Ada Christen Jungfer Mutter Die Geschichte , wie die Walter Hanni eine alte Jungfer geworden ist und warum sie von den Leuten in der Blauen Gans Jungfer Mutter genannt wurde , ist nicht so leicht und schnell zu erzählen , als man meinen könnte , daß sich ein armes kleines Leben erzählen läßt . Sie wundert sich heute noch , wenn man ihr sagt , daß sie viel erlebte , denn so eigentlich weiß sie nur , daß sie immer fleißig gearbeitet hat . Sie ist vor der Zeit schneeweiß und alt geworden und hat nie eine andere Freude gehabt als ihr Kind . Ihr Kind war der eheliche Sohn ihrer Jugendfreundin , der Weis Leni , welche sich längst Madame Madeleine Weis nennt . Der kleine Ziehsohn der Hanni wurde nach seinem Vater Leopold Weis getauft und wußte seit seinem zehnten Jahre , daß sein Vater sich ein Taschenmesser in das Herz stieß und zu Füßen seines wunderschönen Weibes starb . Sooft der kleine Polderl seine » Frau Mutter « sah , ging ihm das , was er gehört , durch den Kopf , mehr als einmal wollte er sie fragen : Warum ? – aber er getraute sich nicht , sie war so schön und sah so vornehm aus und redete wenig mit ihm . Niemand konnte oder wollte ihm die ganze Geschichte von dem Tode seines Vaters erzählen . » Wenn du groß bist und alt genug dazu , wirst schon alles hören « , tröstete ihn seine Ziehmutter , die Hanni , wenn er ihr vorgreinte davon . Der kleine Weis Polderl wußte auch nicht , daß sein sterbender Vater ihn als heiliges Vermächtnis der Hanni hinterlassen hatte und daß die Leni , seine » Frau Mutter « , ihn der Hanni nur zugeschickt hatte , weil der sterbende Mann dem Weibe in der wilden , lustigen Art drohte , er werde aus seinem Grabe aufstehen und sie allnächtlich als kohlschwarzer Mann schütteln und beuteln , bis ihr die Seel halb aus ihrem wunderschönen heiligen Leib fliege , wenn sie den letzten Willen nicht erfüllen sollte . Die Leni war und ist immer eine ehrbare , tugendhafte , fromme Frau und so felsenfest überzeugt von der dies- und jenseitigen Nichtsnutzigkeit ihres Ehemannes , daß sie an seinen nächtlichen Ausflügen nach dem Tode niemals zweifelte . Sie ließ auch darum gleich am nächsten Morgen das Kind zu ihrer » falschen Freundin « tragen und dem Toten ein teures Begräbnis bereiten . Bald stand auch auf seinem wohlgepflegten Grabe ein Kreuz von Stein , und jedes Jahr ließ sie an seinem Todestage eine Seelenmesse lesen . Gewissenhaft kleidete sie sich ein Jahr in schwarze und ein zweites in graue Gewänder , und sie war in der schlichten Trauertracht mit ihrem goldroten Haar schöner als jemals . Der Sohn der Leni blieb also bei seiner Ziehmutter , die er , als er erst reden konnte , » Frau Mutter « nannte , wie die anderen Kinder es zu ihren Müttern sagten , obwohl es altmodisch war . Da gab es aber ein großes Entsetzen in der Blauen Gans , aus Respekt vor der Leni wurde es ihm gelinde verwiesen und ihm eindringlich erklärt , seine rechte Frau Mutter habe ihn nur » dem Mädel « – der Hanni – zum Aufheben gegeben ; denn die Hanni sei gar keine Frau und werde keinen Mann nicht kriegen und eine alte Jungfer werden ! Von der ganzen wohlmeinenden Auseinandersetzung behielt das Büblein das , was er oft gehört hatte : » alte Jungfer « , und Gott weiß , wie er sich das in seinem Köpfchen zurechtrückte , aber er nannte von da ab die Hanni » Jungfer Mutter « . Erst wurde der Titel von den Nachbarn spottend wiederholt , als jedoch die Kinder ihn stündlich lallten und schrien , bürgerte er sich ein , und das alte Mädchen heißt nun schon seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr anders unter den Leuten , die sie kennen . Gleich nach dem Tode ihres Mannes wollte die Leni den Unterhalt ihres Sohnes bestreiten , aber da erwies sich die falsche Freundin zum erstenmal im Leben ihr gegenüber widerspenstig . Sie nahm keinen Kreuzer und ließ die Frau Mutter des Polderl nur um zwei Dinge bitten : Zuerst , daß sie die alte Einrichtung der Wohnung behalten dürfe für ihren Ziehsohn , als Erbschaft von seinen Urgroßeltern , Großeltern und Vater , und dann , daß die Frau Mutter das Geld für den Polderl in die Sparkasse legen möchte bis zu der Zeit , in der er ein Handwerk lernen müßte . Dabei blieb es . Der Polderl wurde ein Poldl , ein Leopold endlich , als er die Kunstschlosserei erlernt hatte , aber seine » Jungfer Mutter « hatte von seiner » Frau Mutter « noch immer kein Geld genommen . » Ich laß mich derweil recht schön bedanken , ich kann derweil gar nichts brauchen für unsern Buben « , war immer die gleiche Antwort . Als der Poldl Soldat werden mußte , kam wieder eine sauber geschriebene Anfrage , ob denn der Sohn jetzt nichts brauche in dem neuen Stande . Da ging die Hanni in das Stübchen des Advokatenschreibers , der auch ein heimlicher Maler und Dichter war , Virgilius Stramirisko hieß , der Kürze wegen aber der » einsame Spatz « genannt wurde . Nur in besonders wichtigen Dingen ging die Hanni zu dem alten Herrn , dessen rosiges glattes Gesicht nicht zu seinen fünfundsechzig Jahren und seinen schneeweißen Locken passen wollte . » Ich bitt , Herr ei ... « , sie mußte schnell den einsamen Spatzen schlucken , so gewohnt war sie ihn , » Virgilius , schreiben Sie mir an meinen Sohn seine Mutter , aber gelten's , Wort für Wort , wie ich's Ihnen vorsag ? « » Ja , Jungfer Mutter « , sagte er fein lächelnd und setzte sich zurecht . Die Hanne streifte mit beiden Händen über ihre Schürze , räusperte sich und begann : » Frau Magdalena Weisin ! Ich danke dir für deinen guten Willen , aber derweil ist kein Geld nicht notwendig , die selige Großmutter vom Poldl hat seinem gottseligen Vatern auch nichts mitgeben können als ihren Segen , und um den tät ich dich für unsern Sohn recht schön bitten , den einen Segen von mir hat er eh' schon , kriegt er deinen dazu , so hat er zweimal so viel als sein gottseliger Vater kriegt hat . Indem ich dir die beste Gesundheit wünschen tue , schließe ich mein Schreiben und danke dir mein Lebtag . Mit Achtung Johanna Walter . « Die Frau Mutter legte den Brief hübsch zu manchen andern und wartete mit ihrem Segen , bis der Leopold kam und ihn holte und damit versehen nach Bosnien marschierte . Für die » Jungfer Mutter « begann eine schwere Zeit , aber sie hielt sich aufrecht und still wie allzeit . Sie saß am Fenster bei ihrer längst neumodischen Handmaschine und dachte an den fernen Sohn ... Ach , wie oft tauchte sein Vater , der tote Leopold , vor ihr auf ... der hatte nur einen Arm mit heimgebracht von Italien ; sie dankte Gott demütig , daß ihr Poldl noch mit zwei Armen Krieg führte in Bosnien . Jeden Abend fuhr sie mit leichter Hand über die alte Wiege , die noch bei ihrem Bett stand , genau wie vor fünfundzwanzig Jahren , als das Kind immer neben ihr schlief . Fünfundzwanzig Jahre ! Heute ist sein Geburtstag , und heute soll er heimkommen aus Bosnien , das hat er seiner Jungfer Mutter sogar von der vorletzten Station noch telegrafiert . Die ganze Blaue Gans lief zusammen über das Ereignis – ein Telegrafenbrief ! Und nun sitzt sie am Fenster , wartet und murmelt vor sich hin : » Ob er daran denkt , daß heut sein Geburtstag ist ? « Sie läßt die Hand von der Maschine gleiten , hält den Atem ein und lauscht . Ein kleines , blondes , zerzaustes Mädel kommt zum Fenster gesprungen und plappert hastig : » Laß mich die schönen Blumen sehn , Jungfer Mutter , für den Leopold sein's , gelt ? « Sie steckt das Köpfchen ins Fenster , bläht die feingeschwungenen Nüstern , schnuppert und guckt hastig um und um wie ein Eichkätzchen . Die Hanni lacht . » Wart nur , bis mein Sohn wieder da ist , dann zeig ich dir alles . « » Ja – nein – aber , weißt , die Laternenanzünder-Godel erzählt's schon allen großen Leuten , daß 's den Rosenbuschen von seiner Frau Mutter g'sehn hat , und alle Kinder haben ihn unterm Haustor g'rochen , gleich wie ihn der Dienstmann bracht hat , mit ein' seidernen Papier ! Das seiderne Papier will ich aber auch sehn ! « schreit sie herausfordernd und springt wieder davon . Die alte Jungfer streicht ihre Scheitel zurecht , glättet ihre frische Schürze und schaut wieder auf den Torbogen . » Er müßt schon da sein , der Eisenbahnzug ist gewiß in Wien ... wenn er keine Verspätung hat « , fügt sie in Gedanken bei . Sie soll ihm nicht auf dem Bahnhof entgegenkommen , hat er sie in seinem letzten Briefe gebeten , nicht unter den vielen Leuten , die sie hin und her stoßen , weil sie sich nirgends auskennt , sie soll ihn nur zu Hause erwarten und sich keine Sorgen machen , wenn er etwas später kommt . Und sie wartet ... wartet ... wartet . Sie sucht die Zeit hinzubringen , wie es nur angeht . Sie hat viel gearbeitet , gebetet , mit den Nachbarn geplaudert , die sich zu ihrem Fenster stellten , sie hat sogar gesungen ! Alle die lustigen und empfindsamen Wiener Lieder , die er als Kind mit ihr zwitscherte , und so ist der Tag hingegangen , sie aber lauscht und wartet . Draußen im Hof verklingen die schrillen Kindersrimmen , der Tageslärm erstirbt , und der Herbstabend fällt ein , schnell , düster , wie von dem wimmernden Wind heruntergedrückt , der noch in der Höhe saust . Jetzt fährt er schon über die Dächer , mit einmal aber stürzt er sich herab , springt durch den Hof und jagt pfeifend alle Papierfetzen , Taubenfedern , Haarbüschel und wirren Kram vor sich her , erwischt die Brunnenstange und schüttelt sie , daß sie wie ein Uhrpendel hin und her baumelt und angstvoll knarrt . Da schlurft ein Mensch über den Hof – hopp ! – Der Wind wirft sich über den greisen Laternenanzünder , packt den langen grünen Kittel , zerrt an ihm und bläht ihn auf wie ein Segel . Der Alte stößt atemlos einen Dragonerfluch nach dem andern aus , und der Wind fliegt jählings davon , wieder hoch über die dunklen Hausdächer hinweg . Seit langer Zeit brennt in dem großen Hof der Blauen Gans das Gaslicht , aber es brennt in so kleinen Flämmchen , daß es schwer zu unterscheiden ist , ob die dünnen Lichter nicht doch verkappte Öllampen sind . Die junge Brut der Blauen Gans behauptet steif und fest : » Der Laternenanzünder-Göd vernagelt die Gasbrenner , so daß nur ein Viertellicht heraus kann , und nachher schimpft er , daß bei dem › Luftlicht ‹ sich alle Leut die Füß brechen müssen . « Der alte Mann schleppt seinen Lampenstock bis zu dem Fenster der Hanni ; als er ihr blasses verfallenes Gesicht sieht , sagt er gutmütig : » Mußt nimmer warten , Jungfer Mutter , heut kann er nimmer kommen , dein Bub ! « » Aber schau , Göd , der Kaffee ist schon seit drei Stunden fertig . « Dann zupft sie an seinem grünen Kittel . » Du , ein' Gugelhupf hat ihm dein Weib heimlich g'backen , du darfst aber nichts wissen davon , hat 's g'sagt , weil du so schmutzig warst und ihm nur drei Packeln Tabak schenkst zum Geburtstag « , flüstert die Hanni , und die beiden nicken sich zu und lachen lustig . Seine Frau Mutter hat ihm einen Rosenbuschen g'schickt mit einer seidernen Einfassung ! Fuffzig Rosen beieinander auf einmal , mir scheint , man riecht's bis daher , gelt ? Und eine Visitenkarte steckt mittendrin , da steht drauf , sagt der einsame Spatz : Mei-nem Heim-gekehr-ten zum Geburtstage . Siehst , sie denkt halt doch an ihn . « » Mei-nem ?! « Der Alte lacht kurz auf . » Bin ich mein Weib « , knurrt er dann , » daß ich aus allem , was die Lenerl zu heiligen Zeiten tut , ein blaues Wunder mach ? Was hat er denn von die fuffzig Rosen ? Laß anschaun ! « Sie schleppt das große kostbare Bukett zum Fenster , und der Laternenanzünder vergräbt seine lange Nase in die Blumen . » Ah ! – ah ! Schad' , daß man 's nicht essen kann ! – Der Wind schlägt um , wirst sehn , Hannerl , das wird ein Regen . « Gravitätisch zündet er die Laternen vor dem Fenster der alten Jungfer an . » Dem Poldl zu Ehren hab ich 's ganz aufgedreht « , sagt er feierlich , » aber du wirst 's sehen , er kommt heut nimmer . Denkst dran , wie sein Vater heimkommen ist von Italien aus dem Feldzug mit ein' Arm ? – Das ist doch recht was Sonderbares , gelt ? – Dem armen Kerl sein ganzes Leben hat der Krieg verpatzt , wär er kein Krüppel worden , so wär er ein lustiger glücklicher Mensch geblieben . – Jetzt schau – der Lepold liegt am Währinger Gottesacker , und sein rechter Arm ist in Italien am Schlachtfeld verscharrt « – er wischt sich seinen großen weißen Schnurrbart ab , seufzt nachdenklich : » Wie wird er den Arm nach Wien kriegen bei der Auferstehung des Fleisches ?! « » Hab heut viel an den Verstorbenen denkt und unsern Herrgott kniefällig dankt , daß er mir den Buben als ganzen Menschen z' Haus schickt , g'sund und frisch , wie er fort ist . « » Hast du 's seiner Frau Mutter sagen lassen , daß er kommt ? « brummt der Laternenanzünder vorwurfsvoll . Die Hanni nickt nur freundlich . » Na , hörst ! Und sie ? Sie kommt nicht g'rennt und hockt sich daher und wart't auf ihn , gelt ? – Da ist sie z'nobel , sie kann's kommoder z' Haus tun « , schreit der Alte entrüstet . » Weißt , ich mag mit der Meinigen nimmer streiten , jetzt sein wir schon zu alt dazu , aber den Magen dreht 's mir um , wenn sie die Lenerl so in Himmel hebt . « » Mußt nicht ungerecht sein ! « » Laß mich aus mit ihr , seit 's das Geschäft von der alten Blank , von der Mode-Madam , übernommen hat , tut 's ja , als ob 's gar nicht mehr reden könnt mit unsereiner . Warum 's nimmer g'heirat't hat , sie ist doch allerweil noch eine sehr saubere Person , und jung ausschaun tut's ! Von auswendig könntst du ihre Großmutter sein , und ihr seid 's doch in ein' Alter ? « Nein , nein « , sagt die Hanni eifrig , » sie ist um sechs Monat jünger , und nachher hat sie sich halt pflegen können , gut essen und trinken , hat keine schwere Arbeit g'habt , keine Sorgen und keine Kinder ! « Er lacht und lacht , daß seine hagern Glieder schlottern : » Jetzt fehlt nur noch , daß du dir einbildst , du hast ihren Buben geboren , nachher bist ganz verruckt ! – Bist und bleibst halt eine alte dumme Urschel ! « Der Laternenanzünder schlurft weiter durch den Hof , und als in dem breiten niedern Torbogen ein dünnes Flämmchen aufblitzt , das er angezündet hat , hört sie noch immer sein vergnügtes überlegenes Kichern . Die Hanni lehnt den Kopf an das Fensterkreuz und bleibt in dem finstern Zimmer einsam sitzen . Draußen hebt der Wind wieder sachte an , darum zittern und zucken die Gasflämmchen , ihr unsicheres Licht huscht in die große Stube und weckt die Schatten auf , die in allen Winkeln schlafen , sie hasten hervor , fliegen über die Zimmerdecke , rennen an den Wänden hinab , laufen über den Fußboden und flattern über das sanfte Gesicht der alten Jungfer . Die wurmstichigen Kasten krachen und stöhnen , wenn ein Windstoß durch den Ofen hereinschnaubt , und das alte Ledersofa knistert , es steht mit seinen breit ausgespreizten Beinen wie ein schwarzes Ungetüm in der dunkelsten Ecke , und die Lichter hüpfen darüber hin wie gelbe Frösche , sooft der Sturm an der knarrenden Laterne vor dem Fenster rüttelt . Ein weicher Duft zieht durch die Stube , so süß und eindringlich , daß er die Einsame fast betäubt , sie denkt nicht mehr daran , woher der Wohlgeruch kommt , sie atmet nur tief , schaut zurück in die Vergangenheit ... und es schüttelt sie ein träumerischer Schreck . Vergangenheit ! Weit , weit liegt sie dahinter mit ihrem unklaren Leid ... Sie sitzt ja schon bald ein Vierteljahrhundert da an dem Fenster und arbeitet für den Sohn des toten Leopold und seiner schönen Frau . Bringt die stille Geburtstagsfeier das holde Gesicht der Jugendfreundin so lebendig vor ihre Augen ?.. . Die Leni kommt ja niemals da herunter in die Dunkelheit ... die lebt oben im Licht , geehrt , reich , schön , was soll sie da auf dem vergessenen armen Platz ? Sie aber , die Einsame , hat sich diesen Platz schwer errungen durch harte Arbeit , stumme Demut , tiefes Mitleid und grenzenlose Liebe . Ein verlorner Posten sitzt da , dessen keiner gedenkt als er ... Die Vergangenheit versinkt ... Er ... ihr Sohn , ist das Glück und die Zukunft . Die Rosen duften stärker , die Gewitterluft hat sie erfrischt , und wie jetzt draußen der Regen niederprasselt , tun sie ihre Kelche weit auf , und das Gemach ist ganz erfüllt von schwülem Geruch . Sie , » das alte Mädchen « , denkt jetzt nur daran , daß die Blumen für ihn da sind , zu seinem Geburtstag auf ihn warten gleich ihr , und sie weiß , daß es ihn zu ihr drängt , daß er auch auf der ganzen weiten Welt keinen lieberen Platz hat als ihr Herz und den Winkel , in dem seine Wiege steht . In der Küche auf dem Herd sprühen plötzlich die glühenden Kohlen – ein Windstoß tobt durch die aufgeschleuderte Türe , und aus der Finsternis jubelt eine junge gute Stimme : » Grüß dich Gott , Jungfer Murter ! « » Mein Bub ! ... mein Poldl ! ... mein ... mei ! « Der Ton bricht ab , sie kichert , lacht und lacht , daß ihr die Tränen über die Wangen fließen . Die zwei blutfremden Menschen halten sich fest umschlungen , eins geworden durch überwundene Leiden , unermeßliche Liebe und eine Treue , die stärker ist als der Tod ! » Warum kommst du denn so spät , mein Kind ? « stammelt sie . » Ich hab mir denkt « , und er blinzelt pfiffig nach dem Hof , » ich möcht heut Ruh haben vor unsern Nachbarn . Weißt noch , was du mir oft erzählt hast , wie 's mein ' Herrn Vattern seckiert haben mit'n Erzähln , wie er heimkommen ist aus'n Feldzug . Ich hab aber mit dir allein sein wollen , Jungfer Murter ! Du , was riecht denn so gut bei uns ? « » Jesus ja ! Laß den Vorhang runter und zünd's Licht an , ich möcht dich ja sehn als'r Ganzer ! « Er zieht rasch den Vorhang vor und zündet mit einem Griff die Lampe an , sie aber rückt die geweihten Kerzen , die auf dem Schubladenkasten neben dem Christus stehen , vorsichtig näher und steckt sie feierlich an , dann nimmt sie den jungen Soldaten bei der Hand , führt ihn zu dem Kasten und fragt geheimnisvoll : » Weißt , was heut für ein Tag ist ? « » Nein , Murterl , ich hab ja unter den Wilden g'lebt ! « » Alsdann « , sagt sie immer noch sehr feierlich , » dein Geburtstag ! « » Der – meiner Seel ! « » Der noble Rosenbuschen da , der so gut riecht im Zimmer , ist von deiner Frau Mutter , der Gugelhupf da ist von der Laternanzünder-Godel ! « » Hat's recht stark g'weint , wie's ihn g'macht hat , die Frau Patin ? « unterbricht er die Hanne in kläglichem Ton und geschraubtem Hochdeutsch , und dann lachen beide gutmütig . » Da sein drei Packeln Tabak vom Laternanzünder-Göden , und da ... zwölf Paar Zwirnsöckeln , die hab ich dir g'strickt bei der Nacht , im Bett , in der Finster , wann ich nicht schlafen hab können und viel hundert Vatterunser für dich bet't hab und für die arme Seel im Fegfeuer , für dein Vattern . Kein Fürscht hat schönere . Und jetzt , jetzt kommt der Oberskaffee ! « Sie sitzen lange beieinander und reden nur von der Zukunft , von dem glücklichen Beisammenbleiben bis an ihr Lebensende . » Ich bin dir so viel schuldig , Jungfer Murter , daß ich es dir nicht zahlen kann , wenn ich hunderttausend Jahr alt würd « , beteuert er treuherzig und tätschelt die hagern Hände der alten Jungfer in den seinen . » Magerer bist word'n . « » Ja . Aber akarat wie dein seliger Vatter schaust du aus , so ist er g'sessen auf demselben Sessel , wie er heimkommen ist , und o du mein ... g'nauso hat er an sein' blonden Schnauzbartel zupft ... und hat deine Frau Mutter und mich angelacht . « » Und so müd war er auch wie ich ... gelt , Murterl ? Es ist ein tüchtiger Marsch von Bosnien bis nach Wien , unter Menschen , die wieder eine ordentliche Sprach reden als wie wir jetzt miteinander . « Sie räumt den Tisch ab und verlöscht die Lichter , als sie aber den Vorhang wieder aufzieht , schaut sie verwundert hinaus in die lautlose Nacht . » Da schau , wie schön all 's worden ist , das klare Mondlicht , die frische Luft und die Stillheit , das tut so wohl ... so wohl ... « Und nun bettet sie ihr großes Kind auf das breite alte Ledersofa , schüttelt ihm noch einmal die Polster recht hoch und macht ihm genau wie allzeit in seinen Kindertagen das Zeichen des Kreuzes über die Stirn . Nur wie der Schatten eines Lächelns huscht es dabei über seine hübschen Züge , und mehr zu sich selbst sagt er halblaut : » Bin halt noch allerweil für dich der kleine Bub . « Als sie das Fenster geschlossen hat , schiebt sie den Bettschirm vor ihr Lager und liegt nun still dahinter mit gefalteten Händen , bewegt die Lippen wortlos und horcht auf die Atemzüge ihres Kindes . Er muß ja heute gut schlafen , zum erstenmal wieder daheim nach Jahren . Eine Weile lauscht die Hanni vergeblich , dann hört sie ihn leise reden , wie im Traum . » Jungfer Murter ! « Sie horcht gespannt , jetzt wieder : » Jungfer Murter !? « » Was denn , Poldl ? « » Ich kann nicht schlafen , schau , da scheint mir der Mond mitten ins Gesicht – der läßt mich nie in Ruh – b'sonders in den letzten Jahren . Wenn ich auch die Fenster mit Kotzen verhängt hab , ich g'spür ihn doch , und er findet mich . Wenn ich aber doch einschlafen kann , so träum ich allerweil eine Menge durcheinander , drum bin ich schon lieber munter , wenn ich auch schnurgrad ins Mondlicht schaun muß . « Die Hanni seufzt verzagt und murmelt befangen : » Das hast schon als kleines Kind g'habt , hast 's von dein Vattern geerbt , der hat oft lange Reden g'halten im Schlaf , wenn Vollmond war . « » So – so – ? « sagt der Soldat unvertraut aushorchend : » Aber du , ich glaub , die Rosen von der Frau Mutter riechen jetzt noch stärker , oder sein wir das nicht g' wöhnt ? « » Wird schon so sein ... wir werden's halt erst g'wöhnen . « Die Schwarzwälder Uhr neben dem Bett der alten Jungfer schlägt zwölf . » Gute Nacht « , lispelt die Hanni . Das Gemach ist wie in bläuliche Schleier gehüllt , das unbewegliche Mondlicht erfüllt es ganz , und die beiden schauen hinaus in den feucht glitzernden Hof und lauschen den heimlich wispernden Stimmen der träumenden Herbstnacht . » Jungfer Murter , heut war ich fünfundzwanzig Jahr alt , schau , sei gut , erzähl mir , weil du auch nicht schlafen kannst , die G'schicht von meinen Eltern . Jetzt bin ich doch alt genug dazu , daß ich alles wissen kann ? – Morgen , wenn ich ausgerast't bin , muß ich nachschauen , wie's der Frau Mutter geht . « Eine Weile schweigt die Hanni , denn das Herz klopft bleischwer , sie setzt sich in ihrem Bett sachte auf und sagt halblaut verlegen : » Ja , das ist halt schwer ... Wissen tu ich alles ganz genau , aber erzählen kann ich's dir nicht so wie es eigentlich war , so nacheinander . Der einsame Spatz hat sich die ganze G'schicht aufgeschrieben , so , wie ich sie ihm einmal erklärt hab . Dann hat er sie mir wieder vorg'lesen , und es war alles ganz recht , nur so , so halt , als ob er besser gewußt hätt , was wir uns alle miteinander denkt haben . Les' das in Gottes Namen , mein Kind , wenn du eh' nicht schlafen kannst . Im Schubladkasten , in der ersten Lad auf der rechten Seiten liegt das geschriebene Büchel . « Der junge Soldat zündet die Lampe wieder an , holt sich das Buch , atmet so tief , als ob er den süßen Rosenduft trinken wollte , und beginnt dann zu lesen . Aus der Chronik der Blauen Gans Niedergeschrieben von Virgilius Stramirisko Die kleine Walter Hanni war vom Dach gestürzt , als sie dem eben Heimgekehrten , dem Weis Leopold , seinen Kreuzschnabel holen wollte , der davongeflogen war und neben dem hohen Rauchfang saß . Sie war damals noch ein halbes Kind und meinte , der junge Invalide , der nur einen Arm aus Italien mitbrachte , sei plötzlich so traurig des entflohenen alten Vogels wegen . Der Kreuzschnabel steckte noch unversehrt in ihrem Jäckchen an ihrer Brust , sie selbst aber hatte Arm und Bein gebrochen , und ich war der erste , der das all den heulenden Weibern sagte und dem Arzte half die Glieder einrichten . In der Blauen Gans , dem langgestreckten Vorstadthaus , war man darüber einig , daß die Hanni nichts Besseres tun könne als rasch sterben , denn : » Nur kein krüppelhaftes Kind , lieber ein totes « , erklärte selbst ihre Mutter , die eine böse Zunge und ein rohes Herz hatte . » Die Lenerl ist die Schönste und der Hannerl ihre beste Freundin , die muß schwarz verschleiert mit der abgebrochnen Kerzen hinter der Totentruhen gehn als allererste « , bestimmten die halbwüchsigen Mädeln . Aber die Hanni ist nicht gestorben , das Kind hat sich langsam erholt , nachdem die Glieder gut eingerichtet waren , und nach einem Jahr gemahnte nichts mehr an das Unglück . Und nun kam die Zeit des Lachens wieder : » Laß nur gehn , bis d' heiratst ist alles gut « , wurde ihr bei jedem Anlaß lustig zugerufen , und so gewöhnte sich das junge Mädchen daran , alles das , was ihr an Freude und Glück fehlte , nur von der Ehe zu erwarten , Arbeit und Ungemach aber als das Notwendige hinzunehmen wie die meisten Bewohner der Blauen Gans . Die Jahre gingen hin , und eines Tages stand die Hanni wirklich wohlgemut im weißen Kleide beim Traualtar , doch nur als Brautjungfer , neben der bräutlich geschmückten Lene . Das war eine Braut , an der sich keiner satt sehen konnte ! Und dann die Hochzeit ! So etwas hatte dort unten , wo die letzten Häuser stehen , seit Menschengedenken niemand erlebt , und will ich ehrlich sein , so muß ich gestehen , daß auch mich das frische , gesunde , lustige Treiben angemutet und erfreut hat . Es war ja eine Heiterkeit , eine jubelnde Lebenssucht unter den schlichten armen Leuten , die mir selbst an ihnen , die das Leben nur in Ausnahmefällen schwerer nahmen , fast fremd erschien . Ich sah und horchte wohl darum so genau hin . Die Blaue Gans stand wie ausgestorben da , als der Zug in die Kirche ging , sogar der alte Türk und der Schuftl , die beiden Wächterhunde , rannten hinterher . Wo die Menschen in ihren Feiertagskleidern vorüberschritten , lief alles , was Beine hatte , an die Fenster und Haustore , und jeder , der sich auf längere Zeit von der Arbeit losmachen konnte , schloß sich dem Zuge an . Das kleine Kirchlein konnte die Menge gar nicht aufnehmen , da wurden denn wieder , wie bei allen besonderen Festen , wenn Mangel an Raum war , die Kinder , die zu erwischen waren , hinausgejagt . Eine Weile heulten sie vor der Kirchentüre , dann kletterten sie auf das niedere Schindeldach , welches seitwärts in Manneshöhe von der Kirchenmauer abstand , weil unter diesem Schutze die Feuerleitern und die roten Löscheimer der Gemeinde aufbewahrt hingen . Mit einer langen eisernen Kette und einem großen Anhängeschloß daran waren sie fest zusammengesperrt , das Wetter konnte diesem Gemeindestolz nicht bei , und ich glaube , selbst freundnachbarliche Diebe hatten Ehrfurcht vor ihnen . Auf diesem Vordach über den Feuerleitern und Eimern hockten die Ausgewiesenen ; die Röcke der Mädeln verfingen sich in den langen Schindelnägeln , die Sonntagshosen der Buben bekamen ausgebohrte Knie , alle saßen elendiglich da oben , aber halb aus Trotz über ihre Verweisung , halb aus Behagen an der Gefährlichkeit ihres Vergnügens fanden sie doch den Platz viel schöner als die heiße , vollgestopfte Kirche . Es war ein wunderheller Frühlingstag , die Sonne schien so warm auf die weiße Kirchenmauer und auf das rohe Schindeldach , die Tauben flatterten hin und her , denn sie nisteten in den Luken des Türmchens , die Spatzen schrien und zankten sich in den Kirchenfenstern genauso keck wie unten auf der staubigen Straße . Die Ausgewiesenen aber saßen unbeweglich und lauschten , ob sie nichts erhaschen könnten von der langen Rede , die drinnen der Priester dem Brautpaare hielt ; als sie jedoch nichts hörten , begannen sie sich erst zu hecheln und zu knuffen , und endlich schwatzten sie über das Ereignis des Tages , zuerst halblaut , dann mit der schrillen Verbissenheit ärgerlicher junger Stimmen , so daß man sie bis in die stille Kirche hinein streiten hörte . » Dem Leopold wachst doch kein neuer Arm , wenn er auch heut heiraten tut ! « keifte ein dürres kleines Ding mit Sommersprossen und Blatternarben im Gesichte . » Aber die Lene ist heut schön ! « sagte das älteste Mädchen und schaute mit großen ahnungsvollen Augen hinauf in die goldflimmernde Luft , und als ein duckmäuserischer Knirps von einem Buben , der neben ihr saß , nicht gleich beistimmte , gab sie ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß und sah ihn herausfordernd an . » Was willst denn ? ... Schaust am Stephansturm und redst dabei ! ... Auweh ! ... Freilich ist sie schön ! ... Ich rück weg von dir ! « zeterte der Bursche , setzte sich aber aus Furcht vor ihrem Ellenbogen ganz nahe zu ihr . » Da kann's nicht puffen « , lachte er schlau . » Freilich ist sie heute schön , aber rote Haare hat sie doch « , sagte nachdenklich ein blasses kleines Mädchen mit einer stark vorgebauten Stirne . Die Kleine knüpfte ihre dichten blonden Zöpfe unter dem Kinn zu einer Schleife ; sie saß ganz vorne am Rand , schief , als ob sie davonreiten wollte , und so ließ sie auch die Beine in der Luft baumeln . » Jetzt kann sie aber den ganzen Tag spielen , muß gar nichts arbeiten , kann in der seligen Frau Weis ihrem Zimmer sitzen , muß nicht alleweil Handschuhknöpfe annähen wie wir « , seufzte ein puppenhaft feinzartes Ding , die jüngere Schwester der Brautjungfer , und schaute dabei auf ihre zerstochenen Finger . Aus dem Bierhause neben der Kirche scholl jetzt Musik herüber , zwei kernfrische Mädchenstimmen sangen hellaut : » Ist wieder einmal Hochzeit , Gibt's wieder ein neues Paar . Das Mädel – war eine Gredel , Und das Mannsbild ein Narr . Na ? – ist 's etwa nicht wahr ? « Schallendes Gelächter war die Antwort der Bierhausgäste . Die Türe flog auf , und im Tanzschritt sprangen zwei junge ganz gleich gekleidete Mädchen heraus . Sie hatten ihre nachtschwarzen Haare sorgfältig geordnet , als gingen auch sie zu einem Feste , ihre knappen blaugestreiften und gesteiften Kleider , die blütenweißen Schürzen , die buntseidenen Halstücher waren der echte Wäschermädchenstaat . Jede der im Äußeren so gleichen und eigentlich doch ungleichen Gestalten trug einen schmalen Korb am Arme , der war sauber und zierlich , als ob er gerade aus dem Kaufladen käme , trotzdem man die beiden nie ohne Deckelkörbe sah . Hinter ihnen gab es eine bunte Gesellschaft , die nachzottelte mit den Händen in den Taschen . Da waren drei oder vier Hausherrensöhne der Vorstadt , ein paar Soldaten , Gesellen , die bis Mitte der Woche blauen Montag machten , ein bekannter alter Fabrikant , der die große üppige Klara ins Herz geschlossen hatte , aber von einer Heirat nichts wissen wollte . Als die übermütigen Leute an der Kirche vorbeizogen , lachten sie laut auf , und mit heiserer Stimme sang einer der Soldaten : » Ist wieder einmal Hochzeit . « » Möchtest mich nicht heiraten , Marie ? Schau , es ginge jetzt gleich in einem « , rief mit ironischer Zutunlichkeit das jüngste Hausherrnsöhnlein der zierlicheren von den beiden zu . » Dich ? ... Lieber den alten Mesner , der drei Nasen übereinander hat . Zu ebener Erde die natürliche , im ersten Stock die Wein- und im zweiten Stock die Schnapsnase . « Das weiße zarte Gesicht , das sich ansah wie ein Heiligenbild , wenn das Mädchen schwieg , wurde zur widerlichen Fratze , wenn sie im derben Volkston ihre Spitzfindigkeiten hinwarf . » Nein , das ist zu arg « , sagte das jüngste Mädchen oben auf dem Schindeldach entrüstet , » das muß ich meiner Frau Mutter erzählen , die hat alle zwei zur Firmung geführt . « » Was denn ? was denn ? « fragten die Kleineren neugierig und schauten hinab auf die lärmende Schar . » Daß die Strohschneidermädeln schon vor der Kirche singen und schreien , gelt ? « fragte das größte Kind , » die tun mehr , was unserm Herrgott nicht recht ist « , betonte sie dann mit halbem Verständnis . Das spielte sich draußen auf der Straße ab , während drinnen in der Kirche der Leopold und die Lene das bindende » Ja « sprachen und alle Weiber wie bei einem Begräbnis einige Minuten lang in die weißen Taschentücher weinten . » Na ja ! Sind halt doch ein paar arme Waisen . Wie schnell dem Leopold seine Mutter gestorben ist , gleich nach ihrem Alten . Und der Lene ihre Leut erst , was die für eine Freud gehabt hätten an ihren Kindern , wenn sie das erlebt hätten ! « schluchzte die Laternenanzünderin . » Aber Nachbarin « , flüsterte ein hochbusiges , lebensfrohes Weib , » heut haben wir ja keine Leiche , sondern eine Hochzeit ! « Freilich , wahr ist 's « , seufzte die Frau und weinte weiter , da sie einmal begonnen . » Sie , Jungfer Braut , Sie müssen mehr denn je Ihrer Pflichten eingedenk sein , Sie müssen Ihrem Manne mehr sein als jedes andere Weib dem Manne ist , Sie müssen seine rechte Hand sein , und Ihr werdet wahrhaftig den Weg des Herrn in Frieden wandeln und in Ehren . « – So schloß der Pfarrer seine Rede , noch ein tiefes » Amen « , und die zwei waren eines . – » Und da soll ein Mensch nicht weinen , wenn einer so schön redet wie der Herr Pfarrer ? « wimmerte die Laternenanzünderin . Auch der Leopold fuhr bei dem Schluß der Rede mit der Faust über die Augen , dann blickte er auf seinen leeren Ärmel und dann mit glückleuchtenden Augen auf sein junges blühendes Weib . Er hatte während der Trauung ihre Hand nur auf die eine Sekunde losgelassen , es war ihm auf dem Herzensgrunde so gruselnd-ängstlich , als könnte ihm das Mädchen da an seiner Seite noch im letzten Augenblicke genommen werden , und was hatte er dann auf der Welt ? Seit er heimgekehrt war , hatte er an dem Kinde seine Freude , die Schönheit des jungen Geschöpfes machte ihn weich , wenn er grollen wollte , und lustig , wenn ihn sein Schicksal traurig dünkte , und stark , wenn er sich schwach und gedrückt fühlte gegenüber der alten fröhlichen Zeit . Je länger das währte , desto näher rückte der Wunsch heran , sie zu seinem Weibe zu machen . Und er hätschelte sie heimlich und offen und sagte ihr oft , wie draußen in der Welt , gleich in Italien , da , wo er war , die Männer ihre Weiber gut hielten , und ihre Kinder , setzte er meist hinzu , denn sie war ja noch ein halbes Kind damals . Und als die Alten dann eines nach dem andern starben , seine große Elternstube leer wurde , als er Brot genug erwarb für zwei , er war Straßenaufseher geworden , da fragte er : » Lene , möchtest du nicht die Meinige werden ? « Ei , wie ihm bei der Frage etwas im Hals zitterte und wie er eine Faust machte aus purer Verliebtheit , weil er sich nicht zu helfen wußte . Sie schaute ihn an , schmiegte sich ein wenig an ihn , lächelte und lief davon , ohne ein Wort zu sagen . Acht Tage später aber fragte sie in ihrer faulen , zurückhaltenden , kindischen Weise unauffällig , so wenn es sich schickte nur , alle alten Leute in der Blauen Gans : ob der Leopold hübsch sei , ob er eine Frau erhalten könne , ob er nie trinken würde so wie die andern paar leichtsinnigen Männer , die im Hause lebten , und ob er nicht sein Weib schlagen würde , so wie es im Zorn oder im Rausch fast jeder einmal wenigstens getan hätte . Die Leute antworteten erst lachend , dann ernst dem Mädel , das kaum aus den Kinderschuhen gesprungen war , kein rechtes Anschicken zur Arbeit hatte und eigentlich von dem ganzen Hause verzogen und erhalten wurde . » Weil sie ein armes Waiserl ist und so viel schön « , meinten die Weiber , und die Männer dachten sich dasselbe . » Sollst den Leopold heiraten , Lene ! « sagte der Laternenanzünder , der ihr Vormund war seit ihres Vaters Tod , » bist ein Waisenkind jetzt , und der Leopold hat ein gutes Einkommen , kann sich schon so eine Prinzessin nehmen , und der Leopold ist ein ehrlicher Kerl und hat eine Manier gelernt in der Welt , und der Leopold schaut am Sonntag aus wie ein gnädiger Herr , und er hat dich gern und verzieht dich von klein auf . Soll ich mit ihm reden ? « » Nein , nein ! Laß der Herr Laternanzünder-Göd das nur sein « , sagte sie leichthin und schlenderte davon . Noch am selben Abend aber , als sie am Brunnen stand , fragte sie den Leopold : » Wirst du nie viel Wein und Bier trinken ? « » Hab ich nie getan , du Kindskopf « , lachte er . » Wirst du dein Weib niemals schlagen ? « » Schäm dich , Mädel , daß du um so etwas fragst « , erwiderte er ernst . » Wirst 's nicht ? « fragte sie ruhig , mit Beharrlichkeit . » Die Weiber in unserem Stand sind geschlagen genug mit Sorge , Arbeit und kleinen Kindern « , sprach er mitleidig vor sich hin . » Kleine Kinder ? « fragte sie erschreckt aufhorchend . » Na ja , glaubst , sie kommen schon so groß auf die Welt und so schön wie du ? Bis sie so werden , denk nur zurück , kosten sie viel Sorg und Pflege . « » Ich mag aber keine kleinen Kinder « , flüsterte sie trotzig . » Auch recht ! « schrie der Leopold übermütig und lachte wie toll in das junge blühende Gesicht . » Wenn du mir das alles versprichst , dann heirate ich dich « , sagte sie ernst und setzte sich wie vor Jahren auf seinen Schoß und lehnte ihren Kopf an seine Schultern . » Goldfuchs ! Wer würde nicht der bravste Mann , wenn er so ein schönes Mädel zum Weib kriegt ; gut sollst du es haben bei mir wie keine in der Blauen Gans ! « Vier Wochen später war die Hochzeit , und Leopold dachte schmunzelnd zurück an die drollige Verlobung am Brunnen , und darum hielt er seine Lene so fest an der Hand , damit der Kindskopf nicht fortlaufe , damit sie ihm keiner mehr nehmen könne ... Ah , bah ! Jetzt waren sie ja wirklich Mann und Frau , jetzt gehörte sie ihm an , er schlug seinen Arm um ihren Leib und drückte sie fest an sich , sie aber blinzelte hinauf zu ihm und wisperte : » Aber Leopold ! Du tust mir weh ! « Und sie kicherte schon in dem Augenblicke , als sich der Pfarrer umwendete und hinausschritt . » O du ! ... du meine ! Ich möcht dir dein Lebtag nicht weh tun « , sagte der junge Ehemann fast zu laut und küßte sie schallend auf die roten , vollen Lippen . » Zerzaus mich nicht , Leopold « , lispelte sie geziert und zog den Schleier über das feingefärbte Gesicht , ordnete ihre Locken und das dünne lange Kleid , dann erst horchte sie selbstgefällig zu den Nachbarn hin , die ihre Glückwünsche darbrachten . » Jetzt geht die ganze Hochzeit in die Sakristei , dort wird die ganze Hochzeit eingeschrieben , und nachher wird gegessen , getrunken und getanzt ! « rief der Laternenanzünder und streckte sich in seiner vollen Länge . Der alte Dragoner führte heute das große Wort , er war ja Brautvater , war Vormund und Beistand , er hatte zu dieser Feier sogar seine alte Uniform herausgesucht . » Wie eine Prinzessin schaut das Mädel aus ! « brummte er vor sich hin . » Gelt , Laternanzünder , ich hab's erraten mit dem Goldfuchs ? « » Ob es aber so gegangen wäre ohne mein Dreinreden ? « fragte der Laternenanzünder . Der Leopold nickte dankbar , zog den Arm der Lene in seinen und führte sie aus der Kirche . Draußen stand der Nachbar Krippelmacher mit seinem Sohne , sie hatten ihre Geigen mit , und noch ein dritter Musikant war dabei , der blies die Klarinette , daß es jedem durch Mark und Bein ging ; alle drei empfingen die Hochzeiter mit einem lustigen Marsch , dann stellten sie sich an die Spitze und gingen musizierend dem Zuge voran in die Blaue Gans . War das eine Herrlichkeit ! Die große Waschküche war zum Speisesaal und Tanzsaal mit bunten Öllämpchen , Tannenreisig und weißem Zeug hergerichtet , der glitzernde blanke Sand auf der Diele knirschte , und als sie nach der großen Esserei die Tische beiseite rückten und zu tanzen begannen , da liefen alle Nachbarn aus den nächsten Häusern herbei zu den Fenstern , machten lange Hälse und guckten hinein zu den lustigen Hochzeitsleuten . Der junge Hausherrnsohn , der fast immer mit den Strohschneidermädeln herumzog , und noch ein zweiter leichtsinniger Mann , der geschieden von seiner Frau lebte und seines Vaters Geld vertat , die beiden gingen frischweg hinein , schüttelten dem Leopold die Hand , fragten nach seiner Braut und schauten sich alle die anderen hübschen Mädchen an . Der junge Ehemann holte sein Weib , und wie sich das Paar fast ganz allein bei dem Ehrentanz drehte , die mädchenhafte Frau sich so biegsam und lässig bewegte und mit halbgeschlossenen Augen auf den Arm ihres Mannes stützte , da kam es den neuen Gästen vor , als hätten sie die Lene noch nie gesehen . » Du , wie ist denn die so in die Höhe geschossen , ohne daß wir sie bemerkt haben ? « lallte der Jüngere . » Ward uns weggeschnappt ! « erwiderte sein Begleiter . Gleich nachdem der Walzer vorbei war , bot der Leopold seiner Frau einen Stuhl , er trocknete sich die Stirn , küßte die Lene auf die Schultern und lief zu den Musikanten hinüber , die zwei Nachtschwärmer aber drängten sich hinter die Braut . » Das schönste Mädel , das ich mein Lebtag gesehen hab ! « flüsterte der bartlose Bursche , jedoch so laut , daß es die Lene hören mußte . » Aber Franz , Frau ! Frau , mußt du sagen . Die hätte einen Ganzen kriegen können , nicht so einen Dreiviertelmann , der sich anschaut wie ein Vogelschrecker im Saatfeld , an dem die leeren Ärmel herumfliegen , wenn der Wind geht « , spottete der andere . Die Lene blickte zu ihrem Manne hin und schrak zusammen , dann wandte sie sich nach den beiden um , ließ einen langen Blick über die Eindringlinge gleiten und zuckte die Achseln bedauernd und aburteilend . Als der Leopold kam , hängte sie sich an seinen Arm und sagte so laut , daß es die beiden als Antwort nehmen konnten : » Führ mich bald heim , es sind Leut da , die nicht hergehören . « Das junge Ehepaar ging auch davon , ohne Abschied zu nehmen , sie liefen hinüber in die stille große Stube . Die blendend weißen Vorhänge waren niedergelassen , der Tisch war weiß gedeckt , und ein bunter Strauß stand neben dem Nachtlicht . Die hochaufgebauschten Betten glänzten , so weiß und fein war das Leinenzeug , das die Waschfrauen der Lene zur Aussteuer geschenkt hatten . Mit einem leichten Seufzer schaute sich das junge Weib in dem friedlichen Gemache um . – Auch der Leopold blickte in alle Winkel , überall nickten ihm Erinnerungen entgegen . Es ist doch etwas wert , so ein altes , liebes Heim zu haben , dachte er , setzte sich nieder , zog seine schöne bräutliche Frau auf den Schoß und sagte : » Weißt , Lene , so sind wir gesessen , wie ich heimkommen bin . « Bis in den hellichten Tag hinein tanzten die Nachbarn , und noch in den Schlummer des jungen Paares schlichen sich die schmeichelnden Töne des Walzers , den sie zuletzt miteinander getanzt hatten . Am Himmel stand die blasse Mondsichel . Ein böses Wort verfolgte die junge Frau bis in ihre Träume , scheuchte sie auf , und mit Grauen sah sie beim blassen Schein des Nachtlichtes , daß der Traum Wirklichkeit wurde . Seit jenem fröhlichen Hochzeitsfeste waren nun wie der zwei Jahre um . Die Lene saß in der großen Stube auf dem Fensterbrett und musterte aufmerksam die kostbar gestickten Sommerkleider und Röcke , die draußen im Hof an der Waschleine hingen . Ein Kind lag in ihrem Arme , das sog und sog und schmatzte mit den Lippen . Die Lene strich sich die Scheitel glatt , zog die schweren Flechten tiefer ins Genick , betrachtete aufmerksam ihre schlanke Hand , schaute auf die atlasweiße Haut ihres Busens , hob dann das Kind ein wenig und knöpfte ihr Kleid bis an den Hals hinauf zu . Gleichmäßig wie eine Maschine schaukelte sie den Kleinen hin und her und sang leise . » Grüß dich Gott , Lene , wie geht 's mit dem Buben jetzt ? « » Na , es geht halt wie immer . « Du lieber kleiner Kerl , du ! « sagte die Hanne lachend und beugte ihren schmalen Körper zum Fenster hinein , küßte das Kind und setzte sich von außen der Lene gegenüber auf das Fensterbrett . » Kommst aus der Stadt ? « » Ja , ich war die Handschuhe abliefern . Ich bin alleweil froh , wenn ich wieder daheraußen bin , die vielen Leut , die Wagen , der Lärm ! Ganz dumm komm ich mir vor , wenn ich außer unserem Haus bin . « Die Lene nickte und schaute nachsinnend auf das dunkle Kleid der Hanne . Es war auch ein gar schlichtes Gewand , zugeschnitten wie für eine Nonne , ohne jeden Aufputz , und als die Augen des schönen Weibes hinaufrückten bis zu dem Kopf der andern , da lächelte sie bedauernd . Wer wird sich die Haare so glatt hinter die Ohren streichen ; wie das Mädel aussieht ! dachte die Lene . Eigentlich war die Hanne nur größer geworden und sah geordneter aus , sonst war alles gleichgeblieben an ihr , dasselbe still-freundliche Kindergesicht , die anspruchslose schmale Gestalt , das verschüchterte Gebaren , die weiche , sich gleichsam in sich selbst verbergende Art . » Dein Mann ist mir auch begegnet « , hub die Hanne mit unsicherer Stimme an , » hast du Verdruß mit ihm gehabt ? « » Warum ? « fragte die Frau gähnend . » Weißt , weil er halt so wild dreingeschaut hat . Seine Straßenkehrer hat er auch zusammengeschimpft ; so ist er meistens , wenn es zu Hause ... wenn du ... « » Ich ? « » Ja weißt , du sollst halt freundlicher mit ihm sein , er tut ja alles , was er dir von den Augen absieht « , erwiderte das Mädchen kleinlaut . » Jetzt ist der Bub fast sechs Monat alt , und die ganze Zeit hat er Tag und Nacht geschrien , soll ich da vielleicht alleweil lachen ? « » Aber dafür kann doch dein Mann nichts ! So ist es deiner Mutter und meiner und allen Weibern gegangen . Kleine Kinder machen halt Verdruß und Sorgen « , klagte sie kleinlaut und frauenhaft . Die Hanne hatte ja ihre jüngeren Geschwister aufziehen helfen , sie wußte ein Lied davon zu singen . » Verdruß und Sorgen genug ! « greinte die Lene . » Der Bub nimmt mir die schönste Zeit weg , immer muß ich da hocken , er macht mich um zehn Jahre früher alt und vor der Zeit häßlich , das weiß ich . « » Aber Lene , das ist ja eine schwarze Sünd , so zu reden ... Tag und Nacht plagt sich dein Mann für dich ! Er kann doch nicht auch Kinder warten ? Denk doch nur nach darüber . Du hättest keinen besseren Mann kriegen können . « Die Hanne hatte sich atemlos geredet , sie schwieg plötzlich erschrocken , das Kind weinte auch wieder , und die Lene , die keine Antwort zu geben wußte , brütete vor sich hin . Sie schüttelte das Kind mehr , als sie es wiegte , mit einmal aber fragte sie hochfahrend : » Bin ich vielleicht nicht mehr wert als die andern Weiber ? Bin ich nicht schöner ? « Das war nun freilich für alle Bewohner der Blauen Gans ein überzeugender Grund . Die Schönheit des jungen Weibes wurde wie etwas Kostbares , Wertvolles anerkannt und von ihr selbst als solches hingestellt . Fremde konnten über dieses naive Selbstgefühl lächeln , die Nachbarn aber nickten beifällig , wenn die Lene von ihrer eigenen Schönheit sprach . Sie war nie auf Widerspruch oder Neid in ihrem Kreise gestoßen , sie hatte nie die böswilligen Nörgeleien zu ertragen gehabt gleich anderen hübschen Mädchen , sie war anerkannt worden und blieb es auch , seit sie dem Leopold sein Weib war . Auch jetzt schien die Hanne verblüfft über die Frage , sie blickte mit scheuer Bewunderung in das reizvolle Gesicht der Freundin und beteuerte ehrlich : » Natürlich ! so schön , wie du bist , hat es ja noch keine gegeben . Heute habe ich an dich gedacht , hab gedacht , wenn ich so schön wäre wie du und gewachsen wie du , könnt ich jetzt mein Glück machen . « » So , wie denn ? « fragte die Frau und lächelte befriedigt . » Denk nur , dreißig Gulden jeden Monat zahlt , unserem Herrn ' seine Schwester , die Französin , dem Blank seine geschiedene Frau , einem schönen jungen Mädel . Weißt , sie hat das Handschuhgeschäft aufgegeben , sie hat jetzt einen Salon , wo sie Kleider machen läßt für die nobelsten Leut . Die Kleider muß eine schöne , schlanke Person anziehen , hin und her gehen , niedersetzen damit , weißt , daß es halt die noblen Damen sehen , wie das paßt . Dreißig Gulden ! Das wäre mein meistes Geld , das ich je in der Hand gehabt hätte . Und dann noch – « , die Hanne hielt inne , so rasch hatte sie gesprochen . » Und dann noch ? « wiederholte die Lene gespannt . » Noch zwei schwarze Kleider im Jahre und ein Christgeschenk und Neujahrsgeld und Trinkgelder von den Damen . « » Den ganzen Tag schöne Kleider anprobieren , bei lauter noblen Leuten sein , kein Kindergeschrei hören « , sagte die Lene mehr zu sich selbst und schaute nachsinnend auf das Mädchen , und nach einer Weile sprach sie laut , als ob sie eine lange Gedankenreihe abschließen würde : » Hätt sollen dich heiraten , der Leopold . « Zwei- , dreimal flogen dunkelrote Schatten über das blasse Gesicht der Hanne , sie zog die Ellenbogen an die Hüften und schob die Schultern hinauf , so , als ob sie ihren dürftigen Leib noch schmaler machen wollte , und als sie endlich zaghaft zu der jungen Frau aufblickte , da waren ihre großen klugen Augen voll Wasser . Behutsam griff sie nach den zarten Händchen des Kindes , schlug sich damit sachte auf die Stirn und murmelte , nur so die Worte zusammenraffend : » Hörst , Polderl – was deine – Frau Mutter – für spaßige Sachen redet ! « Das Kindchen lächelte mit jenem zerflossenen Lächeln , das sich nirgends regt , das nirgends haftet , die ausdruckslosen Augen stierten in das blasse Gesicht , und da verzogen sich plötzlich die vollen roten Lippen wirklich , und nun sah der Kleine seiner schönen Mutter ähnlich . » Und dein Bub wird genau wie du « , rief die Hanne und schaute in die Augen des Männleins , » nur die Augen , die Augen , die hat er von seinem Vater . « Der kleine Bursche krabbelte mit allen zehn Fingern über das Gesicht des Mädchens , endlich erwischte er auf ihrer Stirn ein Büschel Haare , daran klammerte er sich nun . Die Lene duselte wieder so mit halbgeschlossenen Lidern , sie blinzelte nur manchmal seitwärts hinüber auf die wehenden gestickten Falbeln der Kleider und Unterröcke . » Wer solches Zeug an sich tragen kann ! Das gibt doch gleich eine andere Form als so ein Kattunkittel da . Den ganzen Tag solche und noch weit schönere Kleider anprobieren ! « . . . Der Kleine schrie gellend mitten in diese rosigen Träume . » Grüß dich Gott , Lenerl ! Servus , Kronprinz ! « rief es vom Haustor her , und der Leopold , der eben heimkam , schwenkte seinen Hut fröhlich , pfiff laut und rein den Anfang eines Volksliedes , und als er den halben Weg zurückgelegt hatte , sprang er mit großen Sätzen heran . » Bist auch da , Hanne ? So schön ! Mein Bub reißt dir alle Haare aus ; wirst das bleibenlassen , kleiner Racker ? « Er löste die Hand des Bübleins los , blickte aber dabei immer auf sein Weib , das sich nicht regte noch rührte , nur jetzt ein klein wenig den Kopf rückte , als er sie schallend küßte . » Ist's dir schon wieder nicht recht ? « fragte er und nahm sie am Kinn , » soll ich dir nicht › Grüß Gott ‹ sagen in meiner Weis ? « » Vor alle Leut ? « » Und was weiter ? Seit wann ist die Blaue Gans so nobel worden , daß sie es nicht sehen kann , wenn sich Eheleut küssen ? « rief er , lachte gezwungen und küßte sie wieder . Die Lene drückte das Kind fester an sich , stand auf und ging langsam in der Stube auf und nieder , die Hanne schüttelte dem Leopold die Hand und schritt durch den Hof hinüber in ihre Kammer . » Sag mir nur , Weib , was du willst ? « fragte der Mann durch das Fenster hinein , als aber die Lene keine Antwort gab und nur rascher auf und nieder ging , schwang er sich über die Brüstung und stand jählings mitten in der Stube . Er schleuderte seinen Hut in eine Ecke und setzte sich an den Tisch . Es war nichts verändert in dem Gemache , nur die beiden Ehebetten waren in das dunkle hintere Ende geschoben und auseinandergerückt , weil das Wiegenbettchen des Kindes dazwischen stand . Und noch etwas fiel auf , gegenüber dem Fenster , soviel als möglich im Lichte , stand eine rohe Kiste , die mit weißem billigem Vorhangzeug überkleidet war . Auf diesem sonderbaren Putztisch lagen grellfarbige Neujahrskarten und übel aussehende Tanzorden , es standen auch ein paar schreiend bemalte Gipsfigürchen dort , und das Bild der jungen Hausfrau schaute durch ein grünliches Glas geziert und steif zugleich auf die Schätze , die es umgaben . Über dem Tisch hing der alte Spiegel , der die Menschengesichter im vollen Licht noch mehr verzerrte . Der Leopold saß da und pfiff leise durch die Zähne , er wartete eine geraume Zeit , dann sagte er : » Lene , ich möcht essen . « » Hab nicht gekocht . « Der Mann schaute überrascht auf , dann lächelte er vergnügt , sie hatte ja seit langer Zeit kein einziges Mal gescherzt , und jetzt machte sie ein ganz ernsthaftes Gesicht zu dem Spaß ; er wartete wieder , die Lene aber ging wie ein Pendel so gleichmäßig auf und nieder und wiegte das Kind , sonst aber rührte sie keinen Finger . » Du , das wird doch nicht dein Ernst sein ? « sagte er plötzlich und wurde blutrot . » Schau . « Er stand auf , sah über die Achsel nach dem Weibe und ging rasch in die Küche . Dort fand er den Herd kalt , alles blank und sauber geputzt , sie hatte richtig nichts gekocht . Er biß sich in die Unterlippe und kehrte zurück in die Stube . » Was hast du denn gar so Notwendiges zu tun gehabt , daß du nicht die Stund für mich gehabt hast ? « warf er nur leicht hin , als ginge es ihm nicht zu nahe . » Schlafen . « » Schlafen ! « fuhr er auf , » beim hellichten Tag , bist verrückt ? « » Nein . Aber die ganze Nacht hab ich den Schreihals da herumgeschleppt . « » Na und ? « » Und da muß ich mich am Tag ausschlafen « , erwiderte sie bestimmt . » Was tun die Weiber , die den ganzen Tag arbeiten müssen ? « Sie schaute ihn überrascht an und klagte dann weinerlich : » Soll ich auch so geschwind alt und häßlich werden wie die anderen und das alles wegen dem Kind ? « Sie warf im Vorübergehen einen Blick in den Spiegel , trat dann auf ihn zu und sagte : » Da schau mich nur an . « » Ich seh nichts Besonderes « , sagte er und bemühte sich , gleichgültig hinzusehen auf das schöne Weib , das vor ihm stand und ihn mit den feuchtschimmernden Augen anstarrte . » Schau meine Augen an , die schwarzen Ränder . Und da , da und da « , sie schob die runde weiße Achsel aus dem Kleide und streifte den Ärmel über Gelenk und Ellenbogen , » da überall sieht man schon die Knochen . « » Aber Lene ! « flüsterte der Mann begütigend und legte seinen Arm um ihre Schultern , » du bist viel schöner , als du warst ! « Und seine Lippen suchten ihren Mund , sie aber entwand sich ihm . » Es ist nicht wahr ! Seit dem Kind bin ich ganz anders . Was soll ich anfangen ? « » Freundlich sein . « Sie antwortete nicht , nur ihre Oberlippe hob sich . Endlich schlief das Kind , sie legte es vorsichtig in die Wiege , ließ die Arme sinken und jammerte : » Kein Glied kann ich rühren . « » Und was hat denn die gnädige Frau zu Mittag gespeist ? « fragte er spottend , um seine Fürsorge zu verbergen . » Die Hanne hat drüben bei ihr mitgekocht in der Rastzeit . « » Schämst du dich nicht vor dem armen , fleißigen Mädel ? « brauste er auf . » Nein ! « » Ich geh ins Wirtshaus . « » Recht hast « , sagte sie nachlässig . » Bring mir etwas heim , ich geh bald schlafen . « Sie kauerte sich wieder in die Fensternische und sah aufmerksam zu , wie eine Nachbarin die gestickten Unterröcke von der Leine nahm . Ihr Mann ging ohne Gruß davon , nur zufällig schaute sie ihm nach , der Hof war so lang , und durch den großen Torbogen flog der feine Straßenstaub herein , so daß sich die dunkle Gestalt des Leopold genau abhob . Der Abendwind bewegte den losen Ärmel seines Rockes , und sie mußte immer das flatternde Stück an der Figur des Mannes im Auge behalten ... da waren der Traum und die Wirklichkeit der Hochzeitsnacht wieder . Der ganze Mensch war verändert , wenn er einmal den leeren Ärmel nicht in die Tasche steckte , als ob er auseinanderfliegen könnte , so schaute sich dieses unruhige Flattern aus der Ferne an . Dazu ging er auch nicht so stramm wie sonst , er ließ die Schultern vorhängen und hieb mit einer aufgelesenen Gerte vor sich und hinter sich , als wolle er ein müdes Pferd , das ihn schlecht weitertrug , antreiben . So schlenderte er zum Tore hinaus , und die Lene starrte ihm nach , allmählich war sie befriedigt , weil der Kleine schlief und ihr Mann nicht sprach . Auf dem Hofe draußen wurde es lebendig , Feierabend war , die Weiber kamen aus ihren Küchen und riefen laut nach ihren Kindern , die Männer kehrten von ihrer Arbeit heim , und so saß den großen Hof entlang vor jeder Türe ein Häuflein beisammen , alle aßen und plauderten , schrien einander zu und waren so fröhlich , als säßen sie mitten im Überfluß . Die Lene hockte in ihrem Fenster , lauschte mit halbem Ohr und schaute mit halbem Blick nach ihnen , nur wenn ein Kind aufschrie , zuckte sie zusammen und horchte in die dunkle Ecke . Als die Hanne und noch ein paar Jüngere dem Fenster nahe kamen , winkte sie ihnen nicht , sondern legte einen Finger an die Lippen und deutete in die Stube . Sie wollte allein sein . Ich weiß ja , wovon die alle reden , dachte sie , während sie hinüberschielte zu den Nachbarn . Und sie wußte auch wirklich , wovon die andern sprachen , von Kindesbeinen an hatte sie das eintönige , lustige oder schwermütige Gesumme mit angehört : Arbeit , Liebschaften , Neuverheiratete , kleine Kinder , Tote , das war alles . Zuweilen sprachen sie von jenen , die aus der alten Tretmühle hinausgekommen waren , die ihr Glück gemacht hatten in der Welt , so wie die Gretel , die unter die Theaterleute gegangen war und erst vor kurzer Zeit sich wieder um die Blaue Gans geschlichen hatte , ein seidenes Kleid am Leibe , so erzählte der Hausherr . Das ging über die Begriffe des schönen Weibes . Wie kann man wieder dahergehen , wenn man ein seidenes Kleid trägt , daher , in diesen Winkel voll Waschdunst , Lärm und kleinen Kindern ? Sie blickte wieder flüchtig zu den Nachbarn hin . Jetzt steckten sie die Köpfe zusammen und wisperten , warum ? wovon ? – Von ihr selbst natürlich ! Sie erzählten einander , daß sie heute nicht gekocht habe und daß ihr Mann ins Wirtshaus gegangen , das war ja etwas Neues für die Blaue Gans . Sie schlug das Fenster zu , ließ die Vorhänge nieder und zündete die Lampe an . » Ei , sollen reden « , murrte sie vor sich hin . Sie richtete mißmutig die Betten für die Nacht zurecht , und als das Kind halb im Schlafe leise aufweinte , gab sie im Vorübergehen der Wiege einen sachten Stoß , daß sie sanft weiterschaukelte . Immer vor sich hin brütend , löste sie ihr prächtiges rotes Haar , schüttelte es über die marmorweißen Schultern und liebäugelte mit ihrem Bilde , das selbst in diesem Spiegel noch schön blieb . Mit einmal nahm sie ein Kästchen von dem Putztische , kramte unter den Seidenbändern , die drin lagen , und zog endlich ein Päckchen Spielkarten hervor . Träge setzte sie sich an den Tisch , rückte die Lampe heran , mengte die Karten langsam und legte dann die Blätter in vier Reihen , eine unter die andere , vor sich hin . Da saß sie nun , und das feine kindliche Antlitz ruhte mit dem Kinn in der hohlen Hand , und die graugrünen Augen rückten spähend von einem Blatt auf das andere . » Eins ... zwei ... drei ... vier ... fünf ... sechs ... sieben ! Verdruß ! « Sie seufzte leise und zählte weiter bis zur nächsten Sieben . » Veränderung ?! ... Richtig , drei Aß nebeneinander ! Kummer ! Unglück ! ... Und da wieder ein kleines Kind ! « Das junge Weib wurde kreidebleich , sie streifte entsetzt die Karten zusammen , verbarg sie wieder und ging niedergeschlagen zu ihrem Lager . Noch aus dem Bette schaute sie nachdenkend auf den kleinen Buben hinab , der unruhig in seiner Wiege schlief , dann drehte sich die Lene unmutig gegen die Wand , als aber das Kind schluchzend seufzte , wandte sie sich um und spähte in das rosige Gesichtchen , bis ihr die Augen zufielen . Bald bewegten ihre Atemzüge gleichmäßig die Flamme des Nachtlämpchens , das neben ihr stand . Sie machte große Augen , als sie aufwachte und ihren Mann vor dem Spiegel stehen sah . Er bürstete sich die Haare zurecht . » Gehst du fort ? « fragte sie schlaftrunken , ohne Erinnerung an den letzten Abend . » Nein , Schatz ! « stieß er heraus und kicherte wie ein Weib , » ich komm heim . « » Jetzt ? « » Ja , es ist erst fünf Uhr . « » Ah ! ... das ist arg « , sagte die Lene und setzte sich jäh im Bette auf , » wo warst du ? « Alleweil im Wirtshaus . Hab aufs Heimgehen vergessen , weil es dort so lustig war und weil die Leut alle so freundlich mit mir waren . Die Allerhand-Mädeln haben gesungen , ein paar alte Kameraden waren da , getanzt ist worden und da ha ... « » Sei still ! « » Oho ! « » Sei still . Ich bitt dich . Geh bald wieder fort « , sagte sie tonlos . » Und warum ? « » Ich kann dich in einem solchen Zustand nicht anschaun . « Der Leopold stand jetzt neben dem Lager seines Weibes , er hatte die Hand in der Hosentasche stecken , und eine erloschene Zigarre hing aus dem Mundwinkel nieder , er spreizte die Beine weit auseinander und ließ sich immer von den Fersen auf die Zehen und von den Zehen wieder auf die Fersen sinken , dabei musterte er die Lene mit seinen rotunterlaufenen Augen und lachte ihr manchmal kurzweg ins Gesicht . » Geh , sag ich dir ! « rief sie eindringlich . » Und wenn ich nicht gehen will ? Wenn ich mich jetzt niederlegen will und schlafen , wer könnte mir das verbieten ? Wer ? Wer ist der Herr im Hause ? « » Du hast zu tief ins Glas geschaut . « » Daß ich nicht zu tief in die Teller schaue , dafür sorgst du ! Kochst nichts , legst dich am hellichten Tage schlafen . Was wirst du tun , wenn wir erst fünf , sechs Kinder haben ? Da bleibt die ganze Familie alleweil im Bett liegen , gelt ? « schrie der Leopold und lachte verbissen . Die Frau schaute ihm plötzlich voll ins Gesicht , ein Schauer lief durch ihre Glieder , sie zog ihr Nachtleibchen höher hinauf , warf einen Rock über , sprang aus dem Bette und huschte an ihm vorbei in die Küche hinaus . Der Leopold ließ die Zigarre aus dem Munde fallen und warf sich auf sein Bett , er schleuderte die Stiefel polternd von den Füßen , streckte und reckte sich und gähnte mit aufgesperrtem Mund , dann rief er nach seinem Weibe , schnarchte aber schon , ehe sie ihm hätte Antwort geben können . Die Lene öffnete leise die Türe und blickte vorsichtig nach ihrem Manne ; als er ungestört weiterschlief , schlich sie geräuschlos in die Stube , kleidete sich allmählich an , nahm das Kind aus der Wiege und schob sich dann geduckt und lauernd hinaus ; sie verschloß die Küchentüre und glitt , ohne sich umzuwenden , dahin über den stillen Hof . Bei dem Kammerfenster der Hanne blieb sie stehen und atmete zum ersten Male aus voller Brust , dann pochte sie hastig an die Scheiben . Das junge Mädchen hob den Kopf , ließ die Arbeit erschreckt in den Schoß fallen und machte ein Zeichen gegen die Türe ; sie stand mühsam auf und öffnete . Die Lene schlüpfte hinein , ließ das Kind in die Arme der Hanne gleiten und kauerte sich auf den einzigen Lehnstuhl , der in der Kammer stand . » Ist dem Leopold etwas geschehen ? « fragte das Mädchen zitternd . Ah ! Jetzt ist er heimgekommen ! Die ganze Nacht im Wirtshaus , hat gesungen und getrunken und getanzt mit den verrufenen Weibsbildern , mit den Allerhand-Mädeln ! « » Aber was ist ihm da nur eingefallen ? « klagte die Hanne hilflos , » und warum laufst du so verstört herüber ? « » Weil mich ein Grausen anpackt , wenn ich einen betrunkenen Menschen seh . Und mein Mann ? Ob ich ihn noch einmal anschauen kann , seit ich ihn so gesehen hab , weiß ich nicht . Brr ... « Es schüttelte die Lene , als ob sie aus einem Schneegestöber käme . » Aber denk nur , da müßten Sonntag und Montag fast alle Weiber von ihren Männern davonlaufen . So was kommt manchmal vor , und jede ertragt es . « » Ich bin nicht wie eine jede . Ich hab ihm das gesagt , eh' ich ihn genommen hab . Ich trag es nicht . « Sie sagte das ruhig und bestimmt , lehnte den Kopf zurück und schaute an die Zimmerdecke , dann setzte sie halblaut hinzu : » Der hat doch recht gehabt . Wo hab ich nur hingeschaut ? « Der Leopold erwachte erst gegen Mittag , und als er die Türe verschlossen fand , stieg er durch das Fenster in den Hof hinaus . Er schaute sich nach allen Seiten um , da er aber sein Weib nirgends sah , ging er weiter und pfiff recht laut und auffallend . Die Nachbarn sollten nichts merken davon , daß es etwas gegeben hatte in der Wirtschaft , er eilte vorwärts , und so wie am Abend früher flatterte sein Ärmel in der Luft herum . Der Leopold dachte nicht daran , daß sein Weib aufpaßte und hinter dem Fensterkreuz , solange sie ihn sehen konnte , auf den leeren Ärmel stierte . Als sie ihren Mann weit genug entfernt wußte , lief sie mit ihrem Kinde hinüber in ihre eigene Stube . Sie ordnete langsam , was da herumlag , aber es ging ihr nichts von der Hand . Es war auch , als ob der Kleine die ängstliche Verdrossenheit seiner Mutter eingesogen hätte , so böswillig greinte und quiekte er und wollte nicht in seiner Wiege bleiben ; wenn sie ihn aufnahm , schwieg er ; wie aber konnte sie das Kind in den Armen halten , sie hatte doch über und über zu schaffen ? Mit beschmutzten Stiefeln war der Leopold in der Stube herumgetrottet , die Betten standen zerwühlt da , Mitte der Woche war bereits , und sie mußte daran denken , das Bündel Wäsche rein zu machen , das unter dem Putztisch seit der vergangenen Woche versteckt lag , kochen sollte sie und den Schreihals warten . Sie dachte dabei fortwährend an ihren Mann , seit einigen Stunden wußte sie , daß sie das alles tun müsse . Das Kind hielt sie lässig in den Armen und reihte sich so aneinander , was geschehen würde , wenn sie nicht so wie die anderen Weiber zugreifen und sich abplacken wollte . Dieses innerliche Zurechtlegen und Nachdenken über eine Menge Dinge , die ihr , ohne daß sie sich früher klar darüber wurde , zuwider waren , erschien ihr jetzt noch unerträglicher als die gewohnten , täglich wiederholten Handgriffe . Eines hing aber mit dem andern zusammen ; wenn sie nicht arbeiten , nicht alt und häßlich werden wollte vor der Zeit , wenn sie nicht jedes Stück , das da stand und lag , Tag um Tag reiben , fegen , waschen wollte , wenn die Suppe nicht auf ihn wartete , wenn sie das Kind nicht herumschleppte , so durfte ihr Mann sie ausschelten und die Nächte hindurch im Wirtshaus bleiben , er brauchte ihr kein Geld zu geben für sie und sein Kind , er konnte sie am Ende sogar noch schlagen , wenn er volltrunken heimkam ... Das durfte er , weil sie sein Weib war . Sie mußte also wie er das tägliche Brot erwerben , sie mußte arbeiten für ihn und für die Kinder , die sie noch mit tausend Schmerzen so wie das eine schreiende da zur Welt bringen sollte ; sie kroch in sich zusammen vor Angst und Zorn . Und niemals soll das anders werden , bis an das Ende immer derselbe mühseliglangweilige Weg ? Jetzt erinnerte sie sich an die unscheinbare , unschöne Mutter ihres Mannes , die sich immer abgequält und abgemüht hatte , die so arm und klein war neben ihrem rechthaberischen Eheherrn , dem Vater des Leopold . Wenn der seinem Vater nachschlagen würde , dann müßte sie unausbleiblich solch ein verkümmertes , zusammengerackertes Geschöpf werden , wie die alte Frau Weis gewesen . Und warum muß das sein ? Zum ersten Male , seit sie die Frau des Leopold war , kamen ihr die Worte des Pfarrers in den Sinn , es war ihr , als hörte sie die Trauungsrede mit einer Deutlichkeit , daß sie nach der Ecke hinhorchte , denn von dort her sprach die eintönig pathetische Stimme zu ihr : » Freud und Leid miteinander tragen . Treu bleiben bis in den Tod . Streng jede Pflicht erfüllen . Stets der Pflicht eingedenk sein . In Wahrheit seine rechte Hand werden . In Frieden wandeln ... « Sie schüttelte sich bei dieser Erinnerung . Ja , ja ! Das hat er alles gesagt , und jetzt wußte sie auch , was das Wort Pflicht heißt . Warum hat ihr damals kein Mensch ihre Pflichten haarklein vorgesagt , vor dem Altare hörte sich die Geschichte wie eine lange schöne Rede an , sie hatte hingehorcht mit halbem Ohr und mit lachendem Herzen , es war ja so lustig , von allen Leuten angeschaut zu werden , schön aufgeputzt zu sein und Hochzeit zu halten . Und was der Leopold alles versprochen hatte , als er beim Altar stand und ihre Hand so fest drückte ! – Was ist aus dem Versprechen geworden ? – Ja , er ist treu geblieben , er hat für sie gesorgt , aber was er zu geben hatte , war wenig genug . Sie mußte es doch besser haben können auf der Welt , sie ist ja schöner als alle Mädchen und Weiber der Vorstadt . Mochte sie es anstellen , wie sie wollte , sie kam immer zu diesem Schlusse . Sie hatte schon ein schmerzhaftes Pochen und Zerren im Genicke , hinter den Schläfen fühlte sie ab und zu ein Krachen , als ob eine Stecknadel hineingestoßen würde , ihre Arme zitterten , so sehr erregte sie das Nachgrübeln über die Vergangenheit und Zukunft , dabei wurde die Arbeit in ihren Händen immer mehr , so widerwillig packte die Lene sie an . Von jenem Tage ab war kein Stäubchen in der Stube zu sehen , kein Knopf fehlte an den Hemden des Leopold , kein Fleck war in der Wäsche , und kam er heim , so dampfte die Suppe schon auf dem Tische . Das junge Weib hatte sich mit schwerfälliger Genauigkeit eingeprägt , was sie zu tun habe , um den Frieden zu erhalten , und von jenem Tage ab durfte der Mann nimmer über sein Hauswesen klagen . Was konnte ihm das helfen , nach kurzer Zeit schon hätte er über jede Nachlässigkeit geschwiegen , wenn ihn ihre roten Lippen mit einem Kuß begrüßt hätten , und selbst wenn er sie halb im Zorn , halb in auflodernder Zärtlichkeit an seine Brust riß , konnte er doch kein liebevolles Wort aus ihr herauspressen . Und das ging Woche um Woche so fort . » Was soll ich denn anfangen mit ihr ? « sagte der Leopold zu dem Laternanzünder , » sie ist jetzt für das Haus ein ganz tüchtiges Weib , sie ist nicht trotzig und keift auch nicht wie die andern , aber man kommt halt zu keiner rechten Freud neben ihr , sie geht um und um , hin und her bei einem , als ob sie ganz allein auf der Welt wär . « » Kauf ihr ein neues Kleid « , sagte der Laternanzünder , nachdem er sich schweigend besonnen hatte ; mit behaglicher Pfiffigkeit setzte er hinzu : » Und wenn sie sich am nächsten Sonntag damit aufdonnert , so führ sie am Arm durch die ganze Vorstadt , das wird sie schon wieder lebendig machen , sie ist halt ein verzogenes Ding , die Rote ! « » Ja freilich ! « seufzte der junge Ehemann , » wir alle miteinander haben sie verzogen , sie hat es viel zu oft gehört , daß sie schön ist « , er kaute an den Schnurrbartenden und wurde rot bis hinter die Ohren . » Hm ! – ja – schon möglich « , knurrte der Laternanzünder , » die Meinige war kein so schönes Frauenzimmer , und es hat aber doch so seine drei- , viermal genützt , wenn sie stützig worden ist , das neue Kleid hat sie gebogen , und in solchen Sachen sind die Weibsleut alleweil gleichgesinnt . « Der Leopold hörte den erfahrenen Ehemann aufmerksam an , er preßte den Kopf in die Hand und schaute mit traurigen Blicken auf die verwitterte Gestalt mit dem verschmierten grünen Kittel . Der hatte sein maulendes Weib zu Paaren getrieben , aber die beiden waren nun alt . Doch er und sein Weib waren jung , hatten das ganze Leben vor sich , konnten noch so glücklich sein , warum all die Reibereien , die Kleinlichkeiten , warum das armselige Bestechen des Weibes , dieses Spekulieren auf ihre Eitelkeit , was half das alles , wenn ihr Herz kalt war ? » Jetzt ist die Meinige alt « , knurrte der Laternanzünder in die schwermütigen Gedanken des Leopold , » jetzt ist sie alleweil gerührt über alles , ich glaub , das hat sie sich von der Christl ihrer Mutter angelernt , jetzt heult sie über jeden Knopf , wenn sie vergessen hat , einen anzunähen . Wenn es aber manchmal , so zum Quartal , einen tüchtigen Sturm im Haus gibt , dann kriegt sie keinen Atem , weil sie halt dick ist – dann schütt ich ihr einen Krug Wasser ins Genick , dann schnappt sie eine Weile wie ein Fisch , hockt sich in einen Winkel und jammert den ganzen Tag , als wenn ich ihr weiß Gott was tät . Neues Kleid aber kriegt sie doch keines ! « Er schleuderte die Arme mit einer großartig verneinenden Bewegung auseinander . Der Leopold war ganz still und weich geworden , er rieb den lackierten Schirm seiner Mütze auf dem Knie und sagte dann recht gedrückt : » Ich dank dir , Laternanzünder , für deinen guten Rat , du bist ja doch ihr Vormund und hast mitzureden . « » Ja ! « erwiderte der alte Dragoner und streckte die Brust würdevoll heraus . » Jetzt kaufe ich gleich das Kleid « , sagte der Leopold entschlossen , als ob es sich um etwas ganz Besonderes handelte , und noch als er an der Türe stand , rief er zurück : » Gleich , grüß Gott ! « » Behüt Gott ! « schrie ihm der Laternanzünder nach . » Hast doch keine Courage , bist wie ein Waschlappen wegen dem Rotschädel ! « brummte er für sich , als der junge Ehemann die Türe hinter sich geschlossen hatte . Er schüttelte seine Truhe mit den Öllämpchen sehr energisch , hielt noch eine liebevolle Anrede , als ob er zu lebenden Wesen spräche , und ging dann seine dunklen Wege , um den Menschen Licht zu bringen . Er ging sehr tiefsinnig dahin . Peter Michl hatte zwei Schwächen , welche seinem stets gerührten Weibe das Leben schwer machten . Die erste war , daß er sich gern auf den Unwiderstehlichen hinausspielte – trotzdem es keinen treueren und besseren Ehemann in der Blauen Gans gab – , aber das war eine Gewohnheit aus seiner lustigen Soldatenzeit her . Die zweite Schwäche war gefährlicher , und sein Weib stand ihr vollständig hilflos gegenüber . Michl hatte sich nämlich aus den sonderbarsten Scharteken eine Art entsetzlicher Bildung und aus allerlei Erlebnissen und Erfahrungen , die sich in seinem Gehirn als Besonderes widerspiegelten , einen » philosophischen Standpunkt « aufgebaut . Die runde Frau wagte nicht zu atmen , wenn er ihr von dieser Höhe herab ihre Fehler vorhielt , sie verstand sein Kunterbunt beinahe ebensowenig wie er . War er aber einmal im Zuge , so mußte er sehr viel reden , das gab ihm Respekt vor sich selbst , und zum Schlusse erklärte er immer , daß die Blaue Gans ohne ihn und den einsamen Spatzen weder Licht noch Bildung hätte . Er hatte das Bedürfnis , vielen Leuten klarzumachen , daß er ein unentbehrlicher Mensch sei , und diese vielen fand er nur in der Schenke ; aber je eindringlicher er redete , desto mehr wurde ihm zugetrunken , und je öfter er Bescheid tat , desto unklarer wurde ihm selbst dabei zumut . Der würdige Mann hatte das Unglück , gerade jetzt in lustige Gesellschaft zu kommen , als er ein Glas Wein trinken wollte . Wirtshausbrüder setzten sich zu ihm , und die Strohschneidermädeln standen aneinandergelehnt , hörten lachend seine lange Rede über das neue Licht und liebäugelten mit ihm . » Jetzt muß ich zum Geschäft schauen « , schloß er , » aber wie sie alle brennen , komm ich wieder , und dann werd ich euch beweisen , daß es auf einmal finster sein wird . Keine Luft ! – Alsdann später . « Der Laternanzünder ging kerzengrade , aber seine Lämpchen klirrten , und wenn er um die Ecke bog , so zog es ihn immer um ein paar Schritte über die Laternen hinaus . Er bohrte dann die Absätze ein , beugte den Oberkörper zurück und blinzelte mit zusammengezogenen Augen hinauf zu den Laternen , ging ein paar Schritte rücklings , und sowohl er als die Öllämpchen schwankten bedenklich , wenn sie nach langem Zielen am rechten Platz waren . An diesem Abend war es da draußen recht übel beleuchtet , und als das letzte Lämpchen festsaß , beeilte sich der Laternanzünder , wieder seine Zuhörerschaft im Wirtshaus aufzusuchen . Oben auf der Hauptstraße lief der Leopold von Laden zu Laden und suchte lange , bis er ein Kleid kaufte , das den Farben nach Aufsehen machen mußte in der Blauen Gans . Als Feierabend war , rannte er mit dem Zeuge heim , je näher er dem Hause kam , desto mehr freute er sich über die großen Augen seiner Lene . » Die wird dreinschauen ! « Das Herz schlug ihm , als er in die Stube trat , und er hätte gern aufgejauchzt vor Freude , anstatt daß er mit prahlerischer Gleichgültigkeit das Umschlagpapier abwickelte und sein Geschenk auf den Tisch legte . Er ließ den Stoff im Lichte glänzen , bauschte ihn so auf in Falten , wie er es in den Schaufenstern gesehen hatte , und sagte endlich schmeichelnd , weil er wußte , daß sie das am liebsten hörte : » Du , Frau , laß dir dein neues Kleid da bald machen . « Es verlegte ihm die Stimme , er schwieg ; wenn sie nur aufstehen und herkommen würde ; er steckte rasch seine Hand in die Tasche , damit er nicht den Arm nach ihr ausstrecken konnte . Von der Seite hatte sie sein Tun beobachtet , aus dem Bettwinkel hervor , in dem sie mit der Wiege verschanzt hockte und ihr Kind einschläferte . Sie rührte sich nicht und sagte nur halblaut : » Ich dank dir schön . « » Was , sonst sagst du nichts ? « fragte er enttäuscht . » Was sonst ? « Er biß die Zähne übereinander , daß sie es bis in ihren Winkel hin krachen hörte , denn der Leopold hatte weiße , breite Zähne , die stark wie von Eisen waren . » Meinen Namen mußt vergessen haben , denn ich hör ihn nimmer von dir , und lachen , scheint mir , gehst auf den Dachboden , denn ich schau immer nur in dein mürrisches Gesicht . Sei gut , Lene ! Gib mir freundlich die Hand , und denk doch daran , daß wir für alle Lebenszeit beieinander bleiben müssen . Was soll denn unser Herr Sohn für eine Meinung von uns kriegen ? « Er lächelte ihr treuherzig zu und versuchte wieder , das Kleid aufzubauschen . Das Weib hob die Augen nicht zu ihm auf , aber plötzlich schüttelte ihren schlanken Leib ein verhaltenes Schluchzen . Das war es ja , beieinander bleiben für alle Lebenszeit , immer freundlich sein und ein heiteres Gesicht machen , wenn einem auch gar nicht so zumute ist ; immer arbeiten , Tag um Tag das nämliche , Freude haben , wenn der Mann solches Zeug daherbringt . Das grellfarbige Ding sollte ihr Freude machen ! Ein Falbel von den Röcken , die im Trockenhofe hingen , war mehr wert als das ganze neue Kleid . Und wie der Leopold nur so dastehen konnte vor ihr ? Mit jeder Woche sah er nachlässiger aus , sie hatte aufgemerkt , sogar sein Schnurrbart war zerwirbelt und zerzaust , und immer baumelte der leere Ärmel herum . Ehemals war der Mann viel hübscher , und wenn sie ihn auch nicht so liebhaben konnte wie er sie , so gefielen ihr doch seine Gestalt und sein Wesen besser . Aber schon an ihrem Hochzeitsabend mußte sie anhören , daß er ein Krüppel war . – Sie hatte es verwinden wollen ; wo hab ich nur hing' schaut ? – sann sie doch wieder . Sie wußte nicht , warum ihr jetzt der Mann und die andern Leut , die Wirtschaft , ja sogar die Blaue Gans zuwider waren . Daß sie alles das , wie es war , für die ganze Lebenszeit ansehen und aushalten müsse , das ging ihr immer durch den Sinn , und darauf pochte er noch und stand vor ihr und wartete auf eine freundliche Antwort . Woher nehmen ? » Ich will gar nicht davon reden , wie lang du mir nicht ein einziges Bussel geben hast ... Schau , Lene , ich bin halt anders wie die anderen Männer , die du kennst da bei uns herunten . Ich hab die Welt gesehen , hab ein wenig etwas gelernt draußen und gelesen ... Du bist so schön , und ich hab dich gern gehabt , wie du noch ein kleinwinziges Ding warst , und ich hab dich immer lieber kriegt und gar nichts sonst gedacht , als daß ich dich heiraten und dich recht glücklich machen will . Wenn du dir nur überlegen könntest , wie weh du mir tust . « » Ich kann nicht anders sein , als ich bin « , antwortete sie leise . » Kannst nicht anders sein ? ... Warst doch vor der Hochzeit zutraulicher . Sitze doch nicht so dort , komm hervor , und schau dir wenigstens das neue Kleid in der Nähe an . « Sie knüpfte sich das Tuch fester auf dem Rücken , ließ die Schultern einsinken und schob sich langsam zwischen dem Bett und der Wiege hervor . Wie ein gescholtenes Schulmädchen stand sie neben dem Tische und zog die Ellenbogen an die Hüften . » Du tust ja , als ob du alle Tage eine Tracht Prügel kriegen tätst ! « rief er und hob ihren Kopf am Kinn auf . » Geh , Frau , sei nicht trotzig , es paßt nicht zu deinem schönen Gesichtl , sei gut . « Als sie nichts erwiderte , glaubte er auf den roten Lippen ein leichtes Lächeln zu sehen , er nahm sie um die Mitte und wollte sie an die Brust ziehen , aber als sie mit ihrer Wange seine Schulter berührte , taumelte sie zurück wie fortgestoßen und schaute mit dem Ausdruck des Grausens nach dem leeren Ärmel . » Was hast du ? « frug der Leopold erstaunt . » Ich – du – weil « , stotterte sie zagend und deutete auf seinen Arm . » Mein Arm ? « Er griff mit der Hand an den Stumpf , und es blitzte etwas in seinen Augen , das sie noch ängstlicher machte . » Dein Armstumpf , freilich – ich hab mich angestoßen , da « – sie zeigte auf ihre Wange und schüttelte sich . » Na und ? « » Stopf was hinein , laß dir einen hölzernen Arm machen , nur laß den leeren Ärmel nicht so herumfliegen . « » Warum ? « » Ich – ich fürcht mich , und die Leut lachen , weil ... « Sie konnte nicht weiterreden , der Leopold hatte sie rückwärts am Halse gepackt und sie auf einen Sessel niedergedrückt , er schaute ihr ganz nahe in die Augen und sagte mit trockenen Lippen und dürrer Zunge wie ein Kranker : » Red nur fort , über was lachen die Leut ? « Lene bog sich ein wenig beiseite und blickte mit zuckenden Wimpern zu ihm hinauf , als ob sie sein Gesicht sehen wollte , wenn sie ihm einen Hieb gab dafür , daß er sie , die Prinzessin , rauh angefaßt hatte ; ihre graugrünen Augen flimmerten fast gehässig , als sie weitersprach : » Die Leut lachen mich aus , weil – weil ich einen Dreiviertelmann geheiratet hab ! « » Einen ... « , keuchte er . Einen Krüppel ! « » Weib ! « schrie der Leopold auf und stand mit erhobenem Arm vor ihr , » hat dir das Gesindel nicht gesagt , daß ich dich und mein Kind mit dem einen Arm besser erhalte als die andern Männer die ihrigen mit zwei Händen ? « Die Frau duckte sich zusammen , hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen . » Und du denkst auch so von deinem Mann ? Ich soll mir einen Arm machen lassen ? « Jählings wurde er dunkelrot und schrie heiser : » Es graust dir also vor mir , weil ich ein Krüppel bin ? « » Ja ! « stieß sie rücksichtslos trotzig heraus , gleich dahinter aber rief sie bittend : » Schlag nicht ! « Es war zu spät , seine wuchtige Faust fiel auf ihren Nacken nieder ... Der Leopold wankte und torkelte , als ob er den Schlag bekommen hätte , das wutverzerrte Gesicht wurde nach und nach schlaff und fahl , er schleppte sich an das Fenster , ohne sein Weib anzusehen , er horchte und wußte nicht auf welchen Laut ; als sich aber minutenlang nichts regte in der Stube , stöhnte er : » So weit kann ein Weib einen Mann bringen « , und ohne daß er den Kopf erhob , tappte er aus der Stube . Ohne Mütze , mit weitoffenem Rock und flatterndem Ärmel schritt er schwerfällig durch den Hof , über die Straße und hinaus auf die Trockenwiese . Dort stand er jetzt still , sah sich um und holte tief Atem , dann ging er langsam weiter über das Feld , querdurch , wie ihn seine unsicheren Füße trugen , und so kam er zu dem Feldrain , auf dem er damals ausrastete , als er heimkehrte . – Schier auf demselben Platz setzte er sich nieder , er hatte ja damals hier Frieden gefunden . Damals . Der Menschenlärm , der Schreck über den Sturz der kleinen Hanne , das Herzleid und die Körperschwäche , die ihn angefallen hatten , alles war hier zurückgewichen , und er saß damals still da mit der Lene , mit demselben Kinde , das heute sein Weib war – und dasselbe Geschöpf hatte ihn auch diesmal hierhergetrieben , heute saß er aber allein , verlassen , von ihr beschimpft mit dem schlimmsten Schmähwort , das es für ihn gab . Von jetzt ab erst war er ein Krüppel , er wußte , daß seinem Weibe vor ihm grauste und daß ihn die Leute verlachten , weil er den Mut gehabt hatte , das schönste Mädchen zu heiraten , er , der Einarmige , der Dreiviertelmann . – Ach ! – die Schmerzen , die Schmerzen ! Er litt alles wieder durch , was er auf dem Schlachtfelde und im Spital ertragen hatte , und der Armstumpf zuckte und zitterte an seinem Leibe . – Da plötzlich spürte er seine verlorene Hand wieder ; als er mit der lebendigen Hand verzweifelt an die linke Schläfe fuhr und die Faust fest andrückte , da war ihm , als ob die rechte entgegenpreßte , und als er die linke mutlos zwischen die Knie sinken ließ , da fühlte er , wie die Finger , die längst vermodert waren , sich rührten und zwischen die lebendigen schlüpften , wie die beiden Hände sich ineinanderkrallten und flehend hinaufreckten zu dem dämmergrauen , stummen , mitleidlosen Herbsthimmel . – Der Rest seines Armes bewegte sich fort und fort , alle Muskeln dehnten sich , er spürte sein begrabenes Stück Körper wirklich wieder , das Herzleid hatte es lebendig gemacht , die Seele schrie nach diesem Glied , als könnte sich dann der gequälte Mensch wehren , als müßte sie nicht hilflos erdulden , was sie schädigte für alle Zeit . Das war ein ganz anderer , der jetzt da auf dem Feldrain hockte , das war der Leopold , den man nie äußerlich sah , das war der Mensch , der jetzt sich selbst genau anschaute , als ob sein heimliches verborgenes Ich wie ein Zwillingsbruder , den er versteckte , da ihm gegenübersitzen würde . Es jammerte ihn , was sie alles gemacht haben aus dem blonden , lustigen Burschen : » Die Zeit ... und die Leut ... und das Weib ! ... « Er hatte so redlich gesorgt für sie , er liebte sie so dumm , so unsinnig , daß er sich schämte , es ihr zu sagen ; die sonderbarsten Dinge flüsterte er vor sich hin , wenn er sie umarmte , so schöne Worte , wie er sie sprach , standen ja nur in den Büchern oder sagten die Leute auf dem Theater , das durfte sie nie hören , beileibe nicht , sie hätte ihn ja doch nicht verstanden – wenn es gut gegangen wäre , höchstens gelacht . Dafür aber konnte sie nichts , das war nicht ihre Schuld . Alle können ja nicht so sein wie der , welcher ihm gegenübersitzt und mit traurigen Augen auf die fahlen Grashalme schaut . Sie ist so schön ! – Wie liebte er sie , und sie konnte es dahin bringen , daß er seinen männlichen Arm entehrte und den anderen noch im Grabe zuschanden machte dadurch , daß er ein Weib schlug – sein Weib , dieselbe Lene , die er doch bis zur Stunde noch mit allen Qualen des Gekränkten liebte . » So weit kann nur ein Weib einen Mann bringen ! « schrie er jählings , so daß die Hunde aufbellten , die noch unten in den Feldern herumtollten . Was soll nun daraus werden ? – Wie wird das Leben jetzt weitergehen ? – Was soll er ihr sagen , wenn er heimkommt ? – Der Blick , mit dem sie ihn ansah , als sie die Abscheulichkeit aussprach , brannte ihm noch auf der Stirne und in der Brust ; das war ein gehässiger Blick , so schaut jemand , der nicht in der Zornwütigkeit hinschlägt , wie er es getan hat . » Die kann nicht vergessen und verzeihen « , stöhnte der Mann . Dieweil war geräuschlos ein großer Hund herangezottelt , legte sich auf ein paar Schritte entfernt nieder , streckte alle vier Pfoten von sich und kläffte , als ob er den Leopold rufen wollte . Es war ein junges Tier mit ungelenken Gliedern und einem dummen Gesicht . Langsam schob und kollerte er sich näher , sprang spielend rund um den Mann , bis er endlich mit einem plumpen Satz hinter ihm war . Jetzt richtete er sich auf , legte die Vorderpfoten auf die Schultern des Leopold , streckte den großen Schädel hervor und begann seine Ohren und Wange abzulecken . » Ah , du bist's , Schuftl ! Du suchst mich auf ? « Das Tier kroch hervor , machte wieder ein paar Sprünge , hielt plötzlich inne , horchte auf und stellte sich dann leise knurrend neben den Mann . Was gibt's ? « Der Hund schnupperte dem Trockenplatz zu . » Paß auf , Schuftl ! « Jetzt schlug das Tier dreimal nacheinander laut an , wie immer , wenn jemand dem Trockenplatze nahe kam . » Es ist ja keine Wäsche im Freien mehr ?! Warum er nur bellt ? « Wieder kläffte der Wachhund und winselte , als ob jemand die großen leeren Stangen forttragen wollte , denn sonst war nichts unten auf den Trockenstätten . Jetzt aber hörte der Leopold gedämpfte Stimmen , die immer näher und näher heraufkamen . Was das Tier für ein feines Gehör hat , dachte er verwundert und streichelte das weiche Fell des Schuftl . Nun lachten und plauderten die Leute unten lauter , und ein heiserer Mensch jauchzte plötzlich so schrill , daß der Lauscher zusammenschrak . » Singen ! singen ! « grölte einer , dessen kurzer raspelnder Ton dem Leopold bekannt war , aber er dachte nicht darüber nach , denn das Jauchzen und Schreien wurde immer wilder . » Na ja . Aber jetzt kusch ! « überschrie das Gelärme eine kräftige Mädchenstimme , und es wurde auch jählings still . Leise hub nun eine sanfte Stimme zu singen an , wie für sich allein , so sacht und weich . – Es waren schier schwermütige Laute , die aus einer jungen Kehle emporstiegen und wie Wellen dahinschwammen , die ganze Luft schien erfüllt von dem flüsternden süßen Gesang . » Aha , die Marie ! « murmelte der Lauscher . Die unsichtbaren Begleiter der Sängerin schrien und klatschten in die Hände , bis wieder der kräftige Ton dareinfuhr : » Still ! Weißt , Marie , wir singen jetzt miteinander das Mariahilfer G'läut . « Nun begannen die zwei Mädchen gleichzeitig und sangen eines jener wortlosen Lieder , die nur die kleinen Leute , die an den äußersten Enden der großen Stadt wohnen , erfinden , aus der Luft holen und ein paar Wochen lang in die Luft hinaussingen und pfeifen . Richtig , die Strohschneidermädeln , dachte der Leopold , hielt dem Hund die Schnauze zu , damit er nicht knurren oder bellen konnte , grub sein Gesicht in das wollige Fell des Schuftl und horchte . Der Gesang hub wieder an , ernst , fast melancholisch , die beiden Stimmen erklangen wirklich wie abgetönte Glocken , abwechselnd schwang sich jetzt eine über die andere , immer reiner , immer höher , immer fröhlicher , und nun einigten sie sich in einem letzten kecken Hinaufwirbeln und schlossen mit einem hellen Jauchzen jäh ab . » Heiß ich singen « , sagte beistimmend der Grölende , und der Leopold erkannte jetzt , da die Schar schon näher herankam , den Laternenanzünder . » Was fallt nur dem ein , daß er mit der Gesellschaft herumzieht ? « Er wußte nicht , daß auch der alte Dragoner heute sein Teil zu tragen hatte und daß die lustige Bande eine Gefälligkeit für die andere begehrte . Sie hatten geduldig seine Auseinandersetzung über das neue Licht angehört , ihm beigestimmt und zugetrunken , ihn aber dafür durch alle Straßen geschleppt , hinter den anrüchigen Strohschneidermädeln her , sie hatten Staat gemacht mit dem würdigen Laternenanzünder und führten ihn , den der Gesang verlockte , in dieselbe Schenke , in welcher vor Wochen der Leopold die ganze Nacht gelumpt und gezecht hatte . Die fröhlichen Menschen zogen an dem einsamen Mann vorüber , er drückte sich enger an das Tier , damit sie ihn nicht sehen mögen , und als er nach einer Weile den Kopf erhob , gingen sie schon seitwärts die Straße entlang und jauchzten , daß die leichtbewegte Luft das Echo wiedergab . Das eine der beiden Mädchen lachte und kicherte herausfordernd , die Stimme der anderen tönte mild , schier beruhigend hinüber zu dem Lauschenden . » Mitten dahinein in den Trubel , das wäre vielleicht das beste ! – - Ganz den Herrn zeigen , vielleicht hilft die Grobheit mehr als die dumme Lieb . Sie hat Respekt gekriegt vor dem einen Arm und kriegt viel leicht mehr Respekt vor dem Mann , der jetzt nicht heimkriecht und um Verzeihung bittet « , so grübelte der Leopold , während er noch den lustigen Menschen nachhorchte . » Ich könnt ihr heut nicht in die falschen Augen schauen , ob sie mich wieder so anblitzen täten oder verweint wären ... Verweint ?.. . Es ist doch eine schmutzige Sache , so auf ein wehrloses Frauenzimmer hinschlagen wie auf einen Lumpen , der einen bei der Nacht anfallen will ... Es ist eine Schand ! Ja ... es ist eine Schand ! « Jetzt war es totenstill um ihn , ein kühler , schwerer , trauriger Herbstabend brach an ; weit drüben lag ein leichtgeröteter Nebel , unter dem die Stadt steckte , und die tausend und tausend Lichter gossen das feine Rot auf die schwere Nebelhülle . Lange starrte der einsame Mann dahin , wo seine Arbeitsstrecke war , dahin sollte er morgen wieder mit einem ruhigen Gesichte gehen , die Lene mußte wenigstens nicht unter die Leute , wenn sie nicht wollte , aber er . – Zwischen der Nebelmauer und dem Platze , wo er jetzt saß , wurde es immer schwärzer , die Öllämpchen der Vorstadt verschwanden ganz , nur in der Nähe , unten vor der Blauen Gans , da glitzerten ein paar Lampen rötlich , wie verkommene Sternlein ohne Rand und Strahlen . – - – Wie traurig erschienen ihm die karg erleuchteten Fenster des Hauses . » Was soll jetzt draus werden ? . . . So etwas geschieht da unten alle Tage , und die Leute leben vergnügt weiter . Der Laternanzünder hat der › Seinigen ‹ auch den Kopf zurechtgesetzt ... Aber die › Seinige ‹ ist halt anders als die › Meinige ‹ , das zarte junge Weib . Und bin ich so einer wie er ? « Der Leopold wies mit dem Daumen hinter sich , der Schenke zu . » Ei , hol 's der Teufel , das Nachdenken macht 's nur noch schlimmer . « Er sprang auf , schüttelte die Erdklümpchen von seinen Kleidern , strich sich die Haare zurecht und ging langsam den Weg , der hinauf in die Schenke führte . – Der Mond guckte mit halbem Gesicht über die Berge hervor , und sein mattes Licht rann über den Nebel , der sich jetzt ansah , als ob er beweglich wäre , als ob sich da unten ein geräuschloses Wasser ganz sachte heben und senken täte . Der Hund spreizte alle vier Beine steif von sich , zog den Schweif ein und heulte hinauf zu der gelbblassen Halbscheibe , und als ihn der Leopold am Ohre nachziehen wollte , winselte er jämmerlich und schmiegte sich eng an die Füße des Mannes . Der Mond kam immer höher herauf , und der Leopold ertappte sich dabei , daß er wohl eine Viertelstunde dagestanden war und so wie der Schuftl hinaufgestarrt hatte , jetzt aber schritt er rascher aus , und der Hund lief leise klagend neben ihm her . Da waren sie endlich ; der Leopold stieß die feuchte Wirtshaustür weit auf , Tabakrauch , Wein- und Bierdunst qualmte ihm entgegen , so daß er wie betäubt in das Gewühl glotzte und wieder umkehren wollte , aber da johlten sie ihm schon zu : » Du bist da ? « » Servus ! « » Grüß Gott ! « » Wo kommst her ? « » Setz dich nieder . « » Daher ! « grölte der Laternanzünder und wies auf einen klebrigen Stuhl . » Wie schaust aber aus ? « » Seid 's ja ganz naß , du und der Schuftl . « » Schufterl , hupf , da herauf ! « rief die Marie . » Das ist gescheit , daß du endlich da bist ! « sagte sie seitwärts zu dem Manne . » Trink , Leopold ! « » Da auch . « » Zu uns setz dich ! « » Daher ! daher ! daher ! « Etwa zwanzig drängten sich mit jener angeheiterten Zärtlichkeit an ihn , die bei dem nächsten Glas Wein schon so derb wird , daß sie jedem kurz die Wahl läßt : weiter und weiter trinken oder tüchtig geprügelt werden . » Wenn so ein hübscher junger Ehemann zu uns kommt , müssen wir ihm was Besonderes vorsingen , daß er das Wiederkommen nicht vergißt « , flüsterte ihm die Marie zu und sah mit zwinkernden Augen zu ihm auf . » Probier 's « , warf der Leopold leicht hin . » Hat das neue Kleid geholfen ? « frug der Laternanzünder und kam mit verglasten Augen , aber mit militärisch strammer Haltung kerzengerade auf ihn zu . » Und wie es geholfen hat « , erwiderte der Leopold , er lachte dabei und ließ sich von der Marie an einen Tisch ziehen , der in einer Ecke stand . Das Mädchen sang ihm zuerst ganz laut eines ihrer vierzeiligen Lieder vor , einen Gassenhauer , doch als er vor sich hin stierte und sich um ihren Gesang nicht kümmerte , preßte sie ihre Schulter an seinen Arm , nahm seine Finger spielend in die ihren und summte mit gedämpfter , weicher Stimme : » Geh , sei nicht so traurig , Schau nicht so trüb drein . Tust mir bitterlich weh , Denn mein Herz g'hört noch dein . « » Wem ? « frug der Leopold spitz , rückte ganz in die Ecke und goß ein großes Glas Wein hinab . » Rück nicht von mir weg , Rück näher noch her , Hast bis jetzt noch kein' Fleck , So war's Bravsein nicht schwer « , sang die Marie mit fieberhaftem Flüsterton , und der Mann schaute halb neugierig , halb verachtungsvoll in das blasse Gesicht des Mädchens . » Eh , Faxen ! Ich weiß schon , daß du dir deine Liedeln selbst zusammendichtst , bist flink mit deinem Kopf , darum singst auch einem jeden , was er gern hört « , spottete der Leopold ; » bei mir aber kommst nicht gut an , überleg es dir , so ein Dreiviertelmann , der um einen Flügel zu wenig hat , der will anders betrogen werden als die ganzen Männer . « Die Marie öffnete den Mund , sprach aber kein Wort , sie zeigte nur ihre blanken Zähne , warf einen flüchtigen Blick auf den leeren Ärmel , und dann schaute sie stumm vor sich hin auf die Tischplatte . Über den Augenbrauenenden , gegen die Nase herab , traten zwei scharfe Buckeln hervor , und ihr feiner , weißer Hals wurde allmählich rosig gefärbt , rasch schlang sie ihren Arm um den Hals des Leopold , legte ihre Lippen an sein Ohr und sang , als ob sie ihn küßte : » Red nicht von Betrug , Hast zwei Augen wie Stern , Hast zwei schnurg' rade Füß , Und ich hab dich halt gern ! Hast ein butterweich's Herz Und zum Küssen ein' Mund Und zum Halsen ein' Arm , Das ist g'nug für ein' Stund . « » Aus dir könnt auch was Besseres werden als so ein ausgeschrienes Bierhäuselgewächs « , sagte der Besungene nachdenklich und schüttelte ihren Arm von seinem Halse . » Meinst ? – Na so such halt einen , der mich jetzt auf den rechten Weg bringt . Aber von denen dort « , sie schlenkerte die Finger gegen die Nachtschwärmer , » darf er nicht sein . « » Brauchst denn just ein Mannsbild auf den rechten Weg ? « » Ich kenn einen , der sich vor Jahren sogar auf mein' unrechten Weg g'stellt hat , so lang , bis ich wirklich g'stolpert bin – und g'falln . Hat er mich aufgehoben ? – Frag ihn ! – Und der weiß es doch ganz genau , wie er mich gefunden hat . « Der Leopold zog rechts und links an seinem Schnurrbart und murmelte befangen : » Nicht reden – du warst damals lieber alle Tag unter dem G'sindel als woanders . « » Eine gute Ausred ist einen Taler wert « , spottete die Sängerin , » der Gewisse hat aber damals gar keine Ausred braucht , er hat mich nur nimmer g'sehn , wenn er mir zufällig begegnet ist . War recht lustig die Zeit , besonders wenn man mäuserlstill sein muß , daß einen die Leut nicht noch auslachen – und wenn man mutterseelenallein seine Schand und sein Leid hinunter würgen muß . Kannst du dich vielleicht zufällig an die Zeit erinnern ? « Ein harter Blick glitt über das Mädchen . » Nein . – Besser wirst du 's nicht verdient haben . Red von was anderem , wenn ich dich anhören soll . « » Nur anschaffen , das bist ja jetzt g'wöhnt als Eh' mann « , spöttelte Marie , zog aber dann ein abgegriffenes Büchlein aus ihrer Schürzentasche und kritzelte ernsthaft , nachsinnend eine Seite voll . Leopold schaute auf den gesenkten kleinen Kopf der Sängerin , ihre schwarzen Haare waren so geölt und glatt , daß sie glänzten , und ihre Stirne war weiß und rein ; sogar der kecke Zug verlor sich allmählich aus ihrem Antlitz , während sie schrieb und leise vor sich hin sang . » Schreibst dir die neuen Liedeln auf , daß du sie morgen wieder einem andern vorsingen kannst ? « fragte er lachend . » Müßt ich da bis morgen warten ? Meinst , die horchten nicht gleich alle ? Und gibt's so mir und dir nichts geschwind einen , auf den meine Liedeln passen ? Das ist mein Dank von dir « , schmollte sie . Rundum kicherten und brüllten lachend die Wirtshausgäste , wenn sie in die Ecke blinzelten , denn sie hielten sich fern von den beiden . » Hat ihn schon erwischt , die Feine , bis in den grauen Tag halten wir ihn fest , die Lene wird sich giften « , eiferte ein alter Kamerad des jungen Ehemannes . » Na , und wer soll denn nachher singen ? « schrie die Klara , » ich hab heut schon den ganzen Tag kräht – soll ich allein weitertun , was ? – Wird der vielleicht « , sie wendete nur die Augen , ohne den Kopf zu bewegen , gegen Leopold , » den ganzen Abend zahlen heut ? « » Muß er « , betonte der Laternanzünder . Der Leopold konnte nichts hören und sehen von dem , was da vorging , er war in einer mitleidsvollen Stimmung und schaute sich darum die Strohschneider-Marie zum ersten Male genauer an . Alles war so fein und zart an dem Mädchen , das klare Heiligenbilder-Gesicht . Aber die blauen Ränder um die Augen und die kecken Reden und das leichtsinnige Lachen manchmal , rechnete der Mann zusammen . » Warum singst du denn in allen Kneipen und unter der Sippschaft herum , wenn 's dir keine Freud macht ? « Er nahm mit trotzigen Mienen das Gespräch von früher wieder auf . » Frag meine Frau Mutter . Umsonst sing ich nicht , da schau , am Fenster stehen unsere Körberln , gerade früher war mein kleiner Bruder , der Xanderl , da und hat sie ausgeleert , jeder Wirt füllt sie uns voll , morgen in aller Früh schleppen wir das heim , was wir da kriegen . Meinst , es ist ein Spaß , die Mutter und die acht jüngeren Geschwister zu erhalten ? Wie die Wilden fallen sie über die Körb her , wenn wir hundsmüd heimkommen . « » Deswegen brauchst aber nicht alle Tag einen andern Schatz ? « » Ich ? – Die Leut sagen das ! Ist es darum wahr ? Eh ! Ich wollt , ich wär weiter , als mich meine Füß tragen . « Das Mädchen schmiegte sich an den Leopold und schloß die Augen . » Da schau hin , Klara ! « zischelte einer . Auch nicht übel ! « brummte die ältere Schwester und ging zögernd in die Ecke , sie stemmte die Hände auf die Tischplatte , neigte sich vornüber und musterte das schweigende Paar mit einem wegwerfenden Lachen . » He ! Marie ! Schlafst ein bei dem fidelen G'spann da ? – Die Herren wollen ein neues Lied von dir hören . Pack zusamm ' und laß den allein sitzen . « Sie schlug dem Mädchen leicht auf die Schulter und zog sie fort . » Es kann angehen « rief sie den Musikanten zu . Gleich quiekte die Klarinette , die schlecht behandelte Gitarre trommelte einen Wirbel , und der Lärm verstummte , als die beiden Mädchen Hand in Hand mitten unter das Männervolk traten . Der Leopold wartete , bis sich alle den Sängerinnen zugewendet hatten , dann stand er auf und schaute über die Köpfe der anderen hinüber zu den Schwestern . Dicht aneinandergedrängt hielten sie sich umschlungen , der Kopf der Jüngeren lag halb auf der Schulter der Älteren , und so zwitscherten und jodelten die zwei Mädchen , daß dem Leopold schier der Atem verging vom Anhören und Ansehen . Er trat zurück , stürzte zwei Gläser Wein schnell nacheinander hinab , warf noch einen Seitenblick auf die Marie und ging davon , ohne daß ihn jemand beachtet hatte . Draußen fiel ihn die kalte Nachtluft an wie ein nasses Tuch , der Nebel war dünner und heller geworden und das Mondlicht ganz klar . Er sah seinen Weg deutlich vor sich , feuchtglänzend zog sich die ausgetretene Spur durch die kahlen Felder . Er taumelte . Der jähe Umschlag aus der Hitze in die Nachtkälte machte ihn ganz wirr , und sein weinheißer Kopf , sein ganzes fieberhaftes Wesen trieben ihn mehr , als daß er bewußt ging . Wenn nur der heutige Tag nicht gewesen wäre , wenn ich nur wüßt , daß sie die Augen aufmacht und sagt : » Grüß dich Gott , Leopold ! « » Tust mir bitterlich weh , Denn mein Herz g'hört noch dein ... « Das kam ihm so über die Lippen , ohne daß er recht wußte wie , es war ihm doch gar nicht darnach zumut , an eine andere zu denken , aber das traurige bleiche Gesicht des leichtfertigen Mädels stieg doch vor ihm auf , als er die Verse vor sich hin summte . » Glaub fast , die tät keinen Mann , der es ehrlich mit ihr meint , so beschimpfen , und sie ist doch ... « Der Leopold redete laut mit sich selbst und stolperte weiter . Je näher er der Blauen Gans kam , desto langsamer ging er . » Tust mir bitterlich weh ! « » Ja , ja , Weib ! Tust mir so bitterlich weh , wie mir noch kein Mensch getan hat . « Jetzt stand er vor dem Haustor , er seufzte schwer , preßte die Stirn an den eiskalten Steinpfeiler , dann zog er plötzlich so scharf an der Klingel , daß er es bis heraus auf die Straße läuten hörte . Die Lene ist , nachdem er davongelaufen war , noch eine Weile still sitzen geblieben , freilich mit gebeugtem Rücken und zusammengekrallten Fingern . Sie weinte nicht , sie sprach nichts , nur der Nacken tat ihr weh , und langsam , als ob sie sich überzeugen wollte , daß ihr der Kopf nicht von den Schultern falle , bewegte sie ihn nach rechts und links , dann erhob sie den Oberkörper , zog aber rasch das Genick ein und langte nach der schmerzenden Stelle . Ihr weißes Gesicht wurde blutrot , die graugrünen Augen liefen hastig durch die ganze Stube , sie nagte an der Unterlippe und fuhr mit dem Fuße , als ob sie etwas wegstoßen wollte , über die Diele . » Aus ist 's « , sagte sie kurz . Jetzt aber begann ein seltsames Treiben ; sie probierte eines ihrer Kleider nach dem anderen und spähte aufmerksam , welches davon ihrem Leib die schönste Form geben konnte . Sie hatte nicht viel Auswahl , darum behielt sie ein schwarzes Kleid , das glatt anpaßte , sie erkannte auch , daß ihr weißes Gesicht und ihre roten Haare sich noch schärfer abhoben . Nun wand sie ein schwarzes Schleiertüchelchen um den Kopf , nahm ein warmes dunkles Tuch über die Schultern , und sie war fertig hergerichtet wie zu einem Abendspaziergang mit ihrem Manne . Sie holte ihren Handkorb und packte einen Kamm , ein Paar Schuhe und ihr Gebetbuch ein , dann füllte sie den übrigen leeren Raum mit Wäsche . Sorgfältig versperrte sie die Schubladen und den großen Kleiderkasten und legte alle Schlüssel mitten auf den Tisch , dann richtete sie das Nachtlämpchen zurecht , stellte die Milch für den Kleinen daneben , legte Kandiszucker und Zwieback dazu , und nun , da alles besorgt war , wollte sie gehen . – Als sie die Türklinke in der Hand hatte , blieb sie stehen und schaute durch die dämmrige Stube hinüber auf die Wiege , die zwischen den beiden Betten stand ; sie tauchte die Finger in den Weihwasserkessel , der neben der Türe hing , und ging zurück zu dem Kinde . – Etwas Ernstes , Feierliches umfloß die schlanke Gestalt , und ihr ausdrucksloses schönes Gesicht wurde traurig . Sie kniete vor der Wiege nie der und küßte leicht und sanft die roten Lippen des kleinen Leopold , und damit sie ihn nicht wecke , machte sie mit dem Daumen in der Luft das Kreuzzeichen über seine Stirne , seinen Mund und seine Brust . – Sie hockte lange dort und horchte , sie dachte , jetzt und jetzt müsse das Kind die Augen öffnen und – und was dann ? Erschreckt stand sie auf , fuhr mit zitternden Händen über das Gesicht , bekreuzte sich selbst und ging mit festen , sicheren Schritten aus der Stube . Die Lene versperrte die Küchentür , rüttelte an der Klinke , um zu prüfen , ob auch gut zugeschlossen sei , und eilte hinüber zu der Hanne . » Gelt , du schaust später hinüber zu meinem Buben , in einer Stund bin ich wieder da , ich muß allerhand abmachen heut « , sagte sie ruhig zu dem Mädchen . » Versteht sich , solang du willst , bleib ich drüben , ich kann gleich hinübergehen und drüben arbeiten « , meinte die Hanne . » Wie du willst . Behüt dich Gott . « Lässig wie immer ging die Lene durch den Hof ; sie warf noch einen scheuen Blick auf ihr verhängtes Stubenfenster und schlenkerte leicht mit dem Korbe hin und her , als ob er leer wäre . Die Hanne packte ihre Arbeit zusammen , nahm das alte Handwerkszeug , die Einspannmaschine , unter den Arm und ging hinüber in das Zimmer ihrer Jugendfreundin . Sie zog den Vorhang zurück , breitete feines Seidenpapier auf das Fensterbrett , legte die ungenähten Handschuhe zurecht und sah nach dem Kinde , ehe sie sich an ihre Arbeit setzte . Bald jedoch trieb der blanke Fingerhut an ihrer schlanken Hand die winzige Nadel durch die feingefeilten Zähne der zwei Messingplatten , welche den Handschuh eingeklemmt hielten . Gleichmäßig wie die alte Uhr , nur rascher , pochte der Fingerhut an die Platten , und nach jedem Stiche lag der Seidenfaden , der die Lederteile zusammennähte , wie eine Perle gleich und glatt über den glitzernden Zähnen der Maschine . Die Hanne war auch nach der Käthe die flinkste Näherin in der Blauen Gans , und sie hatte ihre Freude an der eigenen Arbeit . Wenn ein Handschuh fertig war , blies sie mit vollen Backen hinein , damit sie sah , ob sich kein Finger daran verdrehte , zog ihn über dem Knie glatt und richtete ihn so zurecht , daß der alte Herr Fuchs oft gesagt hatte : » Über meiner Käthe und der Walter Hanne ihre Handschuhe braucht man nur ein einziges Mal mit dem Zurichtholz zu fahren . « He ! Mit fünfundsiebzig Jahren hatte der alte Handschuhzurichter das noch gesagt , und es fiel ihr jetzt wieder ein , als sie einen fertigen blütenweißen Ballhandschuh auf das Seidenpapier legte . Bald sah sie nichts mehr , die Dunkelheit war so jäh hereingebrochen , daß die Hanne die Hände in den Schoß sinken ließ und in den grauen Nebel hinausträumte . Es war so friedlich , so heimlich da , von ihren Kindertagen ab zogen alle ihre Wünsche , ihre Hoffnungen , ihre Freuden und Leiden hinüber in die Stube der Frau Weis . An diesen Fenstern saß vor langen Jahren , als die Hanne noch ein kleines Mädel war , die Schwester des Leopold , die so schöne künstliche Blumen machte ; einen Tag , bevor sie starb , saß sie noch da ; und als der Leopold heimkam aus dem Kriege , saß er tagelang auf dem Fensterbrett , mutlos und traurig ; später richtete sich die Lene da ein mit seinem Kinde . Die Hanne seufzte heimlich , sie hatte ausgeträumt . Rasch ließ sie die Vorhänge nieder , zündete die grüne Studierlampe an und setzte sich mit ihrer Arbeit an den Tisch . » Ein Glück , daß der Bub so still bleibt « , sagte sie leise und ging zur Wiege . Der Kleine hatte sich glühendrote Backen erschlafen , Schweißperlen standen auf seiner Stirne , und der Atem ging so schnell , daß sich sein Brüstchen hob , und manchmal kam ein leises Pfeifen aus der Kehle . Hanne legte ihr Ohr an die keuchende Brust des Kindes und trocknete sein heißes Gesichtlein , dann setzte sie sich wieder an die Maschine , blickte aber immer besorgt hinüber nach der Wiege . Je später es wurde , desto mehr schlich die Zeit für sie hin . Draußen auf dem Hofe war es still geworden , das Geplauder der Nachbarn , die lärmenden Kinderstimmen waren mählich verklungen , hie und da rief einer der Männer im Vorbeigehen » Gute Nacht ! « , und bald regte sich gar nichts mehr , denn in der Blauen Gans gingen die Leute früh zu Bette wie die Hühner und krochen schier noch früher aus den Federn . Neun Uhr ! So lange war die Lene noch nie fortgeblieben , und sie selbst , die Hanne , sie war zu jeder Nachtstunde bis in den grauenden Morgen oft vor ihrem Holzrößlein mit den Messingplatten gesessen , doch über die Sperrstunde war sie ihr Lebtag nicht außer dem Hause . Sie kannte die Stimmen der Nacht genau , das seufzende Weinen des Windes , der zuweilen durch den kleinen Blechofen hereinwimmerte , den geheimnisvollen , duftschweren Ton der Sommernächte , der gleichsam von der durchhitzten Erde aufstieg und in die kühle Luft schwamm . – Es beirrte sie auch nichts in ihrer Arbeit ; das ächzende Knarren der hochgepackten Frachtwagen , die in langen Reihen der Stadt zukrochen , hatte sie oft in den Schlaf gewiegt , und wenn sie wach bleiben wollte , so horchte sie auf das dumpfe stoßweise Pfeifen , das aus einem langen dunklen Schlot kam , der eine eiserne Netzkappe auf dem Kopf hatte . Bei jedem Pfiff warf der Fabrikschlot Funken aus , und oft meinte sie , jetzt und jetzt müßten die Flammen emporschlagen , so feuerrot färbte sich der Rauch . Manchmal jammerte ein Nachbarkind , zuweilen erschreckten Streit und Gezänke das junge Mädchen , es endete aber zumeist mit Schluchzen und Weinen des Weibes , der Mann schnarchte oft schon , wenn die Frau noch unterdrückt weiterjammerte . – Dem alten Uhrwerk gab es einen Ruck , der Hammer hob aus und schlug die zehnte Stunde . Der Hausmeister trabte durch den Hof und löschte die Lampe aus , dann polterte er in der Einfahrt herum , verschimpfte die Katzen , die lärmende Zusammenkünfte in einem Hofwinkel hatten , dann warf er das Haustor zu , daß es wie ein Kanonenschuß krachte , drehte den großen Schlüssel knarrend um und trabte wieder zurück . Zehn Uhr vorbei und die Lene hinausgesperrt ! » Vielleicht ist sie ihrem Manne begegnet , und er hat sie ins Wirtshaus geführt oder gar ins Theater « , simulierte die Hanne , » aber daß sie nicht an das Kind denkt . « Sooft die Torglocke läutete , stand das Mädchen von ihrer Arbeit auf , doch die Ankömmlinge klopften an alle Fenster , nur nicht an das der Lene . Elf Uhr ! – Zwölf Uhr ! – Jetzt fehlte niemand mehr in der Blauen Gans außer dem Leopold und seinem Weibe . Der Fingerhut klopfte gleichmäßig an die Metallplatten , die Hanne arbeitete immer rascher , um ihre Unruhe zu verscheuchen , sie wollte nicht denken und träumen , dort lag ja das Kind im Fieber und fingerte mit den kleinen Händen in der Luft oder preßte die Fäustchen an die glühenden Wangen . Langsam und widerwillig sog es die Milch ein , die sie ihm gab , und wenn es auf eine Pulsschlaglänge die Lider hob , so waren die Augen glanzlos . Plötzlich wurde so scharf an der Glocke gezogen , daß sie noch eine Weile bimmelte , als der Hausmeister schon das Tor aufgeschlossen hatte und wieder polternd zufallen ließ . Unsichere , schnelle Schritte kamen näher und näher ; die Hanne rückte ihr Arbeitszeug beiseite und harrte , sie wußte , daß es der Leopold sei , aber allein – und die Lene ? Sie faltete die Hände und horchte . Jetzt stand er am Fenster und spähte hinein , sie fühlte beinahe seinen Blick . » Was ist mit der Lene geschehen ? Was wird er sagen , wenn er sein Weib jetzt nicht daheim findet ? « fragte sie lautlos . Der Leopold sah nur den Schatten der Frauengestalt , die nach vorne gebeugt wie eingeschlummert neben dem Tisch saß . » Sie hat also auf mich gewartet , zum ersten Mal , seit wir verheiratet sind , und gerad heut , nach dem Tag « , das packte ihn an , er frug sich , was er getan hatte zum Austragen der Schuld . » Tust mir bitterlich weh ... « Scham und Mitleid machten ihn mutlos , er preßte seine Zähne in die Hand , die nach seinem Weibe geschlagen hatte . Lange stand er da und wagte nicht zu klopfen . Der Schatten verschwamm zuletzt vor seinen Augen , obgleich das Weib drinnen unbeweglich saß . Er mühte sich ab , die rechten Worte zu finden , die er der Lene sagen könne , aber sein übervolles gepeinigtes Herz hämmerte , daß er es am Halse und in den Schläfen spürte . Und wenn ich auf die Knie fallen müßte , da auf der Schwelle , und sie bitten , daß sie mir verzeihen soll , wie ich ihr verzeih , ich tat es jetzt , ging ihm verworren durch den Kopf ; er klopfte leise an die Scheiben und schritt rasch zu der Türe ... Die Hanne ging hinaus , schob den Riegel zurück und trat dann weg , um ihm Raum zu lassen , damit er an ihr vorbei in die Stube konnte ; aber der Mann drehte hastig den Schlüssel um und langte in der Finsternis nach der Frauengestalt , zitternd ergriff er das Kleid , das er in seiner Nähe knistern hörte , klammerte sich daran und stotterte : » Ich ... ich hab einen brennenden Schädel ... der Schlag ... und der Wein ... und der Zorn , den ich so lang verschluckt hab ... und die Lieb zu dir . Weib ! Weib , ich bitte dich ... ich will alles vergessen ... so wär es ja ein elendes Leben ! « Die Hanne wollte sich losmachen , sie wollte reden , aber der Schreck und ein anderes beklemmend-erstarrendes Gefühl , das ihr die Kehle zuschnürte , ließ sie zu keinem Wort kommen . » Du hast mir heut so weh getan ... schau , vergessen ist der Schmerz ... verziehen . Ich hab ja auch gefehlt an dir ! ... Red , ich bitt dich , red ! « Ein unterdrücktes , bitterliches Weinen war die einzige Erwiderung . » Wein nicht « , stammelte der Mann ermutigt , » ich bitt dich « , er ließ das Kleid los , legte jählings seinen Arm um ihren Nacken , riß sie an seine Brust , und als ob ihm jemand einen Stoß in die Kniebeuge gegeben hätte , so brach er mit einem Male zusammen und lag vor ihr auf beiden Knien . Er reckte den Arm hinauf und erfaßte eine niederhängende Hand , fest drückte er sein heißes Gesicht an ihre Hüfte , und er fühlte , wie die Hand zitterte , wie die ganze Gestalt bebte und schwankte . Er hörte ihren Herzschlag , und es überkam ihn , daß jetzt die entscheidende Stunde da sei für alle Zeit . Wie ein Sturm flog die Anklage , der Schmerz , die heiße Liebessehnsucht von seinen Lippen zu ihr hinauf , da in der Finsternis , in der Erregtheit , in der Verzweiflung und Furcht vor der Zukunft sprach der Mann , wie er sonst nur in seinen Gedanken zu ihr redete . Sie sah ihn ja nicht , er brauchte sich nicht zu schämen , einmal , ein einziges Mal mußte er doch die Last von seinem Herzen werfen . Er dachte nicht daran , ob sie ihn verstehen könne , ob sie seine leidenschaftlichen Worte nicht ängstigten , er wußte kaum , daß er ihr Kleid , ihre Hüfte , ihre Hand küßte und wieder küßte , als aber Tropfen um Tropfen aus ihren Augen auf seine Stirn fiel und das stumme Weinen des Weibes in ein krampfhaftes Schluchzen überging , da richtete er sich an dem Leib der Fiebernden mühsam auf , küßte gewaltsam zwei bebende Lippen , die seinen Kuß nicht erwiderten , und zog die Gestalt in das erleuchtete Zimmer ... Die Hanne entwand sich seinem Arm und wankte mit einer abwehrenden Handbewegung an den Tisch , sie setzte sich vor ihr Arbeitszeug und verhüllte das Gesicht mit dem Tuche , das sie um den Nacken geschlungen trug . Zuerst rieb sich der Leopold die Augen , nachher sperrte er sie weit auf und glotzte die Hanne an , dann griff er nach der Lampe , schleuderte die Türe mit dem Ellenbogen zurück und leuchtete hinaus in die Küche ; als er sah , daß nur sie allein , die dort hinter ihm am Tische saß , da sei , stellte er die Lampe wieder hin und frug erstaunt : » Du hast mir die Tür aufgemacht ? « Die Hanne nickte , ohne aufzublicken . Jetzt wird er um sein Weib fragen , schwebte ihr undeutlich vor , was soll ich sagen ? Aus dem , was er gesprochen hatte vor ein paar Minuten , hatte sie herausgefunden , daß Schlimmes zwischen den Eheleuten vorgefallen war . Wo aber mag die Lene hingelaufen sein , und was wird er sagen – was wird er tun ? Das Mädchen wußte nicht , wie das erstaunte Gesicht des Leopold sich allmählich verwandelte , wie er an dem Schnurrbart zupfte und zweifelnd auf die dürftige Gestalt blickte , wie endlich ein ingrimmiger , häßlicher Zug sein Antlitz entstellte . Erst als er brutal auflachte , schrak sie zusammen , ließ die Hände niederfallen und wandte sich ihm zu . » Ist ein dummer Spaß gewesen « , und er zuckte geringschätzend die Achseln . » Was ? « » Na , daß sie dich da hinausgeschickt hat und kommod weiterschlaft « , er dehnte die Worte und sprach laut , als ob er jemand wachrufen wollte . Lepold ! « » War dir vielleicht um das Bussel z'tun , scheinheiliges Ding ? Komm , ich geb dir noch eins , mein Weib ist nicht eifersüchtig , das siehst du ! « Alles das war für die Lene geredet , er wähnte , daß sie dort in ihren Kissen verborgen trotzig hinhorchen täte auf jedes Wort und daß die Hanne nur da sei , um neuen Zank unmöglich zu machen . Jetzt regten sich Zorn und Scham wieder in ihm , das dumme Mädel da hatte seinen Jammer gehört , hatte ihn auf den Knien gesehen , und sein Weib hat geschlafen oder ihn neuerdings verspottet . Da krampfte sich schon wieder die Hand zusammen . Auseinander mit den Fingern ! Herrgott ! Was macht das Weib mit ihrer Unsinnigkeit aus mir ! » Hast du dein Weib nicht gesehen , Lepold ? « Das fuhr in seine peinvollen Gedanken , er setzte sich matt nieder und frug : » Was hast du gesagt ? « » Die Lene ist in der Abendzeit fortgegangen und ist – erschrick nicht , ich bitt dich – ist noch nicht heimgekommen « , sagte das Mädchen leise . » Nicht daheim ! Jetzt ? Mein Weib ? « stammelte der Leopold , er stieß die Hanne beiseite , rannte zu dem Bette seiner Frau , schüttelte die Kissen und Decken , wühlte alles durcheinander , er meinte , daß sie versteckt sein könnte . » Nichts da ... wo ... wo ist ... sie hin ? « gurgelte er , als ob er aus einem Wasser herausriefe , das ihm über den Kopf ging . » Jesus , Maria ! Schau nicht so drein , komm zu dir ! Es kann ihr ja etwas geschehen sein – in der Früh wird sie schon kommen « , tröstete entsetzt und zaghaft die Hanne . » Was geschehen ... freilich , das könnt möglich sein « , lallte er , » aber ... Hanne , es gibt auch Weiber , die ihren Männern davonlaufen . « » Davonlaufen ? « sagte die Hanne erschreckt . » Durchgehen ! . . . Wo ist mein Bub ? « schrie der Mann jählings und tappte nach der Wiege . » Sei nur still , ich bitt dich , das Kind ist da , ich bin ja darum herübergekommen . « » Armes Ding du « , murmelte der Leopold , » du bist immer gut und ehrlich ... du hast den Hieb parieren müssen , den sie mir zurückgegeben hat ... Hanne , sag mir alles von ihr . « Er zog einen Stuhl herbei und stieß ihn derb zu Boden , der Kleine schrie im Schlafe auf und hustete gleich danach kurz und schrill , daß es wie ein heiseres Bellen klang . Die Hanne horchte ängstlich und wollte zu dem Kinde , doch der Mann setzte sich ihr gegenüber , hielt sie am Arme fest und sagte wie ein Stumpfsinniger : » Alles sag mir ... alles ! « Was sie zu erzählen wußte , erzählte sie ihm , es war wenig genug . Er ließ sich die letzten Worte seines Weibes immer wiederholen , er sagte selbst jede Silbe nach , aber er konnte nichts herausfinden , als daß sie mit einer Lüge ihn und das Kind verlassen hatte . » Lepold , sei doch ein wenig gefaßt « , bat die Hanne , » laß mich aus , ich muß zu dem Buben , der Husten ist so – dein Kind ist krank , hörst ? « » Auch das noch ... « Er nahm die Lampe und leuchtete dem Mädchen , das fürsorglich wie eine Mutter das Kind aufhob . » Da schau , Lepold , wie der Kleine fiebert . « Mit dem Stiele eines Löffels drückte sie die Zunge des Knaben nieder und schaute in sein Mündchen . » Ich mein « , sagte sie erregt und suchte die Tränen zu verschlucken , » ich mein , du sollst schnell einen Doktor holen , das wäre das beste . « » Warum ? « fragte der Mann gedankenlos , denn das Bild seines Weibes flimmerte dort auf dem Putztische , und er konnte an nichts mehr sonst denken als an sie . Wo , wo , wo ist sie ?.. . Bei wem ?.. . Bei wem ? Herrgott ! . . . Er konnte nicht weiter fort mit seinen Gedanken , eiskalt rieselte und rann es ihm über den Rücken , er nahm das Bild und stierte es an , als ob er es sein Lebtag nicht gesehen hätte . » Bei wem ? « murmelte er , und als er sich reden hörte , da hub auch sein Gehirn wieder mühselig zu arbeiten an . » Vielleicht jetzt schon ein nichtsnutziges Weib « , summte es in seinem Kopfe . Das Bild glitt aus seiner Hand und fiel vor ihm nieder , er blickte auf den Fußboden , und als er hinter dem grünlichen Glas ihr Gesicht heraufschillern sah , trat er mit dem Absatz darauf , daß die Scherben knirschten . » Aber Lepold ! Hab doch Erbarmen mit deinem Kind , ich kann den Buben nicht auslassen , das ist die Bräune ! Hol den Doktor , das Kind könnte die Nacht ersticken . « Mit stumpfsinniger Neugierde bog sich der Mann nieder und schaute in das kleine Gesicht . Das Mündchen war halboffen , und es wehte den Leopold heiß an , als er mit seinem Finger die trockenen Lippen berührte ; die Augenlider hoben sich langsam , nur die halben Sterne waren zu sehen , der weiße Augapfel aber hatte den bläulichen Glanz verloren , und darum hatte der Kleine das Ansehen einer Leiche trotz der Fieberröte .