Hedwig Dohm Wie Frauen werden Katharina Böhmer , die junge Gattin des vielbewunderten Malers Michael Böhmer , ging unstät in ihrem Zimmer auf und ab . Sie war in einfachster Promenadentoilette , ein braunes Kapothütchen auf dem Kopf . Sie wartete auf ihren Mann . Er hatte versprochen , sie Punkt elf Uhr zur Ausstellung des Künstlervereins abzuholen , wo sein neuestes Bild » Die Geburt der Venus « , das sie noch nicht kannte , ausgestellt war . Sie wartete schon seit einer halben Stunde . Ob sie in das Atelier , das einige Stockwerke höher lag , hinaufstieg ? Sie wagte es nicht . Sie wußte , er wollte nicht , daß sie in das Atelier kam , wohl der Modelle wegen . Seit Monaten war sie nicht oben gewesen . In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte sie häufig mit ihm Ausstellungen besucht , nicht besonders gern . Er pflegte sie nicht auf die guten , sondern auf die schlechten Bilder aufmerksam zu machen , jeden Mangel derselben scharf hervorhebend , um so schärfer , wenn es Künstler betraf , die seine Richtung vertraten . Wenn er sie heute vergebens warten ließ , es wäre zu lieblos . Am Abend schon trat er eine , vermuthlich Monate umfassende Reise nach dem Rheinlande an , wo er ein Fürstenschloß auszumalen hatte . Mißmuthig und erregt trat sie an's Fenster . Die Wohnung lag am Schöneberger-Ufer . Sie blickte hinab auf den Canal . Es war Ende October . Ein feiner Regen rieselte nieder . Die Blätter hingen schlaff und schmutzig an den Bäumen . Die abgefallenen bildeten eine bräunliche muffige Masse am Boden . Die Straße war menschenleer . Zwei Kähne mit Kohlen wurden von Ruderknechten geschleppt . Langsam , keuchend , maschinenartig bewegten sie sich vorwärts in der fröstelnden Nässe . Eine solche Lebensunlust war in Allem . Käthe trat in's Zimmer zurück , warf sich in einen Lehnsessel und nahm eine Zeitung in die Hand . Sie konnte nicht lesen . Ihre Blicke folgten dem Zeiger der Uhr . Allmählich wirkte das Starren auf die Uhr hypnotisirend auf sie , und sie versank in halbwaches Sinnen und Grübeln , das so oft schon ihre leeren Stunden ausgefüllt hatte . Und wieder , wie auch sonst , war es ihr vergangenes und ihr gegenwärtiges Leben und der trübe Ausblick in die Zukunft , die an der Seele der glücklosen jungen Frau vorüberzogen . Katharina war die Tochter des reichen Fabrikbesitzers Brand in Thüringen . Ihre Mutter , eine tüchtige und correcte Hausfrau , ging in der Haushaltung , in der Fürsorge für die Kinder , so lange sie klein waren , und in der Pflichterfüllung ihrem Gatten gegenüber völlig auf . Den kleinen Kindern gehörte die Liebe und das Interesse der Eltern ; die heranwachsenden und noch mehr die ganz Erwachsenen rückten ihnen ferner , ohne daß sie sich dessen nur einmal bewußt gewesen wären . Katharina , die älteste von fünf Geschwistern , stand ihren Eltern , als sie erwachsen war , fast fremd gegenüber . Sie und ihre Geschwister hatten eine Erzieherin gehabt . Sie war gut und sorgfältig ernährt und gekleidet worden . Weder bedeutende Menschen noch interessante Bücher , die hätten wecken können , was etwa in ihr schlief , waren , als sie heranwuchs , in ihren Gesichtskreis getreten . Sie war zufrieden gewesen mit der conventionellen Regelmäßigkeit ihrer Existenz . Sie hatte sehr viel hübsche und feine Handarbeiten angefertigt und hatte , noch kaum erwachsen , Bewerber gehabt , junge Beamte des Städtchens , deren Werbung hauptsächlich dem Reichthum des Vaters galt . Katharina hatte den Ruf , stolz und zurückhaltend zu sein , das zog die jungen Leute des Oertchens , die es sich gern bequem machten , ebenso wenig an , als der eigenartige Reiz ihrer Erscheinung . Katharina war weder stolz noch zurückhaltend ; sie gehörte nur zu den exclusiven Naturen , die still für sich sind , weil nichts in ihrer Umgebung sie anregt , nichts ihrem inneren Wesen und Träumen entspricht . Das Aufregendste in ihrer Existenz war gewesen , daß ihre einzige Freundin eines Tages durchgebrannt war , wie es hieß , um Schauspielerin zu werden , und daß diese Busenfreundin seitdem lieblos verstummt war . Den Mangel individueller Liebe von Seiten der Eltern hatte Käthe nie empfunden . Sie hatte ja den Onkel Carl , der von den fünf Geschwistern sie einzig und allein liebte . Onkel Carl hatte von jeher zu ihrem Leben gehört wie Vater , Mutter und Geschwister , ja noch mehr . Es hatte mit diesem Onkel , der eigentlich gar nicht ihr Onkel war , eine eigenthümliche Be wandtniß . Als achtzehnjähriger Jüngling war Carl Nort als Volontair in die Fabrik ihres Vaters eingetreten , der sich damals eben mit der Tochter des Schuldirectors verheirathet hatte . In seinem Hause lebte eine junge Schwester seiner Frau . Carl verliebte sich leidenschaftlich in das schöne Mädchen , das mit dem verliebten Knaben ein kokettes Spiel trieb und sich ein Jahr später mit einem Gutsbesitzer der Nachbarschaft verheirathete . Die Eltern Katharinens hatten alle Mühe , den heißblütigen jungen Mann von einem Selbstmord zurückzuhalten . In Folge dieser complicirten Beziehungen entwickelte sich zwischen ihnen und Carl ein wahres und herzliches Freundschaftsverhältniß . Letzterer siedelte sich in ihrer Nähe an . Er blieb unverheirathet und wurde von Brands als ein Familienmitglied betrachtet , ein Verhältniß , das sich lockerte , als politische und sociale Meinungsverschiedenheiten immer schärfer hervortraten , die Denkart Carls immer radicaler , die Brands zu immer engerer Stabilität sich entwickelte . Carl war Mitglied des Reichstages geworden und saß dort auf der äußersten Linken . Als Katharina an der Schwelle des Jungfrauenalters stand , war die völlige Lostrennung Carls von ihrer Familie nur noch eine Frage der Zeit . Oft war ihm die Versuchung nahe getreten , das geliebte Kind mit seinen Ideen vertraut zu machen . Er hatte ihre Gemüths- und Geistesart geprüft und ein herzig gutes , begabtes , aber willensschwaches Geschöpf gefunden , ihre Intelligenz ein unbeschriebenes Blatt . Sollte er darauf schreiben , was er für das Beste , das Wahrste hielt ? Seine Gewissenhaftigkeit ließ es nicht zu , das Mädchen der Welt , in der es leben mußte , zu entfremden . Indessen , mit der Zeit wurde die Versuchung für ihn in dem Maße stärker , als die Neigung für das reizvolle Kind sich vertiefte . Noch war er mit sich nicht einig , was er thun oder lassen sollte , als die Eröffnung des Reichstages ihn nach Berlin rief . Von den Eltern hatte er einen kühlen Abschied genommen . Er wußte , daß er in einer bestimmten Nachmittagsstunde sein Käthchen im Garten treffen würde . Dort suchte er sie auf und fand sie auf einer Bank unter einer Linde , mit einem Buch in der Hand , in dem sie nicht las . Sie hatte den Kopf gegen den Rücken der Bank gelehnt ; traumverloren blickte sie in's Leere . Sie schrak zusammen , als er sie anredete , und auf seine Frage , wovon sie träume , hatte sie geantwortet : » Von einem Prinzen . « Er sagte ihr , daß er Abschied nehmen wolle . Sie schlang ihren Arm um seinen Hals und sah recht von Herzen betrübt aus . Eine große Freude kam über ihn , und seine Lippen öffneten sich , um zu reden , wovon sein Herz voll war . Aber sie kam ihm zuvor und fragte , ob er nicht auf seiner Reise durch Weimar käme . » Warum ? « fragte er befremdet . » Da wohnt er ja . « » Wer ? « » Mein Prinz . « Natürlich sei es ja gar kein Prinz , sondern ein Maler , und schon ein ziemlich berühmter , wie der Papa ihr gesagt . Sie hätten ihn im vorigen Sommer in Friedrichsroda getroffen . Er holte tief Athem . Seine Lippen schlossen sich herb und fest . Er wandte sich ab . Nach einer Weile fragte er , ob sie den Maler liebe ? Sie wisse es nicht . Und dabei lächelte sie mit einem süßen und verrätherischen Ausdruck . Ob er ein guter Mensch sei ? Sie wisse es nicht . Er lehnte sich an einen Baum , umschlang rückwärts mit seinen Armen den Stamm , als müßte er die Brust erweitern , und blickte empor mit einer seltsamen Starrheit des Blickes . In dem instinctiven Gefühl , Onkel Carl verletzt zu haben , lehnte sie schmeichelnd ihr Köpfchen an seinen Arm . Er hatte mit seinen Lippen ihre Stirn berührt . Dann war er gegangen . Er war zu spät gekommen . Sein Käthchen , mit vulgären Liebesgedanken erfüllt , fand er schon auf der Bahn , die zu dem beschränkten Glück der Mutter führte . Er hatte eine Minute geschwankt , ob er sprechen solle . Nein , es wäre unredlich gewesen , die erregte Phantasie eines verliebten Mädchens überraschen zu wollen . Im Frühjahr , wenn er zurückkäme und die wildjungen Triebe seines Käthchens abgedorrt wären , ja – dann – vielleicht – – Drei Monate später theilte ihm Käthe in einem überglücklichen Schreiben ihre Verlobung mit Michael Böhmer mit . Der junge Mann war unter dem Vorwand , Malstudien zu machen , in Käthes Heimat und in das Haus ihrer Eltern gekommen , und nach kurzem Liebeswerben hatte er um die Hand des jungen Mädchens angehalten . Eine elegische , tieftraurige Stimmung kam über den reifen Mann , der ein stilles , heißes Hoffen begraben mußte . Er sollte noch Schwereres erdulden . Carl Nort war für die rechte Seite des Hauses einer der gefährlichsten Gegner wegen seiner unverbrüchlichen Wahrheitsliebe . Man scheute kein Mittel , ihn unschädlich zu machen . Ja , man wagte es , seinen moralischen Charakter anzutasten , und ziemlich unverblümt auf sein Verhältniß zu den Brands hinzudeuten , wo er als Dritter im Bunde – das Standesamt umginge . Er ertrug diese Lästerungen mit schweigender Verachtung . Etwas Anderes aber traf ihn in's Herz : daß er nicht mehr an die Idealität derjenigen Partei glauben konnte , der er mit Leib und Seele angehörte . Er erkannte allmählich , daß sie mit denselben Waffen kämpfte wie andere Parteien auch . Auch sie hatte pfiffige und diabolische Taktiken , auch sie schmähte und verlästerte gegen besseres Wissen . Und was das Aergste war , sie schmeichelte dem Volk . Anstatt es zu belehren und zu läutern , bestärkte sie es in Haß und Urtheilslosigkeit und zog Hochmuth und Ueberhebung in ihm groß . Carl Nort hatte etwas vom Pathos eines Volkstribunen , von der strengen Wahrhaftigkeit eines Cato und zugleich von der Friedfertigkeit des Weisen . Er schrieb voll edlen Zorns an die betreffenden Zeitungsredactionen . In ihren Antworten las er den alten jesuitischen Spruch , daß der Zweck die Mittel heilige , zwischen den Zeilen , er las darin , daß zuerst und zuletzt , und über Allem der Sieg der Partei stehe . Alles Andere würde sich finden – später . Carl Nort zweifelte an diesem » später « , nach einem Siege , wo der Sieger nicht besser war als der Besiegte . Vor seinem inneren Auge entrollten sich Jahrzehnte voll wüster und blutiger Kämpfe . Er sah eine Sündfluth heraufkommen , die gleicherweise die Guten und die Bösen vertilgte . Und wenn die Wasser sich verlaufen haben werden , sind sie Alle wieder da – die Guten und die Bösen . Dazu empfand er die wüthende Ohnmacht eines Künstlers , der ein ideales Bild im Herzen trägt , und dem das Material fehlt , es zu gestalten . Und er empfand zugleich die tiefe Seelennoth des Apostels , der die Lehren , die ihm heilig sind , zu einem Parteimanöver entwürdigt sieht . Er erkrankte . In der Genesung las er Herzkas » Freiland « . Wie ? war das vielleicht der rechte Weg , um für eine neue , reine Weltordnung neue , reinere Menschen zu gewinnen ? Eine kleine Gemeinde , die sich allmählich ausbreitet , größer wird , immer größer , bis sie schließlich den Erdkreis umspannt ? Er faßte einen Entschluß , rasch , freudig . Mit dem Wagemuth eines Jünglings hatte der fertige Mann den Staub Europas von seinen Füßen geschüttelt und war nach Südamerika ausgewandert , um am Saume der Prärieen und der Cultur frei zu werden von der Niedertracht der Menschen – Halbmenschen , wie er sie nannte , – und zu versuchen , ein Ganzmensch zu werden . Käthe hatte geweint , als sie seinen feierlich rührenden Abschiedsbrief las . Daß sie Onkel Carl nicht noch schmerzlicher vermißte , kam auf Rechnung ihrer Brautschaft . Ihre ganze Brautseligkeit und später das erste Glück ihrer jungen Ehe hatte sie treulich dem alten Freunde berichtet . Aus seinen Briefen hatte sie erfahren , daß er sich in Paraguay angesiedelt und mit den mühseligsten und beladensten aller Menschen , den grausam ausgetriebenen russischen Juden , seine Colonie bevölkert hatte . Um die Ansiedlung zu bewerkstelligen und den Aermsten die Ueberfahrt zu ermöglichen , hatte er einen großen Theil seines Vermögens geopfert . Seine Colonie nannte er » Tolstoi « . Diese Thatsachen hatten Käthe in Verwunderung gesetzt , ohne ihr tieferes Interesse zu erregen . Allmählich waren ihre Briefe seltener und seltener geworden und hatten endlich ganz aufgehört . Als sie ihm zwei bis drei Mal nicht geantwortet , verstummte auch er . Es widerstand ihr , ihm zu schreiben , wie nach und nach ihr Glück entschwand , ganz , völlig entschwand . Ja , sie war unglücklich . Sie liebte ihren Mann , und er hatte aufgehört sie zu lieben . Sie war überflüssig für ihn geworden , wenn er auch anerkennen mußte , daß sie eine gute Hausfrau und Mutter , eine treue , vorsorgliche Gattin war . Hatte er sie überhaupt jemals geliebt ? In der Langweile des kleinen Badeorts war sein unbeschäftigtes Gemüth durch einen Zufall auf Katharina Brand verfallen , eine oberflächliche Verliebtheit , die ohne Consequenzen geblieben wäre , wenn nicht die sehr bedeutende Mitgift des jungen Mädchens ihn schließlich zu der praktischen Werbung um ihre Hand veranlaßt hätte , nicht aus Geldgier , aus Sucht nach Wohlleben , sondern aus leidenschaftlicher Liebe zu seiner Kunst . Er war zu arm , um sich den Luxus erlauben zu dürfen , seinem Genius zu folgen , oder zu genußsüchtig , um ihm unter Entbehrungen treu zu bleiben . Das Bild einer häßlichen Parvenüfamilie , das zu malen die Armuth ihn gezwungen , und das ihn zur Verzweiflung trieb , gab den Ausschlag bei der Werbung um Katharina . Nach der Verheirathung , der Existenznoth enthoben , entfaltete sich seine geniale Begabung mit überraschender Schnelligkeit und Kühnheit . Seine Bilder versetzten das Publicum in Entzücken und trugen ihm Geldsummen ein , neben denen Käthes Mitgift bald nicht mehr in Betracht kam . Er bereute seine vorschnelle Ehe und trug Katharina nach , was sie nicht verschuldet hatte . Der Anfang seiner Verstimmung gegen sie war die Verständnißlosigkeit , die sie seinen Bildern gegenüber zeigte . Sie stand stumm , erröthend davor , er las in ihren Mienen , daß sie ihr mißfielen . Er war Impressionist , ein sinnlicher Mensch , der in Farben schwelgte . Ihre Temperamente stimmten nicht zusammen . Er hielt es für seine künstlerische Pflicht , Alles von sich fern zu halten , was seinen fröhlichen Schaffensdrang beirren konnte , und die Ansprüche seiner einfachen correcten Gattin an sein Gemüthsleben , an seine Zeit beirrten ihn . Und die arme Katharina gab sich eine so schmerzliche Mühe , ihn nie und nirgend zu belästigen . Bald hatte sie herausgefühlt , daß er lieber ohne sie als mit ihr in Gesellschaft ging . Er betonte so oft und so eindringlich , daß er ihr das Opfer , in Gesellschaft zu gehen , in denen sie sich augenscheinlich langweile , nicht zumuthen wolle ; er leider dürfe aus künstlerischen und finanziellen Rücksichten die Gesellschaft nicht perhorresciren . Sie habe ja auch das Kind . Er sagte nie » mein Kind « oder » unser Kind « , immer nur » das Kind « . Und Käthe blieb zu Hause mit Groll und Gram im Herzen . Er hatte ja Recht . Sie fühlte sich deplacirt , gedemüthigt in diesen Kreisen , wo Niemand sie beachtete und sie froh sein mußte , einige Frauen zu finden , mit denen sie in Gesprächen über Kinder und Wirthschaft ein paar Stunden hinfristete . Katharina liebte ihren Gatten , wie reine Frauen zu lieben pflegen , weil sie einmal angefangen hatte , ihn zu lieben , weil sie doch sein Weib geworden , und weil zu lieben für das zärtliche Geschöpf eine zwingende Nothwendigkeit war , und andere als legale Beziehungen für ihren keuschen Sinn nicht existirten . Trotzdem fühlte sie eine Erkältung bis in's Mark , wenn Michael , ohne ein freundliches oder herzliches Wort an sie zu richten , in's Zimmer trat , und ihre sonst so weiche Stimme klang , wenn sie gleichgiltige Worte mit ihm wechselte , spitz und gereizt . Er bemerkte wohl , daß sie zürnte . Zuweilen , wenn sie einen allzu herben Accent nicht unterdrücken konnte , meinte er , halb scherzhaft , » in ihr käme der großväterliche Schuldirector zum Durchbruch « . Als das Kind da war , brachte sie es ihm in der ersten Zeit ab und zu . Er beehrte es dann mit dem Prädicat » nettes Würmchen « , gab es ihr bald zurück und meinte , kleine Kinder seien nur für die Mütter da . Ihr Kind war erst ein Jahr alt . Sie hatte es nicht selbst nähren können . Die Amme war als Wärterin geblieben , und naturgemäß hing das Kind vorläufig mehr an der Amme als an der Mutter . Sie liebte das Kleine von Herzen . Sie tändelte und spielte mit ihm , aber sie begriff nicht , wie ein so kleines Geschöpf in seiner rein vegetativen Existenz ein Menschenherz ausfüllen könne . Und doch behauptete man , daß es so sein müsse . War sie vielleicht keine gute Mutter ? Wenn diese Vorstellung sie peinigte , preßte sie das Kleine an sich und saugte sich an seinem Anblick fest , bis ihr Herz ganz von Zärtlichkeit überfloß und sie sich nun gefeit glaubte gegen jede Unbill des Schicksals . Eine Stunde später waren all' ihre Gedanken wieder bei Michael . Die schmerzende Liebe zu dem Gatten drängte die Mutterliebe in den Hintergrund . Es vergingen zuweilen Tage , ohne daß sich die Gatten sahen . Michael war oft zu Tisch ausgebeten und pflegte dann selten vor Mitternacht nach Hause zu kommen , und er hätte seine Gattin vielleicht halb vergessen , wenn nicht das Bewußtsein , ein grollendes Wesen im Hause zu haben , ihm verdrießlich gewesen wäre , ein Wesen , vor dem er dies und das geheim halten mußte , ein Zwang , der seiner souveränen , offenen und rücksichtslosen Natur widerstand . Während Käthe sich in trübes Träumen verlor , stand der , auf den sie wartete , ruhig vor seiner Staffelei , behaglich mit seinem Collegen und Freunde , Lorenz von Hellbach , plaudernd . Hellbachs Atelier lag auf demselben Corridor , unmittelbar neben dem Atelier Michaels . Beide waren positive , genußsüchtige Naturen . Was etwa unsterblich in ihnen war , entzündete sich an dem Feuer ihrer Kunstbegeisterung . Diese Begeisterung war echt . Sie hielten das Künstlerthum für die Achse , um die die Welt sich dreht . Gleichartiges in ihren Lebensschicksalen und in ihren künstlerischen Bestrebungen hatte sie zu einander geführt . Beide hatten , um die Arbeit mühsamen Emporklimmens zu sparen , reiche Frauen geheirathet . Beide stimmten darin überein , es müsse in der Malerei etwas Neues , noch nie Dagewesenes gemacht werden . Hellbach hatte es anfangs mit dem Ultra-Naturalismus versucht und mit Vorliebe alte Weiber und zerlumpte Bettler gemalt . Modelle dazu fanden nur in seinem Atelier Einlaß , wenn sie der Verpflichtung , sich acht Tage nicht zu waschen , nachgekommen waren . Er behauptete , es so weit in seinem Hypernaturalimus gebracht zu haben , daß man an einem Brotkrümchen im Bart seines Bettlers oder an einem Fleck auf seinem Rock unterscheiden könne , ob das Krümchen von Schwarz- oder Weißbrot , oder ob der Fleck von Obst oder Fett herrühre . Er hatte einige Erfolge zu verzeichnen gehabt , aber er wollte elektrisiren . Die Concurrenz auf diesem Gebiet war zu groß , und Größere als er errangen die Palme . » Ein mittelmäßiger Schuster ist erlaubt , « äußerte er einmal , » ein mittelmäßiger Künstler aber ist lächerlich . « Und er creirte ein neues Genre , er malte die Nacht , fast immer mit einer witzigen Pointe . » Nacht muß es sein , wo Hellbachs Sterne strahlen , « sagten seine Collegen von ihm . Seine Berühmtheit verdankte er einem Bilde , auf dem ein in tiefen Dämmer gehülltes Zimmer zu sehen , oder vielmehr kaum zu sehen war . Ob es die Dämmerung unmittelbar vor der Nacht oder das erste kaum wahrnehmbare Morgengrauen war , blieb dahingestellt . An der Wand etwas weißlich Schimmerndes , das ein Bild sein konnte , darunter die verschwommenen Umrisse eines Sophas und auf diesen Umrissen die schattenhaften Contoure eines Menschen , der etwas in der Hand hielt , das eine Cigarre zu sein schien . Und das war die Pointe des Bildes : der feurige Punkt der brennenden Cigarre , der , mitten aus dieser virtuos-gemalten Finsterniß herausblitzend , das Dunkel erhellte . Auf anderen seiner Bilder wurde die Nacht durch einsame Laternen , durch Irrlichter , Fisch- oder Katzenaugen , zarte Mondsicheln oder ähnliche lichtbringende Gegenstände gemildert . Michael war Impressionist bis an oder über die Grenze der Möglichkeit . Die ganze Wollust seiner sinnlichen , etwas brutalen Natur tobte er in Farbenfluthen aus . Die Farbe war für ihn die Ausgießung des heiligen Geistes . Aber nicht eine Taube , eher ein Colibri oder ein Pfau vermittelte die Lichteruption . Beide Maler klügelten und grübelten mit feiner Berechnung über ihre Compositionen . In der Ausführung aber überkam sie wirkliche Begeisterung , und so trugen ihre Bilder einen zugleich ergrübelten und genialen Charakter . In Temperament und Geistesart gingen die Freunde weit auseinander . Hellbach war Skeptiker , ein Denker mit philosophischen Allüren , der zielbewußt handelte . Michael fielen die Lebensfreuden von selbst in den Schoß . Alle Weiber waren in den kraftvoll schönen Menschen vernarrt . Er hatte blondes , kurzgeschorenes Haar , das wie eine Sammetbürste an der Stirn emporstand , graublaue Augen und einen röthlichen Bart . Die Nase war stark und kräftig , der Mund schön geschnitten , mit vollen Lippen , der Teint von blühender Zartheit wie der eines Mädchens . Michael malte , während er mit seinem Freunde plauderte . Plötzlich fiel ihm ein , daß Käthe auf ihn warte . Dann müsse er gehen , sagte Hellbach . » Ich muß ? Und wenn ich keine Lust habe ? Ueberdies ist 's auch schon zu spät , « setzte er mit einem Blick auf die Uhr hinzu . » Wie ich sie kenne , wartet sie noch auf Dich . « » Mag sie . « Hellbach machte ihm über die Rücksichtslosigkeit seiner Frau gegenüber Vorwürfe . Michael zuckte die Achseln . Daß man die Dummheit einer unüberlegten Heirath nicht zurücknehmen könne , sei ein Fehler in der Weltordnung . Er habe seiner Frau nichts vorzuwerfen , meinte Hellbach . » Nein , nur daß sie eine trockene und langweilige Madame ist , in der Liebe kalt , und Kunstverständniß hat sie nun schon gar nicht . « » Hättest Du ihr nicht das Verständniß dafür erschließen können ? « » Hieße leeres Stroh dreschen . Eine Frau , die mit einer braunen Kutte und einem Umschlagetuch im Hause umhergeht und sich vor einem decolletirten Kleide fürchtet – « Und eine femme modèle ist , « setzte Hellbach hinzu . » Hilft ihr gar nichts . Ich will ein Weib , ein königliches , in Purpur , und wenn ich das nicht haben kann , eine Melusine , Elfe , Nixe , Bajadere , meinetwegen eine Lemure , nur nicht so'n nettes , kleines Frauchen . Ich will heiße , saugende Augen , wie die auf dem Bild unseres berühmten Collegen , der die Sünde malen wollte . Sünde ! Sünde ist keine Farbe haben , kein Blut . Kein Temperament hat sie . Fahler Teint , der allenfalls zu rothem Haar möglich wäre , und sie hat eine schwarze Mähne . Weiß und schwarz – recht preußisch zwar , aber – unmalerisch . Höchstens bringt sie es einmal , wenn sie in Gala ist , zu einem matten Hauch von bleu mourante oder verhallendem Seegrün ; keine Spur von gebrannter Terracotta , ultramarin , roth oder Kupfer . Das ist , was ich brauche . Wenn man da mit dem Pinsel hineinarbeiten könnte ! Ihr Profil hat feine Linien . Das ist das Einzige . « Hellbach führte ihm zu Gemüth , daß er seiner Frau Dankbarkeit schulde , ohne ihre Mitgift hätte er seine künstlerische Eigenart nicht entfalten können . » Ach was ! Ich hätte mich auch ohne ihr Geld durchgerungen . Uebrigens , Du hast gut reden . Deine Pauline , ja , die hat keine niobidenhafte Posen , keine Märtyrerblicke und stumme Gardinenpredigten , die sich Einem auf die Nerven legen . Und wie brav sie für Dich kocht . « » Ich brauche sie auch wie das liebe Brot . « » Unter welchem lieben Brot Du Schnepfen , Trüffeln und dergleichen verstehst . « Lorenz lachte . – » Du weißt ja , daß ich nicht wie Du die Wahl hatte zwischen einer reichen Frau und vorübergehender Armuth . Meine Alternative war : Pauline oder der Revolver . « Michael wußte es . Lorenz Hellbach war Offizier gewesen . Einer Lappalie wegen hatte ihn ein Kamerad , der beste Schütze des Regiments , gefordert . Hellbach zweifelte nicht einen Augenblick daran , daß sein Gegner ihn tödten würde . Er calculirte , daß das Leben mit zweifelhafter Ehre einem unzweifelhaften Tode vorzuziehen sei , und lehnte das Duell ab , worauf er selbstverständlich den Abschied nehmen mußte . Er leistete sich den Schwur , daß er eines Tages seine Ehre wieder einlösen würde und zwar – durch Künstlerruhm . Schon als Offizier hatte er sich durch seine künstlerische Begabung ausgezeichnet . Eine geistreiche Caricatur , die er von jenem Kameraden angefertigt , war eben die Veranlassung zu der Herausforderung gewesen . Er war ganz mittellos . Es bedurfte einiger Jahre ernster , mühevoller Studien , wenn er sein Ziel erreichen wollte . Er kannte damals schon Pauline , die Tochter eines durch Terrainverkäufe in der Umgegend Berlins reichgewordenen Halbbauern . Das Mädchen hatte sich bei Gelegenheit eines Manövers , das den schmucken Offizier in ihr elterliches Haus führte , in ihn verliebt und hatte ihn seitdem nicht aus den Augen verloren . Er schlug jetzt aus seiner Verabschiedung Capital , indem er dem Mädchen einredete , daß er um ihretwillen den Abschied genommen . Nachdem er Pauline , die nur über einfache Volksschulbildung verfügte , geheirathet , wußte er durch raffinirt schlaue Taktik die naive und leichtgläubige Frau in eine Lebensweise hinein zu schmeicheln und zu lügen , die schließlich zur Zufriedenheit aller Betheiligten ausschlug . Er ließ ihr völlige Freiheit im Verkehr mit den Ihrigen und nahm für sich dieselbe Freiheit in Anspruch . » Warum , « setzte er das Gespräch mit seinem Freunde fort , » entwaffnest Du Deine Frau nicht durch Liebenswürdigkeit , durch Herzlichkeit , wie ich es thue . « » Weil Du ein Strick bist und ich nicht . Uebrigens ist unsere Lage auch eine ganz verschiedene . « » Gewiß . Ich brauche meine Frau , und Du brauchst die Deinige nicht mehr . Die verrückten Engländer bezahlen Dir ja Nabobspreise . Schade , daß wir nicht mit unseren Frauen tauschen können ! « » Käthe gefällt Dir ? « » Ja . « » Immerzu . Du bist ja mein Freund . « » In Betreff Deiner Frau zähle nicht auf meine Loyalität . Auf diesem Gebiet nehme ich , was ich kriegen kann . « Michael lachte etwas gezwungen . Es thäte nichts , da er seiner tugendhaften Ehehälfte nur zu sicher wäre . » Eifersüchtig ? « » Auf meine Ehre höchstens . « Hellbach schnitt eine Grimasse . Als Michael jetzt den Pinsel fortlegte , forderte ihn Hellbach auf , mit hinüber zu kommen , um ein Urtheil über den Fortschritt an seiner neuesten » Nacht « abzugeben . Einige Minuten später stieg Käthe die Stufen zum Atelier hinauf . In einer zornigen Aufwallung hatte sie sich ihrer Unterwürfigkeit geschämt . Wie konnte er der Gattin verbieten , sein Atelier zu betreten , das jedem Fremden offen stand . Vielleicht hatte er bei allzu eifrigem Malen sein Versprechen nur vergessen . Es konnte ihn nicht verletzen , wenn sie ihn daran erinnerte . Sie öffnete langsam und zögernd die Thür des Ateliers . Ein herber , bitterer Zug zeigte sich auf ihrem Gesicht , als sie es leer fand . Wie hatte sie nur annehmen können , daß er sie heute nicht vergessen würde ! vergaß er sie nicht immer ? Eine eigenthümliche , schwüle parfümirte Atmosphäre herrschte in dem Raum , die ihr den Athem beklemmte . Ueber eine breite Ottomane , deren Lehne orientalische Kissen bildeten , war ein Pantherfell geworfen , dessen Krallen sich in den weichen Fußteppich verloren . Ein Sammetkissen am Kopfende der Ottomane war in der Mitte eingedrückt . Da hatte vermuthlich der Kopf eines Modells geruht . Sie wußte ja , er brauchte Modelle , dennoch wandte sie den Kopf mit Widerwillen von dem Ruhebett ab . Ihre Blicke irrten umher und hafteten schließlich an dem fertigen Bilde , das auf der Staffelei stand . Fast hätte sie gelacht . Was sollte das nun wieder vorstellen ! Sie verstand es absolut nicht ! Ein nacktes Weib mit feuerfarbenem Haar steht auf einem wiesenartigen Terrain in einer blühenden , glühenden blauen Farbentollheit , ein blaues schleierhaftes Gewand hinter dem Rücken haltend . Bäume , Himmel und Luft rieseln als bläuliche Farben nieder , und aus diesem Wolkenbruch von Farbe schimmern die perlmutterschillernden Glieder des Weibes . Der Kopf ist flüchtig behandelt . Das Haar ist die Hauptsache , es lebt , leuchtet , wallt und löst sich wie ein Knotenschweif in das fluthende Blau auf . Der Uebermuth dieser Farbenwollust wirkte wie schmetternde Fanfarenmusik . Die Farbe hatte sich bei Michael Böhmer vom Stoff emancipirt , sie war Selbstzweck geworden . Der eine hochgehaltene Arm des Weibes verdeckt einen Theil des Kopfes . Ein schmales Profil sieht aus dem Bilde heraus . Und dieses Profil ! Käthes Augen , die immer größer werden , starren darauf . Sie drückt die geballten , kleinen Fäuste gegen die Schläfe , sie glaubt nicht recht gesehen zu haben . Mit aller Gewalt nimmt sie sich zusammen und prüft eingehend , sorgfältig . Kein Zweifel , es ist ihr Profil , Zug für Zug . Ihr Gesicht auf dem üppigen , strahlenden Leib des Weibes da . Wie hilfesuchend blickt sie im Zimmer umher , und dann – in nicht zu dämmendem Zorn ergreift sie einen Pinsel – der Kopf soll fort ! Michael hat die Thür geöffnet . Sie hält den Pinsel noch hoch in der Hand . Erstaunt blickt er in ihr entstelltes Gesicht , auf den Pinsel in ihrer Hand . » Was willst Du hier ? und der Pinsel da – – « » Ich wollte , « – stammelt sie abgebrochen – » das Gesicht da , – mein Gesicht – es soll fort ! fort ! abscheulich ! abscheulich ! « Er reißt ihr den Pinsel aus der Hand und schleudert ihn zu Boden . Er hätte sie schlagen mögen . Mit aller Gewalt zwingt er einen aufsteigenden Jähzorn nieder . Ja , Dein Profil , es paßte mir gerade in den Farbenglanz da . Das farblose , ausdruckslose Profil ist ja völlig gleichgiltig in dem Bilde , kein Mensch wird es beachten . « Die Geringschätzung , die in seinen Worten liegt , bringt sie außer sich . Sie bricht in krampfhaftes Schluchzen aus . – » Ich ertrage es nicht , nein – nein , ich ertrage es nicht mehr ! « » Wer zwingt Dich , es zu ertragen ! « sagt er mit kalter Wuth , die an die Stelle des Jähzorns getreten ist . Daß sie aus alberner Prüderie fast sein Bild zerstört , verzeiht er ihr nie . Sie hört auf zu schluchzen und sieht ihn verständnißlos an . » Was – was meinst Du – damit ? « » Laß Dich scheiden . « Ihr Athem stockt . – » Du willst – geschieden sein ? « » Ja . Ich kann nicht zusammenleben mit einer Frau , die das chronische Bedürfniß hat , sich unglücklich zu fühlen . « » Und bin ich es nicht ? « haucht sie kaum hörbar . Er überhört geflissentlich ihre Worte . – » Ich brauche Sonne , Licht , Farbe . Ich langweile Dich , Du mich ! Du bist wie eine Trauerfahne auf meinem Hause , die die Freude abwinkt . Du verstehst das nicht . Du verstehst mich überhaupt nicht . Mager ist Alles in Dir – an Dir . Trennen wir uns . Du bist ja reich . Du brauchst mich nicht . Du hast ja das Kind . « » Michael ! Michael ! Es ist Deine Pflicht – – « » Pflicht ! immer Pflicht ! Es ist nicht alle Tage Aschermittwoch ! « Er hatte angefangen in einer Studienmappe zu wühlen . Jetzt schlug er die Mappe mit Geräusch zu und griff nach seinem Hut . Sie starrte ihn wie abwesend an . » Du hast Zeit , nachzudenken . Meine Arbeit am Rhein wird drei bis vier Monate dauern . Du wirst einsehen , daß die Scheidung eine sittliche Nothwendigkeit für uns ist . In einer Zwangsehe wirst Du nicht bleiben wollen , ich auch nicht . Adieu ! « Damit ging er . Im Hinabgehen war ihm leicht und wohl zu Muthe , wie Einem , der eine lästige Bürde von sich geworfen . Er hatte ausgesprochen , was schon längst als ein geheimer Wunsch in ihm lebte , und was ohne diese günstige Gelegenheit nicht so bald zum Austrag gekommen wäre . Mit einem halben Lächeln auf den Lippen dachte er an die » sittliche Nothwendigkeit « , die er so geschickt lancirt hatte . Uebrigens lag nicht wirklich Charakter-Noblesse darin , daß er eine reiche Frau aufgab ? Auf der Straße zündete er sich eine Cigarette an und dachte an seine Herzallerliebste , und wie viel freier sich jetzt sein Verkehr mit ihr gestalten würde . Vor seiner Abreise , die in der Abendstunde erfolgte , sah er Käthe nicht wieder . Die arme , junge Frau blieb , wie gelähmt an allen Gliedern , im Atelier zurück . Sie wollte fort und sank doch auf die Ottomane zurück . Wie gleichgiltig war ihr nun , wer vor ihr da geruht . Scheidung ! Von dem Manne , den sie liebte ! Es war als wenn man ihr ein kaltes Messer in die Brust stieß . Sie faßte es nicht . An verhängnißvollen Wendepunkten des Lebens erinnern wir uns oft plötzlich an Thatsachen und Menschen , die dem Gedächtniß fast entschwunden waren . Vielleicht war es auch das drängende Sehnen nach einem Mitfühlenden , daß Käthe jetzt an Carl Nort denken mußte . Onkel Carl , ja , den hatte sie nie gelangweilt , der hatte sie lieb gehabt , innig lieb , und er war auch der Einzige auf der ganzen , weiten Welt , der Einzige , der ihr rathen , ihr helfen konnte . Sie erinnerte sich seines Abschiedsbriefes . » Brauchst Du mich , Käthchen , « – so hieß es in dem Brief – so rufe mich . Ich komme . « Ja , sie brauchte ihn , er sollte kommen . Ohne sich die Zeit zu lassen , in ihr Zimmer zu gehen , trat sie an Michaels Schreibtisch . In fliegender Hast begann sie an Onkel Carl zu schreiben , heiße , beredte , schmerzgetränkte Worte – und ihre Thränen strömten über das Papier hin . So vertieft war sie in den Brief , daß sie das Oeffnen der Atelierthüre überhörte . Erst als Lorenz von Hellbach sie begrüßte , schrak sie empor . Ohne sich einen Augenblick zu besinnen , stürzte sie auf das Bild zu und verhüllte es . Es fiel ihr nicht ein , daß er das Bild ja schon kennen mußte . Ihm ihr thränenbethautes Gesicht zu verbergen , daran hatte sie nicht gedacht . Lorenz hatte nebenan in seinem Atelier die erhobene Stimme Michaels , er hatte das Aufschluchzen Käthes und die sich entfernenden Schritte des Collegen gehört . Er wußte , daß er Käthe allein treffen würde . » Frau Katharina ! « Seine Stimme klang weich und gedämpft . Er hatte sie bis dahin nie mit Vornamen genannt . Es fiel ihr nicht auf . Michael ist nicht da , was wollen Sie hier ? « stieß sie heftig hervor . Er schwieg und sah sie an . Jetzt erst dachte sie an ihr verweintes Gesicht . Sich abwendend trocknete sie schnell und verstohlen die Augen und stotterte dann einige gleichgiltige Worte hervor , über die Ausstellung , in die sie eben gehen wollte , und ob er glaube , daß es heut draußen kälter sei als gestern . Mitten im Satz brach sie ab , und von Neuem flossen ihre Thränen . Sie entschuldigte sich , ihr wäre nicht wohl . » Weinen Sie doch , Katharina , weinen Sie , ich weiß ja längst , daß Sie unglücklich sind . Ich weiß auch , warum Sie es sind , und warum Sie es heut mehr als je sind . « » Er hat es Ihnen gesagt ! Er selbst ? « Sie bebte an allen Gliedern . Er schwieg . Sie nahm es für eine Bejahung . So war also die Scheidung ein wohlüberlegter Plan . » Ja , « sagte sie tonlos , mit weitgeöffneten Augen vor sich hinstarrend , » er will sich scheiden lassen . « Lorenz war fast gerührt , daß sie ihm so treuherzig verrieth , was er noch nicht wußte . Er brachte einige landläufige Tröstungen vor über Künstlerexistenzen , die sich mit gewöhnlichem Maßstab nicht messen lassen . » Er hat mich meiner Mitgift wegen geheirathet ! « » Urtheilen Sie nicht zu hart . Sie verurtheilen mich zugleich mit Ihrem Gatten . « Käthe wurde roth . Wie hatte sie daran nicht denken können . So meinen Sie auch , « sagte sie ablenkend , » daß ein Künstler eine andere Moral haben darf als andere Menschen ? « Er schwieg einen Augenblick wie in Verlegenheit . » Nein , « sagte er dann , » verzeihen Sie Katharina , daß ich Ihnen gegenüber eine Phrase gebrauchte . « » Was soll ich denn thun ! « Mit rührender Hilflosigkeit sah sie zu ihm auf . Hellbach war seit Jahren der einzige Mensch , der ihr Theilnahme gezeigt , der sich in Gesellschaften ihrer angenommen , und dem sich in besonders freundlichen Momenten ihr sinnendes Wesen erschlossen hatte . Darum faßte sie jetzt Vertrauen zu ihm . » Sie sind so positiv , so praktisch , Michael sagt es – « » Sie meinen , « unterbrach er sie , » daß ich selbstsüchtig und vulgär bin . Nicht immer bin ich so praktisch , so positiv , wie Sie denken . Jeder Mensch , Frau Katharina , birgt in seinem Innern neben der berüchtigten bête humaine , umgekehrt auch einen Himmelsrest , ein Uebersinnliches , das er in einem Heiligenschrein hütet . Die Einen placiren in diesen Schrein die Kunst oder die Wissenschaft , die Anderen politische Schwärmerei oder die Religion . Mein Himmelsrest – was ich für Sie empfinde Katharina , das ist's ! « » Erschrecken Sie nicht , « fuhr er fort , als er ihre abwehrende Bewegung sah . » Sie sind ja die Madonna in meinem Heiligenschrein . Ich male jetzt an einem Bilde . Unter blassen Sternen , aus weißen Linien schwebt ein engelgleiches Wesen , den Leib von Mondstrahlen verhüllt – Sie Katharina . « Mit raffinirter Berechnung hatte Lorenz Hellbach den Moment gewählt , wo Katharina gedemüthigt , gebrochen , sich an seiner Bewunderung aufrichten mußte . Und in der That trank ihr in den Staub getretenes Herz mit Begierde seine Worte , die sie in jedem anderen Augenblick ihres Lebens indignirt zurückgewiesen hätte . An Michael dachte sie , nur an Michael . So konnte sie also verehrt , bewundert werden , und nicht etwa von dem ersten Besten , nein , von Lorenz von Hellbach , den Vielbegehrten , Vielgepriesenen . » Und er will sich doch von mir scheiden lassen . « Wie der Klageschrei einer verwundeten Taube klang es . Hellbach , etwas ermüdet von der Excursion auf die poetische Gefühlswiese , lenkte gern wieder in den Ton des praktischen Freundes ein . » Es wird nicht dahin kommen , Katharina , er soll Sie sehen , wie ich Sie sehe . Ich helfe Ihnen . Ich ! Von heut an , mit Leib und Seele Ihr Freund ! « Er drückte ihr , sich verabschiedend , herzlich die Hand . Katharina Böhmer , die unscheinbare , von Niemand beachtete , hatte Hellbach in der That von Anfang an angezogen . Das blasse Gesichtchen unter dem schwarzen , atlasglänzenden Haar , das sinnend Träumende ihres Blickes , die überschlanke , zarte Gestalt , ihre Weltunerfahrenheit , mit einem Wort , daß sie anders war als alle Frauen , die er kannte , das reizte seine Neugier und pochte zugleich an den Himmelsrest in ihm . Er war der groben Sprache der Cocotten und der lüsternen Hohlheit der Mondaines überdrüssig . Von den Letzteren hatte er einmal gesagt , sie wären wie Aushängeschilder , auf denen die feinsten Delicatessen versprochen würden , was aber wirklich geliefert würde , sei von geringer Qualität . Bis jetzt war kaum eine Hoffnung oder ein unlauterer Wunsch mit seinem Interesse für Käthe verknüpft gewesen . Nun aber , da die Situation sich so gänzlich zu seinem Vortheil verändert hatte , war er entschlossen das Abenteuer ihrer Eroberung zu bestehen . Als Hellbach gegangen war , blieb Käthe im Atelier stehen , erstaunt , erschreckt über die plötzliche Intimität zwischen ihm und ihr . Aber Michael ist es ja , der ihn zum Vertrauten gemacht hat , da kam die Intimität ganz von selbst . Und er will ihr ja helfen . Ob er es kann ? « Ihre Gedanken kehrten zu Carl Nort zurück , dem einzigen Freund , der so klug ist und die Güte selber . Sie beendet in Hast den angefangenen Brief und eilt fort aus dem Atelier . Sie will den Brief selbst auf die Post bringen , als ob es auf einen Tag , auf eine Stunde ankäme . Was sie auch hinaustreibt aus dem Hause ist die vage Empfindung , als könne sie sich und ihre wirre Qual in dem Gewühl und Lärm der Straßen loswerden . Als sie den Brief in der Leipzigerstraße in die Hauptpost geworfen , biegt sie unwillkürlich in die Wilhelmstraße ein und bleibt vor dem Architektenhause stehen , wo das Bild ihres Mannes ausgestellt ist . Ja , sie will das Bild sehen , das bewunderte . Schon vom Eingang des Saales aus erkennt sie es . Betäubend , sinnverwirrend springt es ihr in die Augen . Eine elegante Dame steht vor dem Bilde . Käthe will warten , bis sich die Dame entfernt hat . Die Dame entfernt sich aber nicht . Sie bleibt unbeweglich . Käthe stellt sich neben sie , die großen erstaunten Augen auf das Bild heftend . Das Meer ! als eine einzige wallende Rosengluth flutet es ihr entgegen , das Meer , wie ein dämonischer Choral beim Untergang der Götterwelt . Es stellt aber keinen Untergang dar , es ist die Morgenröthe des Wassers , die Geburt der Venus . Im Vordergrund klingt die Farbe in schmachtend zarte Süße aus , im Hintergrund verliert sich das Meer in purpurdämmerndes Violett von geheimnißreicher Pracht . Die Gestalt der Venus , die aus dem flüssig rosenfarbenen Gold emportaucht , von schattenhaften Tauben umflattert , ist nur Staffage . Wieder hat sie dasselbe feuerfarbene Haar wie die Sirene , das , in alle Winde wehend , im Widerschein des aufglühenden Meeres leuchtet . Unwillkürlich schüttelt Käthe langsam den Kopf . Die Dame neben ihr bemerkt es . » Wie ? finden Sie das Bild nicht hinreißend , « » ist das nicht – – « Sie kommt nicht weiter . Sie starrt Käthe gerade ins Gesicht . Im nächsten Augenblick fühlt sich Käthe von ihren Armen umschlungen . » Käthe ! Käthe ! « Erst allmählich , mehr am Klange der Stimme , als an den Gesichtszügen erkennt Käthe sie , doch kommt der Name noch unsicher , zögernd von ihren Lippen . » Dörthe ? « » Ja Dörthe ! natürlich , wer denn sonst ! « Beider Augen waren feucht geworden in der Freude des Wiedersehens . Rasch und lebhaft wurden Fragen und Antworten zwischen den Jugendfreundinnen ausgetauscht . Ob sie denn nicht Schauspielerin geworden ? fragte Käthe . Ja natürlich , da sie doch » aus Liebe zur Kunst « durchgebrannt sei . Diese Liebe wäre aber nur die Sommerfliege einer Wintersaison gewesen . Ein Banquier , Mammonsknecht natürlich , habe sie bald den Brettern entführt . » Ich habe Dich auf den ersten Blick erkannt , Käthe , Du aber hast mich nicht erkannt . « Dörthe sagte es vorwurfsvoll . Käthe entschuldigte sich damit , daß die Freundin so viel schöner geworden sei , eine ganz Andere . Und sie blickte verlegen in das rosige Gesicht , auf das goldröthliche Haar Dörthes . Dörthe lachte auf . » Ach so , Du vermißt mein semmelblondes Zöpfchen und mein bräunliches Fell . Abgeschafft ! abgeschafft ! Und überhaupt , daß ich nicht mehr das kleine murkliche Ding bin . Na , sehe ich passabel aus ? Was ? « Käthe musterte sie mit einem Erstaunen , das an Erschrecken grenzte . In der That , Dörthe war eine auffallend hübsche Erscheinung mit dem vollen , röthlichen Haar , das sich über eine weiße Stirn kräuselte , mit den brennend rothen schwellenden Lippen und den etwas tiefliegenden Veilchenaugen , denen eine leichte dunkle Umsäumung ein listig funkelndes Licht verlieh . Ihre reiche und elegante Kleidung hatte einen kleinen Stich ins Phantastische , und vielleicht war sie ein wenig zu stark parfümirt . Käthe fragte , ob sie ebenso glücklich wie schön geworden sei . Na , sie könnte ja so weit ganz zufrieden sein , wenn ihre Sentimentalität ihr nicht zuweilen einen Strich durch die Rechnung – oder eigentlich durch die Rechnungen machte , die immer enorm hoch wären , und doch – fügte sie mit einem Seufzer stärksten Kalibers hinzu – habe sie Augenblicke , wo sie sich nach dem kleinen Laden ihrer Eltern zurücksehne , nach dem dicken , schwarzgrauen Kachelofen , der so oft rauchte , nach dem Eierkuchen mit Speck , von dem sie leider nie genug kriegte , und vor Allem nach dem lieben alten Namen Dörthe . Wie lange habe sie das traute » Dörthe « nicht gehört ! Sie hieße ja jetzt , je nach dem Geschmack derer , die das Recht hätten , sich ihres Vornamens zu bedienen , Dora oder Dorette , bei feierlichen Veranlassungen , wie z.B. bei häuslichem Zank oder Condolenzbesuchen , Dorothea ; und Leute , die zu Verwechselungen geneigt seien , verstiegen sich sogar manchmal zu einer pathetischen » Theodora « . » Und Dein Mann ? « fragte Käthe . » Ach der – ein guter Dicker – Schwamm drüber . « Die derbe Ausdrucksweise Dörthes verletzte Käthe ; sie war zwar schon als Schulmädchen forsch und lustig gewesen , ihr burschikoses Wesen hatte sich aber bedenklich gesteigert . » Du hast also Deinen Mann geheirathet , ohne ihn zu lieben ? « Dörthe blickte Käthe mit einem schäkernden Ausdruck von unten herauf an und sagte : » Na , denke einmal , ich hätte den kleinen Krämer , der mich damals zur Herrin seines Herzens und seiner Boutike machen wollte , geheirathet . O Gott ! ich wäre jetzt vierzig Jahre alt , anstatt sechsundzwanzig , hätte Falten um die Augen , ein halbes Dutzend blühender , wenn auch etwas malproprer Kinder , und einen Mann in einem carrirten Schlafrock , der mich schlecht behandelte , wobei ihm eine Schwiegermutter helfend zur Seite stünde ; und eines Tages wäre mir sachte die Puste ausgegangen , und ich hätte es kaum bemerkt , denn in einem solchen sogenannten Dasein ist der Unterschied zwischen › Sein ‹ und › Nichtsein ‹ unerheblich . Uebrigens , könnte ich nicht auch mein Herz auf dem Altar der Kindesliebe geopfert haben ! « Sie räusperte sich . Sie that das jedes Mal , wenn sie sich einer Bildungsphrase aus der Zeit , wo sie noch eine höhere Schultochter war , bediente . Und plötzlich wurde sie weich . » Mutterchen hat mir geschrieben , wie Du Dich ihrer angenommen hast in der Zeit ihrer Noth und ihres Kummers um mich . Das vergesse ich Dir nie ! « Und sie umarmte Käthe mit aufrichtiger Herzlichkeit . » Und nun sage mir , Du allerfeinster Tugendspiegel , bist Du denn so glücklich geworden , wie Du es verdient hast ? « Käthes Blick trübte sich . » Was ! das Schicksal hat Dich doch nicht etwa in Gestalt einer Glatze oder eines schlechten Charakters ereilt ? « Käthes Augen füllten sich mit Thränen . » Ach so ! « Dörthe schnalzte mitleidig mit der Zunge . In dem Saal , der bisher leer gewesen war , wurde auffallend laut gesprochen . Käthe sah sich erschreckt um . » Es sind nur Aristokraten , « sagte Dörthe . » Zwei Aristokraten machen mehr Spektakel als zwanzig Bürgerliche . « Sie schlug Käthe vor , mit ihr in den Thiergarten zu fahren , wo sie ungestört wären . Käthe war einverstanden . Im Thiergarten setzten sie sich auf eine einsame Bank unter die Statue der Flora . » So , nun wird Herzblättchen seine Herzensgeschichte in meinen treuen und verschwiegenen Busen ausschütten , « sagte Dörthe , indem sie Käthe zärtlich wie ein Kind umfaßte . » Sprich ! ist er ein Pascha ? ein Othello ? ein viveur oder ein Gigerl ? « Käthes Thränen flossen jetzt unaufhaltsam , und in abgebrochenen Sätzen , unter Schluchzen erfuhr Dörthe Alles , was man ihr angethan , und auch das Letzte , die beabsichtigte Scheidung . Und daran würde sie sterben . « » So sehr liebst Du ihn . « » Ja , so sehr . « Plötzlich fiel Dörthe ein , daß sie ja noch nicht ein mal wisse , wer und was dieser Banause , der Käthes Liebe verschmähe , sei . » Michael Böhmer , « antwortete Käthe auf ihre Frage , » der Maler des Bildes , vor dem wir uns trafen . « Dörthe bekam einen starken Hustenanfall und wandte sich ab . » Laß nur , « sagte sie beschwichtigend zu Käthe , die sich um sie bemühte , » es wird vorübergehen . « Sie barg eine Weile den Kopf in ihren Arm , der auf der Lehne der Bank ruhte . Als sie sich wieder umwandte , war etwas Unsicheres , Flackerndes in ihren Augen . » Ich kenne Michael Böhmer . « Ein leichtes Zittern war in ihrer Stimme . Woher ? « » Ich erzähle es Dir ein ander Mal . Wer kennt übrigens den berühmten Maler nicht ! Und Du liebst ihn sehr ? wirklich sehr ? « fragte sie noch einmal und mit einer gewissen Heftigkeit . Käthe sah mit einem hilflosen Blick zu ihr auf : » Verachte mich deshalb nicht . « » Ich Dich verachten ! « Dörthe stand auf . Sie müsse jetzt nach Hause . Käthe wollte sie begleiten , sie lehnte es ab . Ihre Wohnung sei in der Mauserung , Alles drunter und drüber , Umbau – Kalk – Schutt . Sie wolle lieber zu Käthe kommen . Der berühmte Maler sei ja verreist . Woher sie das wisse ? Käthe habe es ihr ja selber gesagt . Käthe erinnerte sich dessen nicht , zweifelte aber nicht an der Thatsache . » Ein solches Glück , daß ich Dich gefunden habe , « sagte Käthe , » ich habe ein Vorgefühl , es wird nun Alles besser werden . Du warst immer so gut ! so gut ! « » Ich gut ? war ich das ? wirklich ? « Ein bitterer Zug spielte einen Augenblick um Dörthes volle Lippen . Dann nahm ihr rundes Gesicht einen sehr ernsten Ausdruck an , ihre Gestalt schien zu wachsen . » Ja , Käthe , ich helfe Dir , so wahr Du meiner Mutter geholfen hast . Er , Dein Michael soll Dich lieben , wie Du geliebt sein willst . « » Wie kannst Du das ? « Sie lächelte mit einem etwas geringschätzig trüben Lächeln . Qui vivra , verra . « Sie küßten sich noch einmal . Bei dem nächsten Droschkenstand trennten sie sich , nachdem sie für den folgenden Tag ein Rendezvous verabredet hatten . Käthe ging zu Fuß nach Haus . Am Nachmittag des nächsten Tages , als Dörthe bei Käthe erschien , wurde sie von der Jugendfreundin mit liebevoller Herzlichkeit empfangen . Eine gemüthvolle Plauderei , voll Erinnerungen an ihre Kinderjahre , brach Dörthe mit dem Bemerken ab , daß sie nicht gekommen sei , um verflossene Gefühle aufzuwärmen , sondern um ihr zu helfen . Käthe fragte etwas ängstlich , ob sie etwa daran denke , wenn Michael wieder da sei , ihm Vorstellungen zu machen . Nein , daran dachte Dörthe durchaus nicht . Käthe selbst solle ihres Glückes Schmied sein , sie brauche nur zu sagen , auf welchen Grad und auf welches Genre von Liebe sie bei Michael reflectire . Käthe sah sie verständnißlos und fragend an . Dörthe ließ ihre Blicke über das Zimmer und über Käthes Erscheinung schweifen und schüttelte mißbilligend den Kopf . » Höre Käthe , wer den Zweck will , darf die Mittel nicht scheuen . Hier muß Alles anders , wie wir Berliner sagen , verrunjenirt werden , von dem Salon angefangen , bis zu den Tiefen Deiner Seele herunter . « Käthe lehnte sich verwirrt in die Sophakissen zurück und lächelte matt . Sprich nur ! « » Grundprincip : Alles muß werden , wie Dein Mann es will , ich könnte auch sagen , wie die Männer es wollen . Sie wollen alle so ziemlich dasselbe . Fasse zunächst einmal diesen Salon , der seinen Beruf verfehlt hat , ins Auge , in's künstlerische Auge . Wo ist das sibirische Bärenfell ? wo der persische Teppich ? wo das Feuer im Kamin ? keine Farbe , keine Form , dagegen ein Clavier , ein veritables , weitläufiges Clavier ! Und Dein Schreibtisch , ein wahres Bureaukraten-Ungethüm mit Leder ! brr ! Die Polster – brauner Rips ! warum nicht gar schwarzes Roßhaar ! Fehlte nur noch ein Piepmätzchen und ein Epheugitter . Und die eingerahmten Photographien da aus dem Kaulbachalbum ! « » Aber es sind Kupferstiche , ganz theure , « vertheidigte sich Käthe . » So verkaufe sie und schaffe Dir dafür etwas Rubens'sches an . Dein Salon ist ja ein ganz nettes Stübeken für einen ältlichen Geheimsecretär , um darin mit seinem Ehegespons Familienkaffee zu schlürfen ; einen genialen Künster aber wie Böhmer , den graulst Du ja mit einem solchen Zimmer in – schönere Locale . « » Aber Dörthe ! aber Dörthe ! « Das war das Einzige , was Käthe ab und zu einzuwerfen vermochte . Dörthe ließ sich in ihrem Redefluß nicht unterbrechen . » Und Du selbst , « fuhr sie fort , » Dein Exterieur ! das reine Pendant zu Deiner › Stube ‹ . Die Haarpuffen da oben auf Deinem Kopf , und der weggezogene Scheitel zu Deinem schmalen blassen Gesicht ! Du verdienst gar nicht Dein rares , rabenschwarzes , atlasglänzendes Haar . – Wie eine kleine Bürgersfrau aus Berlin N. siehst Du aus . Diese Damen haben meist schlechtsitzende Kleider oder keine Taille , oder Beides Bei so einem Farbenfex , wie Dein Mann ist , mußt Du auf die Sinne wirken , seien wir milde und sagen wir , auf die Schönheitssinne . « » Weine nur nicht Lämmchen , « tröstete sie Käthe , der die Thränen wieder über die Wange liefen . » Wir spielen Zaubermärchen . Aschenputtel wird Prinzessin und kriegt Kleider wie Sonne , Mond und Sterne . Du hast doch Geld ? « Es zeigte sich , daß Käthe mehr Geld hatte , als das von Dörthe geplante Zaubermärchen erforderte . Ihrer Meinung nach bedurfte es gar keiner gediegenen Pracht , weder für die Wohnung , noch für die Toilette , nur ein bischen Flunkerei , so obenauf . Käthe warf schüchtern ein , daß Toilette sie nicht schöner machen würde , als sie von Natur sei . » Meinst Du ? Ich sage Dir , um für schön zu gelten , braucht man nicht im Mindesten schön zu sein . « Käthe schüttelte ungläubig den Kopf . » Treten wir sofort den Beweis der Wahrheit an . « Damit zerrte Dörthe die Freundin vor einen Spiegel . Wer ist hübscher , Du oder ich ? Vor Gott bist Du tausendmal schöner als ich . Vor den Menschen – worunter man doch eigentlich nur die Männer versteht – bin ich tausendmal schöner als Du . Warum ? weil ich den Rummel kenne und gerissen bin , und weil Du den Rummel nicht kennst und nicht gerissen bist . Von Natur bin ich , – Du weißt das ganz gut – weder hübsch noch häßlich und sehe nach gar nichts aus . Fasse mich scharf in's Auge , ich nehme es nicht übel . Statt meines natürlichen belanglosen , fahlen Rattenschwänzchens , sieh – diese goldene Mähne ! Wo einst mein brouillirter Teint mir Kummer machte – Lilien und Rosen . Ich bin noch nicht fertig , « sagte sie , als Käthe sie unterbrechen wollte . » Jotte doch , ich bin sans phrase mager . Wäre ich berühmt wie Sarah Bernhard , die Witze , die man aus meinen Ellbogen und Schulterknochen drechseln würde ! Ich thue aber üppig . Sieh nur dieses Gepuffe und Gepumple an meiner Robe ! Mein Mann weiß ganz gut , daß ich kein üppiges Weib bin , weil mich aber alle Anderen dafür halten , fühlt er sich seiner Sache nicht sicher . Hätte ich bleiben wollen , wie die Stiefmutter Natur mich gewollt , kein Hahn – worunter ich wieder die Männer verstehe – hätte nach mir gekräht . « Käthe fühlte sich durch Dörthes frivole Reden auf 's peinlichste berührt , Dörthe sah es und suchte ihren Standpunkt zu vertheidigen . » Du hältst wohl gefärbtes Haar für unmoralisch ? Und was sagst Du zu einem gefärbten Geist ? zu gefärbten Gedanken , die doch alle Welt hat und haben muß ? Unsere Reichstagsmitglieder z.B. Glaubst Du , daß da ein Einziger sagt , was er denkt – die Phönixe natürlich ausgenommen ? – alle Tartüffs , kleinere und größere . Ich finde die Lilien und Rosen auf meinen Wangen moralischer als die Stilblüthen dieser Herren , die , wie Du es ja gedruckt in allen möglichen Journalen lesen kannst , das Volksleben vergiften . Ich schade doch mit meinem bischen Tünche Niemandem , nütze im Gegentheil nicht nur mir , sondern auch jedem ästhetisch fühlenden Menschenbruder , nicht zu verwechseln mit Menschenschwester . « » Und wenn Dein Mann dahinter kommt , daß Du Dich färbst ? « Dörthe lachte hell auf . » O , Du kleiner Schatz , er weiß es und läßt sich nichtsdestoweniger von meinem Farbenreiz blenden . Merke Dir , die Männer sehen fast nie mit eigenen Augen , sondern nur mit den Augen der Anderen . Gefalle allen Anderen , so gefällst Du dem Einen auch . Und dann , sie haben gar kein Abstractionsvermögen ; sie können sich gar nicht vorstellen , wie wir aussehen würden ohne unsere künstlichen Drumrums . Die Thatsache unseres Schönaussehens genügt ihnen . « Käthes Mißbehagen verstärkte sich . Sie wollte nichts mehr hören . » Aber Lämmchen , nimm doch Vernunft an . Wenn Du Deinen Mann haben willst , mußt Du doch sein , wie er Dich will . So ein correctes , braves , decent angezogenes kleines Weibchen ist ja für viele Männer sehr erfreulich , ein Michael Böhmer verlangt mehr . « Dörthe fühlte , daß sie vorläufig nicht weiter gehen dürfe . Sie sprang lustig auf . » Genug für heut . Ich bin des trockenen Tons nun satt . Das nächste Mal spazieren wir von Deinem Exterieur zu Deinem Interieur herunter . Jetzt wollen wir vergnügt sein . Hast Du Wein ? « Der Wein wurde gebracht . Dörthe trank wie ein Alter , rauchte eine Cigarette dazu und wurde immer aufgeräumter . Sie ahmte verschiedenen Leuten ihrer Bekanntschaft nach , sprach sächsisch , sang Couplets , und das Alles that sie mit einer unnachahmlichen Drollerie , so daß Käthe , trotz ihrer tiefen Verstimmung , einige Male laut lachen mußte . Dörthe nutzte gern ihr schauspielerisches Talent , für das sie im Großen keine Verwendung hatte , zu kleinen pantomimischen Scherzen und Soloscenen aus . Allerliebst verstand sie es , die verschiedensten Affecte durch ihr Mienenspiel auszudrücken , gab aber dabei den pathetischen Masken den Vorzug . Sie drapirte sich mit dem ersten besten Lappen und genirte sich nicht , in Nothfällen Vorhänge von Fenstern und Decken von Tischen zu reißen . Daß sie die Ohren und die Kopfhaut wie eine echte Rothhaut bewegen konnte , kam ihr bei ihren mimischen Tollheiten sehr zu statten . Als sie sich endlich zum Gehen anschickte , forderte sie Käthe auf , mit ihr zu fahren , um die nöthigen Toiletteneinkäufe zu besorgen ; gleich darauf aber besann sie sich anders und meinte , sie führe doch lieber allein , sie habe Beziehungen zu verschiedenen Bazars und könne ohne Käthe Alles billiger einhandeln . Sie bat sich als Probekleid einen Anzug von der Freundin aus und nahm ihn gleich in der Droschke mit sich . Schon in der Thür , rief sie Käthe noch zu : » Und vergiß nicht , nimm täglich ein parfümirtes Bad . « Dörthe war direct in den betreffenden Bazar gefahren und wählte mit peinlicher Sorgfalt und raffinirtem Verständniß einige reizende Costüme für Käthe aus . Eine elegante Matinée für sich selbst legte sie dazu , um sie mit verrechnen zu lassen , schließlich aber warf sie die Matinée mit einem ethischen Druckser wieder zurück . Ihre liebe Käthe bemogeln , das fehlte noch . Als sie schon vor der Ladenthür war , kehrte sie aber doch noch einmal um und ließ eine unbedeutende , aber preiswürdige kleine Spitzenpelerine zu dem Costüm legen . Diese Kleinigkeit konnte sie schon als Provision auf ihr Gewissen nehmen . Käthe befand sich nachdem Dörthe sie verlassen , in einer eigenthümlichen Geistesverfassung , wie Jemand , der in seinem gewohnten Zimmer eingeschlafen , in einem andern fremden Raum erwacht , in dem er sich nicht zurechtfinden kann . Die Klugheitsregeln Dörthes , ihre vorgebliche Menschenkenntniß stießen sie ab , sie demüthigten , deprimirten , erschreckten sie . Ihr feinbesaitetes Gemüth gerieth in peinliche Schwingungen . Trotz ihrer nicht gewöhnlichen Intelligenz hatte sie von jeher an weicher Nachgiebigkeit und Unselbstständigkeit gekrankt , was sie fremden Einflüssen leicht zugänglich machte . Nein , Dörthe konnte nicht Recht haben – unmöglich ! Und wenn doch ! Selbst dann würde sie sich nie so perverser Mittel bedienen . Lieber Michael verlieren ! Aber verlieren durch Scheidung ! Und wieder kam die zitternde , herzbeklemmende Angst über sie vor dieser Trennung , die unwiderruflich sein würde . Und nach der Scheidung ? Wohin sollte sie ? Zu wem gehörte sie ? Zu ihren Eltern ? Nie ! Sie würden die Geschiedene widerwillig , mit geringschätzigem Mitleid aufnehmen . Unerträglich ! Am anderen Tage zählte sie die Minuten bis zur Ankunft Dörthes , und als diese endlich kam , stürzte sie ihr in die Arme , und vergessen war alles Abstoßende , das sie aus ihrem Munde gehört . Dörthe theilte ihr gleich mit , daß eins der Costüme , die sie ausgewählt , und an dem nur kleine Aenderungen vorzunehmen seien , am Abend in ihren Händen sein würde . Zur Anprobe und Herstellung der dazu passenden Haarfrisur würde sie ihre Jungfer schicken . Käthe lehnte das Anerbieten ab , doch war der Ton , in dem sie es that , schüchtern und schwankend . » So – na , wenn Du durchaus in Deiner Philisterkledage bleiben willst – immerzu . Des Menschen Wille ist zwar nicht sein Himmelreich , aber doch zuweilen seine – Scheidung . « Käthe gab nach . » Und Deine zwar schöne , aber romantisch angegangene Seele , « fuhr Dörthe fort , » muß auch umgekrempelt werden . « » Das ist ein trauriger Spaß , Dörthe . Seelenwanderungen giebt 's nicht . « » Giebt's ! Sei wie Du willst , meinetwegen nervös , capriciös , prätensiös , malitiös , nur nicht langweilig . Langweilig ist langweilig , und wenn es noch so ethisch , pathetisch , ästhetisch dabei zugeht , und amüsant ist amüsant , wenn auch Frivoles , Hohles , Gekohltes – habe ich Talent zum Reimen ? – dabei mit unterläuft . « » Ich kann doch gar nicht amüsant sein . « » Du kannst es . Das › Wie ‹ hängt von dem Naturell und den Ansprüchen des Gegners , ich wollte sagen des Liebhabers , ich meine natürlich des Gatten , ab . Es giebt simple Herren , die sich schon amüsiren , wenn eine Frau mit weißen Zähnen – eigenen natürlich – und rothen Lippen – können geschminkt sein – lacht . Andere freilich sind anspruchsvoller ; da mußt Du Pralinés , Knallbonbons reden . Du hast es wohl schon gemerkt , ich habe eine Specialität . Ich bin furchtbar drollig . Das hat mein Glück gemacht . « Dörthe schlug vor , in Michaels Atelier hinaufzusteigen , sie müsse sein blaues Bild sehen , das ja in den nächsten Tagen für die Ausstellung abgeholt würde . Woher Dörthe das wisse . Käthe habe es ja selbst gesagt . Käthe erinnerte sich dessen nicht , die Thatsache war aber richtig . Sie gab widerwillig nach . Als sie oben waren , flog Dörthe wie ein Wiesel umher , beschnupperte Alles , ihre Hände glitten streichelnd über die Teppiche und Costüme , etwas wie Rührung , wie ein Abschiednehmen von lieben altbekannten Dingen war in ihren Blicken . » Ach ja , « seufzte sie , » hier ist gut weilen ! « Und nach einer Pause : » Weißt Du was ? laß ihn laufen Deinen Michael ! « Ein solches Entsetzen spiegelte sich in Käthes Zügen , daß Dörthe sofort auf den schwarzen Kachelofen und den Speckeierkuchen , von dem sie nie genug kriegte , retirirte und behauptete , sie habe nur bildlich gesprochen . Und als Käthe sich noch immer nicht versöhnt zeigte , trippelte sie durch das Atelier , den Kopf zwischen die Schultern ziehend , und mit den Ohren wackelnd wie ein junger Hund , der Schläge fürchtet . Schließlich schnappte sie nach Käthes Hand . Wenn Käthe sie nicht auf der Stelle wieder lieb hätte , so bisse sie ihr den Finger ab . Natürlich mußte Käthe wieder lachen , und natürlich war sie ihr wieder gut . Sie wollte aber kein Wort mehr über das Thema hören . Sie trat an's Fenster , öffnete es und sog in langen Zügen die feuchte Herbstluft ein . Auch gut , « hatte Dörthe gesagt und sich der Länge nach auf der Ottomane ausgestreckt , wo sie aus dem Dampf ihrer Cigarette kleine Ringe durch die Nase blies . Nach einer Weile fröstelte es Käthe . Sie schloß das Fenster , stellte sich mit dem Rücken dagegen und sagte obenhin : » Meinetwegen , rede nur immer zu . « » Also – hob Dörthe lächelnd und behaglich wieder an – ja , was wollte ich gleich sagen – richtig , es hat immer etwas in Dir gesteckt , Käthe . « Käthe sah mit einem unsicheren Blick zu ihr herüber . Allmählich näherte sie sich der Freundin wieder . » Was denn , Dörthe ? Na , einmal die bekannten zwei Seelen , die wir als selbstverständlich nicht weiter in Betracht ziehen wollen . Männer begnügen sich mitunter mit einer , Frauen nie . Das en passant . Dein Hauptpech aber ist der Herr Vater und die Frau Mutter , die Du zu Deinen Erzeugern gewählt , und noch dazu in dem kleinen Nest . Deine patente , correcte Erziehung , das war die Pandorabüchse , der all Deine verderbenschwangeren Tugenden entstiegen . « Käthe begriff nicht , wie Dörthe darauf käme , daß etwas in ihr stecke . Sie wäre wirklich ein Philister , ein Spießbürger , sie möge nur Michael fragen . Es zuckte um ihre Lippen und sie kämpfte von Neuem mit Thränen . » Du ein Philister ! wenn ich nicht gesehen hätte , wie Du Komödie spielst ! Der Vulcan Deiner Seele spie da förmlich Flammen . Weißt Du noch am Jubiläumsfest unsrer Schulvorsteherin ? Verblüfft hast Du uns Alle , geradezu verblüfft . « In Käthes Augen blitzte es auf . » Ja , da war ich wirklich eine Andere . « » Wo hast Du die Andere denn hergenommen ? Posthorn Du , mit den eingefrorenen Melodien . Wir thun nichts als sie aufthauen . « Käthe grübelte eine Weile in sich hinein . Dann fragte sie mit einem Ausdruck , der zugleich schüchtern und gespannt war : » Dörthe , was meinst Du denn , was in mir steckt ? « » Ein Philosoph würde vielleicht sagen , energische Bejahung des Lebens . Ich sage einfach , Lebenslust , Himmelslust , Höllenlust ! Ueberhaupt Lust ! Lust zum Tanzen , zum Lieben , zum Abenteuern , zum Reisen , was weiß ich . Lust an Schönheit , Champagner , an einem reizenden grünlichen Hut mit rosa Rosen und schwarzen Federn . Sage mal , für Toilette hast Du wohl gar keinen Sinn ? « » Doch . Ich glaube es . Ich wage nur nicht – nein , ich wage nicht – – « » Sie wagt nicht ! sie wagt nicht ! « kreischte Dörthe auf . Sie soll sich begraben lassen , die Häsin ! Wagen ! Das ist ja überhaupt des Pudels Kern bei Allem . Du , ich habe einmal gehört , wenn man in einem Raum , in dem sich Gänse aufhalten , quer durch diesen Raum einen Kreidestrich macht , so halten die » Gänse « – Anführungszeichen – diesen Strich für eine unübersteigbare Schranke und bleiben hübsch diesseits des Striches . Die Nutzanwendung überlasse ich Dir . « Sie blies wieder einen allerliebsten Ring durch die Nase und wartete die Wirkung ihrer Beredsamkeit auf Käthe ab . » Aber Dörthe , was soll ich denn thun ? « fragte Käthe nach einer langen Pause , unsicher , zögernd . » Ueber den Kreidestrich hupfen – unentwegt . « » Wohin denn ? « » Wohin ? in das gelobte und ersehnte Land , wo die Milch und der Honig – nein , wo der schäumende Most von Michaels Liebe Dir in's Herz braust , rauscht , tost , etc . « Käthe's Brust hob sich . Ihre Lippen öffneten sich . » Siehste , siehste , triumphirte Dörthe , der heimliche Vulcan – « » Ja , Dörthe , ich will , was Du willst . Aber was willst Du denn ? « » Was ich will ? « Sie sprang auf , reckte ihre kleine Gestalt empor und deutete auf einen kleinen Eckschrank . » Hole mal da aus dem Schrank das Fläschen Tokaier und zwei Gläser . « Käthe brachte das Verlangte . Dörthe schenkte die Gläser voll . » Stoßen wir darauf an : aus dem zahmen , braven Käthchen soll ein widerspenstiges Käthchen werden , weißt Du umgekehrt wie in dem Stück › Die bezähmte Widerspenstige ‹ . Der alte Shakespeare hat sich nachgerade auch überlebt . « Klingend stießen sie mit den Gläsern aneinander . » Und nun Dörthe ? « Dörthe legte den Finger an die Nase und bedeutete ihr , daß sie schweigen solle . Dann schritt sie , die Augenbrauen drollig finster zusammenziehend , die Arme auf dem Rücken verschränkt , schnell mehrere Male im Atelier auf und ab , als dächte sie tiefsinnig über etwas nach . Plötzlich blieb sie vor der Staffelei stehen . » Du – das ist nämlich die Hauptsache . Welche Stellung nimmst Du den Bildern Deines Mannes gegenüber ein ? « Käthe stotterte etwas verlegen , daß ihr die Bilder nicht recht gefielen . » Und Du sagst es ihm ? « » Ja . « » Du bist wohl verrückt ? Und diese Frau wundert sich , daß ihr Mann sie los sein will . Du bist brav – ja . Du bist hübsch – ja , und klug . Das Alles aber fluscht nicht . Warum meinst Du , daß Dein Mann Dich eigentlich lieben soll ? « Käthe brauste auf . » Warum ? weil er mein Gatte ist , weil er mir Treue und Liebe geschworen hat , weil ich ihn liebe – – « » Auch Gründe ? « Dörthe lachte frivol . So wie Du bist , paßt Du für Michael wie die Faust auf's Auge . Ein Landpastor wäre Dein Fall gewesen , aber Michael – mit den Sonnenaugen ! « Käthe war ganz geknickt . » Nicht böse sein , Liebling ! « Dörthe streichelte ihre Wange . Aber Du siehst ein , wir müssen Klarheit in die Situation bringen , ehe wir sie ändern können . Uebrigens Lämmchen , ist denn Deine Liebe so überaus ethisch ? um mich auch einmal eines vornehmen Wortes zu bedienen . Hand auf 's Herz , Schätzchen , was liebst Du denn an oder in Michael ? Seine Seele ? aber die hältst Du ja für wurmstichig , und seine Bilder , die Spiegel seiner Seele , magst Du nicht . Was bleibt denn ? seine männliche , etwas verjubelte Schönheit , das sinnliche Fludium , das ihn machtvoll umwittert . Von ihm verlangst Du Idealität und plantschst selber in der allerschönsten Sinnlichkeit umher . « » O nein , es ist nicht das , Dörthe , nicht das ! « brachte Käthe auf's Tiefste verletzt , hervor . Ich weiß nicht , wie ich mich ausdrücken soll , aber in meine Liebe zu Michael , da hinein ist Alles verwebt , was ich je Reines und Gutes empfunden , meine ganze Jugend , meine Träume von Glück , mein bestes Wollen – Alles – Alles – ach , Du verstehst mich nicht . « Nein , Dörthe verstand sie nicht , und nach ihrer Meinung wären auch diese psychologischen Finessen nichts für Michaels Gaumen . Sie wollte wissen , ob sie ihrem Gatten außer seiner Nichtliebe etwas vorzuwerfen habe . Ob er ein Tyrann sei ? – Nein . Ob er sie als Sklavin behandle ? Nein . Othello ? – Nein . – Ob er eine Geliebte habe ? – Sie glaube es . » Na , die wird den Kohl auch nicht fett machen . Also brauen wir den Zaubertrank , der Tristans Kälte in Gluth verwandeln soll . Erste Ingredienz : « – sie zählte an den Fingern ab – » Schmeichelei . Quäle , ärgere Deinen Mann als Mensch , wenn es Dir Spaß macht , an seinen Künstlerstolz aber rühre nicht . Schmeichele ihn getrost in den Größenwahn hinein , auf irgend eine Art hat oder kriegt er ihn doch . « Ich kann doch nicht lügen . « » Dann bist Du überhaupt verloren . Die Sache ist aber gar nicht so schwer , wie Du sie Dir vorstellst . Deinen Geist brauchst Du dabei nicht in Unkosten zu stürzen . « Sie griff nach einem breitrandigen Künstlerhut , stülpte ihn sich keck und schief auf das Köpfchen , zog einen braunen Sammtrock , den sie dem Schrank entnahm , über ihr Kleid , zündete sich eine Cigarette an , stellte sich breit vor das Staffeleibild und kniff ein Auge zu . » So – jetzt bin ich der College so und so , gekommen , um zu loben . › Donnerwetter , Freund , Du bist ja ein wahrer Columbus der Farbe ! Oder : Prometheus , Du hast gestohlen – das Feuer vom Himmel ! ‹ Man kann nämlich nicht dick genug auftragen , « wandte sie sich wieder Käthe zu . » Nur Eins beachte : nie einen Künstler in Gegenwart eines andern Künstlers loben , immer nur unter vier Augen , denn natürlich findet Jeder die Bilder , die ein Anderer gemalt hat , nicht der Rede werth . « » Zweite Ingredienz zu dem Zaubertrank : Koketterie , aber eine , aus dem F F . Dazu gehören Toilette , amüsantes und pikantes Wesen und natürlich ein – noch besser mehrere Courmacher . Bist Du im Besitz eines solchen ? « » Nein . « » Ah – wirklich nicht ? merkwürdig ! Wir brauchen aber einen Courmacher wie das liebe Brot . An den Charm einer Frau , der Niemand die Cour macht , glaubt kein Mann . « Käthe widersprach . Dörthe gab die Phönixe , die solider dächten , zu ; leider aber wären die schon immer anderweitig vergeben , wenn man gerade heirathete . Ob Käthe wirklich nicht den kleinsten Courmacher an ihrem Horizont entdecken könne ? Käthe blieb bei dem » Nein « . Der einzige Mann , der ihr etwas näher , stehe , Lorenz Hellbach , sei kein Courmacher . » Was denn ? « » Ein Freund . « » Thut's auch . Uebrigens ist er ja zugleich Freund und College Deines Mannes . « Woher Dörthe das wisse ? Als ob man in Berlin nicht Alles wüßte . Wer kenne übrigens nicht den Nachtmaler . Nach einer kleinen Pause fragte sie scheinbar ganz naiv : » Und hat er Dir schon seine Liebe erklärt ? « » Wer ? « » Lorenz Hellbach . « » Aber Dörthe – im Gegentheil , er will Alles thun , damit Michael sich nicht von mir trennt . « » Das ist doch nicht das Gegentheil . Was hätte er von einer Scheidung , da er Dich nicht heirathen kann . « Käthe erklärte bestimmt , daß sie sich niemals würde den Hof machen lassen . Dörthe wiegte ihren Goldkopf und sah Käthe mit dem ihr eigenthümlichen Blick von unten herauf an . » Ach , habe Du nur einmal Blut geleckt , das heißt , zappelt nur der erste Anbeter in Deinem Netz – wie heißt doch das französische Sprichwort – ja richtig : L' appétit vient en mangeant . – Käthe , hast Du mich noch lieb ? « Sie fürchtete wieder zuweit gegangen zu sein . Ja , Käthe hatte sie noch lieb . » Und Du denkst nicht schlecht von mir . « » Nein Dörthe , aber ich glaube Dir nicht , daß so das Herz eines Mannes gewonnen wird . « » Du brauchst es nicht gerade das Herz zu nennen . Aber klauben wir nicht Worte . Auf den Namen kommt 's nicht an . Probiren geht über Studiren . Probire ! « » Und hättest Du Recht , was für eine dauerlose Liebe wäre das ! Wir werden doch älter , alt sogar – und wie dann ? « » Erstlich « – meinte Dörthe , indem sie die Arme nach hinten bog und die Brust herausstreckte wie im Vollgefühl gesunder Kraft – » so alt , daß Liebe und Amüsements aufhören , wird man selten . Wie nach dem bekannten französischen Wort jeder Soldat in seinem Tornister den Feldherrnstab trägt , so hat auch jede kluge Frau die Anwartschaft auf eine Ninon de l' Enclos , was die ewige Jugend betrifft . Erhält mich aber Gott wider Erwarten länger am Leben , als meine ewige Jugend vorhält , nun , so bleibt mir ja « – – Sie besann sich einen Augenblick . » Die Religion « , ergänzte Käthe . » Nein , so weit gehe ich nicht , höchstens Spiritismus . Ich habe schon vorgebeugt und mich auf das spiritistische Journal › Sphinx ‹ abonnirt . Dabei giebt es auch Unsterblichkeit , was ja bei jeder Religion die Hauptsache und das praktisch Verwendbare ist . « Als sie Käthes bestürzte Miene wahrnahm , setzte sie schnell begütigend hinzu , sie spreche ja natürlich nur bildlich . Und nun erging sie sich , wie am Tage vorher , wieder in drolligen Einfällen und Erzählungen . Ob Käthe wissen wolle , wie sie einmal ihrem Manne nach einer greulichen Scene , die er ihr , natürlich aus Eifersucht gemacht , mitgespielt habe . Käthe wollte es wissen . Die hergebrachten pädagogischen Kniffe , wie das Maulen z.B. hasse sie , schon weil es viel zu lange dauere . » Also – als mein Othello am Abend des Zankduetts in mein Zimmer tritt , findet er mich , alle Viere von mir gestreckt habend , auf dem Fußboden , natürlich auf einem Teppich ; bequem wie ich bin , hatte ich mir auch noch ein Kissen unter den Kopf gelegt . Meine goldene Mähne fegt die Dielen , ganz büßende Magdalene . Weißes Negligée , hochanständig , bis auf eine belanglose kleine Blöße , wie eine büßende Magdalena sie mit sich bringt . Ich reiche ihm mit Grabesblick eine Tasse Thee ; als er sie zur Hälfte geleert hat , entreiße ich sie ihm , schlürfe gierig den Rest und mache ihm die erfreuliche Mittheilung , daß wir vergiftet sind . Unter Todesschauern wechseln wir den – oder die Abschiedsküsse , und hinterher lache ich mich halbtodt , und schließlich lacht er mit und findet mich charmant , aber sehr charmant und schenkt mir – einen Schmuck . Drollig – nicht ? Du hast mich doch lieb , Käthe ? « Käthe nickte gefügig . » Zur Belohnung will ich Dir morgen einmal kommen , wie die Stiefmutter Natur mich gewollt hat , ein immenses Opfer , das ich meiner Freundschaft und Deiner Erziehung bringe . Erschrick nur nicht vor mir , Lämmchen ! « Damit ging sie . Das bestellte Costüm kam gegen Abend . Es war einfach und poetisch . Graugrünlicher Halbsammet mit breiter Goldspitze besetzt , im Nacken tief ausgeschnitten . Noch stand Käthe unschlüssig davor , ob sie es behalten sollte , als Dörthes Jungfer sich melden ließ . Dieselbe fortzuschicken , hielt sie für eine Unart der Freundin gegenüber . So duldete sie , daß die Jungfer sie frisirte und ankleidete . So lange dieselbe da war , that sie gleichgiltig und blickte nicht einmal in den Spiegel . Kaum aber war die Jungfer gegangen , so trat sie vor den großen Toilettenspiegel . Ihr Herz fing an zu klopfen , sie wurde roth , als ob ihr Jemand eine grobe Schmeichelei gesagt hätte . Es war der Spiegel . Du bist schön , sagte er ihr . Die Jungfer hatte ihr Haar nach griechischer Art in einem leichtgeschlungenen Knoten , aus dem Locken quollen , am Hinterhaupt aufgesteckt . Sehr pikant fiel eine einzelne Locke über ihre weiße Stirn . Die herrliche Linie ihres Nackens trat frei aus der Goldspitze hervor Eine eigenthümliche Erregtheit bemächtigte sich Käthes , die sich allmählich fieberhaft steigerte . Zum ersten Mal ward sie sich ihrer Schönheit bewußt . Eine Frisur , ein Kleid hatten ihre unscheinbare Erscheinung in eine auffallend reizvolle verwandelt . Erst von diesem Moment an wurde sie den Einflüsterungen der Freundin zugänglich . So hatte also Dörthe nicht in's Blaue geredet ! Und wenn sie in dieser einen Sache Recht gehabt , war dann vielleicht Alles wahr , was sie gesagt ? Käthes Sinn war zu rein , als daß sie sich widerstandslos hätte hinabziehen lassen . Hastig entledigte sie sich ihres Kleides und zerrte die Frisur auseinander , als könne sie damit den Tropfen Gift , der in ihr Blut gedrungen , wieder loswerden . Was aber das Blut in sich aufgenommen , gährt fort , zersetzt , wenn nicht ein Gegengift da ist . Und es war keins da . Im Gegentheil , Lorenz Hellbach war da , der dem , was Dörthe praktisch lehrte , eine theoretische Unterlage gab . Er verfolgte eine ganz bestimmte Methode . Das Flexible , Unselbstständige in Käthes Geistesart war ihm nicht entgangen . Begabte , aber unsichere , unfertige Naturen ohne Selbstvertrauen sind eher auf Abwege zu führen als beschränkte , selbstbewußte , fertige Charaktere . Das wußte er . Er wollte sie frei machen von Vorurtheilen . Unter Vorurtheilen verstand er unter Anderem und hauptsächlich die eheliche Treue . Käthe hatte sich einige Male vor ihm verleugnen lassen , ohne eigentlichen Grund , in einem instinctiven Gefühle der Abwehr . Als er ihr aber bald darauf im Thiergarten auf einem Spaziergang begegnete , nahm sie gern seine Begleitung an , vermied aber anfangs die Intimität ihrer letzten Unterhaltung . Er fand etwas Neues und Fremdes an ihr , ohne zu wissen , worin es eigentlich bestand . Es waren kleine , unbedeutende Abweichungen von ihrer früheren Art , die das Gesammtbild änderten : Eine kleine schüchterne Locke auf der Stirn , ein Veilchentouffe auf dem Capothut , über dem dunklen Paletot ein spanischer Spitzenshawl , ein ängstlich Lauerndes in ihrem Blick . Sie merkte , daß er auf ihre Füße blickte , die auf's Zierlichste bekleidet waren , anders als früher , und unwillkürlich ging sie schneller , als könne sie ihm damit den Anblick derselben entziehen . Aus Verlegenheit wurde sie lebhaft , und lebhaft erzählte sie ihm von der schönen und lieben Jugendfreundin , die sie wiedergefunden , und wie seltsame Rathschläge diese ihr in Betreff Michaels gegeben . Sie hielt inne , gleich bereuend , was sie gesagt ; hatte sie ja damit nun doch dem Gespräch die intime Wendung gegeben , die sie vermeiden wollte . Er fragte nach den Rathschlägen der Freundin , sie wollte erst die seinigen wissen . Er dachte einen Augenblick nach , dann sagte er : » Suchen Sie seine Bilder zu verstehen . « Und nach einer Pause : » Machen Sie ihn eifersüchtig . « Käthe sah ihn groß und ängstlich an . War das nicht eigentlich dasselbe , was Dörthe ihr gesagt ? Seine Bilder verstehen , hieß das nicht sie loben ! Und ihn eifersüchtig machen , hieß das nicht sich den Hof machen lassen ? Als läse er ihre Gedanken , fügte er gleich hinzu , indem er einen Zweig , der sich in den Saum ihres Kleides verwickelt hatte , losnestelte : » Das Kürzeste wäre , Sie gäben mir die Erlaubniß , Ihnen officiell den Hof zu machen , Katharina . Es würde für den Zweck , Michael eifersüchtig zu machen , ausreichen , und Sie liefen keine Gefahr dabei . « Er hatte das so einfach , halb lächelnd gesagt , daß kein Mißtrauen in ihr aufkeimte . Doch antwortete sie nicht . Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander . Das Schweigen bedrückte sie schließlich . Sie blieb vor einem Baume stehen , an dem ein Eichhörnchen emporsprang , und that , als amüsire sie sich über seine possirlichen Sprünge . Das Eichhörnchen erinnerte sie an Dörthe . Lorenz versuchte das Eichhörnchen zu fangen . Nach einiger Mühe gelang es ihm . Er brachte es Käthe und parirte geschickt die Bisse des kleinen Thieres . Ueber seine drollige Wildheit mußte Käthe laut lachen . » Ich lache ja , « sagte sie , plötzlich traurig werdend . » Wie kann ich nur lachen ! « Er ließ das Eichhörnchen entschlüpfen . » Weil Sie keinen Grund haben , traurig zu sein , Katharina . Ich habe Ihre Sache zu der meinen gemacht . Was ich will , das kann ich . « Ein paar Regentropfen fielen . Er spannte sorglich den Schirm über sie aus und nahm , als wäre es selbstverständlich , ihren Arm . Mit kindlichem Vertrauen blickte sie zu ihm auf . Sie bemerkte vielleicht zum ersten Mal , daß er einen intelligenten , interessanten Kopf hatte . Das kurzgeschorene , dunkle Haar bildete eine Schneppe in der Stirn . Er hatte langgeschnittene Augen von dunklem Graublau , mit flimmernden langen Wimpern . Der Blick war müde und languissant und doch sicher und forschend , die Augen eines Kenners der Welt , des Lebens , der Frauen Ein eleganter , kurz und schmal gehaltener Vollbart ließ das längliche Gesicht noch schlanker erscheinen . Er war mittelgroß , von schmächtiger Gestalt . Ihr war wohl an seinem Arm . Die Abhängigkeit von einem starken Willen war ihr Bedürfniß . Auf Dörthe's Rath hatte Käthe kurz und kühl an Michael geschrieben , daß sie in die Scheidung willige , und ebenso kurz und kühl hatte er ihr für ihre Bereitwilligkeit gedankt . Als Dörthe das nächste Mal bei Käthe erschien , erkannte diese sie im ersten Augenblick nicht . Sie kam in der That ohne jede Verzierung . Sie trug das einfache Kleid , das Käthe ihr als Modell zur Besorgung des Costüms gegeben hatte ; es paßte ihr nicht recht und entstellte ihre Figur . Sie war ganz sie selbst .