herkömmlichsten Sittlichkeit ! Endlich riß Krastinik die Geduld . Fortwährend sah er die Blicke der Umstehenden , Umsitzenden und Umschwitzenden mit ruhiger Würde auf sich gerichtet und er fühlte , daß sein Benehmen ( er war allmählich wienerisch lebhaft geworden ) mißliebig auffiel . Als er gar den steifliebenswürdigen Sir Thomas de Mowbray aufforderte , ihn doch einer Lady vorzustellen , welche diesen mit huldvollem Neigen des Fächers begrüßt hatte , runzelte dieser leicht die Stirn und erstarrte in unnahbarer Respektabilität . Das war aber auch zu stark ! – Krastinik preßte seinen Chapeau Claque an sich , absolvirte einen flüchtigen Handshake mit Sir Thomas , wand sich durch die Menge , empfing von der herzoglichen Wirthin am Ausgang dasselbe krampfhaft stereotype Lächeln ( sie erkannte ihn offenbar gar nicht ) , warf unten im Parlour einen entsagenden Blick auf das fabelhaft kostbare , aber nur auf Damen berechnete süße Buffet und warf mit erleichtertem Aufathmen seinen Ueberzieher um . Dann schritt er den Portiko hinaus , wobei er einige auf der Treppe herumlungernde Gentlemen – die zu erstaunen schienen , als er höflich den Hut zum Abschied zog – hinter sich murmeln hörte : » Ein Ausländer ! « Krastiniks cholerisches Temperament gerieth in gelinde Wuth . Als er in sein Hotel zu so später Stunde hineinfiel ( alle Restaurationen waren ja längst geschlossen und nach sieben Uhr giebt 's nirgends etwas Ordentliches mehr ) kaute er verdrießlich an einem Beefsteak und wasserbegossenen gequollenen Erbsen – wofür er nachher auf der Bill fünf Shilling berechnet fand . IV . Als er aber am andern Morgen seinem alten Freunde Dorrington im Oxford- und Cambridge Club , wo dieser ihn als Gast eingeführt , sein Abenteuer erzählte , brach dieser in ein herzliches Gelächter aus . » Ja , my boy , haben Sie denn keine Ahnung , was für einen ungeheuren Frevel wider englisches Decorum Sie begingen ? Hier stellt man sich nie selber vor , sondern der Wirth , nachdem er den Wunsch beider Personen eingeholt , vermittelt das . Und die Dame grüßt stets zuerst – auch auf der Straße , merk' Dir das ! – , um zu zeigen , wen sie überhaupt kennen will . Nun , wirst Dich schon daran gewöhnen . Gutes Ale dies , was ? « Er wies auf das schäumende Gebräu , das der stattliche Clubdiener , dessen ganzes Vokabularium sich auf Yes , Sir ! Please , Sir ! zu beschränken schien , mit feierlicher Würde eingoß . » Wird nur hier gebraut . Ist das Haus-Ale dieses Clubs allein . Sogar der Wiener Bierkönig Dreher hat sich hier daran delektirt . « Als sie nachher , den prachtvollen Bibliothekraum durchschreitend , im Smoking-Room ihren Mokka schlürften und den Schachspielern zusahen – ( die arbeiteten , ohne eine Silbe zu wechseln , nicht minder eifrig wie die professionellen Spieler in Simpsons Cigar Divan am Strand , wo Zuckertort , Steinitz und andere so oft mit Amateurs aus dem Schachclub in Arundelstreet gespielt ) – schlug Dorrington dem Grafen vor , mit ihm einer Mrs. O' Donnogan eine Visite zu machen . » Irländerin . Schöne junge Wittwe . Reich , gute Parthie . « » Meinethalben . Das kann nichts schaden , « nickte Jener . Sie machten also den » call « . Xaver war in der That erstaunt über die weltgewandte Liebenswürdigkeit der reizenden Dame , die eine Meisterin des » Flirting « schien und alle Künste der Koketterie beherrschte . Sie besaß einigen Esprit und offenbar die elegante Salonbildung , welche die Engländerinnen auszeichnet , deren nervöser Halbbildungstrieb unersättlich nach allen geistigen Anregungen hascht – bei ihren unleugbar größeren intellectuellen Fähigkeiten , im Vergleich zu ihren continentalen Schwestern , ein ganz natürlicher Vorgang . Uebrigens schien die pikante Dame ein wenig » frei « , » französisch « . Es streifte fast an die Grenze des guten Tons , wie sie immer und immer wieder mit ihrem Hündchen und ihrer Katze anmuthig liebelte . Sie hatte die Thiere abgerichtet , sie regelrecht zu küssen , was sie mit ihren appetitlichen Schnäuzchen denn auch so artig bewerkstelligten , daß den männlichen Zuschauern dabei das Wasser im Munde zusammenlief . Uebrigens sprach Mrs. O' Donnogan ziemlich geläufig Deutsch , da sie natürlich in jedem Punkte à la mode bleiben wollte . Auch betrachtete sie den Oesterreichischen Hauptmann und Grafen mit aufmerksam neugierigen Augen , als Lord Dorrington etwas ironisch auf dessen verstohlenes Dichterthum anspielte . » Ja , er ist ganz weg ! « neckte der freundliche alte Herr , als er am Abend zum Dinner seiner Gattin ihren Neffen und dessen Abenteuer mitgebracht hatte . » Unsre Irische Freundin hat ihn captivirt . Sein kugelfestes Herz steht in Flammen . « » Ich kann nicht leugnen , « bekannte Krastinik unbefangen lachend , » daß ich sie reizend finde . Dieses goldige Haar ! Charming ! O die süße englische Sprache ! Sie allein drückt aus , – « » Was Sie empfinden ? « Lady Dorrington erhob sich nach englischer Sitte , um die Herrn bei der Weinkaraffe allein zu lassen und oben im Drawing Room den Thee zu bereiten . » Goldiges Haar ? Man denke ! Ja , bei 3000 Pfund Rente findet sich das Goldige von selbst . Eh bien , lieber George , sage unserm Freunde doch , was ich darüber denke . – Wissen Sie was , lieber Xaver ? Zeigen Sie doch mal Ihre poetische Geschicklichkeit ! Sie schildern so feurig die Hunde- und Katzen-Verliebtheit der schönen Frau . Machen Sie darüber einen Vers und – « flüsterte sie ihm halblaut ins Ohr , als er aufspringend ihr chevaleresk die Thüre öffnete , » schicken Sie ihr's . « » Aber , gnädige Tante ! « Das heißt , « fügte sie schelmisch drohend hinzu » daß Sie ja nie verrathen , ich hätte das empfohlen ! « – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – » Madam , Es ist stets gefährlich , wenn man einem Reimer den leisesten Wunsch ausspricht , seine Verse sehen zu wollen . So sind wir , nous autres rimeurs ! Reicht man uns den Finger , nehmen wir die ganze Hand . Der arme Herzog Clarence verlangte ein Gläschen Malvasier und wurde in ein Faß gesteckt . Sie sahen sich genöthigt , den Wunsch aussprechen zu müssen , daß eine Probe meiner Stümperei Ihren schönen Augen unterbreitet werde . Me voilà ! Da marschiren schon acht Verszeilen heran , um Ihnen zu huldigen . So bekommen Sie einen bittern Vorgeschmack der Lieder , die Ihrer vielleicht noch harren . Seien Sie mir nicht allzuböse , wenn ich Ihre Geduld auf eine so harte Probe stelle . Lady Dorrington würde mich schön auszanken , wenn sie erführe , wie ich wegelagere . Unsereins stürzt sich eben auf jeden Leser , der Herzensgüte genug besitzt , um gereimte Ungereimtheit zu ertragen . Aber ich sehe , daß meine Weitschweifigkeit sich sogar auf diesen Brief ausdehnt . So gestatten Sie mir denn die Versicherung , daß mein schlechtes Gedicht wenigstens den einen Vorzug besitzt , ebenso aufrichtig und wahr zu sein , als die Verehrung , mit der ich bin Ihr ergebener Diener Graf Xaver Krastinik . Das beigelegte Impromptu lautete : Circe hat ein Thier einst verwandelt Männer , ihre Liebesglut zu kühlen . Minder grausam zwar hast du gehandelt , Lässest Thiere menschlich für Dich fühlen . Doch wo Thiere selber lieben müssen , Laß uns , Grausame , ihr Glück nicht schauen . Daß es Thieren nur erlaubt zu küssen , Kann kein neidisch ? Mannesherz erbauen . Es war sogar eine Uebersetzung in denkbar unbeholfenstem Englisch zugefügt : Circe changed men , who dared speak of love , To animals once with her magic staff . Less cruel indeed your witcheries prove , When your beauty's enchanting cup we quaff . u . s.w. » Geehrter Herr , Ich bin morgen Mittag at home . Einige Freunde nehmen bei mir ihr Lunch . Vielleicht werden wir den Vorzug Ihrer Gegenwart haben ? Sie sind freundlichst geladen . Ihre ergebene Ellinor O' Donnogan. P. S. Dank für die hübschen Verse . « Das Lunch bei der Tochter Grün-Erins gewann einen etwas abenteuerlichen Anstrich durch die stark gewürzte Mischung der Gesellschafts-Pastete . Da war eine fettige süddeutsche Sängerin , die sich einen italienischen Namen zugelegt hatte . Da war ein kleiner Franzose mit endlosem Henri-Quatre , der trotz eines halbjährigen Aufenthalts in London nur die Phrase » Fifteen years ago ! « gelernt hatte und , als der Name » Bulwer « fiel , sofort von » Boulevard « zu plappern anfing . Da war ein jugendlicher Plantagenbesitzer aus Cuba , der jedem Unglücklichen , mit dem er nur drei Worte gewechselt , die echtesten der echten Havannas meuchlings auf die Brust setzte – eine Magnaten-Großmuth , welche der davon Betroffene meist verfluchte , sobald er drei Züge des kostbaren Gewächses gekostet . Doch Don Rosetta's Etui ward niemals leer und füllte sich wie eine Cisterne aus unbekannten Tiefen . Da war ein deutscher Maler , nicht ohne ein gewisses Sedan-Lächeln , das den Reserveoffizier verrieth , welcher nichtsdestoweniger aus seiner tiefen Verachtung gegen alles Deutsche kein Hehl machte . Da war der unvermeidliche junge Musiker jüdisch-slavisch-deutscher Herkunft , wie er blaßwangig und schwarzlockig in den Londoner Drawing-Rooms schwarmgeistert . » Er ist ein Bohemian , « stellte ihn die patronisirende Wirthin mit zweideutigem Wortspiel dem Grafen vor . ( » Bohemian « bedeutet ja englisch sowohl » Böhme « als » Bohémien « in der Pariser Bedeutung des Wortes . ) » Und Sie , Graf , Sie sind ja auch ein Böhme , nicht ? Das sind wir ja drei Böhmen ! Denn ich , ich bin eine richtige Bohemienne , ich liebe die Freiheit , die Bohême ! « Dabei rümpfte sie das aristokratische Adlernäschen und äugelte mit unbeschreiblichem Dünkel durch ihr Lorgnon , indem sie mit den drei Gardeoffizieren tändelte , die außer einem dicken Parlamentsmitglied den Rest der Gesellschaft bildeten . Das Lunch verlief recht lebhaft . Die Schildkrötsuppe mochte selbst einem indischen Nabob schmecken und das Salmon-Steak einem Lordmajor der guten Stadt London . Auch für die Wittwe Cliquot schien die lebenslustige Wittwe von verständnißvoller Sympathie beseelt . Der Champagner schmeckte Krastinik besser , als im » Hotel Hungaria « beim Pester Wettrennen – weiter gingen seine vergleichenden Erinnerungen ja nicht , da ihm Paris noch ein Buch mit sieben Siegeln . Gegen ihn war die schöne Wirthin ziemlich kühl und übte sich nur kräftig in allgemeinem » Flirting « , in welcher edeln Wissenschaft sie Meisterin vom Stuhl zu sein schien . Es war , als wolle sie ihm andeuten , daß sie seine etwaigen Intentionen wohl verstehe , ihm aber keine Avancen machen wolle . Sie hübsch , vermögend , Wittwe , von guter Familie – er , ein continentaler Graf , aber vermuthlich wenig bemittelt , wenigstens nach englischen Begriffen . So leicht ging es mit der Brautschau nicht . Man mußte sich vorsehn . Nicht sonderlich befriedigt , küßte Krastinik zum Abschied die Hand , was auf sie als nicht-englisch zwar etwas befremdlich , aber nicht unangenehm wirkte – ( diese continentalen Sitten bewahren noch so etwas Romantisches ! ) – erhielt aber die Erlaubniß , sie so oft als möglich , während er London mit seinem Aufenthalt beehre , zu besuchen . Dies mit vielsagendem Augenaufschlag . Krastinik trieb sich Wochen lang im Londoner Vergnügungsleben umher . Er speiste viel im Criterion Restaurant , nahm seinen Abendpunsch im Café Monico , schlenderte in Canterbury Hall und Cremorne Gardens umher , besichtigte Foot-Ball Races im Windsor Park , bestand kleine Abenteuer im nächtlichen Haymarket , ließ sich im Krystallpalast von deutschem Orchester Händel'sche Oratorien vorblasen- und singen , schloß auch die vielen Museen und sonstigen Wissensanstalten und Sammlungen Londons nicht von seiner Aufmerksamkeit aus . Zu Mrs. O' Donnogan kam er mittlerweile in ein freundschaftliches Verhältniß und schnitt ihr gewaltig die Cour . So las er ihr bald ein neues Impromptu vor , das er auf sie verfaßt . Ach , da ist schon Numero 70 ! Ach , vor ihrer Thüre bin ich ! Sie , in die mein Herz verliebt sich , Ist so grausam und so minnig . Nennt sich selbst Bohemienne . Sagt , da Musiker und Grafen Sie als echte » Böhmen « kenne , Daß drei Böhmen hier sich trafen ! Bei Vorlesung dieser gutgemeinten Reime unterfing er sich jedoch , in aller Ehrfurcht ihr die Thatsache zu unterbreiten , daß der › Böhmer-Graf ‹ in Wahrheit einem der ältesten Adelsgeschlechter Oesterreichs angehöre , welches manche feldherrliche Heerestrommel ( von der man nur hört , wenn sie geschlagen wird ) in den Geschichtsannalen zu den Seinen zähle . Uebrigens sei er kein Böhme , sondern ein ritterlicher Magyar . Das wirkte denn doch erheblich auf die kleine Frau und dämpfte die beiläufige Geringschätzung , mit welcher man in England auf continentale Grafen herabzusehen pflegt . V. Man hatte eine Landparthie zu Wasser nach Richmond gemacht – Krastinik , Dorringtons , die O' Donnogan , Alice Egremont . Maud hatte sich entschuldigen lassen : sie räumte vorsichtig ihrer Schwester das Feld . Die Sonne tauchte wie eine schwefelgelbe runde Glocke in die Themse und schien dann zu versinken , wie ein umgestürzter Goldkelch , der seinen güldenen Strahlenwein langsam verrinnen läßt . Zwischen den schwarzgrünen Taxushecken von Richmond Park blitzte noch hier und da eine grellrothe Centifolie auf ; die Fenster des Schlosses von Twikenham glänzten wie Rubinen . Als man an Pope's Villa vorüber kam , rief Dorrington neckisch : » Nun , spring' aus Land , Dichter Xaver , wie Wilhelm der Eroberer , und küß' den Uferrasen ! « » Warum ? « gab Xaver etwas erröthend zurück . » Um die ganze englische Muttererde der Dichtung Dein Eigen zu nennen . « Mrs . O' Donnogan und Miß Alice lachten verstohlen . Das Dichterthum des gräflichen Rittmeisters , welches durch Dorringtons wohlwollende Späße nun schon lange bekannt geworden , amüsirte sie . Die lebhafte Irin hänselte ihn ein wenig . Bei Miß Alice aber mischte sich der Neugierde eine gewisse Verachtung . Wie vulgär ! Wozu Verse schmieden ! Damit macht man sich nur lächerlich und verräth eine selbstüber , hebende Einbildung . In deutschen Büchern ( Alice cultivirte letzthin das Deutsche besonders eifrig , was ja auch ohnehin bei der englischen Gesellschaft in Mode kommt ) fand sie dafür die Bezeichnung » Größenwahn « . Kein Zweifel , der gute Graf litt etwas an Größenwahn . Nach dem Ausflug kam man in einer kleinen Villa in Chelsea am Themse-Embankment zusammen , welche Dorringtons gehörte , die sie aber nur selten bewohnten , und nahm dort auf dem Balkon den Thee ein . Alice hatte ihren Diener , die O' Donnogan ihren Wagen dorthin bestellt , um sie abzuholen . Der Abend , der mit purpurnen Fittichen umherfächelte , übergoß alle Wiesen und Bäume mit verschwenderischer Pracht . » Eine rothe Weihrauchkerze auf dem Tabernakel der Schöpfung ! « Krastinik freute sich seiner Gleichnißfindigkeit , eitel wie ein Poet von zwei Semestern . Der wohlwollende Lordunterließ nicht , die Damen auf den Tiefsinn der Krastinikschen Phrase aufmerksam zu machen , worauf auch Milady eine gehörige Erläuterung hinzufügte . Die sogenannte Poesie sollte als Mitgift-Kupplerin herhalten . Eine eigenthümlich schwermüthige Stimmung bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft . Selbst Mrs. O' Donnogan blickte ernst vor sich nieder . » Wenn man bedenkt , daß auf solchen Abend und auf jede Sonne die Nacht folgt ! « sagte sie plötzlich . » Ganz was ich eben dachte ! « hauchte Miß Alice . » Pah , wer weiß , ob die Nacht nicht der gesunde Schatten des Lichtes ist , « warf Lord Dorrington hin . » So wie etwa der Tod den Schatten des Lebens bildet . « » Oder auch umgekehrt , « seufzte die Lady halblaut . » Sehr richtig , gnädige Tante , « meinte Krastinik . » Vielleicht ist das Leben grade der leuchtende Schatten , den der Tod wirft . Denn der Tod ist ja doch das eigentliche Sein , zu dem Alles zurückkehrt . Unser Leben – mein Gott , was bedeutet denn das ! Eine Art Traumbild zwischen Schlaf und Schlaf , ein kurzes Nachtwachen . « Niemand antwortete . Nach einer Pause hob der alte Lord an , mit leicht zitternder Stimme : » Ja , das sagst Du wohl so , lieber Xaver . Aber Du bist eigentlich noch zu jung , um recht zu fühlen , wie wahr das ist , was Du sagst . Blickt man so auf sein Leben zurück – well , wir säen und werden doch wohl nimmer ernten . Dies ewige Säen bekommt man satt . Da dreht man sich ewig im selbstumgrenzten Kreis gemeiner Freuden und gemeiner Leiden . Und diese ganze Erde , die so strahlend vor uns liegt – nichts als der Spielball einer unbekannten Gewalt , durch den Abgrund der Ewigkeit hingeschleudert . « Wieder antwortete Niemand . Nur Miß Egremont hob nach einer Weile ihre ernsthaften Augen zu dem greisen Sprecher auf und lispelte : » Aber das Jenseits , Mylord ! « Dies Wort rief gleichsam eine automatische Geistesschwingung in der galanten Irländerin wach und sie schmollte betrübt : » Ach gehn Sie , Sie Skeptiker ! So muß man nicht denken , so soll man nicht denken . « Dorrington zuckte ungeduldig die Achseln und starrte in die scheidende Sonne . Plötzlich sprach seine Gattin : » Und das Alles , ist noch nicht das Schlimmste . Aber auch wir Menschen verstehn ja einander nicht . Mir ist , als ob keine Seele der anderen lehren könnte , was ihr gelehrt ward , als ob kein Mensch den andern sähe wie er wirklich ist , als ob kein Herz dem andern Herzen ganz bekannt wäre . « Und die beiden alten Leute seufzten , verloren in allerlei Erinnerungen . » Ja , man kann sich nie aussprechen , « Miß Alice sah den Grafen mit ihrem ruhigem Lächeln an . » Der Gedanke ist so viel tiefer als die Sprache . « » Und das Gefühl so viel tiefer als der Gedanke , « hauchte die Irin . » Meinen Sie nicht auch , Graf ? « Die Abendsonne umspielte die schmalen Aeste und über den Stamm selbst lief der röthliche Schimmer fort , so daß sein blasses Braun eine fast zimmetähnliche Färbung erhielt . Das sah gespenstig aus inmitten des goldig durchrispelten grünen Laubwerks , durch das der Lichtball schläfrig blinzelte . Wie das Schuppengewand einer Boa , schillerte die Themse in ihren Windungen . Dann hob sich ein frischer Luftzug im Osten , der die grünen Epheuranken , welche vom Gärtchen her den Balkon umspannen , spielend blähte . » Ja , ich meine das auch , « erwiderte Krastinik ernst auf die bedeutungsvolle Frage . » Ein schattenhafter Vorhang liegt gleichsam zwischen uns und der übrigen Welt . Und unser tiefstes Vertrauen kann den Vorhang nicht entfernen . « » So und doch streben wir alle nach Sympathie für einander ? « warf Alice schüchtern ein . Krastinik hatte sich erhoben und blickte fest auf die Sprecherin nieder , ohne eine Antwort zu finden . Ueber das Antlitz des alten Lord glitt ein sanftes wohlwollendes Lächeln : » Nun ja , wir sind wie Säulentrümmer eines zerstörten Tempels , der einst vereint war . Hoffen wir also , daß wir in unsern späten Nachkommen uns vielleicht einst wieder zusammenfügen werden . Aber wer weiß wo , wie und wann ? « Krastinik küßte seiner Tante die Hand und empfahl sich . – » Wir sind heut alle so fabelhaft geistreich gewesen , « lachte die lustige Irin beim Abschiednehmen auf . » Ich bin ganz melancholisch . – Trifft man Sie nächste Woche auf dem Ball beim Unterstaatssecretär , Herr Graf ? « Sie hatte schon ihr Füßchen auf das Trittbrett ihres Wagens gestellt , der auf sie wartete . Miß Egremonts Diener holte sie gleichfalls pünktlich ab . » Wohl kaum . Ich habe keine Einladung dazu . « » O ! Soll ich – ich bin dort gut bekannt – « » Zu gütig , « wehrte Jener kühl ab . » Ich dürste gar nicht darnach , mir jeden Abend die Beine in den Leib zu stehen – pardon ! Ihre englischen Routs sind doch gar zu ungemüthlich . « Mrs . O' Donnogan grüßte etwas pikirt , und biß mit erzwungenen Lachen in den sauren Apfel des Refüs . Er hätte doch den Hochgenuß , sie dort zu finden , würdigen sollen ! So sind die Männer . Graf Xaver beschloß , den Weg nach Hause zu Fuß zurückzulegen , und schritt rüstig aus , indem er vor sich hinpfiff : » Ach , ich hab' – sie ja nur – auf die Schu – lter gekü – ßt . « Der Mond rollte durch das dunkelblaue Himmelsgewölbe und versilberte den jungfräulichen Schnee der Wolkengebirge . Die Sterne tauchten in verschiedenen Gruppen auf und Nebelschlangen stiegen von der Stromseite her wie aus geheimnißvollen Abgründen empor , als hätten sie sich nur vor dem Auge des Tages versteckt gehalten . Indem er den balsamischen Hauch der Nacht in tiefen Zügen einsog , fühlte Krastinik den Nerv der Erinnerung zuckend berührt . Er fühlte sich über Meer und Land fortgerissen in die heimathlichen Karpathen , wo ihn so oft noch reinerer Nächte Odem erfrischt . – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Er dachte an das Panorama der amphitheatralischen Waldberge , mit den röthlichen Felsblöcken und dem Ahorngebüsch , röther bemalt vom Abendroth ; mit den gelben Rinnen , welche reißende Wasser zurückgelassen , auf den dunkelblauen schluchtzerrissnen Bergzinnen . Die Silberfäden der Bergbäche verweben sich zu einem Schleier mit den bläulichen Dunstwölkchen um des Berges Kuppe – gemahnend an den Schleier um Jehovas Haupt , so er mit Erdgeborenen auf seinem Sinai redet . O dort an rauhem Abend die Pässe zu durchstreifen , bis der Nachtfrost , von der Aluta aufqualmend , die Mähne des Rosses erstarren macht ! Und nun , wie von inneren Ampeln erleuchtet , röthet sich der Berge Dom. Schon hat der Sonnengott um die goldne Rüstung sein Purpurgewand geschlungen und der Goldzaum der Sonnenrosse , deren freurige Strahlenmähne den Himmel durchwogte und deren Nüster die Mittagsgluth versendete , ist lässig seiner Hand entfallen . Jetzt faltet er die Scharlachbanner seines goldfransigen Zeltes ein und die Lichtpfeile , die er vom Bogen des Horizontes nach allen Richtungen versendet , kehren von selbst , wie des Indianers Wurfgeschoß , in seine Hand zurück , die den Köcher der Dämmerung bereit hält . Jetzt erröthet die Braut seines Bogens , die lächende Erde , unter seinem flammenden Abschiedskuß . Sein leuchtender Fuß gleitet , einen schmalen Lichtstreifen hinfurchend , über den Kamm der Höhen , um jählings in den Schluchten zu verschwinden , deren strömedurstigen Schlund das greise Berghaupt wie einen Pokal an den kalten Schneemund setzt . – – Welch ein Gemälde ! Ueberm düstern Buchenberg starrt die schroffe Spitze des Schuller , wie von Geisterhänden aus gefrorenem Schnee geballt . In hundertgrätiger Zerklüftung dehnt sich der furchtbare Königsstein . In der Mitte aber baut sich in gewaltiger Herrlichkeit das Riesengestein des Butschetsch empor , über weiten Geviertraum seine steinernen Wurzeln breitend und zum ungeheuren Gebirgsstock sich thürmend in breiter Masse . Mit seinen tiefen Schneerinnen im dunkeln Gneis der Gebirgsschicht und mit der rundgewölbten Firn , scheint er ein Zauberdom mit silberner Kuppel und silbernen Säulenthoren , aus schwarzem Marmorrumpfe gefügt . In der weiteren Ferne aber zieht sich in erhabenem Umriß die Kette der Fogarascher Alpen , über denen erst rosig und glühendroth , dann schwefelgelb und violett die Sonne allmählich verglimmt . – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Ja , dort oben in der Stille einsamer Berge fällt alles Kleinliche , Unfreie von der Seele ab , wie morsche Lumpen . Verjüngt und neugeboren , steht der Mensch dem All gegenüber . – Was sollte er hier , in dem Parfüm-Brodem des High Life ? Eine reiche Parthie ergattern ? Seine hochmüthig vornehme Natur empfand plötzlich einen Ekel an diesem ganzen nichtigen Treiben . Ein Dichter wollte er werden . Nun , das konnte ihm nur gelingen , wenn er sich rein badete von allem Wust und Schmutz des Alltäglichen – nicht hier , eingeklemmt im Pferch der Heerde . Wo hatten die großen englischen Dichter des Jahrhunderts , Scott und Byron , ihre Poesie gefunden ? Droben auf den schottischen Haiden , wo Burns und Ossian erstanden . Dorthin zog es ihn wie mit magischer Gewalt . Ihm war , als ob ein Stern über seinem Haupte stehe , der ihn zu dem Betlehem der Dichtung geleiten wolle . Als er die Treppe seiner Wohnung hinanstieg , hatte er bereits seinen Entschluß gefaßt . Solche plötzlichen unvorhergesehenen Entschließungen waren ihm von Jugend an eigenthümlich , fast ein Bedürfniß gewesen . Schon am andern Morgen packte er , ging zu dem Tiket Office der Dampferlinie nach Granton-Leith , erfuhr , daß gerade diesen Abend ein Steamer abfahre , und löste ein Retourbillet mit vierwöchentlicher Gültigkeit . Dann schrieb er an Lord Dorrington , um seinen plötzlichen Aufbruch zu entschuldigen , und bat , ihn besonders den Damen empfehlen zu wollen . Leichten Herzens warf er sich endlich in ein Cab und gelangte rechtzeitig nach St. Katharine Docks zu seinem Schiff . Das weiße Hospital von Greenwich und die grüne Marschfläche von Gravesend , die in der Ferne fast den Wasserspiegel gleich einer schwimmenden Seekrautinsel zu berühren scheint , wichen hinter ihm eher zurück , als er sich seines kühnen Scenenwechsels recht bewußt schien . Zweites Buch I. Eduard Rother befand sich in einer räthselhaften Stimmung , als er von München abfuhr . Mehrere Monate lang war er dort stillvergnügt durch die Bierkneipen umhergebummelt , vom Hofbräu ins Löwenbräu , vom Achaz in die Scholastika , vom Orlando di Lasso in den Rathskeller . Seine Collegen von der edlen Malerzunft hatten wenig Weltschmerz an ihm bemerken können ; nur ab und zu war ein Ausdruck mißvergnügter Unruhe über seine Züge gehuscht . Dann zuckte seine Lippe , seine Augen zwinkerten und er hob unbewußt die Hand nach der Schläfe , wie um etwas fortzuscheuchen , das ihn mit grauen Fledermausflügeln umflatterte . Auch wollten ihm Verschiedene angesehen haben , wenn ein Seufzer es unwillkürlich verrieth , daß er irgend eine unglückliche Liebe oder eine verrückte Leidenschaft mit sich herumschleppe . Denn Gewissensbisse konnte man doch kaum vermuthen . Ein großer Genremaler erinnerte sich noch , daß Rother nervös und verlegen geworden sei , als man ihn gefragt habe , woher der famose Studienkopf stamme , den ein Illustrirtes Blatt kürzlich von ihm veröffentlichte ; ob dies Prachtexemplar des weiblichen Kraftadels , » Motiv aus Karl Stielers Hochlandsliedern « einem lebenden Modell abgelauscht sei . Einem andern Collegen , mit welchem er an den Ufern des Starnberger Sees entlang gepirscht und weiterhin zu einer Sennhütte emporgeklommen war , hatte er einmal , als sie so hoch über allem Thälerqualm im Angesicht der Felskuppen und der Abendröthe den Wein ihrer Feldflaschen schlürften , in weinerlicher Wehmuth zugerufen : » Sollte man nicht denken , daß hier Alles , Alles unter Einem bergtief versunken wäre , was an kleinlichen Begierden und dummen Sentimentalitäten uns in der ungesunden Hitze und Hetze der Großstädte gequält hat ! Aber nein – da ! Das quält mich noch hier ! « Damit hielt er seinem erstaunten Freunde eine Photographie unter die Nase , welche eine weibliche Gestalt in einfachem dunkelm Gewande darstellte . » Sakra ! Ist die aber hübsch ! Gratulire zu Deinem Geschmack ! « Da Rother aber in seiner gewöhnlichen süffisanten Manier jeder hübschen Larve die Cour geschnitten und den Schwerenöther gespielt hatte , so war Niemandem auch nur der Gedanke gekommen , daß diesen lebenseifrigen burschikosen Kunstjüngling bei seinen altbairischen Volksstudien zu seinem neuen Bilde » Die Sendlinger Schlacht « ein innerer Ahasver begleite , der ihn nimmer losließ und all seine Gedanken nur einem einzigen Drehpunkte zuschob . Nur sein intimster Münchener Freund , der geniale Landschaftsmaler Knorrer , war in einer vertrauten Stunde dem Modellgeheimniß des weiblichen Studienkopfes nahegerückt . Und so hatte er ihm denn noch beim Abschied auf dem Bahnhof nachgerufen : » Du ! Daß Du mir Deine Berliner Kaltblütigkeit behältst ! Manchmal muß man rücksichtslos gegen Andere sein – sei's diesmal gegen Dich selbst ! Willst ? Daß Du mir Dein › Motiv ‹ nicht wieder aufsuchst ! Ich rath 's Dir ! Such' ein andres Modell ! Schäme Dich ! Ein solcher Kerl und dies ewige Selbstgequäle ! Laß fahren dahin ! Sie war die erste nicht – und Du bist nicht der erste . « – – Berlin ! Das mächtige Räderwerk der heimathlichen Weltstadt sanfte und surrte wieder verwirrend um ihn her . Das unverdauliche Kümmelbrot , mit Schmalz beschmiert und mit Schinken belegt , das er eilig als Frühstück hinunterschlang , in der Kutscherkneipe des Anhalter Bahnhofs , die ihm am nächsten lag , weil seine Droschke dort grade hielt – muthete ihn so heimathlich berlinisch an ! Billig und schlecht und nur märkischen Mägen verdaubar . Kaum in seinem Atelier wieder eingebürgert – er bewohnte eine behaglich eingerichtete Junggesellen-Wohnung am Lützowplatz , wenn auch nur aus Atelier und Schlafzimmer bestehend , natürlich dritte Etage – , fühlte Rother den dämonischen Zwang , unverzüglich seiner Schwäche nachzugeben und erröthend den Spuren seiner Liebe zu folgen . Ja , er mußte sich vor sich selber schämen , er war sich seiner Thorheit bewußt , und doch ! Von Erfolgen begünstigt , in äußerlich befriedigenden Verhältnissen , fühlte er sich rastlos von der rasenden Leidenschaft verzehrt , die in ihm gährte und gegen die er vergeblich anzukämpfen suchte . Er mußte sie wiedersehn . Ja , sie , das Modell seines neuen Bildes . Oh dies neue Bild ! Er musterte es nochmals . In München auf der Reise war es vollendet . Halb scheu , halb entzückt betrachtete er jetzt sein Werk , als er die Leinwand aus der Verkappung enthülst und auf die Staffelei gestellt hatte . Es stellte eine Baierische Bäuerin im halben Naturzustande vor ; soeben hat sie ihr Mieder abgeworfen und blickt schwerathmend zum halboffenen Fenster hinaus , als ob sie etwas erwarte . Und sieh' , dort ragt auch schon ein männlicher Kopf über das Fensterbrett empor – gleich wird ihr Liebster nächtlicherweile in ihre Arme fliegen . Dieser männliche Kopf trug die Züge Rothers selbst . Die Bäuerin aber , ein üppigschönes junges Weib mit klassischen Zügen – – er verglich jene Photographie mit ihr , die er stets auf dem Herzen mit sich trug : Ja , sie war erschreckend ähnlich ! Aus dem bairischen Hochland auf der Reise hatte er an sie geschrieben und ihr versichert : Wenn die ganze Welt sie verleumde und ihr ' was nachsage , er glaube fest an sie . Darauf hatte sie ihm sofort in einem reizenden Brief geantwortet , aus welchen er ihr unverzüglich nochmals geschrieben und ihr seine Münchener Adresse angegeben . Kaum dort angelangt , fand er bereits einen neuen Brief von ihr vor . Sie hatte also ihren Maler nicht vergessen , der sie zuerst als Modell aufgespürt , als sie , eben nach Berlin gelangt , einige Wochen als Buffetière eines Wiener Cafés fungirt hatte . Zuerst hatte sie diesen neuen Beruf mit Eifer erfaßt . Freilich » saß « sie nur zu Kopf und Händen . Gegen alle und jede » Aktstudien « wehrte sie sich energisch . Und endlich erklärte sie , daß das Modellstehen zwar einträglich , aber nicht anständig sei , weil sie ewig von den Herrn Malern , ob jung ob alt , mit zudringlichen Anträgen bestürmt werde . Da ziehe sie es denn doch vor , wieder als Zahlkellnerin in einem Wiener Café ihr Brot zu verdienen , wo sie vor derlei sicher sei . Kurz vor Rothers Abreise hatte sie diesen Vorsatz auch ausgeführt und in einem belebten Lokal dieser Art in der Nähe des Alexanderplatzes ihre neue Stelle angetreten , wo sich auch alsbald ihre auffallende Schönheit als eine Zugkraft bewies . Rother , ihr platonischer Anbeter – angeblich besaß sie keine andern – war also mit der Wunde im Herzen abgedampft . Und nun quälte ihn der Gedanke , was sie wohl von seinem compromittirenden Bilde sagen werde , da sie doch niemals Alt gestanden und ihr Körper von ihm gleichwohl mit so realistischer Deutlichkeit gezeichnet schien , – so daß , was bei ihm verliebte Inspiration , als Indiscretion aufgefaßt werden konnte . Sie hatte ihn nach München benachrichtigt , daß sie nach Treptow den Sommer hinausgekommen sei , da ihr Wirth dort eine Filiale für die dortigen Sommerfrischler übernommen habe , wobei aber nur die Lieferung des Kaffees u. s.w. ihm oblag , während der dortige Wirth Garten und Lokal als Besitzer weiterführte . – – Es vergingen keine achtundvierzig Stunden , daß nicht Rother plötzlich in dem alten Café wieder auftauchte . Der Wirth empfing ihn sehr höflich und fragte , ob » Herr Professor « wisse , daß Kathi in Treptow sei . Rother stellte sich unwissend , merkte aber , daß der Wirth recht wohl wußte , daß Kathi mit ihm correspondirt hatte . Am andern Vormittag ging 's also nach Treptow . Er suchte und fand das Lokal . Als er eintrat – es ging durch einen offenen gallerieartigen Vorbau in den geräumigen Garten hinaus – und sich rasch umblickte , sah er Kathi in schwarzem Kleid mit einem Kellner an einem Tisch sitzen . Er blickte sie blitzschnell an – und über sie weg und schritt rasch in den Garten hinaus . Sie war feuerroth geworden und stierte ihn sprachlos an , als sei er eine Geistererscheinung . Es war auch ein überraschender Ueberfall , wahrhaftig . – Er placirte sich an einem Tisch und befahl eine Zeitung , ohne nach ihr hinzuschielen . Sie ließ sich jedoch nicht blicken . Endlich riß ihm die Geduld und er kritzelte ein paar Worte auf ein Blatt Papier , sie möge mal herauskommen . Der Kellner , dem er die Besorgung aufgetragen , sagte ihm , Frl. Kreutzner sei in ihre Stube gegangen . Da dürfe er nicht hinein , wenn sie sich umziehe . Doch werde er ihr das Schreiben übergeben . Rother überlegte etwas , dann empfahl er sich , nachdem er noch rasch gespeist , mit dem Bemerken , er werde in ein paar Stunden wiederkommen , und pilgerte lange Zeit im nahen Park umher . Ihm war trotz alledem wohl zu Muth , da die Aufregung sein Blut schneller rollen ließ und er auf das Wiedersehen gespannt war . Alle Vögel zwitscherten von brünstiger Sehnsucht , der heiße duftige Sommernachmittag ließ alle Fibern seines Innern wollüstig erzittern . – – » Ja , die ist soeben nach Berlin gefahren , « meldete der Oberkellner trocken . » Was ? « Eduard wurde bleich vor Zorn . » Nach dem Arzt , wie sie sagte . Sie ist krank . Den Zettel habe ich ihr aber gegeben . « Eduard verkannte nicht , daß sie bei ihrer Kränklichkeit , von der sie ja stets gemunkelt hatte – auch der Kellner versicherte ernsthaft , sie sei schon lange leidend und erst eben von Bettlägerigkeit aufgestanden – wohl des Arztes bedürfen mochte . Gleichwohl schien es doch auffallend , daß sie so gleichsam vor ihm davon rannte . Er verlangte Schreibzeug und schrieb einen langen Brief , welchen er dann nicht dem Kellner , sondern dem Postkasten anvertraute . Dieser war sehr energisch und bestimmt gehalten : sie möge ihm sagen , was dies Benehmen zu bedeuten habe . Sie solle nun erklären , ob sie wirklich Interesse für ihn habe , wie man nach ihren Briefen vermuthen mußte . Und dergleichen mehr . Er erwarte von ihr binnen wenigen Tagen Antwort . Eduard wartete . Aber die Antwort kam nicht . So entschloß er sich denn , nach vier Tagen nochmals dorthin zu schreiben . Er werde drei Tage darauf um zwölf Uhr am Eingang des Parkes auf sie warten . Wenn sie dann nicht komme , seien sie für immer geschieden . In heftiger Aufregung erschien er zur festgesetzten Zeit an jenem Orte . Es war sengend heiß . In jeder Vorübergehenden glaubte er sie nahen zu sehn . Aber sie kam nicht . Endlich wähnte er , sie habe einen andern Eingang gewählt , und rannte im Parke hin und her . Er fand junge Backfische der Sommerwohnungs-Hautevolée , die sich in einen Leihbibliothekschmöker vertieften und auf den vorübereilenden eleganten Fremden schmachtende Blicke warfen . Aber sie , die er suchte , fand er nicht . Es wurde spät und später . Endlich , nachdem er nochmals den halben Park von einem Eingang zum andern durchkreist , gab er es auf und eilte in den nächsten Biergarten . Dort schrieb er einen Zettel , worin er in barschem Tone anfragte , ob sie verhindert gewesen sei , und sandte den Kegeljungen damit in das Lokal . Nach einer Weile kam derselbe mit der Botschaft zurück : Die sei gar nicht mehr da ! Eduard war zu Muthe , als ob die Erde unter ihm einstürze . Nicht mehr da ! So peinlich es ihm war , er mußte sich vergewissern , ging also selbst hinüber . Der Oberkellner , ihn mit zweifelhaften Blicken messend , bekräftigte trocken , daß » Kathi « seit vorigen Dienstag – also seit genau acht Tagen – » ausgerückt « sei und sich ihre Sachen habe nachschicken lassen . Ein gewisses Mißtrauen sprach sich in Worten und Blicken aus und Eduard fühlte , daß man sein damaliges meteorgleiches Auftauchen mit Kathis Verschwinden in Verbindung setzte . Seine Blässe und Bestürzung trotz seiner scheinbaren Ruhe schien Jenen jedoch auf andre Gedanken zu bringen , und es wurde ihm durch den herzugeeilten Koch sogar die Wohnung » Fräulein Kreutzners « angegeben : In der Gerichtsstraße . Dorthin hatte ein Dienstmann die Sachen abgeholt und ihre Wohnung verrathen ; dorthin war auch ein Brief , der vor acht Tagen angelangt , befördert . Eduard biß sich auf die Lippen , als der Mann ihn forschend ansah : Augenscheinlich war sein Brief gemeint . Draußen auf der Pferdebahn erkundigte er sich , wie er am nächsten nach der Gerichtsstraße komme . Eine Stadtbahnstation lag in der Nähe und er fuhr denn dorthin . Seltsame Gedanken quirlten durch sein Hirn . Was bedeutete das Alles ? An demselben Tage , wo er erschien , verließ sie den Ort ? Und zog sich ganz privat zurück ? Was bedeutet das ! Ist das Fliehen vor der Liebe ? Instinktiv oder beabsichtigt ? – Oder hatte vielleicht ein Andrer hierbei die Hand im Spiele ? Station Wedding . – Die Gerichtsstraße , bald erreicht , lag in der grauen Einförmigkeit ihrer Miethskasernen schläfrig da und dehnte sich ordentlich in der Mittagsgluth . Es war erstickend heiß . In Schweiß gebadet , trat er unter den kalten Hofthorweg eines Hauses mit einer Reihe von Hintergebäuden . Es trug die angegebene Nummer . Einen Portier gab es nicht . Da er annahm , daß sie allein wohne , hoffte er ihren Namen an einer Thür zu finden , als er die engen schmutzigen Treppen hinaufstieg . Doch täuschte er sich . Nur eine Thür , drei Treppen rechts , trug gar keine Namensaufschrift , und obschon er dreimal klingelte , öffnete Niemand Er irrte noch lange im Hofe umher , fragte bei drei verschiedenen Portiers und Vicewirthen , endlich bei dem Hauptwirth , der auf die Frage : ob hier ein Fräulein Kreutzner wohne , eine kalt verneinende Antwort gab . Offenbar hinterließ er mit seinem eleganten Rock einen sonderbaren Eindruck bei den schmutzigen Kinderscharen auf Treppen und Höfen , die ihm verwundert nachgafften . Die Hitze drückte auf sein Hirn . Asphalt- und Holzpflaster in der Friedrichstadt schienen zu schwitzen , selbst die Steine erweicht zu stöhnen . Was machen ! Ah , da blieb nur eins : er fuhr direkt in das Wiener Café . Als er dort erschien und seinen Schoppen Pilsener bestellt hatte , fragte er den dortigen Kellner kurz , ohne weiteres Herumgerede : » Seit wann ist denn die Kathi nicht mehr hier ? « » O schon seit vorigen Dienstag nicht « grölte dieser . » Seit sie der Kerl da herausgenommen hat . « » Wer ? « Eduard fühlte sein Blut erstarren . » Ach , davon wissen Sie nichts ? Nun , der Eberhart . « » Wer ist denn das ? Was weiß denn ich davon ? « » Nun , der hier immer um Kathi herum war . Ach , Sie kennen ihn ja ! So Einer mit Bart-Cotelettes , verstehn sie . Der war ja immer auch da , wenn Sie da waren . « » Jaja , ich erinnere mich , « murmelte Eduard dumpf . » Also der ! « » Er war auch draußen in Treptow und hat sie da besucht . Na , nun hat sie ja , was sie wollte . « Plötzlich erschien der Wirth des Cafés , Herr Bammer , elegant geschniegelt , wie gewöhnlich . Derselbe schimpfte mit aller Kraft auf die pflichtvergessene » raffinirte Person « , die ihn höchst unangenehm hineingelegt . Der ganze Hergang war folgender gewesen . An jenem Dienstag vor acht Tagen war Kathi plötzlich erschienen und hatte erklärt , daß sie nie mehr nach Treptow hinausgehe . Der Alte dort sei immer hinter ihr her , und wenn sie der zu Frieden lasse , komme der Junge . – Er , Bammer , habe das für faule Fische erklärt . Nachdem sich dann daraus ein Zank entwickelt , sei sie still geworden und habe sich für krank ausgegeben . Sie müsse zu ihrem Arzte gehn . Dann sei sie um fünf Uhr weggegangen und seitdem nicht wieder gekommen . Eine nähere Nachforschung ergab jedoch , daß sie einen Dienstmann an Herrn Eberhart gesandt . Dieser Mann war ein reicher Holzhändler , ließ sich aber consequent » Herr Hauptmann « anreden , weil er zufällig in diesem Range der Reserve angehörte . Ein boshafter Zufall hatte gewollt , daß der Buchhalter Bammers in der Reichensberger Straße wohnte , und dieser hatte Kathi in aller Frühe dort aus dem Hause Eberharts kommen sehn . In wortlosem bleichem Grimm erhob sich Rother , nachdem er erfolglos versucht den Gleichgültigen zu spielen , und wanderte heim . Erdrückend schwül lastete sein Leben auf ihm , öde und leer gähnte ihn ein Vacuum von Langeweile und Ekel an . Er hatte innerlich seine ganze Leidenschaft und sein ganzes Gefühl auf eine Karte gesetzt , und diese mit einem einzigen Va-Banque verloren . Wozu dies Leben ! Die Befriedigung der Eitelkeit , die man etwa » Ruhm « nennen könnte , dieser erbärmliche Erfolg , den der Künstler erstrebt , widerte ihn an . Die Natur , je mehr er sich in sie versenkte , blieb ihm immer mehr eine steinerne Maske . So klammerte er sich denn mit letzter Kraft an dies erotische Gefühl . Hier lag die geheime Truhe seines Innern , wo er all seine Schätze aufgespeichert . Und nun hatte ein Dieb ihm Alles über Nacht geraubt . Nein , nicht ein Dieb . Was war der einzelne Mensch , der einzelne Fall ! Was galt das ihm ! Prüfte er seine Gefühle und sondirte seine Motive , so mußte er sich gestehen , daß er weder jenen großen Unbekannten haßte noch das Weib selber , sondern daß ihm wiederum wie von je das erstickende Bewußtsein mit neidischer Wuth die Brust beklemmte , wie ohnmächtig der arme Künstler mit seinem Anspruch auf Genuß der Welt gegenüberstehe . Der nichtigste Geselle , der Lieutenant mit der glatten Taille und der Assessor mit dem Wirbelscheitel – von dem parfümduftenden Ladenschwengel und dem goldklimpernden Banquier ganz zu schweigen – spielt in der Welt eine bessere Figur , als der Künstler , der Federheld , der Musikus . Und gar erst beim Weibe ! Beim Weibe ? Ja gewiß giebt es weiblicher Wesen genug , die für das Romantische schwärmen , die sich von der Verehrung eines Musensohnes geblendet und geschmeichelt fühlen – aber das Praktische siegt im letzten Augenblick ja doch auch hier . Und wäre es auch nicht so , den Künstler zwingt ja nun einmal sein Kultus schöner Sinnlichkeit , das sinnlich Schöne zu begehren – selbst wenn es sich in Gestalt einer Dirne darstellt . Und hier fühlte er sich durch ein räthselhaft Zwingendes dämonisch an dies Mädchen geleitet , das nicht nur seine Sinne , sondern auch sein Herz bis zum letzten Blutstropfen erglühen ließ . Jetzt war diese Rose also verwelkt und gebrochen , der Wurm hatte sich in sie hineingebohrt . Alles war aus . Eine tiefe Verzweiflung über die Nichtigkeit all seines Strebens und Lebens verdunkelte ihm die klare Vernunft . Sein Groll mußte sich in schmähenden groben Worten Luft machen . Und so ließ er sich denn dazu fortreißen , in einem Café Feder und Tinte fordernd , folgenden Brief nach der Gerichtsstraße zu richten – denn sie wohnte in der That dort , wie er erfuhr ; er hatte nur nicht den Namen der Wirthin , Frau Lämmers , gewußt . » Liebe Kathi ! Mit Vergnügen habe ich erfahren , daß Sie eine ganz gemeine Dirne geworden sind . Nun kann ich ja machen , was ich will . Ich ersuche Sie aber , mir unverzüglich meine Briefe zurückzustellen , deren ich mich natürlich schäme ; sonst werde ich mich an Ihren Aushälter halten müssen . Wenn Sie übrigens mal zwanzig Mark brauchen – die will ich schon für Sie daran wenden . « Aber als er nach Hause in sein einsames Atelier zurückgekehrt war , empfand er tief die Würdelosigkeit dieses Benehmens und sandte einge kurze Zeilen , in edelem Ton gehalten . Sie schlossen : » Es rächt sich Alles auf Erden . « Er war wie wahnsinnig . Indem seine Phantasie sich geil und lüstern ausmalte , wie das prächtige Weib sich von jenem höheren Stallknecht ihre intimsten Bedürfnisse besorgen lasse , ergriff ihn selbst eine verzehrende Begier . Nachdem er in schlafloser Nacht seine gramvolle Leidenschaft hin- und hergewälzt , machte er sich am andern Morgen auf . Theils seine Leidenschaft theils seine Eitelkeit , die einen Eklat fürchtete , trieben ihn an , sie nicht loszulassen , sondern auf ihrer Spur zu bleiben . Diesmal benutzte er die Pferdebahn von der Weidendammer Brücke aus . Welch ein endloser Weg , die Chausseestraße und die endlose Müllerstraße entlang ! Aber er fand richtig das Haus , und als er drei Treppen rechts im Vordergebäude klingelte – ihm zitterten die Kniee vor Erwartung , als er die schmutzig steile Treppe hinanstieg – öffnete ihm diesmal eine anständig aussehende Frau und bat ihn einzutreten , als er nach Fräulein Kreutzner fragte . Die Dame sei ausgegangen , um eine Stelle zu suchen . » Sind Sie nicht der Herr Agent , den sie erwartete ? « Rother brummte etwas Ausweichendes vor sich hin und bat um Schreibzeug . Dann hinterließ er Kathi einen Brief , er werde um fünf Uhr bei ihr vorsprechen . Er beschwöre sie , auf ihn zu hören . Ihr Schicksal liege in ihrer Hand ; dies sei sein letztes Wort . Er fuhr direkt in das Café Bammer zurück und schlürfte mit unbefangenster Miene seinen Eierpunsch , während er aufmerksam horchte . Es erschien nämlich nunmehr eine Gestalt auf der Bildfläche , die von besonderer Wichtigkeit für den Fall sein konnte . Herr Wursteler , ein stets elegant gekleideter , schwarzhaariger und wohlaussehender Dreißiger , wohnte bei seinem Freunde Bammer . Beide waren Spießgesellen aus frühen Jugendtagen und hatten von einander Mancherlei zu verschweigen . Wursteler fröhnte einem kavaliermäßigen Müssiggang , obschon er sich unter dem vieldeutigen Namen » Agent « herumtrieb . Er besaß eine Gattin , welche ziemlich häßlich , aber an ständig aussah und , wegen eines kleinen Batzen Geldes von dem flotten Schwerenöther geehelicht , nun an chronischer Eifersucht leiden mußte . Hinter Kathi war er immer anbetend hergeschlichen , wie Bammer einmal Rother lachend erzählte , und pflegte ihr zärtlich Morgens aufzulauern , wenn sie aus ihrer Stube ins Lokal hinunterkam , wofür er » a sakrische Watschen « schon mehrmals geerntet hatte . – Nun ergab sich aber , daß jene neue Wirthin Kathis durch Wurstelers dieser empfohlen war und daß Wurstelers , wie jetzt herauskam und gestanden wurde , auf Kathis Kosten mit dieser die erste Nacht im Grand Hotel zugebracht hatten , ehe sie zu der Wirthin Frau Lämmers , die ihre Wohnung in der Gerichtsstraße eben erst gemiethet hatte , einzog . Ueber alles Weitere fehlte hingegen auch Wurstelers jede Nachricht ; sie brach hier ab . Auch tauchte jetzt die schwarze Emmy hinterm Buffettisch auf , wo einst Kathi gethront , ihre holde Rivalin . Man sagte ihr nach , daß sie Herrn Bammers stille Schäferstündchen theile und ihr Kammer-Riegel für ihn nicht schließe . Es war , wie sie Rother einmal geklagt hatte , die bekannte Verleumdung der Welt . Sie begrüßte ihn nunmehr mit einem vielsagenden meckernden Kichern – sie lachte immer gezwungen , wie mit dem Magen – , was Rother jedoch absichtlich nicht verstand . Er that natürlich , als ob ihn das sehr lebhafte Gespräch über Kathis Schandthaten nichts angehe . Betreffs des Getroffenwerdens in der Reichensbergerstraße hatte sie nämlich behauptet , in einem scharfen Brief an die Wurstelers , daß sie einfach ihre Wirthin , die ihre Schwester zum Görlitzer Bahnhof brachte , begleitet habe . » Die Sache ist auch noch nicht aufgeklärt , « bemerkte Wursteler mit Emphase , » dahinter steckt auch noch etwas . Sie hat da irgend ein Verhältniß . « » Ja , « fiel Frau Wursteler ein , » er hat ihr letzthin mehrmals Briefe geschrieben . Er ist ja wohl in München . « Rother horchte hochauf und bewegte sich unruhig hin und her . » Ja , jetzt soll er aber wieder hier sein , « machte Wursteler , indem er möglichst unbefangen aussah ; Rother , der ihn beobachtete , vermochte durchaus keinen lauernden Seitenblick aufzufangen . » Neulich als sie von Treptow hereinkam , sagte sie so etwas im Allgemeinen : › Ich denke , er ist verreist und da ist er wieder hier ! ‹ « » So ? « fragte Rother mit etwas heiserer Stimme ; er spürte eine gewisse Trockenheit im Halse , als ob er sich in sengender Hitze durch Sandwüsten halb verschmachtet hinschleppe . » Hat sie denn nie gesagt , wer das ist ? « » Nein , « fiel die schwarze Emmy geschwätzig plappernd ein . » Nur etwas war da , so'n Anzeichen . Sie hatte da so'ne Broche , mit einer Schlange drauf – die trug sie immer allein von all ihren Schmucksachen . « » Ja richtig . « Frau Wursteler warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu . » Sie sagte immer : › Jajaja , das ist ganz ' was anders . Das trag' ich , weil es mich an Jemand erinnert . ‹ « Rother räusperte sich verlegen ; Bammer aber , der sich eine Zeitlang entfernt hatte und jetzt hinzukommend die letzten Worte hörte , fuhr dazwischen : » Larifari ! Das ist Alles nur Verstellung . He , wie , sie leugnet gar nicht , daß sie sich mit dem Eberhard genossen hat ? « » Ne , « sagte der Kellner , der damals Rother zuerst aufgeklärt hatte . » Traf vorgestern den Eberhart an der Weidendammer Brücke , wie er zu ihr hinausfuhr . Er hielt ein paar Rosen , die sie ihm geschenkt hatte . « Rother fühlte , wie eine dunkle Blutwelle ihm rothsiedend zum Hirne drang . Er biß sich auf die Lippen und schwieg . Die schwarze Emmy beobachtete ihn , die Andern empfahlen sich aus irgend einem Grunde . Wursteler aber ließ im Vorübergehen an Rother halblaut die Worte fallen : » Glauben Sie nur ja nicht Alles , was hier gered't wird . « Damit entfernte er sich hastig . Rother versank in Nachdenken . Langsam glitten alle vergangenen Vorfälle vor ihm vorüber . Die Thatsache ihres Fliehens vor ihm in Treptow , dann wieder die Mittheilungen der Wurstelers – hier lag irgend ein Geheimniß vor . Er grübelte und grübelte – darüber wurde es halbfünf . In zitternder Haft und unbeschreiblicher Gemüthsverwirrung machte er sich auf den Weg . » Nun ? « fragte er in der Gerichtsstraße an der schon wohlbekannten Thür . Die Wirthin schüttelte den Kopf , er sei immer noch nicht gekommen . Und so stieg er denn schweren Herzens wieder hinab . Er fühlte sich so müde , daß er beim zweiten Treppenabsatz sich athemschöpfend ans Geländer lehnte . Da plötzlich knarrte die Treppe von einem emporklimmenden Schritt : Wie von einem elektrischen Schlag durchzuckt , fühlte Eduard : Sie war es ! Sie , sein Traumbild in einsamen Nächten ! Ja , sie war es ! Ihre prachtvolle Gestalt knapp von einem schwarzen einfachen Gewand umschlossen . Als sie ihn erblickte , blieb sie einen Augenblick , zusammenschreckend , stehn . Dann stieg sie etwas schwerfällig die Stufen bis zu ihm empor . Er wartete , bis sie neben ihm stand , auffallend bleich , mit einem finsteren harten Ausdruck der schönen Züge . » Haben Sie mir nichts zu sagen ? « Sie gab keine Antwort und schritt an ihm vorbei , schweigend , mit erhobenem Haupte . Ihm war buchstäblich , als ob ihn ein schneidendes Schwert durchschnitte . Mark und Bein erzitterten ihm . Und mit zitternder Stimme fragte er nochmals , halb stammelnd und doch bemüht , einen sicheren Befehlton festzuhalten : » Nochmals , haben Sie mir nichts zu sagen ? Es ist mein letztes Wort . « Aber ohne zu antworten stieg sie höher und höher , und ohne sich umzusehen , stieg er hinab , ohne ein weiteres Wort zu verlieren . In seinem Innern gährte und schäumte Unaussprechliches durcheinander . Er traf am Abend einige jüngere Künstler , die ihm docirten , die Liebe sei etwas Unreifes , was unter die Füße getreten werden müsse . Doch mit finsterem Humor vertrat er dagegen die Ansicht , nur durch erotische Leidenschaft werde Außerordentliches zu Tage gefördert . Er selbst docirte dabei ebenso weise als erfahrener Mann , wie die andern Jünglinge mit der misogynischen Weisheitswürde . Aber eine Ahnung von der Lächerlichkeit all dieser reifen Theorieen dämmerte ihm heimlich . Und siehe da , am andern Morgen erhielt er einen Brief , dessen Adresse-Handschrift ihn schon erbleichen machte : » Daß ich Ihnen auf der Treppe keine Antwort gegeben , darf Sie wohl nicht wundern . Doch weil ich nicht herzlos sein kann , sende ich Ihnen diese wenigen Zeilen . Was ich diese Tage gelitten , weiß nur ein guter Gott , vor dem allein ich mich zu verantworten habe . Ich wünsche Ihnen nur , daß Sie solche Stunden nie kennen lernen , denn dann könnten Sie die einzig richtige Bedeutung des Wortes Verzweiflung fühlen . Vergessen werde ich die Beleidigungen nie und Gott gebe , daß Ihnen in diesem Falle nicht Ihre eigenen Worte zur Wahrheit werden ( es rächt sich Alles auf Erden ) und wenn sich nie in Ihrem Leben Jemand mehr über Sie lustig macht als ich es gethan , dann sind Sie der unbehelligste Mensch , den es überhaupt giebt . Nur bitte , lassen Sie mich aus dem Spiele , es sind dies die letzten Zeilen , die Sie von mir je bekommen , ich bin froh , wenn ich meine Ruhe habe . « Rother war es , als gingen ihm Dolchstiche durch und durch , da er diese einfachen Zeilen leidenschaftlicher Beredsamkeit durchlas . Ja , dachte er , ob die Heerde Dich verbannte , Einer blieb Dir , wundes Reh . Ich , ich allein erkannte dein besseres Ich und wenn Du zu bereuen hast , so wollen wir selbander die Reue tragen . Aller Schmutz in deiner Seele zerstiebt vor meines Geistes Hauch . . Dies Geheimniß deiner Seele soll kein Anderer verstehn . Da erblühte ihm noch eine seltsame Ueberraschung . Sein Dienstmädchen meldete ihm Herrn Schneidemühl . Dieser Herr führte eine ebenso merkwürdige als fragwürdige Existenz . Seines Zeichens Bildhauer , ernährte er sich von Stukkaturarbeiten , die er fabrikmäßig betrieb , nebenbei aber nahm er mit Vorliebe die Börsen seiner guten Freunde in Anspruch . So ahnte denn Rother nichts Gutes , als sein Freund Schneidemühl ihn freudig » wieder zurück in Berlin « bewillkommete . Seine Erwartungen wurden aber übertroffen ; denn , nachdem Schneidemühl seinen Schnurbart verlegen gestrichen , eröffnete er , daß Kathi gestern bei ihm gewesen sei und erschrecklich lamentirt habe . Es ergab sich , daß der geniale Bayer ( er war ein Landsmann Kathis ) wieder mal umsonst den heiligen Pumpus von Perusia , seinen Schutzpatron , um freigebige Huld ersucht hatte . Auch der würdige Caféwirth Bammer , den er täglich frequentirte , litt in dieser Beziehung an Schwerhörigkeit . Aber Eine war nicht taub geblieben : das war Kathi , die ihm schweren Herzens vierzig Mark geborgt hatte . Nun in ihrer Noth – sie wußte nicht wovon leben – forderte sie die Summe zurück und Schneidemühl fand keinen anderen Ausweg , als Rother darum zu ersuchen . Dieser , natürlich tief ergriffen von diesem neuen Beweis für Kathis edle Gesinnung und von Schneidemühls Schilderung , wie sie vor Schluchzen nicht habe reden können , sandte sofort die Summe per Post an ihre Adresse mit einigen Zeilen voll warmer Hingebung , worin er sich nochmals vertheidigte . – Ein unaufschiebbares Geschäft zwang ihn , am selben Abend nach Dresden zu reisen , wo er mit einem Kunsthändler ein Geschäft zu verhandeln hatte .