Erstes Kapitel » Thale . Zweiter ... « » Letzter Wagen , mein Herr . « Der ältere Herr , ein starker Fünfziger , an den sich dieser Bescheid gerichtet hatte , reichte seiner Dame den Arm und ging in langsamem Tempo , wie man eine Rekonvaleszentin führt , bis an das Ende des Zuges . Richtig , » Nach Thale « stand hier auf einer ausgehängten Tafel . Es war einer von den neuen Waggons mit Treppenaufgang , und der mit besonderer Adrettheit gekleidete Herr : blauer Überrock , helles Beinkleid und Korallentuchnadel , wandte sich , als er das Waggontreppchen hinauf war , wieder um , um seiner Dame beim Einsteigen behülflich zu sein . Die Compartiments waren noch leer , und so hatte man denn die Wahl , aber freilich auch die Qual , und mehr als eine Minute verging , ehe die schlanke , schwarzgekleidete Dame sich schlüssig gemacht und einen ihr zusagenden Platz gefunden hatte . Von ähnlicher Unruhe war der sie begleitende Herr , dessen Auf- und Abschreiten jedoch , allem Anscheine nach , mit der Platzfrage nichts zu schaffen hatte , wenigstens sah er , das Fenster mehrfach öffnend und schließend , immer wieder den Perron hinunter , wie wenn er jemand erwarte . Das war denn auch der Fall , und er beruhigte sich erst , als ein in eine Halblivree gekleideter Diener ihm die Fahrbillets samt Gepäckschein eingehändigt und sich bei dem » Herrn Obersten « ( ein Wort , das er beständig wiederholte ) wegen seines langen Ausbleibens entschuldigt hatte . » Schon gut « , sagte der so beharrlich als » Herr Oberst « Angeredete . » Schon gut . Unsere Adresse weißt du . Halte mir die Pferde in Stand ; jeden Tag eine Stunde , nicht mehr . Aber nimm dich auf dem Asphalt in acht . « Dann kam der Schaffner , um unter respektvoller Verbeugung gegen den Fahrgast , den er sofort als einen alten Militär erkannte , die Billets zu coupieren . « Und nun setzte sich der Zug in Bewegung . » Gott sei Dank , Cécile « , sagte der Oberst , dessen scharfer und beinah stechender Blick durch einen kleinen Fehler am linken Auge noch gesteigert wurde . » Gott sei Dank , wir sind allein . « » Um es hoffentlich zu bleiben . « Damit brach das Gespräch wieder ab . Es hatte die Nacht vorher geregnet , und der am Fluß hin gelegene Stadtteil , den der Zug eben passierte , lag in einem dünnen Morgennebel , gerade dünn genug , um unseren Reisenden einen Einblick in die Rückfronten der Häuser und ihre meist offenstehenden Schlafstubenfenster zu gönnen . Merkwürdige Dinge wurden da sichtbar , am merkwürdigsten aber waren die hier und da zu Füßen der hohen Bahnbögen gelegenen Sommergärten und Vergnügungslokale . Zwischen rauchgeschwärzten Seitenflügeln erhoben sich etliche Kugelakazien , sechs oder acht , um die herum ebensoviel grüngestrichene Tische samt angelehnten Gartenstühlen standen . Ein Handwagen , mit eingeschirrtem Hund , hielt vor einem Kellerhals , und man sah deutlich , wie Körbe mit Flaschen hinein- und mit ebensoviel leeren Flaschen wieder hinausgetragen wurden . In einer Ecke stand ein Kellner und gähnte . Bald aber war man aus dieser Straßenenge heraus , und statt ihrer erschienen weite Bassins und Plätze , hinter denen die Siegessäule halb gespenstisch aufragte . Die Dame wies kopfschüttelnd mit der Schirmspitze darauf hin und ließ dann an dem offenen Fenster , wenn auch freilich nur zur Hälfte , das Gardinchen herunter . Ihr Begleiter begann inzwischen eine mit dicken Strichen gezeichnete Karte zu studieren , die die Bahnlinien in der unmittelbaren Umgebung Berlins angab . Er kam aber nicht weit mit seiner Orientierung , und erst als man die Lisière des Zoologischen Gartens streifte , schien er sich zurechtzufinden und sagte : » Sieh , Cécile , das sind die Elefantenhäuser . « » Ah « , sagte diese mit einem Versuch , Interesse zu zeigen , blieb aber zurückgelehnt in ihrem Eckplatz und richtete sich erst auf , als der Zug in Potsdam einfuhr . Viele Militärs schritten hier den Perron auf und ab , unter ihnen auch ein alter General , der , als er Céciles ansichtig wurde , mit besondrer Artigkeit in das Coupé hinein grüßte , dann aber sofort vermied , abermals in die Nähe desselben zu kommen . Es entging ihr nicht , ebensowenig dem Obersten . Und nun wurde das Signal gegeben , und die Fahrt ging weiter über die Havelbrücken hin , erst über die Potsdamer , dann über die Werdersche . Niemand sprach , und nur die Gardine mit dem eingemusterten M. H. E. flatterte lustig im Winde . Cécile starrt' darauf hin , als ob sie den Tiefsinn dieser Zeichen erraten wolle , gewann aber nichts , als daß sich der Mattigkeitsausdruck ihrer Züge nur noch steigerte . » Du solltest dir 's bequem machen « , sagte der Oberst , » und dich ausstrecken , statt aufrecht in der Ecke zu sitzen . « Und als sie zustimmend nickte , nahm er Plaids und Decken und mühte sich um sie . » Danke , Pierre . Danke . Nur noch das Kissen . « Und nun zog sie die Reisedecke höher hinauf und schloß die Augen , während der Oberst in einem Reisehandbuch zu lesen begann und kleine Strichelchen an den Rand machte . Nur von Zeit zu Zeit sah er über das Buch fort und beobachtete die nur scheinbar Schlafende mit einem Ausdrucke von Aufmerksamkeit und Teilnahme , der unbedingt für ihn eingenommen haben würde , wenn sich nicht ein Zug von Herbheit , Trotz und Eigenwillen mit eingemischt und die freundliche Wirkung wieder gemindert hätte . Täuschte nicht alles , so lag eine » Geschichte « zurück , und die schöne Frau ( worauf auch der Unterschied der Jahre hindeutete ) war unter allerlei Kämpfen und Opfern errungen . Es verging eine Weile , dann öffnete sie die Augen wieder und sah in die Landschaft hinaus , die beständig wechselte : Saaten und Obstgärten und dann wieder weite Heidestriche . Kein Wort wurde laut , und es schien fast , als ob dies apathische Träumen ihr , der eben erst in der Genesung Begriffenen , am meisten zusage . » Du sprichst nicht , Cécile . « » Nein . « » Aber ich darf sprechen ? « » Gewiß . Sprich nur . Ich höre zu . « » Sahst du Saldern ? « » Er grüßte mich mit besondrer Artigkeit . « » Ja , mit besonderer . Und dann vermied er dich und mich . Wie wenig selbständig doch diese Herren sind . « » Ich fürchte , daß du recht hast . Aber nichts davon ; warum uns quälen und peinigen ? Erzähle mir etwas Hübsches , etwas von Glück und Freude . Gibt es nicht eine Geschichte : Die Reise nach dem Glück ? Oder ist es bloß ein Märchen ? « » Es wird wohl ein Märchen sein . « Sie nickte schmerzlich bei diesem Wort , und als er nicht ohne aufrichtige , wenn auch freilich nur flüchtige Bewegung sah , daß ihr Auge sich trübte , nahm er ihre Hand und sagte : » Laß , Cécile . Vielleicht ist das Glück näher , als du denkst , und hängt im Harz an irgendeiner Klippe . Da hol ich es dir herunter , oder wir pflücken es gemeinschaftlich . Denke nur , das Hotel , in dem wir wohnen werden , heißt › Hotel Zehnpfund ‹ . Klingt das nicht wie die gute Zeit ? Ich sehe schon die Waage , drauf du gewogen wirst und dich mit jedem Tage mehr in die Gesundheit hineinwächst . Denn Zunehmen heißt Gesundwerden . Und dann kutschieren wir umher und zählen die Hirsche , die der Wernigeroder Graf in seinem Parke hat . Er wird doch hoffentlich nichts dagegen haben . Und überall , wo ein Echo ist , laß ich einen Böllerschuß dir zu Ehren abfeuern . « Es schien , daß ihr die Worte wohltaten , im übrigen aber doch wenig bedeuteten , und so sagte sie : » Ich hoffe , daß wir viel allein sind . « » Warum immer allein ? Und gerade du . Du brauchst Menschen . « Vielleicht . Nur keine Table d'hôte . Versprich mir's . « » Gern . Aber ich denke , du wirst bald andren Sinnes werden . « Und nun stockte das Gespräch wieder , und in immer rascherem Fluge ging es erst an Brandenburg und seiner Sankt-Godehards-Kirche , dann an Magdeburg und seinem Dome vorüber . In Oschersleben schloß sich der Leipziger Zug an , und mit etwas geringerer Geschwindigkeit , weil sich die Steigung fühlbar zu machen begann , fuhr man jetzt auf Quedlinburg zu , hinter dessen Abteikirche der Brocken bereits aufragte . Das Land , das man passierte , wurde mehr und mehr ein Gartenland , und wie sonst Kornstreifen sich über den Ackergrund ziehen , zogen sich hier Blumenbeete durch die weite Gemarkung . » Sieh , Cécile « , sagte der Oberst . » Ein Teppich legt sich dir zu Füßen , und der Harz empfängt dich à la Princesse . Was willst du mehr ? « Und sie richtete sich auf und lächelte . Wenige Minuten später hielt der Zug in Thale , wo sofort ein Schwarm von Kutschern und Hausdienern aller Art die Coupés umdrängte : » › Hubertusbad ‹ ! › Waldkater ‹ ! › Zehnpfund ‹ ! « » Zehnpfund « , wiederholte der Oberst , und einem dienstfertig zuspringenden Kommissionär den Gepäckschein einhändigend , bot er Cécile den Arm und schritt auf das unmittelbar am Bahnhof gelegene Hotel zu . Zweites Kapitel Der große Balkon von » Hotel Zehnpfund « war am andern Morgen kaum zur Hälfte besetzt , und nur ein Dutzend Personen etwa sah auf das vor ihnen ausgebreitete Landschaftsbild , das durch die Feueressen und Rauchsäulen einer benachbarten Fabrik nicht allzuviel an seinem Reize verlor . Denn die Brise , die ging , kam von der Ebene her und trieb den dicken Qualm am Gebirge hin . In die Stille , die herrschte , mischte sich , außer dem Rauschen der Bode , nur noch ein fernes Stampfen und Klappern und ganz in der Nähe das Zwitschern einiger Schwalben , die , im Zickzack vorüberschießend , auf eine vor dem Balkon gelegene Parkwiese zuflogen . Diese war das Schönste der Szenerie , schöner fast als die Bergwand samt ihren phantastischen Zacken , und wenn schon das saftige Grün der Wiese das Auge labte , so mehr noch die Menge der Bäume , die gruppenweis , von ersichtlich geschickter Hand , in dies Grün hineingestellt waren . Ahorn und Platanen wechselten ab , und dazwischen drängten sich allerlei Ziersträucher zusammen , aus denen hervor es buntfarbig blühte : Tulpenbaum und Goldregen und Schneeball und Akazie . Der Anblick mußte jeden entzücken , und so hing denn auch das Auge der schönen Frau , die wir am Tage vorher auf ihrer Reise begleiteten , an dem ihr zu Füßen liegenden Bilde , freilich , im Gegensatze zu dem Obersten , ihrem Gemahl , mit nur geteiltem Interesse . Der Tisch , an dem beide das Frühstück nahmen , stand im Schutz einer den Balkon nach dem Gebirge hin abschließenden Glaswand und fiel nicht nur durch ein besonders elegantes Service , sondern mehr noch durch ein großes und prächtiges Fliederbouquet auf , das man , vielleicht in Huldigung gegen die durch Rang und Erscheinung gleich distinguierte Dame , gerad auf diesen Tisch gestellt hatte . Cécile selbst brach einige von den Blütenzweigen ab und sah dann abwechselnd auf Berg und Wiese , ganz einer träumerischen Stimmung hingegeben , in der sie sich augenscheinlich ungern gestört fühlte , wenn der Oberst , in wohlmeinendem Erklärungseifer , den Cicerone machte . » Vieles « , hob er an , » hat sich speziell an dieser Stelle geändert , seit ich in meinen Fähnrichstagen hier war . Aber ich finde mich doch noch zurecht . Das Plateau dort oben , mit dem großen würfelförmigen Gasthause , muß der Hexentanzplatz sein . Ich höre , man kann jetzt bequem hinauffahren . « » O gewiß kann man « , sagte sie , während sie , sichtlich gleichgiltig gegen diese Mitteilung , mit ihrem Auge den Balkon überflog , auf dem die Jalousieringe klapperten und die rot und weiß gemusterten Tischdecken im Winde wehten . Zugleich zupfte sie an einer ihrer Schleifen und wandte den Kopf so , daß man , von der andern Seite des Balkons her , ihr schönes Profil sehen mußte . » Hexentanzplatz « , nahm sie nach einer Weile das Gespräch wieder auf . » Wahrscheinlich ein Felsen mit einer Sage , nicht wahr ? Wir hatten auch in Schlesien so viele ; sie sind alle so kindisch . Immer Prinzessinnen und Riesenspielzeug . Ich dachte , der Felsen , den man hier sähe , hieße die Roßtrappe . « » Gewiß , Cécile . Das ist der andre ; gleich hier der nächste . « » Müssen wir hinauf ? « » Nein , wir müssen nicht . Aber ich dachte , du würdest es wünschen . Der Blick ist schön , und man sieht meilenweit in die Ferne . « » Bis Berlin ? Aber nein , darin irr ich , das ist nicht möglich . Berlin muß weiter sein ; fünfzehn Meilen oder noch mehr . Ah , sahst du die zwei Schwalben ? Es war , als haschten sie sich und spielten miteinander . Vielleicht sind es Geschwister , oder vielleicht ein Pärchen . « » Oder beides . Die Schwalben nehmen es nicht so genau . Sie sind nicht so diffizil in diesen Dingen . « Es lag etwas Bittres in dem Ton . Aber diese Bitterkeit schien sich nicht gegen die Dame zu richten , denn ihr Auge blieb ruhig , und keine Röte stieg in ihr auf . Sie zog nur ein Chenilletuch , das sie bis zur Hüfte hatte fallen lassen , wieder in die Höhe und sagte : » Mich fröstelt , Pierre . « » Weil du nicht Bewegung genug hast . « » Und weil ich schlecht geschlafen habe . Komm , ich will mich niederlegen und eine halbe Stunde ruhn . « Und bei diesen Worten erhob sie sich und ging unter leichtem Gruß , den die Zunächstsitzenden ebenso leicht erwiderten , auf das Nebenzimmer und den Korridor zu . Der Oberst folgte . Nur einer der Gäste , der , über seine Zeitung fort , von der andern Seite das Balkons her das distinguierte Paar schon seit lange beobachtet hatte , stand auf , legte die Zeitung aus der Hand und grüßte mit besondrer Devotion , was seines Eindrucks auf die schöne Frau nicht verfehlte . Wie belebt und erheitert nahm diese plötzlich ihres Begleiters Arm und sagte : » Du hast recht , Pierre . Luft wird mir besser sein als Ruhe . Mich fröstelt nur , weil ich keine Bewegung habe . Laß uns in den Park gehn . Wir wollen sehn , ob wir die Stelle finden , wo die Schwalben nisten . Ich habe mir den Baum gemerkt . « Der junge Mann , der sich von seinem Platz erhoben und mit so besondrer Artigkeit gegrüßt hatte , rief jetzt den Kellner heran und sagte : » Kennen Sie die Herrschaften ? « » Ja , Herr von Gordon . « » Nun ? « » Oberst a. D. von St. Arnaud und Frau . Sie kamen gestern mit dem Mittagszug und nahmen ein Diner à part . Die Dame scheint krank . « » Und werden einige Tage bleiben ? « » Ich vermute . « Der Kellner trat wieder zurück , und der als Herr von Gordon Angeredete wiederholte jetzt zwei- , dreimal den Namen , den er eben gehört hatte . » St. Arnaud ... St. Arnaud ! « Endlich schien er es gefunden zu haben . » Ja , jetzt entsinne ich mich . In St. Denis war Anno 70 viel von ihm die Rede . Kugel durch den Hals , zwischen Karotis und Luftröhre . Wahrer Wunderschuß . Und wunderbar auch die Heilung ; in sechs Wochen wiederhergestellt . Witzleben hat mir ausführlich davon erzählt . Kein Zweifel , das ist er . Er war damals ältester Hauptmann in einem der Garderegimenter , bei Franz oder den › Maikäfern ‹ , und wurde noch in Frankreich Major . Ich muß ihn im › Cerf ‹ gesehen haben . Aber warum außer Dienst ? « Der dies Selbstgespräch Führende nahm , als er sich , mit Hülfe seines Gedächtnisses , auf diese Weise leidlich orientiert hatte , die Zeitung wieder zur Hand und überflog den Leitartikel , der die letzten Fort schritte der Russen in Turkmenien behandelte , zugleich aber , unter allerhand Namensverwechselungen , auch über Indien und Persien orakelte . » Der Herr Verfasser weiß da so gut Bescheid wie ich auf dem Mond . « Und das Blatt verdrießlich wieder beiseite schiebend , sah er lieber auf das Gebirge hin , das er , seit länger als einer Woche , an jedem neuen Morgen mit immer neuer Freude betrachtete . Zuletzt ruhte sein Blick auf dem Vordergrund und verfolgte hier die Kieswege , die sich , in abwechselnd breiten und schmalen Schlängellinien , durch die Parkwiese hinzogen . Eins der Bosquets , das dem Sonnenbrand am meisten ausgesetzt war , zeigte viel Gelb , und er sah eben scharf hin , um sich zu vergewissern , ob es gelbe Blüten oder nur von der Sonne verbrannte Blätter seien , als er aus eben diesem Bosquet die Gestalten des St. Arnaudschen Paares hervortreten sah . Sie bogen in den Weg ein , der , jenseits der Parkwiese , parallel mit dem Hotel lief , so daß man , vom Balkon her , beide genau beobachten konnte . Die schöne Frau schien sich unter dem Einflusse der Luft rasch gekräftigt zu haben und ging aufrecht und elastisch , trotzdem sich unschwer erkennen ließ , daß ihr das Gehen immer noch Müh und Anstrengung verursachte . » Das ist Baden-Baden « , sagte der vom Balkon aus sie Beobachtende . » Baden-Baden oder Brighton oder Biarritz , aber nicht Harz und › Hotel Zehnpfund ‹ . « Und so vor sich hin sprechend , folgte sein Auge dem sich bald nähernden , bald entfernenden Paare mit immer gesteigertem Interesse , während er zugleich in seinen Erinnerungen weiterforschte . » St. Arnaud . Anno 70 war er noch unverheiratet , sie wäre damals auch kaum achtzehn gewesen . « Und unter solchem Rechnen und Erwägen erging er sich in immer neuen Mutmaßungen darüber , welche Bewandtnis es mit dieser etwas sonderbaren und überraschenden Ehe haben möge . » Dahinter steckt ein Roman . Er ist über zwanzig Jahre älter als sie . Nun , das ginge schließlich , das bedeutet unter Umständen nicht viel . Aber den Abschied genommen , ein so brillanter und bewährter Offizier ! Man sieht ihm noch jetzt den Schneid an ; Garde-Oberst comme il faut , jeder Zoll . Und doch außer Dienst . Sollte vielleicht . . . Aber nein , sie coquettiert nicht , und auch sein Benehmen gegen sie hält das richtige Maß . Er ist artig und verbindlich , aber nicht zu gesucht artig , als ob was zu kaschieren sei . Nun , ich will es schon erfahren . Übrigens wirkt sie katholisch , und wenn sie nicht aus Brüssel ist , ist sie wenigstens aus Aachen . Nein , auch das nicht . Jetzt hab ich es : Polin oder wenigstens polnisches Halbblut . Und in einem festen Kloster erzogen , › Sacré coeur ‹ oder › Zum guten Hirten ‹ . « Drittes Kapitel Herr von Gordon war auf bestem Wege , seine Mutmaßungen noch weiter auszuspinnen , als er sich durch ein von rückwärts her laut werdendes , sehr ungeniertes Lachen unterbrochen und zwei neue Besucher auf den Balkon heraustreten sah , stattliche Herren von etwa dreißig , über deren spezielle Heimat , sowohl ihrem Auftreten wie besonders ihrer Sprechweise nach , kein Zweifel sein konnte . Sie trugen graubraune Sommeranzüge , deren Farbe sich nach oben hin bis in die kleinen Filzhüte fortsetzte , dazu Plaids und Reisetaschen . Alles paßte vorzüglich zusammen , mit Ausnahme zweier Ausrüstungsgegenstände , von denen der eine , mit Rücksicht auf eine Harzreise , des Guten zuwenig , der andere aber entschieden zuviel tat . Diese zwei nicht passenden Dinge waren : ein eleganter Promenadenstock mit Elfenbeingriff und andrerseits ein hypersolides Schuhzeug , das sich mit seinen Schnürösen und dicken Sohlen ausnahm , als ob es sich um eine Besteigung des Matterhorn , nicht aber der Roßtrappe gehandelt hätte . » Wo kampieren wir ? « fragte der ältere , von der Türschwelle her Umschau haltend . Im selben Augenblick aber des geschützt stehenden Tisches mit dem großen Fliederstrauß ansichtig werdend , an dem die St. Arnauds eben noch gesessen hatten , schritt er rasch auf diese bevorzugte , weil windgeschützte , Stelle zu und sagte : » Wo das blüht , da laß dich ruhig nieder , böse Menschen haben keinen Flieder . « Und im selben Augenblicke sowohl Reisetasche wie Plaid über die Stuhllehne hängend , rief er mit charakteristischer Betonung der letzten Silbe : » Kellnér ! « » Befehlen ? « » Zuvörderst einen Mokka samt Zubehör , oder sagen wir kurz : ein Schweizer Frühstück . Jedem Mann ein Ei , dem tapfren Schweppermann aber zwei . « Der Kellner lächelte schalkhaft vor sich hin und suchte , zu sichtlicher Freude der beiden neuen Ankömmlinge , durch eine humoristische Handbewegung auszudrücken , daß er nicht recht wisse , wer der zu Bevorzugende sein werde . » Berliner ? « » Zu dienen . « » Nun denn , Freund und Landsmann , Sie werden uns nicht verraten , wenn Sie hören , daß wir eigentlich beide Schweppermänner sind . Macht vier Eier . Und nun flink . Aber erst hier das alte Schlachtfeld abräumen . Und wie steht es mit Honig ? « » Sehr gut . « » Nun denn auch Honig . Aber Wabenhonig . Alles frisch vom Faß . Echt , echt ! « Unter diesem Gespräche hatte der Kellner den Tisch klargemacht und ging nun , um das Frühstück herbeizuschaffen . Es folgte eine Pause , die das Berliner Paar , weil ihm nichts anderes übrigblieb , mit Naturbetrachtungen ausfüllte . » Das also ist der Harz oder das Harzgebirge « , nahm der ältere zum zweiten Male das Wort , derselbe , der das kurze Gespräch mit dem Kellner gehabt hatte . » Merkwürdig ähnlich . Ein bißchen wie Tivoli , wenn die Kuhnheimsche Fabrik in Gang ist . Sieh nur , Hugo , wie das Ozon da drüben am Gebirge hinstreicht . In den Zeitungen heißt es in einer allwöchentlich wiederkehrenden Annonce : › Thale , klimatischer Kurort ‹ . Und nun diese Schornsteine ! Na , meinetwegen ; Rauch konserviert , und wenn wir hier vierzehn Tage lang im Schmok hängen , so kommen wir als Dauerschinken wieder heraus . Ach , Berlin ! Wenn ich nur wenigstens die Roßtrappe sehen könnte ! « » Du hast sie ja vor dir « , sagte der andre , während eben auf einem großen Tablett das Frühstück gebracht wurde . » Nicht wahr , Kellner , das rötliche Haus da oben , das ist die Roßtrappe ? « » Nicht ganz , mein Herr . Die Roßtrappe liegt etwas weiter zurück . Das Haus , das Sie sehen , ist das › Hotel zur Roßtrappe ‹ . « » Na , das ist die Roßtrappe . Das Hotel entscheidet . Übrigens , Pilsener oder Kulmbacher ? « » Beides , meine Herren . Aber wir brauen auch selbst . « » Wohl am Ende da drüben , wo der Rauch zieht ? « » Nein , hier mehr links . Die Schornsteine nach rechts hin sind die Blechhütte . « » Was ? « » Die Blechhütte . Blech mit Emaille . « » Wundervoll ! Mit Emaille ! Fehlt bloß noch das Zifferblatt . Und darf man das alles sehn ? « » O gewiß , gewiß . Wenn die Herren nur ihre Karten abgeben wollen ... « Und damit brach das Gespräch ab , und die beiden Touristen par excellence machten sich an ihr Frühstück mit Ei und Wabenhonig . Eine halbe Stunde später erhoben sie sich und verließen den Balkon , wobei der jüngere den Stock mit der Elfenbeinkrücke quer vor den Mund nahm , zugleich den Ton einer zum Marsch blasenden Pickelflöte nachahmend . Alles , was noch auf dem Balkon verblieben war , sah ihnen neugierig nach , auch Gordon , der ihren Weitermarsch bis ins Bodetal hinein verfolgt haben würde , wenn nicht der eben mit neuen Ankömmlingen eingetroffene Frühzug sein Interesse nach der entgegengesetzten Seite hin abgezogen hätte . Sängervereine rückten vom Bahnhof heran und marschierten auf Treseburg zu , wo sie den Tag zu verbringen und ihre Sängerwettkämpfe zu führen gedachten . Im Vorüberziehen an dem Hotel schwenkten sie die Hüte , zahllose Hochs ausbringend , von denen niemand recht wußte , wem sie galten . An ihre letzte Sektion aber schlossen sich alle diejenigen an , die der Zug außerdem noch gebracht hatte , lauter Durchschnittsfiguren , unter denen nur die direkt Abschließenden einiger Aufmerksamkeit wert waren . Es waren ihrer zwei , beide lebhaft plaudernd , aber doch nur wie Personen , die sich eben erst kennengelernt haben . Der zur Linken Gehende , schwarz gekleidet in Stehkragenrock , dabei von freundlichen Zügen , war ein alter Emeritus , den Gordon schon von verschiedenen Ausflügen und namentlich von der Table d'hôte her kannte , während der andere durch eine große Häßlichkeit und beinah mehr noch durch die Sonderbarkeit seiner Kleidung auffiel . Er trug nämlich ziemlich defekte Gamaschen und eine Manchesterweste , deren Schöße länger waren als seine Joppe , dazu Strippenhaar , Klapphut und Hornbrille . Worauf deutete das alles hin ? Seinem unteren Menschen nach hätte man ihn ohne weiteres für einen Trapper , seinem oberen nach ebenso zweifellos für einen Rabulisten und Winkeladvokaten halten müssen , wenn nicht sein letztes und vorzüglichstes Ausrüstungsstück : eine Botanisiertrommel , gewesen wäre , ja sogar eine Botanisiertrommel am gestickten Bande . Diese beständig hin und her schiebend , schritt er an der Seite des geistlichen Herrn , der übrigens bereits Miene zum Abschwenken machte , mit großen Schritten und unter beständigen Gestikulationen auf die Parkwiese zu . » Botaniker « , sagte Gordon zu dem Wirte von » Hotel Zehnpfund « , der sich ihm mittlerweile gesellt hatte . » Sieht er nicht aus wie Knecht Ruprecht , der den Frühling in seinen Sack stecken will ? « Der joviale Hotelier jedoch , der , wie die meisten seines Standes , ein Menschenkenner war , wollte von der Gordonschen Diagnose nichts wissen und sagte : » Nein , Herr von Gordon , die grüne Trommel , die kenn ich : in neun Fällen von zehn ist sie Vorratskammer , am gestickten Bande aber ist sie 's immer . Nichts von Botanik . Ich halte den Herrn für einen Urnenbuddler . « » Archäologe ? « » So drum herum . « Und als beide so sprachen , verschwand der Gegenstand ihrer Unterhaltung jenseits der Parkwiese , nachdem er sich schon vorher von dem im Hotel wohnenden Emeritus verabschiedet hatte . Viertes Kapitel Zehn Minuten vor eins läutete die Tischglocke durch alle Korridore hin , und wiewohl die Haute-Saison noch nicht begonnen hatte , versammelte sich doch eine stattliche Zahl von Gästen im großen Speisesaal . Auch die beiden Berliner in Graubraun fehlten nicht und hatten sofort am untern Ende der Tafel eine Korona teils bewundernder , teils lächelnder Zuhörer um sich her , zu welchen letztren auch der alte Herr im geistlichen Rock und der Langhaarige mit der Hornbrille zählte . Das im Gegensatze zu dem unterwegs von Cécile geäußerten Wunsche heut ebenfalls erschienene St . Arnaudsche Paar war vom Oberkellner gebeten worden , die Mittelplätze der Tafel einzunehmen , gegenüber von Herrn von Gordon , der im selben Augenblicke , wo die Herrschaften Platz genommen hatten , auch schon die mit allerhand rotem Blattwerk zwischen ihm und Cécile stehende Vase zu verwünschen begann . Selbstverständlich ließ er sich durch dies Hindernis nicht abhalten , sich vorzustellen , worauf der Oberst , vielleicht weil er einen adeligen Namen gehört hatte , mit bemerkenswerter Artigkeit erwiderte : » von St. Arnaud – meine Frau . « Es schien aber bei diesem Namensaustausch bleiben zu sollen , denn Minuten vergingen , ohne daß ein weiterer Annäherungsversuch von hüben oder drüben gemacht worden wäre . Gordon , trotzdem ihm die Tage preußischer Disziplin um mehrere Jahre zurücklagen , glaubte doch , mit Rücksicht auf den Rang des Obersten , diesem das erste Wort überlassen zu müssen . Auch Cécile schwieg und richtete nur dann und wann ein Wort an ihren Gemahl , während sie mechanisch an einem Türkisringe drehte . Seit dem Ragoût fin en coquille , von dem sie zwei Bröckchen gekostet und zwei andere auf der Gabelspitze gelassen hatte , hatte sie bei jedem neu präsentierten Gange gedankt und lehnte sich jetzt mit verschränkten Armen in den Stuhl zurück , nur dann und wann nach der Saaluhr blickend , auf deren Zifferblatt der Zeiger langsam vorrückte . Gordon , auf bloße Beobachtung angewiesen , begann allmählich die Vase zu segnen , die , so hinderlich sie war , ihm wenigstens gestattete , seine Studien einigermaßen unauffällig , wenn auch freilich nicht unbemerkt , fortsetzen zu können . Er gestand sich , selten eine schönere Frau gesehen zu haben , kaum in England , kaum in den » States « . Ihr Profil war von seltener Reinheit , und das Fehlen jeder Spur von Farbe gab ihrem Kopfe , darin Apathie der vorherrschende Zug war , etwas Marmornes . Aber dieser Ausdruck von Apathie war nicht Folge besonderer Niedergeschlagenheit , noch weniger von schlechter Laune , denn ihre Züge , wie Gordon nicht entging , begannen sich sofort zu beleben , als plötzlich von der unteren Tafel her dem Kellner in gutem Berlinisch zugerufen wurde : » Kalt stellen also . Aber nicht zu lange . Denn der Knall bleibt immer die Hauptsache « – bei welcher These der , der sie aufstellte , mit seinem Zeigefinger rasch und geschickt unter den Mundwinkel und mit solcher Energie wieder herausfuhr , daß es einen lauten Puff gab . Alles lachte . Selbst der Oberst schien froh , aus der Tafel-Langweile heraus zu sein , und sagte jetzt , während er sich über den Tisch hin vorbeugte : » Nicht wahr , Herr von Gordon , Sie sind ein Sohn des Generals ? « » Nein , mein Herr Oberst , auch kaum verwandt , denn ich bin eigentlich ein Leslie . Der Name Gordon ist erst durch Adoption in unsere Familie gekommen . « » Und stehen in welchem Regiment ? « » In keinem , Herr Oberst . Ich habe den Dienst quittiert . « » Ah « , sagte der Oberst , und eine Pause folgte , die zum zweiten Male verhängnisvoll werden zu wollen schien . Aber die Gefahr ging glücklich vorüber , und St. Arnaud , der sonst wenig sprach , fuhr mit einem für seinen Charakter überraschend artigen Entgegenkommen fort : » Und Sie sind schon längere Zeit hier , Herr von Gordon ? Und vielleicht zur Kur ? « » Seit einer Woche , mein Herr Oberst . Aber nicht eigentlich zur Kur . Ich will ausruhen und eine gute Luft atmen und nebenher auch Plätze wiedersehen , die mir aus meiner Kindheit her teuer sind . Ich war , eh ich in die Armee trat , oft im Harz und darf sagen , daß ich ihn kenne . « » Da bitt ich , daß wir uns vorkommendenfalls an Ihren guten Rat und Ihre Hülfe wenden dürfen . Wir gedenken nämlich , sobald es das Befinden meiner Frau zuläßt , immer höher in die Berge hinaufzugehen und etwa mit Andreasberg abzuschließen . Es soll dort die beste Luft für Nervenkranke sein . « In diesem Augenblicke präsentierte der Kellner ein Panaché , von dessen Vanillenseite Frau von St. Arnaud nahm und kostete . » Lieber Pierre « , sagte sie dann mit sich rasch belebender Stimme , » du bittest Herrn von Gordon um seinen Beistand und verscheuchst ihn im selben Augenblick aus unserer Nähe . Denn was ist lästiger als Rücksichten auf eine kranke Frau nehmen ? Aber erschrecken Sie nicht , Herr von Gordon , wir werden Ihre Güte nicht mißbrauchen , wenigstens nicht ich . Sie sind zweifellos ein Bergsteiger , also enragiert für große Partien , während ich vorhabe , mir , noch auf Wochen hin , an unserem Balkon und der Parkwiese genügen zu lassen . « Das Gespräch setzte sich fort und ward erst unterbrochen , als der an der unteren Tafel inzwischen erschienene Champagner mit allem Zeremoniell geöffnet wurde . Der Pfropfen flog in die Höh , und während der jüngere die Gläser füllte , musterte der ältere die Marke , selbstverständlich nur , um Gelegenheit zum Vortrage einiger Champagner-Anekdoten zu finden , die sämtlich , um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen , auf » Wirt und Hotel-Entlarvung auf dem Pfropfenwege « hinausliefen – alles übrigens in bester Laune , die sich nicht bloß seiner nächsten Umgebung , sondern so ziemlich der ganzen Tafel mitteilte . Zehn Minuten danach erhob man sich und verließ in Gruppen den Eßsaal . Auch die Berliner gingen den Korridor hinunter , machten aber an einem Fenstertischchen halt , auf dem das Fremdenbuch aufgeschlagen lag , und begannen darin zu blättern . Ah , hier . Das is er : Gordon-Leslie , Zivilingenieur . « » Gordon-Leslie ! « wiederholte der andere . » Das ist ja der reine › Wallensteins Tod ‹ ! « » Wahrhaftig , fehlt bloß noch Oberst Buttler . « » Na , höre , der alte ... « » Meinst du ? « » Freilich , mein ich . Sieh dir 'n mal an . Wenn der erst anfängt ... « » Höre , das wär famos ; da könnt man am Ende noch was erleben . « Und damit gingen sie weiter und auf ihr Zimmer zu , » um sich hier « , wie sich der ältere ausdrückte , » inwendig ein bißchen zu besehn . « Fünftes Kapitel Gleich nach Aufhebung der Tafel war zwischen den St. Arnauds und ihrem neuen Bekannten und Tisch-vis-à-vis ein Nachmittagsspaziergang auf die Roßtrappe hinauf verabredet worden , und um vier Uhr traf man sich unter der großen Parkplatane , wo Gordon dann sofort auch , aber doch erst , nachdem er seine Dispositionen gehorsamst unterbreitet hatte , die Führung übernahm . Die gnädige Frau , so waren seine Worte gewesen , möge nicht erschrecken , wenn er , statt des sehr steilen nächsten Weges , einen Umweg vorschlage , der sich nicht bloß durch das , was er habe ( darunter die schönsten Durchblicke ) , sondern viel , viel mehr noch durch das , was er nicht habe , höchst vorteilhaft auszeichne . Die sonst üblichen Begleitstücke harzischer Promenadenwege : Hütten , Kinder und aufgehängte Wäsche , kämen nämlich in Wegfall . Cécile gab in guter Laune die Versicherung , lange genug verheiratet zu sein , um auch in kleinen Dingen Gehorsam und Unterordnung zu kennen ; am wenigsten aber werde sie sich gegen Herrn von Gordon auflehnen , der den Eindruck mache , wie zum Führer und Pfadfinder geboren zu sein . Bedanken Sie sich « , lachte der Oberst . » Reminiszenz aus › Lederstrumpf ‹ . « Gordon war nicht angenehm von einem Scherze berührt , dessen Spott sich ebenso gegen ihn wie gegen Cécile richten konnte , verwand den Eindruck aber schnell und nahm das Shawltuch , das die schöne Frau bis dahin über dem Arm getragen hatte . Dann wies er auf einen einigermaßen schattigen , am Parkende gelegenen Steinweg hin und führte , diesen einschlagend , das St. Arnaudsche Paar , an Buden und Sommerhäusern vorüber , auf das benachbarte Hubertusbad zu , von dem aus er den Aufstieg auf die Roßtrappe bewerkstelligen wollte . Von beiden Seiten trat das Laubholz dicht heran , aber auch freiere Plätze kamen , auf deren einem eine von einem vergoldeten Drahtgitter eingefaßte , mit wildem Wein und Efeu dicht überwachsene Villa lag . Nichts regte sich in dem Hause , nur die Gardinen bauschten überall , wo die Fenster aufstanden , im Zugwind hin und her , und man hätte den Eindruck einer absolut unbewohnten Stätte gehabt , wenn nicht ein prächtiger Pfau gewesen wäre , der , von seiner hohen Stange herab , über den meist mit Rittersporn und Brennender Liebe bepflanzten Vorgarten hin , in übermütigem und herausforderndem Tone kreischte . Cécile blieb betroffen stehen und wandte sich dann zu Gordon , der den ganzen Umweg vielleicht nur um dieser Stelle willen gemacht hatte . » Wie zauberhaft « , sagte sie . » Das ist ja das › ver wunschene Schloß ‹ im Märchen . Und so still und lauschig . Wirkt es nicht , als wohne der Friede darin oder , was dasselbe sagt : das Glück . « » Und doch haben beide keine Stätte hier gefunden , und ich gehe täglich an diesem Hause vorüber und hole mir eine Predigt . « » Und welche ? « » Die , daß man darauf verzichten soll , ein Idyll oder gar ein Glück von außen her aufbauen zu wollen . Der , der dies schuf , hatte dergleichen im Sinn . Aber er ist über die bloße Kulisse nicht hinausgekommen , und was dahinter für ihn lauerte , war weder Friede noch Glück . Es geht ein finsterer Geist durch dieses Haus , und sein letzter Bewohner erschoß sich hier , an dem Fenster da ( das vorletzte links ) , und wenn ich so hinseh , ist mir immer , als säh er noch heraus und suche nach dem Glücke , das er nicht finden konnte . Plätze , daran Blut klebt , erfüllen mich mit Grauen . « Es war , als ob Gordon auf ein Wort der Zustimmung gewartet hätte . Dies Wort blieb aber aus , und Cécile zählte nur die Maschen des vor ihr ausgespannten Drahtgitters , während der Oberst sein Lorgnon nahm und die Fenster mit einer Art ruhiger Neugier musterte . Dann , ohne daß weiter ein Wort gesprochen worden wäre , schritt man dem Schlängelwege zu , der auf die Roßtrappe hinaufführte . Sechstes Kapitel Die Bahnhofsuhr unten in Thale schlug eben fünf , als das St. Arnaudsche Paar und Gordon bis auf wenige Schritt an den Felsenvorsprung mit dem › Hotel zur Roßtrappe ‹ heran waren und im selben Augenblicke wahrnahmen , daß viele der Gäste , mit denen sie die Table d'hôte geteilt hatten , ebenfalls hier oben erschienen waren , um an diesem bevorzugten Aussichtspunkte ihren Kaffee zu nehmen . Einige , darunter auch die beiden Herren in Graubraun ( und an einem Nachbartische der Emeritus und der Langhaarige ) , saßen , paar- und gruppenweis , unter einem von Pfeifenkraut überwachsenen Zeltschuppen und sahen in die reiche Landschaft hinein , aus der , in nächster Nähe , die pittoresken Gebilde der Teufelsmauer und weiter zurück die Quedlinburger und Halberstädter Turmspitzen aufragten . Alles , was unter dem Zeltschuppen und zum Teil auch in Front desselben saß , war heiter und guter Dinge , voran die beiden Berliner , deren Diner-Stimmung sich , unter dem Einfluß einiger Kaffee-Cognacs , eher gesteigert als gemindert hatte . » Da sind sie wieder « , sagte der ältere , während er auf das St. Arnaudsche Paar und den unmittelbar folgenden Gordon zeigte : » Sieh nur , schon den Shawl überm Arm . Der fackelt nicht lange . Was du tun willst , tue bald . Ich wundre mich nur , daß der Alte ... « Seine Neigung , in diesem Gesprächstone fortzufahren , war unverkennbar ; er brach aber ab , weil die , denen diese Bemerkungen galten , mittlerweile ganz in ihrer Nähe Platz genommen hatten , und zwar an einem unmittelbar am Abhange stehenden Tische , neben dem auch ein Teleskop für das schaulustige Publikum aufgestellt war . Eine junge , freilich nicht allzu junge , mit Skizzierung der Landschaft beschäftigte Dame saß schon vorher an dieser Stelle , was den Obersten , als er seinen Stuhl heranschob , zu den Worten veranlaßte : » Pardon , wenn wir lästig fallen . Aber alle Tische sind besetzt , mein gnädiges Fräulein , und der Ihrige genießt außerdem des Vorzugs , der landschaftlich anziehendste zu sein . « » Das ist er « , sagte die Dame rasch und mit ungewöhnlicher Unbefangenheit , während sie das Blatt , an dem sie bis dahin gezeichnet , in die Mappe schob . » Ich ziehe diese Stelle jeder andern vor , auch der eigentlichen Roßtrappe . Dort ist alles Kessel , Eingeschlossenheit und Enge , hier ist alles Weitblick . Und Weitblicke machen einem die Seele weit und sind recht eigentlich meine Passion in Natur und Kunst . « Der Oberst , den das frank und freie Wesen der jungen Dame sichtlich anmutete , beeilte sich , sich und seine Begleitung vorzustellen , und fuhr dann fort : » Ich hoffe , meine Gnädigste , daß wir nicht zu sehr als eine Störung empfunden werden . Sie schoben das Blatt in die Mappe ... « » Nur weil es beendet war , nicht um es Ihren Augen zu entziehen . Ich mißbillige diese Kunstprüderie , die doch meistens nur Hochmut ist . Die Kunst soll die Menschen erfreuen , immer da sein , wo sie gerufen wird , aber sich nicht wie die Schnecke furchtsam oder gar vornehm in ihr Haus zurückziehen . Am schrecklichsten sind die Klaviervirtuosen , die zwölf Stunden lang spielen , wenn man sie nicht hören will , und nie spielen , wenn man sie hören will . Das Verlangen nach einem Walzer ist ihnen die tödlichste der Beleidigungen , und doch ist ein Walzer etwas Hübsches und wohl des Entgegenkommens wert . Denn er macht ein Dutzend Menschen auf eine Stunde glücklich . « Ein herantretender und nach den Befehlen der neuen Gäste fragender Kellner unterbrach hier auf Augenblicke das Gespräch , aber es wurde rasch wieder aufgenommen und führte , nach einer kleinen Weile schon , zur Durchsicht der bereits die verschiedensten Blätter enthaltenden Mappe . Cécile war entzückt , verklagte sich ihrer argen Talentlosigkeit halber , unter der sie zeitlebens gelitten , und tat freundliche , wohlgemeinte Fragen , die reizend gewesen wären , wenn sich nicht , bei mancher überraschenden Kenntnis im einzelnen , im ganzen genommen eine noch verwunderlichere Summe von Nicht-Wissen darin ausgesprochen hätte . Sie selber schien aber kein Gewicht darauf zu legen und übersah ein nervöses Zucken , das bei der einen oder anderen dieser Fragen um den Mund ihres Gatten spielte . Gordon , selber ein guter Zeichner und speziell von einem für landschaftliche Dinge geübten Auge , hatte hier und da Bedenken und gab ihnen , wenn auch unter den artigsten Entschuldigungen , Ausdruck . » Oh , nur das nicht « , sagte die junge Dame . » Nur keine Entschuldigungen . Nichts schrecklicher als totes Lob ; ein verständiger und liebevoller Tadel ist das Beste , was ein Künstlerohr vernehmen kann . Aber sehen Sie das hier ; das ist besser . « Und sie zog unter den Blättern eines hervor , das eine Wiese mit Brunnentrog und an dem Trog ein paar Kühe zeigte . » Das ist schön « , sagte Gordon , während die beständig auf Ähnlichkeiten ausgehende Cécile durchaus eine Wiese , die man vorher passiert hatte , darin wiedererkennen wollte . Die junge Malerin überhörte diese Bemerkungen aber und fuhr , während sie Gordon ein zweites Blatt zuschob , in immer lebhafterem Tone fort : » Und hier sehen Sie , was ich kann und nicht kann . Ich bin nämlich , um es rundheraus zu sagen , eine Tiermalerin . « » Ah , das ist ja reizend « , sagte Cécile . » Doch nicht , meine gnädigste Frau , wenigstens nicht so bedingungslos , wie Sie gütigst anzunehmen scheinen . Eine Dame soll Blumenmalerin sein , aber nicht Tiermalerin . So fordert es die Welt , der Anstand , die Sitte . Tiermalerin ist an der Grenze des Unerlaubten . Es gibt da so viele intrikate Dinge . Glauben Sie mir , Tiere malen aus Beruf oder Neigung ist ein Schicksal . Und wer den Schaden hat , darf für den Spott nicht sorgen . Denn zum Überfluß heiße ich auch noch Rosa , was in meinem speziellen Falle nicht mehr und nicht weniger als eine Kalamität ist . « » Und warum das ? « fragte Cécile . » Weil mich , auf diesen Namen hin , die Neidteufelei der Kollegen in Gegensatz bringt zu meiner berühmten Namensschwester . Und so nennen sie mich denn Rosa Malheur . « Cécile verstand nicht . Gordon aber erheiterte sich und sagte : » Das ist allerliebst , und ich müßte mich ganz in Ihnen irren , wenn Sie diese Namensgebung auch nur einen Augenblick ernstlich verdrösse . « » Tut es auch nicht « , lachte jetzt das Fräulein , das eigentlich stolz auf den Spitznamen war , den man ihr gegeben hatte . » Man kommt darüber hin . Und Spielverderberei gehört ohnehin nicht zu meinen Tugenden . « In diesem Augenblick erschien der Kellner mit einem tassenklirrenden Tablett , und während er die Serviette zu legen und den Tisch zu arrangieren begann , hörte man , bei der eingetretenen Gesprächspause , beinah jedes Wort , das unter dem Zeltschuppen , und zwar an dem zunächststehenden Tische , gesprochen wurde . » Darin « , sagte der Langhaarige , dessen Botanisiertrommel trophäenartig an einem Balkenhaken hing , » darin , mein sehr verehrter Herr Emeritus , muß ich Ihnen durchaus widersprechen . Es ist ein Irrtum , alles in unserer Geschichte von den Hohenzollern herleiten zu wollen . Die Hohenzollern haben das Werk nur weitergeführt , die Begründer aber sind die halb vergessenen und eines dankbaren Gedächtnisses doch so würdigen Askanier . Ein oberflächlicher Geschichtsunterricht , der beiläufig die Hauptschuld an dem pietäts- und vaterlandslosen Nihilismus unserer Tage trägt , begnügt sich , wenn von den Askaniern die Rede ist , in der Regel mit zwei Namen , mit Albrecht dem Bären und Waldemar dem Großen , und wenn der Herr Lehrer ein wenig ästhetisiert ( ich hasse das Ästhetisieren in der Wissenschaft ) , so spricht er auch wohl von Otto mit dem Pfeil und der schönen Heilwig und dem Schatz in Angermünde . Nun ja , das mag gehen ; aber das alles sind , wenn nicht Allotria , so doch bloße Kosthäppchen . In Wahrheit liegt es so , daß sie , die Askanier , trotz einiger sonderbarer Beinamen und Bezeichnungen , die , wie gern zugestanden werden mag , den Scherz oder einen billigen Witz herausfordern , samt und sonders bedeutend waren . Ich sage , gern zugestanden . Aber andrerseits muß ich doch sagen dürfen , wohin kommen wir , mein Herr Emeritus , wenn wir die Bedeutung der Menschen nach ihren Namen abschätzen wollen ? Ist Klopstock ein Dichtername ? Vermutet man in Griepenkerl einen Dramatiker oder in Bengel einen berühmten Theologen ? Oder gar in Ledderhose ? Wir müssen uns frei machen von solchen Albernheiten . « An einer lebhaften Bewegung seiner Lippen ließ sich erkennen , daß der Emeritus emsig dabei war , dem Manne des historischen Essays mit gleicher Münze heimzuzahlen , da seine Pensionierung aber , auf Antrag seiner ihn sonst verehrenden Gemeinde , vor zehn Jahren schon , und zwar » um Mümmelns willen « , erfolgt war , so war an ein Verstehen dessen , was er sagte , gar nicht zu denken , während das , was in eben diesem Augenblick an dem berlinischen Nachbartisch gesprochen wurde , desto deutlicher herüberschallte . » Sieh nur « , sagte der ältere . » Die beiden Türme da . Der nächste , das muß der Quedlinburger sein , das ist klar , das kann ' ne alte Frau mit 'm Stock fühlen . Aber der dahinter , der sich so retiré hält ! Ob es der Halberstädter ist ? Es muß der Halberstädter sein . Was meinst du , wollen wir 'n mal ein bißchen ranholen ? « » Gewiß . Aber womit ? « » Na , mit 's Perspektiv . Sieh doch den Opernkucker da . « » Wahrhaftig . Und auf 'ner Lafette . Komm . « Und so weitersprechend , erhoben sie sich und gingen auf das Teleskop zu . » Berliner « , flüsterte Rosa leise zu Gordon hinüber und rückte mehr seitwärts . Aber sie gewann wenig durch diese Retraite , denn die Stimmen der jetzt abwechselnd in das Glas hineinschauenden beiden Freunde waren von solcher Berliner Schärfe , daß kein Wort von ihrer Unterhaltung verlorenging . » Nu ? hast du 'n ? « » Ja . Haben hab ich ihn . Und er kommt auch immer näher . Aber er wackelt so . « » Denkt nicht dran . Weißt du , wer wackelt ? Du . « » Noch nich . « » Aber bald . « Und damit traten sie von dem Teleskop wieder unter die Halle zurück , wo sie sich nunmehr rasch zum Weitermarsch auf die eigentliche Roßtrappe hin fertigmachten . Als sie fort waren , sagte Rosa : » Gott sei Dank . Ich ängstige mich immer so . « » Warum ? « » Weil meine lieben Landsleute so sonderbar sind . « » Ja sonderbar sind sie « , lachte Gordon . » Aber nie schlimm . Oder sie müßten sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert haben . « So plaudernd , wurde das Durchblättern der Mappe fortgesetzt , freilich unter sehr verschiedener Anteilnahme . Der Oberst , ohne recht hinzublicken , beschränkte sich auf einige wenige , bei solcher Gelegenheit immer wiederkehrende Bewunderungslaute , während Cécile zwar hinsah , aber doch vorwiegend mit einem schönen Neufundländer spielte , der , von › Hotel Zehnpfund ‹ her , der schönen Frau gefolgt war und , seinen Kopf in ihren Schoß legend , mit unerschüttertem und beinah zärtlichem Vertrauensausdruck auf die Zuckerstücke wartete , die sie ihm zuwarf . Nur Gordon war bei der Sache , machte Bemerkungen , die zwischen Ernst und Scherz die Mitte hielten , und sagte , als ein Blatt kam , das ein aus vielen Feldsteinen aufgebautes Grabmal darstellte : » Pardon , ist das Absicht oder Zufall ? Einige der Steine haben eine Totenkopfphysiognomie . Wahrhaftig , man weiß nicht , ist es ein Steinkegel oder eine Schädelstätte ? « Rosa lachte . » Sie haben die Bilder von Wereschagin gesehen ? « » Freilich . Aber nur die Skizzen . « » In Paris ? « » Nein , in Samarkand . Und dann später eine größere Zahl in Plewna . « » Sie scherzen . Plewna , das möchte gehn , das glaub ich Ihnen . Aber Samarkand ! Ich bitte Sie , Samarkand ist doch eigentlich bloß Märchen . « » Oder schreckliche Wirklichkeit « , erwiderte Gordon . » Entsinnen Sie sich der samarkandischen Tempeltüren ? « » O gewiß . Eine Perle . « » Zugestanden . Aber haben Sie nebenher auch die Tempelwächter mit Pfeil und Bogen in Erinnerung , die , der seltsam kriegerischsten Beschäftigung hingegeben ( da , wo sich Krieg und Jagd berühren ) , in Front dieser berühmten Tempeltüren hockten ? Ach , meine Gnädigste , glauben Sie mir , die Vorzüge jener Gegenden sind überaus zweifelhafter Natur , und ich bin alles in allem entschieden für Berlin mit einer ›Lohengrin‹- Aufführung und einem Souper bei Hiller . › Lohengrin ‹ ist phantastischer und Hiller appetitlicher . Und auch das letztere bedeutet viel , sehr viel . Namentlich auf die Dauer . « Der Oberst nickte zustimmend , die Malerin aber wollte sich nicht gleich und jedenfalls nicht in allen Stücken gefangengeben und fuhr deshalb fort : » Es mag sein . Aber eines bleibt , die großartige Tierwelt : der Steppenwolf , der Steppengeier . « » Im ganzen werden Sie die Bekanntschaft dieser liebenswürdigen Geschöpfe Gottes im Berliner Zoologischen sichrer und kopierbarer machen als an Ort und Stelle . Die Wahrheit zu gestehen , ich habe , während meines Trienniums in der Steppe , keinen einzigen Steppengeier gesehen und sicherlich keinen , der sich so gut ausgenommen hätte wie der da . Freilich kein Geier . Sehen Sie , meine Gnädigste , da zwischen den Klippen . « Und er wies auf einen Habicht , der sich , am Eingange der Schlucht , hoch in Lüften wiegte . Rosa sah dem Fluge nach und bemerkte dann : » Er fliegt offenbar nach dem Hexentanzplatz hin . « » Gewiß « , sagte Cécile , von Herzen froh , daß endlich ein Wort gefallen war , das sie der unheilvollen Mappe samt daran anknüpfenden kunstästhetischen oder gar erdbeschreiblichen Betrachtungen entzog . » Nach dem Hexentanzplatz ! Ich höre das Wort immer wieder und wieder ; heute schon zum dritten Male . « » Was einer Mahnung , ihn zu besuchen , gleichkommt , meine gnädigste Frau . Wirklich , wir werden ihn über kurz oder lang sehen müssen , das schulden wir einem Harzaufenthalte . Denn allerorten , wo man sich aufhält , hat man eine Art Pflicht , das Charakteristische der Gegend kennenzulernen , in Samarkand « ( und er verbeugte sich gegen Rosa ) » die Tempeltüren und ihre Wächter , in der Wüste den Wüstenkönig und im Harze die Hexen . Die Hexen sind hier nämlich Landesprodukt und wachsen wie der rote Fingerhut überall auf den Bergen umher . Auf Schritt und Tritt begegnet man ihnen , und wenn man fertig zu sein glaubt , fängt es erst recht eigentlich an . Zuletzt kommt nämlich der Brocken , der in seinem Namen zwar alle hexlichen Beziehungen verschweigt , aber doch immer der eigentlichste Hexentanzplatz bleibt . Da sind sie zu Haus , das ist ihr Ur- und Quellgebiet . Allen Ernstes , die Landschaft ist hier so gesättigt mit derlei Stoff , daß die Sache schließlich eine reelle Gewalt über uns gewinnt , und was mich persönlich angeht , nun , so darf ich nicht verschweigen : als ich neulich , die Mondsichel am Himmel , das im Schatten liegende Bodetal passierte , war mir's , als ob hinter jedem Erlenstamm eine Hexe hervorsähe . « » Hübsch oder häßlich ? « fragte Rosa . » Nehmen Sie sich in acht , Herr von Gordon . In Ihrem Hexenspuk spukt etwas vor . Das sind die inneren Stimmen . « » Oh , Sie wollen mir bange machen . Aber Sie vergessen , meine Gnädigste , wo das Übel liegt , liegt in der Regel auch die Heilung , und ich kenne Gott sei Dank kein Stück Land , wo , bei drohendsten Gefahren , zugleich soviel Rettungen vorkämen wie gerade hier . Und immer siegt die Tugend , und der Böse hat das Nachsehen . Sie werden vielleicht vom › Mägdesprung ‹ gehört haben ? Aber wozu so weit in die Ferne schweifen ! Eben hier , in unsrer nächsten Nähe , haben wir ein solches Rettungsterrain , eine solche beglaubigte Zufluchtsstätte . Sehen Sie dort « ( und er wandte sich nach rückwärts ) » den Roßtrapp-Felsen ? Die Geschichte seines Namens wird Ihnen kein Geheimnis sein . Eine tugendhafte Prinzessin zu Pferde , von einem dito berittenen , aber untugendhaften Ritter verfolgt , setzte voll Todesangst über das Bodetal fort , und siehe da , wo sie glücklich landete , wo der Pferdehuf aufschlug , haben wir die Roßtrappe . Sie sehen an diesem einen Beispiele , wie recht ich mit meinem Satze hatte : wo die Gefahr liegt , liegt auch die Rettung . « » Ich kann Ihr Beispiel nicht gelten lassen « , lachte Rosa . » Zum mindesten beweist es ein gut Teil weniger , als Sie glauben . Es macht eben einen Unterschied , ob ein gefährlicher Ritter eine schöne Prinzessin oder ob umgekehrt eine gefährlich-schöne Prinzessin ... « » Was dem einen recht ist , ist dem andern billig . « » Oh , nicht doch , Herr von Gordon , nicht doch . Einem armen Mädchen , Prinzessin oder nicht , wird immer geholfen , da tut der Himmel seine Wunder , interveniert in Gnaden und trägt das Roß , als ob es ein Flügelroß wäre , glücklich über das Bodetal hin . Aber wenn ein Ritter und Kavalier von einer gefährlich-schönen Prinzessin oder auch nur von einer gefährlich-schönen Hexe , was mitunter zusammenfällt , verfolgt wird , da tut der Himmel gar nichts und ruft nur sein aide toi même herunter . Und hat auch recht . Denn die Kavaliere gehören zum starken Geschlecht und haben die Pflicht , sich selber zu helfen . « St . Arnaud applaudierte der Malerin , und selbst Cécile , die , beim Beginn des Wortgefechts , ein leises Unbehagen nicht unterdrücken konnte , hatte sich , als ihr das harmlos Unbeabsichtigte dieser kleinen Pikanterien zur Gewißheit geworden war , ihrer allerbesten Laune rückhaltslos hingegeben . Selbst der säuerlich schlechte Kaffee , mit der allerorten im Harz als Sahne geltenden häßlichen Milchhaut , erwies sich außerstande , diese gute Laune zu verscheuchen , und bestimmte sie nur , behufs leidlicher Balancierung des Übels , um Sodawasser zu bitten , was freilich , weil es multrig war , seines Zweckes ebenfalls verfehlte . » Die Roßtrappen-Prinzessin « , sagte der Oberst , » wenn sie sich nach dem Sprunge hat restaurieren wollen , hat es hoffentlich besser getroffen als wir . Aber « ( und er verneigte sich bei diesen Worten gegen Rosa ) » wir haben dafür etwas anderes vor ihr voraus , eine liebenswürdige Bekanntschaft , die wir anknüpfen durften . « » Und die sich hoffentlich fortsetzt « , fügte Cécile mit großer Freundlichkeit hinzu . » Dürfen wir hoffen , Sie morgen an der Table d'hôte zu treffen ? « » Ich habe vor , meine gnädigste Frau , mich morgen in Quedlinburg umzutun , und möchte mein Reiseprogramm gern innehalten . Aber es würde mich glücklich machen , mich Ihnen für diesen Nachmittag anschließen zu dürfen und dann später vielleicht auf dem Heimwege . « Dieser Heimweg wurde denn auch bald danach beschlossen , und zwar über die sogenannte » Schurre « hin , bei welcher Gelegenheit man den eigentlichen Roßtrappe-Felsen , also die Hauptsehenswürdigkeit der Gegend , mit in Augenschein nehmen wollte . » Werden auch deine Nerven ausreichen ? « fragte der Oberst , » oder nehmen wir lieber einen Tragstuhl ? Der Weg bis zur Roßtrappe mag gehen . Aber hinterher die Schurre ? Der Abstieg ist etwas steil und fährt in Kreuz und Rücken , oder um mich wissenschaftlicher auszudrücken , in die Vertebrallinie . « Der schönen Frau blasses Gesicht wurde rot , und Gordon sah deutlich , daß es sie peinlich berührte , den Schwächezustand ihres Körpers mit solchem Lokaldetail behandelt zu sehen . Sie begriff St. Arnaud nicht , er war sonst so diskret . Aber sich bezwingend , sagte sie : » Nur nicht getragen werden , Pierre ; das ist für Sterbende . Gott sei Dank , ich habe mich erholt und empfinde , mit jeder Stunde mehr , den wohltätigen Einfluß dieser Luft ... Ich glaube Sie beruhigen zu können « , setzte sie lächelnd gegen Gordon gewandt hinzu . So brach man denn auf und erreichte zunächst die Roßtrappe , die berühmte Felsenpartie , wo ganze Gruppen von Personen , aber auch einzelne , vor einer Erfrischungsbude standen und unter Lachen und Plaudern das Echo weckten – die meisten ein Seidel , andere , die dem Selbstbräu mißtrauten , einen Cognac in der Hand . Unter diesen waren auch unsere Berliner , die sich , als sich ihnen erst St. Arnaud mit der Malerin und dann Gordon mit der gnädigen Frau von der Seite her genähert hatten , anscheinend respektvoll zurückzogen , aber nur um gleich danach ihrem Herzen in desto ungenierterer Weise Luft zu machen . » Sieh die Große « , sagte der ältere . » Pompöse Figur . « » Ja ; bißchen zu sehr Caroline Plättbrett . « » Tut mir nichts . « » Mir aber . Übrigens darum keine Feindschaft nich . Chacun à son goût . Und nun sage mir , wen lassen wir leben , den Stöpsel oder die Stricknadel ? « » Ich denke Berlin . « » Das is recht . « Und erfreut über das Aufsehen , das sie durch ihre vorgeschrittene Heiterkeit machten , stießen sie mit den Cognacgläschen zusammen . Siebentes Kapitel Gordon bot Cécile den Arm und führte sie so geschickt bergab , daß die gefürchtete » Schurre « nicht nur ohne Beschwerde , sondern sogar unter Scherz und Lachen passiert wurde , wobei die schöne Frau mehr als einmal durch einen Anflug kleinen Übermuts überraschte . St. Arnaud , müssen Sie wissen , macht sich gelegentlich interessant mit meinen Nerven , was er besser mir selber überließe . Das ist Frauensache . Gleichviel indes , ich werd ihn in Erstaunen setzen . « Und wirklich , ehe noch das Hotel erreicht war , war auch schon eine von St. Arnaud gutgeheißene Verabredung getroffen , die Malerin am folgenden Tage nach Quedlinburg begleiten zu wollen . Cécile selbst hatte den Vorschlag dazu gemacht . Ja , die nervenkranke Frau , die von ihrer Krankheit , und vor allem von einer Spezialisierung derselben , deren St. Arnaud sich schuldig gemacht hatte , nicht hören wollte , hatte sich tapfer gehalten ; nichtsdestoweniger rächte sich , als sie wieder auf ihrem Zimmer war , das Maß von Überanstrengung , und ihren Hut beiseite werfend , streckte sie sich auf eine Chaiselongue , nicht schlaf- , aber ruhebedürftig . Als sie sich wieder erhob , fragte St. Arnaud » ob man das Souper auf dem großen Balkon nehmen wolle ? « Cécile war aber dagegen und sprach den Wunsch aus , daß man allein bleibe . Der Kellner brachte denn auch eine Viertelstunde später das Teezeug und schob den Tisch an das offene Fenster , vor dem , weit drüben und zu Häupten der Berge , die Mondsichel leuchtete . Hier saßen sie schweigend eine Weile . Dann sagte Cécile : » Was war das mit dem Spottnamen , dessen das Fräulein heute nachmittag erwähnte ? « » Du hast nie von Rosa Bonheur gehört ? « » Nein . « St . Arnaud lächelte vor sich hin . » Ist es etwas , das man wissen muß ? « » Je nachdem . Meinem persönlichen Geschmacke nach brauchen Damen überhaupt nichts zu wissen . Und jedenfalls lieber zuwenig als zuviel . Aber die Welt ist nun mal , wie sie ist , auch in diesem Stück , und verlangt , daß man dies und jenes wenigstens dem Namen nach kenne . « » Du weißt ... « Ich weiß alles . Und wenn ich dich so vor mir sehe , so gehörst du zu denen , die sich's schenken können ... Bitte , noch eine halbe Tasse ... Dich zu sehen ist eine Freude . Ja , lache nur ; ich hab es gern , wenn du lachst . . . Also lassen wir das dumme Wissen . Und doch wär es gut , du könntest dich etwas mehr kümmern um diese Dinge , vor allem mehr sehen , mehr lesen . « » Ich lese viel . « » Aber nicht das Rechte . Da hab ich neulich einen Blick auf deinen Bücherschrank geworfen und war halb erschrocken über das , was ich da vorfand . Erst ein gelber französischer Roman . Nun , das möchte gehen . Aber daneben lag : › Ehrenström , ein Lebensbild , oder die separatistische Bewegung in der Uckermark ‹ . Was soll das ? Es ist zum Lachen und bare Traktätchenliteratur . Die bringt dich nicht weiter . Ob deine Seele Fortschritte dabei macht , weiß ich nicht ; nehmen wir an › ja ‹ , so fraglich es mir ist . Aber was hast du gesellschaftlich von Ehrenström ? Ehrenström mag ein ausgezeichneter Mann gewesen sein , ich glaub es sogar aufrichtig und gönn ihm seinen Platz in Abrahams Schoß , aber für die Kreise , darin wir leben oder doch wenigstens leben sollten , für die Kreise bedeutet Ehrenström nichts , Rosa Bonheur aber sehr viel . « Sie nickte zustimmend und abgespannt , wie fast immer , wenn irgend etwas , das nicht direkt mit ihrer Person oder ihren Neigungen zusammenhing , eingehender besprochen wurde . Sie wechselte deshalb rasch den Gesprächsgegenstand und sagte : » Gewiß , gewiß , es wird so sein . Fräulein Rosa scheint übrigens ein gutes Kind und dabei heiter . Vielleicht ein wenig mit Absicht . Denn die Männer lieben Heiterkeit , und Herr von Gordon wird alles , nur keine Ausnahme sein . Es schien mir vielmehr , als ob er sich für das plauderhafte Fräulein interessiere . « » Nein , es schien mir umgekehrt , als ob er sich für die Dame interessiere , die wenig sprach und viel schwieg , wenigstens solange wir oben auf der Roßtrappe waren . Und ich kenne wen , dem es auch so schien und der es noch besser weiß als ich . « Glaubst du ? « sagte Cécile , deren Züge sich plötzlich belebten , denn sie hatte nun gehört , was sie hören wollte . » Wie spät mag es sein ? Ich bin angegriffen . Aber bringe noch ein Kissen , eine Rolle , daß wir noch einen Augenblick auf das Gebirge sehen und auf das Rauschen der Bode hören . Ist es nicht die Bode ? « » Freilich . Wir kamen ja durch das Bodetal . Alles Wasser hier herum ist die Bode . « » Wohl , ich entsinne mich . Und wie klar die Sichel da vor uns steht . Das bedeutet schönes Wetter für unsre Partie . Herr von Gordon ist ein vorzüglicher Reisemarschall . Er spricht nur zuviel über Dinge , die nicht jeden interessieren , über Steppenwolf und Steppengeier und , was noch schlimmer ist , über Bilder von unbekannten Meistern . Ich kann Bildergespräche nicht leiden . « » Ah , Cécile « , lachte St. Arnaud , » wie du dich verrätst ! Ich glaube gar , du verlangst , er soll , als ob er noch in Indien wäre , den Säulenheiligen spielen und zehn Jahre lang nichts als deinen Namen sprechen . Es erheitert mich . Eifersüchtig . Und eifersüchtig auf wen ? « Und nun kam der andre Tag . Es war eine Früh- oder doch Vormittagspartie , darauf hatte Gordon bestanden , und ehe noch der nach Quedlinburg abdampfende Zug über die letzten Dorf-Villen und die schöne Blutbuche des am andern Flußufer gelegenen Baron Bucheschen Parkes hinaus war , sagte Cécile , während sie die kleinen Füße gegen den Rücksitz stemmte : » Jetzt aber das Programm , Herr von Gordon . Versteht sich , nicht zu lang , nicht zu viel ! Nicht wahr , Fräulein Rosa ? « Diese stimmte zu , freilich mehr aus Artigkeit als aus Überzeugung , weil sie , nach Art aller Berlinerinnen , am Lerntrieb litt und nie genug hören oder sehen konnte . Gordon gab übrigens die Versichrung , es gnädig machen zu wollen . Es seien vier Dinge da , darum sich 's lediglich handeln könne : das Rathaus , die Kirche , dann das Schloß und endlich der Brühl . Der Brühl ? « sagte Rosa . » Was soll uns der ? Das ist ja die Straße , worin die Pelzhändler wohnen . Wenigstens in Leipzig . « » Aber nicht in Quedlinburg , meine Gnädigste . Der Quedlinburger Brühl gibt sich ästhetischer und ist ein Tiergarten oder ein Bois de Boulogne mit schönen Bäumen und allerlei Bild- und Bauwerken . Carl Ritter , der berühmte Geograph , hat ein gußeisernes Denkmal darin und Klopstock ein Tempelchen mit Büste . Beide waren nämlich geborne Quedlinburger . « » Also nach dem Brühl « , seufzte Cécile , die nicht den geringsten Sinn für Tempelchen und gußeiserne Monumente hatte . » Nach dem Brühl . Ist es weit von der Stadt ? « » Nein , meine gnädigste Frau , nicht weit . Aber weit oder nicht , wir können ihn fallenlassen , ich meine den Brühl , und auch das Rathaus , trotz seines steinernen Rolands und seines aus Brettern zusammengeschlagenen großen Kastens mit Vorlegeschloß , darin der Regensteiner , natürlich ein Buschklepper oder dergleichen , eine hübsche Weile gefangensaß . « » Mit Vorlegeschloß « , wiederholte Cécile neugierig , die sich für den Regensteiner augenscheinlich mehr als für Klopstock interessierte . » Mit Vorlegeschloß . War es ein großer Kasten , darin man ihn einsperrte ? « » Nicht viel größer als eine Apfelkiste , weshalb mir auch , bei seinem Anblick , diese bevorzugten Versteckplätze meiner Jugend wieder in Erinnerung kamen , mit ihrem Glück und ihrem Grusel . Besonders mit ihrem Grusel . Denn wenn die Krampe zufiel und eingriff , so saß ich allemal voll Todesangst in dem stickigen Kasten , um kein Haarbreit besser als der Regensteiner . Aber der wirkliche Regensteiner ( der übrigens kein Asthmatikus gewesen sein kann ) ließ sich's , trotz Stickigkeit und Enge , nicht anfechten und steckte zwanzig Monate lang in dem Loch , ohne mehr Luft als die , die durch die spärlichen Ritzen eindrang . Und nur dann und wann kamen die Quedlinburger und wohl auch die Quedlinburgerinnen und sahen hinein und grinsten ihn an . « » Und pikten ihn mit ihren Sonnenschirmen . « » Ganz unzweifelhaft , meine gnädigste Frau . Zum mindesten sehr wahrscheinlich . Die Bourgeoisie , die nie tief aus dem Becher der Humanität trank , war gerade damals von einer besondren Abstinenz , und die liberale Geschichtsschreibung , verzeihen Sie diesen Exkurs , meine Gnädigste – greift in nichts so fehl als darin , daß sie den Bürger immer als Lamm und den Edelmann immer als Wolf schildert . › Die Nürnberger henken keinen nich , sie hätten ihn denn zuvor ‹ , und dieser Milde huldigten auch die Quedlinburger . Aber wenn sie den zu Henkenden hatten , henkten sie ihn auch gewiß , und zwar mit allen Schikanen . « St . Arnaud , dem jedes Wort aus der Seele gesprochen war , nickte beifällig und wollte den ihm sympathischen Gegenstand eben mit einigen Bemerkungen seinerseits begleiten , als der Zug hielt und ein paar Coupétüren geöffnet wurden . » Ist dies Quedlinburg ? « fragte Cécile . » Nein , meine gnädigste Frau , dies ist Neinstedt , eine kleine Zwischenstation . Hier ist der Lindenhof , und was dasselbe sagen will , hier wohnen die Nathusiusse . « » Die Nathusiusse ? Wer sind die ? « fragten a tempo beide Damen . » Eine Frage « , lachte Gordon , » die die betreffende Familie sehr übel vermerken würde . Die gnädige Frau , deren Protestantismus mir , Pardon , einigen kleinen Anzeichen nach einigermaßen zweifelhaft erscheint , hat Absolution . Aber Fräulein Rosa , Berlinerin , ah , ah ... « » Keine Reprimande , keine Spöttereien . Einfach Antwort : wer sind die Nathusiusse ? « » Nun denn , die Nathusiusse sind viel und vielerlei ; sie sind , ohne die Frage damit erschöpfen zu wollen , fromme Leute , literarische Leute , landwirtschaftliche Leute , politische Leute . Bücher , Kreuz-Zeitung , Rambouillet-Zucht , alles kommt in der Familie vor , und selbst die Geschichte von der aufgenommenen Stecknadel , die dann schließlich den Aufnehmer zum Millionär umschuf , ist dem Ahnherrn der Nathusiusse nicht erspart geblieben . Aber das bedeutet nichts , das ist eine alte Geschichte , denn in wenigstens sechs großen Städten , in denen ich gelebt habe , kam der Reichtum der Reichsten immer von einer Stecknadel her . Überhaupt sind die besten Geschichten uralt und überall zu Haus , also Welteigentum , und ich habe manche , von denen wir glaubten , daß sie zwischen Havel und Spree das Licht der Welt erblickten oder ohne die Gebrüder Grimm gar nicht existieren würden , in Tibet und am Himalaja wiedergefunden . « Rosa wollte davon nichts wissen und stritt hartnäckig hin und her , bis das abermalige Halten des Zuges allem Streiten ein Ende machte . » Quedlinburg , Quedlinburg ! « Und unsre Reisenden entstiegen ihrem Waggon und sahen dem Zuge nach , der sich , eine Minute später , rasch wieder in Bewegung setzte . Achtes Kapitel Die Sonne brannte heiß auf den Perron nieder , und Cécile , die , nach Art aller Nervösen , sehr empfindlich gegen extreme Temperaturverhältnisse war , suchte nach einer schattigen Stelle , bis Gordon endlich vorschlug , in die große Flurhalle des Bahnhofgebäudes eintreten und hier in aller Ruhe den in der Schwebe gebliebenen Schlachtplan feststellen zu wollen . Das geschah denn auch , und nachdem man , ebenso wie den Brühl , auch noch das Rathaus ohne lange Bedenken gestrichen hatte , kam man überein , sich an Schloß und Kirche genügen zu lassen . Beide , so versicherte Gordon , lägen dicht nebeneinander , und der Weg dahin , wenn man am Außenrande der Stadt bleibe , werde der gnädigen Frau nicht allzu beschwerlich fallen . All das war rasch akzeptiert worden , die Damen nahmen noch ein Himbeerwasser , und eine Minute später schritt man bereits , nach Passierung eines von einer wahren Tropensonne beschienenen Vorplatzes , an der die Stadt in einem Halbbogen umfließenden und an beiden Ufern von prächtig alten Bäumen überschatteten Bode hin . Das Wasser plätscherte neben ihnen , die Lichter hüpften und tanzten um sie her , und mit Hülfe kleiner Brückenstege machte man sich das Vergnügen , die Flußseite zu wechseln , je nachdem hüben oder drüben der kühlere Schatten lag . Es war sehr entzückend , am entzückendsten aber da , wo die bis dicht an die Bode herantretenden Gärten einen Blick auf endlos scheinende Blumenbeete gestatteten , ähnlich jenen draußen vor der Stadt , die schon , während der Eisenbahnfahrt von Berlin bis Thale , Cécile bezaubert hatten . Auch heute wieder konnte sie sich nicht satt sehen an der oft ganze Muster bildenden Blumen- und Farbenpracht und fand es , gegen ihre Gewohnheit , sogar interessant , als Gordon , in allerhand Einzelheiten eingehend , von den zwei großen Gartenfirmen der Stadt sprach , die , mit ihren um die ganze Welt gehenden Quedlinburger Blumensamenpaketen , ein Vermögen erworben und sich den Zucker-Millionären in der Umgegend mindestens gleichgestellt hätten . » Ei , das freut mich . Zucker-Millionäre ! Wie hübsch das klingt . « Und dabei blieb sie stehen und sah , durch ein goldbronziertes Gitter , einen der breiten Gartenstege hinauf . » Das lila Beet da , das sind Levkojen , nicht wahr ? « » Und das rote « , fragte Rosa , » was ist das ? « » Das ist › Brennende Liebe ‹ . « » Mein Gott , so viel . « » Und doch immer noch unter der Nachfrage . Muß ich Ihnen sagen , meine Gnädigste , wie stark der Konsum ist ? « » Ah « , sagte Cécile mit etwas plötzlich Aufleuchtendem in ihrem Auge , das dem sie scharf beobachtenden Gordon nicht entging und ihn , mehr als all seine bisherigen Wahrnehmungen , über ihre ganz auf Huldigung und Pikanterie gestellte Natur aufklärte . Der Eindruck , den er von diesem fein-sinnlichen Wesen hatte , war aber ein angenehmer , ihm überaus sympathischer , und eine lebhafte Teilnahme , darin sich etwas von Wehmut mischte , regte sich plötzlich in seinem Herzen . Von der Stelle , wo man stand , bis zu dem hochgelegenen Stadtteile , der mit Schloß und Kirche das ihm zu Füßen liegende Quedlinburg beherrscht , war nur noch ein kurzer Weg , und ehe man hundert Schritte gemacht hatte , begann bereits die Steigung . Diese selbst war beschwerlich , die malerisch-mittelalterlichen Häuser aber , die , nesterartig , zu beiden Seiten der zur Höhe hinaufführenden Straße klebten , erhielten Cécile bei Mut , und als sie bald danach auf einen von stattlichen Häusern gebildeten und zu weitrer Verschönerung auch noch von alten Nußbäumen überschatteten Platz hinaustrat , kam ihr zu dem Mut auch alle Kraft und gute Laune wieder , die sie gleich zu Beginn des Spazierganges an der Bode hin gehabt hatte . » Das ist das Klopstock-Haus « , sagte Gordon und zeigte , seine Führerrolle wieder aufnehmend , auf ein etwas zur Seite gelegenes und beinah grasgrün getünchtes Haus mit Säulenvorbau . » Das Klopstock-Haus ? « wiederholte Cécile . » Sagten Sie nicht , es stände ... Wie hieß es doch ? « » Im Brühl . Ja , meine gnädigste Frau . Aber da läuft eine kleine Verwechslung mit unter . Was im Brühl steht , das ist das Klopstock-Tempelchen mit der Klopstock-Büste . Dies hier ist das eigentliche Klopstock-Haus , das Haus , darin er geboren wurde . Wie gefällt es Ihnen ? « » Es ist so grün . « Rosa lachte lauter und herzlicher , als die Schicklichkeit gestattete , sofort aber wahrnehmend , daß Cécile sich verfärbte , lenkte sie wieder ein und sagte : » Pardon , aber Sie haben mir so ganz aus der Seele gesprochen , meine gnädigste Frau . Wirklich , es ist zu grün . Und nun excelsior ! Immer höher hinauf . Sind es noch viele Stufen ? « Unter solchem Gespräch erstiegen alle das noch verbleibende Stück Weges , eine gepflasterte Treppe , deren Seitenwände dicht genug standen , um gegen die Sonne Schutz zu geben . Und nun war man oben und freute sich , aufatmend , der Brise , die ging . Der Platz , den man erreicht hatte , war ein mäßig breiter , Schloß und Abteikirche voneinander scheidender Hof , der , außer den auf ihm lagernden Schatten und Lichtern , nichts als zwei Männer zeigte , die , wie Besuch erwartende Gastwirte , vor ihren zwei Lokalen standen . Wirklich , es waren Kastellan und Küster , die zwar nicht mit haßentstellten , aber doch immerhin mit unruhigen Gesichtern abwarteten , nach welcher Seite hin die Schale sich neigen würde , worüber in der Tat selbst bei denen , die die Entscheidung hatten , immer noch ein Zweifel waltete . Besichtigung von Schloß und Kirche , so lautete das Programm , das stand fest , und daran war nicht zu rütteln . Aber was noch schwebte , war die Prioritätsfrage . Gordon und St. Arnaud sahen sich also fragend an . Endlich entschied der Oberst mit einem Anfluge von Ironie dahin , daß Herrendienst vor Gottesdienst gehe , welchem Entscheide Gordon in gleichem Tone hinzusetzte : » Preußen-Moral ! Aber wir sind ja Preußen . « Und so wandte man sich denn rasch entschlossen dem Kastellan zu , freilich nicht ohne sein Vis-à-vis , den nach links hin stehenden Küster , mit einem hoffnunggebenden Gruße gestreift zu haben . Er verneigte sich denn auch in Erwiderung darauf verbindlich lächelnd und schien alles in allem nicht unzufrieden über diesen Gang der Dinge . Denn unten in der Stadtkirche läuteten eben die Mittagsglocken , und etwas Bratwurstartiges , das von der Küche her durch die Luft zog , ließ das » In die zweite Linie gestellt werden « fast als einen Vorzug erscheinen . Unter diesen Vorgängen , die nur von Rosa scharf beobachtet und mit Künstlerauge gewürdigt worden waren , waren alle vier in den Schloßflur eingetreten , an dem respektvoll die Honneurs machenden Kastellan vorüber . Dieser , ein freundlicher und angenehmer Mann , nahm durch seine Freundlichkeit sofort für sich ein , fiel aber andererseits durch ein unsichres und fast ein schlechtes Gewissen verratendes Auftreten einigermaßen auf , ganz wie jemand , der Lotterielose feilbietet , von denen er weiß , daß es Nieten sind . Und wirklich , sein Schloß konnte , durch alle Räume hin , als eine wahre Musterniete gelten . Was es vordem an Kostbarkeiten besessen hatte , war längst fort , und so lag ihm , dem Hüter ehemaliger Herrlichkeit , nur ob , über Dinge zu sprechen , die nicht mehr da waren . Eine nicht leichte Pflicht . Er unterzog sich derselben aber mit vielem Geschick , indem er den herkömmlichen , an vorhandene Sehenswürdigkeiten anknüpfenden Kastellans-Vortrag in einen umgekehrt sich mit dem Verschwundenen beschäftigenden Geschichts-Vortrag umwandelte . Voll richtigen Instinkts ersah er hierbei den Wert der historischen Anekdote , die denn auch beständig aus der Verlegenheit helfen mußte . Rosa , deren Wißbegier auf ganze Säle voll Rubens ' und Snyders' , voll Wouvermans und Potters rechnete , hielt sich selbstverständlich unausgesetzt in der Nähe des Kastellans und mühte sich , durch allerlei klug gestellte Fragen seine besondre Teilnahme zu wecken . » Und in diesen Räumen also haben die Quedlinburger Äbtissinnen residiert ? « begann sie mit erheucheltem Interesse , denn es lag ihr ungleich mehr an Bärenhatz und Sechzehnendern als an Porträts mit Pompadourfrisuren . » In diesen Räumen also ... « » Ja , meine gnädigste Frau « , antwortete der Kastellan , der unsre Freundin um ihres muntern Wesens und vielleicht auch um ihres Embonpoints willen für eine glücklich verheiratete Dame nahm . » Ja , meine gnädigste Frau , wirklich residiert , das heißt mit Hofstaat und Krone . Denn die Quedlinburger Äbtissinnen waren nicht gewöhnliche Kloster-Äbtissinnen , sondern Fürst-Abbatissinnen und saßen von Mechtildis , Schwester Ottos des Großen , an bei den Reichsversammlungen auf der Fürstenbank . Und hier im Schlosse war auch der Thronsaal . Es ist der Saal nebenan , in welchem ich die gnädige Frau vorweg bitten möchte , die roten Damasttapeten beachten zu wollen . Es ist Damast von Arras . « Und damit traten alle , von einem kleinen , bis dahin besichtigten Vorzimmer her , in den großen Thronsaal ein , in welchem , neben der so ruhmvoll erwähnten Damasttapete , nur noch der getäfelte Fußboden an die frühere Herrlichkeit erinnerte . Rosa sah sich verlegen um , was dem Führer nicht entging , weshalb er seinen Vortrag rasch wieder auf nahm , um durch Erzählungskunst den absoluten Mangel an Sehenswürdigkeiten auszugleichen . » Also , der Thronsaal , gnädige Frau « , hob er an . » Und hier , wo die Tapete fehlt , genau hier stand der Thron selbst , der Thron der Fürst-Abbatissinnen , ebenfalls rot , aber von rotem Samt und mit Hermelin verbrämt . Und mit dem zuständigen Wappen : Zwei Kelche mit einem Pokal . « » Ah « , sagte Rosa , » mit zwei Kelchen und einem Pokal . . . Sehr interessant . « » Und hier « , fuhr der Kastellan , während er auf einen großen , aber leeren Goldrahmen zeigte , mit einer immer volltönender und beinah feierlich werdenden Stimme fort , » hier in diesem Goldrahmen befand sich die Hauptsehenswürdigkeit des Schlosses : der Spiegel aus Bergkristall . Der Spiegel aus Bergkristall , sag ich , der sich zurzeit in den skandinavischen Reichen , und zwar in dem Königreiche Schweden , befindet . « » In Schweden ? « wiederholte St. Arnaud . » Aber wie kam er dahin ? « » Auf Umwegen und durch allerlei seltsame Schicksale « , nahm der Kastellan seinen historischen Vortrag wieder auf . » Unsre letzte Fürst-Abbatissin war nämlich eine Prinzessin von Schweden , Josephine Albertine , Tochter der Königin Ulrike , Schwester Friedrichs des Großen . Über zwanzig Jahre hatte Josephine Albertine hier glänzend und segensreich residiert und sich an dem Kristallspiegel , der ihr Stolz und ihr Lieblingsstück war , erfreut , als diese Gegenden eines Tages westfälisch wurden und unter König Jerome kamen . Da mußte sie sich trennen von ihrem Schloß , samt allem , was darinnen war , und natürlich auch von ihrem Spiegel . Denn es ward ihr kaum Zeit gelassen zum Notwendigsten , geschweige zum Einpacken und Mitnehmen dessen , was das Nebensächliche , wenn auch freilich für sie das Liebste war . « » Und was wurde ? « » Nun , König Jerome , der , wegen dem ewigen › Morgen wieder lustik sein ‹ , sehr viel Geld brauchte , stand alsbald vor der Notwendigkeit , das ganze Schloßinventar unter den Hammer zu bringen , und eines Tages hieß es in allen Zeitungen , deutschen und fremden , daß , neben den anderen Schätzen des Schlosses , auch der berühmte Kristallspiegel versteigert werden solle . Das war der Moment , auf den Prinzessin Josephine Albertine , die mittlerweile nach Schweden zurückgekehrt war , denn die Bernadottesche Zeit war noch nicht da , gewartet hatte , weshalb sie nunmehr strikten Befehl gab , auf den Spiegel zu fahnden und jeden Preis zu zahlen , zu dem er angesetzt oder am Auktionstage selbst hinaufgetrieben werden würde . Wie hoch er kam , weiß ich nicht ; nur das eine weiß ich , daß es ein Vermögen gewesen sein soll . Ich habe von einer Tonne Goldes sprechen hören . Unter allen Umständen aber kam der Spiegel nach Schweden , nach Stockholm , woselbst er sich bis diesen Tag befindet und im Ridderholm-Museum gezeigt wird . « » Allerliebst « , sagte St. Arnaud . » Im ganzen genommen ist mir die Geschichte lieber als der Spiegel « , eine Meinung , die von Gordon und Rosa vollkommen , keineswegs aber von Cécile geteilt wurde . Diese hätte sich gern in dem Kristallspiegel gesehen und war während der zweiten Hälfte der ihr viel zu weit ausgesponnenen Erzählung an ein offenstehendes Balkonfenster getreten , das nicht nur einen Blick auf das Gebirge , sondern auch auf die weiten Gartenanlagen hatte , die sich , im Halbkreis , um die Schloßfundamente herumzogen . In diesen Gartenanlagen wechselten Strauchwerk und Blumenterrassen ; was aber das Auge Céciles bald ausschließlich in Anspruch nahm , war ein Sandsteinobelisk von mäßiger Höhe , der , halb in dem Schloßunterbau drinsteckend , hautreliefartig aus einer alten Mauerwand vorsprang . Der Sockel war mit Girlanden ornamentiert und schien auch eine Inschrift zu haben . » Was ist das ? « fragte Cécile . » Ein Grabstein . « » Von einer Äbtissin ? « » Nein , von einem Schoßhündchen , das Anna Sophie , Pfalzgräfin von bei Rhein und vorletzte Fürst-Abbatissin , an dieser Stelle beisetzen ließ . « » Sonderbar . Und mit einer Inschrift ? « » Zu dienen « , antwortete der Kastellan . Und den Damen ein Opernglas überreichend , das er zu diesem Behufe stets mit sich führte , las Cécile : » Jedes Geschöpf hat eine Bestimmung . Auch der Hund . Dieser Hund erfüllte die seine , denn er war treu bis in den Tod . « Gordon lachte herzlich . » Denkmal für Hundetreue ! Brillant . Wie sähe die Welt aus , wenn jedem treuen Hunde ein Obelisk errichtet würde . Ganz im Stil einer Barockprinzessin . « Rosa stimmte zu , während Cécile verwirrt vom Fenster zurücktrat und mechanisch und ohne zu wissen , was sie tat , an die Wandstelle klopfte , wo der Kristallspiegel seinen Platz gehabt hatte . » Was haben wir noch zu gewärtigen ? « fragte Gordon . » Die Zimmer Friedrich Wilhelms IV. « » Friedrich Wilhelms IV. ? Wie kam der hierher ? « » In den ersten Jahren seiner Regierung erschien er jeden Herbst , um von hier aus die großen Harzjagden abzuhalten . Als aber Anno 48 die Jagdfreiheit aufkam und Stadt und Bürgerschaft ihm die Jagd verweigerten , wurd er so verstimmt , daß er nicht wiederkam . « » Was ich nur in der Ordnung finde . Bourgeoismanieren . Aber nun die Zimmer . « Und damit traten sie , vom Thronsaal her , in ein paar niedrige , mit kleinen Mahagonimöbeln ausgestattete Räume , deren Spießbürgerlichkeit nur noch von ihrer Langweil übertroffen wurde . Rosa sah ihre Hoffnung auf große Tierstücke mehr und mehr hinschwinden , hielt aber eine darauf gerichtete Frage immer noch für zulässig . Freilich erfolglos . » Tierstücke « , antwortete der Kastellan in einem Tone , darin unsere Künstlerin eine kleine Spitze zu hören glaubte , » Tierstücke haben wir in diesem Schlosse nicht . Wir haben nur Fürst-Abbatissinnen . Aber diese haben wir auch vollständig . Und außerdem die Quedlinburger Geistlichen lutherischer Konfession ( ebenfalls beinah vollständig ) , deren einer , altem Herkommen gemäß , allsonntäglich hier oben predigte , so daß er neben seinem Stadtdienst auch noch Hofdienst hatte . Nach der Predigt blieb er dann zu Tisch und mitunter auch bis zur Dunkelstunde . So beispielsweise dieser hier , ein schöner Mann , etwas blaß , der in seinen besten Jahren an der Auszehrung starb . Er war Prediger zur Zeit der schwedischen Prinzessin Josephine Albertine , derselben , die den Kristallspiegel wiedererstand . Und hier ist die Prinzessin in Person . « Dabei wies er auf das Bild einer mittelalterlichen Dame mit großer Kurfürsten-Nase , Stirnlöckchen und Agraffenturban , aus deren ganz ungewöhnlicher Stattlichkeit sich die vom Kastellan nur leis angedeuteten Anfechtungen ihres Seelsorgers unschwer erklären ließen . Einige der Bilder kehrten mehrfach wieder , was die Zahl der Äbtissinnen größer erscheinen ließ , als sie tatsächlich war . Rosa drang darauf , die Namen zu hören , aber es waren tote Namen , einen ausgenommen , den der Gräfin Aurora von Königsmark . Und vor das Porträt dieser traten jetzt alle mit ganz ersichtlicher Neugier , ja , Cécile – die , vor kaum Jahresfrist , einen historischen Roman , dessen Heldin die Gräfin war , mit besonderer Teilnahme gelesen hatte – war so hingenommen von dem Bilde , daß sie von der Unechtheit desselben nichts hören und alle dafür beigebrachten Beweisführungen nicht gelten lassen wollte . Gordon , als er sah , daß er nicht durchdränge , wandte sich um Sukkurs an Rosa . » Helfen Sie mir . Die gnädigste Frau will sich nicht überzeugen lassen . « Rosa lachte . » Kennen Sie die Frauen so wenig ? welche ... « » Wohl , Sie haben recht . Und am Ende , wer will an Bildern Echtheit oder Unechtheit beweisen ? Aber zweierlei gilt auch ohne Beweis . « » Und das wäre ? « » Nun , zunächst das , daß es nichts Toteres gibt als solche Galerie beturbanter alter Prinzessinnen . « » Und dann zweitens ? « Daß der Unterschied von › hübsch ‹ und › häßlich ‹ in solcher Galerie zurechtgemachter Damenköpfe gar keine Rolle spielt , ja , daß einer Häßlichkeitsgalerie wie dieser hier vor einer sogenannten Schönheitsgalerie mit ihrer herkömmlichen Ödheit und Langerweile der Vorzug gebührt . Ach , wie viele solcher › Galeries of beauties ‹ hab ich gesehen , und eigentlich keine darunter , die mich nicht zur Verzweiflung gebracht hätte . Schon in ihrer Entstehungsgeschichte sind sie meistens beleidigend und ein Verstoß gegen Geschmack und gute Sitte . Denn wer sind denn die jedesmaligen Mäcene , Stifter und Donatoren ? Immer ältliche Herren , immer mehr oder weniger mythologische Fürsten , die , Pardon , meine Damen , nicht zufrieden mit der wirklichsten Wirklichkeit , ihre Schönheiten auch noch in effigie genießen wollen . Einer von ihnen – derselbe , von dem das Bonmot existiert , er habe nie was Dummes gesagt und nie was Kluges getan – ist mit seiner Galerie von Magdalenen ( selbstverständlich von Magdalenen vor dem Bußestadium ) allen anderen vorauf . Er war ein Stuart , wie kaum gesagt zu werden braucht . Aber unsere deutschen Kleinkönige sind ihm gefolgt und haben nun auch dergleichen . Ich entsinne mich noch des Eindrucks , den der Kopf der Lola Montez oder , wenn Sie wollen , der Gräfin Landsfeld auf mich machte . Denn Gräfinnen werden sie schließlich alle , wenn sie nicht vorziehen , heiliggesprochen zu werden . « » Ei , wie tugendhaft Sie sind « , lachte Rosa . » Doch Sie täuschen mich nicht , Herr von Gordon . Es ist ein alter Satz , je mehr Don Juan , je mehr Torquemada . « Cécile schwieg und ließ sich , wie gelähmt , in einen in einer tiefen Fensternische stehenden Sessel nieder . St. Arnaud , der wohl wußte , was in ihr vorging , öffnete den einen der beiden Flügel und sagte , während die frische Luft einströmte » Du bist angegriffen , Cécile . Ruh dich . « Und sie nahm seine Hand und drückte sie wie dankbar , während es vor Erregung um ihre Lippen zuckte . Neuntes Kapitel Cécile erholte sich rascher als erwartet von dieser Anwandlung , und die weitere Besichtigung des Schlosses und bald danach auch der Abteikirche verlief zu allseitiger Zufriedenheit , ganz besonders auch zur Freude Céciles . Ja , sie war durch den Besuch der prächtig kühlen Kirche so gekräftigt und erfrischt worden , daß man auf ihren Vorschlag das Programm überschritt und guten Mutes die schon aufgegebene Partie nach dem Rathause machte , wo man erst den Roland und gleich danach das Gefängnis des Regensteiners bewunderte . Daran schloß sich dann unmittelbar ein ziemlich mittägliches Frühstück an Ort und Stelle . Kulmbacher Bier , wofür das Rathaus ein Renommee hatte , wurde bestellt , und Cécile war entzückt , als der Wirt die schäumenden und frisch beschlagenen Seidel brachte . » Wieviel schöner doch als eine Table d'hôte « , sagte sie . » Pierre , votre santé ... Fräulein Rosa , wohl bekomm's . . . Herr von Gordon , Ihr Wohl . « Und während sie so plauderte , stieß sie mit ihrem Seidel an , sprach von dem Regensteiner , der es achtzehn Monate lang nicht voll so gut gehabt habe , und war überhaupt wie ein Kind . Nur als die Malerin auf die Bilder der Äbtissinnen zurückkam und bei der Gelegenheit bemerkte , daß auch noch im Rathaussaale ( wie der Herr Wirt ihr eben verraten ) ein Bild der schönen Aurora sei , » besser und jedenfalls echter als das im Schloß « , brach Cécile rasch ab und sagte verstimmt und in beinahe heftigem Tone : » Bilder und immer wieder Bilder . Wozu ? Wir hatten mehr als genug davon . « Gegen fünf Uhr war man in Thale zurück , und Cécile , die sich nach Ruhe sehnte , verabschiedete sich für den Rest des Tages . » Bis auf morgen , Fräulein Rosa ; bis auf morgen , Herr von Gordon . « Und dieser Morgen war nun da . Gordon , der am Abend vorher noch einem Konzert auf dem Hubertusbade beigewohnt und bei dieser Gelegenheit eine halbe Stunde lang mit der Malerin über Samarkand und Wereschagin , dann aber mit dem ebenfalls erschienenen St . Arnaud über den Quedlinburger Roland , den Regensteiner und vieles andere noch geplaudert hatte , hatte sich's , um den Morgen zu genießen , auf einem Fauteuil am Fenster bequem gemacht und blies eben den Dampf seiner Havanna in die frische Luft hinaus . Er ließ dabei die Vorgänge des letzten Tages , darunter auch die Bilder der Fürst-Abbatissinnen , noch einmal an sich vorüberziehen und begleitete den Zug ihrer meist grotesken Gestalten mit allerhand spöttisch erbaulichen Betrachtungen . » Ja , diese kleinen Grandes Dames aus dem vorigen Jahrhundert ! Wie wird eine freiere Zeit darüber lachen , wenn sie nicht jetzt schon darüber lacht . Es gibt nichts , an dem sich das Wesen der Karikatur so gut demonstrieren ließe . Meist waren sie häßlich oder doch mindestens von einem unschönen Embonpoint , und alle hielten sie sich einen Kammerherrn und einen Mops , wuschen sich nicht oder doch nur mit Mandelkleie und waren ungebildet und hochmütig zugleich . Ja , auch hochmütig . Nur nicht gegen ihren Leibdiener . « Er malte sich das alles noch weiter aus , bis sich ihm plötzlich vor eben diese groteske Gestaltenreihe die graziöse Gestalt Céciles stellte , wechselnd in Stimmung und Erscheinung , genau so , wie sie der vorhergehende Tag ihm gezeigt hatte . Jetzt sah er sie , wie sie , sich vorbeugend , die Inschrift auf dem Grab-Obelisk des Bologneser Hündchens las , und dann wieder , wie sie bei dem Gespräch über die Schönheitsgalerien und die Gräfin Aurora nahezu von einer Ohnmacht angewandelt wurde . War das alles Zufall ? Nein . Es verbarg sich etwas dahinter . Aber dann vernahm er wieder das heitere Lachen und sah , wie sie , glückstrahlend , den Krug nahm und anstieß . » Ihr Wohl , Fräulein Rosa ; Herr von Gordon , Ihr Wohl . « Und er empfand dabei deutlich , daß , was immer auch auf ihrer Seele laste , die Seele , die diese Last trage , trotz alledem eine Kinderseele sei . » Clothilde muß von ihr wissen « , sprach er vor sich hin . » Und wenn sie nichts weiß , so doch von ihr hören können . Liegnitz ist just der Ort dazu , nicht zu groß und nicht zu klein , und was das Regiment nicht weiß , das weiß die Ritter-Akademie . Die Schlesier sind ohnehin miteinander verwandt und haben einen schwatzhaften Zug . Schwatzhaftigkeit , Eigensinn und › so gerne ‹ hat Rübezahl jedem der Seinen in die Wiege gelegt . Ja , Clothilde muß es wissen , an sie zu schreiben hab ich ohnehin , und so denn two birds with one stone . Fräulein Schwester wird freilich sommerlich ausgeflogen und irgendwo im Gebirge sein , in Landeck oder in Reinerz oder gar in Böhmen . Aber was tut's ? Die Post wird sie schon zu finden wissen . Wozu haben wir Stephan ? Er kommt ja gleich nach Bismarck . « Und bei diesem Selbstgespräche die Havanna aus der Hand legend , nahm er ein Couvert und adressierte mit großer Handschrift : » Dem Fräulein Clothilde von Gordon-Leslie , Liegnitz , Am Haag 3 a. « Dann schob er das Couvert wieder zurück , legte sich zwei kleine Bogen mit › Hexentanzplatz ‹ und › Roßtrappe ‹ zurecht und schrieb : » Meine liebe Clotho . Genau vier Wochen heute , daß ich mich von Dir und Elsy verabschiedete . Vier Wochen fort aus Eurem traulichen Heim , aber erst seit einer Woche hier , weil ich , als ich von Liegnitz nach Berlin zurückkehrte , Briefe vorfand , die mich in geschäftlichen Angelegenheiten erst nach Hamburg und dann nach Bremen führten . Um Euch wenigstens eine Andeutung zu machen , es handelt sich abermals um Legung eines Kabels . Von Bremen dann hierher , nach Thale , Thale am Harz , und nicht zu verwechseln mit einem gleichnamigen Kurort in Thüringen . Es gereut mich nicht , diesen entzückenden Platz mit seiner erfrischenden und stärkenden Luft gewählt zu haben , denn Luft ist kein leerer Wahn , was der am besten weiß , der ihre mannigfachen Arten an sich selber erprobt hat . Wir gehen einer totalen Reform der Medizin oder doch zum mindesten der Heilmittellehre entgegen , und die Rezepte der Zukunft werden lauten : drei Wochen Lofoten , sechs Wochen Engadin , drei Monate Wüste Sahara . Ja , selbst Malaria-Gegenden werden in kleinen Dosen verordnet werden , etwa wie man jetzt Arsenik gibt . Die große Wirkung der Luftheilmethode liegt in ihrer Perpetuierlichkeit – man kommt Tag und Nacht aus dem Heilmittel nicht heraus . Ein gut Teil dieser Heilmethode hab ich auch hier , und so fühl ich denn mehr und mehr die Verstimmung von mir abfallen , die mich , ohne rechten Grund , seit lange quälte . Nur bei Euch war ich frei davon . Die Partien und Ausflüge liegen hier wie vor der Tür , und so sieht man sich in der angenehmen Lage , Naturschönheit ohne jede Müh und Anstrengung genießen zu können . Daß es eine Schönheit kleineren Stils ist , schadet wenig . Ich bin oft genug bis 20000 Fuß hoch umhergeklettert , um jetzt mit 2 000 vollkommen zufrieden , ja sogar eigens dankbar dafür zu sein . Ich liebe Weltreisen und möchte sie , wiewohl ich fühle , daß die Passion nachläßt , auch für die Zukunft nicht missen , aber ich bin andererseits kein Freund von Strapazen als solchen , und je bequemer ich den Kongo hinauf- oder hinunterkomme , desto besser . Ökonomie der Kräfte . Doch was Kongo ! Vorläufig heißt meine Welt noch Thale , › Hotel Zehnpfund ‹ , ein wundervoller Hotelname , bei dem man sich , wie auf dem Bilde › Wo speisen Sie ? ‹ , förmlich arrondieren fühlt und der sofort die Vorstellung weckt : hier ist es gut sein . Und diese Vorstellung täuscht auch nicht . Es ist hier in der Tat gut sein , appetitlich und unterhaltlich , letzteres besonders seit drei Tagen , wo sich , durch Eintreffen neuer Gäste , die Table d'hôte belebt hat . Unter diesen Gästen ist ein alter Emeritus , mit dem ich mich gleich anfänglich anfreundete , seit Dienstag aber hat er vor einer neuen Bekanntschaft einigermaßen zurücktreten müssen : Oberst St. Arnaud und Frau . Er , trotzdem er › a. D. ‹ ist ( nicht bloß › zur Disposition ‹ ) , Gardeoffizier from top to toe , sie , trotz eines languissanten Zuges , oder vielleicht auch um desselben willen , eine Schönheit ersten Ranges . Wundervoll geschnittenes Profil , Gemmenkopf . Ihre Augen stehen scharf nach innen , wie wenn sie sich suchten und lieber sich selbst als die Außenwelt sähen – eine Besonderheit , die , von Splitterrichtern , sehr wahrscheinlich ihrer Schönheit zum Nachteil angerechnet und mit einem ziemlich prosaischen Namen bezeichnet werden wird . Es gibt ihr aber entschieden etwas Apartes , und wenn ihre Beauté wirklich Einbuße dadurch erfahren sollte , was ich nicht zugeben kann , so doch sicherlich nicht ihr Reiz . Sie verzieht mich ein wenig , und zwar in einer ganz eigentümlichen Weise , der ich Coquetterie nicht zuschreiben und auch nicht ganz absprechen kann . Ich stehe vor einem Rätsel , oder doch mindestens vor etwas Unbestimmtem und Unklarem , das ich aufgeklärt sehen möchte . Und dazu , meine liebe Clothilde , mußt Du mir behülflich sein . Du weißt ja den Genealogischen halb und die Rangliste ganz auswendig , hast das Offiziercorps Eurer berühmten Garnison eingetanzt und kennst die nachbarlichen Wahlstätter Kadettenlieutenants , die sich so ziemlich aus allen Provinzen rekrutieren . Du mußt also was erfahren können . Daß er mehrere Jahre lang ein Gardebataillon kommandierte , weiß ich ; er hat sich gestern abend , als ich von einem Konzert mit ihm heimkehrte , selbst darüber ausgesprochen . Warum aber nahm er den Abschied ? Warum zieht er sich augenscheinlich aus dem , was man Gesellschaft nennt , zurück ? Vor allem jedoch , wer ist Cécile ? Dies ist nämlich ihr Name . Woher stammt sie ? Brüssel , Aachen , Sacré cœur , so schoß es mir durch den Kopf , als ich sie zum ersten Male sah , aber dies alles war ein Irrtum . Ich finde , sie schlesiert ein wenig , und so wird es Dir , wenn ich darin recht habe , nur um so leichter sein , meine Neugier zu befriedigen . Meine Neugier ? Ich würde Dir von einem tieferen Interesse sprechen , wenn ich nicht fürchten müßte , diesen Ausdruck mißverstanden zu sehen . Sie hat offenbar viel erfahren , Leid und Freud , und ist nicht glücklich in ihrer Ehe , trotzdem sie dem Obersten , ihrem Gemahl , in einzelnen Momenten etwas wie Dank oder selbst wie Hingebung und Herzlichkeit zeigt . Aber es sind immer nur Momente , wo sie nach einem Halt sucht und diesen Halt in ihm zu finden glaubt . Also , wenn Du willst , eine Neigung mehr aus Schutzbedürfnis als aus Liebe . Mitunter auch aus bloßer Caprice . Ja , sie hat Capricen , was an einer schönen Frau nicht sonderlich überraschen darf , aber was durchaus frappieren muß , ist das naive Minimalmaß ihrer Bildung . Sie spricht gut französisch ( recht gut ) und versteht ein weniges von Musik , im übrigen fehlt ihr nicht bloß alles Positive , sondern auch jener Esprit , der adorierten Frauen fast immer zu Gebote steht . Wir waren gestern in Quedlinburg und kamen unter anderm an dem Klopstock-Hause vorüber . Ich sprach von dem Dichter und konnte deutlich wahrnehmen , daß sie den Namen desselben zum ersten Male hörte . Was nicht in französischen Romanen und italienischen Opern vorkommt , das weiß sie nicht . Ob sie Zeitungen liest , ist mir fraglich . Und so gibt sie sich Blößen über Blößen . Aber sie besitzt dafür ein andres , was all diese Mängel wieder aufwiegt : eine vornehme Haltung und ein feines Gefühl , will sagen ein Herz . Denn ein feines Gefühl läßt sich sowenig lernen wie ein echtes . Man hat es oder hat es nicht . Dazu gesellt sich jener freiere Blick oder doch mindestens jenes unbefangene , allem Schwerfälligen abgewandte Wesen , das allen Personen eigen ist , die jahrelang in der Obersphäre der Gesellschaft gelebt und sich einfach dadurch jenes je ne sais quoi erworben haben , das sie Gebildeteren und selbst Klügeren überlegen macht . Sie weiß , daß sie nichts weiß , und behandelt dies Manko mit einer entwaffnenden Offenheit . Trotz einer hautainen Miene , die sie , wenn sie will , sehr wohl aufzusetzen versteht , ist sie bescheiden bis zur Demut . Daß sie nervenkrank ist , ist augenscheinlich , aber der Oberst ( vielleicht , weil es ihm paßt ) macht unter Umständen mehr davon als nötig . Er mag übrigens , was diesen Punkt angeht , in einer ziemlich heiklen Lage sein , denn nimmt er 's leicht , wo sie's vorzieht , krank zu sein , so verdrießt es sie , und nimmt er 's schwer , wo sie's vorzieht , gesund zu sein , so verdrießt es sie kaum minder . Ich war auf der Roßtrappe Zeuge solcher Szene . Mir persönlich will es scheinen , daß sie , nach Art aller Nervenkranken , im höchsten Grade von zufälligen Eindrücken abhängig ist , die sie , je nachdem sie sind , entweder matt und hinfällig oder aber umgekehrt zu jeder Anstrengung fähig machen . Überhaupt voller Gegensätze : Dame von Welt und dann wieder voll Kindersinn . Sie lacht wenig , aber wenn sie lacht , ist es entzückend , weil man herausfühlt , wie dieses Lachen sie selber beglückt . Sie war wohl eigentlich , ihrer ganzen Natur nach , auf Reifenwerfen und Federballspiel gestellt und dazu angetan , so leicht und graziös in die Luft zu steigen wie selber ein Federball . Aber es wird ihr von Jugend an nicht daran gefehlt haben , was sie wieder herabzog . Vielleicht weil sie so schön war . Übrigens glaube nicht , daß ich an eine St. Arnaudsche Mesalliance denke . Nichts in und an ihr , das an eine Tochter Thaliens oder gar Terpsichorens erinnerte . Noch weniger hat sie den kecken Ton unserer Offiziersdamen oder den unmotiviert selbstbewußten unseres Kleinadels auf seinen Herrensitzen . Ihr Ton ist vornehmer , ihre Sphäre liegt höher hinauf . Ob von Natur oder durch zufällige Lebensgänge , laß ich dahingestellt sein . Sie hascht nach keinem Witzwort , am wenigsten müht sie sich um ein zugespitztes Repartie , sie läßt andre sich mühen und zeigt auch darin , daß sie ganz daran gewöhnt ist , Huldigungen entgegenzunehmen . Alles erinnert an › kleinen Hof ‹ . Und nun tue das Deine. Deiner Antwort sehe ich noch hier entgegen , und zwar binnen einer Woche . Wird es später , so nach Berlin poste restante . Zu › postlagernd ‹ hab ich mich noch nicht bekehren können . Und nun Dir und meiner teuren Elsy Gruß und Kuß . Wie immer Dein Dich herzlich liebender Robert v. G. L. « Zehntes Kapitel Gordon überflog den Brief noch einmal und war mit seiner Charakteristik Céciles zufrieden , aber nicht so mit dem , was er über St. Arnaud geschrieben hatte . Der war offenbar zu kurz gekommen , was ihn bestimmte , noch ein paar Worte hinzuzufügen . » Eben , meine liebe Clotho « ( so kritzelte er an den Rand ) , » hab ich mein langes Skriptum noch einmal durchgelesen und finde , daß St. Arnauds Bild der Retouche bedarf . Es wird dadurch freilich mehr an Richtigkeit als an Liebenswürdigkeit gewinnen . Wenn ich ihn Dir als Gardeoberst comme il faut vorstellte , was zutrifft , so gibt dies doch immer nur eine Seite ; mindestens mit gleichem Rechte darf ich ihn als den Typus eines alten Garçons aus der Oberschicht der Gesellschaft bezeichnen . Es ist unmöglich , sich etwas Unverheirateteres vorzustellen als ihn , trotzdem er voll Courtoisie gegen die junge Frau , ja gelegentlich selbst voll anscheinend großer Aufmerksamkeiten ist . Aber sie wirken äußerlich , und wenn sie nicht bloß in chevaleresker Gewohnheit ihren Grund haben , so doch jedenfalls zur größeren Hälfte . Zu dem allem hat er ( in diesem Punkte mit Cécile verwandt ) einen › genierten Blick ‹ ; aber was ihr kleidet , ja , rundheraus , ihren Reiz noch steigert , ist an ihm einfach unheimlich . In manchen Momenten , ich zögere fast , es auszusprechen , wirkt er nicht viel anders , als ob er ein Jeu-Oberst wäre , der hier in Thale den Gemütlichen spielt und seine Kräfte für eine neue Kampagne sammelt . Jedenfalls wirst Du nach dem allen meine Neugier begreifen . Und nun noch einmal Gott befohlen . Dein Roby . « Und nun schob er den Brief ins Couvert und ging in das Lesezimmer , um sich in die » Times « zu vertiefen , die zu lesen ihm , seit seinen indisch-persischen Tagen , ein Bedürfnis war . Um dieselbe Stunde , wo Gordon den Brief schrieb , machte das St. Arnaudsche Paar , wie täglich nach dem Frühstück , seinen Morgenspaziergang . Als sie die große Parkwiese zweimal umschritten hatten , war Cécile müde geworden und nahm auf einer von Flieder und Goldregen überwachsenen Bank Platz , die zum großen Teil im Schatten lag . Es war eine lauschige Stelle , vormittags die schönste der ganzen Anlage , von der aus man nicht bloß die vorgelegene bewaldete Gebirgswand , sondern auch den Hexentanzplatz und die Roßkappe mit ihren in der Sonne blitzenden Hotels übersehen konnte . Die Luft stand , und nur dann und wann fuhr ein Windstoß durch die Stille . Cécile , die den schattigsten Platz hatte , zog den Sonnenschirm ein und sagte : » Gewiß , ich finde das Fräulein sehr unterhaltlich , aber doch etwas emanzipiert oder , wenn dies nicht das richtige Wort ist , etwas zu sicher und selbstbewußt . Künstlerin , sagst du . Gut . Aber was heißt Künstlerin ?