Schloß Stechlin Erstes Kapitel Im Norden der Grafschaft Ruppin , hart an der mecklenburgischen Grenze , zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin ( und noch darüber hinaus ) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme , nur hie und da mit ein paar alten Dörfern , sonst aber ausschließlich mit Förstereien , Glas- und Teeröfen besetzte Waldung . Einer der Seen , die diese Seenkette bilden , heißt » der Stechlin « . Zwischen flachen , nur an einer einzigen Stelle steil und quaiartig ansteigenden Ufern liegt er da , rundum von alten Buchen eingefaßt , deren Zweige , von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen , den See mit ihrer Spitze berühren . Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf , aber kein Kahn zieht seine Furchen , kein Vogel singt , und nur selten , daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft . Alles still hier . Und doch , von Zeit zu Zeit wird es an eben dieser Stelle lebendig . Das ist , wenn es weit draußen in der Welt , sei 's auf Island , sei 's auf Java , zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird . Dann regt sich 's auch hier , und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe . Das wissen alle , die den Stechlin umwohnen , und wenn sie davon sprechen , so setzen sie wohl auch hinzu : » Das mit dem Wasserstrahl , das ist nur das Kleine , das beinah Alltägliche ; wenn 's aber draußen was Großes gibt , wie vor hundert Jahren in Lissabon , dann brodelt's hier nicht bloß und sprudelt und strudelt , dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein . « Das ist der Stechlin , der See Stechlin . Aber nicht nur der See führt diesen Namen , auch der Wald , der ihn umschließt . Und Stechlin heißt ebenso das langgestreckte Dorf , das sich , den Windungen des Sees folgend , um seine Südspitze herumzieht . Etwa hundert Häuser und Hütten bilden hier eine lange , schmale Gasse , die sich nur da , wo eine von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee die Gasse durchschneidet , platzartig erweitert . An eben dieser Stelle findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf Stechlin zusammen : das Pfarrhaus , die Schule , das Schulzenamt , der Krug , dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem kleinen Mohren und einer Girlande von Schwefelfäden in seinem Schaufenster . Dieser Ecke schräg gegenüber , unmittelbar hinter dem Pfarrhause , steigt der Kirchhof lehnan , auf ihm , so ziemlich in seiner Mitte , die frühmittelalterliche Feldsteinkirche mit einem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten Rundbogenportals angebrachten Holzarm , dran eine Glocke hängt . Neben diesem Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort , bis sie vor einer über einen sumpfigen Graben sich hinziehenden und von zwei riesigen Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke haltmacht . Diese Brücke ist sehr primitiv . Jenseits derselben aber steigt das Herrenhaus auf , ein gelbgetünchter Bau mit hohem Dach und zwei Blitzableitern . Auch dieses Herrenhaus heißt Stechlin , Schloß Stechlin . Etliche hundert Jahre zurück stand hier ein wirkliches Schloß , ein Backsteinbau mit dicken Rundtürmen , aus welcher Zeit her auch noch der Graben stammt , der die von ihm durchschnittene , sich in den See hinein erstreckende Landzunge zu einer kleinen Insel machte . Das ging so bis in die Tage der Reformation . Während der Schwedenzeit aber wurde das alte Schloß niedergelegt , und man schien es seinem gänzlichen Verfall überlassen , auch nichts an seine Stelle setzen zu wollen , bis kurz nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. die ganze Trümmermasse beiseite geschafft und ein Neubau beliebt wurde . Dieser Neubau war das Haus , das jetzt noch stand . Es hatte denselben nüchternen Charakter wie fast alles , was unter dem Soldatenkönig entstand , und war nichts weiter als ein einfaches Corps de logis , dessen zwei vorspringende , bis dicht an den Graben reichende Seitenflügel ein Hufeisen und innerhalb desselben einen kahlen Vorhof bildeten , auf dem , als einziges Schmuckstück , eine große blanke Glaskugel sich präsentierte . Sonst sah man nichts als eine vor dem Hause sich hinziehende Rampe , von deren dem Hofe zugekehrter Vorderwand der Kalk schon wieder abfiel . Gleichzeitig war aber doch ein Bestreben unverkennbar , gerade diese Rampe zu was Besonderem zu machen , und zwar mit Hilfe mehrerer Kübel mit exotischen Blattpflanzen , darunter zwei Aloes , von denen die eine noch gut im Stande , die andre dagegen krank war . Aber gerade diese kranke war der Liebling des Schloßherrn , weil sie jeden Sommer in einer ihr freilich nicht zukommenden Blüte stand . Und das hing so zusammen . Aus dem sumpfigen Schloßgraben hatte der Wind vor langer Zeit ein fremdes Samenkorn in den Kübel der kranken Aloe geweht , und alljährlich schossen infolge davon aus der Mitte der schon angegelbten Aloeblätter die weiß und roten Dolden des Wasserliesch oder des Butomus umbellatus auf . Jeder Fremde , der kam , wenn er nicht zufällig ein Kenner war , nahm diese Dolden für richtige Aloeblüten , und der Schloßherr hütete sich wohl , diesen Glauben , der eine Quelle der Erheiterung für ihn war , zu zerstören . Und wie denn alles hier herum den Namen Stechlin führte , so natürlich auch der Schloßherr selbst . Auch er war ein Stechlin . Dubslav von Stechlin , Major a. D. und schon ein gut Stück über Sechzig hinaus , war der Typus eines Märkischen von Adel , aber von der milderen Observanz , eines jener erquicklichen Originale , bei denen sich selbst die Schwächen in Vorzüge verwandeln . Er hatte noch ganz das eigentümlich sympathisch berührende Selbstgefühl all derer , die » schon vor den Hohenzollern da waren « , aber er hegte dieses Selbstgefühl nur ganz im stillen , und wenn es dennoch zum Ausdruck kam , so kleidete sich 's in Humor , auch wohl in Selbstironie , weil er seinem ganzen Wesen nach überhaupt hinter alles ein Fragezeichen machte . Sein schönster Zug war eine tiefe , so recht aus dem Herzen kommende Humanität , und Dünkel und Überheblichkeit ( während er sonst eine Neigung hatte , fünf gerade sein zu lassen ) waren so ziemlich die einzigen Dinge , die ihn empörten . Er hörte gern eine freie Meinung , je drastischer und extremer , desto besser . Daß sich diese Meinung mit der seinigen deckte , lag ihm fern zu wünschen . Beinah das Gegenteil . Paradoxen waren seine Passion . » Ich bin nicht klug genug , selber welche zu machen , aber ich freue mich , wenn 's andre tun ; es ist doch immer was drin . Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht , und wenn es welche gibt , so sind sie langweilig . « Er ließ sich gern was vorplaudern und plauderte selber gern . Des alten Schloßherrn Lebensgang war märkisch-herkömmlich gewesen . Von jung an lieber im Sattel als bei den Büchern war er erst nach zweimaliger Scheiterung siegreich durch das Fähnrichsexamen gesteuert und gleich darnach bei den brandenburgischen Kürassieren eingetreten , bei denen selbstverständlich auch schon sein Vater gestanden hatte . Dieser sein Eintritt ins Regiment fiel so ziemlich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. zusammen , und wenn er dessen erwähnte , so hob er , sich selbst persiflierend , gerne hervor , » daß alles Große seine Begleiterscheinungen habe « . Seine Jahre bei den Kürassieren waren im wesentlichen Friedensjahre gewesen ; nur Anno vierundsechzig war er mit in Schleswig , aber auch hier , ohne » zur Aktion « zu kommen . » Es kommt für einen Märkischen nur darauf an , überhaupt mit dabeigewesen zu sein ; das andre steht in Gottes Hand . « Und er schmunzelte , wenn er dergleichen sagte , seine Hörer jedesmal in Zweifel darüber lassend , ob er's ernsthaft oder scherzhaft gemeint habe . Wenig mehr als ein Jahr vor Ausbruch des vierundsechziger Kriegs war ihm ein Sohn geboren worden , und kaum wieder in seine Garnison Brandenburg eingerückt , nahm er den Abschied , um sich auf sein seit dem Tode des Vaters halb verödetes Schloß Stechlin zurückzuziehen . Hier warteten seiner glückliche Tage , seine glücklichsten , aber sie waren von kurzer Dauer – schon das Jahr darauf starb ihm die Frau . Sich eine neue zu nehmen widerstand ihm , halb aus Ordnungssinn und halb aus ästhetischer Rücksicht . » Wir glauben doch alle mehr oder weniger an eine Auferstehung « ( das heißt , er persönlich glaubte eigentlich nicht daran ) , » und wenn ich dann oben ankomme mit einer rechts und einer links , so is das doch immer eine genierliche Sache . « Diese Worte – wie denn der Eltern Tun nur allzu häufig der Mißbilligung der Kinder begegnet – richteten sich in Wirklichkeit gegen seinen dreimal verheiratet gewesenen Vater , an dem er überhaupt allerlei Großes und Kleines auszusetzen hatte , so beispielsweise auch , daß man ihm , dem Sohne , den pommerschen Namen » Dubslav « beigelegt hatte . » Gewiß , meine Mutter war eine Pommersche , noch dazu von der Insel Usedom , und ihr Bruder , nun ja , der hieß Dubslav . Und so war denn gegen den Namen schon um des Onkels willen nicht viel einzuwenden , und um so weniger , als er ein Erbonkel war . ( Daß er mich schließlich schändlich im Stich gelassen , ist eine Sache für sich . ) Aber trotzdem bleib ich dabei , solche Namensmanscherei verwirrt bloß . Was ein Märkischer ist , der muß Joachim heißen oder Woldemar . Bleib im Lande und taufe dich redlich . Wer aus Friesack is , darf nicht Raoul heißen . « Dubslav von Stechlin blieb also Witwer . Das ging nun schon an die dreißig Jahre . Anfangs war's ihm schwer geworden , aber jetzt lag alles hinter ihm , und er lebte » comme philosophe « nach dem Wort und Vorbild des großen Königs , zu dem er jederzeit bewundernd aufblickte . Das war sein Mann , mehr als irgendwer , der sich seitdem einen Namen gemacht hatte . Das zeigte sich jedesmal , wenn ihm gesagt wurde , daß er einen Bismarckkopf habe . » Nun ja , ja , den hab ich ; ich soll ihm sogar ähnlich sehen . Aber die Leute sagen es immer so , als ob ich mich dafür bedanken müßte . Wenn ich nur wüßte , bei wem ; vielleicht beim lieben Gott , oder am Ende gar bei Bismarck selbst . Die Stechline sind aber auch nicht von schlechten Eltern . Außerdem , ich für meine Person , ich habe bei den sechsten Kürassieren gestanden , und Bismarck bloß bei den siebenten , und die kleinere Zahl ist in Preußen bekanntlich immer die größere ; – ich bin ihm also einen über . Und Friedrichsruh , wo alles jetzt hinpilgert , soll auch bloß 'ne Kate sein . Darin sind wir uns also gleich . Und solchen See , wie den Stechlin , nu , den hat er schon ganz gewiß nicht . So was kommt überhaupt bloß selten vor . « Ja , auf seinen See war Dubslav stolz , aber desto weniger stolz war er auf sein Schloß , weshalb es ihn auch verdroß , wenn es überhaupt so genannt wurde . Von den armen Leuten ließ er sich's gefallen : » Für die ist es ein › Schloß ‹ , aber sonst ist es ein alter Kasten und weiter nichts . « Und so sprach er denn lieber von seinem » Haus « , und wenn er einen Brief schrieb , so stand darüber » Haus Stechlin « . Er war sich auch bewußt , daß es kein Schloßleben war , das er führte . Vordem , als der alte Backsteinbau noch stand , mit seinen dicken Türmen und seinem Luginsland , von dem aus man , über die Kronen der Bäume weg , weit ins Land hinaussah , ja , damals war hier ein Schloßleben gewesen , und die derzeitigen alten Stechline hatten teilgenommen an allen Festlichkeiten , wie sie die Ruppiner Grafen und die mecklenburgischen Herzöge gaben , und waren mit den Boitzenburgern und den Bassewitzens verschwägert gewesen . Aber heute waren die Stechline Leute von schwachen Mitteln , die sich nur eben noch hielten und beständig bemüht waren , durch eine » gute Partie « sich wieder leidlich in die Höhe zu bringen . Auch Dubslavs Vater war auf die Weise zu seinen drei Frauen gekommen , unter denen freilich nur die erste das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt hatte . Für den jetzigen Schloßherrn , der von der zweiten Frau stammte , hatte sich daraus leider kein unmittelbarer Vorteil ergeben , und Dubslav von Stechlin wäre kleiner und großer Sorgen und Verlegenheiten nie los und ledig geworden , wenn er nicht in dem benachbarten Gransee seinen alten Freund Baruch Hirschfeld gehabt hätte . Dieser Alte , der den großen Tuchladen am Markt und außerdem die Modesachen und Damenhüte hatte , hinsichtlich deren es immer hieß , » Gerson schicke ihm alles zuerst « – dieser alte Baruch , ohne das » Geschäftliche « darüber zu vergessen , hing in der Tat mit einer Art Zärtlichkeit an dem Stechliner Schloßherrn , was , wenn es sich mal wieder um eine neue Schuldverschreibung handelte , regelmäßig zu heikeln Auseinandersetzungen zwischen Hirschfeld Vater und Hirschfeld Sohn führte . » Gott , Isidor , ich weiß , du bist fürs Neue . Aber was ist das Neue ? Das Neue versammelt sich immer auf unserm Markt , und mal stürmt es uns den Laden und nimmt uns die Hüte , Stück für Stück , und die Reiherfedern und die Straußenfedern . Ich bin fürs Alte und für den guten alten Herrn von Stechlin . Is doch der Vater von seinem Großvater gefallen in der großen Schlacht bei Prag und hat gezahlt mit seinem Leben . « » Ja , der hat gezahlt ; wenigstens hat er gezahlt mit seinem Leben . Aber der von heute ... « » Der zahlt auch , wenn er kann und wenn er hat . Und wenn er nicht hat und ich sage : › Herr von Stechlin , ich werde schreiben siebeneinhalb ‹ , dann feilscht er nicht und dann zwackt er nicht . Und wenn er kippt , nu , da haben wir das Objekt : Mittelboden und Wald und Jagd und viel Fischfang . Ich seh es immer so ganz klein in der Perspektiv , und ich seh auch schon den Kirchturm . « » Aber , Vaterleben , was sollen wir mit 'm Kirchturm ? « In dieser Richtung gingen öfters die Gespräche zwischen Vater und Sohn , und was der Alte vorläufig noch in der » Perspektive « sah , das wäre vielleicht schon Wirklichkeit geworden , wenn nicht des alten Dubslav um zehn Jahre ältere Schwester mit ihrem von der Mutter her ererbten Vermögen gewesen wäre : Schwester Adelheid , Domina zu Kloster Wutz . Die half und sagte gut , wenn es schlecht stand oder gar zum Äußersten zu kommen schien . Aber sie half nicht aus Liebe zu dem Bruder – gegen den sie , ganz im Gegenteil , viel einzuwenden hatte – , sondern lediglich aus einem allgemeinen Stechlinschen Familiengefühl . Preußen war was und die Mark Brandenburg auch ; aber das Wichtigste waren doch die Stechlins , und der Gedanke , das alte Schloß in andern Besitz und nun gar in einen solchen übergehen zu sehen , war ihr unerträglich . Und über all dies hinaus war ja noch ihr Patenkind da , ihr Neffe Woldemar , für den sie all die Liebe hegte , die sie dem Bruder versagte . Ja , die Domina half , aber solcher Hilfen unerachtet wuchs das Gefühl der Entfremdung zwischen den Geschwistern , und so kam es denn , daß der alte Dubslav , der die Schwester in Kloster Wutz weder gern besuchte noch auch ihren Besuch gern empfing , nichts von Umgang besaß als seinen Pastor Lorenzen ( den früheren Erzieher Woldemars ) und seinen Küster und Dorfschullehrer Krippenstapel , zu denen sich allenfalls noch Oberförster Katzler gesellte , Katzler , der Feldjäger gewesen war und ein gut Stück Welt gesehen hatte . Doch auch diese drei kamen nur , wenn sie gerufen wurden , und so war eigentlich nur einer da , der in jedem Augenblicke Red und Antwort stand . Das war Engelke , sein alter Diener , der seit beinahe fünfzig Jahren alles mit seinem Herrn durchlebt hatte , seine glücklichen Leutnantstage , seine kurze Ehe und seine lange Einsamkeit . Engelke , noch um ein Jahr älter als sein Herr , war dessen Vertrauter geworden , aber ohne Vertraulichkeit . Dubslav verstand es , die Scheidewand zu ziehen . Übrigens wär es auch ohne diese Kunst gegangen . Denn Engelke war einer von den guten Menschen , die nicht aus Berechnung oder Klugheit , sondern von Natur hingebend und demütig sind und in einem treuen Dienen ihr Genüge finden . Alltags war er , so Winter wie Sommer , in ein Leinwandhabit gekleidet , und nur wenn es zu Tisch ging , trug er eine richtige Livree von sandfarbenem Tuch mit großen Knöpfen dran . Es waren Knöpfe , die noch die Zeiten des Rheinsberger Prinzen Heinrich gesehen hatten , weshalb Dubslav , als er mal wieder in Verlegenheit war , zu dem jüngst verstorbenen alten Herrn von Kortschädel gesagt hatte : » Ja , Kortschädel , wenn ich so meinen Engelke , wie er da geht und steht , ins märkische Provinzialmuseum abliefern könnte , so kriegt ich ein Jahrgehalt und wäre raus . « Das war im Mai , daß der alte Stechlin diese Worte zu seinem Freunde Kortschädel gesprochen hatte . Heute aber war dritter Oktober und ein wundervoller Herbsttag dazu . Dubslav , sonst empfindlich gegen Zug , hatte die Türen aufmachen lassen , und von dem großen Portal her zog ein erquicklicher Luftstrom bis auf die mit weiß und schwarzen Fliesen gedeckte Veranda hinaus . Eine große , etwas schadhafte Markise war hier herabgelassen und gab Schutz gegen die Sonne , deren Lichter durch die schadhaften Stellen hindurchschienen und auf den Fliesen ein Schattenspiel aufführten . Gartenstühle standen umher , vor einer Bank aber , die sich an die Hauswand lehnte , waren doppelte Strohmatten gelegt . Auf eben dieser Bank , ein Bild des Behagens , saß der alte Stechlin in Joppe und breitkrempigem Filzhut und sah , während er aus seinem Meerschaum allerlei Ringe blies , auf ein Rundell , in dessen Mitte , von Blumen eingefaßt , eine kleine Fontäne plätscherte . Rechts daneben lief ein sogenannter Poetensteig , an dessen Ausgang ein ziemlich hoher , aus allerlei Gebälk zusammengezimmerter Aussichtsturm aufragte . Ganz oben eine Plattform mit Fahnenstange , daran die preußische Flagge wehte , schwarz und weiß , alles schon ziemlich verschlissen . Engelke hatte vor kurzem einen roten Streifen annähen wollen , war aber mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen . » Laß . Ich bin nicht dafür . Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch ; aber wenn du was Rotes drannähst , dann reißt es gewiß . « Die Pfeife war ausgegangen , und Dubslav wollte sich eben von seinem Platz erheben und nach Engelke rufen , als dieser vom Gartensaal her auf die Veranda heraustrat . » Das ist recht , Engelke , daß du kommst . . . Aber du hast da ja was wie 'n Telegramm in der Hand . Ich kann Telegramms nicht leiden . Immer is einer dod , oder es kommt wer , der besser zu Hause geblieben wäre . « Engelke griente . » Der junge Herr kommt . « » Und das weißt du schon ? « » Ja , Brose hat es mir gesagt . « » So , so. Dienstgeheimnis . Na , gib her . « Und unter diesen Worten brach er das Telegramm auf und las : » Lieber Papa . Bin sechs Uhr bei dir . Rex und von Czako begleiten mich . Dein Woldemar . « Engelke stand und wartete . » Ja , was da tun , Engelke ? « sagte Dubslav und drehte das Telegramm hin und her . » Und aus Cremmen und von heute früh « , fuhr er fort . » Da müssen sie also die Nacht über schon in Cremmen gewesen sein . Auch kein Spaß . « » Aber Cremmen is doch soweit ganz gut . « » Nu , gewiß , gewiß . Bloß sie haben da so kurze Betten . . . Und wenn man , wie Woldemar , Kavallerist ist , kann man ja doch auch die acht Meilen von Berlin bis Stechlin in einer Pace machen . Warum also Nachtquartier ? Und › Rex und von Czako begleiten mich ‹ . Ich kenne Rex nicht und kenne von Czako nicht . Wahrscheinlich Regimentskameraden . Haben wir denn was ? « » Ich denk doch , gnäd'ger Herr . Und wovor haben wir denn unsre Mamsell ? Die wird schon was finden . « » Nu gut . Also wir haben was . Aber wen laden wir dazu ein ? So bloß ich , das geht nicht . Ich mag mich keinem Menschen mehr vorsetzen . Czako , das ginge vielleicht noch . Aber Rex , wenn ich ihn auch nicht kenne , zu so was Feinem wie Rex paß ich nicht mehr ; ich bin zu altmodisch geworden . Was meinst du , ob die Gundermanns wohl können ? « » Ach , die können schon . Er gewiß , und sie kluckt auch bloß immer so rum . « » Also Gundermanns. Gut . Und dann vielleicht Oberförsters . Das älteste Kind hat freilich die Masern , und die Frau , das heißt die Gemahlin ( und Gemahlin is eigentlich auch noch nicht das rechte Wort ) , die erwartet wieder . Man weiß nie recht , wie man mit ihr dran ist und wie man sie nennen soll , Oberförsterin Katzler oder Durchlaucht . Aber man kann 's am Ende versuchen . Und dann unser Pastor . Der hat doch wenigstens die Bildung . Gundermann allein ist zuwenig und eigentlich bloß ein Klutentreter . Und seitdem er die Siebenmühlen hat , ist er noch weniger geworden . « Engelke nickte . » Na , dann schick also Martin . Aber er soll sich proper machen . Oder vielleicht ist Brose noch da ; der kann ja auf seinem Retourgang bei Gundermanns mit rangehen . Und soll ihnen sagen sieben Uhr , aber nicht früher ; sie sitzen sonst so lange rum , und man weiß nicht , wovon man reden soll . Das heißt mit ihm ; sie redt immerzu . . . Und gib Brosen auch 'nen Kornus und funfzig Pfennig . « » Ich werd ihm dreißig geben . « » Nein , nein , funfzig . Erst hat er ja doch was gebracht , und nu nimmt er wieder was mit . Das is ja so gut wie doppelt . Also funfzig . Knaps ihm nichts ab . « Zweites Kapitel Ziemlich um dieselbe Zeit , wo der Telegraphenbote bei Gundermanns vorsprach , um die Bestellung des alten Herrn von Stechlin auszurichten , ritten Woldemar , Rex und Czako , die sich für sechs Uhr angemeldet hatten , in breiter Front von Cremmen ab ; Fritz , Woldemars Reitknecht , folgte den dreien . Der Weg ging über Wutz . Als sie bis in Nähe von Dorf und Kloster dieses Namens gekommen waren , bog Woldemar vorsichtig nach links hin aus , weil er der Möglichkeit entgehen wollte , seiner Tante Adelheid , der Domina des Klosters , zu begegnen . Er stand zwar gut mit dieser und hatte sogar vor , ihr , wie herkömmlich , auf dem Rückwege nach Berlin seinen Besuch zu machen , aber in diesem Augenblick paßte ihm solche Begegnung , die sein pünktliches Eintreffen in Stechlin gehindert haben würde , herzlich schlecht . So beschrieb er denn einen weiten Halbkreis und hatte das Kloster schon um eine Viertelstunde hinter sich , als er sich wieder der Hauptstraße zuwandte . Diese , durch Moor- und Wiesengründe führend , war ein vorzüglicher Reitweg , der an vielen Stellen noch eine Grasnarbe trug , weshalb es anderthalb Meilen lang in einem scharfen Trabe vorwärts ging , bis an eine Avenue heran , die geradlinig auf Schloß Stechlin zuführte . Hier ließen alle drei die Zügel fallen und ritten im Schritt weiter . Über ihnen wölbten sich die schönen alten Kastanienbäume , was ihrem Anritt etwas Anheimelndes und zugleich etwas beinah Feierliches gab . » Das ist ja wie ein Kirchenschiff « , sagte Rex , der am linken Flügel ritt . » Finden Sie nicht auch , Czako ? « » Wenn Sie wollen , ja . Aber Pardon , Rex , ich finde die Wendung etwas trivial für einen Ministerialassessor . « » Nun gut , dann sagen Sie was Besseres . « » Ich werde mich hüten . Wer unter solchen Umständen was Besseres sagen will , sagt immer was Schlechteres . « Unter diesem sich noch eine Weile fortsetzenden Gespräche waren sie bis an einen Punkt gekommen , von dem aus man das am Ende der Avenue sich aufbauende Bild in aller Klarheit überblicken konnte . Dabei war das Bild nicht bloß klar , sondern auch so frappierend , daß Rex und Czako unwillkürlich anhielten . » Alle Wetter , Stechlin , das ist ja reizend « , wandte sich Czako zu dem am andern Flügel reitenden Woldemar . » Ich find es geradezu märchenhaft , Fata Morgana – das heißt , ich habe noch keine gesehn . Die gelbe Wand , die da noch das letzte Tageslicht auffängt , das ist wohl Ihr Zauberschloß ? Und das Stückchen Grau da links , das taxier ich auf eine Kirchenecke . Bleibt nur noch der Staketzaun an der andern Seite ; – da wohnt natürlich der Schulmeister . Ich verbürge mich , daß ich 's damit getroffen . Aber die zwei schwarzen Riesen , die da grad in der Mitte stehn und sich von der gelben Wand abheben ( › abheben ‹ ist übrigens auch trivial ; entschuldigen Sie , Rex ) , die stehen ja da wie die Cherubim . Allerdings etwas zu schwarz . Was sind das für Leute ? « » Das sind Findlinge . « » Findlinge ? « » Ja , Findlinge « , wiederholte Woldemar . » Aber wenn Ihnen das Wort anstößig ist , so können Sie sie auch Monolithe nennen . Es ist merkwürdig , Czako , wie hochgradig verwöhnt im Ausdruck Sie sind , wenn Sie nicht gerade selber das Wort haben . . . Aber nun , meine Herren , müssen wir uns wieder in Trab setzen . Ich bin überzeugt , mein Papa steht schon ungeduldig auf seiner Rampe , und wenn er uns so im Schritt ankommen sieht , denkt er , wir bringen eine Trauernachricht oder einen Verwundeten . « Wenige Minuten später , und alle drei trabten denn auch wirklich , von Fritz gefolgt , über die Bohlenbrücke fort , erst in den Vorhof hinein und dann an der blanken Glaskugel vorüber . Der Alte stand bereits auf der Rampe , Engelke hinter ihm und hinter diesem Martin , der alte Kutscher . Im Nu waren alle drei Reiter aus dem Sattel , und Martin und Fritz nahmen die Pferde . So trat man in den Flur . » Erlaube , lieber Papa , dir zwei liebe Freunde von mir vorzustellen : Assessor von Rex , Hauptmann von Czako . « Der alte Stechlin schüttelte jedem die Hand und sprach ihnen aus , wie glücklich er über ihren Besuch sei . » Seien Sie mir herzlich willkommen , meine Herren . Sie haben keine Ahnung , welche Freude Sie mir machen , mir , einem vergrätzten alten Einsiedler . Man sieht nichts mehr , man hört nichts mehr . Ich hoffe auf einen ganzen Sack voll Neuigkeiten . « » Ach , Herr Major « , sagte Czako , » wir sind ja schon vierundzwanzig Stunden fort . Und , ganz abgesehen davon , wer kann heutzutage noch mit den Zeitungen konkurrieren ! Ein Glück , daß manche prinzipiell einen Posttag zu spät kommen . Ich meine mit den neuesten Nachrichten . Vielleicht auch sonst noch . « » Sehr wahr « , lachte Dubslav . » Der Konservatismus soll übrigens , seinem Wesen nach , eine Bremse sein ; damit muß man vieles entschuldigen . Aber da kommen Ihre Mantelsäcke , meine Herren . Engelke , führe die Herren auf ihr Zimmer . Wir haben jetzt sechseinviertel . Um sieben , wenn ich bitten darf . « Engelke hatte mittlerweile die beiden von Dubslav etwas altmodisch als » Mantelsäcke « bezeichneten Plaidrollen in die Hand genommen und ging damit , den beiden Herren voran , auf die doppelarmige Treppe zu , die gerade da , wo die beiden Arme derselben sich kreuzten , einen ziemlich geräumigen Podest mit Säulchengalerie bildete . Zwischen den Säulchen aber , und zwar mit Blick auf den Flur , war eine Rokokouhr angebracht , mit einem Zeitgott darüber , der eine Hippe führte . Czako wies darauf hin und sagte leise zu Rex : » Ein bißchen graulich « – ein Gefühl , drin er sich bestärkt sah , als man bis auf den mit ungeheurer Raumverschwendung angelegten Oberflur gekommen war . Über einer nach hinten zu gelegenen Saaltür hing eine Holztafel mit der Inschrift : » Museum « , während hüben und drüben , an den Flurwänden links und rechts , mächtige Birkenmaser- und Ebenholzschränke standen , wahre Prachtstücke , mit zwei großen Bildern dazwischen , eines eine Burg mit dicken Backsteintürmen , das andre ein überlebensgroßer Ritter , augenscheinlich aus der Frundsbergzeit , wo das bunt Landsknechtliche schon die Rüstung zu drapieren begann . » Is wohl ein Ahn ? « fragte Czako . » Ja , Herr Hauptmann . Und er ist auch unten in der Kirche . « » Auch so wie hier ? « » Nein , bloß Grabstein und schon etwas abgetreten . Aber man sieht doch noch , daß es derselbe ist . « Czako nickte . Dabei waren sie bis an ein Eckzimmer gekommen , das mit der einen Seite nach dem Flur , mit der andern Seite nach einem schmalen Gang hin lag . Hier war auch die Tür . Engelke , vorangehend , öffnete und hing die beiden Plaidrollen an die Haken eines hier gleich an der Tür stehenden Kleiderständers . Unmittelbar daneben war ein Klingelzug mit einer grünen , etwas ausgefransten Puschel daran . Engelke wies darauf hin und sagte : » Wenn die Herren noch was wünschen ... Und um sieben ... Zweimal wird angeschlagen . « Und damit ging er , die beiden ihrer Bequemlichkeit überlassend . Es waren zwei nebeneinandergelegene Zimmer , in denen man Rex und Czako untergebracht hatte , das vordere größer und mit etwas mehr Aufwand eingerichtet , mit Stehspiegel und Toilette , der Spiegel sogar zum Kippen . Das Bett in diesem vorderen Zimmer hatte einen kleinen Himmel und daneben eine Etagere , auf deren oberem Brettchen eine Meißner Figur stand , ihr ohnehin kurzes Röckchen lüpfend , während auf dem unteren Brett ein Neues Testament lag , mit Kelch und Kreuz und einem Palmenzweig auf dem Deckel . Czako nahm das Meißner Püppchen und sagte : » Wenn nicht unser Freund Woldemar bei diesem Arrangement seine Hand mit im Spiele gehabt hat , so haben wir hier in bezug auf Requisiten ein Ahnungsvermögen , wie 's nicht größer gedacht werden kann . Das Püppchen pour moi , das Testament pour vous . « » Czako , wenn Sie doch bloß das Necken lassen könnten ! « » Ach , sagen Sie doch so was nicht , Rex ; Sie lieben mich ja bloß um meiner Neckereien willen . « Und nun traten sie , von dem Vorderzimmer her , in den etwas kleineren Wohnraum , in dem Spiegel und Toilette fehlten . Dafür aber war ein Rokokosofa da , mit hellblauem Atlas und weißen Blumen darauf . » Ja , Rex « , sagte Czako , » wie teilen wir nun ? Ich denke , Sie nehmen nebenan den Himmel , und ich nehme das Rokokosofa , noch dazu mit weißen Blumen , vielleicht Lilien . Ich wette , das kleine Ding von Sofa hat eine Geschichte . « » Rokoko hat immer eine Geschichte « , bestätigte Rex . » Aber hundert Jahr zurück . Was jetzt hier haust , sieht mir , Gott sei Dank , nicht danach aus . Ein bißchen Spuk trau ich diesem alten Kasten allerdings schon zu ; aber keine Rokokogeschichte . Rokoko ist doch immer unsittlich . Wie gefällt Ihnen übrigens der Alte ? « » Vorzüglich . Ich hätte nicht gedacht , daß unser Freund Woldemar solchen famosen Alten haben könnte . « » Das klingt ja beinah « , sagte Rex , » wie wenn Sie gegen unsern Stechlin etwas hätten . « » Was durchaus nicht der Fall ist . Unser Stechlin ist der beste Kerl von der Welt , und wenn ich das verdammte Wort nicht haßte , würd ich ihn sogar einen › perfekten Gentleman ‹ nennen müssen . Aber ... « » Nun ... « » Aber er paßt doch nicht recht an seine Stelle . « An welche ? « » In sein Regiment . « » Aber , Czako , ich verstehe Sie nicht . Er ist ja brillant angeschrieben . Liebling bei jedem . Der Oberst hält große Stücke von ihm , und die Prinzen machen ihm beinah den Hof ... « » Ja , das ist es ja eben . Die Prinzen , die Prinzen . « » Was denn , wie denn ? « » Ach , das ist eine lange Geschichte , viel zu lang , um sie hier vor Tisch noch auszukramen . Denn es ist bereits halb , und wir müssen uns eilen . Übrigens trifft es viele , nicht bloß unsern Stechlin . « » Immer dunkler , immer rätselvoller « , sagte Rex . » Nun , vielleicht daß ich Ihnen das Rätsel löse . Schließlich kann man ja Toilette machen und noch seinen Diskurs daneben haben . › Die Prinzen machen ihm den Hof ‹ , so geruhten Sie zu bemerken , und ich antwortete : › Ja , das ist es eben . ‹ Und diese Worte kann ich Ihnen nur wiederholen . Die Prinzen – ja , damit hängt es zusammen und noch mehr damit , daß die feinen Regimenter immer feiner werden . Kucken Sie sich mal die alten Ranglisten an , das heißt wirklich alte , voriges Jahrhundert und dann so bis Anno sechs . Da finden Sie bei Regiment Garde du Corps oder bei Regiment Gensdarmes unsere guten alten Namen : Marwitz , Wakenitz , Kracht , Löschebrand , Bredow , Rochow , höchstens daß sich mal ein höher betitelter Schlesischer mit hinein verirrt . Natürlich gab es auch Prinzen damals , aber der Adel gab den Ton an , und die paar Prinzen mußten noch froh sein , wenn sie nicht störten . Damit ist es nun aber , seit wir Kaiser und Reich sind , total vorbei . Natürlich sprech ich nicht von der Provinz , nicht von Litauen und Masuren , sondern von der Garde , von den Regimentern unter den Augen Seiner Majestät . Und nun gar erst diese Gardedragoner ! Die waren immer pik , aber seit sie , pour combler le bonheur , auch noch › Königin von Großbritannien und Irland ‹ sind , wird es immer mehr davon , und je piker sie werden , desto mehr Prinzen kommen hinein , von denen übrigens auch jetzt schon mehr da sind , als es so obenhin aussieht , denn manche sind eigentlich welche und dürfen es bloß nicht sagen . Und wenn man dann gar noch die alten mitrechnet , die bloß à la suite stehn , aber doch immer noch mit dabei sind , wenn irgendwas los ist , so haben wir , wenn der Kreis geschlossen wird , zwar kein Parkett von Königen , aber doch einen Zirkus von Prinzen . Und da hinein ist nun unser guter Stechlin gestellt . Natürlich tut er , was er kann , und macht so gewisse Luxusse mit , Gefühlsluxusse , Gesinnungsluxusse und , wenn es sein muß , auch Freiheitsluxusse . So 'nen Schimmer von Sozialdemokratie . Das ist aber auf die Dauer schwierig . Richtige Prinzen können sich das leisten , die verbebeln nicht leicht . Aber Stechlin ! Stechlin ist ein reizender Kerl , aber er ist doch bloß ein Mensch . « » Und das sagen Sie , Czako , gerade Sie , der Sie das Menschliche stets betonen ? « » Ja , Rex , das tu ich . Heut wie immer . Aber eines schickt sich nicht für alle . Der eine darf's , der andre nicht . Wenn unser Freund Stechlin sich in diese seine alte Schloßkate zurückzieht , so darf er Mensch sein , soviel er will , aber als Gardedragoner kommt er damit nicht aus . Vom alten Adam will ich nicht sprechen , das hat immer noch so 'ne Nebenbedeutung . « Während Rex und Czako Toilette machten und abwechselnd über den alten und den jungen Stechlin verhandelten , schritten die , die den Gegenstand dieser Unterhaltung bildeten , Vater und Sohn , im Garten auf und ab und hatten auch ihrerseits ihr Gespräch . » Ich bin dir dankbar , daß du mir deine Freunde mitgebracht hast . Hoffentlich kommen sie auf ihre Kosten . Mein Leben verläuft ein bißchen zu einsam , und es wird ohnehin gut sein , wenn ich mich wieder an Menschen gewöhne . Du wirst gelesen haben , daß unser guter alter Kortschädel gestorben ist , und in etwa vierzehn Tagen haben wir hier 'ne Neuwahl . Da muß ich dann ran und mich populär machen . Die Konservativen wollen mich haben und keinen andern . Eigentlich mag ich nicht , aber ich soll , und da paßt es mir denn , daß du mir Leute bringst , an denen ich mich für die Welt sozusagen wieder wie einüben kann . Sind sie denn ausgiebig und plauderhaft ? « » O sehr , Papa , vielleicht zu sehr . Wenigstens der eine . « » Das is gewiß der Czako . Sonderbar , die von Alexander reden alle gern . Aber ich bin sehr dafür ; Schweigen kleidt nicht jeden . Und dann sollen wir uns ja auch durch die Sprache vom Tier unterscheiden . Also wer am meisten redt , ist der reinste Mensch . Und diesem Czako , dem hab ich es gleich angesehn . Aber der Rex . Du sagst Ministerialassessor . Ist er denn von der frommen Familie ? « » Nein , Papa . Du machst dieselbe Verwechslung , die beinah alle machen . Die fromme Familie , das sind die Reckes , gräflich und sehr vornehm . Die Rex natürlich auch , aber doch nicht so hoch hinaus und auch nicht so fromm . Allerdings nimmt mein Freund , der Ministerialassessor , einen Anlauf dazu , die Reckes womöglich einzuholen . « » Dann hab ich also doch recht gesehn . Er hat so die Figur , die so was vermuten läßt , ein bißchen wenig Fleisch und so glattrasiert . Habt ihr denn beim Rasieren in Cremmen gleich einen gefunden ? « » Er hat alles immer bei sich ; lauter englische . Von Solingen oder Suhl will er nichts wissen . « » Und muß man ihn denn vorsichtig anfassen , wenn das Gespräch auf kirchliche Dinge kommt ? Ich bin ja , wie du weißt , eigentlich kirchlich , wenigstens kirchlicher als mein guter Pastor ( es wird immer schlimmer mit ihm ) , aber ich bin so im Ausdruck mitunter ungenierter , als man vielleicht sein soll , und bei › niedergefahren zur Hölle ‹ kann mir's passieren , daß ich nolens volens ein bißchen tolles Zeug rede . Wie steht es denn da mit ihm ? Muß ich mich in acht nehmen ? Oder macht er bloß so mit ? « » Das will ich nicht geradezu behaupten . Ich denke mir , er steht so , wie die meisten stehn ; das heißt , er weiß es nicht recht . « » Ja , ja , den Zustand kenn ich . « » Und weil er es nicht recht weiß , hat er sozusagen die Auswahl und wählt das , was gerade gilt und nach oben hin empfiehlt . Ich kann das auch so schlimm nicht finden . Einige nennen ihn einen › Streber ‹ . Aber wenn er es ist , ist er jedenfalls keiner von den schlimmsten . Er hat eigentlich einen guten Charakter , und im cercle intime kann er reizend sein . Er verändert sich dann nicht in dem , was er sagt , oder doch nur ganz wenig , aber ich möchte sagen , er verändert sich in der Art , wie er zuhört . Czako meint , unser Freund Rex halte sich mit dem Ohr für das schadlos , was er mit dem Munde versäumt . Czako wird überhaupt am besten mit ihm fertig ; er schraubt ihn beständig , und Rex , was ich reizend finde , läßt sich diese Schraubereien gefallen . Daran siehst du schon , daß sich mit ihm leben läßt . Seine Frömmigkeit ist keine Lüge , bloß Erziehung , Angewohnheit , und so schließlich seine zweite Natur geworden . Ich werde ihn bei Tisch neben Lorenzen setzen ; die mögen dann beide sehn , wie sie miteinander fertig werden . Vielleicht erleben wir 'ne Bekehrung . Das heißt , Rex den Pastor . Aber da höre ich eine Kutsche die Dorfstraße raufkommen . Das sind natürlich Gundermanns ; die kommen immer zu früh . Der arme Kerl hat mal was von der Höflichkeit der Könige gehört und macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon . Autodidakten übertreiben immer . Ich bin selber einer und kann also mitreden . Nun , wir sprechen morgen früh weiter ; heute wird es nichts mehr . Du wirst dich auch noch ein bißchen striegeln müssen , und ich will mir 'nen schwarzen Rock anziehn . Das bin ich der guten Frau von Gundermann doch schuldig ; sie putzt sich übrigens nach wie vor wie 'n Schlittenpferd und hat immer noch den merkwürdigen Federbusch in ihrem Zopf – das heißt , wenn 's ihrer ist . « Drittes Kapitel Engelke schlug unten im Flur zweimal an einen alten , als Tamtam fungierenden Schild , der an einem der zwei vorspringenden und zugleich die ganze Treppe tragenden Pfeiler hing . Eben diese zwei Pfeiler bildeten denn auch mit dem Podest und der in Front desselben angebrachten Rokokouhr einen zum Gartensalon , diesem Hauptzimmer des Erdgeschosses , führenden , ziemlich pittoresken Portikus , von dem ein auf Besuch anwesender hauptstädtischer Architekt mal gesagt hatte : sämtliche Bausünden von Schloß Stechlin würden durch diesen verdrehten , aber malerischen Einfall wiedergutgemacht . Die Uhr mit dem Hippenmann schlug gerade sieben , als Rex und Czako die Treppe herunterkamen und , eine Biegung machend , auf den von berufener Seite so glimpflich beurteilten sonderbaren Vorbau zusteuerten . Als die Freunde diesen passierten , sahen sie – die Türflügel waren schon geöffnet – in aller Bequemlichkeit in den Salon hinein und nahmen hier wahr , daß etliche , ihnen zu Ehren geladene Gäste bereits erschienen waren . Dubslav , in dunkelm Überrock und die Bändchenrosette sowohl des preußischen wie des wendischen Kronenordens im Knopfloch , ging den Eintretenden entgegen , begrüßte sie nochmals mit der ihm eignen Herzlichkeit , und beide Herren gleich danach in den Kreis der schon Versammelten einführend , sagte er : » Bitte die Herrschaften miteinander bekannt machen zu dürfen : Herr und Frau von Gundermann auf Siebenmühlen , Pastor Lorenzen , Oberförster Katzler « , und dann , nach links sich wendend , » Ministerialassessor von Rex , Hauptmann von Czako vom Regiment Alexander . « Man verneigte sich gegenseitig , worauf Dubslav zwischen Rex und Pastor Lorenzen , Woldemar aber , als Adlatus seines Vaters , zwischen Czako und Katzler eine Verbindung herzustellen suchte , was auch ohne weiteres gelang , weil es hüben und drüben weder an gesellschaftlicher Gewandtheit noch an gutem Willen gebrach . Nur konnte Rex nicht umhin , die Siebenmühlener etwas eindringlich zu mustern , trotzdem Herr von Gundermann in Frack und weißer Binde , Frau von Gundermann aber in geblümtem Atlas , mit Marabufächer , erschienen war – er augenscheinlich Parvenu , sie Berlinerin aus einem nordöstlichen Vorstadtgebiet . Rex sah das alles . Er kam aber nicht in die Lage , sich lange damit zu beschäftigen , weil Dubslav eben jetzt den Arm der Frau von Gundermann nahm und dadurch das Zeichen zum Aufbruch zu der im Nebenzimmer gedeckten Tafel gab . Alle folgten paarweise , wie sie sich vorher zusammengefunden , kamen aber durch die von seiten Dubslavs schon vorher festgesetzte Tafelordnung wieder auseinander . Die beiden Stechlins , Vater und Sohn , placierten sich an den beiden Schmalseiten einander gegenüber , während zur Rechten und Linken von Dubslav Herr und Frau von Gundermann , rechts und links von Woldemar aber Rex und Lorenzen saßen . Die Mittelplätze hatten Katzler und Czako inne . Neben einem großen alten Eichenbüfett , ganz in Nähe der Tür , standen Engelke und Martin , Engelke in seiner sandfarbenen Livree mit den großen Knöpfen , Martin , dem nur oblag , mit der Küche Verbindung zu halten , einfach in schwarzem Rock und Stulpstiefeln . Der alte Dubslav war in bester Laune , stieß gleich nach den ersten Löffeln Suppe mit Frau von Gundermann vertraulich an , dankte für ihr Erscheinen und entschuldigte sich wegen der späten Einladung : » Aber erst um zwölf kam Woldemars Telegramm . Es ist das mit dem Telegraphieren solche Sache , manches wird besser , aber manches wird auch schlechter , und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gewiß . Schon die Form , die Abfassung . Kürze soll eine Tugend sein , aber sich kurz fassen heißt meistens auch , sich grob fassen . Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort , und das Wort › Herr ‹ ist beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen . Ich hatte mal einen Freund , der ganz ernsthaft versicherte : › Der häßlichste Mops sei der schön ste ‹ ; so läßt sich jetzt beinahe sagen , › das gröbste Telegramm ist das feinste ‹ . Wenigstens das in seiner Art vollendetste . Jeder , der wieder eine neue Fünfpfennigersparnis herausdoktert , ist ein Genie . « Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an die Frau von Gundermann , sehr bald aber mehr an Gundermann selbst gerichtet , weshalb dieser letztere denn auch antwortete : » Ja , Herr von Stechlin , alles Zeichen der Zeit . Und ganz bezeichnend , daß gerade das Wort › Herr ‹ , wie Sie schon hervorzuheben die Güte hatten , so gut wie abgeschafft ist . › Herr ‹ ist Unsinn geworden , › Herr ‹ paßt den Herren nicht mehr – ich meine natürlich die , die jetzt die Welt regieren wollen . Aber es ist auch danach . Alle diese Neuerungen , an denen sich leider auch der Staat beteiligt , was sind sie ? Begünstigungen der Unbotmäßigkeit , also Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie . Weiter nichts . Und niemand da , der Lust und Kraft hätte , dies Wasser abzustellen . Aber trotzdem , Herr von Stechlin – ich würde nicht widersprechen , wenn mich das Tatsächliche nicht dazu zwänge – , trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie , gerade hier in unsrer Einsamkeit . Und dabei das beständige Schwanken der Kurse . Namentlich auch in der Mühlen- und Brettschneidebranche ... « » Versteht sich , lieber Gundermann . Was ich da gesagt habe . . . Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte , wäre es ebenso richtig . Der Teufel is nich so schwarz , wie er gemalt wird , und die Telegraphie auch nicht , und wir auch nicht . Schließlich ist es doch was Großes , diese Naturwissenschaften , dieser elektrische Strom , tipp , tipp , tipp , und wenn uns daran läge ( aber uns liegt nichts daran ) , so könnten wir den Kaiser von China wissen lassen , daß wir hier versammelt sind und seiner gedacht haben . Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit und Stunde . Beinahe komisch . Als Anno siebzig die Pariser Septemberrevolution ausbrach , wußte man 's in Amerika drüben um ein paar Stunden früher , als die Revolution überhaupt da war . Ich sagte : Septemberrevolution . Es kann aber auch 'ne andre gewesen sein ; sie haben da so viele , daß man sie leicht verwechselt . Eine war im Juni , ' ne andre war im Juli – wer nich ein Bombengedächtnis hat , muß da notwendig reinfallen ... Engelke , präsentiere der gnäd'gen Frau den Fisch noch mal . Und vielleicht nimmt auch Herr von Czako ... « » Gewiß , Herr von Stechlin « , sagte Czako . » Erstlich aus reiner Gourmandise , dann aber auch aus Forschertrieb oder Fortschrittsbedürfnis . Man will doch an dem , was gerade gilt oder überhaupt Menschheitsentwickelung bedeutet , auch seinerseits nach Möglichkeit teilnehmen , und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan . Fische sollen außerdem viel Phosphor enthalten , und Phosphor , so heißt es , macht › helle ‹ . « » Gewiß « , kicherte Frau von Gundermann , die sich bei dem Wort » helle « wie persönlich getroffen fühlte . » Phosphor war ja auch schon , eh die Schwedischen aufkamen . « » Oh , lange vorher « , bestätigte Czako . » Was mich aber « , fuhr er , sich an Dubslav wendend , fort , » an diesen Karpfen noch ganz besonders fesselt – beiläufig ein Prachtexemplar – , das ist das , daß er doch höchstwahrscheinlich aus Ihrem berühmten See stammt , über den ich durch Woldemar , Ihren Herrn Sohn , bereits unterrichtet bin . Dieser merkwürdige See , dieser Stechlin ! Und da frag ich mich denn unwillkürlich ( denn Karpfen werden alt ; daher beispielsweise die Mooskarpfen ) , welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden Exemplar seiner Gattung wohl schon vorübergegangen ? Ich weiß nicht , ob ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf , wenn aber , so würde er als Jüngling die Lissaboner Aktion und als Urgreis den neuerlichen Ausbruch des Krakatowa mitgemacht haben . Und all das erwogen , drängt sich mir die Frage auf ... « Dubslav lächelte zustimmend . » .. . Und all das erwogen , drängt sich mir die Frage auf , wenn 's nun in Ihrem Stechlinsee zu brodeln beginnt oder gar die große Trichterbildung anhebt , aus der dann und wann , wenn ich recht gehört habe , der krähende Hahn aufsteigt , wie verhält sich da der Stechlinkarpfen , dieser doch offenbar Nächstbeteiligte , bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse ? Beneidet er den Hahn , dem es vergönnt ist , in die Ruppiner Lande hineinzukrähen , oder ist er umgekehrt ein Feigling , der sich in seinem Moorgrund verkriecht , also ein Bourgeois , der am andern Morgen fragt : › Schießen sie noch ? ‹ « » Mein lieber Herr von Czako , die Beantwortung Ihrer Frage hat selbst für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten . Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist . Und zu dem innerlichsten und verschlossensten zählt der Karpfen ; er ist nämlich sehr dumm . Aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird er sich beim Eintreten der großen Eruption wohl verkrochen haben . Wir verkriechen uns nämlich alle . Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage . Sie brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen , denn Sie sind noch im Dienst . « » Bitte , bitte « , sagte Czako . Sehr , sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite der Tafel . Rex , der , wenn er dienstlich oder außerdienstlich aufs Land kam , immer eine Neigung spürte , sozialen Fragen nachzuhängen , und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war , an das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe geborenen Kinder alle möglichen , teils dem Gemeinwohl , teils der Sittlichkeit zugute kommende Betrachtungen zu knüpfen , hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema zugewandt , war aber , weil Dubslav durch eine Zwischenfrage den Faden abschnitt , in die Lage gekommen , sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler beschäftigen zu müssen , von dem er zufällig in Erfahrung gebracht hatte , daß er früher Feldjäger gewesen sei . Das gab ihm einen guten Gesprächsstoff und ließ ihn fragen , ob der Herr Oberförster nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde – sein früherer Feldjägerberuf , so nehme er an , habe ihn in die weite Welt hinausgeführt , während er jetzt » stabiliert « sei . » Stabilierung « zählte zu Rex ' Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz , den er sich – er hatte diese Dinge dienstlich zu bearbeiten gehabt – aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte . Katzler , ein vorzüglicher Herr , aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur von einer oft unausreichenden Orientierungsfähigkeit , fand sich in des Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich zurecht und war froh , als ihm der hellhörige , mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in der durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam . » Ich glaube herauszuhören « , sagte Lorenzen , » daß Herr von Rex geneigt ist , dem Leben draußen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft den Vorzug zu geben . Ich weiß aber nicht , ob wir ihm darin folgen können , ich nun schon gewiß nicht ; aber auch unser Herr Oberförster wird mutmaßlich froh sein , seine vordem im Eisenbahncoupé verbrachten Feldjägertage hinter sich zu haben . Es heißt freilich , › im engen Kreis verengert sich der Sinn ‹ , und in den meisten Fällen mag es zutreffen . Aber doch nicht immer , und jedenfalls hat das Weltfremde bestimmte große Vorzüge . « » Sie sprechen mir durchaus aus der Seele , Herr Pastor Lorenzen « , sagte Rex . » Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang , als ob der › Globetrotter ‹ mein Ideal sei , so bin ich sehr geneigt , mit mir handeln zu lassen . Aber etwas hat es doch mit dem › Auch-draußen-zu-Hause- Sein ‹ auf sich , und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plädieren , so plädieren Sie wohl in eigner Sache . Denn wie sich der Herr Oberförster aus der Welt zurückgezogen hat , so wohl auch Sie . Sie sind beide darin , ganz individuell , einem Herzenszuge gefolgt , und vielleicht , daß meine persönliche Neigung dieselben Wege ginge . Dennoch wird es andre geben , die von einem solchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen wollen , die vielleicht umgekehrt , statt in einem Sichhingeben an den einzelnen , in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden . Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen , welche Fragen Sie seit lange beschäftigen , und bitte , Sie dazu beglückwünschen zu dürfen . Sie stehen in der christlich-sozialen Bewegung . Aber nehmen Sie deren Schöpfer , der Ihnen persönlich vielleicht nahesteht , er und sein Tun sprechen doch recht eigentlich für mich ; sein Feld ist nicht einzelne Seelsorge , nicht eine Landgemeinde , sondern eine Weltstadt . Stoeckers Auftreten und seine Mission sind eine Widerlegung davon , daß das Schaffen im Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere sein müsse . « Lorenzen war daran gewöhnt , sei 's zu Lob , sei 's zu Tadel , sich mit dem ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele gestellt zu sehen , und empfand dies jedesmal als eine Huldigung . Aber nicht minder empfand er dabei regelmäßig den tiefen Unterschied , der zwischen dem großen Agitator und seiner stillen Weise lag . » Ich glaube , Herr von Rex « , nahm er wieder das Wort , » daß Sie den › Vater der Berliner Bewegung ‹ sehr richtig geschildert haben , vielleicht sogar zur Zufriedenheit des Geschilderten selbst , was , wie man sagt , nicht eben leicht sein soll . Er hat viel erreicht und steht anscheinend in einem Siegeszeichen ; hüben und drüben hat er Wurzel geschlagen und sieht sich geliebt und gehuldigt , nicht nur seitens derer , denen er mildtätig die Schuhe schneidet , sondern beinah mehr noch im Lager derer , denen er das Leder zu den Schuhen nimmt . Er hat schon so viele Beinamen , und der des heiligen Krispin wäre nicht der schlimmste . Viele wird es geben , die sein Tun im guten Sinne beneiden . Aber ich fürchte , der Tag ist nahe , wo der so Ruhige und zugleich so Mutige , der seine Ziele so weit steckte , sich in die Enge des Daseins zurücksehnen wird . Er besitzt , wenn ich recht berichtet bin , ein kleines Bauerngut irgendwo in Franken , und wohl möglich , ja , mir persönlich geradezu wahrscheinlich , daß ihm an jener stillen Stelle früher oder später ein echteres Glück erblüht , als er es jetzt hat . Es heißt wohl : › Gehet hin und lehret alle Heiden ‹ , aber schöner ist es doch , wenn die Welt , uns suchend , an uns herankommt . Und die Welt kommt schon , wenn die richtige Persönlichkeit sich ihr auftut . Da ist dieser Wörishofener Pfarrer – er sucht nicht die Menschen , die Menschen suchen ihn . Und wenn sie kommen , so heilt er sie , heilt sie mit dem Einfachsten und Natürlichsten . Übertragen Sie das vom Äußern aufs Innere , so haben Sie mein Ideal . Einen Brunnen graben just an der Stelle , wo man gerade steht . Innere Mission in nächster Nähe , sei 's mit dem Alten , sei 's mit etwas Neuem . « » Also mit dem Neuen « , sagte Woldemar und reichte seinem alten Lehrer die Hand . Aber dieser antwortete : » Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen . Lieber mit dem Alten , soweit es irgend geht , und mit dem Neuen nur , soweit es muß . « Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem Gange angelangt , der eine Spezialität von Schloß Stechlin war und jedesmal die Bewunderung seiner Gäste : losgelöste Krammetsvögelbrüste , mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichtet , die , wenn die Herbst- und Ebereschentage da waren , als eine höhere Form von Schwarzsauer auf den Tisch zu kommen pflegten . Engelke präsentierte Burgunder dazu , der schon lange lag , noch aus alten besseren Tagen her , und als jeder davon genommen , erhob sich Dubslav , um erst kurz seine lieben Gäste zu begrüßen , dann aber die Damen leben zu lassen . Er müsse bei diesem Plural bleiben , trotzdem die Damenwelt nur in einer Einheit vertreten sei ; doch er gedenke dabei neben seiner lieben Freundin und Tischnachbarin ( er küßte dieser huldigend die Hand ) zugleich auch der » Gemahlin « seines Freundes Katzler , die leider – wenn auch vom Familienstandpunkt aus in hocherfreulichster Veranlassung – am Erscheinen in ihrer Mitte verhindert sei : » Meine Herren , Frau Oberförster Katzler « – er machte hier eine kleine Pause , wie wenn er eine höhere Titulatur ganz ernsthaft in Erwägung gezogen hätte – , » Frau Oberförster Katzler und Frau von Gundermann , sie leben hoch ! « Rex , Czako , Katzler erhoben sich , um mit Frau von Gundermann anzustoßen , als aber jeder von ihnen auf seinen Platz zurückgekehrt war , nahmen sie die durch den Toast unterbrochenen Privatgespräche wieder auf , wobei Dubslav als guter Wirt sich darauf beschränkte , kurze Bemerkungen nach links und rechts hin einzustreuen . Dies war indessen nicht immer leicht , am wenigsten leicht bei dem Geplauder , das der Hauptmann und Frau von Gundermann führten und das so pausenlos verlief , daß ein Einhaken sich kaum ermöglichte . Czako war ein guter Sprecher , aber er verschwand neben seiner Partnerin. Ihres Vaters Laufbahn , der es ( ursprünglich Schreibund Zeichenlehrer ) in einer langen , schon mit Anno dreizehn beginnenden Dienstzeit bis zum Hauptmann in der » Plankammer « gebracht hatte , gab ihr in ihren Augen eine gewisse militärische Zugehörigkeit , und als sie , nach mehrmaligem Auslugen , endlich den ihr wohlbekannten Namenszug des Regiments Alexander auf Czakos Achselklappe erkannt hatte , sagte sie : » Gott ... , Alexander . Nein , ich sage . Mir war aber doch auch gleich so . Münzstraße . Wir wohnten ja Linienstraße , Ecke der Weinmeister – das heißt , als ich meinen Mann kennenlernte . Vorher draußen , Schönhauser Allee . Wenn man so wen aus seiner Gegend wiedersieht ! Ich bin ganz glücklich , Herr Hauptmann . Ach , es ist zu traurig hier . Und wenn wir nicht den Herrn von Stechlin hätten , so hätten wir so gut wie gar nichts . Mit Katzlers « , aber dies flüsterte sie nur leise , » mit Katzlers ist es nichts ; die sind zu hoch raus . Da muß man sich denn klein machen . Und so toll ist es am Ende doch auch noch nicht . Jetzt passen sie ja noch leidlich . Aber abwarten . « » Sehr wahr , sehr wahr « , sagte Czako , der , ohne was Sicheres zu verstehen , nur ein während des Dubslavschen Toastes schon gehabtes Gefühl bestätigt sah , daß es mit den Katzlers was Besonderes auf sich haben müsse . Frau von Gundermann aber , den ihr unbequemen Flüsterton aufgebend , fuhr mit wieder lauter werdender Stimme fort : » Wir haben den Herrn von Stechlin , und das ist ein Glück , und es ist auch bloß eine gute halbe Meile . Die meisten andern wohnen viel zu weit , und wenn sie auch näher wohnten , sie wollen alle nicht recht ; die Leute hier , mit denen wir eigentlich Umgang haben müßten , sind so diffizil und legen alles auf die Goldwaage . Das heißt , vieles legen sie nicht auf die Goldwaage , dazu reicht es bei den meisten nicht aus ; nur immer die Ahnen . Und sechzehn ist das wenigste . Ja , wer hat gleich sechzehn ? Gundermann ist erst geadelt , und wenn er nicht Glück gehabt hätte , so wär es gar nichts . Er hat nämlich klein angefangen , bloß mit einer Mühle ; jetzt haben wir nun freilich sieben , immer den Rhin entlang , lauter Schneidemühlen , Bohlen und Bretter , einzöllig , zweizöllig und noch mehr . Und die Berliner Dielen , die sind fast alle von uns . « » Aber , meine gnädigste Frau , das muß Ihnen doch ein Hochgefühl geben . Alle Berliner Dielen ! Und dieser Rhinfluß , von dem Sie sprechen , der vielleicht eine ganze Seenkette verbindet und woran mutmaßlich eine reizende Villa liegt ! Und darin hören Sie Tag und Nacht , wie nebenan in der Mühle die Säge geht , und die dicht herumstehenden Bäume bewegen sich leise . Mitunter natürlich ist auch Sturm . Und Sie haben eine Pony-Equipage für Ihre Kinder . Ich darf doch annehmen , daß Sie Kinder haben ? Wenn man so abgeschieden lebt und so beständig aufeinander angewiesen ist ... « » Es ist , wie Sie sagen , Herr Hauptmann ; ich habe Kinder , aber schon erwachsen , beinah alle , denn ich habe mich jung verheiratet . Ja , Herr von Czako , man ist auch einmal jung gewesen . Und es ist ein Glück , daß ich die Kinder habe . Sonst ist kein Mensch da , mit dem man ein gebildetes Gespräch führen kann . Mein Mann hat seine Politik und möchte sich wählen lassen , aber es wird nichts , und wenn ich die Journale bringe , nicht mal die Bilder sieht er sich an . Und die Geschichten , sagt er , seien bloß dummes Zeug und bloß Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie . Seine Mühlen , was ich übrigens recht und billig finde , sind ihm lieber . « » Aber Sie müssen doch viele Menschen um sich herum haben , schon in Ihrer Wirtschaft . « » Ja , die hab ich , und die Mamsells , die man so kriegt , ja , ein paar Wochen geht es ; aber dann bändeln sie gleich an , am liebsten mit ' nem Volontär , wir haben nämlich auch Volontärs in der Mühlenbranche . Und die meisten sind aus ganz gutem Hause . Die jungen Menschen passen aber nicht auf , und da hat man 's denn , und immer gleich Knall und Fall . All das ist doch traurig , und mitunter ist es auch so , daß man sich geradezu genieren muß . « Czako seufzte . » Mir ein Greuel , all dergleichen . Aber ich weiß vom Manöver her , was alles vorkommt . Und mit einer Schläue ... nichts schlauer als verliebte Menschen . Ach , das ist ein Kapitel , womit man nicht fertig wird . Aber Sie sagten Linienstraße , meine Gnädigste . Welche Nummer denn ? Ich kenne da beinah jedes Haus , kleine , nette Häuser , immer bloß Beletage , höchstens mal ein Œil-de-bœuf . « » Wie ? was ? « » Großes rundes Fenster ohne Glas . Aber ich liebe diese Häuser . « » Ja , das kann ich auch von mir sagen , und in gerade solchen Häusern hab ich meine beste Zeit verbracht , als ich noch ein Quack war , höchstens vierzehn . Und so grausam wild . Damals waren nämlich noch die Rinnsteine , und wenn es dann regnete und alles überschwemmt war und die Bretter anfingen , sich zu heben , und schon so halb herumschwammen und die Ratten , die da drunter steckten , nicht mehr wußten , wo sie hin sollten , dann sprangen wir auf die Bohlen rauf , und nun die Biester raus , links und rechts , und die Jungens hinterher , immer aufgekrempelt und ganz nackicht . Und einmal , weil der eine Junge nicht abließ und mit seinen Holzpantinen immer drauflosschlug , da wurde das Untier falsch und biß den Jungen so , daß er schrie ! Nein , so hab ich noch keinen Menschen wieder schreien hören . Und es war auch fürchterlich . « » Ja , das ist es . Und da helfen bloß Rattenfänger . « » Ja , Rattenfänger , davon hab ich auch gehört – Rattenfänger von Hameln . Aber die gibt es doch nicht mehr . « » Nein , gnädige Frau , die gibt es nicht mehr , wenigstens nicht mehr solche Hexenmeister mit Zauberspruch und einer Pfeife zum Pfeifen . Aber die meine ich auch gar nicht . Ich meine überhaupt nicht Menschen , die dergleichen als Metier betreiben und sich in den Zeitungen anzeigen , unheimliche Gesichter mit einer Pelzkappe . Was ich meine , sind bloß Pinscher , die nebenher auch noch › Rattenfänger ‹ heißen und es auch wirklich sind . Und mit einem solchen Rattenfänger auf die Jagd gehen , das ist eigentlich das Schönste , was es gibt . « » Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die Jagd gehen ! « » Doch , doch , meine gnädigste Frau . Als ich in Paris war ( ich war da nämlich mal hinkommandiert ) , da bin ich mit runtergestiegen in die sogenannten Katakomben , hochgewölbte Kanäle , die sich unter der Erde hinziehen . Und diese Kanäle sind das wahre Ratteneldorado ; da sind sie zu Millionen . Oben drei Millionen Franzosen , unten drei Millionen Ratten . Und einmal , wie gesagt , bin ich da mit runtergeklettert und in einem Boote durch diese Unterwelt hingefahren , immer mitten in die Ratten hinein . « Gräßlich , gräßlich . Und sind Sie heil wieder rausgekommen ? « » Im ganzen , ja . Denn , meine gnädigste Frau , eigentlich war es doch ein Vergnügen . In unserm Kahn hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger , einen vorn und einen hinten . Und nun hätten Sie sehen sollen , wie das losging . › Schnapp ‹ , und das Tier um die Ohren geschlagen , und tot war es . Und so weiter , so schnell , wie Sie nur zählen können , und mitunter noch schneller . Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver , dem bekannten Mr. Carver , von dem Sie gewiß einmal gelesen haben , der in der Sekunde drei Glaskugeln wegschoß . Und so immerzu , viele Hundert . Ja , so was wie diese Rattenjagd da unten , das vergißt man nicht wieder . Es war aber auch das Beste da . Denn was sonst noch von Paris geredet wird , das ist alles übertrieben ; meist dummes Zeug . Was haben sie denn Großes ? Opern und Zirkus und Museum , und in einem Saal 'ne Venus , die man sich nicht recht ansieht , weil sie das Gefühl verletzt , namentlich wenn man mit Damen da ist . Und das alles haben wir schließlich auch , und manches haben wir noch besser . So zum Beispiel Niemann und die dell' Era . Aber solche Rattenschlacht , das muß wahr sein , die haben wir nicht . Und warum nicht ? Weil wir keine Katakomben haben . « Der alte Dubslav , der das Wort » Katakomben « gehört hatte , wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte : » Pardon , Herr von Czako , aber Sie müssen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so furchtbar ernsten Sachen kommen und noch dazu hier bei Tisch , gleich nach Karpfen und Meerrettich . Katakomben ! Ich bitte Sie . Die waren ja doch eigentlich in Rom und erinnern einen immer an die traurigsten Zeiten , an den grausamen Kaiser Nero und seine Verfolgungen und seine Fackeln . Und da war dann noch einer mit einem etwas längeren Namen , der noch viel grausamer war , und da verkrochen sich diese armen Christen gerade in eben diese Katakomben , und manche wurden verraten und gemordet . Nein , Herr von Czako , da lieber was Heiteres . Nicht wahr , meine liebe Frau von Gundermann ? « Ach nein , Herr von Stechlin ; es ist doch alles so sehr gelehrig . Und wenn man so selten Gelegenheit hat ... « » Na , wie Sie wollen . Ich hab es gut gemeint . Stoßen wir an ! Ihr Rudolf soll leben ; das ist doch der Liebling , trotzdem er der Älteste ist . Wie alt ist er denn jetzt ? « » Vierundzwanzig . « » Ein schönes Alter . Und wie ich höre , ein guter Mensch . Er müßte nur mehr raus . Er versauert hier ein bißchen . « » Sag ich ihm auch . Aber er will nicht fort . Er sagt , zu Hause sei es am besten . « » Bravo . Da nehm ich alles zurück . Lassen Sie ihn . Zu Hause ist es am Ende wirklich am besten . Und gerade wir hier , die wir den Vorzug haben , in der Rheinsberger Gegend zu leben . Ja , wo ist so was ? Erst der große König , und dann Prinz Heinrich , der nie 'ne Schlacht verloren . Und einige sagen , er wäre noch klüger gewesen als sein Bruder . Aber ich will so was nicht gesagt haben . « Viertes Kapitel Frau von Gundermann schien auf das ihr als einziger , also auch ältester Dame zustehende Tafelaufhebungsrecht verzichten zu wollen und wartete , bis statt ihrer der schon seit einer Viertelstunde sich nach seiner Meerschaumpfeife sehnende Dubslav das Zeichen zum Aufbruch gab . Alles erhob sich jetzt rasch , um vom Eßzimmer aus in den nach dem Garten hinaussehenden Salon zurückzukehren , dem es – war es Zufall oder Absicht ? – in diesem Augenblick noch an aller Beleuchtung fehlte ; nur im Kamin glühten ein paar Scheite , die während der Essenszeit halb niedergebrannt waren , und durch die offenstehende hohe Glastür fiel von der Veranda her das Licht der über den Parkbäumen stehenden Mondsichel . Alles gruppierte sich alsbald um Frau von Gundermann , um dieser die pflichtschuldigen Honneurs zu machen , während Martin die Lampen , Engelke den Kaffee brachte . Das ein paar Minuten lang geführte gemeinschaftliche Gespräch kam , all die Zeit über , über ein unruhiges Hin und Her nicht hinaus , bis der Knäuel , in dem man stand , sich wieder in Gruppen auflöste . Das erste sich abtrennende Paar waren Rex und Katzler , beide passionierte Billardspieler , die sich – Katzler übernahm die Führung – erst in den Eßsaal zurück und von diesem aus in das daneben gelegene Spielzimmer begaben . Das hier stehende , ziemlich vernachlässigte Billard war schon an die fünfzig Jahre alt und stammte noch aus des Vaters Zeiten her . Dubslav selbst machte sich nicht viel aus dem Spiel , aus Spiel überhaupt , und interessierte sich , soweit sein Billard in Betracht kam , nur für eine sehr nachgedunkelte Karoline , von der ein Berliner Besucher mal gesagt hatte : » Alle Wetter , Stechlin , wo haben Sie die her ? Das ist ja die gelbste Karoline , die ich all mein Lebtag gesehen habe « – Worte , die damals solchen Eindruck auf Dubslav gemacht hatten , daß er seitdem ein etwas freundlicheres Verhältnis zu seinem Billard unterhielt und nicht ungern von » seiner Karoline « sprach . Das zweite Paar , das sich aus der Gemeinschaft abtrennte , waren Woldemar und Gundermann . Gundermann , wie alle an Kongestionen Leidende , fand es überall zu heiß und wies , als er ein paar Worte mit Woldemar gewechselt , auf die offenstehende Tür . » Es ist ein so schöner Abend , Herr von Stechlin ; könnten wir nicht auf die Veranda hinaustreten ? « » Aber gewiß , Herr von Gundermann . Und wenn wir uns absentieren , wollen wir auch alles Gute gleich mitnehmen . Engelke , bring uns die kleine Kiste , du weißt schon . « » Ah , kapital . So ein paar Züge , das schlägt nieder , besser als Sodawasser . Und dann ist es auch wohl schicklicher im Freien . Meine Frau , wenn wir zu Hause sind , hat sich zwar daran gewöhnen müssen und spricht höchstens mal von › paffen ‹ ( na , das is nicht anders , dafür is man eben verheiratet ) , aber in einem fremden Hause , da fangen denn doch die Rücksichten an . Unser guter alter Kortschädel sprach auch immer von › Dehors ‹ . « Unter diesen Worten waren Woldemar und Gundermann vom Salon her auf die Veranda hinausgetreten , bis dicht an die Treppenstufen heran , und sahen auf den kleinen Wasserstrahl der auf dem Rundell aufsprang . » Immer , wenn ich den Wasserstrahl sehe « , fuhr Gundermann fort , » muß ich wieder an unsern guten alten Kortschädel denken . Is nu auch hinüber . Na , jeder muß mal , und wenn irgendeiner seinen Platz da oben sicher hat , der hat ihn . Ehrenmann durch und durch , und loyal bis auf die Knochen . Redner war er nicht , was eigentlich immer ein Vorzug , und hat mit seiner Schwätzerei dem Staate kein Geld gekostet ; aber er wußte ganz gut Bescheid , und , unter vier Augen , ich habe Sachen von ihm gehört , großartig . Und ich sage mir , solchen kriegen wir nicht wieder ... « » Ach , das ist Schwarzseherei , Herr von Gundermann . Ich glaube , wir haben viele von ähnlicher Gesinnung . Und ich sehe nicht ein , warum nicht ein Mann wie Sie ... « » Geht nicht . « » Warum nicht ? « » Weil Ihr Herr Papa kandidieren will . Und da muß ich zurückstehen . Ich bin hier ein Neuling . Und die Stechlins waren hier schon ... « » Nun gut , ich will dies letztere gelten lassen , und nur was das Kandidieren meines Vaters angeht – ich denke mir , es ist noch nicht soweit , vieles kann noch dazwischenkommen , und jedenfalls wird er schwanken . Aber nehmen wir mal an , es sei , wie Sie vermuten . In diesem Falle träfe doch gerade das zu , was ich mir soeben zu sagen erlaubt habe . Mein Vater ist in jedem Anbetracht ein treuer Gesinnungsgenosse Kortschädels , und wenn er an seine Stelle tritt , was ist da verloren ? Die Lage bleibt dieselbe . « » Nein , Herr von Stechlin . « » Nun , was ändert sich ? « » Vieles , alles . Kortschädel war in den großen Fragen unerbittlich , und Ihr Herr Vater läßt mit sich reden ... « » Ich weiß nicht , ob Sie da recht haben . Aber wenn es so wäre , so wäre das doch ein Glück ... « Ein Unglück , Herr von Stechlin . Wer mit sich reden läßt , ist nicht stramm , und wer nicht stramm ist , ist schwach . Und Schwäche ( die destruktiven Elemente haben dafür eine feine Fühlung ) , Schwäche ist immer Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie . « Die vier andern der kleinen Tafelrunde waren im Gartensalon zurückgeblieben , hatten sich aber auch zu zwei und zwei zusammengetan . In der einen Fensternische , so daß sie den Blick auf den mondbeschienenen Vorplatz und die draußen auf der Veranda auf und ab schreitenden beiden Herren hatten , saßen Lorenzen und Frau von Gundermann . Die Gundermann war glücklich über das Tête-à-tête , denn sie hatte wegen ihres jüngsten Sohnes allerhand Fragen auf dem Herzen oder bildete sich wenigstens ein , sie zu haben . Denn eigentlich hatte sie für gar nichts Interesse , sie mußte bloß , richtige Berlinerin , die sie war , reden können . » Ich bin so froh , Herr Pastor , daß ich nun doch einmal Gelegenheit finde . Gott , wer Kinder hat , der hat auch immer Sorgen . Ich möchte wegen meines Jüngsten so gerne mal mit Ihnen sprechen , wegen meines Arthur . Rudolf hat mir keine Sorgen gemacht , aber Arthur . Er ist nun jetzt eingesegnet , und Sie haben ihm , Herr Prediger , den schönen Spruch mitgegeben , und der Junge hat auch gleich den Spruch auf einen großen weißen Bogen geschrieben , alle Buchstaben erst mit zwei Linien nebeneinander und dann dick ausgetuscht . Es sieht aus wie 'n Plakat . Und diesen großen Bogen hat er sich in die Waschtoilette geklebt , und da mahnt es ihn immer . « » Nun , Frau von Gundermann , dagegen ist doch nichts zu sagen . « » Nein , das will ich auch nicht . Eher das Gegenteil . Es hat ja doch was Rührendes , daß es einer so ernst nimmt . Denn er hat zwei Tage dran gesessen . Aber wenn solch junger Mensch es so immer liest , so gewöhnt er sich dran . Und dann ist ja auch gleich wieder die Verführung da . Gott , daß man gerade immer über solche Dinge reden muß ; noch keine Stunde , daß ich mit dem Herrn Hauptmann über unsern Volontär Vehmeyer gesprochen habe , netter Mensch , und nun gleich wieder mit Ihnen , Herr Pastor , auch über so was . Aber es geht nicht anders . Und dann sind Sie ja doch auch wie verantwortlich für seine Seele . « Lorenzen lächelte . » Gewiß , liebe Frau von Gundermann . Aber was ist es denn ? Um was handelt es sich denn eigentlich ? « » Ach , es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder eine recht ärgerliche Sache . Da haben wir ja jetzt die Jüngste von unserm Schullehrer Brandt ins Haus genommen , ein hübsches Balg , rotbraun und ganz kraus , und Brandt wollte , sie solle bei uns angelernt werden . Nun , wir sind kein großes Haus , gewiß nicht , aber Mäntel abnehmen und rumpräsentieren , und daß sie weiß , ob links oder rechts , soviel lernt sie am Ende doch . « » Gewiß . Und die Frida Brandt , oh , die kenn ich ganz gut ; die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingesegnet . Und es ist , wie Sie sagen , ein allerliebstes Geschöpf und klug und aufgekratzt , ein bißchen zu sehr . Sie will zu Ostern nach Berlin . « » Wenn sie nur erst da wäre . Mir tut es beinahe schon leid , daß ich ihr nicht gleich zugeredet . Aber so geht es einem immer . « » Ist denn was vorgefallen ? « » Vorgefallen ? Das will ich nicht sagen . Er is ja doch erst sechzehn und eine Dusche dazu , gerade wie sein Vater ; der hat sich auch erst rausgemausert , seit er grau geworden . Was beiläufig auch nicht gut ist . Und da komme ich nun gestern vormittag die Treppe rauf und will dem Jungen sagen , daß er in den Dohnenstrich geht und nachsieht , ob Krammetsvögel da sind , und die Tür steht halb auf , was noch das beste war , und da seh ich , wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze raussteckt ; so was von spitzer Zunge hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen . Die reine Eva . Für die Potiphar ist sie mir noch zu jung . Und als ich nu dazwischentrete , da kriegt ja nu der arme Junge das Zittern , und weil ich nicht recht wußte , was ich sagen sollte , ging ich bloß hin und klappte den Waschtischdeckel auf , wo der Spruch stand , und sah ihn scharf an . Und da wurde er ganz blaß . Aber das Balg lachte . « » Ja , liebe Frau von Gundermann , das ist so ; Jugend hat keine Tugend . « » Ich weiß doch nicht ; ich bin auch einmal jung gewesen ... « » Ja , Damen ... « Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in der Fensternische mit derartigen Intimitäten kam und den guten Pastor Lorenzen abwechselnd in Verlegenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit versetzte , hatte sich Dubslav mit Hauptmann von Czako in eine schräg gegenüber gelegene Ecke zurückgezogen , wo eine altmodische Causeuse stand , mit einem Marmortischchen davor . Auf dem Tische zwei Kaffeetassen samt aufgeklapptem Liqueurkasten , aus dem Dubslav eine Flasche nach der andern herausnahm . » Jetzt , wenn man von Tisch kommt , muß es immer ein Cognac sein . Aber ich bekenne Ihnen , lieber Hauptmann , ich mache die Mode nicht mit ; wir aus der alten Zeit , wir waren immer ein bißchen fürs Süße . Creme de Cacao , na , natürlich , das is Damenschnaps , davon kann keine Rede sein ; aber Pomeranzen oder , wie sie jetzt sagen , Curaçao , das ist mein Fall . Darf ich Ihnen einschenken ? Oder vielleicht lieber Danziger Goldwasser ? Kann ich übrigens auch empfehlen . « » Dann bitte ich um Goldwasser . Es ist doch schärfer , und dann bekenne ich Ihnen offen , Herr Major ... Sie kennen ja unsre Verhältnisse , so 'n bißchen Gold heimelt einen immer an . Man hat keins und dabei doch zugleich die Vorstellung , daß man es trinken kann – es hat eigentlich was Großartiges . « Dubslav nickte , schenkte von dem Goldwasser ein , erst für Czako , dann für sich selbst , und sagte : » Bei Tische hab ich die Damen leben lassen und Frau von Gundermann im speziellen . Hören Sie , Hauptmann , Sie verstehen's . Diese Rattengeschichte ... « » Vielleicht war es ein bißchen zuviel . « » I , keineswegs . Und dann , Sie waren ja ganz unschuldig , die Gnäd'ge fing ja davon an ; erinnern Sie sich , sie verliebte sich ordentlich in die Geschichte von den Rinnsteinbohlen , und wie sie drauf rumgetrampelt , bis die Ratten rauskamen . Ich glaube sogar , sie sagte › Biester ‹ . Aber das schadet nicht . Das ist so Berliner Stil . Und unsre Gnäd'ge hier ( beiläufig eine geborene Helfrich ) is eine Vollblutberlinerin . « » Ein Wort , das mich doch einigermaßen überrascht . « » Ah « , drohte Dubslav schelmisch mit dem Finger , » ich verstehe . Sie sind einer gewissen Unausreichendheit begegnet und verlangen mindestens mehr Quadrat ( von Kubik will ich nicht sprechen ) . Aber wir von Adel müssen in diesem Punkte doch ziemlich milde sein und ein Auge zudrücken , wenn das das richtige Wort ist . Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch in Extremen und hat einen linken und einen rechten Flügel ; der linke nähert sich unsrer geborenen Helfrich . Übrigens unterhaltliche Madam . Und wie beseligt sie war , als sie den Namenszug auf Ihrer Achselklappe glücklich entdeckt und damit den Anmarsch auf die Münzstraße gewonnen hatte . Was es doch alles für Lokalpatriotismen gibt ! « » An dem unser Regiment teilnimmt oder ihn mitmacht . Die Welt um den Alexanderplatz herum hat übrigens so ihren eigenen Zauber , schon um einer gewissen Unresidenzlichkeit willen . Ich sehe nichts lieber als die große Markthalle , wenn beispielsweise die Fischtonnen mit fünfhundert Aalen in die Netze gegossen werden . Etwas Unglaubliches von Gezappel . « » Finde mich ganz darin zurecht und bin auch für Alexanderplatz und Alexanderkaserne samt allem , was dazugehört . Und so brech ich denn auch die Gelegenheit vom Zaun , um nach einem Ihrer früheren Regimentskommandeure zu fragen , dem liebenswürdigen Obersten von Zeuner , den ich noch persönlich gekannt habe . Hier unsre Stechliner Gegend ist nämlich Zeunergegend . Keine Stunde von hier liegt Köpernitz , eine reizende Besitzung , drauf die Zeunersche Familie schon in friderizianischen Tagen ansässig war . Bin oft drüben gewesen ( nun freilich schon zwanzig Jahre zurück ) und komme noch einmal mit der Frage : Haben Sie den Obersten noch gekannt ? « » Nein , Herr Major . Er war schon fort , als ich zum Regimente kam . Aber ich habe viel von ihm gehört und auch von Köpernitz , weiß aber freilich nicht mehr , in welchem Zusammenhange . « » Schade , daß Sie nur einen Tag für Stechlin festgesetzt haben , sonst müßten Sie das Gut sehen . Alles ganz eigentümlich und besonders auch ein Grabstein , unter dem eine uralte Dame von beinah neunzig Jahren begraben liegt , eine geborne von Zeuner , die sich in früher Jugend schon mit einem Emigranten am Rheinsberger Hof , mit dem Grafen La Roche-Aymon , vermählt hatte . Merkwürdige Frau , von der ich Ihnen erzähle , wenn ich Sie mal wiedersehe . Nur eins müssen Sie heute schon mit anhören , denn ich glaube , Sie haben den Gustus dafür . « » Für alles , was Sie erzählen . « » Keine Schmeicheleien ! Aber die Geschichte will ich Ihnen doch als Andenken mitgeben . Andre schenken sich Photographien , was ich , selbst wenn es hübsche Menschen sind ( ein Fall , der übrigens selten zutrifft ) , immer greulich finde . « » Schenke nie welche . « » Was meine Gefühle für Sie steigert . Aber die Geschichte : Da war also drüben in Köpernitz diese La Roche-Aymon , und weil sie noch die Prinz-Heinrich-Tage gesehen und während derselben eine Rolle gespielt hatte , so zählte sie zu den besonderen Lieblingen Friedrich Wilhelms IV . Und als nun – sagen wir ums Jahr fünfzig – der Zufall es fügte , daß dem zur Jagd hier erschienenen König das Köpernitzer Frühstück , ganz besonders aber eine Blut- und Zungenwurst über die Maßen gut geschmeckt hatte , so wurde dies Veranlassung für die Gräfin , am nächsten Heiligabend eine ganze Kiste voll Würste nach Potsdam hin in die königliche Küche zu liefern . Und das ging so durch Jahre . Da beschloß zuletzt der gute König , sich für all die gute Gabe zu revanchieren , und als wieder Weihnachten war , traf in Köpernitz ein Postpaket ein , Inhalt : eine zierliche kleine Blutwurst . Und zwar war es ein wunderschöner , rundlicher Blutkarneol mit Goldspeilerchen an beiden Seiten und die Speilerchen selbst mit Diamanten besetzt . Und neben diesem Geschenk lag ein Zettelchen : › Wurst wider Wurst . ‹ « » Allerliebst ! « » Mehr als das . Ich persönlich ziehe solchen guten Einfall einer guten Verfassung vor . Der König , glaub ich , tat es auch . Und es denken auch heute noch viele so . « » Gewiß , Herr Major . Es denken auch heute noch viele so , und bei dem Schwankezustand , in dem ich mich leider befinde , sind meine persönlichen Sympathien gelegentlich nicht weitab davon . Aber ich fürchte doch , daß wir mit dieser unsrer Anschauung sehr in der Minorität bleiben . « » Werden wir . Aber Vernunft ist immer nur bei wenigen . Es wäre das beste , wenn ein einziger Alter-Fritzen-Verstand die ganze Geschichte regulieren könnte . Freilich braucht ein solcher oberster Wille auch seine Werkzeuge . Die haben wir aber noch in unserm Adel , in unsrer Armee und speziell auch in Ihrem Regiment . « Während der Alte diesen Trumpf ausspielte , kam Engelke , um ein paar neue Tassen zu präsentieren . » Nein , nein , Engelke , wir sind schon weiter . Aber stell nur hin ... In Ihrem Regiment , sag ich , Herr von Czako ; schon sein Name bedeutet ein Programm , und dies Programm heißt : Rußland . Heutzutage darf man freilich kaum noch davon reden . Aber das ist Unsinn . Ich sage Ihnen , Hauptmann , das waren Preußens beste Tage , als da bei Potsdam herum die › russische Kirche ‹ und das › russische Haus ‹ gebaut wurden und als es immer hin- und herging zwischen Berlin und Petersburg . Ihr Regiment , Gott sei Dank , unterhält noch was von den alten Beziehungen , und ich freue mich immer , wenn ich davon lese , vor allem , wenn ein russischer Kaiser kommt und ein Doppelposten vom Regiment Alexander vor seinem Palais steht . Und noch mehr freu ich mich , wenn das Regiment Deputationen schickt : Georgsfest , Namenstag des hohen Chefs , oder wenn sich 's auch bloß um Uniformabänderungen handelt , beispielsweise Klappkragen statt Stehkragen ( diese verdammten Stehkragen ) – und wie dann der Kaiser alle begrüßt und zur Tafel zieht und so bei sich denkt : › Ja , ja , das sind brave Leute ; da hab ich meinen Halt . ‹ « Czako nickte , war aber doch in sichtlicher Verlegenheit , weil er , trotz seiner vorher versicherten » Sympathien « , ein ganz moderner , politisch stark angekränkelter Mensch war , der , bei strammster Dienstlichkeit , zu all dergleichen Überspanntheiten ziemlich kritisch stand . Der alte Dubslav nahm indessen von alledem nichts wahr und fuhr fort : » Und sehen Sie , lieber Hauptmann , so hab ich's persönlich in meinen jungen Jahren auch noch erlebt und vielleicht noch ein bißchen besser ; denn , Pardon , jeder hält seine Zeit für die beste . Vielleicht sogar , daß Sie mir zustimmen , wenn ich Ihnen mein Sprüchel erst ganz hergesagt haben werde . Da haben wir ja nun › jenseits des Njemen ‹ , wie manche Gebildete jetzt sagen , die › drei Alexander ‹ gehabt , den ersten , den zweiten und den dritten , alle drei große Herren und alle drei richtige Kaiser und fromme Leute , oder doch beinah fromm , die 's gut mit ihrem Volk und mit der Menschheit meinten , und dabei selber richtige Menschen ; aber in dies Alexandertum , das so beinah das ganze Jahrhundert ausfüllt , da schiebt sich doch noch einer ein , ein Nicht-Alexander , und ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen , der war doch der Häupter . Und das war unser Nikolaus . Manche dummen Kerle haben Spottlieder auf ihn gemacht und vom schwarzen Niklas gesungen , wie man Kinder mit dem schwarzen Mann graulich macht , aber war das ein Mann ! Und dieser selbige Nikolaus , nun , der hatte hier , ganz wie die drei Alexander , auch ein Regiment , und das waren die Nikolaus-Kürassiere , oder sag ich lieber : das sind die Nikolaus-Kürassiere , denn wir haben sie , Gott sei Dank , noch . Und sehen Sie , lieber Czako , das war mein Regiment , dabei hab ich gestanden , als ich noch ein junger Dachs war , und habe dann den Abschied genommen ; viel zu früh ; Dummheit , hätte lieber dabeibleiben sollen . « Czako nickte , Dubslav nahm ein neues Glas von dem Goldwasser . » Unsre Nikolaus-Kürassiere , Gott erhalte sie , wie sie sind ! Ich möchte sagen , in dem Regimente lebt noch die Heilige Alliance fort , die Waffenbrüderschaft von Anno dreizehn , und dies Anno dreizehn , das wir mit den Russen zusammen durchgemacht haben , immer nebeneinander im Biwak , in Glück und Unglück , das war doch unsre größte Zeit . Größer als die jetzt große . Große Zeit ist es immer nur , wenn 's beinah schiefgeht , wenn man jeden Augenblick fürchten muß : › Jetzt ist alles vorbei . ‹ Da zeigt sich's . Courage ist gut , aber Ausdauer ist besser . Ausdauer , das ist die Hauptsache . Nichts im Leibe , nichts auf dem Leibe , Hundekälte , Regen und Schnee , so daß man so in der nassen Patsche liegt , und höchstens 'nen Kornus ( Cognac , ja hast du was , den gab es damals kaum ) und so die Nacht durch , da konnte man Jesum Christum erkennen lernen . Ich sage das , wenn ich auch nicht mit dabeigewesen . Anno dreizehn , bei Großgörschen , das war für uns die richtige Waffenbrüderschaft : jetzt haben wir die Waffenbrüderschaft der Orgeldreher und der Mausefallenhändler . Ich bin für Rußland , für Nikolaus und Alexander . Preobraschensk , Semenow , Kaluga – da hat man die richtige Anlehnung ; alles andre ist revolutionär , und was revolutionär ist , das wackelt . « Kurz vor elf , der Mond war inzwischen unter , brach man auf , und die Wagen fuhren vor , erst der Katzlersche Kaleschwagen , dann die Gundermannsche Chaise ; Martin aber , mit einer Stallaterne , leuchtete dem Pastor , über Vorhof und Bohlenbrücke fort , bis an seine ganz im Dunkel liegende Pfarre . Gleich darauf zogen sich auch die drei Freunde zurück und stiegen , unter Vorantritt Engelkes , die große Treppe hinauf , bis auf den Podest . Hier trennten sich Rex und Czako von Woldemar , dessen Zimmer auf der andern Flurseite gelegen war . Czako , sehr müde , war im Nu bettfertig . » Es bleibt also dabei , Rex , Sie logieren sich in dem Rokokozimmer ein – wir wollen es ohne weiteres so nennen – , und ich nehme das Himmelbett hier in Zimmer Nummer eins . Vielleicht wäre das Umgekehrte richtiger , aber Sie haben es so gewollt . « Und während er noch so sprach , schob er seine Stiefel auf den Flur hinaus , schloß ab und legte sich nieder . Rex war derweilen mit seiner Plaidrolle beschäftigt , aus der er allerlei Toilettengegenstände hervorholte . » Sie müssen mich entschuldigen , Czako , wenn ich mich noch eine Viertelstunde hier bei Ihnen aufhalte . Habe nämlich die Angewohnheit , mich abends zu rasieren , und der Toilettentisch mit Spiegel , ohne den es doch nicht gut geht , der steht nun mal hier an Ihrem , statt an meinem Fenster . Ich muß also stören . « » Mir sehr recht , trotz aller Müdigkeit . Nichts besser , als noch ein bißchen aus dem Bett heraus plaudern können . Und dabei so warm eingemummelt . Die Betten auf dem Lande sind überhaupt das Beste . « » Nun , Czako , das freut mich , daß Sie so bereit sind , mir Quartier zu gönnen . Aber wenn Sie noch eine Plauderei haben wollen , so müssen Sie sich die Hauptsache selber leisten . Ich schneide mich sonst , was dann hinterher immer ganz schändlich aussieht . Übrigens muß ich erst Schaum schlagen , und so lange wenigstens kann ich Ihnen Red und Antwort stehen . Ein Glück nebenher , daß hier , außer der kleinen Lampe , noch diese zwei Leuchter sind . Wenn ich nicht Licht von rechts und links habe , komme ich nicht von der Stelle ; das eine wackelt zwar ( alle diese dünnen Silberleuchter wackeln ) , aber › wenn gute Reden sie begleiten ... ‹ Also strengen Sie sich an . Wie fanden Sie die Gundermanns ? Sonderbare Leute – haben Sie schon mal den Namen Gundermann gehört ? « » Ja . Aber das war in › Waldmeisters Brautfahrt ‹ . « » Richtig ; so wirkt er auch . Und nun gar erst die Frau ! Der einzige , der sich sehen lassen konnte , war dieser Katzler . Ein Karambolespieler ersten Ranges . Übrigens Eisernes Kreuz . « » Und dann der Pastor . « » Nun ja , auch der . Eine ganz gescheite Nummer . Aber doch ein wunderbarer Heiliger , wie die ganze Sippe , zu der er gehört . Er hält zu Stoecker , sprach es auch aus , was neuerdings nicht jeder tut ; aber der › neue Luther ‹ , der doch schon gerade bedenklich genug ist – Majestät hat ganz recht mit seiner Verurteilung – , der geht ihm gewiß nicht weit genug . Dieser Lorenzen erscheint mir , im Gegensatz zu seinen Jahren , als einer der Allerjüngsten . Und zu verwundern bleibt nur , daß der Alte so gut mit ihm steht . Freund Woldemar hat mir davon erzählt . Der Alte liebt ihn und sieht nicht , daß ihm sein geliebter Pastor den Ast absägt , auf dem er sitzt . Ja , diese von der neuesten Schule , das sind die allerschlimmsten . Immer Volk und wieder Volk , und mal auch etwas Christus dazwischen . Aber ich lasse mich so leicht nicht hinters Licht führen . Es läuft alles darauf hinaus , daß sie mit uns aufräumen wollen , und mit dem alten Christentum auch . Sie haben ein neues , und das überlieferte behandeln sie despektierlich . « » Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken . Seien Sie gut , Rex , und lassen Sie Konventikel und Partei mal beiseite . Das Überlieferte , was einem da so vor die Klinge kommt , namentlich wenn Sie sich die Menschen ansehen , wie sie nun mal sind , ist doch sehr reparaturbedürftig , und auf solche Reparatur ist ein Mann wie dieser Lorenzen eben aus . Machen Sie die Probe . Hie Lorenzen , hie Gundermann . Und Ihren guten Glauben in Ehren , aber Sie werden diesen Gundermann doch nicht über den Lorenzen stellen und ihn überhaupt nur ernsthaft nehmen wollen . Und wie dieser Wassermüller aus der Brettschneidebranche , so sind die meisten . Phrase , Phrase . Mitunter auch Geschäft oder noch Schlimmeres . « » Ich kann jetzt nicht antworten , Czako . Was Sie da sagen , berührt eine große Frage , bei der man doch aufpassen muß . Und so mit dem Messer in der Hand , da verbietet sich's . Und das eine wacklige Licht hat ohnehin schon einen Dieb . Erzählen Sie mir lieber was von der Frau von Gundermann . Debattieren kann ich nicht mehr , aber wenn Sie plaudern , brauch ich bloß zuzuhören . Sie haben ihr ja bei Tisch 'nen langen Vortrag gehalten . « » Ja . Und noch dazu über Ratten . « » Nein , Czako , davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen ; dann doch noch lieber über alten und neuen Glauben . Und gerade hier . In solchem alten Kasten ist man nie sicher vor Spuk und Ratten . Wenn Sie nichts andres wissen , dann bitt ich um die Geschichte , bei der wir heute früh in Cremmen unterbrochen wurden . Es schien mir was Pikantes . « Ach , die Geschichte von der kleinen Stubbe . Ja , hören Sie , Rex , das regt Sie aber auch auf . Und wenn man nicht schlafen kann , ist es am Ende gleich , ob wegen der Ratten oder wegen der Stubbe . « Fünftes Kapitel Rex und Czako waren so müde , daß sie sich , wenn nötig , über Spuk und Ratten weggeschlafen hätten . Aber es war nicht nötig , nichts war da , was sie hätte stören können . Kurz vor acht erschien das alte Faktotum mit einem silbernen Deckelkrug , aus dem der Wrasen heißen Wassers aufstieg , einem der wenigen Renommierstücke , über die Schloß Stechlin verfügte . Dazu bot Engelke den Herren einen guten Morgen und stattete seinen Wetterbericht ab : Es gebe gewiß einen schönen Tag , und der junge Herr sei auch schon auf und gehe mit dem alten um das Rundell herum . So war es denn auch . Woldemar war schon gleich nach sieben unten im Salon erschienen , um mit seinem Vater , von dem er wußte , daß er ein Frühauf war , ein Familiengespräch über allerhand diffizile Dinge zu führen . Aber er war entschlossen , seinerseits damit nicht anzufangen , sondern alles von der Neugier und dem guten Herzen des Vaters zu erwarten . Und darin sah er sich auch nicht getäuscht . » Ah , Woldemar , das ist recht , daß du schon da bist . Nur nicht zu lang im Bett . Die meisten Langschläfer haben einen Knacks . Es können aber sonst ganz gute Leute sein . Ich wette , dein Freund Rex schläft bis neun . « » Nein , Papa , der gerade nicht . Wer wie Rex ist , kann sich das nicht gönnen . Er hat nämlich einen Verein gegründet für Frühgottesdienste , abwechselnd in Schönhausen und Finkenkrug . Aber es ist noch nicht perfekt geworden . « » Freut mich , daß es noch hapert . Ich mag so was nicht . Der alte Wilhelm hat zwar seinem Volke die Religion wiedergeben wollen , was ein schönes Wort von ihm war – alles , was er tat und sagte , war gut – , aber Religion und Landpartie , dagegen bin ich doch . Ich bin überhaupt gegen alle falschen Mischungen . Auch bei den Menschen . Die reine Rasse , das ist das eigentlich Legitime . Das andre , was sie nebenher noch Legitimität nennen , das ist schon alles mehr künstlich . Sage , wie steht es denn eigentlich damit ? Du weißt schon , was ich meine . « » Ja , Papa ... « » Nein , nicht so ; nicht immer bloß › ja , Papa ‹ . So fängst du jedesmal an , wenn ich auf dies Thema komme . Da liegt schon ein halber Refus drin , oder ein Hinausschieben , ein Abwartenwollen . Und damit kann ich mich nicht befreunden . Du bist jetzt zweiunddreißig , oder doch beinah , da muß der mit der Fackel kommen ; aber du fackelst ( verzeih den Kalauer ; ich bin eigentlich gegen Kalauer , die sind so mehr für Handlungsreisende ) , also du fackelst , sag ich , und ist kein Ernst dahinter . Und soviel kann ich dir außer dem sagen , deine Tante Sanctissima drüben in Kloster Wutz , die wird auch schon ungeduldig . Und das sollte dir zu denken geben . Mich hat sie zeitlebens schlecht behandelt ; wir stimmten eben nie zusammen und konnten auch nicht , denn so halb Königin Elisabeth , halb Kaffeeschwester , das is 'ne Melange , mit der ich mich nie habe befreunden können . Ihr drittes Wort ist immer ihr Rentmeister Fix , und wäre sie nicht sechsundsiebzig , so erfänd ich mir eine Geschichte dazu . « » Mach es gnädig , Papa . Sie meint es ja doch gut . Und mit mir nun schon ganz gewiß . « » Gnädig machen ? Ja , Woldemar , ich will es versuchen . Nur fürcht ich , es wird nicht viel dabei herauskommen . Da heißt es immer , man solle Familiengefühl haben , aber es wird einem doch auch zu blutsauer gemacht , und ich kann umgekehrt der Versuchung nicht widerstehen , eine richtige Familienkritik zu üben . Adelheid fordert sie geradezu heraus . Andrerseits freilich , in dich ist sie wie vernarrt , für dich hat sie Geld und Liebe . Was davon wichtiger ist , stehe dahin ; aber soviel ist gewiß , ohne sie wär es überhaupt gar nicht gegangen , ich meine dein Leben in deinem Regiment . Also wir haben ihr zu danken , und weil sie das geradesogut weiß wie wir , oder vielleicht noch ein bißchen besser , gerade deshalb wird sie ungeduldig ; sie will Taten sehen , was vom Weiberstandpunkt aus allemal soviel heißt wie Verheiratung . Und wenn man will , kann man es auch so nennen , ich meine Taten . Es ist und bleibt ein Heroismus . Wer Tante Adelheid geheiratet hätte , hätte sich die Tapferkeitsmedaille verdient , und wenn ich schändlich sein wollte , so sagte ich das Eiserne Kreuz . « » Ja , Papa ... « » Schon wieder › ja , Papa ‹ . Nun , meinetwegen , ich will dich schließlich in deiner Lieblingswendung nicht stören . Aber bekenne mir nebenher – denn das ist doch schließlich das , um was sich's handelt – , liegst du mit was im Anschlag , hast du was auf dem Korn ? « » Papa , diese Wendungen erschrecken mich beinah . Aber wenn denn schon so jägermäßig gesprochen werden soll , ja ; meine Wünsche haben ein bestimmtes Ziel , und ich darf sagen , mich beschäftigen diese Dinge . « » Mich beschäftigen diese Dinge ... Nimm mir 's nicht übel , Woldemar , das ist ja gar nichts . Beschäftigen ! Ich bin nicht fürs Poetische , das ist für Gouvernanten und arme Lehrer , die nach Görbersdorf müssen ( bloß , daß sie meistens kein Geld dazu haben ) , aber diese Wendung › sich beschäftigen ‹ , das ist mir denn doch zu prosaisch . Wenn es sich um solche Dinge wie Liebe handelt ( wiewohl ich über Liebe nicht viel günstiger denke wie über Poesie , bloß daß Liebe doch noch mehr Unheil anrichtet , weil sie noch allgemeiner auftritt ) – wenn es sich um Dinge wie Liebe handelt , so darf man nicht sagen , › ich habe mich damit beschäftigt ‹ . Liebe ist doch schließlich immer was Forsches , sonst kann sie sich ganz und gar begraben lassen , und da möcht ich denn doch etwas von dir hören , was ein bißchen wie Leidenschaft aussieht . Es braucht ja nicht gleich was Schreckliches zu sein . Aber so ganz ohne Stimulus , wie man , glaub ich , jetzt sagt , so ganz ohne so was geht es nicht ; alle Menschheit ist darauf gestellt , und wo's einschläft , ist so gut wie alles vorbei . Nun weiß ich zwar recht gut , es geht auch ohne uns , aber das ist doch alles bloß etwas , was einem von Verstandes wegen aufgezwungen wird ; das egoistische Gefühl , das immer unrecht , aber auch immer recht hat , will von dem allem nichts wissen und besteht darauf , daß die Stechline weiterleben , wenn es sein kann , in aeternum . Ewig weiterleben ; – ich räume ein , es hat ein bißchen was Komisches , aber es gibt wenig ernste Sachen , die nicht auch eine komische Seite hätten . . . Also dich › beschäftigen ‹ diese Dinge . Kannst du Namen nennen ? Auf wem haben Eurer Hoheit Augen zu ruhen geruht ? « » Papa , Namen darf ich noch nicht nennen . Ich bin meiner Sache noch nicht sicher genug , und das ist auch der Grund , warum ich Wendungen gebraucht habe , die dir nüchtern und prosaisch erschienen sind . Ich kann dir aber sagen , ich hätte mich lieber anders ausgedrückt ; nur darf ich es noch nicht . Und dann weiß ich ja auch , daß du selber einen abergläubischen Zug hast und ganz aufrichtig davon ausgehst , daß man sich sein Glück verreden kann , wenn man zu früh oder zuviel davon spricht . « » Brav , brav . Das gefällt mir . So ist es . Wir sind immer von neidischen und boshaften Wesen mit Fuchsschwänzen und Fledermausflügeln umstellt , und wenn wir renommieren oder sicher tun , dann lachen sie . Und wenn sie erst lachen , dann sind wir schon so gut wie verloren . Mit unsrer eignen Kraft ist nichts getan , ich habe nicht den Grashalm sicher , den ich hier ausreiße . Demut , Demut . . . Aber trotzdem komm ich dir mit der naiven Frage ( denn man widerspricht sich in einem fort ) , ist es was Vornehmes , was Pikfeines ? « » Pikfein , Papa , will ich nicht sagen . Aber vornehm gewiß . « » Na , das freut mich . Falsche Vornehmheit ist mir ein Greuel ; aber richtige Vornehmheit – à la bonne heure . Sage mal , vielleicht was vom Hofe ? « » Nein , Papa . « » Na , desto besser . Aber da kommen ja die Herren .