Erstes Buch 1 Er nahm den Zügel straffer und versetzte dem schnaubenden Gaul einen Hieb mit der Reitpeitsche . Das Tier zuckte zusammen , bewegte aber keinen Huf , stierte mit vorgequollenen Augen auf die grauen Tümpel des Sumpfbodens und fing zu zittern an . Dem jungen Reiter brannte der Zorn im Gesicht . Wieder hob er die Peitsche . Doch er schlug nicht , ließ die Gerte sinken und schob sie hinter den Ledergürtel . Während er unter beruhigendem Zureden dem Pferde den Hals tätschelte , sah er prüfend an dem Tier hinunter . Der schlanke Pongauer Rappe hatte ein reichlich Teil seiner glänzenden Schwärze eingebüßt . Die Beine waren bis an den Bauch herauf in das Grau des zähen Schlammes gewickelt , durch den der Weg des Tieres gegangen war . Die Hand auf die Kuppe des Pferdes stützend , sah der Reiter hinter sich . Zwischen Moosbüscheln konnte er auf eine weite Strecke , bis hinüber zum Waldsaum , die Spuren seines Rittes gewahren , diese tiefen , schon mit Wasser vollgelaufenen Stapfen des Pferdes . Die fernsten dieser kreisrunden Wasserlöcher glänzten in der späten Sonne des Sommertages wie blanke Goldstücke . Umkehren ? Der Reiter schüttelte den Kopf . Er guckte über die unruhig bewegten Ohren des Pferdes hinüber . Da vorne war der Boden nicht besser als da hinten . Aber nur vierzig , fünfzig feste Sprünge müßte der Pongauer machen , dann wäre der gute , grüne Almboden da ! Und wie zum Hohn für den ratlosen Reiter schritt da drüben das Weidevieh gemütlich umher : junge , blökende Kalben , Kühe mit schwer schlenkernden Eutern , mächtige Ochsen mit blechig rasselnden Glocken . Der diese heiseren Schellen gehämmert hatte , das war kein guter Glockenschmied . Der Reiter machte einen gütlichen Versuch , das Pferd in Gang zu bringen . Doch der Pongauer zitterte und wollte die tragende Insel , die er nach seinem grauenvollen Einsinken gefunden hatte , nicht verlassen . Sie war so klein , daß der Gaul keinen Schritt nach vorne oder rückwärts machen konnte , ohne in dieses linde Grau zu treten , das keinen Boden hatte . Moorle « , sagte der Reiter , während er das Pferd an der dicken Mähne zauste , » da wird nichts helfen ! Hinüber müssen wir ! Oder im Dreck das Jüngste Gericht erwarten ! « Langsam gab er dem Pferd die Eisen , immer schärfer . Der Pongauer keuchte . Doch er stand , als wären seine Beine in Stahl verwandelt . » In Herrgotts Namen , so tu noch rasten , ich will geduldig sein ! « Der junge Reiter besah sich die Gegend . Hinter ihm lag der stille Waldberg , über den er von der Berchtesgadener Grenzwach am Hallturm herübergeritten war – ein Ritt , so herrlich wie töricht . Aber das ist so : Alles Schönste des Lebens braucht immer als Vater den Leichtsinn , den man schelten möchte . Und vor ihm , in der Ferne da drüben , stiegen die blauen Bergriesen auf , die Mühlsturzhörner , der Hochkalter und der Steinberg . Da mußte in dem sonnendunstigen Tal dort draußen der Hintersee liegen . Und gleich da drunten , wo sich die lange Waldschlucht gegen halbversteckte Felder weitete , blitzte eine große , weiße Wassersichel , von Röhricht umstanden . Der Taubensee ? Dann mußte der böse Boden , auf den er da geraten war , das verrufene Hängmoos sein , auf das sich die Berchtesgadener Herren bei ihren Pirschgängen nicht gerne verirrten . Verrufen ? Und da drüben lag die schönste Weide , die eine Herde von Kühen und Ochsen nährte ! Und aus einer Grasmulde des tieferen Almgehänges stieg wie ein feiner , blauer Strich der Rauch eines Herdfeuers zum Himmel auf . Mit klingender Stimme schrie der Reiter nach dem Hirten . So ein Viehhirt kennt doch die Wege im Sumpf , wie Gott das Gute kennt im Herzen eines schlechten Menschen . Doch niemand antwortete . Und hinter den westlichen Bergen ging schon die Sonne hinunter . » Moorle ! Jetzt müssen wir vorwärts . « Der Pongauer war anderer Meinung . Kein Zureden , kein Zorn , kein Eisen , keine Peitsche half . Da gab es keinen andern Rat mehr als absteigen und das Moorle führen . Der Reiter tappte gleich beim ersten Schritt hinunter bis übers Knie ; mit Widerstreben gehorchte das Pferd der ungeduldigen Kraft , die den Zügel straffte ; unsicher trat es über den Moosbuckel hinaus , versank bis an die Gurten , schlug verzweifelt mit den Hufen , machte kehrt und kletterte , den am Zügel hängenden Menschen hinter sich herreißend , wieder empor , auf die tragende Insel . Und der Reiter , bis an die Hüften mit Schlamm behangen , schwang sich in den Sattel , um von der Unruhe des Pferdes nicht in den Sumpf gestoßen zu werden . Während der Pongauer heftig zitterte , drehte er den Kopf mit einem Blick , der zu fragen schien : » Wer war jetzt der Klügere von uns beiden ? « Dann schüttelte sich der Gaul , daß die abgeschleuderten Schlammflocken weit hinausflogen über das sumpfige Gehäng . Irgendwo ein Lachen . Der junge Reiter drehte flink das Gesicht . Oberhalb des Bruchbodens sah er zwischen dicken Wacholderbüschen einen roten Fleck – zu groß für eine Blume . Da drüben hockte wohl die Hirtin ? Und die saß wohl schon lange da und guckte zu ? Und lachte ? In Zorn wollte der junge Reiter da hinüberschreien . Aber da klang bei den Wacholderbüschen eine Stimme : » Tu warten , Mensch ! Ich komm. « Eine kräftige Stimme war 's – gleich dem Laut eines halbwüchsigen Buben , der noch immer auf dem Kirchenchor den Engel singt , aber schon mannen will . Leichtfüßig kam die Hirtin über den Sumpf herüber , von einem Moosbuckel zum andern springend . Die mußte fest und gesund sein ! Sie bewegte sich , wie frohe Menschen tun . Die Füße waren nackt . Ein grauer Zwilchkittel hing bis zu den halben Waden hin . Sie trug kein Wams , kein Mieder ; über dem groben Hemde war nur mit Lederriemen und kleinen Hirschhornknebeln ein roter Tuchstreifen um die Brüste geschnürt , die leise zitterten , sooft das Mädchen von einem Moosbuckel zum nächsten hinübersprang . Das straff gezopfte Schwarzhaar lag wie eine dicke , schwere Haube um das strenge , sonnverbrannte Gesicht , in dem die blauen , wunderlich ruhigen Augen sich ansahen wie verläßliche Sterne . » Beim Wald da drüben « , sagte sie mit ihrer herben Knabenstimme , » wo der Weg ausgeht , da hättest umwegs gegen den Berg hin müssen . Der grade Weg ist nit allweil der beste . « Sie sprach so bedächtig , wie kluge Menschen reden , die schon in Jahren sind . Er sah sie schweigend an und dachte : › Tut wie ein Altes und ist ein paar Jährlein über die Zwanzig ! ‹ Sie hatte den letzten Moosbuckel erreicht , blieb mit dem einen Fuße drüben und stellte den andern auf des Pongauers Insel neben den Huf des Pferdes hin . Da fragte der Reiter : » Bist du die Hirtin auf dem Hängmoos ? « Sie gab keine Antwort . Ihre geschickten Hände lösten flink eine Schnalle des Riemenwerkes und streiften das Zaumzeug über den Kopf des Pferdes herunter . Mit Tieren verstand sie umzugehen . Moorle wurde ruhig , sobald er diese Hände spürte , und drehte schnuppernd die Schnauze gegen die Hirtin hin . Sie zog dem Reiter den Zügel fort , den er noch immer festhielt , hängte das Zaumzeug über die Schulter und sagte : » Absteigen mußt ! Lang hab ich nit Zeit . Vor Nacht muß ich meine siebzehn Küh noch melken . « Der kühle Bergschatten wanderte schon über das Sumpfland hinaus , und im Tale draußen bohrten sich die schwarzblauen Schattenkegel immer tiefer in den gelben Sonnenduft . » Absteigen ? Und der Gaul ? « » Ohne Bürd hat er's leichter , als wenn er tragen muß . « Während der Reiter auf der andern Seite des Pferdes aus dem Sattel glitt – ein bißchen vorsichtig – zerrte die Hirtin rasch die Schnallen des Gurtes los und nahm den Sattel auf ihren Nacken . » Nein , du ! Den laß mich tragen ! « » Du wirst Augen und Händ für den Weg brauchen . « Sie wandte sich und machte wieder diese raschen , sicheren Sprünge über die grünen Mooskissen im Schlamm . Ein bißchen lachend , schlüpfte der Reiter unter dem Bauch des Pferdes durch , wobei sein grünes Hirschlederwams über den Rücken hin eine Färbung ins Graue bekam . Nur an der Brust dieses Wamses und auf der Oberseite der mit violettem Tuch geflügelten Ärmel blieb noch die schöne Farbe . Alles andre – die gelb gestülpten Reitschuhe mit den Stachelsporen , die violetten Strumpfhosen und der Ledergurt mit dem Wehrgehenk – alles war grau geworden . Diese Graumannsfärbung wurde auf dem weiteren Wege noch befördert . Die Hirtin hatte richtig prophezeit : Nicht nur die Augen , auch die Hände wurden ihm nötig . Bald lachte er , bald schalt er wieder , wenn er bei einem Sprung daneben trat , und immer warf er einen Blick nach der Hirtin , wie in Sorge , ihr spottendes Lachen hören zu müssen . Aber sie wandte keinen Blick nach ihm , sie sprang und sprang , wobei die Eisenbügel des Sattels leise klirrten , und kümmerte sich nimmer um den Weglosen , den zu führen sie gekommen war . Moorle , auf seiner kleinen Insel , betrachtete diesen Vorgang mit wachsendem Erstaunen . Er streckte den Hals und wurde ungeduldig . Und als er die Hirtin neben seinem Herrn , der das schlanke Mädchen noch um einen halben Kopf überragte , auf den schönen , grünen Almboden treten sah , stieß er ein Gewieher aus und machte einen verzweifelten Sprung . Bis an die Schultern versank er , schlug und arbeitete , kam in die Höhe , tauchte wieder hinunter , fand eine hilfreiche Insel , zögerte und ließ sein Wiehern klingen , hörte den sorgenvollen Lockruf seines Herrn und machte rasende Sprünge . Und als der Rappe den sicheren Almboden erreichte , bis über den Hals herauf in einen Eisenschimmel verwandelt , begann er wie in bewußter Rettungsfreude ein so irrsinniges Umhertollen , daß die Kühe , Kalben und Ochsen vor Schreck mit gehobenen Schwänzen unter rasselndem Schellenklang davonrannten . Moorles junger Herr begann bei diesem Bilde heiter zu lachen . Auch den strengen Mund der Hirtin kräuselte ein Lächeln . Die Kühe , die vor dem lebensfreudigen Moorle Angst bekamen , liefen ihr zu , und während sie den Weg zur Hütte nahm , war die halbe Herde des Ahnfeldes um sie herum , ein dicker Kranz von fetten Rücken und gehörnten Wackelköpfen . Da tauchte hinter einem Steinhügel eine kleine , verkrüppelte Menschengestalt auf . Ein Knabe ? Oder ein Greis ? Das Gesicht war blaß und runzlig , aber die Augen waren jung – es waren die gleichen blauen Augen , wie sie in dem strengen , sonnverbrannten Gesicht der Hirtin glänzten . Arme und Beine waren mager und kurz , der von schwarzen Haarsträhnen umhangene Kopf saß tief zwischen hohen Schultern , und der Rücken war zu einer häßlichen Krümmung entstellt . Doch dieser Krüppel war besser gekleidet , als sich die Bauernsöhne in den Tälern drunten zu tragen pflegten ; fast sah er aus wie ein verzärteltes Herrenkind , das man durch schmuckes Gewand für die Mißgestalt seiner Glieder entschädigen wollte . In der einen Hand hielt er ein kurzes , gebogenes Messer , in der andern ein Stück weißen Lindenholzes , aus dem eine fliegende Schwalbe halb herausgeschnitten war . Die Hirtin ging mit dem Sattel auf eine hölzerne Hütte zu und machte dem Krüppel , der sich hinter einem Felsblock verbergen wollte , rasche Zeichen mit der Hand . Er schien zu verstehen , schien ruhiger zu werden , nickte , sah hinüber , wo der Fremde stand , und schnitt von dem Lindenholz einen Span herunter . Dann legte er Holz und Messer auf einen Fels , näherte sich mit gaukelndem Säbelgang dem fremden Jüngling und begann , ihm , ohne ein Wort zu sagen , mit der Spankante den grauen Schlamm von den Kleidern herunterzuschaben . Der Fremde ließ sich das eine Weile lachend gefallen . Dann fragte er : » Wer bist du ? « Und weil er keine Antwort bekam , faßte er den Krüppel an der Schulter . » Du ! Red doch ein Wort ! Wer bist du ? « Das Gesicht erhebend , lallte der Krüppel mit schwerer Zunge ein paar sinnlose Laute und machte mit dem graugewordenen Span ein Zeichen gegen Mund und Ohr . Dann fing er wieder zu schaben an . Ein Taubstummer ? Schweigend betrachtete der Fremde den kleinen , fleißigen Kobold , und weil er an ihm diese blauen Augen sah , wandte er in fragendem Verwundern das Gesicht zur Hütte hinüber . Da drüben stand die Hirtin und reinigte am Brunnentrog den Sattel und das Riemenzeug . Dann ging sie auf den grasenden Moorle zu , streckte die Hand und lockte mit leisen Lauten . Das Pferd streckte den Hals und schnupperte , ließ sich an der Mähne fassen , folgte der Hirtin willig zum Brunnentrog und hielt verständig unter den Wassergüssen aus , mit denen ihm die Hirtin den Schlamm von Leib und Gliedern spülte . Und ließ sich trocknen mit einem Tuche , ließ sich satteln und zäumen . Die Hirtin schien die Tiere liebzuhaben , auch dieses fremde . Unter leisem Schwatzen faßte sie den Moorle an der Schnauze , und in ihrem stillen , strengen Gesicht erwachte eine warme Herzlichkeit , während sie dem Pferd die Nüstern streichelte und ihm die Büschel des dicken Stirnhaars aus den Augen strich . Dann hängte sie die Zügel über den Brunnenstock , gab dem Pferd einen leichten , zärtlichen Schlag auf den schwarzglänzenden Hals und trat in die Hütte . Moorle sah der Hirtin nach und wieherte . Sie kam aus der Türe , zwischen den Händen eine hölzerne Schale , die mit Milch gefüllt war , und ging zu der Stelle hinüber , wo der Fremde sich schaben ließ . Bei seinem Anblick mußte sie ein bißchen schmunzeln . Aber dieses leichte Gekräusel ihrer Lippen war schon wieder verschwunden , als sie die Milchschale auf eine Steinplatte stellte mit den Worten : » Wenn dich dürsten tät ? « Sie deutete gegen das Waldtal hinunter . » Dort geht der Karrenweg . Da kannst du nimmer fehlen . Jetzt muß ich zur Arbeit . Gottes Gruß ! « Sie wollte gehen . » Du ! « sagte er mit raschem Laut . Ruhig wandte sie das Gesicht . Laß dir Vergeltsgott sagen für alle Treuung an mir und meinem Gaul . « » Ist gern geschehen . In der Einöd müssen die Leut einander helfen . Wo viel beinander sind , müßten sie 's auch . Aber da tun sie 's nit . Und keifen und beißen wie die hungrigen Hund bei der Schüssel . « Er sah sie mit wachsendem Staunen an . Diese seltsamen Worte ! Aus dem Mund einer Zweiundzwanzigjährigen ! Aber es war in diesen Worten weder Groll noch Bitterkeit . Ganz ruhig hatte sie das gesagt . Und wieder , weil sie gehen wollte , rief er hastig : » Du ! « Er hätte noch gern geschwatzt mit ihr . In diese blauen , ruhigen Augen war ein gutes Schauen . Sie lächelte ein wenig . » Jetzt muß ich schaffen . « » Da muß ich dich gehen lassen , freilich . Man wär bei dir gut aufgehoben . Der arme , kranke Bub da , der ist wohl bei dir in Pfleg ? « Die Hirtin schüttelte den Kopf , während sie mit einem Blick voll heißer Liebe an dem Krüppel hing . » Das ist mein Bruder . « Dann ging sie davon . Er blickte auf den eifrig schabenden Krüppel hinunter und sah der Hirtin nach . Wie ist das möglich ? Daß aus dem Schoß der gleichen Mutter solch eine Mißform ins Leben fallen kann ? Und solch ein festes , helles und aufrechtes Menschenkind ? Freundlich fuhr seine Hand über das Schwarzhaar des Krüppels hin . Er schob den Buben , der immer noch zu schaben hatte , von sich fort und ging , mit einem violetten und einem grauen Bein , zu der hölzernen Milchschale hinüber , tat den Trank eines Durstigen und legte eine Silbermünze neben die Schale . Der Krüppel lallte einen zornigen Laut , griff nach der Münze , schob sie in die Gürteltasche des Fremden und säbelte mit den kurzen Beinen zu dem Stein hinüber , auf dem sein Messer neben der geschnitzten Schwalbe lag . » Guck nur , wie stolz ! « Es war wie Ärger in diesen Worten . Das lange , lichte Braunhaar aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd , schritt der Fremde zum Brunnen hinüber und stieg in den Sattel . Moorle benahm sich ein bißchen ungebärdig , mußte aber flink dieser kräftigen Faust und dem Druck dieser festen Schenkel gehorchen . Bei der Hütte bückte sich der Reiter , um durch die Türe schauen zu können . Er sah einen Raum , in dessen Zwielicht eine versinkende Flamme flackerte . Seine Augen suchten , während er weiterritt . Er gewahrte die Hirtin auf dem höheren Almgehänge . Mit dem kupfernen Milchzuber und einem dreibeinigen Stühlchen ging sie einer aus plumpen Steinen aufgeschichteten Stallung zu . Viele Stücke der Herde trabten ihr mit heiseren Schellen nach . Und aus dem ganzen Almfeld , von überall , zogen die Kühe mit Gebrüll und Schellengerassel dem Steinbau entgegen , zu dem die Hirtin wanderte . Während Moorle vorsichtig über den groben , steilen Weg hinunterkletterte , wandte der Reiter immer wieder das Gesicht . Nun nahm der Wald ihn auf . – Als er beim Taubensee das offene Feld erreichte , fing der Abend zu dämmern an . In einem gezäunten Wiesgarten war ein Bauer mit seinem Weib dabei , das Gras zu mähen . Der Reiter verhielt den Gaul . » Bauer ! Komm her da ! « Die Sense flog ins Gras , der Bauer sprang , und sein Weib fing in dunkler Sorge zu bangen an . Wenn ein Herr befahl , das war für einen Bauern immer ein übel Ding . » Weißt du , wer die Hirtin ist auf dem Hängmoos droben ? « Der Bauer atmete auf . » Das ist die Jula vom Runotter , den man heuer wieder zum Richtmann der Ramsauer Gnotschaft gewählt hat . Sein Vater ist Erbrechter worden vor dreißig Jahr . « Sinnend sagte der Reiter : » Die Jula ? « » Die , ja ! Könnt's besser haben und müßt nit sennen . Die Jula geht aus Fürlieb almen , um ihres bresthaften Bruders willen . Der mag nit unter Leut sein . « Ohne zu antworten , ließ der Reiter dem ungeduldigen Pongauer die Zügel schießen . Und der Bauer kehrte zu seiner Sense zurück . In Sorge fragte das Weib : » Was hat er wollen ? « » Von mir kein Hälml . Gott sei Dank ! Bloß nach der Jula droben hat er mich ausgefratscht . Aber da wird ihm der g'lustige Herrenschnabel trücken bleiben . « » Schrei nit so ! « tuschelte das ängstliche Weib . » Was war 's denn für einer ? « » Ich glaub , der jung Someiner . « » Dem Gadener Amtmann der seinig ? « » Der , ja ! Aber 's Zwielicht kann mich genarrt haben . Es heißt doch allweil , der jung Someiner wär auf der Prager Magisterschul . « » Was geht uns der Bub des Amtmanns an ? « Das Weib bekreuzigte sich . » Gott sei gelobt , daß wir nit Kinder haben . Nit Buben , die Eisen fressen müssen für die Herren , und nit Töchter , die man zu Lustföhlen macht . « Der Bauer brummte was in den dielten Bart und schwang im sinkenden Abendtau die Sense wieder . – In gleichmäßigem Takte klang der Hufschlag des trabenden Pferdes . Der Reiter achtete des Gaules wenig und war nachdenklich . » Die Jula ? « Hatte er nicht die Jula vom Runotterhof einmal gesehen , vor sieben Jahren , noch als ein halbes Kind ? Wie das magere , trutzäugige Ding sich ausgewachsen hatte ! Aber so stolz und so sparsam mit Worten wie damals war sie noch immer . Auf der besseren Straße , in die der Taubenseer Karrenweg einbog , klang der Hufschlag des Pongauers fester und heller . Die ersten Sterne schimmerten , und es schlich die stahlblaue Nacht um die Berge , als der Reiter zu den Wohnstätten der Ramsau kam . Neben der Straße rauschte die Ache . Und auf der andern Seite des Weges huschten armselige Hütten vorüber , die nicht Zaun und Gärtlein hatten ; dann kamen fest umgatterte Höfe mit hohen Dächern , es kam die kleine Kirche und das große Leuthaus , in dem noch Licht war und trunkene Knechte beim Dünnbier sangen . Und dort , auf dem Hügel droben , das große Gehöft mit den starken Planken und dem steilen Moosdach ? War das nicht der Hof des Richtmanns Runotter ? Dessen Vater einst , als das Stift zu Berchtesgaden unter drückenden Schulden zu leiden begann , das alte Schupflehen um einhundertvierzig Pfund Pfennig als Erbrecht und Eigengut erworben hatte ? Der Pongauer , in dem die Sehnsucht nach dem Stall erwachte , fiel in einen sausenden Trab . » Die Jula ! « Und daß die schlanke , aufrechte Jula einen Krüppel zum Bruder haben mußte ? Die klösterlichen Hofleute , die gut von den Herren redeten , erzählten es so : Die Frau des Runotter mit ihrem vierjährigen Dirnlein wäre eines Tages , als die Erdbeeren reif geworden , im Hochtal des Windbaches hinaufgestiegen zur Ahn ihres Mannes ; am selben Tage hätten die Berchtesgadnischen Chorherren dort oben eine Hetzjagd auf Hirsche abgehalten ; und ein Rudel flüchtenden Hochwildes hätte die Runotterin , die seit drei Mondzeiten gesegneten Leibes war , zu Boden geworfen und über eine stubenhohe Steinwand hinuntergestoßen ; das kleine Dirnlein wäre über den Unfall der Mutter so arg erschrocken , daß ihm durch , lange Zeit ein seltsames Zittern blieb , eine blinde Angst mit atemwürgenden Schreikrämpfen ; und nach sechs Monden gebar die Runotterin den taubstummen Krüppel und blieb ein stilles , trauriges Weib und starb . Aber die Bauern , wenn sie keinen Herrn und Hofmann in Hörweite wußten , erzählten es anders . Und das wußten alle im Land , daß damals ein junger Chorherrr , Hartneid Aschacher , plötzlich nach dem Kloster Chiemsee hatte verschwinden müssen , weil er seines Lebens im Berchtesgadener Lande nimmer sicher war . Ein dumpfes , donnerähnliches Rauschen in der schönen . Nacht . Das war der Windbach , der seine Wasser herunterstürzte durch die enge Klamm . In dem jungen Reiter erloschen die Bilder des Erinnerns . Er mußte scharf nach der Straße spähen , die zwischen den hohen , schwarzen Waldmauern kaum noch zu sehen war . Nun kam die freie Höhe der Strub . Kleine , rötliche Lichter , weit zerstreut durch das finstere Tal hin – große , funkelnde Sterne im tiefen Blau des Himmels ; und zwischen den Flammen der Höhe und den trüben Laternchen des tiefen Lebens , das zu schlummern anfing , dehnten sich die schwarzgrauen Wälle der Berge in die Ferne , vom klobigen Untersberg bis hinüber zum scharfen Zahn des Watzmann . Das erste Haus von Berchtesgaden . Der Reiter mußte den Pongauer zu ruhigem Gange zwingen , weil das Pflaster der Marktstraße begann . Zwischen den groben Steinen drohten Löcher , die für einen Pferdehuf wie Fallen waren . Die meisten Häuser standen schon in schlafendem Dunkel . Nur selten ein Licht . Bei einer Wende der engen Gasse sah man in lauschiger Ecke ein schmales , hohes Gebäude , aus dessen geschlossenen Läden zu ebener Erde es rötlich herausdunstete , das Badhaus . Im zweiten Stockwerk waren zwei Fenster offen und hell erleuchtet . Da droben war heiteres Lachen . Man hörte das Geklimper einer Laute und eine trällernde Mädchenstimme . Hier wohnte die Pfennigfrau eines Chorherrn . Noch immer war das Stift gelähmt unter schweren Schulden , aber so viel an Einkünften , die aus Holzschlägen , Salzgefäll , Steuern , Holdenzins und Erbrechtskäufen erflossen , hatte es noch immer , daß man sich das Leben heiter machen konnte . Die Gasse wand sich , und es kam der stille Marktplatz . Schulter an Schulter standen da die schmucken Häuser der Handwerker und Kaufleute , mit schweren Eisenstangen und Hängschlössern vor den Gewölben . Von den Mauern widerhallte der klirrende Huftritt des Pongauers . In der Tiefe des Marktplatzes , hinter dem schwarzen Umriß eines steinernen Brunnens , flackerte ein Pfannenfeuer vor der Pförtnerstube des Stiftstores . Es kamen zwei Wächter , die halblaut miteinander schwatzten . Der eine von den beiden , ein magerer , baumlanger Spießknecht , grüßte den Reiter : » Schöngute Nacht , Herr Magister ! « Der dankte : » Vergelts , Marimpfel ! « Und eine kleine Eitelkeit erwachte in ihm : » Aber weißt du , der Magister liegt in der Truhe . Jetzt mußt du Doktor sagen . « » Gotts Teufel und Bohnenstroh ! « Ein breites Lachen . » Da tu ich Glück ansagen , Edel Herr Doktor Someiner ! « Wieder dieses Lachen . » Sucht sich ein Kind die richtig Mutter aus , so wird das Leben ein lustigs Aufwärtsschupfen . « Der Huftritt des Pongauers klirrte . Und von irgendwo aus der Luft klang eine besorgte Frauenstimme : » Bub , bist du's ? Bist du's ? « » Wohl , Mutter ! « » Endlich ! Gott sei Dank ! – Vater , so schau doch ! Hast wieder umsonst gebrummt . Der Bub ist doch lang schon da . « Die Stimme erlosch , und man hörte das Geklapper eines Schubfensters , das herunterfiel . Der Pongauer blieb vor einem dunklen Tore stehen , und der Reiter stieg aus dem Sattel . Lampert Someiner , Magister artium und Doktor des kanonischen und gemeinen Rechts , hatte das Haus seines Vaters erreicht , des Amtmanns zu Berchtesgaden . Der eichene Torflügel rasselte auf . Ein Knecht mit einem Windlicht erschien und nahm den dampfenden Moorle in Empfang . Und Lampert sprang über die Schwelle mit dem flinken Schritt des Sechsundzwanzigjährigen , der sich der Heimat freut und weiß : Jetzt hab ich mein Tischleindeckdich ! Ein Flur mit gewölbter Decke , erleuchtet von einer kleinen Hirschtalglampe . Eine Tür – die Türe der Amtsstube – war schwer vergittert . Über ein steiles , enggemauertes Trepplein gings hinauf . Und durch den gleichen Flur , in dem diese Herrentreppe war , wurde der Pongauer zu seinem Stall geführt . Oben auf der Treppe stand Mutter Someiner mit hoch erhobenem Leuchter , dessen Teller einen schwarzen Schatten über die Frau herunterwarf . » Ach , Bub , wie kannst du denn nur so lang ... « Da sah sie den Zustand seiner Kleidung und erschrak . » Um Himmels willen ! Bub ? Was ist geschehen ? Dir ? « » Nichts , Mutter , nichts ! « Er lachte . » Der Moorle und ich , wir haben nur ein lützel durch schiechen Honig müssen . Süß ist er nicht gewesen , aber gepickt hat er . Tu mich nicht anrühren , sonst werden deine weißen Tüchlein grau . « Lachend schob er sich an der Mutter vorüber , sprang die andere Treppe hinauf und trat in eine kleine , weiße , von zwei dicken Kerzen erleuchtete Stube . Die schwere , weiß umhangene Bett stelle nahm fast ein Drittel des Raumes ein ; in der Ecke ein kleiner Tisch mit kupfernem Becken und kupferner Wasserkanne , die von der Handzwehle bedeckt war . An der Wand eine große eisenbeschlagene Truhe . Darüber ein Zapfenbrett mit Gewand und Waffen . Und dann ein Erker , der halb ein kleines , vergittertes Fenster und halb eine niedere Tür war , die zu einer Altane führte . Das Stübchen duftete herb . In das Wachs der Kerzen war Räucherwerk eingeschmolzen , dessen strenger Wohlgeruch in dünnen Rauchfäden aus den zuckenden Feuerherzen der beiden Dochte stieg . Solche Kerzen goß man , seit durch das deutsche Land der schwarze Tod gegangen war , der jeden Dritten unter den Boden warf . Drunten , auf der ersten Treppendiele , war die Amtmännin stehengeblieben , bis sie vernahm , daß droben die Türe geschlossen wurde . Nun betrat sie die Wohnstube . Frau Someiner war in dunkles Braun gekleidet . Und dennoch war sie weiß . Die leinene Glockenschürze bildete eine Art von Übergewand , und weiße Ellbogenschoner waren um die Ärmel gebunden . Ein rundes , aufgeregtes Muttergesicht mit lebhaften Braunaugen . Und über dem leichtergrauten Haar die weiße Fältelhaube mit der Kinnbinde . Der Tisch in der Wohnstube war schon gedeckt . Aber Frau Someiner hatte da noch immer was zu richten , während sie von ihrem Buben schwatzte . Der Amtmann nickte zu allem . Doch er sah dabei sehr aufmerksam auf das Schachbrett , das in dem kleinen Erker auf einem spreizfüßigen Tischchen vor ihm stand . Die untere Hälfte des Herrn Ruppert Someiner trug noch die Amtstracht , schwarze Strumpfhosen und rote Schuhe , während die Herzgegend des Gestrengen in eine braune , pelzverbrämte Hausschaube gewickelt war . Graue Haarsträhnen hingen schütter über die Wangen herunter . Herr Someiner , den der Bader mit dem besten seiner Messer zu rasieren pflegte , hatte kein böses , nur ein müdes Gesicht , das ein bißchen gelb war von stetem Ärger . Das Schuldenwesen des Stiftes , dessen Wirtschaft er zu führen hatte , machte ihm schwere Sorgen . Und bei dem vielen Handel und Wandel mit gefährlichen und unbotmäßigen Menschen hatte Herr Someiner zwei kalte , ungläubige Augen bekommen . Neben der flinken , frohen Stimme der Amtmännin war in der Stube noch der langsame , schwere Schlag eines Uhrpendels . Bei jedem Schlag sagte das Pendel in dem hohen Kasten : » Bau ! « Dann tat es für eine Sekunde lang einen seufzenden Atemzug . Und sagte von neuem : » Bau ! « Ein Ungeheuer von grünem Kachelofen wuchs mit abgesessenen Bänken aus der Wand heraus . Decke und Wände der Stube waren braun getäfelt , nur oben herum lief ein weißer Streifen der Mauer . Fast so groß wie der Ofen war der Anrichtkasten . Überall funkelte Zinn und Kupfer , überall leuchteten weiße Tüchelchen mit mühsamen Stickereien . Und über dem weißgedeckten Tische brannten auf schwebendem Eisenreif vier Wachskerzen mit dem gleichen herben Wacholderduft , wie er in Lamperts Schlafkammer war . Der junge Doktor des kanonischen und gemeinen Rechtes betrat die Stube in der schwarzen Tracht seiner akademischen Würde . Das lange Braunhaar war sorgfältig gescheitelt , und in dem kräftigen , etwas erhitzten Jünglingsgesicht mit dem dunklen Bärtchen auf der Oberlippe und dem sprossenden Kinnflaum glänzten die gleichen Augen , wie Frau Someiner sie hatte . Ein zärtlicher Blick des jungen Mannes überflog die Stube . Vor drei Tagen war Lampert von der Prager Schule heimgekommen . Und noch immer hatte das elterliche Haus etwas Neues für ihn , jeder Blick entdeckte eine liebe Kostbarkeit . Stolz betrachtete die Mutter den Sohn , während der Vater sagte : » Komm her ein lützel ! Der hochwürdigste Herr Dekan hat mir eine Schachaufgab gestellt . Weiß zieht an und soll matt setzen nach drei Zügen . Aber ich komm nicht drauf . « Lampert musterte die Stellung der Figuren . Dann griff er zu . » So , Vater ! Und so ! Und so ! « » Richtig ! Er hat's ! « Herr Someiner lachte . » Bub ! Wenn du im Amt so flink und sicher zugreifen lernst , dann tut der Hof mit dir als neuem Aktuario einen guten Fang . Und du kannst ihm die Schulden schupfen helfen . « Glückliche Freude glänzte in den Augen der Amtmännin . Eine alte Magd brachte das Nachtmahl , und es kam eine gemütliche Tafelstunde . Lampert erzählte von seinem Ritt zum Hallturm und zu der bayrischen Feste Plaien . Das Abenteuer auf dem Hängmoos überspringend , erzählte er von seinem Waldritt über den Bergsattel zum Taubensee . Dabei legte ihm die Mutter reichlich vor . Und einmal fragte sie : » Schmeckt es , Bub ? « » Ja , Mutter ! Allweil ist Mutters Tisch die beste Herberg . Und ich hab einen gesegneten Hunger heimgebracht . Seit dem mageren Frühmahl , zu dem mich der Hallturner eingeladen , hab ich nur am Abend auf dem Hängmoos ein Schöppel Milch getrunken . « » Milch ? « Vater Someiner zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe . » Ist der Ochsenwirt auf dem Hängmoos solch ein Schlemmer , daß er sich Milch auftragen laßt , bis von der Ramsau her . « Lampert lachte . » Aber Vater ! In der Käserhütt auf dem Hängmoos brauchen sie doch nur zu melken . « » Auf dem Hängmoos steht kein Käser . « » Ich bin doch an der Hütt vorbeigeritten . « » Da mußt du dich verschaut haben . Oder wo du gewesen bist , das war nicht das Hängmoos . « » Wo der Sumpf ist , den die Jäger meiden ? Hinter dem Taubensee droben ? Ist dort das Hängmoos ? « » Ja . « » Dort bin ich gewesen . Und die Hütt ist dagestanden . Und die siebzehn Küh , die sie auf dem Hängmoos melken können , hab ich selber gesehen . « Der Amtmann runzelte die Stirn . Dann schüttelte er den Kopf . » Du magst viel gelernt haben auf der hohen Schul zu Prag . Aber mir scheint , du hast dabei vergessen , wie sich die Kuh vom Ochsen unterscheidet . « Lampert wollte erwidern . Doch die Mutter zwinkerte ihm heimlich zu ; sie erinnerte sich der heftigen Meinungskämpfe , die es in früheren Ferienzeiten zwischen Vater und Sohn gegeben hatte , kannte die strenge Rechtskrämerei ihres Mannes und sorgte sich , daß ein unbehaglicher Wortwechsel entstehen könnte . Doch Lampert schwieg nicht nur , weil es die Mutter wollte . Er wußte , daß es zwischen dem Stift und den Almholden immer Reibereien um die Deutung der Rechtsbriefe gab . Und wenn nun irgend was auf dem Hängmoos droben nicht in Ordnung war , so wollte er nicht zur Ursache werden , daß man der hilfreichen Jula einen stacheligen Pfahl vor die Hüttentüre setzen könnte . Drum schwieg er . Und es blieb eine wunderliche Sorge in ihm zurück . Mutter Someiner schwatzte eifrig von allem , was ihr gerade einfiel , war glücklich , weil sie die dunkle Gefahr des Augenblicks überbrückt sah , und wollte sich was erzählen lassen von Prag und dem übermütigen Studententreiben in den Bursen . Lampert erzählte auch , doch er blieb zerstreut und kam nicht in rechte Laune . Auch der Vater war nachdenklich und wortkarg . Sogar der Würzwein , der nach der Mahlzeit zum üblichen Schlaftrunk aufgetragen wurde , verbesserte des Amtmanns Stimmung nicht . Und plötzlich murrte er : » Das Ding mit den Kühen auf dem Hängmoos will mir nimmer aus dem Kopf . Ich muß da auf reinen Tisch kommen . Sag mir – « Die Mutter witterte gleich wieder eine Gefahr und unterbrach : » Geh , Ruppert , laß die Sach heut gut sein ! Ob Küh oder Ochsen – « » Das verstehst du nicht . « » Aber ich versteh , daß unser Bub nach so einem schweren Ritt die Müdigkeit in allen Knochen haben muß . Er soll zur Ruh gehen . « » Ja , Mutter ! « Rasch erhob sich Lampert . » Gute Nacht , Vater ! « Er ging zur Türe . Als er schon die Klinke in der Hand hatte , zwang ihn die wunderliche Unruhe , die in ihm wachgeworden , zu einer Frage . » Vater ? Auf dem Heimweg bin ich durch die Ramsau gekommen . Und hab den Runotterhof gesehen . Und hab vernommen , der Runotter wär wieder Richtmann in der Ramsauer Gnotschaft . Was ist der Runotter für ein Mensch ? « » Das ist von den Verläßlichen einer ! « sagte der Vater , dem der seltsame Klang in der Stimme seines Sohnes aufzufallen schien . » Viel Kummer ist dem Mann ins Leben gefallen . Aber er ist ein Treuer und Redlicher geblieben . « Lampert atmete erleichtert auf . » Gute Nacht , Vater ! « » Bub ? « Der alte Someiner erhob sich . » Die siebzehn Küh auf dem Hängmooos ? Hast du die wahrhaftig selber gesehen ? Mit eignen Augen ? « Lampert sagte ruhig : » Ja , Vater ! Wenn der Runotter so ein Redlicher ist , da brauch ich doch nicht zu lügen . « Er ging . Und die Mutter in ihrer Sorge lief ihm nach und fragte draußen auf der Treppendiele : » Was ist denn los ? « Ich kenn mich selber nicht aus . Es ist mir jäh eine Sorg ins Herz gefahren , ich weiß nicht , warum . Aber jetzt bin ich wieder ganz in Ruh . « » Gelt , ja ! « Die Mutter streichelte dem Sohn die Wange . » Was schieren dich am End die Ochsen oder Küh der Ramsauer Bauern ? « Sie lachte ihren Buben an . Doch als sie zurückkam in die Stube , wo Herr Someiner nachdenklich auf und nieder schritt , sagte sie ein bißchen verdrießlich : » Allweil mußt du aus jedem Bläslein eine Blatter machen ! « » Das verstehst du nicht ! Recht muß Recht sein und Unrecht ist Unrecht . Freilich , es könnt auch sein , daß ich selber mich irr . Ich hab den Hängmooser Weidbrief schon lang nimmer angeschaut . Aber ich muß das wissen – « Während dieser Worte hatte der Amtmann an einer Kerze des Deckenleuchters einen Span entzündet . Er brachte das Licht einer kleinen Laterne in Brand . » Aber Mann ! Wo willst du denn heut noch hin ? « » Hinunter in die Amtsstub , den Hängmooser Weidbrief nachlesen . « » Da ist doch morgen auch noch Zeit dazu . « » Unrecht soll keine Nacht überschlafen . « Während Frau Someiner seufzend den Kopf schüttelte , nahm der Amtmann aus einem Wandkästlein des Erkers einen dicken Schlüsselbund heraus . Drunten zu ebener Erde mußte er drei Schlösser aufsperren , am Gitter , an der Tür und an dem großen , schwer mit Eisen beschlagenen Aktenschrank der Amtsstube . Aus einem Gewirr von Papieren und Pergamenten suchte der Amtmann ein gesiegeltes Blatt heraus , den Hängmooser Almbrief . Und kaum hatte Herr Someiner beim trüben Schein der Laterne zu lesen begonnen , da ließ er im Zorn seine Faust auf das Schreibpult niederfallen . » Das ist eine Frechheit ohnegleichen ! « Hier war es seit fünfundsechzig Jahren verbrieft und gesiegelt : Auf dem Hängmoos durfte kein Käser stehen , keine feuerbare Hütte , nur ein Wetterschlupf für den Ochsenhirten , und Milchkühe durften nicht aufgetrieben werden , nur zwanzig zwiesömmerige Kalben und an mastbarem Galtvieh sechzig Ochsen . Und nun stand wider Recht und Fug auf dem Hängmoos eine Käserhütte ! Und Milchkühe wurden aufgetrieben ! Wider Fug und Recht ! Wohl litt das Stift keinen rasch erkennbaren Schaden dabei . Aber Recht ist Recht . Und was die Ramsauer da verübten , war unbotmäßiger Eigenwille und grobes Verbrechen wider die Hoheitsrechte des fürstlichen Stiftes . So sah es für den Amtmann Someiner aus , dem die anmaßende Willkür der Holden und Eigengütler das Leben verbitterte . Seit das Stift um der Last seiner Schulden willen gezwungen war , ein Schupflehen ums andre an vermöglich gewordene Bauern als Erbrecht zu verkaufen , wurde der Untertanen Übermut und Anspruch ärger von Jahr zu Jahr . Neben Herrenstand und Bürgertum begann sich als ein dritter Stand die Bauerschaft emporzustrecken . Schon hatten sich in der Scheffau , zu Bischofswiesen , in der Schönau , in der Gern und Ramsau die Erbrechter und Eigengütler zu Gnotschaften zusammengetan , hatten Fürständ und Sprecher gewählt . Und in den Zeiten der üblen Wirrnis , da das ganze Berchtesgadener Land an das Salzburger Erzbistum verpfändet war , hatten es die trutzbeinigen Bauernschädel durchgesetzt , daß man den Gnotschaften Wort und Vertretung im Rat der Landschaft zubilligen mußte . Und seit sie mitschreien durften , meinten sie auch mitbefehlen zu dürfen , vermaßen sich umzustoßen , was verbrieftes und gesiegeltes Recht war , und meinten ihren Trutzwillen durchsetzen zu können wider des Fürsten Gebot und Eigentum . Was da nun wieder die Ramsauer gegen Wort und Meinung eines gesiegelten Weidebriefes verübten , war ein grobes und übermütiges crimen juris laesi . Man mußte da ein heilsames Exempel statuieren . Ohne Erbarmen ! Oder Hoheit und Besitz des Stiftes mußten an solcher Anmaßung und Schröpferei verbluten . Während Amtmann Someiner beim trüben Laternenschein das alte brüchige Pergament wieder im Schrank verwahrte , erwog er schon den Gedanken , den Ramsauern am Morgen die bewaffnete Exekution über den frechen Hals schicken und die siegelwidrig auf dem Hängmoos weidenden siebzehn Kühe pfänden und davontreiben zu lassen . Aber der Ramsauer Richtmann Runotter ? Dieser Verläßliche und Redliche ? Wie kam es , daß der solch eine schreiende Rechtswidrigkeit geschehen ließ ? Konnten die Ramsauer vielleicht doch ein Fähnlein der Entschuldigung aushängen ? Und auf den Richtmann Runotter , der trotz schwerem Unrecht , das der Chorherr Hartneid Aschacher ihm angetan , noch immer in Treu zu Stift und Recht gestanden , mußte man verdiente Rücksicht nehmen . Als der Amtmann zu dieser wohlmeinenden Erwägung kam , hörte er draußen auf dem Gassenpflaster den klirrenden Schritt der Stiftswache . Er ging in den Flur , riegelte das Haustor auf und rief in die Nacht hinaus : » Höi , Wachleut ! « Die beiden Spießknechte kamen gesprungen . » Wer ist Wachführer ? « » Ich , Gestreng Herr Amtmann , der Marimpfel . « » Gut ! Auf dich ist Verlaß . Komm herein zu mir ! « Herr Someiner hob dem baumlangen Kerl , der in den Flur trat und mit dem Spieß salutierte , die kleine Laterne gegen das Gesicht . Im Lichtschein funkelten des Knechtes Armschienen , die Brustplatten und der blanke Eisenhut , der mit zerzauster Feder über einem verwitterten , von Narben durchrissenen Bartgesichte saß . Der Amtmann sagte : » Um Mitternacht laß dich ablösen und vergönn dir ein lützel Schlaf . Doch eh der Morgen aufgeht , sollst du hinausreiten zum Taubensee und hinauf zum Hängmoos . « Der Knecht lachte . » Da muß ich acht haben , Herr daß ich mein Rössel nit in die graue Supp hineinreit . « » Wir haben nicht Spassenszeit ! « sagte der Amtmann streng . » Auf dem Hängmoos zählst du die Kalben und Ochsen . Aber halte dein Maul vor dem Hirten ! Und tu ihm keinen Trutz an ! Und siehst du auf dem Hängmoos einen Käser stehen und tät es wahr sein , daß da droben Melkvieh weidet , so bring dem Richtmann Runotter eine Ladung vor mein Amt . « » Soll ich Beistand mitnehmen ? Wenn's nötig wär , daß man zugreift . « Someiner schüttelte den Kopf . » Der Runotter wird im guten kommen . Er soll bei mir sein , morgen , so lang noch Amtszeit ist . « » Wohl , Gestreng Herr Amtmann ! Wird geschehen . « Als Marimpfel wieder draußen auf der Gasse war , tuschelte sein Kamerad die Frage : » Ist was Lustigs los ? « » Ich schmeck , man will einen Baurenschädel zwiefeln . Einen , dem ich 's gönn ! Weil er die Nasenlöcher gar so weit auftut . Solcher Hochmut wachst , seit die Herren zu gut sind . War ich der Probst , ich möcht den Mistbrüdern einen Flohbeiß auf die Haut setzen , daß sie springen müßten , wie man winkt . « Der so redete , war selber ein Ramsauer Kind und eines leibeigenen Bauern Sohn . Was die Schärpenfarbe für üble Wunder wirkt ! Geschworener Knecht eines Herren werden , eines Herren Wehr und Farben tragen , und schlagen und stechen müssen auf des Herren Wink – das heißt , ein Hofmann sein , und heißt , verachten dürfen , was tiefer steht , und heißt , was Besseres werden , denn man gewesen als seiner Mutter Kind . Die beiden Spießknechte schritten über den Marktplatz gegen das Stiftstor hin , vor dem das Pfannenfeuer brannte . Im Widerschein der roten Loderflamme waren die Kanten des Gemäuers und die Säume der steilen Dächer wie von rinnendem Blut übergössen . Und hinter den dunklen Firsten stiegen die Türme des Münsters und der neuen Pfarrkirche in die sternschöne Nacht hinauf , gleich schwarzen , himmelhohen Riesen , die sich in der Finsternis aus den Schlünden der Erde erhoben hatten , um Ausschau zu halten über das Tun und Leben der kleinen Menschen . In des gestrengen Amtsmanns Hause hatte Herr Someiner das Flurtor wieder fest verriegelt . Und hatte die drei Hängeschlösser wieder gesperrt , am Pergamentkasten , an der Tür der Amtsstube , am eisernen Gitter . Als er mit dem schwankenden Laternchen die enge , steile Treppe hinaufstieg , war er des redlichen Glaubens , daß er im Dienste seines fürstlichen Herrn , des Erzpropstes zu Berchtesgaden , eine dringende Pflicht seines Amtes gewissenhaft und mit klugem Bedacht erfüllt hätte . In der Wohnstube war der Tisch geräumt . Auf dem Eisenreif Brannte nur noch eine einzige Kerze ; die Hausfrau hatte die drei andern Lichter ausgelöscht . Und leise sprach bei diesem sparsamen Zwielicht das Pendel in dem alten Uhrkasten : » Bau ! Bau ! « Herr Someiner verwahrte den Schlüsselbund , löschte das Laternchen und blies auf dem Eisenreif die letzte Kerze aus . Nun war die Stube finster . Nur um die verbleiten Scheiben des Erkers zitterte , vom Pfannenfeuer des Stiftes her , ein matter , rötlicher Schein . Im Uhrkasten sagte die schwingende Stimme unablässig : » Bau ! Bau ! Bau ! « Diese Uhr , deren Räderwerk kein lebendes Herz , nur stählerne Federn und wirkende Gewichte hatte , war klüger , als Menschen sind . Immer wieder sprach sie in der stillen Nacht ihr schlummerloses Mahnwort . Doch in dieser stillen Nacht , in der ein Rechtsbeschützer seine Pflicht gewissenhaft erfüllt zu haben wähnte , begann im Berchtesgadener Land ein sinnloses Zerstören und grauenvolles Vernichten . 2 Als der Morgen dämmern wollte , jagte ein Reiter gegen die Ramsau hinaus . Bevor er das Ziel seines Späherweges erreichen konnte , stieg hinter den östlichen Bergzinnen der schöne Tag herauf . Über dem Hängmoos lag die erste Morgensonne . Das Gras der trockengelegten Weideflächen hatte einen Goldton in seinem Grün , und die frische Luft war zart erfüllt vom süßen Wohlgeruch der Kohlröschen . In der mild erwachenden Wärme begannen die Wasserflächen des nahen Sumpfes zu dunsten , und um die Mooskissen des Bruchbodens , um ihre besonnten Vergißmeinnichtbüschel und Dotterblumen gaukelten graubraune Schmetterlinge in so reicher Zahl , daß ihre Menge manchmal anzusehen war wie ein dunkelwehender Schleier . Die Kalben , Ochsen und Kühe weideten mit leis tönendem Schellenklang , und aus der Rauchscharte des Käsers stiegen blauquirlende Wölklein in die Sonne hinauf . Der Brunnen murmelte und goß den blitzenden Wasserstrahl in den Spiegel des Troges . Auf der höchsten Stelle des Almfeldes zog vertraut ein Rudel Gemsen gegen das Latschendickicht . Hoch in der Sonne kreiste ein Weihenpaar . Und als möchte auch das Leben der Tiefe einen Gruß hinaufsenden in diesen schönen , heiligen Frieden der Bergfrühe , so klangen , mild und kaum noch hörbar , aus weiter Ferne her die raschen Laute einer rufenden Kirchenglocke . Im aufziehenden Sonnenwinde fingen die nahen Wälder sanft zu rauschen an . Was der Morgen an Hirtenwerk verlangte , war getan . Jedes Rind hatte Salz bekommen , die Kühe waren gemolken , die Milch war aufgestellt in hölzernen Schalen . Ein leuchtender Streifen der Sonne fiel durch die offene Tür in das Zwielicht des Hüttenraumes . Neben dem Feuer saßen Jula und ihr Bruder Jakob in der Herdmulde und aßen die Morgensuppe . Dann beteten die beiden mit geneigten Gesichtern . Jula erhob sich , warf die schweren Zöpfe zurück , die ihr auf die Brust gehangen , und sprach mit der Hand . Jakob nickte . Und während Jula die abgerahmte Milch des verwichenen Tages in den kupfernen Sudkessel schüttete und ihn mit dem Balken , an dem er hing , über die Herdflamme zog , verließ ihr Bruder die Hütte . Neben dem Brunnen setzte er sich in die Sonne und begann an der fliegenden Schwalbe zu schnitzen , die sich schon bald aus dem Holze lösen wollte . In der Hütte sang Jula mit halber Stimme . Ich weiß ein ' Buben hübsch und fein , Hüt du dich ! Der kann so falsch wie freundlich sein , Hut du dich ! Er hat zwei Augen , die sind braun , Hüt du dich ! Die gucken allweil durch den Zaun , Hüt du dich ! Er hat ein lichtbraunfarbnes Haar , Hüt du dich ! Und was er redt , das ist nit wahr , Hüt du dich ! In der Tiefe des Almfeldes rasselten viele Schellen wirr durcheinander . Jula , beim Klang ihrer Stimme und beim Geprassel des neugeschürten Herdfeuers , achtete dieses Lärmes nicht . Und Jakob konnte ihn nicht hören . Doch als er einmal von seinem Schnitzwerk aufblickte , sah er da drunten die flüchtenden Rinder und sah , daß am Waldsaum ein Reiter , der aus dem Sattel gestiegen war , seinen Gaul an eine Lärche band . Jakob erhob sich , säbelte aufgeregt in die Hütte , lallte einen schweren Laut und sprach mit den Händen . Betroffen sah Jula den Bruder an . Eine leichte Röte glitt über ihr strenges , sonnverbranntes Gesicht . Dann lachte sie ein bißchen und steckte rasch die hängenden Zöpfe hinauf . Sie trat aus der Hütte . Doch als sie den dunkelbärtigen Spießknecht über das Ahnfeld heraufkommen sah , machte sie verwunderte Augen , schüttelte den Kopf , redete mit den Händen zu ihrem Bruder und kehrte wieder an den Herd zurück . Es dauerte eine Weile , dann fiel ein schwarzer Schatten über die sonnige Türschwelle . Mit freundlichem Gruße trat Marimpfel in die Hütte . Er sah nur die Hirtin . Jakob , um seine Mißgestalt zu verbergen , hatte sich hinter dem Sudkessel in den Herdwinkel gedrückt . Jula erwiderte den Gruß des Spießknechtes . Der Anblick dieses Gastes war ihr keine Freude . Sie wußte : Hofleut sind wildes Volk , vor dem man sich hüten muß . Doch ruhig fragte sie : » Woher des Wegs ? « » Bei einem Grenzstein hab ich nachschauen müssen . « Marimpfel ließ sich auf die Bank nieder , wobei das Eisenwerk seiner Rüstung klirrte . Er guckte in der Hütte herum . » Ein schöner Herd ! Ein feiner Käser ! Wann ist denn der gebaut worden ? « » Das weiß ich nit . « Jula begann mit langer Holzspachtel den dampfenden Inhalt des Kessels aufzurühren . » Willst du Zehrung haben ? « Marimpfel lachte , und seine schwarzen Funkelaugen musterten die Gestalt der Hirtin . » Vergelts deinem Gutwillen ! Aber Bauernkäs ist saurer Fraß . « Jula furchte die Brauen . » Ich kann dir auch süßen geben , wenn du so schleckig bist . « » Viel süßen Käs wirst du nit aufstellen können von den vierzehn Kühen , die ich gesehen hab . Oder hast noch mehr ? « » Siebzehn hab ich . « » Und wieviel Ochsen ? « » Dreiundvierzig hab ich aufgetrieben . Und zwanzig Kalben dazu . Gottlob , es ist mir heuer noch kein Stückl im Bruchboden versunken . Hab einen friedsamen Sommer heuer , Gott soll ihn segnen . « Marimpfel erhob sich . » Zwanzig Kalben ? So ? « Unter kurzem Lachen faßte er mit flinker Faust den Arm der Hirtin . » Und dazu noch ein Geißlein , mit dem gut bocken wär ! Was meinst ? « Was Jula meinte , brauchte sie nicht zu sagen . Marimpfel las es in ihren zornblickenden Augen . Und plötzlich fühlte er an seinem Handgelenk einen groben Schlag . Jakob , das Gesicht verzerrt , stand zwischen der Schwester und dem Spießknecht , mit dem Schnitzmesser in der kleinen , zitternden Faust . Marimpfel wollte an den Gürtel greifen . Aber da fiel ihm das Wort des Amtmanns ein : » Tu dem Hirten keinen Trutz an ! « Er war ein verläßlicher Hofmann . Drum nahm er die Sache spaßhaft . » Guck , wieviel Schneid die haben ! « Er lachte . » Dirn ! Bei dir sind die süßen Beeren gut verzäunt ! « Zur Türe schreitend , sagte er heiter über die Schulter : » Ein andermal ! « Jula legte den Arm um ihres Bruders Hals und knirschte durch die Zähne : » Die Leut sind schlecht . « In der schönen Morgensonne ging Marimpfel mit klirrendem Schritt über das Ahnfeld hinunter . Als er den Gaul von der Lärche losband , sah er schmunzelnd zum Käser hinauf . » Die wär eine Todsünd wert ! « Während der Gaul auf dem steilen Karrenwege vorsichtig durch den Wald hinunterkletterte , sang der Spießknecht eine zärtliche Weise . Auch diesem Wildfang quoll die Schönheit des leuchtenden Morgens durch Eisen und Haut . Und als er auf dem Weg eine junge Amsel sitzen sah , die unflügg aus dem Nest gefallen war und angstvolle Äuglein machte , lenkte er barmherzig die Hufe des Gaules auf die Seite . Wo der Taubensee zwischen grünem Röhricht blitzte , kam Marimpfel zu dem Wiesgarten , in dem der Bauer das am Abend gemähte Gras mit dem Rechen umwarf . Sobald der Heuer den Spießknecht aus dem Wald heraustauchen sah , lief er an den Straßenzaun und kreischte : »Bruder ? Bist du 's oder nit ? « Marimpfel ließ das Roß ein paar Galoppsprünge machen , um sich vor dem Bruder als Hofmann zu zeigen . » Ei wohl , ich bin's . « Dann verhielt er den Gaul und fragte von oben herab : » Wie geht 's dir allweil ? « » Nit schlecht . Es tut's . Hab dich lang nimmer gesehen . « » Ein Mistbreiter und ein Herrschaftsreiter haben Weg , die auseinand laufen . « Marimpfel wollte nichts Böses sagen , nur etwas Selbstverständliches . Und spähend beugte er sich im Sattel hin und her . » Man sieht wahrhaftig das Häusl nimmer . Wie ich Bub gewesen , hat man 's noch gesehen von der Straß . Jetzt ist alles zugewachsen . Bäum , Viech und Leut werden allweil mehrer . Bloß das Geld wird minder . Lebt die Mutter noch ? « » Wohl ! Aber mit dem Schaffen ist 's lang schon aus . Hockt allweil im Sessel . Und kein Tag , daß sie nit redt von dir . Vom Malimmes redt sie nie . Hast lang nichts mehr gehört von ihm ? « » Vier Jahr lang nimmer . Da ist er bei den Nürembergern gewesen als Stadtknecht . Ist kein fürnehmer Dienst . Hofmann sein ist feiner . Aber die Stadt haben allweil die größeren Geldsäck . Da wird 's dem Bruder nicht schlecht gegangen haben . « » Das tat die Mutter wohl anhören . Magst nit ein lützel hereinkommen ? « » Ich hab nit Zeit . « » Die Mutter tät sich freuen . « » Tu das Weibl grüßen . Herrendienst hat 's eilig . « Marimpfel straffte den Zügel des Gaules . » Du ? « sagte der Bauer hastig . » Tust was gelten bei deinem Herren ? « Dem bin ich der Liebst von allen . « In den müden Augen des Bauern glänzte eine Hoffnung . » Da könntest bei deinem Herren für mich eine Fürbitt machen . « » Mareiner ! « Der Spießknecht wurde kühl . » Bist Holdenzins oder Lehent schuldig blieben ? « Der Bauer schüttelte den Kopf . » Noch allweil bin ich ein rechtschaffener Zahler gewesen Und hab den Magen geschnürt und hab ein lützel was auf die Seit gebracht . « Marimpfel wurde aufmerksam . » Und tätest du bei deinem Herren für mich ein gutes Wörtl reden « , sagte Mareiner , » und tät das Stift sich genügen an einem christlichen Gebot , so möcht ich mein Schupflehen auf Erbrecht kaufen . « Jetzt lachte Marimpfel . » Narr ! Wem willst du denn was vererben ? Kinder hast doch nit . « » Was nit ist , kann werden . « » Freilich , ja ! Oft kriegt die Bäuerin Kinder , der Bauer weiß nit wie . « Dem Taubenseer flog es heiß über die Stirne . Doch er sagte ruhig : » Ist auch nit der Kinder wegen allein , die mir der Herrgott erst schenken müßt . Aber was ein richtiger Mensch ist , hängt auch ein lützel an der Ehr . Hätt ich Eigengut und wär ein Erbrechter , so dürft ich in der Gnotschaft mitreden und müßt nit allweil das Maul halten . « » So ? « Der Spießknecht wurde heiter . » Erbrechter werden ? Und den Brotladen aufreißen ? Und wider die Herrschaft schreien ? Und da soll ich helfen dazu . « In den Augen des Bauern brannte die Sehnsucht . » Bist nit mein Bruder ? « » Richtig , ja , das hätt ich als Hofmann schier vergessen . « Und freundlich sagte Marimpfel : » Wieviel kannst dem Herrn bieten fürs Erbrecht ? « Zögernd , an jeder Silbe klebend , sagte der Bauer : » Sechzig Pfund Pfennig . Mehr hab ich nicht . « » Sechzig Pfund hast ? Da kannst dem Herrn bloß vierzig bieten . « » Wieso ? « » Tust vergessen , daß ich dein Bruder bin ? Und daß ich in Hösl und Hemd aus dem Haus gegangen ? Und daß ich Anspruch hab an Acker und Wiesfrucht ? Mareiner ! Sechzig Pfund ? Da wirst wohl dritteln müssen . Mit mir ! « Der Bauer sah den höfischen Bruder an und wurde mauerbleich über das ganze Gesicht . Und ohne noch ein Wort zu sagen , drehte er sich um und ging durch die Wiese davon . Marimpfel hob sich im Sattel und rief dem Bauer lachend nach : » Gotts Gruß , Mareiner ! Ich komm bald ! « Dann ritt er davon . Der Taubenseer ging an seinem Rechen vorüber , unter schattenden Bäumen hindurch und kam zu einem grauen Balkenhaus , über das ein großes Moosdach herging , wie eines Mannes Hut ein kleines Kind bedeckt . Neben der Haustür saß , von Sonne umspielt , in einem grob gezimmerten Holzsessel eine alte , weißhaarige Frau mit gichtisch verkrümmten Händen , zermürbt von der schweren Arbeit eines langen , mühsamen Lebens . » Kindl ? « sagte sie zu dem vierzigjährigen Manne . » Was hast ? « Der Bauer biß die Zähne übereinander und schien sich auf eine Antwort zu besinnen . Dann sagte er : » Mutter ! Der Marimpfel ist dagewesen . « » Und ist nit herein zu mir ? « Mareiner schüttelte den Kopf und trat ins Haus . Ohne sich zu regen , murmelte die alte Frau vor sich hin : » Ist dagewesen . Und ist nit herein zu mir . Ein Weg , schier kaum ein halbes Vaterunser lang . Und steht am Zäunl . Und geht nit herein zu mir . « Sie hob das zerfallene Gesicht , und ihre trockenen , fast schon erloschenen Augen suchten irrend im Blau des Himmels . » Heilige Mutter ! Was sagst du jetzt ? « Geduldig blickte die alte Frau in dieses schöne , reine Blau empor und wartete auf Antwort . Vor sechzig Jahren , als vierzehnjähriges Dirnlein , hatte sie die Gottesmutter zur Patronin ihres Lebens erwählt , war Marienträgerin gewesen bei jedem Bittgang in und außerhalb der Kirche , hatte sich , eine Dreißigjährige , zum Ehestand segnen lassen an einem Marientag und hatte jedem der drei Buben , die sie geboren , bei der Taufe einen Festtag der Mutter Maria als segensreichen Namen in das Leben mitgegeben . Mareiner hieß Mariä Reinigung , Malimmes hieß Mariä Lichtmeß , Marimpfel hieß Mariä Himmelfahrt . Auf dem Moosdach gurrten die Tauben , kleine Vögel sangen in den Kronen der Bäume , es krähte der Hahn , und die Hühner gackerten , es rauschte der nahe Wildbach , die Bäume flüsterten , am Waldsaum grunzten die wühlenden Schweine – alles redete , was Natur und Leben hieß . Nur dieser schöne , blaue Himmel schwieg . Und als die Augen der alten Frau den Schmerz des Lichtes fühlten und wieder heruntersanken zur Erde , sah diese Mutter ihr vierzigjähriges Kindl Mareiner mit Hacke und Spaten scheu hinüberspringen zum Walde . Unter dem Kittel trug der Bauer einen schweren Ledersack , in den das Spargut seines Schweißes eingeschnürt war : dreiundachtzig und ein halb Pfund Pfennig in rheinischem Gold , in Silber und schwarzem Blech . Weil Mareiner einen Bruder hatte , der Hofmann war , vergrub er diesen Sack im Dickicht des Waldes zwischen den Wurzeln einer alten Fichte , die er unauffällig mit dem Messer merkte , als er den Boden geebnet und wieder mit Moos bedeckt hatte . Kein Fuchs hätte da einen Wandel der Dinge wahrgenommen . Während Mareiner beruhigt sein unsichtbares Werk betrachtete , erfreute sich Marimpfel auf seinem trabenden Gaul immer wieder des gleichen Rechnungsschlusses : » Von sechzig ein Drittel ist zwanzig ! « Was konnte man im Leben nicht alles haben für zwanzig Pfund Pfennig ! Der adlige Chorherr Jettenrösch bezahlte seiner Hübschlerin und Pfennigfrau für alle Lieb und Freud eines langen Jahres nur fünfzehn Pfund . Freilich war , wie die Leute munkelten , Herr Jettenrösch bei dem frummen Fräulein Rusaley nicht der einzige Zahler . Marimpfel lachte . Von den Herren , die klug sind , kann man lernen . Gute Kameraden und Gnoten müssen teilen können ohne Neid bei Trank und Schüssel , bei Mühsal und Pfennigsack . Warum nicht auch bei der süßesten von allen Freuden ? Wie mehr sich teilen in des Lebens Kosten , um so billiger wird des Lebens Rausch . Und Marimpfel wußte nun eine , die ihm gefiel . Warum sollte man die nicht zum Pfennigweibl machen können ? Jungferntrutz ist wie Maienschnee . Um ein freudenreiches Leben ist alles feil . Und wie gut ihr das stehen muß , wenn sie das schwere Schwarzhaar im grünen Schleier hat ! Und reitet ein hoher Fürst durch Berchtesgaden , so muß ihm die schöne Hübschlerin des Marimpfel das rote Stricklein spannen und die lustige Ehr erweisen . Große Herren haben kleine Lustbarkeiten gern . Und wissen , wie man danken muß . Während Marimpfel diese goldenen Zukunftspläne schmiedete und durch die einseitige Häusergasse der Ramsau ritt , schien ein stummer Lebensschreck vor ihm herzutraben . Wo Leute oder Kinder vor den Türen waren , verschwanden sie flink im Haus . Und ein Hund , der mit schwerem Holzknebel am Hals auf der Straße in der Sonne gelegen hatte , wurde durch einen schrillen Pfiff in das Gehöft gerufen , zu dem er gehörte . Hinter dem Haus des Leutgeb lenkte Marimpfel von der Straße weg und ritt zu einem hohen Hag hinauf , der ein auf grünem Hügel liegendes Gehöft umschloß . Der Reiter stieß mit dem Fuß an das versperrte Hagtor . » Auf ! In des Herrn Nam ! « Holzschuhe klapperten . Ein junger Knecht öffnete das Tor , machte scheue Augen und sagte rasch : » Der Richtmann ist nit daheim . « » Wo ist er ? « » Im Holz . Bis zur Mahlstund kommt er . « » Solang kann ich nit warten . Spring ins Holz hin aus und hol den Richtmann ! Ich tu derweil einen Trank beim Leutgeb . « Der Spießknecht ritt zur Straße hinunter . Zwischen den Stauden und Bäumen , die den Weg in der Richtung gegen Berchtesgaden geleiteten , sah er ein Leuchten bunter Farben und blanker Waffen . Wer kam da ? Keiner von den Hofleuten des Gadens . Die trugen sich anders . Der gesprenkelte Stieglitz , der da zwischen den Stauden einherschritt , schleppte sich mit schwerer Last . War also wohl ein fahrender Kriegsknecht , der seinen Dienst verlassen hatte und zu einem neuen Soldherrn wanderte . Nun bog er auf die freie Straße heraus , ein langes , braunbärtiges Mannsbild in der bunten Tracht der städtischen Soldknechte , Wams und Hosen bunt gezwickelt , wie es bei den Kriegsleuten in der großen Welt da draußen neue Mode wurde . Er ging barhäuptig , das braune Langhaar gescheitelt . Den flachen , mit einer gelben Kräuselfeder umwundenen Hut hatte er an einer Kordel auf der Brust hängen , neben dem Knauf des hochgebundenen Zweihänders . Den Dolch und das Kurzeisen trug er am Gürtelgehenk . An dem langen Spieß , den er geschultert hatte , schleppte er eine Last , die man auf einen Zentner und darüber schätzen konnte : den Eisenhut , die Brustplatten und Armschienen , den braunen Gugelmantel und dazu das dicke , stamm gedrosselte Lederbündel seiner Kriegsmannshabe . Einen schwächlichen Menschen hätte solche Last erdrückt . Doch dieser lange Kerl hatte trotz der heißen Sommersonne keinen Tropfen Schweiß auf der sonnverbrannten Stirn und ging unter dem schweren Gewicht mit so federndem Schritt , als trüge er Schwanenflaum auf seinem Rücken . Und Augen hatte er , die heiter in den schönen Morgen schauten . Sein von Narben zerfetztes Gesicht erzählte , wie oft dieser Fröhliche schon unter dem Streich des Todes gestanden . Die jüngste seiner Narben , noch dunkel gerötet , ging von der Stirn über das rechte Auge mit geradem Strich herunter bis zum Kinn und wäre schrecklich anzusehen gewesen , wenn sie in diesem gesunden und vergnügten Mannsgesichte nicht eine Art von groteskem Humor bekommen hätte . Als dieser fahrende Söldner den berittenen Hofmann kommen sah , blieb er breitspurig stehen und fing zu lachen an . Auch Marimpfel lachte . » Wenn eins den Wolfen nennt , kommt er gerennt ! Malimmes ! Kein halbes Stündl ist 's her , da hab ich mit dem Mareiner geredet von dir . Und jetzt bist da . Herzbruder ! Gottes Gruß im Land ! « Malimmes streckte dem Reiter die Hand hinauf . » Gott grüß dich , Bruder ! Ich hab dich schon gesucht im Gaden draußt . Hätt gern zum Einstand ein Häflein mit dir gelupft . Und hab gehört , du wärst in der Ramsau . Bist bei der Mutter gewesen ? Wie geht's dem guten Weibl ? « Marimpfel erkannte in den Augen des Bruders die ehrliche Sehnsucht , wurde ein bißchen verlegen und sagte : » Es geht der Mutter nit schlecht . Allweil schnauft sie noch . « Das Gesicht des andern strahlte . » Gute Botschaft ! Will dem lieben Herrgott danken dafür . Am Sonntag werf ich dem Meßpfaffen einen Goldpfennig in den Bettelsack . Ich hab's . Einen Winter lang kann ich mich auf die Faulhaut legen und kann der Mutter ein gutes Leben machen . Komm , Bruder , kehr um ! Laß uns selbander heim ! « » Ich kann nit , hab eilfertigen Herrendienst . Aber auf ein Ständerlein beim Leutgeb hab ich Zeit . « » So komm ! Ein Bruder ist auch ein kostbar Ding . Dreh dich , Schätzlein , dreh dich ! « Malimmes faßte lachend den Zügel und wandte den Gaul des Bruders . » Auftragen laß ich dir , als wärst ein römischer Delegat . Friß und sauf und tu mich anlachen ! Not und Hader sind draußen in der Welt . Daheim ist daheim . Und was ich anguck , ist liebreich und friedsam . « Er schrie einen Jauchzer in die sonnige Luft hinaus , so gellend , daß Marimpfels Gaul einen scheuenden Sprung machte . Auf dem Wege zum nahen Leuthaus schwatzte Malimmes in seiner frohen Laune immerzu . Marimpfel war nachdenklich geworden . Und plötzlich , den Bruder von der Seite musternd , fragte er : » Einen Winter lang willst feiern ? Bist in Ehren ledig worden von Herr und Dienst ? Oder mußt dich verstecken ? Hat 's eine Sauerei gegeben ? « Malimmes sah ernst an dem Reiter hinauf . » Da wär alleweil ein andrer die Sau gewesen . « » Meine Frag war nit schiech gemeint . « » Muß ich halt dumm gehört haben . « Malimmes lachte schon wieder . » Ich will einmal für ein Zeitl mein eigner Herr sein . Viel Grund sind gewesen , daß ich gegangen bin . Der letzte war , daß mich das Heimweh angefallen hat , derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin . Wegen dem da ! « Er deutete auf den frischen Narbenriß , der wie ein roter Feuerstrich in dem braunen Gesichte glomm . » Ein böser Streich ! Bruder , da mußt dich schlecht gedeckt haben ? « Lustig zwinkerte Malimmes mit den Augen und schüttelte den Kopf . » Es hätt ein feiner Hieb sein können ! Hätt aus meinem Hirndach schier zwei Äpfelschnitten gemacht . Aber grad , wie der Hieb schön kunstvoll ansetzt , hat der ander , ein Pegnitzer Heckenreiter , meinen Spieß in der Seel gehabt . Seine Faust hat nur noch ein lützel rutschen können . Für sechs Wochen hat's bei mir noch ausgegeben . Aber der ander ist nimmer aufgestanden . Ist ein braver Kerl gewesen , mit dem ich oft gebechert und geknöchelt hab . Hat mir 's nit schlecht vermeint , hat halt auch nur seinem Fähnl die Treu gehalten . Wegen sieben Ballen flandrisch Tuch , die sein Edelherr gekrapst hat . « Malimmes lachte nimmer . Verwundert guckte Marimpfel auf den Bruder hinunter . » Kriegsmann sein , war ein gutes Handwerk ! « sagte Malimmes . Er hob den belasteten Spieß auf die andre Schulter . Die Eisenstücke klirrten . » Man sollt nur allweil wissen , daß es hergeht um eine Sach , die nötig und ehrlich ist . Da war das Dreinhauen eine Freud . Aber die meisten Händel müßten nit sein . Und geht 's nit um einen städtischen Pfeffersack , so geht 's um einen herrischen Hennendreck . Mich freut's schon lang nimmer . Im Ausland solden , wie 's andere tun , das mag ich nit . Ich mag nit welschen , hab das Deutsche lieb . Aber bei uns im Reich , da ist's ein Elend . Der König , sagen die Leut , wär bloß ein Schatten noch . Die Fürsten reißen ihm den letzten Fetzen aus dem Mantel . Von denen trachtet ein jeder nach dem wärmsten Hosenfleck für seinen eignen Hintern . Jeder ist seines Nachbarn Feind und Neider . Daß man zusammengehört im Reich , das weiß man nimmer . Ein Grausen , wo man hinschaut ! Hab mir 's oft schon denken müssen . Und jetzt , derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin und es hat der Feldscher so grob geschustert an meinem Hirnkastl , da hat mich allweil gedürstet nach einer Hand , die linder nähen tat . « Nun lachte Malimmes wieder . » Da ist mir die Mutter nimmer aus dem Sinn gefallen . Und jetzt bin ich daheim . Und will meinen lustigen Fried haben ein Zeitl . « Marimpfel gab dem Bruder einen Puff . » Ein Kerl wie du ! Wirst doch kein Sinniervogel sein ! Elend im Reich ? Was geht denn uns das an ? Wie mehrer das Gold , so fester der Sold , wie feiner der Brei , so besser die Treu , wie größer die Ehr , so blanker die Wehr ! Die als Kriegsleut anders denken , sind Rindviecher . « Malimmes lachte . » So bin ich halt eins . « » Geh , Bruder , sei ein lützel stolzer ! Aber ich weiß schon , wo 's fehlt bei dir . Als Stadtknecht bis du gut bei Gold und Brei gewesen , aber mager bei der Ehr . So was wurmt einen festen Kerl , der aufwärts möcht . Tu den Kopf heben ! Ich schaff dir einen fürnehmen Herren . Hofmann sein bei guter Farb , das ist allweil das Beste . Da kannst herunterspeien auf die , wo minder sind . « Die beiden lenkten von der Straße in den Hof des Leuthauses ein . Und wieder hob Malimmes das braune , von dem feurigen Strich durchsägte Gesicht und sah hinauf zu dem höfischen Reiter . » Du ! « Er schmunzelte . » Ich hab einmal einen Frosch gesehen . Der ist der stolzeste gewesen unter allen Fröschen . Und weißt , warum ? Weil ihn der Ochs getreten hat . Und die andern Frösch , die haben nur den Tritt der Kuh gespürt . Drum sind sie minder gewesen . « Heiter lachend trat Malimmes in den Flur des Leuthauses und machte lustige Späße über Bauch und Doppelkinn des Wirtes , der den Kriegsknecht unterwürfig begrüßte . » Und jetzt trag auf , du Gauner ! Bring Wurst und Selchfleisch ! Her mit dem besten aus deinem Keller ! Nimm die größte von deinen Bitschen ! Ich weiß wohl , Saufen ist der Deutschen Spott vor der Welt wie auch vor Gott ! Aber wenn mich halt dürsten tut ! Was soll ich machen ? Ist nit der liebe Gott dran schuld , wenn an siedheißem Sommertag dem Menschen die Leber brandig wird ? « Der heitere Rumor , den Malimmes anhub , brachte gleich das ganze Haus in vergnügten Aufruhr . Die Wirtin kam gezappelt , die zwei jungen Mägde kicherten und sprangen . Und der Knecht , der den Gaul Marimpfels versorgen mußte , trug die Freudenbotschaft in den Stall : » Der lustige Malimmes vom Taubensee ist heimgekommen ! « In der großen Leutstube ließ der Soldknecht seine schwere Last auf eine Tischplatte hinklirren . Marimpfel trat mißmutig zur Tür herein ; des Bruders Gleichnis von den Fröschen hatte ihn geärgert , und er schien nicht recht zu wissen , wie er den Heimgekehrten nehmen sollte . Doch als er prüfend den Spieß des Bruders mit der daranhängenden Last zu lupfen versuchte , wandelte sich sein Verdruß in ehrliches Staunen . » Gotts Teufel und Bohnenstroh ! Herzbruder ! Da hast dich aber schuftig schleppen müssen ! Und hast bei solcher Hitz kein Tröpfl Wasser auf deiner Näs ! « Malimmes rückte hinter den Nachbartisch . » Die hurtig schwitzen müssen , sind leichtfertige Leute und Schwächlinge . Wer mannsfest lebt , dem bleibt auch in harter Mühsal das Häutl trocken . « Für diese Lebensweisheit hatte Marimpfel kein hörendes Ohr . Er musterte neugierig den strotzenden Lederbinkel am Spieß , statzte ihn fest auf die Tischplatte hin und öffnete weit die Augen , ah er dieses leicht zu deutende Geklirr vernahm . » Gelt « , rief Malimmes lachend , » da drin , da klingelt's ? « Der Wirt und seine Leute begannen aufzutragen , als wären zwei große Hansen zu Gast gekommen . Malimmes , immer schwatzend , immer lachend , schnitt dem Bruder das Selchfleisch und die Würste in großen Brocken vor und füllte ihm fleißig den zinnernen Becher . Auch der Leutgeb , sein Weib und die zwei jungen Mägde mußten mithalten . Jeder Knecht und Stallbub , der kudernd zur Tür hereinguckte , wurde fröhlich zu dem gastfreien Tisch herangewunken , und jeder Bauer wurde angerufen , der draußen auf der Straße vorüber wollte – mancher schüttelte den Kopf und ging seines Weges , doch mancher kam . Bald saßen an die dreißig um die lange Tafel , zu der man Tisch neben Tisch zusammenrückte . Marimpfel , um dem lustigen Bruder gefällig zu sein , bezwang seinen Hofmannsstolz und gab sich als Herr , der sich gnädig niederbeugt zu den Minderen . Doch Malimmes hatte eine Art von kameradschaftlicher Freude an der randalierenden Gesellschaft , nannte sie seine Kump- und Dumpanei , war der Obrist Schluckhauptmann und kommandierte mit drolligen Sprüchen den Becherlupf . Der städtische Soldknecht und der gadnische Hofmann vertrugen viel . Sie schluckten munter und behielten klare Köpfe , während die andern bald in einen feuchtfröhlichen Dusel gerieten . Ein altes , dürres Bäuerlein , das die billige Schluckstunde eifrig nützte , kam in so mutige Laune , daß es , neben scheuer Ehrfurcht vor Marimpfel , gegen den lachenden Stadtknecht spöttische Redensarten zu werfen wagte . Wieder ließ Malimmes die leergelupfte Bitsche füllen . » Leutgeb ! Spring und bring ! Ich zahl's .