Eduard von Keyserling Dumala Der Pastor von Dumala , Erwin Werner , stand an seinem Klavier und sang : » Der Nebel stieg , das Wasser schwoll , Die Möwe flog hin und wied–e–r « – Er richtete seine mächtige Gestalt auf . Sein schöner Bariton erfüllte ihn selbst ganz mit Kraft und süßem Gefühl . Es war angenehm zu spüren , wie die Brust sich weitete , wie die Töne in ihr schwollen . » Aus deinen Augen liebevoll Fielen – die Tränen – nie–ie– der . « Er zog die Töne , ließ sie ausklingen , weich hinschmelzen . Seine Frau saß am Klavier , sehr hübsch mit dem runden rosa Gesicht unter dem krausen aschblonden Haar , hellbeleuchtet von den zwei Kerzen , die kurzsichtigen blauen Augen mit den blonden Wimpern ganz nah dem Notenblatt . Die kleinen roten Hände stolperten aufgeregt über die Tasten . Dennoch , wenn ein längeres Tremolo ihr einen Augenblick Zeit ließ , wagte sie es , von den Noten fort zu ihrem Mann aufzusehen , mit einem verzückten Blick der Bewunderung . Es war zu schön , wie der Mann , von der Musik hingerissen , sich wiegte , wie er wuchs , größer und breiter wurde , wie all das Süße und Starke , all die Leidenschaft herausströmten . Das gab ihr einen köstlichen Rausch . Tränen schnürten ihr die Kehle zusammen und um das Herz wurde es ihr seltsam beklommen . » Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib , Die Seele stirbt vor Seh–nen – « Die Stimme füllte das ganze Pastorat mit ihren schwülen Leidenschaftsrufen . Die alte Tija hielt im Eßzimmer mit dem Tischdecken inne , faltete ihre Hände über dem Bauch , schloß ihr eines , blindes Auge und schaute mit dem anderen starr vor sich hin . Dabei legte sich ihr blankes , gelbes Gesicht in andächtige Falten . Das ganze Haus , bis in den Winkel , wo die Katze am Herde schlief , klang wider von den wilden und schmelzenden Liebestönen . Sie drangen durch die Fenster hinaus in die Ebene , wo die Nacht über dem Novemberschnee lag ; ja vom nahen Bauernhof antwortete ihnen ein Hund mit langgezogenem , sentimentalem Geheul . » Mich hat das unglücksel'ge Weib Vergiftet – vergiftet – – « Die Fenster bebten von dem Verzweiflungsruf . Die Katze erwachte in ihrer Ecke , die alte Tija fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und murmelte : » Ach – Gottchen ! « » Vergiftet mit ihren Tränen . « – Die kleine Frau lehnte sich in ihren Stuhl zurück , faltete die Hände im Schoß und sah ihren Mann an . Pastor Werner stand schweigend da und strich sich seinen blonden Vollbart . Er mußte sich auch erst wieder zurückfinden . Jetzt war es ganz still im Pastorate . Nur Tija begann wieder leise mit den Tellern zu klappern . » Wie Siegfried ! « kam es leise über die Lippen der kleinen Frau . Wer ? « fuhr Pastor Werner auf . » Du « , sagte seine Frau . Werner lachte spöttisch , wandte sich ab und begann , die Hände auf dem Rücken , im Zimmer auf und ab zu gehen . So war es jedesmal , wenn er sich im Singen hatte gehen lassen , wenn er sich mit Gefühl vollgetrunken hatte . Dann kam der Rückschlag . Man hatte geglaubt , etwas Großes zu erleben , einen Schmerz , eine Leidenschaft , und dann war es nur ein Lied , etwas , das ein anderer erlebt hat , und die Winde des Zimmers mit ihren Photographien , die großen schwarz und rot gemusterten Möbel , all das beengte ihn , drückte auf ihn . Seine Frau saß noch immer am Klavier und starrte in das Licht . Auch bei ihr war der schöne Rausch der Musik vorüber . Nur eine müde Traurigkeit war übriggeblieben . Sie dachte darüber nach , warum er sich geärgert hatte , als sie » Siegfried « sagte . Das kam oft so . Wenn sie ganz voll von Begeisterung für ihn war , dann war ihm etwas nicht recht , und er lachte kalt und spöttisch . » Lene , essen wir nicht ? « fragte Werner . Da fuhr sie auf . » Natürlich ! Gefüllte Pfannkuchen ! « Und sie lief in die Küche hinaus . Am Eßtisch unter der Hängelampe war alles Fremde und Erregende fort . Wenn es ihm schmeckte , war Pastor Werner gemütlich , das wußte Lene . Dann konnte sie ruhig vor sich hinplaudern , ohne berufen zu werden , dann hatte sie das Gefühl , daß er ihr gehörte . » Die Baronin aus Dumala fuhr heute hier vorüber « , berichtete sie . So « , meinte Werner , und sah über das Schnapsglas , das er zum Munde führen wollte , hinweg seine Frau scharf an : » Nun – und ? « » Nun , ja . Sie hatte eine neue Pelzjacke an . Entzückend ! « Werner trank seinen Schnaps aus und fragte dann : » Stand sie ihr gut , diese Jacke ? « Lene seufzte : » Natürlich ! Diese Frau ist ja so schön ! « » Was ist dabei zu seufzen ? « fragte Werner . » Laß sie doch schön sein . « » Weil ich sie nicht mag « , fuhr Lene fort , » deshalb . Sie will alle Männer in sich verliebt machen . Aber schön ist sie . « Werner lachte . » Was für Männer ? Die arme Frau pflegt ihren gelähmten Mann Tag und Nacht . Die sieht ja keinen . Eine neue Pelzjacke ist da doch eine sehr unschuldige Zerstreuung . « » Dich sieht sie doch . « Lene nahm einen herausfordernden Ton an , als suche sie Streit . Werner zuckte nur die Achseln . » Mich ! « » Ja dich « , fuhr Lene fort . » Und du bist doch auch in sie verliebt , – etwas – nicht ? « Heute ärgerte das Werner nicht . » Wenn du willst ! « meinte er . Die kleine Frau durfte heute ruhig mit ihm spielen , wie mit einem großen , gutmütigen Neufundländer . Ein wenig schweigsam war er , aber das pflegte er am Sonnabend immer zu sein , wenn die Predigt ihm im Kopfe herumging . Nach dem Essen saß das Ehepaar am Kaminfeuer . Durch das Fenster , an dem die Läden offen geblieben waren , schaute die bleiche Schneenacht in das Zimmer . Aus der Gesindestube klang Tijas dünne , zitternde Stimme . Sie sang einen Gesangbuchvers . » So ist's hübsch « , sagte Lene . » So ist's gemütlich ! Nicht wahr ? Alles ist still , und das Feuer , – und man sitzt beisammen . « » Stell doch der Lebenslage keine Zensur aus « , versetzte Werner , der sinnend in das Feuer starrte . » Warum ? « fragte Lene eigensinnig . » Weil , weil « – Werners Stimme wurde streng – » weil Zensuren ausgestellt werden , wenn die Schule zu Ende ist . « » Deshalb ! « meinte Lene , die ihn nicht recht verstanden hatte . » Nun sei aber nicht ungemütlich , Wernerchen . « Sie stand auf , ging zu ihm , setzte sich auf seine Knie , schmiegte sich an seine Brust , umrankte den großen Mann ganz mit ihrer kleinen , legitimen Sinnlichkeit , die sich schüchtern hervorwagte . » Wir sind doch glücklich ! « sagte sie . » Ich sag 's doch . Ich stell' gute Zensuren aus . « Werner saß still da , ließ sich von der Wärme dieses jungen Frauenkörpers durchdringen . Dann plötzlich schob er Lene beiseite und stand auf . » Wohin ? « fragte sie erschrocken . » Oh – nichts « , erwiderte er , » ich – ich will mir noch was überlegen . « » Diese ewige Predigt ! « seufzte Lene . » Worüber predigst du denn morgen ? « » Über die Versuchung in der Wüste , du weißt's ja . « » Ach ja ! Sei doch nicht wieder so streng . Wenn du so herunterdonnerst , wird einem ganz bang . « Er zuckte die Achseln . Seit wann willst du denn Einfluß auf meine Predigten nehmen ? « Also nun hatte sie ihn auch noch geärgert . Sie schwieg . Während Werner , die Hände auf dem Rücken , im Zimmer auf und ab ging , kauerte sie auf ihrem Sessel und folgte ihm unverwandt mit den Blicken . Eben noch hatte sie sich glücklich gefühlt , jetzt war wieder etwas über ihn gekommen , das sie nicht verstand . Sie fühlte , wie müde ihre Glieder von der Arbeit des Tages waren , und das Traurige war über sie gekommen , dem sie nicht nachdenken wollte . Sie folgte Werner mit den Blicken , wie er auf und ab ging , sehr aufrecht in seinem schwarzen Rock , auf und ab , bis seine Gestalt undeutlich wurde und ihr die Augen zufielen . » Herunterdonnern « , hatte Lene gesagt , ja , das liebte er , das Predigen war wie das Singen , da konnte er sich ausgeben , da hatte er das Gefühl , als » ginge eine Kraft von ihm aus « , wie die Bibel sagt . All die großen , schönen Worte , der große Zorn , mit dem er drohen , die ganz großen Seligkeiten , die er versprechen konnte , und all das war unendlich und ewig , das gab auch einen Rausch . Er freute sich schon darauf . Dazu zog die Versuchung in der Wüste , diese wunderbare Geisterunterhaltung , groß wie Dantes Verse , ihn seltsam an . Das Wilde des Kampfes der beiden Wunderkräfte in der Wüste regte ihn auf . In tiefem Sinnen ging er auf und ab , vergaß seine Umgebung , bis ein verschlafener Laut aus Lenes halbgeöffneten Lippen ihn aufschauen machte . » Ja so – der Friede des Pastorats « – dachte er nicht ohne Bitterkeit . Weiß es Gott ! ihm war wenig friedlich zumute ! Er stellte sich an das Fenster , schaute in die Nacht hinaus . Oben am Himmel war Aufregung unter den Wolken , zerfetzt und gebläht wie Segel schoben sie sich aneinander vorüber . Der Mond mußte irgendwo sein , aber er wurde verdeckt , nur ein schwaches , müdes Dämmerlicht lag über der Ebene . Frieden ! Ja , wenn einer sich beständig mit Wunderdingen abgeben muß , wenn er immer diese Sprüche im Munde führen muß , die so voll Leidenschaft und Zorn und Süßigkeit und Geheimnis sind , wo soll da der Friede herkommen ? Das Herz wird so empfindlich und so erregt , daß es auf alles hineinfällt . Der Wind trieb kleine Schneewirbel wie weiße Rauchwölkchen über die Ebene . Winzige Lichtpünktchen waren in die Nacht gestreut , wie verloren in dem fahlen , weißen Dämmern . Dort die Reihe heller Punkte waren die Fenster des Schlosses Dumala . Werner fiel die neue Pelzjacke der Baronin Werland ein , und dann sah er das große , düstere Zimmer vor sich , die grün verhangene Lampe , am Kamin im Sessel den Herren mit dem wachsgelben , scharfen Gesicht , die Füße in eine rote Decke gewickelt . Bei ihm auf dem niedrigen Stühlchen die schöne Frau mit den schmalen Augen , die unruhig schillerten , und dem seltsam fieberroten Munde . Sie saß da , blinzelte schläfrig in das Kaminfeuer und strich mit ihrer Hand langsam an dem Bein des Kranken auf und ab . Ein Schmerz , etwas wie ein körperlicher Schmerz , schüttelte Werner bei diesem Bilde , ließ ihn blaß werden und das Gesicht leicht verziehen . Ärgerlich wandte er sich vom Fenster ab . Es war zu dumm ! Dieses Predigtmachen ließ jedesmal alles in ihm toller rumoren denn je ! Er begann wieder auf und ab zu gehen , dann blieb er vor Lene stehen . Sie hatte die Füße auf den Sessel hinaufgezogen , die Wange an die Stuhllehne gestützt . So schlief sie . Die Lippen halb geöffnet , atmete sie tief , auf dem Gesichte den ernsten , besorgten Ausdruck , den Men schen in schwerem Schlafe annehmen , als sei das Schlafen eine Arbeit . Werner betrachtete sie eine Weile . Er fühlte plötzlich ein tiefes Erbarmen mit diesem jungen schlafenden Wesen . Auch wieder die Nerven und die unnütze Weichheit ! Er konnte ja jetzt nichts mehr ansehen , ohne daß es schmerzte ! Behutsam nahm er Lene auf seine Arme und trug sie in das Schlafzimmer hinüber . Die Sakristei war voller Schneelicht . Zwischen den engen , weißen Wänden , in dem weißen Lichte , sah Pastor Werner , im schwarzen Talare , sehr groß aus . Er saß am Tisch , vor sich das aufgeschlagene Gesangbuch und das Blatt mit den Notizen zu seiner Predigt . Draußen sangen sie schon das Lied , ein Chor harter Frauenstimmen , heiserer Kinderstimmen , dazwischen das Knarren der Bässe . Sie zogen die Töne schläfrig und beruhigt . Gott ! spielte der Organist heute tolles Zeug zusammen ! Sicherlich hatte der Mann wieder die ganze Nacht durch gesoffen . Die alte Orgel stöhnte und seufzte ordentlich unter seinen rücksichtslosen Fingern . Werner sang nicht mit . Er schaute zum Fenster hinaus . Es taute und die Sonne schien . Die Bäume hingen ganz voll blanker Tropfen und das beständige Tropfen vom Dache und den Traufen legte um die Kirche ein helles Blitzen und Klingen . Sonntäglich ! Die Sonntagsstimmung war da , die kam immer , aus alter Gewohnheit , anfangs feierlich , später angenehm schläfrig . Er liebte diesen Augenblick in der Sakristei vor der Predigt , wenn er dasaß und sich voll großer Worte , voll lauter , eindringlicher Töne fühlte . Er horchte hinaus . Er kannte die Schellen der Schlitten , die heranfuhren . Das waren die Schellen von Debschen , das – der Doktor Braun , das die Schellen von Dumala . Dennoch fragte er , als der Küster eintrat : » Wer ist alles da ? « Der Küster Peterson legte sein großes , schlaues Bauerngesicht in pastorale Falten . » Die Dumalaschen sind da « , meldete er , » die Baronin und der Sekretär . « » Wer noch ? « fragte Werner ungeduldig . Warum meldete der Kerl gerade nur die Dumalaschen ? Peterson zog ergeben die Augenbrauen empor : » Der Doktor ist da , die aus Debschen . « – » Gut – gut . « Werner winkte ab . Es war doch ganz gleichgültig , ob der Doktor da war und die Alte aus Debschen ! Nun war es Zeit , auf die Kanzel zu steigen , sie sangen da drin schon den letzten Vers des Liedes . Werner freute sich , zu finden , daß die Kirche voller Licht war . Wenn die breiten , gelben Lichtbänder durch die hohen Fenster in den Raum fluteten , dann bekam seine Predigt auch anders helle Farben , als wenn die Kirche voll grauer Dämmerung war , und der Regen gegen die Fensterscheiben klopfte . Es roch nach nassen , schweren Wollkleidern , frischgewaschenen Kattuntüchern und Transtiefeln . Werner beugte sich über das Pult auf der Kanzel zum Gebet . Dieser Augenblick brachte ihm stets eine sanfte , andächtige Ekstase , so die Stirn auf das Pult zu legen , und unten wurde es still , und sie warteten , warteten auf sein Wort . Die Predigt begann . Die eigene Beredsamkeit erwärmte ihn heute besonders . Er hörte es , wie die Leute unten aufmerksam wurden , wie das Husten und Sichräuspern schwiegen . Und Werner gab seiner Stimme vollere Töne , machte große , freie Bewegungen . Er wußte es wohl , die meisten dort unten verstanden ihn nicht , aber heute drängte eine innere Erregung ihn , hinauszusagen , hinauszurufen , was ihn bewegte . » ›Falle vor mir nieder und bete mich an ‹ , sprach der Böse zum Sohne Gottes . › Bete mich an ! ‹ Ja , das ist es , das will er . Er hat nicht genug mit unseren Sünden der Schwäche , der Nachlässigkeit , der Bosheit , des Unglaubens , nein , niederfallen sollen wir vor ihm und ihn anbeten . Er will angebetet , er will verehrt , er will geliebt werden . Danach dürstet er . Er will , daß wir zu ihm sprechen : Um dich geben wir die ewige Seligkeit und die Gotteskindschaft hin , dir opfern wir sie , um dich gehen wir mit offenen Augen in unser Verderben , weil wir dich anbeten , weil du uns groß und liebenswert erscheinst , weil wir zu dir wollen . Der Böse will , daß wir die Sünde lieben , daß wir sie anbeten . Das ist sein Triumph . Das ist das tiefe , furchtbare Geheimnis der Sünde . « Die Stimme des Pastors hatte hier einen tiefen , geheimnisvollen und leidenschaftlichen Tonfall angenommen , wie eine unheimliche Liebeserklärung an die Sünde klang es . Er hielt inne , selbst erstaunt über das , was er sagte . Es klang fremd in die Kirche hinein , und zugleich schien es ihm , als verriete er etwas , als spräche er etwas aus , das geheim sein sollte und nur von ihm geahnt wurde . Er schaute hinunter auf die Gemeinde . Ruhig saßen sie da alle beisammen . Alte Frauen schliefen . Mädchen , mit glattgebürstetem Haar , die Hände im Schoß gefaltet , starrten ausdruckslos vor sich hin , genossen die Ruhe des Augenblicks . Ihm gegenüber im Gestühle der Werlands von Dumala saß die Baronin Karola . Sie hatte den Kopf leicht zurückgelehnt und schaute scharf zu ihm herüber , sie kniff dabei die Augenlider zusammen , so daß die Augen nur wie sehr blanke Striche zwischen den langen Wimpern hervorschimmerten . Werner ging zum Schluß seiner Predigt über . Seine Stimme nahm wieder ihren ruhig ermahnenden Ton an , in dem erbaulich das Metall seines schönen Baritons mitklang . Nach dem Gottesdienst fragte Werner den Küster , während er sich in der Sakristei umkleidete : » Ist die Baronin aus Dumala schon fortgefahren ? « » Nein « , meinte der Küster , » die Frau Baronin wartet auf den Herrn Pastor – wie immer . « » Wieso – wie immer ? « fragte Werner ungeduldig . » Peterson , Sie fangen an , Unsinn zu sprechen . « Leute kamen zu ihm , die Waldhäuslerin Marri , ihre Mutter , die alte Gehda , konnte nicht sterben , das dauerte nun schon Wochen . Der Herr Pastor soll herüberkommen . Werner fertigte die Leute eilig und mechanisch ab , sagte das nötige » Gott weiß am besten , wenn er uns zu sich ruft . Wir müssen warten « . Die Waldhüterin klagte , daß ihr Mann sie zuschanden schlug , wenn er besoffen war . Werner zog sich seinen Pelz an . » Ja , ja – ich komme mal an . Gott behüt' euch lieben Leute – Gott befohlen . « Eilig ging er hinaus . Die Baronin Karola stand vor ihrem Schlitten , sehr schlank , fest in die blaue Pelzjacke geknöpft , das Gesicht ganz rosa von der scharfen Winterluft , der Mund unnatürlich rot , die Stirnlöckchen voller Tropfen unter der kleinen Fischottermütze . » Ah , Pastor ! « rief sie , » ich warte auf Sie . Sie dürfen uns heute nicht verlassen . Ja – er leidet , und es ist abends so traurig bei uns . Also , Sie kommen ? « Sie reichte ihm die Hand , schüttelte die seine mit unterstrichener Kameradschaftlichkeit . » Die Verlassenen trösten ist ja doch Ihr Amt . « Sie lächelte , wobei ihre Mundwinkel sich hinaufbogen , was ihr einen leicht durchtriebenen Ausdruck verlieh . Werner verbeugte sich in seiner feierlichen Art , die etwas Befangenes hatte . » O – gewiß – mit Vergnügen « , und er lächelte auch aus reinem Behagen , diese schöne Frau anzusehn . » So , danke « , sagte sie . » Jetzt wollen wir fahren , mein Page friert . « Karl Pichwit , der Sekretär und Vorleser des Barons Werland , fror immer . Sein hübsches , kränkliches Knabengesicht war blau von Frost , und er zitterte . Er half der Baronin in den Schlitten , setzte sich neben sie , und da lächelte auch das kränkliche Knabengesicht und errötete . Werner stand noch eine Weile da und schaute dem Schlitten , dem Wehen des blauen Schleiers auf dem Fischottermützchen nach , er schützte die Augen mit der Hand vor der Sonne , um länger und besser sehen zu können . » Ich finde es rücksichtslos « , sagte Lene beim Mittagessen zu ihrem Mann , » daß die Werlands dich immerfort hinüber bitten . Ich bin jeden Sonntagabend allein . Der Sonntag gehört doch wenigstens der Familie . « Werner zuckte die Achseln , ja , daran war nichts zu ändern . Drüben ging es nicht heiter zu , da mußte er eben – – Aber Lene ärgerte sich . » Ach was ! Dieser Baron , der Gottlosigkeiten und Unanständigkeiten spricht , der ist überhaupt kein Umgang für einen Pastor . « Werner lächelte nur und aß ruhig seinen Sonntagsbraten . Lene erregte sich immer mehr . » Ach was – der Baron ! Der ist 's ja gar nicht . Sie ist's ! « » Sie ? « Werner schaute auf . » Natürlich sie « , fuhr Lene tollkühn fort , obgleich sie fühlte , daß das , was sie sagen wollte , die Lebenslage ungemütlich machen würde . » Sie – sie will Gesellschaft haben . Es ist ihr nicht genug , daß der arme Pichwit sie verliebt ansieht , sie will so 'n großen , schönen Mann wie dich zum Kokettieren haben . « Werner wurde bleich , wie immer , wenn der Zorn in ihm aufstieg . » Lene « , – rief er und schlug mit der Hand auf den Tisch , daß die Teller klirrten , was ist das für ein Geschwätz . Hier an meinem Tisch wird nicht so über diese edle , geprüfte Frau gesprochen . « Lene wurde zwar sehr rot , ließ sich jedoch nicht einschüchtern . Sie murmelte , um das letzte Wort zu behalten : » Es ist aber doch so . « Die Gemütlichkeit des Mittagessens war dahin . Es wurde kein Wort mehr gesprochen . Die Zimmerflucht im Schlosse Dumala war nicht erleuchtet , als der alte Jakob Pastor Werner hindurchgeleitete . Die Winterdämmerung lag über den großen , schweren Möbeln , gab ihnen etwas Verlassenes und Verschollenes . Es roch nach altem , staubigem Holz in den hohen Zimmern . Das Getäfel und das Parkett knackten beständig . » Wir haben hier kein Licht gemacht « , erklärte Jakob . » Wozu ? Es geht hier ja doch niemand . « Er hob sein bleiches Gesicht zu Werner auf , sah ihn mit den verblaßten Augen traurig an . Es mochte früher ein hübsches Lakaiengesicht gewesen sein , jetzt war es auch verwittert und vernachlässigt . » Wozu ? « wiederholte er knarrend . Ein Gemach , das sie durchschritten , duftete nach weißen Heliotropen . Helle Vorhänge hingen an den Fenstern , und kleine Möbel mit goldenen Füßen schimmerten aus den dunkeln Ecken . » Ihr Zimmer « , sagte sich Werner , und atmete den Heliotropenduft tief ein . » Und schlecht geht es uns heute auch « , berichtete Jakobs klagende Stimme weiter . » Wir haben starke Schmerzen im Bein . « Das Kaminzimmer war von der großen , grün verhangenen Lampe matt erleuchtet , ein Krankenstubenlicht . Baron Werland saß in seinem Sessel am Feuer , die Füße in die rote Decke gehüllt , die Gestalt ein wenig in sich zusammengesunken . Das regelmäßige Gesicht war wachsbleich , das Haar sorgsam gelockt , der Schnurrbart hinaufgedreht . Nur die tiefen Augenhöhlen über den unruhig flackernden Augen legten sehr dunkle Flecken in diese Blässe . Ein starker Opoponaxduft umgab den Kranken . » Aha – unser Seelsorger « , rief er mit seiner hohen Stimme Werner entgegen . » Es ist doch gut , daß man einen hat , der von Amts wegen barmherzig sein muß , der sozusagen dafür bezahlt wird . « Werner lachte : » Na – es gibt auch Leute , die das aus Sport sind « , meinte er . » Sport ! Der Sport ist unmodern . Setzen Sie sich , Pastor . Kalt – was ? « Karola hatte an der Lampe gelesen . jetzt begrüßte sie Werner . In dein blauen Tuchkleide sah die Gestalt hoch und biegsam aus . » Ich danke , daß Sie gekommen sind « , sagte sie einfach , und schüttelte ihm wieder kameradschaftlich die Hand . Die Sessel wurden an das Feuer gerückt . Karola drückte sich behaglich in den ihren hinein und blinzelte Werner erwartungsvoll an , wie ein Kind , das von dem Erwachsenen unterhalten zu sein hofft . Werner rieb sich die erfrorenen Hände in leichter Befangenheit , die ihn häufig ergriff . » Wie geht es ? « fragte er dann höflich den Baron . » Schlecht , Pastor « , erwiderte der Baron , » einfach schlecht . Kein Schlaf in der Nacht , tolle Schmerzen . Was wollen Sie mehr ? Der verdammte Tauwind . « » Das tut mir sehr leid « , sagte Werner ein wenig steif » Das tut Ihnen leid , Pastor « , fuhr der Baron fort . » Natürlich . Sie sind mitleidig . Das gehört zum Amt . Nur hilft das nichts . Wissen Sie , was ich mal hören möchte , der Abwechslung wegen ? « Nun ? « » Wenn ich sage : mir geht's schlecht , daß mal einer , so von Herzen , mir antwortet : das freut mich . – So von Herzen – wissen Sie . Das wär' mal was Neues . Darüber könnte ich recht lachen . « » Solch einer findet sich zum Glück schwer « – bemerkte Werner . Der Baron verzog sein Gesicht : » Ich weiß nicht . Ein recht geldhungeriger Erbe vielleicht . Das war 's aber nicht , was ich Ihnen sagen wollte , Pastor . Also heute nacht konnte ich nicht schlafen , und da bedachte ich mir wieder einmal gründlich die Aussichten Ihrer Unsterblichkeit , Ihres Lebens nach dem Tode . « » Meines ? « » Na ja , weil Sie es predigen müssen . Aber , Pastor , die Aussichten sind schwach . Ich kann die Sache drehen und wenden wie ich will – , heute nacht waren die Aussichten schwach , gleich null . « » Mit dem Denken kommen wir da wohl nicht heran « , wandte Werner ein , zerstreut , wie wir uns an einem Gespräch beteiligen , das wir oft schon haben führen müssen . Aber der Baron wurde eifrig : » Ich weiß , der Glaube . Nein , Ihr Glaube ist ein Kunststück , zu dem ich kein Talent habe . Ein Wunder – gut ! Über Wunder kann man nicht sprechen . « » Ah ! « sagte Karola , » sollen wir wieder davon sprechen ! « Der Baron kicherte : » Natürlich ! Ihr seid gesund . Ihr denkt so nebenbei einmal : Unsterblichkeit – wie schön ! Leben nach dein Tode – entzückend ! und damit ist 's gut . Aber ich – mich geht das jetzt was an . Sehen Sie , Pastor , wenn Sie zu Hause bleiben wollen , nun , dann ist's Ihnen gleich , wann der Schnellzug nach Paris geht und ob er Anschluß hat . Sie sagen wohl so im allgemeinen – ach – der Schnellzug , wie schön ! Aber wenn die Koffer gepackt sind , ja , dann blättern Sie im Kursbuch , dann kommt es auf Genauigkeit an . Na – also – ich , – ich seh' mir das Kursbuch an und , Pastor , ich sag' Ihnen , es gibt keinen Anschluß . Wir bleiben liegen . « Die Wärme des Kaminfeuers machte Werner die Glieder schlaff und die Augenlider schwer . Er hörte nur halb der hohen , erregten Stimme des Kranken zu . Er schaute Karola nicht an , aber das Gefühl ihrer Gegenwart , das Gefühl , daß ihr Blick für einen Moment auf seinem Gesicht ruhte , der leichte Heliotropduft , das leise Klingen ihrer Armbänder , all das erfüllte ihn mit einem Behagen , das ihm wie ein edler Wein köstlich das Blut erwärmte . Nur mechanisch machte er seine Einwände auf die Reden des Barons . » Ja , aber ohne Leben nach dem Tode , hat das Leben da Sinn ? Für das bißchen Erdenleben , all der Aufwand ! « » Bravo ! « Der Baron klatschte leise in die Hände . » Ich sah Sie damit kommen . Euer Haupttrumpf . Natürlich ist's ein Unsinn , dies bißchen Erdenleben . Sehr richtig ! Hören Sie . Also : Da ist ein hoffnungsvoller , junger Mann , er sieht gut aus , alter Adel , Geld , lernt was , schneidig , ein Schloß , eine schöne Frau . Gut ! Anfang der Vierziger sind ihm die Beine weg , rein weg , und so 'n Stück vom Rückenmark , sehen Sie , so 'n Stück , untauglich – zum Fortwerfen . Alles aus – finis – . Man lebt nur , um die Füße in die rote Decke zu wickeln , und auf Schmerzen zu warten . Ein Unsinn , so 'n Leben . Dafür all die Umstände mit dem Geborenwerden und Aufgezogenwerden . Aber , sagen Sie , Pastor , wo steht es geschrieben , daß das Leben einen Sinn haben muß ? Bitte , wo steht das ? Karola , Kind , was sagst du dazu ? « Karola reckte sich ein wenig in ihrem Sessel . » Ich ? « sagte sie mit müder Stimme . » Warum soll man nicht darauf hoffen , warten ? Man sieht eine Allee hinab , eine lange , lange Allee . Warum sollen wir uns da plötzlich eine schwarze Mauer denken ? Das lieb ich nicht . Ich will hinabsehn , weit – weit – , bis da , wo ich vor Helligkeit der Ferne nichts mehr unterscheide . « » Hm – ganz hübsch « , meinte der Baron . » Poesie , das ist was für die Gesunden . Liegt ihr mal im Bett und der Schlaf kommt nicht , und es zwackt und zieht an allen Nerven , da genügt die Poesie auch nicht . Nein , mein lieber Pastor , mit Ihrer Unsterblichkeit steht es schlecht . « Er war müde vom Sprechen , lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen . Es wurde still im Zimmer . Deutlich hörte man hinter dem Getäfel die eifrige Arbeit einer Maus . » Da ist sie wieder « , sagte der Baron , ohne die Augen zu öffnen . » Nichts zu machen ! Der alte Kasten will zusammenfallen , fängt an zu sprechen wie ein altes Weib . Aber , es lohnt sich nicht , etwas dafür zu tun , es lohnt sich nicht mehr . « Langsam und eintönig sprach er vor sich hin . Es klang resigniert in die grüne Krankenstubendämmerung hinein . Der leise , hoffnungslose Seufzer des Kranken schien alle Tore des Lebens zu schließen . Werner sah zu Karola hinüber und begegnete ihrem Blick , dem seltsam schillernden Blick der schmalen , grauen Augen . Die Mundwinkel bogen sich hinauf , wie im Beginne eines Lächelns . Werner und Karola sahen sich ruhig an , wie um sich aus der bedrückenden Traurigkeit dieses Gemaches in das Leben zurück zu retten . Jakob brachte den Tee . Mit ihm erschien Karl Pichwit . Er verbeugte sich stumm und setzte sich . » Ah ! « rief der Baron . » Herr Pichwit der Page . Herr Pichwit der Troubadour ! « Pichwit verzog seinen zu kleinen kinderhaften Mund zu einem schiefen , hochmütigen Lächeln . Darin saß er stumm da und schaute sinnend auf Karolas Hände , die sich mit den Teetassen zu schaffen machten , schaute stetig und verträumt aus den runden , hellbraunen Augen , – blanke Melange hatte Karola von ihnen gesagt – , Augen , denen die blauen Schatten unter dem Augenlide etwas Kummervolles gaben . Der Baron kniff die Augen zusammen , sah Pichwit , dann Karola an , und lachte lautlos in sich hinein . » Ja , jeder auf seine Fasson « , meinte er und rührte in seinem Tee . » Kennen Sie den Baron Rast , Pastor , Behrent Rast , unseren Nachbarn ? « fragte er . Ja , Werner kannte den Baron Rast aus Sielen . » Na der « , fuhr Werland fort , » der gönnt sich Tag und Nacht keine Ruhe , nur um in sein Leben möglichst viel hineinzustopfen . Der hat Eile ! Und was kommt dabei heraus ? Der hat seine Duelle , der riskiert seinen Hals beim Rennen , der verführt die Frauen der anderen , der macht von sich reden . Gut ! Er arbeitet wie bezahlt . Warum ? Nur weil Behrent Rast zugleich in einer Loge sitzt und zuschaut , was Behrent Rast tut , und ruft – › Behrent ist ein Teufelskerl ! ‹ und klatscht . Lohnt denn das bißchen Eitelkeit die ganze Geschichte ? « » Ich kenne den Baron zu wenig , um über ihn urteilen zu können « , sagte Werner ablehnend . » Sie werden ihn kennenlernen « , fuhr Werland fort . » Nehmen Sie die Schafe Ihrer Herde in acht , Pastor , Rast ist ein unmäßiger Weiberkonsument . « » Behrent Rast ist sehr unterhaltend « , bemerkte Karola . Der Baron lachte . » Ja , die Weiber lieben so was . Schauspieler in jeder Form . Merken Sie sich das , Herr Pichwit , wollen Sie einem Weibe gefallen , so müssen Sie ihr einbilden , daß Sie ganz speziell für sie eine Rolle spielen . « » Ist das so sicher ? « fragte Karola gelangweilt . » Ganz sicher « , beteuerte Werland . Plötzlich lehnte er sich in den Sessel zurück . » Da sind sie wieder , verdammte Kameraden , diese Schmerzen . Herr Pichwit , haben Sie Ihren Tee ausgetrunken ? Ja ? Dann , gute Nacht . « Pichwit errötete , er lächelte zwar hochmütig , aber die hellbraunen Augen bekamen einen feuchten Glanz . Er verbeugte sich stumm und ging . » Warum schickst du den armen Jungen fort ? Das kränkt ihn « , fragte Karola . Der Baron kicherte . » Wissen Sie , Pastor , Herr Pichwit ist nämlich in meine Frau verliebt , unsterblich verliebt , so wie man es in englischen Romanen ist . Na ja – natürlich – warum nicht ? Mir macht das großen Spaß . Die Honigaugen ! « » So laß ihn doch « , – warf Karola hin . » Ich lasse ihn ja « , – versicherte Werland . » Wie gesagt , es macht mir Spaß . Nur manche Abende fallen diese Augen mir auf die Nerven . Laß ihn nur auf sein Zimmer gehn . Heute ist so was wie Mondschein am Himmel . Da kann er ja dichten . Herr Pichwit dichtet nämlich . Honig in den Augen und Chinin im Herzen , bittersüß , das gibt bei diesen jungen Leuten jedesmal einen Lyriker . Oh ! Du verflucht ! « Er faßte sich an sein Bein . » Karola – Kind – komm , reib' das Bein ein wenig . Sie müssen wissen , Pastor , die Frau hat so was wie magnetische Kraft in den Fingern . « Karola rückte ein niedriges Stühlchen an den Sessel ihres Mannes heran , setzte sich und begann sachte mit der Hand über die rote Decke hinzufahren , das Bein des Kranken zu streichen . Der Baron bog den Kopf zurück und schloß die Augen . Werner sah dieser Hand zu , wie sie langsam und stetig über die rote Decke hinglitt , schmal und weiß und voller Ringe . Im Schein des Feuers war die Hand ganz umflimmert von scharfen , bunten Lichtern . Der Kranke atmete jetzt tief und regelmäßig , zuweilen stöhnte er . » Sie sind geduldig « , sagte Werner leise . » Ich ? « Karola schaute erstaunt auf » Wie wissen Sie das ? « » Ich seh' es . « » Gott ! was man sieht ! « Dann fragte sie halblaut : » Nicht wahr ? Sie waren in Ihrer Jugend ein wilder Junge ? « » Ah , man beging Torheiten « , erwiderte Werner . » Man kam sich interessant vor . Das Interessante war eben , daß man jung war . « » Sie waren früh verlobt ? « » Ja – als Student . « Die halblaute Unterhaltung tat beiden wohl . Es war gleich , was gesagt wurde , das Flüstern brachte sie einander nah . » Ach ja , « meinte Karola , » Theologen verloben sich immer früh . Sie sind natürlich sehr glücklich . « » Natürlich ? Warum ? « » Pastorenehen sind immer glücklich . « Ja so ! « Beide lächelten . Der Kranke stöhnte heftiger . » Jakob soll ihn zu Bett bringen « , beschloß Karola . Werner erhob sich : » Ja – es ist spät . Ich gehe auch . « Karola begleitete ihn bis an die Flurtür . Sie stand an den Türpfosten gelehnt und schaute zu , wie er sich den Pelz anzog . » Sie freuen sich wohl , nach Hause zu kommen . Wenn Sie von hier kommen , ist's da wohl doppelt gemütlich ? « sagte sie . » Werden Sie noch etwas essen ? « » Ich weiß nicht – . « » Gewiß hat Ihre Frau auf Sie gewartet « , sie lächelte dabei ihr leicht spöttisches Lächeln . » Gute Nacht ! « Der Wind fegte über die Ebene . Der Schlitten glitt geräuschlos über den feuchten Schnee . Werner hieb unbarmherzig auf seinen Schecken ein : » Hü – hü – vorwärts . « – Tolle Bewegung hatte er jetzt nötig . Er wollte den Wind wie Peitschenhiebe im Gesicht fühlen . Drüben lag das Pastorat . Licht blinkte durch das Fenster . – Nein – dahin nicht ! » Dort wird es gemütlich sein « – wie sie das gesagt hatte mit dem Zucken der Mundwinkel , als wüßte sie , daß er dorthin – dorthin , wo es » so gemütlich « war , jetzt nicht konnte . Er bog in den dem Pastorat entgegengesetzten Weg ein , fuhr dem Walde zu . Nur vorwärts – vorwärts ! In den engen Waldwegen war es finster , über ihm rauschten die Föhren , ein leidenschaftliches Brausen , das nachließ , wieder anschwoll , wie der Atem einer Riesenbrust . Hier und da knarrte ein morscher Zweig durchdringend schrill , wie ein Schmerzenslaut . Das tat Werner wohl . Es war , als tobte und rief eine große Kraft über ihm sich aus – für ihn , tobte und rief hinaus , was in ihm hinaus wollte . » Hü – hü « – trieb er den Schecken an . Er mußte sich tief bücken , um unter den niederhängenden Zweigen durchzukommen , und wurde dann ganz mit Tropfen überschüttet . Krähen flogen lärmend aus den Wipfeln . Ein aufgescheuchtes Reh brach durch das Unterholz . Werner wußte nicht , wohin er fuhr , nur vorwärts – hinein in die Dunkelheit , in das Wehen und Brausen , in das Tropfen und Duften . Plötzlich hielt der Scheck . Er war am Moorkrug . » Willst nicht weiter , armer Racker « , sagte Werner . Das Tier schnaufte und blies . Werner stieg aus . Teufel , ja ! das Pferd war in Schaum ! Da war nichts zu machen . » He – Wirtschaft – Jost ! « Der Krüger erschien ; seine riesige Gestalt sehr tief bückend , um durch die Tür zu kommen . » Was , der Herr Pastor selber ? « » Ja – ja – wundern Sie sich nicht so lange . Führen Sie das Pferd in den Schuppen , trocknen Sie es ab . Und dann einen Grog – geschwind . « Werner trat in die Krugstube . Eine Lampe rauchte an der Wand . Ein Holzknecht saß am Tisch , hatte den Kopf auf die Arme gelegt und schlief . Am Ofen , den Kopf auf sein Bündel gestützt , schlief ein Hausierer . Die beiden Schläfer riefen rauhe , schnarchende Gurgeltöne zueinander hinüber . Die Tür zum Nebenzimmer , zum » Herrenzimmer « , war angelehnt . Dort flüsterten Stimmen . Werner stieß sie auf . » Ah – da find' ich Gesellschaft « , rief er . Da saßen der Organist Sahlit und der Lehrer Gröv bei einer schwelenden Lampe und tranken Grog . Sie blickten scheu zur Tür , erhoben sich von ihren Stühlen . » Die stillen Sünder « , sagte Werner . » Na , setzen Sie sich nur , wenn Sie jetzt Ihren Grog stehen lassen , das macht die Sache nicht besser . « » Nu – mal am Sonntag « , murmelte Sahlit , der schon betrunken war . » Gut , gut . « Werner warf sich auf einen Stuhl und knöpfte sich den Pelz auf Die tolle Fahrt hatte ihn erfrischt . Er lachte die beiden wunderlichen Gesichter sich gegenüber an . Sahlit mit dem blanken , kahlen Schädel , rote Flecken im Gesicht , und die Augen fromm und schwimmend . Der Lehrer sah sehr hochmütig aus , rote , hektische Flecken auf den eingefallenen Wangen , das rote Haar wirr über die bleiche Stirn gestrichen . » Wie In verzeichneter Schiller schaut der Kerl aus « , dachte Werner . » Sie , Sahlit « , sagte er , » Sie haben heute in der Kirche wieder gespielt wie In Schwein . Das kommt vom Saufen . « » Nein , Herr Pastor « , entschuldigte sich Sahlit , » die alte Orgel , das Luder , pariert nicht mehr . « » Wenn ich eine Orgel wäre , würde ich Ihnen auch nicht parieren « , fuhr Werner fort . » Und Sie , Gröv , kommen wegen der roten Marri her . Das ist für einen Lehrer unpassend . « » Ich tu die Woche über meine Pflicht « , erwiderte Gröv stolz , » für den Sonntag verantworte ich – für mich . « » So ! Da ist ja der Grog « , brach Werner das Gespräch ab . Marri , groß , rothaarig , seltsam rote Augenbrauen im weißen Gesicht , brachte den Grog , stellte sich dann an den Ofen und sah Werner unverwandt an . » Nun , Kinder , da wir einmal zusammen sind – « , sagte Werner und hob sein Glas . » Auf Ihr Wohl , Herr Pastor « , stammelte Sahlit unterwürfig . Werner streckte die Beine von sich . Das Getränk ging angenehm heiß in die Glieder . » Na , munter , Kinder . Wovon spracht ihr ? « » Ach « , berichtete Sahlit , » Gröv hat einen sehr stolzen Rausch . Wenn der getrunken hat , dann spricht er von großen Regierungssachen , nu , und dann weiß er alles besser . « » Ja , dazu trinkt man « , versetzte Werner , » Gröv weiß dann alles besser – und Sie , Sahlit , sind dann ein großer Musiker . Und beide werdet's ihr dann schon dem Pastor mal zeigen – nicht ? « » Was können wir zeigen « , murmelte Sahlit und sah den Lehrer scheu an . » Ja – dem Pastor es mal zeigen , davon spracht ihr . « Werner schlug mit der Hand auf den Tisch und lachte : » Ja , Kinder , zeigt 's ihm mal ! Sie , Gröv , haben mit drei Glas Grog eine ganze Welt von Stolz und Mut heruntergetrunken . Das ist doch billig . « » Mein ist der Stolz und mein ist die Sünde « , sagte Gröv fest . » Gut , Gröv . « Werner trank ihm zu . » Sie nehmen es auf Ihre Kappe . Sie verantworten es , obgleich Sie sich einbilden , ein sehr großer , verwegener Sünder zu sein , der Marri wegen und des Grogs wegen . ja , das macht Sie stolz , so 'n ganz großer Sünder zu sein ? Da ist man doch mal was . « » Ich verantworte « , sagte Gröv wieder sehr entschlossen . » Sünder ist man – was kann man machen « , brummte Sahlit . Werner lachte : » Aber ihr seid ja gar keine großen Sünder ! Das bildet ihr euch ein , damit der Grog euch besser schmeckt . Ob Gröv morgen Kopfweh hat , und ob Sahlit Kater hat , das ist ja ganz gleichgültig . Arme Geschöpfe kriechen heimlich zusammen , wollen sich ein bißchen Mut und Hochmut antrinken , wollen's dein Pastor mal zeigen , na – und den anderen Tag zeigen sie 's ihm nicht , und vom Hochmut und vom Mut ist auch nichts mehr da , nein ! das schreibt der Teufel sich nicht auf sein Gewinnkonto , – das ist nichts . « » Das Fleisch ist schwach « , lallte Sahlit mit gefalteten Händen , » und Reue und Buße sind lang . « » Katzenjammer – nicht Buße « , rief Werner ihn an . » Sie spielen morgen wieder falsch die Orgel , Gröv rechnet seinen Kindern falsch auf der Tafel vor , ihr kriecht so durch den Tag hin wie immer . Das ist nicht Buße , das ist was anderes . « Der Schullehrer hatte schweigend zugehört . Er hob den Kopf , sein Nacken wurde steif und sein Lächeln sehr überlegen . jetzt begann er zu sprechen , schnell und in hoher Stimmlage : » Vielleicht , Herr Pastor , sind die Sünden der vornehmen Herren nichts für uns . Wir sind arme kleine Leute . Wo sollen wir die großen Sünden hernehmen ? Die sind nichts für uns . Sowieso hat man nichts vom Leben , auch – auch von den Sünden nichts . Das ist mal so die Gerechtigkeit der Gesellschaft . Es ist möglich , daß der Herr Pastor sich mehr für die vornehmen Sünder interessiert , jeder streckt sich nach seiner Decke . Ich hab' die Welt nicht gemacht . Ich möchte auch lieber eine Lampe , die nicht raucht , und einen Grog ohne Fusel und – und – « , er errötete . Der Mut seines Angriffes stieg ihm zu Kopfe – » und ' ne vornehme Dame . « » Bravo , Gröv ! « rief Werner . » Marri , noch ein Glas . Ihr Lehrer ist ein Mann . Sie wollen gleichmäßige Verteilung der Sünden ? Recht haben Sie , Mann . « » Das wird auch noch kommen « , prophezeite Gröv . » Gott geb 's « , betete Sahlit verständnislos . Werner stützte den Kopf in die Hand und wurde nachdenklich . » Arme Racker ! « sagte er vor sich hin . » Müßt nachts hier hinaus kriechen , um bißchen hochmütig zu sein , um bißchen Sozialdemokrat zu sein , um zu sehen , ob Marri Zeit hat . Und dann morgen nichts – vorüber . « Er schaute auf , betrachtete nachdenklich die beiden wunderlichen Gesichter seiner Kameraden : » Nun , – wißt ihr – , euch wird viel vergeben werden , weil – weil ihr so furchtbar häßlich seid . « » Amen « , murmelte Sahlit . Eine dumpfe Müdigkeit , die ihn traurig machte , legte sich auf Werner . Die Luft war dick von dem Qualm der Lampe , dem Dampf des Grogs . Sahlit weinte jetzt . Grövs Stolz wurde gespenstischer , dabei warf er verliebte Blicke dem Mädchen am Ofen zu . Und dieses Mädchen , das Werner mit den runden , bleichen Augen stetig ansah , mit dem großen , weißen Gesichte , den nackten Armen , dem weichen Quellen des Busens , mit all dem weißen , lasterhaften Fleisch , es erregte Ekel in Werner , um so stärker , weil es in seinem Blute doch ein Brennen entzündete , das ihm unendlich zuwider war . Er stand auf . » Jetzt fahren wir . Und die Herren kommen mit mir . « » Danke , danke « , lallte Sahlit . Im Schlitten befahl Werner dein Krüger , die Decke fest zuzuknöpfen – » sonst verliere ich meine Gäste . Nur festhalten – es geht los « . Er trieb den Schecken an . Der Wind wühlte noch in den Föhrenwipfeln . Durch die Wolken schien auf Augenblicke der Mond , ein Licht , das kam und ging , als liefe jemand mit einer Kerze eine lange Fensterreihe entlang . Und alle Schatten unten kamen in Aufregung , fuhren zwischen den hohen Stämmen hin und her . » Gott sei uns gnädig « , betete Sahlit . » Hü – hü « – rief Werner . Dieses Blasen und Wehen badete ihn wieder rein . » Hü « – Sie flogen die kleinen Waldwege entlang . Das leichtgefrorene Moos knisterte unter den Hufen des Pferdes . » Haltet euch , Kinder « , kommandierte Werner . Der Scheck stutzte , aber Werner ließ die Peitsche sausen . » Vorwärts ! « – ein Ruck , und sie waren an der Galgenbrücke . Über eine tiefe Schlucht , einst vielleicht ein Steinbruch , in der Steine in einem schwarzen Wasser schliefen , war eine rohe Brücke geschlagen worden , einige Bretter auf einigen hohen Pfosten . Alles war jetzt morsch und faul , das Geländer fortgebrochen . Längst wagte keiner mehr diese Brücke zu befahren oder auch nur zu betreten . Der Rübensimon , der Säufer , hatte sich mitten auf der Brücke erhängt , die Beine über dem Abgrund , und als der Strick gerissen war , war der Rübensimon in das Wasser gefallen , und man hatte seine Leiche nie finden können , ein so tiefes Loch mußte dort unten in dem schwarzen Wasser sein ; so erzählten sich die Leute . » Herr Pastor ! « sagte Gröv heiser . » Gnade ! « wimmerte Sahlit . Aber der Scheck jagte hin . Er führte eine Art Tanz auf , um über die morschen Bretter hinüberzukommen . Hier war eine glatte Stelle , dort brach der Huf ihm in das faule Holz ein – , dort war ein Spalt . Hoch über dem Wasser glitt der Schlitten hin . Etwas Mondlicht fiel in die Tiefe . Werner lehnte sich in den Schlitten zurück . Eine starke Spannung straffte jeden Nerv in ihm an , eine atemlose Erwartung – , jeden Augenblick kann es kommen , das Neue , das Nieerlebte . Ein Rausch war es , der ihn wiegte , dazwischen darin ein ruhiger , beobachtender Gedanke : Also so ist's , wenn wir davor stehen , so ist's , wenn wir's erleben . Sahlit winselte leise vor sich hin wie ein Hund , der an einer geschlossenen Tür steht und hinaus will . Jetzt noch ein Ruck und der Schecke hatte festen Boden unter den Füßen . » So ! « sagte Werner und tat einen tiefen Atemzug . Er ließ die Leinen los . Der Schecke fand den Heimweg schon allein . Eine Ermüdung wie nach einer starken Anstrengung legte sich über Werner . Er sah seine Genossen an . Er fühlte eine Art Zärtlichkeit für sie . Der Küster hielt die Augen noch geschlossen und wimmerte . » Mann – , es ist vorüber ! « schrie Werner ihn an und schüttelte ihn . Sahlit öffnete die Augen , schaute um sich wie einer , der aus schwerem Traum erwacht . » Danke , danke , Herr Pastor « , stammelte er . Der Mond beschien einen Augenblick das Gesicht des Lehrers , ein geisterbleiches Gesicht . Über die spitzen Backenknochen mit den roten Flecken flossen Tränen , die ganz blank im Mondlicht wurden . » Sie weinen ja , Gröv ? « sagte Werner . » So ? « erwiderte er . » Ich weiß nicht . « Das tränenüberströmte Gesicht blieb regungslos und starr . » Sie haben sich gut gehalten , Gröv « , meinte Werner . Er wollte dem Manne etwas Angenehmes sagen . » Nicht meine Verantwortung « , versetzte der Lehrer eintönig und leise , wie einer im Schlafe spricht . » Der Herr Pastor wollte uns vielleicht strafen . Ob er das Recht dazu hatte , ist zweifelhaft . « » Nein , nein , dazu hatte er kein Recht « , sagte Werner . » Verzeihen Sie mir , Gröv . « » Ich – bitte , Herr Pastor « , warf Gröv nachlässig hin . Der Scheck trabte munter dem Pastorate zu . » Schlafen werden wir gut « , bemerkte Werner . Ja , schlafen wollte er . Auf eine lange , traumlose Ruhe freute er sich . Die Ebene , über die das flackernde Mondlicht hinstrich , erschien ihm schon Jetzt wie eine weite , stille Traumlandschaft . Es war spät am Nachmittag . Werner ging zu der alten Waldhäuslersmutter Gehda , die nicht sterben konnte . Ganz dürr und gelb , wie ein großes Heimchen , lag die Alte in ihrem Bett . Aus den tiefen Augenhöhlen lugten die trüben Augen geduldig und stetig hervor und warteten . Als der Pastor sich an ihr Bett setzte und fragte : » Wie geht es , Mutter Gehda ? « – schwieg sie , als verlohne es sich nicht , darauf zu antworten . Die Schwiegertochter , die Waldhäuslerin , antwortete redselig : » Ach , Herr Pastor , kein Atem , was ist das für'n Leben ! Man is alt , man will sterben , nu ja ! Gestern haben wir ihr ein warmes Bad gemacht , haben sie gut abgeseift . Wird man nu sehn – wie 's wird . « Werner sprach erbauliche Worte . jeder Augenblick , den Gott uns gibt , kann für unser Heil wichtig sein . Was bedeutet das bißchen Warten gegen eine Ewigkeit bei Ihm ! Da begann die Sterbende zu sprechen mit tiefer , mürrischer Stimme , als schelte sie jemanden : » Geplagt hat sich der Mensch beim Mistverstreuen und Unkrautjäten in dem Baumgarten . Nu will der Mensch seine Ruhe haben . Das kann er verlangen . Das heilige Abendmahl hat man genommen , alles ist fertig . Aber nein – und nein . « Werner schwieg . Was sollte er hierzu sagen ? Die Alte wußte es besser . Sie verlangte nach dem Tode als nach ihrem Recht . Hier brauchte er nicht zu trösten . Er stand auf : » Na , Mutter Gehda , – Gott wird helfen . Geduld müssen wir haben . « Er ging hinaus . Der Tag war kalt gewesen und mit leichtem Frost . Die Sonne ging rot hinter den bereiften Bäumen unter . Das » Man will seine Ruhe haben « der Alten klang Werner nach , während er durch den Wald ging , – beruhigend und friedlich . Dazu lebt man , um diese Sehnsucht nach tiefer Ruhe , diesen Durst nach der Wohltat des Todes zu haben . Was sollte er der alten Frau von einer ewigen Seligkeit , einem ewigen Leben sprechen . Sie verlangte nach ewiger Ruhe vom Mistzerstreuen und Unkrautjäten . Lustig waren der weiße Wald mit dem roten Sonnenschein und die klare Frostluft . Alles sah so geschmückt aus , als sollte hier etwas Gutes , etwas Festliches geschehen . Durch den Wald tönte Schellengeklingel , sehr hell , wie ein silbernes Lachen . Werner blieb stehen und horchte . Er kannte dieses Schellengeklingel wohl . Das war es , was in den festlichen , weißen Wald hineingehört hatte . Er lachte ein knabenhaft frohes Lachen vor sich hin . Das Schellengeklingel kam näher . Nun sah Werner schon den Schlitten , die beiden spitzgespannten schwarzen Pferde , des Kutschers Pelzmütze und braunrote Livree . Karola saß allein im Schlitten . » Pastor ! « rief sie , als sie Werner sah . » Fahren Sie mit ? Doch nein ! Peter – halt ! Ich steige aus . Peter wartet auf mich an der Allee . Ich geh ein Stück mit Ihnen . « Sie sprang aus dem Schlitten . Ihr Pelz und die Pelzmütze waren weiß bereift , ihre Wangen gerötet . Sie lachte über das ganze Gesicht , als sie Werner die Hand reichte . » Ist das schön , Pastor ! Der Wald und die rote Sonne ! Wie lauter Balldamen , auf die es Himbeersoße regnet ! « Sie ging neben ihm her , sprach erregt : » Einen Besuch hab' ich gemacht bei der Baronin Huhn in Debschen . Oh ! war das langweilig ! Schon wenn ich die Zwiebäcke in Debschen sehe , macht es mich traurig . Alles riecht dort nach Zwiebäcken . Woher das wohl kommen mag ? Das Leben dort muß eine einzige , langweilige Kaffeestunde sein . Ich sehnte mich hinaus . Der Wald jetzt ist doch das Eleganteste , das es gibt . Wie fein der Schnee knirscht , wenn man darauf geht , wie Zucker . Das müßte man im Sommer machen , einen Weg mit Zucker bestreuen , und am Rande müßten ganz rote Tulpen stehen . Und wo waren Sie ? « Werner erzählte von der Mutter Gehda und wie sie den Tod nicht erwarten konnte . » Dieser Besuch hat Sie wohl traurig gemacht ? « fragte Karola und sah enttäuscht zu Werner auf » Nein « , meinte er . » So was beruhigt , dieses Haus , in dem man auf den Tod wartet , ärgerlich und ungeduldig , wie auf den Zug , der Verspätung hat . « » So . Dann fürchtet sie sich also nicht « , sagte Karola befriedigt . » Wenn die Leute leben wollen und nicht dürfen , das lieb ich nicht . « Sie traten aus dein Walde hinaus . Vor ihnen lag die Ebene , ganz übergossen von zentifolienfarbenem Licht . Die Sonne war im Untergehen . Um sie her , in einem fliederfarbenen Himmel , bauten sich große , bunte Wolken auf Langgestreckt , stachen sie wie goldene Klingen in den Himmel , oder sie rundeten sich wie rosenfarbene Nacktheiten , an denen goldene Schleier hingen . Karola stieß einen kleinen Schrei aus , dann stand sie still , ließ die Arme niederhängen , wie wir unter einer Dusche stehen . Das rotangeleuchtete Gesicht hob sie zu Werner auf : » Stehen Sie still « , rief sie ihm zu . » Fühlen Sie , wie 's an einem niederfließt ? Ich spür' ordentlich , wie die Wellen kommen , rosa und goldene Wellen . « Sie schaute in die Sonne . Ihre Augen wurden wieder ganz schmal , leuchtende Striche zwischen den schwarzen Wimpern . » Sie sind auch ganz rosa , Pastor , ein rosa Gesicht , einen rosa Bart . « Sie lachten sich an , öffneten den Mund , als könnten sie das Licht trinken . Die Sonne sank . Sie war nur noch eine rote Halbkugel . » Sie geht – sie geht ! « rief Karola . Mit ausgebreiteten Armen lief sie den Weg entlang , der Sonne nach . Die Sonne war untergegangen . Alle Lichter erloschen auf der Ebene . Oben verblaßten die Wolken . Ein blaues Dämmern kroch sachte über den Schnee . Karola war stehen geblieben . » Alles weg « , sagte sie bedauernd . Der Himmel wurde glasig und farblos . Ein weißes Stück Mond hing in ihm . » Wie so 'n bißchen Licht einen aufregt « , bemerkte Karola entschuldigend . » Ich bin müde . Geben Sie mir Ihren Arm , Pastor . Gott ! bin ich gelaufen ! « Sie hing sich an Werners Arm . So gingen sie langsam durch die zunehmende Dämmerung über die Ebene . Karola sprach jetzt ruhig , ein wenig traurig vor sich hin : » Ich glaube , weil die Lampe bei uns immer verhängt wird , scheint die Dämmerung mir traurig . Eben war es so , als ob Jakob die Haustür verschließt . Ich lege den grünen Schirm über die Lampe , und der Abend beginnt . « » Aber Sie , gnädige Frau « , sagte Werner , » Sie sind ja nicht traurig . Sie sind ja geduldig und fröhlich . « Karola zuckte die Achseln . Das haben Sie schon zuweilen gesagt , Pastor , Sie wollen an mir wohl eine Tugend loben . Geduldig , mein Gott ! Ich mag es aber nicht besonders , wenn Sie mich bemitleiden . « » Nein – Sie darf man nicht bemitleiden « , versetzte Werner schnell . » Mich nicht ? « Sie hob ein wenig den Kopf und sah Werner mit dem scharfen Blitzen ihrer Augen an . » Warum ? « » Weil – « , Werner dachte einen Augenblick nach . Dann zeigte er auf die beiden Schatten , die der Mond , groß und blau , vor ihnen auf den Schnee legte : » Sehen Sie Ihren Schatten ? « » Nun und ? « » An diesem Schatten seh ich , daß Sie nicht heimlich an etwas Schwerem tragen . « Karola lachte . » Pastor , was ist das mit dem Schatten , sagen Sie ? « » Eine Geschichte . « » So erzählen Sie . « » Ich war früher in einem kleinen Pastorat nah an der Grenze . Ich hatte mich auf der Jagd verirrt . Es war spät geworden . Der Mond schien , so wie heute . Sie wissen , es wird dort viel geschmuggelt . Nun , auf einer Lichtung an einem kleinen Fluß sah ich einen Zug langsam hingehen . Juden waren es wohl . Lange Röcke , lange Bärte , große Hüte . Es schienen sehr starke , große Leute zu sein . Sie gingen langsam , ein wenig gebückt , ein wenig mühsam vielleicht . Sonst war aber nichts Besonderes an ihnen zu sehen . Aber neben ihnen , auf dem Boden , gingen ihre Schatten her – riesige , dunkle Schatten , und diese Schatten waren seltsam unförmig . Die Schatten hatten Buckel und Ausbuchtungen und Beulen . Die Schatten trugen an etwas schwer , sie verrieten es , wie schwer beladen diese Leute waren . « » Ich versteh' nicht recht « , sagte Karola und schaute aufmerksam auf ihren Schatten nieder . » Nun « , erklärte Werner , » Leute , die heimlich schwer an etwas tragen , die bemitleide ich . Aber Ihr Schatten , sehen Sie , wie schlank und leicht er über den Schnee gleitet . Fast leichtsinnig . Heimliche Lasten entstellen immer . « » Ganz leicht « , wiederholte Karola . » Und Ihrer ? « » Ich weiß nicht . « Werner richtete sich gerade auf , um seinen Schatten schlanker zu machen . » Vielleicht doch ein wenig unförmig ? « » Nein « , rief Karola eifrig . » Sehen Sie , wie leicht er geht . Nun ja , Sie sind stark , Sie können leicht viel tragen . « Sie schweigen eine Weile und folgten mit den Blicken den Schatten , die vor ihnen hergingen . » Und Karl Pichwits Schatten « , sagte Karola darin , » wie mag der sein ? « » Der ? Ich weiß nicht . « » Ich glaube , der ist auch ein wenig verzeichnet « , meinte Karola nachdenklich . Das letzte Stück Weges wurde nichts mehr gesprochen . Still gingen sie durch die glashelle Mondnacht . Karola war müde und stützte sich schwer auf Werners Arm . Vor ihnen glitten die beiden Schatten hin , so eng aneinandergeschmiegt , als umarmten sie sich . » Hier ist Peter « , sagte Karola . » Danke ! Das war gut . jetzt zur Lampe zurück . Kommen Sie bald , Pastor . Verlassen Sie uns nicht . « Sie reichte ihm die Hand , stand ganz nahe vor ihm und sah ihm in die Augen . Gewiß , Frau Baronin , ich komme « , sagte Werner , weich , als sei es eine Liebeserklärung . Sie setzte sich in den Schlitten und fuhr die Allee hinab . Werner stand noch lange an derselben Stelle und hörte dem Klingeln der Schellen zu , das so hell in die Mondnacht hinauslachte . Langsam und sinnend ging er dann heim , einer stillen , heimlichen Heiterkeit in seiner Seele zuhörend . Im Pastorat war noch kein Licht gemacht . Lene saß im Wohnzimmer am Fenster und schaute den Mond an . » Nun , Kind , träumst du ? « sagte Werner freundlich . » Ja , der Mond ist so hell « , erwiderte Lene , ohne aufzustehen und ihm entgegenzukommen . » Also verstimmt « , dachte Werner . Das war ärgerlich . Gerade heute hätte er gewünscht , daß alles harmonisch um ihn wäre . Er beschloß , nicht darauf zu achten . » Ja , ein schöner Abend « , begann er wieder » der macht sentimental . Steck' das Licht an , Kind , wir wollen ein wenig musizieren . Was ? « » Ja – gleich « , sagte Lene , aber das klang nicht begeistert . Da war ein Unterton säuerlicher Resignation . Als die Lampe und die Kerzen am Klavier brannten , sah Werner , daß Lene geweint hatte . Natürlich ! Heute jedoch tat er , als bemerkte er es nicht . Er wollte die kleinen , häuslichen Unannehmlichkeiten vermeiden , sich den Nachglanz des Abendrots , den Nachklang der lachenden Schellen in der Mondnacht nicht verderben lassen . Lene setzte sich an das Klavier und schlug die Noten auf . Werner plauderte unbefangen weiter . Der Baronin Werland bin ich begegnet . « » So ! deshalb kamst du wohl so spät nach Hause ? « » Ja , wir gingen ein Stück zusammen . « Werner sorgte dafür , daß nicht die geringste Ungeduld aus seiner Stimme klang . » Und sie läßt den armen , kranken Mann solange allein « , sagte Lene . » Das ist wohl nicht unsere Sache « , erwiderte Werner sanft . » Die Frau erfüllt gewissenhaft genug ihre nicht leichten Pflichten . « Lene zuckte die Achseln und tat den unklaren Ausspruch : » Wer erfüllt denn nicht seine Pflichten ? « Werner antwortete nicht auf diese Wendung , die das Gespräch ins ganz Persönliche hinüberleiten sollte . Die junge Frau mit den verweinten Augen tat ihm leid . Er wollte ihr etwas Gutes tun , er wollte recht schön singen . Die arme , leidende Seele sollte ganz in Gefühl und Süßigkeit gebadet werden . Das würde ihr guttun . Lene legte die Hände auf die Tasten und wartete . » Was willst du singen ? « fragte sie . Werner blätterte im Notenheft . – » › Du bist die Ruh ‹ , denke ich . « » Gut . « Lene beugte sich noch näher an die Noten heran und versuchte die Begleitung . Werner schaute auf ihre Hände hinab . » Du « , sagte er dann , » die Baronin Huhn hat mir ein Wasser empfohlen , – für die Hände . Das macht die Hände weiß . « Lene zog schnell ihre Hände von den Tasten herunter . » Für wen ? « » Für dich . « Für mich ? « fuhr Lene auf » Plötzlich sind dir meine Hände nicht weiß genug . Ja , ich hab' rote Hände . Natürlich , bei der Arbeit ! Aber ich danke für das Wasser der alten Huhn . Bisher ist dir das nicht aufgefallen . « » Warum regst du dich auf ? « Werner versuchte zu lachen . » Es ist doch angenehmer , weiße Hände zu haben als rote , und wenn – – – « » Gewiß . « Lene fing zu weinen an . » Es ist vielleicht auch angenehmer , so schmale Schlangenaugen zu haben , statt solcher dummen , blauen Augen mit blonden Wimpern wie ich . « Werner zuckte die Achseln . » Gut , also lassen wir das . Soll ich singen ? « Lene wischte sich die Augen und begann zu spielen , noch immer schluchzend wie ein Kind . Werner sang , aber die Lust dazu war ihm vergangen . Er sang schlecht und ohne Genuß . » Es geht nicht ! « sagte er ärgerlich und brach ab . Er ging in sein Zimmer , setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte in das Licht der Lampe . – Warum mußte das sein ? Warum immer leiden oder leiden machen ? Fühlte er ein wenig Glück , gleich mußte das mit dem Schmerz eines anderen Wesens bezahlt werden . Warum ? Seltsame Ökonomie , seltsame Buchführung ! Das Ehepaar Werner war ins Schloß Dumala zum Diner geladen . Lene stand vor Werner und wollte seinen Rat . » Was soll ich anziehen ? « Werner antwortete nicht gleich , weil er in dem Buch vor sich die Zahlenreihe zusammenaddieren wollte . » Das Schwarzseidene ? « » Ja – ich denke « , sagte Werner ohne aufzuschauen . Lene dachte nach . » Ach « , meinte sie , » es ist so langweilig , immer schwarz . Die Pastorin natürlich in schwarzer Seide . « » Wenn man nun mal Pastorin ist « , warf Werner hin , indem er weiter rechnete . » Die Baronin wird natürlich hell sein « , fuhr Lene fort . » Das glaube ich nicht « , meinte Werner . » Als Hausfrau wird sie wohl eher einfach gekleidet sein . « Aber Lene bestand darauf : » Ach ! Was die einfach nennt ! Und dann , der Baron Rast wird da sein . Der soll ja ein so schlechter Mensch sein , wie man hört . « Werner schaute auf . » Hat das denn irgendeinen Einfluß auf deine Toilette ? « » Wenigstens « , beschloß Lene , » leg' ich dann die kirschroten Bänder um . « » Tu das , Kind « , sagte Werner freundlich , » das wird hübsch sein . Auch wohl vielleicht , weil der Baron Rast ein schlechter Mensch ist ? « » Was hat das für einen Zusammenhang ? « fragte Lene und ging aus dem Zimmer . Die Zimmer in Dumala waren heute alle erleuchtet . Die alten Möbel mit den verblaßten Seidenbezügen und den großen gewundenen Lehnen standen mürrisch , wie im Schlaf gestört , im hellen Lampenlicht . Als Werners in das Kaminzimmer traten , waren die anderen Gäste dort schon versammelt . Die Baronin Huhn aus Debschen , in eine blanke , graue Atlasrobe , wie in einen Spiegel gekleidet , sehr erhitzt unter ihrer weißen Perücke , unterhielt sich mit dem Baron Werland , der im Gesellschaftsanzuge noch schmäler und gebrechlicher als sonst aussah . Neben ihm am Kamin lehnte Behrent von Rast , breitschulterig und groß . Der Kopf war seltsam grell , mit dem kurz geschorenen schwarzen Haar über der geraden , niedrigen Stirn , mit dem Bart , der am Kinn geteilt , wie zwei schwarzblaue Flammen von beiden Seiten abstand . In dem bräunlichen Gesicht saßen zwei große , samtbraune Augen . » Unangenehm ! « dachte Lene . Karola begrüßte die Pastorin sehr herzlich . » Wie freue ich mich , Sie hier zu sehen . Man sieht sich so selten . « Lene errötete , weil sie überrascht war von der unumwundenen Falschheit dieser Freundlichkeit . » Sie ladet mich ja nie ein « , dachte sie . Vor dein Diner saß man zusammen und plauderte . Rast ließ sich von der Baronin Huhn und Werland über Landwirtschaft belehren . – » Ach ! – So ist es ! Ich bin sehr dankbar .