Arthur Schnitzler Casanovas Heimfahrt In seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahre , als Casanova längst nicht mehr von der Abenteuerlust der Jugend , sondern von der Ruhelosigkeit nahenden Alters durch die Welt gejagt wurde , fühlte er in seiner Seele das Heimweh nach seiner Vaterstadt Venedig so heftig anwachsen , daß er sie , gleich einem Vogel , der aus luftigen Höhen zum Sterben allmählich nach abwärts steigt , in eng und immer enger werdenden Kreisen zu umziehen begann . Öfter schon in den letzten zehn Jahren seiner Verbannung hatte er an den hohen Rat Gesuche gerichtet , man möge ihm die Heimkehr gestatten ; doch hatten ihm früher bei der Abfassung solcher Satzschriften , in denen er Meister war , Trotz und Eigensinn , manchmal auch ein grimmiges Vergnügen an der Arbeit selbst die Feder geführt , so schien sich seit einiger Zeit in seinen fast demütig flehenden Worten ein schmerzliches Sehnen und echte Reue immer unverkennbarer auszusprechen . Er glaubte um so sicherer auf Erhörung rechnen zu dürfen , als die Sünden seiner früheren Jahre , unter denen übrigens nicht Zuchtlosigkeit , Händelsucht und Betrügereien meist lustiger Natur , sondern Freigeisterei den Venezianer Ratsherren die unverzeihlichste dünkte , allmählich in Vergessenheit zu geraten begannen und die Geschichte seiner wunderbaren Flucht aus den Bleikammern von Venedig , die er unzählige Male an regierenden Höfen , in adeligen Schlössern , an bürgerlichen Tischen und in übelberüchtigten Häusern zum besten gegeben hatte , jede andere Nachrede , die sich an seinen Namen knüpfte , zu übertönen anfing ; und eben wieder , in Briefen nach Mantua , wo er sich seit zwei Monaten aufhielt , hatten hochmögende Herren dem an innerm wie an äußerm Glanz langsam verlöschenden Abenteurer Hoffnung gemacht , daß sich sein Schicksal binnen kurzem günstig entscheiden würde . Da seine Geldmittel recht spärlich geworden waren , hatte Casanova beschlossen , in dem bescheidenen , aber anständigen Gasthof , den er schon in glücklicheren Jahren einmal bewohnt hatte , das Eintreffen der Begnadigung abzuwarten , und er vertrieb sich indes die Zeit – ungeistigerer Zerstreuungen nicht zu gedenken , auf die gänzlich zu verzichten er nicht imstande war – hauptsächlich mit Abfassung einer Streitschrift gegen den Lästerer Voltaire , durch deren Veröffentlichung er seine Stellung und sein Ansehen in Venedig gleich nach seiner Wiederkehr bei allen Gutgesinnten in unzerstörbarer Weise zu befestigen gedachte . Eines Morgens , auf einem Spaziergang außerhalb der Stadt , während er für einen vernichtenden , gegen den gottlosen Franzosen gerichteten Satz die letzte Abrundung zu finden sich mühte , befiel ihn plötzlich eine außerordentliche , fast körperlich peinvolle Unruhe ; das Leben , das er in leidiger Gewöhnung nun schon durch drei Monate führte : die Morgen Wanderungen vor dem Tor ins Land hinaus , die kleinen Spielabende bei dem angeblichen Baron Perotti und dessen blatternarbiger Geliebten , die Zärtlichkeiten seiner nicht mehr ganz jungen , aber feurigen Wirtin , ja sogar die Beschäftigung mit den Werken Voltaires und die Arbeit an seiner eigenen kühnen und bisher , wie ihm dünkte , nicht übel gelungenen Erwiderung ; – all dies erschien ihm , in der linden , allzu süßen Luft dieses Spätsommermorgens , gleichermaßen sinnlos und widerwärtig ; er murmelte einen Fluch vor sich hin , ohne recht zu wissen , wen oder was er damit treffen wollte ; und , den Griff seines Degens umklammernd , feindselige Blicke nach allen Seiten sendend , als richteten aus der Einsamkeit ringsum unsichtbare Augen sich höhnend auf ihn , wandte er plötzlich seine Schritte nach der Stadt zurück , in der Absicht , noch in derselben Stunde Anstalten für seine sofortige Abreise zu treffen . Denn er zweifelte nicht , daß er sich sofort besser befinden würde , wenn er nur erst der ersehnten Heimat wieder um einige Meilen näher gerückt wäre . Er beschleunigte seinen Gang , um sich rechtzeitig einen Platz in der Eilpost zu sichern , die vor Sonnenuntergang in der Richtung nach Osten abfuhr ; – weiter hatte er kaum etwas zu tun , da er sich einen Abschiedsbesuch beim Baron Perotti wohl schenken durfte , und ihm eine halbe Stunde vollauf genügte , um seine gesamten Habseligkeiten für die Reise einzupacken . Er dachte der zwei etwas abgetragenen Gewänder , von denen er das schlechtere am Leibe trug , und der vielfach geflickten , einst fein gewesenen Wäsche , die mit ein paar Dosen , einer goldenen Kette samt Uhr und einer Anzahl von Büchern seihen ganzen Besitz ausmachten ; – vergangene Tage fielen ihm ein , da er als vornehmer Mann , mit allem Notwendigen und Überflüssigen reichlich ausgestattet , wohl auch mit einem Diener – der freilich meist ein Gauner war – im prächtigen Reisewagen durch die Lande fuhr ; – und ohnmächtiger Zorn trieb ihm die Tränen in die Augen . Ein junges Weib , die Peitsche in der Hand , kutschierte ein Wägelchen an ihm vorbei , darin zwischen Säcken und allerlei Hausrat schnarchend ihr betrunkener Mann lag . Sie blickte Casanova , wie er verzerrten Gesichtes , Unverständliches durch die Zähne murmelnd , unter den abgeblühten Kastanienbäumen der Heerstraße langbeinig ausschreitend einherkam , zuerst neugierig spöttisch ins Gesicht , doch da sie ihren Blick zornig blitzend erwidert sah , nahmen ihre Augen einen erschrockenen , und endlich , wie sie sich im Weiterfahren nach ihm umwandte , einen wohlgefällig lüsternen Ausdruck an . Casanova , der wohl wußte , daß Grimm und Haß länger in den Farben der Jugend zu spielen vermögen als Sanftheit und Zärtlichkeit , erkannte sofort , daß es nur eines frechen Anrufs von seiner Seite bedurft hätte , um dem Wagen Halt zu gebieten und dann mit dem jungen Weib anstellen zu können , was ihm weiter beliebte ; doch , obzwar diese Erkenntnis seine Laune für den Augenblick besserte , schien es ihm nicht der Mühe wert , um eines so geringen Abenteuers willen auch nur wenige Minuten zu verziehen ; und so ließ er das Bauernwägelchen samt seinen Insassen im Staub und Dunst der Landstraße unangefochten weiterknarren . Der Schatten der Bäume nahm der emporsteigenden Sonne nur wenig von ihrer sengenden Kraft , und Casanova sah sich genötigt , seinen Schritt allmählich zu mäßigen . Der Staub der Straße hatte sich so dicht auf sein Gewand und Schuhwerk gelegt , daß ihnen ihre Verbrauchtheit nicht mehr anzumerken war , und so konnte man Casanova , nach Tracht und Haltung , ohne weiteres für einen Herrn von Stande nehmen , dem es just gefallen hatte , seine Karosse einmal daheim zu lassen . Schon spannte sich der Torbogen vor ihm aus , in dessen nächster Nähe der Gasthof gelegen war , in dem er wohnte , als ihm ein ländlich schwerfälliger Wagen entgegengeholpert kam , in dem ein behäbiger , gutgekleideter , noch ziemlich junger Mann saß . Er hatte die Hände über dem Magen gekreuzt und schien eben mit blinzelnden Augen einnicken zu wollen , als sein Blick , zufällig Casanova streifend , in unerwarteter Lebhaftigkeit aufglänzte , wie zugleich seine ganze Erscheinung in eine Art von heiterm Aufruhr zu geraten schien . Er erhob sich zu rasch , sank sofort zurück , stand wieder auf , versetzte dem Kutscher einen Stoß in den Rücken , um ihn zum Halten zu veranlassen , drehte sich in dem weiterrollenden Wagen um , um Casanova nicht aus dem Gesicht zu verlieren , winkte ihm mit beiden Händen zu und rief endlich mit einer dünnen hellen Stimme dreimal dessen Namen in die Luft . Erst an der Stimme hatte Casanova den Mann erkannt , trat auf den Wagen zu , der stehengeblieben war , ergriff lächelnd die beiden sich ihm entgegenstreckenden Hände und sagte : » Ist es möglich , Olivo – Sie sind es ? « – » Ja , ich bin es , Herr Casanova , Sie erkennen mich also wieder ? « – » Warum sollt ' ich nicht ? Sie haben zwar seit Ihrem Hochzeitstag , an dem ich Sie zuletzt gesehn , an Umfang ein wenig zugenommen – aber auch ich mag mich in den fünfzehn Jahren nicht unerheblich verändert haben , wenn auch nicht in gleicher Weise . « – » Kaum , « rief Olivo , » so gut wie gar nicht , Herr Casanova ! Übrigens sind es sechzehn Jahre , vor wenigen Tagen waren es sechzehn ! Und wie Sie sich wohl denken können , haben wir , gerade bei dieser Gelegenheit , ein hübsches Weilchen lang von Ihnen gesprochen , Amalia und ich ... « – » Wirklich , « sagte Casanova herzlich , » Sie erinnern sich beide noch manchmal meiner ? « Olivos Augen wurden feucht . Noch immer hielt er Casanovas Hände in den seinen und drückte sie nun gerührt . » Wieviel haben wir Ihnen zu danken , Herr Casanova ! Und wir sollten unsres Wohltäters jemals vergessen ? Und wenn wir jemals – « – » Reden wir nicht davon « , unterbrach Casanova . » Wie befindet sich Frau Amalia ? Wie ist es überhaupt zu verstehn , daß ich in diesen ganzen zwei Monaten , die ich nun in Mantua verbringe – freilich recht zurückgezogen , aber ich gehe doch viel spazieren nach alter Gewohnheit – wie kommt es , daß ich Ihnen , Olivo , daß ich Ihnen beiden nicht ein einziges Mal begegnet bin ? « – » Sehr einfach , Herr Casanova ! Wir wohnen ja längst nicht mehr in der Stadt , die ich übrigens niemals habe leiden können , so wenig als Amalia sie leiden mag . Erweisen Sie mir die Ehre , Herr Casanova , steigen Sie ein , in einer Stunde sind wir bei mir zu Hause « – und da Casanova leicht abwehrte – » Sagen Sie nicht nein . Wie glücklich wird Amalia sein , Sie wiederzusehen , und wie stolz , Ihnen unsre drei Kinder zu zeigen . Ja , drei , Herr Casanova . Lauter Mädchen . Dreizehn , zehn und acht ... Also noch keines in den Jahren , sich – mit Verlaub – sich – von Casanova das Köpfchen verdrehen zu lassen . « Er lachte gutmütig und machte Miene , Casanova einfach zu sich in den Wagen hereinzuziehen . Casanova aber schüttelte den Kopf . Denn , nachdem er fast schon versucht gewesen war , einer begreiflichen Neugier nachzugeben und der Aufforderung Olivos zu folgen , überkam ihn seine Ungeduld mit neuer Macht , und er versicherte Olivo , daß er leider genötigt sei , heute noch vor Abend Mantua in wichtigen Geschäften zu verlassen . Was hatte er auch in Olivos Haus zu suchen ? Sechzehn Jahre waren eine lange Zeit ! Amalia war indes gewiß nicht jünger und schöner geworden ; bei dem dreizehnjährigen Töchterlein würde er in seinen Jahren kaum sonderlichen Anwert finden ; und Herrn Olivo selbst , der damals ein magerer , der Studien beflissener Jüngling gewesen war , als bäurisch behäbigen Hausvater in ländlicher Umgebung zu bewundern , das lockte ihn nicht genug , als daß er darum eine Reise hätte aufschieben sollen , die ihn Venedig wieder um zehn oder zwanzig Meilen näher brachte . Olivo aber , der nicht gesonnen schien , Casanovas Weigerung ohne weiteres hinzunehmen , bestand darauf , ihn vorerst einmal im Wagen nach dem Gasthof zu bringen , was ihm Casanova füglich nicht abschlagen konnte . In wenigen Minuten waren sie am Ziel . Die Wirtin , eine stattliche Frau in der Mitte der Dreißig , begrüßte in der Einfahrt Casanova mit einem Blick , der das zwischen ihnen bestehende zärtliche Verhältnis auch für Olivo ohne weitres ersichtlich machen mußte . Diesem aber reichte sie die Hand als einem guten Bekannten , von dem sie – wie sie Casanova gegenüber gleich bemerkte – eine gewisse , auf seinem Gut wachsende , sehr preiswürdige , süßlichherbe Weinsorte regelmäßig zu beziehen pflegte . Olivo beklagte sich sofort , daß der Chevalier von Seingalt ( denn so hatte die Wirtin Casanova begrüßt , und Olivo zögerte nicht , sich gleichfalls dieser Anrede zu bedienen ) so grausam sei , die Einladung eines wiedergefundenen alten Freundes auszuschlagen , aus dem lächerlichen Grunde , weil er heute , und durchaus gerade heute , von Mantua wieder abreisen müsse . Die befremdete Miene der Wirtin belehrte ihn sofort , daß diese von Casanovas Absicht bisher noch nichts gewußt hatte , und Casanova hielt es daraufhin für angebracht , zu erklären , daß er den Reiseplan zwar nur vorgeschützt , um nicht der Familie des Freundes durch einen so unerwarteten Besuch lästig zu fallen ; tatsächlich aber sei er genötigt , ja verpflichtet , in den nächsten Tagen eine wichtige schriftstellerische Arbeit abzuschließen , wofür er keinen geeigneteren Ort wüßte , als diesen vorzüglichen Gasthof , in dem ihm ein kühles und ruhiges Zimmer zur Verfügung stände . Darauf beteuerte Olivo , daß seinem bescheidenen Haus keine größre Ehre widerfahren könne , als wenn der Chevalier von Seingalt dort sein Werk zum Abschluß brächte ; die ländliche Abgeschiedenheit könne einem solchen Unternehmen doch nur förderlich sein ; an gelehrten Schriften und Hilfsbüchern , wenn Casanova solcher benötigte , wäre auch kein Mangel , da seine , Olivos , Nichte , die Tochter seines verstorbenen Stiefbruders , ein junges , aber trotz ihrer Jugend schon höchst gelehrtes Mädchen , vor wenigen Wochen mit einer ganzen Kiste voll Büchern bei ihnen eingetroffen sei ; – und wenn des Abends gelegentlich Gäste erschienen , so brauchte sich der Herr Chevalier weiter nicht um sie zu kümmern ; es sei denn , daß ihm nach des Tages Arbeit und Bemühen eine heitre Unterhaltung oder ein kleines Spielchen nicht eher eine willkommene Zerstreuung bedeutete . Casanova hatte kaum von einer jungen Nichte vernommen , als er auch schon entschlossen war , sich dieses Geschöpf in der Nähe zu besehn ; anscheinend noch immer zögernd , gab er dem Drängen Olivos endlich nach , erklärte aber gleich , daß er keineswegs länger als ein oder zwei Tage von Mantua fernbleiben könne , und beschwor seine liebenswürdige Wirtin , Briefe , die für ihn indes hier anlangen mochten und vielleicht von höchster Wichtigkeit waren , ihm unverzüglich durch einen Boten nachzusenden . Nachdem die Sache so zu Olivos großer Zufriedenheit geordnet war , begab sich Casanova auf sein Zimmer , machte sich für die Reise fertig , und schon nach einer Viertelstunde trat er in die Gaststube , wo Olivo sich indes in ein eifriges Gespräch geschäftlicher Natur mit der Wirtin eingelassen hatte . Nun erhob er sich , trank stehend sein Glas Wein aus , und verständnisvoll zwinkernd versprach er ihr , den Chevalier – wenn auch nicht bereits morgen oder übermorgen – doch in jedem Falle wohlbehalten und unversehrt an sie zurückzustellen . Casanova aber , plötzlich zerstreut und hastig , empfahl sich so kühl von seiner freundlichen Wirtin , daß sie ihm , schon am Wagenschlag , ein Abschiedswort ins Ohr flüsterte , das eben keine Liebkosung war . Während die beiden Männer die staubige , im sengenden Mittagsglanz daliegende Straße ins Land hinausfuhren , erzählte Olivo weitschweifig und wenig geordnet von seinen Lebensumständen : wie er bald nach seiner Verheiratung ein winziges Grundstück nahe der Stadt gekauft , einen kleinen Gemüsehandel angefangen ; dann seinen Besitz allmählich erweitert und Landwirtschaft zu treiben begonnen ; – wie er es endlich durch die eigne und seiner Gattin Tüchtigkeit mit Gottes Segen so weit gebracht , daß er vor drei Jahren von dem verschuldeten Grafen Marazzani dessen altes , etwas verfallenes Schloß samt dazugehörigem Weingut käuflich zu erwerben imstande gewesen , und wie er sich nun auf adligem Grund mit Frau und Kindern behaglich , wenn auch keineswegs gräflich , eingerichtet habe . All dies aber verdanke er zuletzt doch nur den hundertfünfzig Goldstücken , die seine Braut oder vielmehr deren Mutter von Casanova zum Geschenk erhalten habe ; – ohne diese zauberkräftige Hilfe wäre sein Los wohl heute noch kein andres , als es damals gewesen : ungezogne Rangen im Lesen und Schreiben zu unterweisen ; wahrscheinlich wäre er auch ein alter Junggeselle und Amalie eine alte Jungfer geworden ... Casanova ließ ihn reden und hörte ihm kaum zu . Ihm zog das Abenteuer durch den Sinn , in das er damals zugleich mit manchen andern bedeutungsvollem verstrickt gewesen war , und das , als das geringste von allen , seine Seele so wenig als seither seine Erinnerung beschäftigt hatte . Auf einer Reise von Rom nach Turin oder Paris – er wußte es selbst nicht mehr – während eines kurzen Aufenthalts in Mantua hatte er Amalia eines Morgens in der Kirche erblickt und , da ihm ihr hübsches blasses , etwas verweintes Antlitz Wohlgefallen , eine freundlich galante Frage an sie gerichtet . Zutunlich wie sie damals alle gegen ihn waren , hatte sie ihm gern ihr Herz aufgeschlossen und so erfuhr er , daß sie , die selbst in dürftigen Verhältnissen lebte , in einen armen Schullehrer verliebt war , dessen Vater ebenso wie ihre Mutter zu einer so aussichtslosen Verbindung die Einwilligung entschieden verweigerte . Casanova erklärte sich sofort bereit , die Angelegenheit ins Reine zu bringen . Er ließ sich vor allem mit Amaliens Mutter bekanntmachen , und da diese als eine hübsche Witwe von sechsunddreißig Jahren auf Huldigungen noch Anspruch machen durfte , war Casanova bald so innig mit ihr befreundet , daß seine Fürsprache alles bei ihr zu erreichen vermochte . Sobald sie erst ihre ablehnende Haltung aufgegeben , versagte auch Olivos Vater , ein heruntergekommener Kaufmann , seine Zustimmung nicht länger , insbesondere als Casanova , der ihm als entfernter Verwandter der Brautmutter vorgestellt wurde , sich großmütig verpflichtete , die Kosten der Hochzeit und einen Teil der Aussteuer zu bezahlen . Amalia selbst aber konnte nicht anders , als dem edlen Gönner , der ihr erschienen war wie ein Bote aus einer andern höhern Welt , sich in einer Weise dankbar erzeigen , die das eigne Herz ihr gebot ; und als sie sich am Abend vor ihrer Hochzeit der letzten Umarmung Casanovas mit glühenden Wangen entrang , war ihr der Gedanke völlig fern , an ihrem Bräutigam , der sein Glück am Ende doch nur der Liebenswürdigkeit und dem Edelsinn des wunderbaren Fremden verdankte , ein Unrecht begangen zu haben . Ob Olivo von der außerordentlichen Erkenntlichkeit Amaliens gegenüber dem Wohltäter je durch ein Geständnis Kunde erhalten , ob er ihr Opfer vielleicht als ein selbstverständliches vorausgesetzt und ohne nachträgliche Eifersucht hingenommen hatte , oder ob ihm gar , was geschehn , bis heute ein Geheimnis geblieben war , – darum hatte Casanova sich niemals gekümmert und kümmerte sich auch heute nicht darum . Die Hitze stieg immer höher an . Der Wagen , schlecht gefedert und mit harten Kissen versehn , rumpelte und stieß zum Erbarmen , das dünnstimmig gutmütige Geschwätz Olivos , der nicht abließ , seinen Begleiter von der Ersprießlichkeit seines Bodens , der Vortrefflichkeit seiner Hausfrau , der Wohlgeratenheit seiner Kinder und von dem vergnügt harmlosen Verkehr mit bäuerlicher und adliger Nachbarschaft zu unterhalten , begann Casanova zu langweilen , und ärgerlich fragte er sich , aus welchem Grunde er denn eigentlich eine Einladung angenommen , die für ihn nichts als Unbequemlichkeiten und am Ende gar Enttäuschungen im Gefolge haben konnte . Er sehnte sich nach seinem kühlen Gasthofszimmer in Mantua , wo er zu dieser selben Stunde ungestört an seiner Schrift gegen Voltaire hätte weiterarbeiten können , – und schon war er entschlossen , beim nächsten Wirtshaus , das eben sichtbar wurde , auszusteigen , ein beliebiges Gefährt zu mieten und zurückzufahren , als Olivo ein lautes Holla he ! hören ließ , nach seiner Art mit beiden Händen zu winken begann und , Casanova beim Arm packend , auf einen Wagen deutete , der neben dem ihren , zugleich mit diesem , wie auf Verabredung , stehengeblieben war . Von jenem andern aber sprangen , eines hinter dem andern , drei ganz junge Mädchen herunter , so daß das schmale Brett , das ihnen als Sitz gedient hatte , in die Höhe flog und umkippte . » Meine Töchter « , wandte sich Olivo , nicht ohne Stolz , an Casanova , und als dieser sofort Miene machte , seinen Platz im Wagen zu verlassen : » Bleiben Sie nur sitzen , mein teurer Chevalier , in einer Viertelstunde sind wir am Ziel , und so lange können wir uns schon alle in meiner Kutsche behelfen . Maria , Nanetta , Teresina – seht , das ist der Chevalier von Sein galt , ein alter Freund eures Vaters , kommt nur näher , küßt ihm die Hand , denn ohne ihn wäret ihr « – er unterbrach sich und flüsterte Casanova zu : » Bald hätt' ich was Dummes gesagt . « Dann verbesserte er sich laut : » Ohne ihn wäre manches anders ! « Die Mädchen , schwarzhaarig und dunkeläugig wie Olivo , und alle , auch die älteste , Teresina , noch von kindlichem Aussehn , betrachteten den Fremden mit ungezwungener , etwas bäurischer Neugier , und die jüngste , Maria , schickte sich , der väterlichen Weisung folgend , an , ihm allen Ernstes die Hand zu küssen ; Casanova aber ließ es nicht zu , sondern nahm eins der Mädchen nach dem andern beim Kopf und küßte jedes auf beide Wangen . Indes wechselte Olivo ein paar Worte mit dem jungen Burschen , der das Wägelchen mit den Kindern bis hierher gebracht hatte , worauf jener auf das Pferd einhieb und die Landstraße in der Richtung nach Mantua weiterfuhr . Die Mädchen nahmen Olivo und Casanova gegenüber unter Lachen und scherzhaftem Gezänk auf dem Rücksitz Platz ; sie saßen eng aneinandergedrängt , redeten alle zugleich , und da ihr Vater gleichfalls zu sprechen nicht aufhörte , war es Casanova anfangs nicht leicht , ihren Worten zu entnehmen , was sie alle einander eigentlich zu erzählen hatten . Ein Name klang auf : der eines Leutnants Lorenzi ; er sei , wie Teresina berichtete , vor einer Weile an ihnen vorbeigeritten , habe für den Abend seinen Besuch in Aussicht gestellt und lasse den Vater schönstens grüßen . Ferner meldeten die Kinder , daß die Mutter anfangs gleichfalls beabsichtigt hätte , dem Vater entgegenzufahren ; aber in Anbetracht der großen Hitze hatte sie 's doch vorgezogen , daheim bei Marcolina zu bleiben . Marcolina aber war noch in den Federn gelegen , als man von Hause wegfuhr ; und vom Garten aus durchs offne Fenster hatten sie sie mit Beeren und Haselnüssen beworfen , sonst schliefe sie wohl noch zu dieser Stunde . » Das ist sonst nicht Marcolinens Art , « wandte sich Olivo an seinen Gast ; » meistens sitzt sie schon um sechs Uhr oder noch früher im Garten und studiert bis zur Mittagszeit . Gestern freilich hatten wir Gäste , und es dauerte etwas länger als gewöhnlich ; auch ein kleines Spielchen wurde gemacht , – nicht eins , wie es der Herr Chevalier gewöhnt sein mögen – wir sind harmlose Leute und wallen einander nicht das Geld abnehmen . Und da auch unser würdiger Abbate sich zu beteiligen pflegt , so können Sie sich wohl denken , Herr Chevalier , daß es nicht sehr sündhaft dabei zugeht . « Als vom Abbate die Rede war , lachten die Mädchen und hatten einander weiß Gott was zu erzählen , worüber es noch mehr zu lachen gab als vorher . Casanova aber nickte nur zerstreut ; in der Phantasie sah er das Fräulein Marcolina , das er noch gar nicht kannte , in ihrem weißem Bette liegend , dem Fenster gegenüber , die Decke heruntergestreift , halb entblößten Leibes , mit schlaftrunkenen Händen sich gegen die hereinfliegenden Beeren und Haselnüsse wehrend ; – und eine törichte Glut flog durch seine Sinne . Daß Marcolina die Geliebte des Leutnants Lorenzi war , daran zweifelte er so wenig , als hätte er selbst sie beide in zärtlichster Umschlingung gesehn , und er war so bereit , den unbekannten Lorenzi zu hassen , als ihn nach der niemals geschauten Marcolina verlangte . Im zitternden Dunst des Mittags , über graugrünes Laubwerk emporragend , ward ein viereckiges Türmchen sichtbar . Bald bog der Wagen von der Landstraße auf einen Seitenweg ; links stiegen Weinhügel gelinde an , rechts über den Rand einer Gartenmauer neigten sich Kronen uralter Bäume . Der Wagen hielt an einem Tor , dessen verwitterte Holzflügel weit offen standen , die Fahrgäste stiegen aus , der Kutscher , auf einen Wink Olivos , fuhr weiter , dem Stalle zu . Ein breiter Weg unter Kastanienbäumen führte zu dem Schlößchen , das sich auf den ersten Anblick etwas kahl , ja vernachlässigt darbot . Was Casanova vor allem ins Auge fiel , war ein zerbrochenes Fenster im ersten Stockwerk ; ebenso entging es ihm nicht , daß die Umfassung auf der Plattform des breiten , aber niedern Turmes , der etwas plump auf dem Gebäude saß , da und dort abbröckelte . Hingegen zeigte die Haustüre eine edle Schnitzerei , und in den Flur tretend , erkannte Casanova sofort , daß das Innere des Hauses sich in einem wohlerhaltenen und jedenfalls weit bessern Zustand befand , als dessen Äußres hätte vermuten lassen . » Amalia ! « rief Olivo laut , daß es von den gewölbten Mauern widerhallte . » Komm herunter so geschwind du kannst ! Ich hab' dir einen Gast mitgebracht , Amalia , und was für einen Gast ! « – Aber Amalia war schon vorher oben auf der Stiege erschienen , ohne für die aus der vollen Sonne in das Dämmer Tretenden sofort sichtbar zu sein . Casanova , dessen scharfe Augen sich die Fähigkeit bewahrt hatten , selbst das Dunkel der Nacht zu durchdringen , hatte sie früher bemerkt als der Gatte . Er lächelte und fühlte zugleich , daß dieses Lächeln sein Antlitz jünger machte . Amalia war keineswegs fett geworden , wie er gefürchtet , sondern sah schlank und jugendlich aus . Sie hatte ihn gleich erkannt . » Welche Überraschung , welches Glück ! « rief sie ohne jede Verlegenheit aus , eilte rasch die Stufen hinab und reichte Casanova zur Begrüßung die Wange , worauf dieser sie ohne weitres wie eine liebe Freundin umarmte . » Und ich soll wirklich glauben , « sagte er dann , » daß Maria , Nanetta und Teresina Ihre leiblichen Töchter sind , Amalia ? Der Zeit nach möchte es zwar stimmen – « » Und allem übrigen nach auch , « ergänzte Olivo , » verlassen Sie sich darauf , Chevalier ! « – » Dein Zusammen treffen mit dem Chevalier « , sagte Amalia mit einem erinnerungstrunknen Blick auf den Gast , » ist wohl an deiner Verspätung schuld , Olivo ? « – » So ist es , Amalia , aber hoffentlich gibt es trotz der Verspätung noch etwas zu essen ? « – » Wir haben uns natürlich nicht allein zu Tisch gesetzt , Marcolina und ich , so hungrig wir schon waren . « – » Und werden Sie sich nun , « fragte Casanova , » auch noch so lange gedulden , bis ich meine Kleider und mich selbst ein wenig vom Staub der Landstraße gereinigt habe ? « – » Gleich will ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen , « sagte Olivo , » und hoffe , Chevalier , Sie werden zufrieden sein , beinahe so zufrieden ... « er zwinkerte und fügte leise hinzu : » wie in Ihrem Gasthof zu Mantua , wenn es auch an mancherlei fehlen dürfte . « Er ging voraus , die Stiege zur Galerie hinauf , die sich rings um die Halle im Viereck zog , und von deren äußerstem Winkel eine schmale Holztreppe sich nach oben wand . In der Höhe angelangt , öffnete Olivo die Türe zum Turmgemach und , an der Schwelle stehenbleibend , wies er es Casanova mit vielen Komplimenten als bescheidenes Fremdenzimmer an . Eine Magd brachte den Mantelsack nach , entfernte sich mit Olivo , und Casanova stand allein in einem mäßigen , mit allem Notwendigen ausgestatteten , doch ziemlich kahlen Raum , durch dessen vier schmale hohe Bogenfenster sich ein weiter Blick nach allen Seiten auf die sonnbeglänzte Ebene mit grünen Weingeländen , bunten Fluren , gelben Feldern , weißen Straßen , hellen Häusern und dunklen Gärtchen darbot . Casanova kümmerte sich nicht weiter um die Aussicht und machte sich rasch fertig , nicht so sehr aus Hunger , als aus einer quälenden Neugier , Marcolina so bald als möglich von Angesicht zu Angesicht zu sehen ; er wechselte nicht einmal das Gewand , weil er erst am Abend glänzender aufzutreten gedachte . Als er das im Erdgeschoß gelegene holzgetäfelte Speisezimmer betrat , sah er um den wohlbestellten Tisch außer dem Ehepaar und den drei Töchtern ein in mattschimmerndes , einfach herunterfließendes Grau gekleidetes Mädchen von zierlicher Gestalt sitzen , das ihn mit so unbefangenem Blick betrachtete , als wäre er jemand , der zum Hause gehörte oder doch schon hundertmal hier zu Gast gewesen . Daß sich in ihrem Blick nichts von jenem Leuchten zeigte , wie es ihn früher so oft begrüßt , auch wenn er als Nichtgekannter im berückenden Glanz seiner Jugend oder in der gefährlichen Schönheit seiner Mannesjahre er schienen war , das mußte Casanova freilich als eine längst nicht mehr neue Erfahrung hinnehmen . Aber auch in der letzten Zeit noch genügte meist die Nennung seines Namens , um auf Frauenlippen den Ausdruck einer verspäteten Bewunderung oder doch wenigstens ein leises Zucken des Bedauerns hervorzurufen , das gestand , wie gern man ihm ein paar Jahre früher begegnet wäre . Doch als ihn jetzt Olivo seiner Nichte als Herrn Casanova , Chevalier von Seingalt , vorstellte , lächelte sie nicht anders , als wenn man ihr irgendeinen gleichgültigen Namen genannt hätte , in dem kein Klang von Abenteuern und Geheimnissen verzitterte . Und selbst als er neben ihr Platz nahm , ihr die Hand küßte , und aus seinen Augen ein Funkenregen von Entzücken und Begier über sie niederging , verriet ihre Miene nichts von der leisen Befriedigung , die doch als bescheidene Antwort auf eine so glühende Huldigung zu erwarten gewesen wäre . Nach wenigen höflich einleitenden Worten ließ Casanova seine Nachbarin merken , daß er von ihren gelehrten Bestrebungen in Kenntnis gesetzt sei , und fragte sie , mit welcher Wissenschaft sie sich denn besonders abgebe ? Sie erwiderte , daß sie vor allem das Studium der höhern Mathematik betreibe , in das sie durch Professor Morgagni , den berühmten Lehrer an der Universität von Bologna , eingeführt worden sei . Casanova äußerte seine Verwunderung über ein solches bei anmutigen jungen Mädchen wahrlich ungewöhnliches Interesse an einem so schwierigen und dabei nüchternen Gegenstand , erhielt aber von Marcolina die Antwort , daß ihrer Ansicht nach die höhere Mathematik die phantastischeste , ja man könnte sagen , unter allen Wissenschaften die ihrer Natur nach wahrhaft göttliche vorstelle . Als Casanova sich über diese ihm ganz neue Auffassung eine nähere Erklärung erbitten wollte , wehrte Marcolina bescheiden ab und äußerte , daß es den Anwesenden , vor allem aber ihrem lieben Oheim , viel erwünschter sein dürfte , Näheres von den Erlebnissen eines vielgereisten Freundes zu erfahren , den er so lange nicht gesehn , als einem philosophischen Gespräch zuzuhören . Amalia schloß sich ihrer Anregung lebhaft an , und Casanova , immer gern bereit , Wünschen solcher Art nachzugeben , bemerkte leichthin , daß er in den letzten Jahren sich vorzüglich auf geheimen diplomatischen Sendungen befunden , die ihn , um nur die größern Städte zu nennen , zwischen Madrid , Paris , London , Amsterdam und Petersburg umhergetrieben . Er berichtete von Begegnungen und Unterhaltungen ernster und heiterer Art mit Männern und Frauen der verschiedensten Stände , auch des freundlichen Empfangs zu erwähnen vergaß er nicht , der ihm am Hof der Katharina von Rußland zuteil geworden , und sehr spaßhaft erzählte er , wie Friedrich der Große ihn beinahe zum Erzieher an einer Kadettenschule für pommersche Junker gemacht hatte ; – eine Gefahr , der er sich allerdings durch rasche Flucht entzogen . Von all dem und manchem andern sprach er , als hätte es sich in einer eben erst verflossenen Zeit zugetragen und läge nicht in Wirklichkeit Jahre und Jahrzehnte zurück ; mancherlei erfand er dazu , ohne sich seiner größern und kleinern Lügen selber recht bewußt zu werden , freute sich seiner eignen Laune wie der Teilnahme , mit der man ihm lauschte ; und während er so erzählte und phantasierte , ward ihm fast , als wäre er in der Tat noch heute der glückverwöhnte , unverschämte , strahlende Casanova , der mit schönen Frauen durch die Welt gefahren , den weltliche und geistliche Fürsten mit hoher Gunst ausgezeichnet , der Tausende verschwendet , verspielt und verschenkt hatte – und nicht ein herabgekommener Schlucker , den ehemalige Freunde von England und Spanien her mit lächerlichen Summen unterstützten , – die indes auch manchmal ausblieben , so daß er auf die paar armseligen Geldstücke angewiesen war , die er dem Baron Perotti oder dessen Gästen abgewann ; ja , er vergaß sogar , daß es ihm wie ein höchstes Ziel erschien , in der Vaterstadt , die ihn erst eingekerkert und nach seiner Flucht geächtet und verbannt hatte , als der geringste ihrer Bürger , als ein Schreiber , als ein Bettler , als ein Nichts – sein einst so prangendes Dasein zu beschließen . Auch Marcolina hörte ihm aufmerksam zu , aber mit keinem andern Ausdruck , als wenn man ihr etwa aus einem Buch leidlich unterhaltsame Geschichten vorläse . Daß ihr ein Mensch , ein Mann , daß ihr Casanova selbst , der all dies erlebt hatte und noch vieles andre , was er nicht erzählte , daß ihr der Geliebte von tausend Frauen gegenübersaß , – und daß sie das wußte , davon verrieten ihre Mienen nicht das geringste . Anders schimmerte es in Amaliens Augen . Für sie war Casanova derselbe geblieben , der er gewesen ; ihr klang seine Stimme verführerisch wie vor sechzehn Jahren , und er selbst fühlte , daß es ihn nur ein Wort und kaum so viel kosten würde , das Abenteuer von damals , sobald es ihm beliebte , von neuem aufzunehmen . Doch was war ihm Amalia in dieser Stunde , da ihn nach Marcolina verlangte wie nach keiner vor ihr ? Durch das mattglänzend sie umfließende Gewand glaubte er ihren nackten Leib zu sehen ; die knospenden Brüste blühten ihm entgegen , und als sie sich einmal neigte , um ihr zu Boden geglittenes Taschentuch aufzuheben , legte Casanovas entflammte Phantasie ihrer Bewegung einen so lüsternen Sinn unter , daß er sich einer Ohnmacht nahe fühlte . Daß er eine Sekunde lang unwillkürlich im Erzählen stockte , entging Marcolina so wenig , wie daß sein Blick seltsam zu flirren begann , und er las in dem ihren ein plötzliches Befremden , Verwahrung , ja eine Spur von Ekel . Rasch faßte er sich wieder und schickte sich eben an , seine Erzählung mit neuer Lebhaftigkeit fortzusetzen , als ein wohlbeleibter Geistlicher eintrat , der vom Hausherrn als der Abbate Rossi begrüßt und von Casanova sofort als derselbe erkannt wurde , mit dem er vor siebenundzwanzig Jahren auf einem Marktschiff zusammengetroffen war , das von Venedig nach Chioggia fuhr . » Sie hatten damals ein Auge verbunden , « sagte Casanova , der selten eine Gelegenheit vorübergehen ließ , mit seinem vorzüglichen Gedächtnis zu prunken , » und ein Bauernweib mit gelbem Kopftuch empfahl Ihnen eine heilkräftige Salbe , die ein junger , sehr heiserer Apotheker zufällig mit sich führte . « Der Abbate nickte und lächelte geschmeichelt . Dann aber , mit einem pfiffigen Gesicht , trat er ganz nahe an Casanova heran , als hätte er ihm ein Geheimnis mitzuteilen . Doch mit ganz lauter Stimme sagte er : » Und Sie , Herr Casanova , befanden sich in Begleitung einer Hochzeitsgesellschaft ... ich weiß nicht , ob als zufälliger Gast oder gar als Brautführer , jedenfalls sah die Braut Sie mit viel zärtlichem Augen an als den Bräutigam ... Ein Wind erhob sich , beinahe ein Sturm , und Sie begannen ein höchst verwegenes Gedicht vorzulesen . « – » Das tat der Chevalier gewiß nur , « sagte Marcolina , » um den Sturm zu beschwichtigen . « – » Solche Zaubermacht , « erwiderte Casanova , » traute ich mir nie mals zu ; allerdings will ich nicht leugnen , daß sich niemand mehr um den Sturm kümmerte , als ich zu lesen begonnen . « Die drei Mädchen hatten sich an den Abbate herangemacht . Sie wußten wohl warum . Denn seinen ungeheuren Taschen entnahm er köstliches Zuckerwerk in großen Mengen und schob es mit seinen dicken Fingern den Kindern zwischen die Lippen . Indes berichtete Olivo dem Abbate in aller Ausführlichkeit , wie er Casanova wiedergefunden . Wie verloren hielt Amalia auf die herrische braune Stirn des teuren Gastes ihren leuchtenden Blick geheftet . Die Kinder liefen in den Garten ; Marcolina hatte sich erhoben und sah ihnen durchs offne Fenster nach . Der Abbate hatte Grüße vom Marchese Celsi zu bestellen , der , wenn es seine Gesundheit zuließe , heute abend samt Gemahlin bei seinem werten Freund Olivo erscheinen wollte . » Das trifft sich gut , « sagte dieser , » da haben wir gleich dem Chevalier zu Ehren eine hübsche kleine Spielgesellschaft ; die Brüder Ricardi erwarte ich gleichfalls , und auch Lorenzi kommt ; die Kinder sind ihm auf seinem Spazierritt begegnet . « – » Er ist noch immer da ? « fragte der Abbate . » Schon vor einer Woche hieß es , er solle zu seinem Regiment abgehen . « – » Die Marchesa , « meinte Olivo lachend , » wird ihm beim Obersten einen Urlaub erwirkt haben . « – » Es wundert mich , « warf Casanova ein , » daß es für Mantueser Offiziere jetzt Urlaub gibt . « Und er erfand weiter : » Zwei meiner Bekannten , einer aus Mantua , der andre aus Cremona , sind nachts mit ihren Regimentern in der Richtung gegen Mailand abmarschiert . « – » Gibt's Krieg ? « fragte Marcolina vom Fenster her ; sie hatte sich umgewandt , die Züge ihres umschatteten Gesichts blieben undeutbar , – doch ein leises Beben ihrer Stimme hatte Casanova als einziger wohl gemerkt . » Es wird vielleicht zu nichts kommen « , sagte er leichthin . » Aber da die Spanier eine drohende Haltung einnehmen , heißt es bereit sein . « – » Weiß man denn überhaupt , « fragte Olivo wichtig und stirnrunzelnd , » auf welche Seite wir uns schlagen werden , auf die spanische oder auf die französische ? « – » Das dürfte dem Leutnant Lorenzi gleich sein « , meinte der Abbate . » Wenn er nur endlich dazu kommt , sein Heldentum zu erproben . « – » Das hat er schon getan « , sagte Amalia . » Bei Pavia vor drei Jahren hat er mitgefochten . « Marcolina aber schwieg . Casanova wußte genug . Er trat an Marcolinens Seite und umfaßte den Garten mit einem großen Blick . Er sah nichts als die ausgedehnte wilde Wiese , auf der die Kinder spielten , und die von einer Reihe hoher dichter Bäume gegen die Mauer zu abgeschlossen war . » Was für ein prächtiger Besitz « , wandte er sich an Olivo . » Ich wäre neugierig , ihn näher kennenzulernen . « – » Und ich , Chevalier , « erwiderte Olivo , » wünsche mir kein größeres Vergnügen , als Sie über meine Weinberge und durch meine Felder zu führen . Ja , wenn ich die Wahrheit sagen soll , fragen Sie doch Amalia , in den Jahren , seit das kleine Gütchen mir gehört , hab' ich mir nichts sehnlicher gewünscht , als Sie endlich auf meinem eignen Grund und Boden als Gast zu begrüßen . Zehnmal war ich daran , Ihnen zu schreiben , Sie einzuladen . Aber war man denn je sicher , daß eine Nachricht Sie erreichen würde ? Erzählte einem irgendwer , man hätte Sie kürzlich in Lissabon gesehn – so konnte man sicher sein , daß Sie indes nach Warschau oder nach Wien abgereist waren . Und nun , da ich Sie wie durch ein Wunder eben in der Stunde wiederfinde , da Sie Mantua verlassen wollen , und es mir – es war nicht leicht , Amalia – gelingt , Sie hierherzulocken , da geizen Sie so mit Ihrer Zeit , daß Sie uns – möchten Sie es glauben , Herr Abbate – daß er uns nicht mehr als zwei Tage schenken will ! « – » Der Chevalier wird sich vielleicht zu einer Verlängerung seines Aufenthaltes überreden lassen « , sagte der Abbate , der eben mit viel Behagen eine Pfirsichschnitte im Mund zergehen ließ , und warf auf Amalia einen raschen Blick , aus dem Casanova zu entnehmen glaubte , daß sie den Abbate in tieferes Vertrauen gezogen hatte als ihren Gatten . – » Das wird mir leider nicht möglich sein , « erwiderte Casanova förmlich ; » denn ich darf Freunden , die solchen Anteil an mei nem Schicksal nehmen , nicht verhehlen , daß meine venezianischen Mitbürger im Begriffe sind , mir für das Unrecht , das sie mir vor Jahren zugefügt , eine etwas verspätete , aber um so ehrenvollere Genugtuung zu geben , und ich ihrem Drängen mich nicht länger werde versagen können , wenn ich nicht undankbar oder gar nachträgerisch erscheinen will . « Mit einer leichten Handbewegung wehrte er eine neugierig-ehrfurchtsvolle Frage ab , die er auf Olivos Lippen sich runden sah , und bemerkte rasch : » Nun , Olivo , ich bin bereit . Zeigen Sie mir Ihr kleines Königreich . « » Wär ' es nicht geratener , « warf Amalia ein , » dazu die kühlere Tageszeit abzuwarten ? Der Chevalier wird jetzt gewiß lieber ein wenig ruhen oder sich im Schatten ergehen wollen ? « Und aus ihren Augen schimmerte zu Casanova ein schüchternes Flehen hin , als müßte während eines solchen Lustwandeins draußen im Garten ihr Schicksal sich zum zweitenmal entscheiden . – Niemand hatte gegen Amaliens Vorschlag etwas einzuwenden , und man begab sich ins Freie . Marcolina , den andern voraus , lief im Sonnenschein über die Wiese zu den Kindern , die dort mit Federbällen spielten , und nahm sofort am Spiele teil . Sie war kaum größer als das älteste der drei Mädchen , und , wie ihr nun das freigelockte Haar um die Schultern flatterte , sah sie selber einem Kinde gleich . Olivo und der Abbate ließen sich in der Allee , in der Nähe des Hauses , auf einer steinernen Bank nieder . Amalia wandelte an Casanovas Seite weiter . Als sie von den andern nicht mehr gehört werden konnte , begann sie im Tonfall von einst , als wäre ihre Stimme für Casanova niemals in einem andern erklungen : » So bist du wieder da , Casanova ! Wie hab' ich diesen Tag ersehnt . Daß er einmal kommen würde , hab' ich gewußt . « – » Es ist ein Zufall , daß ich da bin , « sagte Casanova kalt . Amalia lächelte nur . » Nenn ' es , wie du willst . Du bist da ! Ich habe in diesen sechzehn Jahren von nichts anderm geträumt als von diesem Tag ! « – » Es ist anzunehmen , « entgegnete Casanova , » daß du im Laufe dieser Zeit von mancherlei anderm geträumt und – nicht nur geträumt hast . « Amalia schüttelte den Kopf . » Du weißt , daß es nicht so ist , Casanova . Und auch du hast meiner nicht vergessen , sonst hättest du , der du so eilig bist , nach Venedig zu gelangen , Olivos Einladung nicht angenommen ! « – » Was denkst du eigentlich , Amalia ? Ich sei hergekommen , um deinen guten Mann zum Hahnrei zu machen ? « – » Warum sprichst du so , Casanova ? Wenn ich dir wieder gehöre , so ist es weder Betrug noch Sünde ! « Casanova lachte laut auf . » Keine Sünde ? Warum keine Sünde ? Weil ich ein alter Mann bin ? « – » Du bist nicht alt . Für mich kannst du es niemals werden . In deinen Armen hab' ich meine erste Seligkeit genossen – und so ist es mir gewiß bestimmt , daß mir mit dir auch meine letzte zuteil wird ! « – » Deine letzte ? « wiederholte Casanova höhnisch , obwohl er nicht ganz ungerührt war , – » dagegen dürfte mein Freund Olivo wohl mancherlei einzuwenden haben . « – » Das , « erwiderte Amalia errötend , » das ist Pflicht – meinethalben sogar Vergnügen ; aber Seligkeit ist es doch nicht ... war es niemals . « Sie gingen die Allee nicht zu Ende , als scheuten beide die Nähe des Wiesenplatzes , wo Marcolina und die Kinder spielten , – wie auf Verabredung kehrten sie um und waren bald wieder , schweigend , beim Wohnhaus angelangt . An der Schmalseite stand ein Fenster des Erdgeschosses offen . Casanova sah in der dämmernden Tiefe des Gemachs einen halbgerafften Vorhang , hinter dem das Fußende des Bettes sichtbar wurde . Über einem Stuhl daneben hing ein lichtes , schleierartiges Gewand . » Marcolinens Zimmer ? « fragte Casanova . – Amalia nickte . Und zu Casanova anscheinend heiter und wie ohne jeden Verdacht : » Sie gefällt dir ? « – » Da sie schön ist . « – » Schön und tugendhaft . « – Casanova zuckte die Achseln , als hätte er danach nicht gefragt . Dann sagte er : » Wenn du mich heute zum erstenmal sähest – ob ich dir wohl auch gefiele , Amalia ? « – » Ich weiß nicht , ob du heute anders aussiehst als damals . Ich sehe dich – wie du damals warst . Wie ich dich seither immer , auch in meinen Träumen , sah . « – » Sieh mich doch an , Amalia ! Die Runzeln meiner Stirn ... Die Falten meines Halses ! Und die tiefe Rinne da von den Augen den Schläfen zu ! Und hier – ja , hier in der Ecke fehlt mir ein Zahn « , – er riß den Mund grinsend auf . » Und diese Hände , Amalia ! Sieh sie doch an ! Finger wie Krallen ... kleine gelbe Flecken auf den Nägeln ... Und die Adern da – blau und geschwollen – Greisenhände , Amalia ! « – Sie nahm seine beiden Hände , so wie er sie ihr wies , und im Schatten der Allee küßte sie eine nach der andern mit Andacht . » Und heute nacht will ich deine Lippen küssen « , sagte sie in einer demütig zärtlichen Art , die ihn erbitterte . Unweit von ihnen , am Ende der Wiese , lag Marcolina im Gras , die Hände unter den Kopf gestützt , den Blick in die Höhe gewandt , und die Bälle der Kinder flogen über sie hin . Plötzlich streckte sie den einen Arm aus und haschte nach einem der Bälle . Sie fing ihn auf , lachte hell , die Kinder fielen über sie her , sie konnte sich ihrer nicht erwehren , ihre Locken flogen . Casanova bebte . » Du wirst weder meine Lippen noch meine Hände küssen , « sagte er zu Amalia , » und du sollst mich vergeblich erwartet und vergeblich von mir geträumt haben – es sei denn , daß ich vorher Marcolina besessen habe . « – » Bist du wahnsinnig , Casanova ? « rief Amalia mit weher Stimme . – » So haben wir einander nichts vorzuwerfen « , sagte Casanova . » Du bist wahnsinnig , da du in mir altem Manne den Geliebten deiner Jugend wiederzusehen glaubst , ich , weil ich mir in den Kopf gesetzt habe , Marcolina zu besitzen . Aber vielleicht ist uns beiden beschieden , wieder zu Verstand zu kommen . Marcolina soll mich wieder jung machen – für dich . Also – führe meine Sache bei ihr , Amalia ! « » Du bist nicht bei dir , Casanova . Es ist unmöglich . Sie will von keinem Mann etwas wissen . « – Casanova lachte auf . » Und der Leutnant Lorenzi ? « – » Was soll's mit Lorenzi sein ? « – » Er ist ihr Liebhaber , ich weiß es . « – » Wie du dich irrst , Casanova . Er hat um ihre Hand angehalten , und sie hat sie ausgeschlagen . Und er ist jung – er ist schön – ja , fast glaub' ich , schöner als du je gewesen bist , Casanova ! « – » Er hätte um sie geworben ? « – » Frage doch Olivo , wenn du mir nicht glaubst . « – » Nun , mir gilt's gleich . Was geht 's mich an , ob sie eine Jungfrau ist oder eine Dirne , Braut oder Witwe – ich will sie haben , ich will sie ! « – » Ich kann sie dir nicht geben , mein Freund . « Und er fühlte aus dem Ton ihrer Stimme , daß sie ihn beklagte . » Nun siehst du , « sagte er , » was für ein schmählicher Kerl ich geworden bin , Amalia ! Noch vor zehn – noch vor fünf Jahren hätt' ich keinen Beistand und keine Fürsprache gebraucht , und wäre Marcolina die Göttin der Tugend selbst gewesen . Und nun will ich dich zur Kupplerin machen . Oder wenn ich reich wäre ... Ja , mit zehntausend Dukaten ... Aber ich habe nicht zehn . Ein Bettler bin ich , Amalia . « – » Auch für hunderttausend bekämst du Marcolina nicht . Was kann ihr am Reichtum liegen ? Sie liebt die Bücher , den Himmel , die Wiesen , die Schmetterlinge und die Spiele mit Kindern ... Und mit ihrem kleinen Erbteil hat sie mehr als sie bedarf . « – » Oh , wär' ich ein Fürst ! « rief Casanova , ein wenig deklamierend , wie es zuweilen seine Art war , gerade wenn ihn eine echte Leidenschaft durchwühlte . » Hätt ' ich die Macht , Menschen ins Gefängnis werfen , hinrichten zu lassen ... Aber ich bin nichts . Ein Bettler – und ein Lügner dazu . Ich bettle bei den hohen Herrn in Venedig um ein Amt , um ein Stück Brot , um Heimat ! Was ist aus mir geworden ? Ekelt dich nicht vor mir , Amalia ? « – » Ich liebe dich , Casanova ! « – » So verschaffe sie mir , Amalia ! Es steht bei dir , ich weiß es . Sag' ihr , was du willst . Sag' ihr , daß ich euch gedroht habe . Daß du mir zutraust , ich könnte euch das Dach über dem Hause anzünden ! Sag' ihr , ich wär' ein Narr , ein gefährlicher Narr , aus dem Irrenhaus entsprungen , aber die Umarmung einer Jungfrau könnte mich wieder gesund machen . Ja , das sag' ihr . « – » Sie glaubt nicht an Wunder . « – » Wie ? Nicht an Wunder ? So glaubt sie auch nicht an Gott . Um so besser ! Ich bin gut angeschrieben beim Erzbischof von Mailand ! Sag' ihr das ! Ich kann sie verderben ! Euch alle kann ich verderben . Das ist wahr , Amalia ! Was sind es für Bücher , die sie liest ? Gewiß sind auch solche darunter , die die Kirche verboten hat . Laß sie mich sehen . Ich will eine Liste zusammenstellen . Ein Wort von mir ... « – » Schweige , Casanova ! Dort kommt sie . Verrate dich nicht ! Nimm deine Augen in acht ! Nie , Casanova , nie , höre wohl , was ich sage , nie hab' ich ein reineres Wesen gekannt . Ahnte sie , was ich eben habe hören müssen , sie erschiene sich wie beschmutzt ; und du würdest sie , solang du liier bist , mit keinem Blick mehr zu sehen bekommen . Sprich mit ihr . Ja , sprich mit ihr – du wirst sie , du wirst mich um Verzeihung bitten . « Marcolina , mit den Kindern , kam heran ; diese liefen an ihr vorbei , ins Haus , sie selber aber , wie um dem Gast eine Höflichkeit zu erweisen , blieb vor ihm stehen , während Amalia , wie mit Absicht , sich entfernte . Und nun war es Casanova in der Tat , als wehte es ihm von diesen blassen , halb geöffneten Lippen , dieser glatten , von dunkelblondem , nun aufgestecktem Haar umrahmten Stirn wie ein Hauch von Herbheit und Keuschheit entgegen ; – was er selten einer Frau , was er auch ihr gegenüber früher im geschlossnen Raum nicht verspürt – eine Art von Andacht , von Hingegebenheit ohne jedes Verlangen , floß durch seine Seele . Und mit Zurückhaltung , ja in einem Ton von Ehrerbietung , wie man sie Höhergebornen gegenüber an den Tag zu legen liebt , und der ihr schmeicheln mußte , stellte er die Frage an sie , ob sie die kommenden Abendstunden wieder dem Studium zu widmen beabsichtige . Sie erwiderte , daß sie auf dem Land überhaupt nicht regelmäßig zu arbeiten pflegte , doch könnte sie 's nicht hindern , daß gewisse mathematische Probleme , mit denen sie sich eben beschäftige , ihr auch in den Ruhestunden nachgingen , wie es ihr eben jetzt begegnet sei , während sie auf der Wiese gelegen war und zum Himmel aufgesehn hatte . Doch als Casanova , durch ihre Freundlichkeit ermutigt , sich scherzend erkundigte , was denn dies für ein hohes und dabei so zudringliches Problem gewesen sei , entgegnete sie etwas spöttisch , es habe keineswegs das allergeringste mit jener berühmten Kabbala zu tun , in der der Chevalier von Seingalt , wie man sich erzähle , Bedeutendes leiste , und so würde er kaum viel damit anzufangen wissen . Es ärgerte ihn , daß sie von der Kabbala mit so unverhohlener Ablehnung sprach , und obwohl ihm selbst , in den freilich seltnen Stunden innerer Einkehr , bewußt war , daß jener eigentümlichen Mystik der Zahlen , die man Kabbala nennt , keinerlei Sinn und keine Berechtigung zukäme , daß sie in der Natur gewissermaßen gar nicht vorhanden , nur von Gaunern und Spaßmachern – welche Rolle er abwechselnd , aber immer mit Überlegenheit gespielt – zur Nasführung von Leichtgläubigen und Toren benutzt würde , so versuchte er jetzt doch gegen seine eigne bessre Überzeugung Marcolina gegenüber die Kabbala als vollgültige und ernsthafte Wissenschaft zu verteidigen . Er sprach von der göttlichen Natur der Siebenzahl , die sich so schon in der Heiligen Schrift angedeutet fände , von der tiefsinnig-prophetischen Bedeutung der Zahlenpyramiden , die er selbst nach einem neuen System aufzubauen gelehrt hatte , und von dem häufigen Eintreffen seiner auf diesem System beruhenden Voraussagen . Hatte er nicht erst vor wenigen Jahren in Amsterdam den Bankier Hope durch den Aufbau einer solchen Zahlenpyramide veranlaßt , die Versicherung eines schon verloren geglaubten Handelsschiffes zu übernehmen und ihn dadurch zweimalhunderttausend Goldgulden verdienen lassen ? Noch immer war er so geschickt im Vortrag seiner schwindelhaft geistreichen Theorien , daß er auch diesmal , wie es ihm oft geschah , an all das Unsinnige zu glauben begann , das er vortrug , und sogar mit der Behauptung zu schließen sich getraute , die Kabbala stelle nicht so sehr einen Zweig als vielmehr die metaphysische Vollendung der Mathematik vor . Marcolina , die ihm bisher sehr aufmerksam und anscheinend ganz ernsthaft zugehört hatte , schaute nun plötzlich mit einem halb bedauernden , halb spitzbübischen Blick zu ihm auf und sagte : » Es liegt Ihnen daran , mein werter Herr Casanova « ( sie schien ihn jetzt mit Absicht nicht » Chevalier « zu nennen ) , » mir eine ausgesuchte Probe von Ihrem weltbekannten Unterhaltungstalent zu geben , wofür ich Ihnen aufrichtig dankbar bin . Aber Sie wissen natürlich so gut wie ich , daß die Kabbala nicht nur nichts mit der Mathematik zu tun hat , sondern geradezu eine Versündigung an ihrem eigentlichen Wesen bedeutet ; und sich zu ihr nicht anders verhält , als das verworrene oder lügenhafte Geschwätz der Sophisten zu den klaren und hohen Lehren des Plato und des Aristoteles . « – » Immerhin , « erwiderte Casanova rasch , » werden Sie mir zugeben müssen , schöne und gelehrte Marcolina , daß auch die Sophisten keineswegs durchaus als so verächtliche und törichte Gesellen zu gelten haben , wie man nach Ihrem allzu strengen Urteil annehmen müßte . So wird man – um nur ein Beispiel aus der Gegenwart anzuführen – Herrn Voltaire seiner ganzen Denk- und Schreibart nach gewiß als das Muster eines Sophisten bezeichnen dürfen , und trotzdem wird es niemandem einfallen , auch mir nicht , der ich mich als seinen entschiedenen Gegner bekenne , ja , wie ich nicht leugnen will , eben damit beschäftigt bin , eine Schrift gegen ihn zu verfassen , auch mir fällt es nicht ein , seiner außerordentlichen Begabung die gebührende Anerkennung zu versagen . Und ich bemerke gleich , daß ich mich nicht etwa durch die übertriebene Zuvorkommenheit habe bestechen lassen , die mir Herr Voltaire bei Gelegenheit meines Besuchs in Ferney vor zehn Jahren zu erweisen die Güte hatte . « – Marcolina lächelte . » Das ist ja sehr hübsch von Ihnen , Chevalier , daß Sie den größten Geist des Jahrhunderts so milde zu beurteilen die Gewogenheit haben . « – » Ein großer Geist – der größte gar ? « rief Casanova aus . » Ihn so zu nennen , scheint mir schon deshalb unstatthaft , weil er bei all seinem Genie ein gottloser Mensch , ja geradezu ein Gottesleugner ist . Und ein Gottesleugner kann niemals ein großer Geist sein . « – » Meiner Ansicht nach , Herr Chevalier , bedeutet das durchaus keinen Widerspruch . Aber Sie werden vor allem zu beweisen haben , daß man Voltaire einen Gottesleugner nennen darf . « Nun war Casanova in seinem Element . Im ersten Kapitel seiner Streitschrift hatte er eine ganze Menge von Stellen aus Voltaires Werken , vor allem aus der berüchtigten » Pucelle « zusammengetragen , die ihm besonders geeignet schienen , dessen Ungläubigkeit zu beweisen ; und die er nun dank seinem vorzüglichen Gedächtnis , zusammen mit seinen eignen Gegenargumenten , wörtlich zu zitieren wußte . Aber in Marcolina hatte er eine Gegnerin gefunden , die ihm sowohl an Kenntnissen wie an Geistesschärfe wenig nachgab und ihm überdies , wenn auch nicht an Redegewandtheit , so doch an eigentlicher Kunst und insbesondre an Klarheit des Ausdrucks weit überlegen war . Die Stellen , die Casanova als Beweise für die Spottlust , Zweifelsucht und Gottlosigkeit Voltaires auszulegen versucht hatte , deutete Marcolina gewandt und schlagfertig als ebenso viele Zeugnisse für des Franzosen wissenschaftliches und schriftstellerisches Genie , sowie für sein unermüdlich heißes Streben nach Wahrheit , und sie sprach es ungescheut aus , daß Zweifel , Spott , ja daß der Unglaube selbst , wenn er mit so reichem Wissen , solch unbedingter Ehrlichkeit und solch hohem Mut verbunden sei , Gott wohlgefälliger sein müsse als die Demut des Frommen , hinter der sich meist nichts andres verberge , als eine mangelhafte Fähigkeit , folgerichtig zu denken , ja oftmals – wofür es an Beispielen nicht fehle – Feigheit und Heuchelei . Casanova hörte ihr mit wachsendem Staunen zu . Da er sich außerstande fühlte , Marcolina zu bekehren , um so weniger , als er immer mehr erkannte , wie sehr eine gewisse schwankende Seelenstimmung seiner letzten Jahre , die er als Gläubigkeit aufzufassen sich gewöhnt hatte , durch Marcolinens Einwürfe sich völlig aufzulösen drohte , so rettete er sich in die allgemein gehaltene Betrachtung , daß Ansichten , wie Marcolina sie eben ausgesprochen , nicht nur die Ordnung im Bereich der Kirche , sondern daß sie auch die Grundlagen des Staates in hohem Grade zu gefährden geeignet seien , und sprang von hier aus gewandt auf das Gebiet der Politik über , wo er mit seiner Erfahrung und Weltläufigkeit eher darauf rechnen konnte , Marcolinen gegenüber eine gewisse Überlegenheit zu zeigen . Aber wenn es ihr hier auch an Personenkenntnis und Einblick in das höfisch-diplomatische Getriebe gebrach und sie darauf verzichten mußte , Casanova im einzelnen zu widersprechen , auch wo sie der Verläßlichkeit seiner Darstellung zu mißtrauen Neigung verspürte ; – aus ihren Bemerkungen ging unwidersprechlich für ihn hervor , daß sie weder vor den Fürsten dieser Erde , noch vor den Staatsgebilden als solchen sonderliche Achtung hegte und der Überzeugung war , daß die Welt im Kleinen wie im Großen von Eigennutz und Herrschsucht nicht so sehr regiert , als vielmehr in Verwirrung gebracht werde . Einer solchen Freiheit des Denkens war Casanova bisher nur selten bei Frauen , bei einem jungen Mädchen gar , das gewiß noch keine zwanzig Jahre zählte , war er ihr noch nie begegnet ; und nicht ohne Wehmut erinnerte er sich , daß sein eigner Geist in vergangenen Tagen , die schöner waren als die gegenwärtigen , mit einer bewußten und etwas selbstzufriedenen Kühnheit die gleichen Wege gegangen war , die er nun Marcolina beschreiten sah , ohne daß diese sich ihrer Kühnheit überhaupt bewußt zu werden schien . Und ganz hingenommen von der Eigenart ihrer Denk- und Ausdrucksweise vergaß er beinahe , daß er an der Seite eines jungen , schönen und höchst begehrenswerten Wesens einherwandelte , was um so verwunderlicher war , als er sich mit ihr ganz allein in der nun völlig durchschatteten Allee , ziemlich weit vom Wohnhaus , befand . Plötzlich aber , sich in einem eben begonnenen Satz unterbrechend , rief Marcolina lebhaft , ja wie freudig aus : » Da kommt mein Oheim ! « ... Und Casanova , als hätte er Versäumtes nachzuholen , flüsterte ihr zu : » Wie schade . Gar zu gerne hätte ich mich noch stundenlang mit Ihnen weiter unterhalten , Marcolina ! « – Er fühlte selbst , wie während dieser Worte in seinen Augen die Begier von neuem aufzuleuchten begann , worauf Marcolina , die in dem abgelaufenen Gespräch in aller Spöttelei sich fast zutraulich gegeben , sofort wieder eine kühlere Haltung annahm , und ihr Blick die gleiche Verwahrung , ja den gleichen Widerwillen ausdrückte , der Casanova heute schon einmal so tief verletzt hatte . Bin ich wirklich so verabscheuungswürdig ? fragte er sich angstvoll . Nein , gab er sich selbst zur Antwort . Nicht das ist's . Aber Marcolina – ist kein Weib . Eine Gelehrte , eine Philosophin , ein Weltwunder meinethalben – aber kein Weib . – Doch er wußte zugleich , daß er sich so nur selbst zu belügen , zu trösten , zu retten versuchte , und daß diese Versuche vergeblich waren . Olivo stand vor ihnen . » Nun , « meinte er zu Marcolina , » hab ' ich das nicht gut gemacht , daß ich dir endlich jemanden ins Haus gebracht habe , mit dem sich's so klug reden läßt , wie du's von deinen Professoren in Bologna her gewohnt sein magst ? « – » Und nicht einmal unter diesen , liebster Oheim , « erwiderte Marcolina , » gibt es einen , der es sich getrauen dürfte , Voltaire selbst zum Zweikampf herauszufordern ! « – » Ei , Voltaire ? Der Chevalier fordert ihn heraus ? « rief Olivo , ohne zu verstehen . – » Ihre witzige Nichte , Olivo , spricht von der Streitschrift , die mich in der letzten Zeit beschäftigt . Liebhaberei für müßige Stunden . Früher hatte ich Gescheiteres zu tun . « Marcolina , ohne auf diese Bemerkung zu achten , sagte : » Sie werden eine angenehme kühle Luft für Ihren Spaziergang haben . Auf Wiedersehen . « Sie nickte kurz und eilte über die Wiese dem Hause zu . Casanova hielt sich davor zurück , ihr nachzublicken und fragte : » Wird uns Frau Amalia begleiten ? « – » Nein , mein werter Chevalier , « erwiderte Olivo , » sie hat allerlei im Hause zu besorgen und anzuordnen – und jetzt ist auch die Stunde , in der sie die Mädchen zu unterrichten pflegt . « – » Was für eine tüchtige , brave Hausfrau und Mutter ! Sie sind zu beneiden , Olivo ! « – » Ja , das sag' ich mir selbst alle Tage « , entgegnete Olivo , und die Augen wurden ihm feucht . Sie gingen die Schmalseite des Hauses entlang . Das Fenster Marcolinens stand offen , wie vorher ; aus dem dämmernden Grund des Gemachs schimmerte das schleierartige helle Gewand . Durch die breite Kastanienallee gelangten sie auf die Straße , die schon völlig im Schatten lag . Langsam gingen sie aufwärts längs der Gartenmauer ; wo sie im rechten Winkel umbog , begann das Weingelände . Zwischen den hohen Stöcken , an denen schwere dunkelblaue Beeren hingen , führte Olivo seinen Gast zur Höhe , und deutete mit einer behaglich zufriedenen Handbewegung nach seinem Haus zurück , das nun ziemlich tief unter ihnen lag . Im Fensterrahmen des Turmgemachs glaubte Casanova eine weibliche Figur auf und nieder schweben zu sehen . Die Sonne neigte sich dem Untergang zu ; aber noch war es heiß genug . Über Olivos Wangen rannen die Schweißtropfen , während Casanovas Stirne vollkommen trocken blieb . Allmählich weiter und nun nach abwärts schreitend kamen sie auf üppiges Wiesenland . Von einem Olivenbaum zum andern rankte sich das Geäst der Reben , zwischen den Baumreihen wiegten sich die hohen gelben Ähren . – » Segen der Sonne , « sagte Casanova wie anerkennend , » in tausendfältiger Gestalt . « Olivo erzählte wieder und mit noch größerer Ausführlichkeit als vorher , wie er nach und nach diesen schönen Besitz erworben , und wie ein paar glückliche Ernte- und Lesejahre ihn zum wohlhabenden , ja zum reichen Manne gemacht . Casanova aber hing seinen eignen Gedanken nach und griff nur selten ein Wort Olivos auf , um durch irgendeine höfliche Zwischenfrage seine Aufmerksamkeit zu beweisen . Erst als Olivo , von altem möglichen schwatzend , auf seine Familie und endlich auf Marcolina geraten war , horchte Casanova auf . Aber er erfuhr nicht viel mehr , als er schon vorher gewußt hatte . Da sie schon als Kind , noch im Hause ihres Vaters , der Olivos Stiefbruder , früh verwitwet und Arzt in Bologna gewesen war , durch die zeitig erwachenden Fähigkeiten ihres Verstandes ihre Umgebung in Erstaunen gesetzt , hatte man indes Muße genug gehabt , sich an ihre Art zu gewöhnen . Vor wenigen Jahren war ihr Vater gestorben , und seither lebte sie in der Familie eines berühmten Professors der hohen Schule von Bologna , eben jenes Morgagni , der sich vermaß , seine Schülerin zu einer großen Gelehrten heranzubilden ; in den Sommermonaten war sie stets beim Oheim zu Gaste . Eine Anzahl Bewerbungen um ihre Hand , die eines Bologneser Kaufmanns , die eines Gutsbesitzers aus der Nachbarschaft , und zuletzt die des Leutnants Lorenzi habe sie zurückgewiesen und scheine tatsächlich gewillt , ihr Dasein völlig dem Dienst der Wissenschaft zu widmen . Während Olivo dies erzählte , fühlte Casanova sein Verlangen ins Ungemessene wachsen , und die Einsicht , daß es so töricht als hoffnungslos war . brachte ihn der Verzweiflung nahe . Eben als sie aus dem Feld- und Wiesenland auf die Fahrstraße traten , erschallte ihnen aus einer Staubwolke , die sich näherte , Rufen und Grüßen entgegen . Ein Wagen wurde sichtbar , in dem ein vornehm gekleideter älterer Herr an der Seite einer etwas Jüngern üppigen und geschminkten Dame saß . » Der Marchese , « flüsterte Olivo seinem Begleiter zu , » er ist auf dem Wege zu mir . « Der Wagen hielt . » Guten Abend , mein trefflicher Olivo , « rief der Marchese , » darf ich Sie bitten , mich mit dem Chevalier von Seingalt bekanntzumachen ? Denn ich zweifle nicht , daß ich das Vergnügen habe , mich ihm gegenüber zu sehen . « – Casanova verbeugte sich leicht . » Ich bin es « , sagte er . – » Und ich der Marchese Celsi , – hier die Marchesa , meine Gattin . « Die Dame reichte Casanova die Fingerspitzen ; er berührte sie mit den Lippen . » Nun , mein bester Olivo , « sagte der Marchese , dessen wachsgelbes schmales Antlitz durch die über den stechenden grünlichen Augen zusammengewachsenen dichten roten Brauen ein nicht eben freundliches Ansehen erhielt , – » mein bester Olivo , wir haben denselben Weg , nämlich zu Ihnen . Und da es kaum ein Viertelstündchen bis dahin ist , will ich aussteigen und mit Ihnen zu Fuß gehen . Du hast wohl nichts dagegen , die kleine Strecke allein zu fahren « , wandte er sich an die Marchesa , die Casanova die ganze Zeit über mit lüstern prüfenden Augen betrachtet hatte ; gab , ohne die Antwort seiner Gattin abzuwarten , dem Kutscher einen Wink , worauf dieser sofort wie toll auf die Pferde einhieb , als käme es ihm aus irgendeinem Grund darauf an , seine Herrin möglichst geschwind davonzubringen ; und gleich war der Wagen hinter einer Staubwolke verschwunden . » Man weiß nämlich schon in unsrer Gegend , « sagte der Marchese , der noch ein paar Zoll höher als Casanova und von einer unnatürlichen Magerkeit war , » daß der Chevalier von Seingalt hier angekommen und bei seinem Freund Olivo abgestiegen ist . Es muß ein erhebendes Gefühl sein , einen so berühmten Namen zu tragen . « » Sie sind sehr gütig , Herr Marchese , « erwiderte Casanova , » ich habe allerdings die Hoffnung noch nicht aufgegeben , mir einen solchen Namen zu erwerben , finde mich aber vorläufig davon noch recht weit entfernt . – Eine Arbeit , mit der ich eben beschäftigt bin , wird mich meinem Ziele hoffentlich etwas näher bringen . « » Wir können den Weg hier abkürzen « , sagte Olivo und schlug einen Feldweg ein , der gerade auf die Mauer seines Gartens zuführte . – » Arbeit ? « wiederholte der Marchese mit einem unbestimmten Ausdruck . » Darf man fragen , von welcher Art von Arbeit Sie sprechen , Chevalier ? « – » Wenn Sie mich danach fragen , Herr Marchese , so sehe ich mich genötigt , meinerseits an Sie die Frage zu richten , von was für einer Art von Ruhm Sie vorhin geredet haben ? « Dabei sah er dem Marchese hochmütig in die stechenden Augen . Denn wenn er auch sehr wohl wußte , daß weder sein phantastischer Roman » Icosameron « , noch seine dreibändige » Widerlegung von Amelots Geschichte der venezianischen Regierung « ihm nennenswerten schriftstellerischen Ruhm eingebracht hatten , es lag ihm daran , für sich keinen andern als erstrebenswert gelten zu lassen , und er mißverstand absichtlich alle weiteren vorsichtig tastenden Bemerkungen und Anspielungen des Marchese , der sich unter Casanova wohl einen berühmten Frauenverführer , Spieler , Geschäftsmann , politischen Emissär und sonst alles mögliche , nur durchaus keinen Schriftsteller vorzustellen imstande war , um so weniger , als weder von der Widerlegung des Amelotischen Werkes noch von dem » Icosameron « jemals eine Kunde zu ihm gedrungen war . So bemerkte er endlich mit einer gewissen höflichen Verlegenheit : » Immerhin gibt es nur einen Casanova . « – » Auch das ist ein Irrtum , Herr Marchese « , entgegnete Casanova kalt . » Ich habe Geschwister , und der Name eines meiner Brüder , des Malers Francesco Casanova , dürfte einem Kenner nicht fremd klingen . « Es zeigte sich , daß der Marchese auch auf diesem Gebiete nicht zu den Kennern gehörte , und so lenkte er das Gespräch auf Bekannte , die mit ihm in Neapel , Rom , Mailand und Mantua wohnten , und von denen er annehmen konnte , daß Casanova mit ihnen gelegentlich zusammengetroffen war . In diesem Zusammenhang nannte er auch den Namen des Barons Perotti , doch in einigermaßen verächtlichem Tone , und Casanova mußte zugestehen , daß er manchmal im Hause des Barons ein kleines Spiel zu machen pflege – » zur Zerstreuung , « setzte er hinzu , – » ein halbes Stündchen vor dem Schlafengehen . Im übrigen hab' ich diese Art von Zeitvertreib so ziemlich aufgegeben . « – » Das täte mir leid , « sagte der Marchese , » denn ich will Ihnen nicht verhehlen , Herr Chevalier , daß es ein Traum meines Lebens war , mich mit Ihnen zu messen – sowohl im Spiel , als – in Jüngern Jahren – auch auf andern Gebieten . Denken Sie übrigens , daß ich – wie lange mag es her sein ? – daß ich in Spa genau an dem Tage , ja in der Stunde ankam , als Sie es verließen . Unsre Wagen fuhren aneinander vorüber . Und in Regensburg widerfuhr mir ein ähnliches Mißgeschick . Dort bewohnte ich sogar das Zimmer , das Sie eine Stunde vorher verlassen hatten . « – » Es ist ein rechtes Unglück , « sagte Casanova , immerhin ein wenig geschmeichelt , » daß man einander manchmal zu spät im Leben begegnet . « – » Es ist noch nicht zu spät « , rief der Marchese lebhaft . » In Hinsicht auf mancherlei andres will ich mich gern im vorhinein geschlagen geben , und es kümmert mich wenig , – aber was das Spiel anbelangt , mein lieber Chevalier , so sind wir beide vielleicht gerade in den Jahren – « Casanova unterbrach ihn : » In den Jahren – mag sein . Aber leider kann ich gerade auf dem Gebiet des Spiels nicht mehr auf das Vergnügen Anspruch erheben , mich mit einem Partner Ihres Ranges messen zu dürfen – weil ich « – und dies sagte er im Ton eines entthronten Fürsten – » weil ich es mit all meinem Ruhm , mein werter Herr Marchese , bis heute nicht viel weiter als bis zum Bettler gebracht habe . « Der Marchese schlug unwillkürlich vor Casanovas stolzem Blick die Augen nieder und schüttelte dann nur ungläubig , wie zu einem sonderbaren Spaß , den Kopf . Olivo aber , der dem ganzen Gespräch mit Spannung gelauscht und die gewandt überlegenen Antworten seines außerordentlichen Freundes mit beifälligem Nicken begleitet hatte , vermochte eine Bewegung des Erschreckens kaum zu unterdrücken . Sie standen eben alle an der rückwärtigen Gartenmauer vor einer schmalen Holztür , und während Olivo sie mit einem kreischenden Schlüssel öffnete und den Marchese voraus in den Garten treten ließ , flüsterte er Casanova zu , ihn beim Arm fassend : » Sie werden Ihr letztes Wort zurücknehmen , Chevalier , ehe Sie den Fuß wieder in mein Haus setzen . Das Geld , das ich Ihnen seit sechzehn Jahren schulde , liegt bereit . Ich wagte nur nicht ... Fragen Sie Amalia ... Abgezählt liegt es bereit . Beim Abschied wollte ich mir erlauben – « Casanova unterbrach ihn sanft . » Sie sind nicht mein Schuldner , Olivo . Die paar Goldstücke waren – Sie wissen es wohl – ein Hochzeitsgeschenk , das ich , als Freund von Amaliens Mutter ... Doch wozu überhaupt davon reden . Was sollen mir die paar Dukaten ? Ich stehe an einer Wende meines Schicksals « , setzte er absichtlich laut hinzu , so daß ihn der Marchese , der nach ein paar Schritten stehengeblieben war , hören konnte . Olivo tauschte einen Blick mit Casanova , um sich seiner Zustimmung zu versichern , dann bemerkte er zum Marchese : » Der Chevalier ist nämlich nach Venedig zurückberufen und reist in wenigen Tagen nach seiner Vaterstadt ab . « – » Vielmehr , « bemerkte Casanova , während sie alle sich dem Hause näherten , » man ruft bereits seit geraumer Zeit nach mir und immer dringender . Aber ich finde , die Herren Senatoren haben sich lange genug Zeit gelassen . Mögen nun sie sich in Geduld fassen . « – » Ein Stolz , « sagte der Marchese , » zu dem Sie im höchsten Maße berechtigt sind , Chevalier ! « Als sie aus der Allee auf die Wiese hinaustraten , die nun schon völlig im Schatten dalag , sahen sie , dem Hause nahe , die kleine Gesellschaft versammelt , von der sie erwartet wurden . Alle erhoben sich , um ihnen entgegenzugehen , zuerst der Abbate , zwischen Marcolina und Amalia ; ihnen folgte die Marchesa , ihr zur Seite ein hochgewachsener , bartloser junger Offizier in roter silberverschnürter Uniform und glänzenden Reiterstiefeln , der kein andrer sein konnte als Lorenzi . Wie er zu der Marchesa sprach , ihre weißen gepuderten Schultern mit dem Blicke streifend als eine wohlbekannte Probe von nicht minder bekannten hübschen Dingen ; noch mehr die Art , wie die Marchesa mit halbgeschlossenen Lidern lächelnd zu ihm aufsah , konnte auch weniger Erfahrene über die Natur der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen nicht in Zweifel lassen ; sowie auch darüber , daß sie keinen Wert darauf legten , sie vor irgend jemandem geheimzuhalten . Sie unterbrachen ihr leises , aber lebhaftes Gespräch erst , als sie den Herankommenden schon gegenüberstanden . Olivo stellte Casanova und Lorenzi einander vor . Die beiden maßen sich mit einem kurzen kalten Blick , in dem sie sich gegenseitig ihrer Abneigung zu versichern schienen , dann lächelten sie beide flüchtig und verneigten sich , ohne einander die Hände zu reichen , da jeder zu diesem Zweck dem andern hätte einen Schritt entgegentreten müssen . Lorenzi war schön , von schmalem Antlitz und in Anbetracht seiner Jugend auffallend scharfen Zügen ; im Hintergrund seiner Augen schillerte irgendetwas Unfaßbares , das den Erfahrenen zur Vorsicht mahnen mußte . Nur eine Sekunde lang überlegte Casanova , an wen ihn Lorenzi erinnerte . Dann wußte er , daß es sein eigenes Bild war , das ihm , um dreißig Jahre verjüngt , hier entgegentrat . Bin ich etwa in seiner Gestalt wiedergekehrt ? fragte er sich . Da müßte ich doch vorher gestorben sein ... Und es durchbebte ihn : Bin ich 's denn nicht seit lange ? Was ist denn noch an mir von dem Casanova , der jung , schön und glücklich war ? Er hörte Amaliens Stimme . Sie fragte ihn , wie aus der Ferne , obzwar sie neben ihm stand , wie ihm der Spaziergang behagt habe , worauf er sich laut , so daß es alle hören konnten , mit höchster Anerkennung über den fruchtbaren , wohlgepflegten Besitz aussprach , den er mit Olivo durchwandert hatte . Indes deckte die Magd auf der Wiese einen länglichen Tisch , die zwei älteren Töchter Olivos waren ihr dabei behilflich , indem sie aus dem Hause Geschirr , Gläser und was sonst nötig war , mit viel Gekicher und Getu herbeischafften . Mählich brach die Dämmerung ein ; ein leise kühlender Wind strich durch den Garten . Marcolina eilte an den Tisch , um zu vollenden , was die Rinder im Verein mit der Magd begonnen , und zu verbessern , was sie verfehlt hatten . Die übrigen ergingen sich zwanglos auf der Wiese und in den Alleen . Die Marchesa erwies Casanova viele Höflichkeit , auch wünschte sie von ihm die berühmte Geschichte seiner Flucht aus den Bleikammern von Venedig zu vernehmen , wenngleich ihr keineswegs unbekannt sei – wie sie mit vieldeutigem Lächeln hinzufügte – , daß er weit gefährlichere Abenteuer bestanden , die zu erzählen freilich bedenklicher sein möchte . Casanova erwiderte : wenn er auch mancherlei ernste und heitere Beschwernis mitgemacht – gerade dasjenige Leben , dessen Sinn und eigentliches Wesen die Gefahr bedeute , habe er niemals so recht kennengelernt ; denn wenn er auch ein paar Monate lang in unruhigen Zeiten Soldat gewesen , vor vielen Jahren , auf der Insel Korfu , – gab es denn einen Beruf auf Erden , in den ihn das Schicksal nicht verschlagen ?! – er habe nie das Glück gehabt , einen wirklichen Feldzug mitzumachen , wie das nun dem Herrn Leutnant Lorenzi bevorstünde , und worum er ihn fast beneiden möchte . – » Da wissen Sie mehr als ich , Herr Casanova , « sagte Lorenzi mit einer hellen und frechen Stimme – » und sogar mehr als mein Oberst , denn ich habe eben Verlängerung meines Urlaubs auf unbestimmte Zeit erhalten . « – » Wahrhaftig ! « rief der Marchese mit unbeherrschtem Grimme , und höhnisch setzte er hinzu : » Und denken Sie nur , Lorenzi , wir – meine Gattin vielmehr , hatte schon so sicher auf Ihre Abreise gerechnet , daß sie für Anfang nächster Woche einen unsrer Freunde , den Sänger Baldi , auf unser Schloß einlud . « – » Das trifft sich gut , « entgegnete Lorenzi unbeirrt , » Baldi und ich sind gute Freunde , wir werden uns vertragen . Nicht wahr ? « wandte er sich an die Marchesa und ließ seine Zähne blitzen . – » Ich würde es Ihnen beiden raten , « meinte die Marchesa mit einem heitern Lächeln . Mit diesen Worten nahm sie als erste am Tische Platz ; ihr zur Seite Olivo , an ihrer andern Lorenzi . Ihnen gegenüber saß Amalia zwischen dem Marchese und Casanova ; neben diesem an einem schmalen Tischende Marcolina ; am andern , neben Olivo , der Abbate . Es war wie mittags ein einfaches und dabei höchst schmackhaftes Mahl . Die zwei älteren Töchter des Hauses , Teresina und Nanetta , reichten die Schüsseln und schenkten von dem trefflichen Wein , der auf Olivos Hügeln wuchs ; und sowohl der Marchese wie der Abbate dankten den Mädchen mit scherzhaft derben Liebkosungen , die ein gestrengerer Vater als Olivo sich vielleicht verbeten hätte . Amalia schien nichts zu bemerken ; sie war blaß , blickte trüb und sah aus wie eine Frau , die entschlossen ist , alt zu werden , weil das Jungsein jeden Sinn für sie verloren hat . Ist dies nun meine ganze Macht ? dachte Casanova bitter , sie von der Seite betrachtend . Doch vielleicht war es die Beleuchtung , die Amaliens Züge so traurig veränderte . Es fiel nämlich nur ein breiter Strahl von Licht aus dem Innern des Hauses auf die Gäste ; im übrigen ließ man sich 's am Dämmerschein des Himmels genügen . In scharfen schwarzen Linien schlössen die Baumwipfel alle Aussicht ab , und Casanova fühlte sich an irgendeinen geheimnisvollen Garten erinnert , in dem er vor vielen Jahren nächtlicherweile eine Geliebte erwartet hatte . » Murano « , flüsterte er vor sich hin und erbebte ; dann sprach er laut : » Es gibt einen Garten auf einer Insel nahe von Venedig , einen Klostergarten , den ich vor etlichen Jahrzehnten zum letztenmal betreten habe ; – in dem duftete es nachts gerade so , wie heute hier . « – » Sie sind wohl auch einmal Mönch gewesen ? « fragte die Marchesa scherzend . – » Beinahe « , erwiderte Casanova lächelnd und erzählte wahrheitsgemäß , daß ihm als einem fünfzehnjährigen Knaben der Patriarch von Venedig die niederen Weihen verliehen , daß er aber schon als Jüngling vorgezogen habe , das geistliche Gewand wieder abzulegen . Der Abbate tat eines nahegelegenen Frauenklosters Erwähnung , zu dessen Besuch er Casanova dringend rate , falls er es noch nicht kennen sollte . Olivo stimmte lebhaft zu ; er rühmte den düstern alten Bau , die anmutige Gegend , in der er gelegen war , den abwechslungsreichen Weg dahin . Übrigens , fuhr der Abbate fort , habe die Äbtissin , Schwester Seraphina , – eine höchst gelehrte Frau , Herzogin von Geburt – in einem Brief an ihn den Wunsch geäußert ( schriftlich darum , weil in jenem Kloster das Gelübde ewigen Schweigens herrsche ) , Marcolina , von deren Gelehrsamkeit sie erfahren , von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen . – » Ich hoffe , Marcolina , « sagte Lorenzi , und es war das erstemal , daß er das Wort geradeaus an sie richtete , » Sie werden sich nicht dazu verführen lassen , der Herzogin-Äbtissin in jeder Beziehung nachzueifern . « – » Warum sollt ' ich auch ? « erwiderte Marcolina heiter ; » man kann seine Freiheit auch ohne Gelübde bewahren – und besser , denn Gelübde ist Zwang . « Casanova saß neben ihr . Er wagte es nicht einmal , leise ihren Fuß zu berühren , oder sein Knie an das ihre zu drängen : noch ein drittes Mal jenen Ausdruck des Grauens , des Ekels in ihrem Blick gewahren zu müssen – des war er gewiß – hätte ihn unfehlbar zu einer Tat des Wahnsinns getrieben . Während mit dem Fortschreiten des Mahls und der steigenden Zahl der geleerten Gläser die Unterhaltung lebhafter und allgemeiner wurde , hörte Casanova , wieder wie von fern , Amaliens Stimme . » Ich habe mit Marcolina gesprochen . « – » Du hast mit ihr – « – Eine tolle Hoffnung flammte in ihm auf . » Stille , Casanova . Von dir war nicht die Rede , nur von ihr und ihren Zukunftsplänen . Und ich sage es dir noch einmal : Niemals wird sie irgendeinem Manne angehören . « – Olivo , der dem Weine stark zugesprochen hatte , erhob sich unerwarteterweise , und , das Glas in der Hand , sprach er ein paar unbeholfene Worte über die hohe Ehre , die seinem armen Hause durch den Besuch seines teuern Freundes , des Chevalier von Seingalt , geworden sei . » Wo ist der Chevalier von Seingalt , mein lieber Olivo , von dem Sie da reden ? « fragte Lorenzi mit seiner hellen , frechen Stimme . Casanovas erste Regung war es , dem Unverschämten sein gefülltes Glas an den Kopf zu schleudern ; Amalia aber berührte leicht seinen Arm und sagte : » Viele Leute , Herr Chevalier , kennen Sie bis heute nur unter Ihrem älteren und berühmteren Namen Casanova . « » Ich wußte nicht , « sagte Lorenzi mit beleidigendem Ernst , » daß der König von Frankreich Herrn Casanova den Adel verliehen hat . « » Ich konnte dem König diese Mühe ersparen « , erwiderte Casanova ruhig , » und hoffe , daß Sie , Leutnant Lorenzi , sich mit einer Erklärung zufrieden geben werden , gegen die der Bürgermeister von Nürnberg nichts einzuwenden hatte , dem ich sie bei einer im übrigen gleichgültigen Gelegenheit vorzutragen die Ehre hatte . « Und da die andern in Spannung schwiegen – : » Das Alphabet ist bekanntlich allgemeines Gut . Ich habe mir eine Anzahl Buchstaben ausgesucht , die mir gefallen , und mich zum Edelmann gemacht , ohne einem Fürsten verpflichtet zu sein , der meine Ansprüche zu würdigen kaum imstande gewesen wäre . Ich bin Casanova Chevalier von Seingalt . Es täte mir leid um Ihretwillen , Leutnant Lorenzi , wenn dieser Name Ihren Beifall nicht finden sollte . « – » Seingalt – ein vortrefflicher Name « , sagte der Abbate und wiederholte ihn ein paarmal , als schmeckte er ihn mit den Lippen nach . – » Und es gibt niemanden auf der Welt , « rief Olivo aus , » der sich mit höherem Rechte Chevalier nennen dürfte , als mein edler Freund Casanova ! « – » Und sobald Ihr Ruhm , Lorenzi , « fügte der Marchese hinzu , » so weit erschallen sollte , als der des Herrn Casanova , Chevalier von Seingalt , werden wir nicht zögern , wenn es Ihnen so beliebt , auch Sie Chevalier zu nennen . « – Casanova , ärgerlich über den unerwünschten Beistand , der ihm von allen Seiten wurde , war eben im Begriffe , sich ihn zu verbitten , um seine Sache persönlich weiterzuführen , als aus dem Dunkel des Gartens zwei eben noch anständig gekleidete alte Herren an den Tisch traten . Olivo begrüßte sie herzlich und geräuschvoll , sehr froh , damit einem Zwist , der bedenklich zu werden und die Heiterkeit des Abends zu gefährden drohte , die Spitze abzubrechen . Die Neuangekommenen waren die Brüder Ricardi , Junggesellen , die , wie Casanova von Olivo erfuhr , früher in der großen Welt gelebt , mit allerlei Unternehmungen wenig Glück gehabt und sich endlich in das benachbarte Dorf , ihren Geburtsort , zurückgezogen , wo sie in einem elenden Häuschen zur Miete wohnten . Sonderbare , aber harmlose Leute . Die beiden Ricardi drückten ihr Entzücken aus , die Bekanntschaft des Chevaliers zu erneuern , mit dem sie in Paris vor Jahren zusammengetroffen waren . Casanova erinnerte sich nicht . Oder war es in Madrid ? .. . » Das wäre möglich « , sagte Casanova , aber er wußte , daß er die beiden niemals gesehen hatte . Nur der eine , offenbar jüngere von ihnen , führte das Wort , der andre , der wie ein Neunzigjähriger aussah , begleitete die Reden seines Bruders mit unaufhörlichem Kopfnicken und einem verlorenen Grinsen . Man hatte sich vom Tisch erhoben . Die Kinder waren schon früher verschwunden . Lorenzi und die Marchesa spazierten im Dämmer über die Wiese hin , Marcolina und Amalia wurden bald im Saale sichtbar , wo sie Vorbereitungen für das Spiel zu treffen schienen . Was hat das alles zu bedeuten ? fragte sich Casanova , der allein im Garten stand . Halten sie mich für reich ? Wollen sie mich rupfen ? Denn alle diese Anstalten , auch die Zuvorkommenheit des Marchese , die Beflissenheit des Abbate sogar , das Erscheinen der Brüder Ricardi , kamen ihm irgendwie verdächtig vor ; konnte nicht auch Lorenzi in die Intrige verwickelt sein ? Oder Marcolina ? Oder gar Amalia ? Ist das Ganze , dachte er flüchtig , ein Streich meiner Feinde , um mir die Rückkehr nach Venedig zu erschweren , – im letzten Augenblick unmöglich zu machen ? Aber sofort mußte er sich sagen , daß dieser Einfall völlig unsinnig war , vor allem schon darum , weil er ja nicht einmal mehr Feinde hatte . Er war ein ungefährlicher , herabgekommener alter Tropf ; wen konnte seine Rückkehr nach Venedig überhaupt kümmern ? Und als er durch die offenen Fenster des Hauses die Herren sich geschäftig um den Tisch reihen sah , auf dem die Karten bereit lagen und gefüllte Weingläser standen , wurde ihm über jeden Zweifel klar , daß hier nichts anderes geplant war als ein gewohnheitsmäßig harmloses Spiel , bei dem ein neuer Partner immerhin willkommen sein mochte . Marcolina streifte an ihm vorüber und wünschte ihm Glück . » Sie bleiben nicht ? Schauen dem Spiel nicht wenigstens zu ? « – » Was soll ich dabei ? Gute Nacht , Chevalier von Seingalt – und auf morgen ! « Stimmen klangen ins Freie . » Lorenzi « rief es – » Herr Chevalier . « – » Wir warten . « Casanova , im Schatten des Hauses , konnte sehen , wie die Marchesa Lorenzi von der Wiese gegen das Dunkel der Bäume hinzuziehen suchte . Dort drängte sie sich heftig an ihn , Lorenzi aber riß sich ungebärdig von ihr los und eilte dem Hause zu . Er traf am Eingang mit Casanova zusammen und , mit einer Art von spöttischer Höflichkeit , ließ er ihm den Vortritt , was Casanova ohne Dank annahm . Der Marchese legte die erste Bank . Olivo , die Brüder Ricardi und der Abbate setzten so geringe Münzen ein , daß das ganze Spiel auf Casanova – auch heute , da sein ganzes Vermögen nur in ein paar Dukaten bestand – wie ein Spaß wirkte . Es erschien ihm um so lächerlicher , als der Marchese mit einer so großartigen Miene das Geld einstrich und auszahlte , als wenn es um hohe Summen ginge . Plötzlich warf Lorenzi , der sich bisher nicht beteiligt hatte , einen Dukaten hin , gewann , ließ den so verdoppelten Einsatz stehen , gewann ein zweites und drittes Mal und so mit geringen Unterbrechungen immer weiter . Die andern Herren setzten indes ihre kleinen Münzen wie zuvor , und insbesondere die beiden Ricardi zeigten sich höchst ungehalten , wenn der Marchese sie nicht mit der gleichen Rücksichtnahme zu behandeln schien , wie den Leutnant Lorenzi . Die Brüder spielten gemeinsam auf das gleiche Blatt ; dem einen , älteren , der die Karten empfing , perlte der Schweiß von der Stirn , der andere , hinter ihm stehend , redete unablässig auf ihn ein wie mit wichtig-unfehlbaren Ratschlägen . Wenn er den schweigsamen Bruder einziehen sah , leuchteten seine Augen , im andern Falle richteten sie sich verzweifelt gen Himmel . Der Abbate , sonst ziemlich teilnahmlos , gab zuweilen spruchähnliche Sätze zum besten – wie » Das Glück und die Frauen zwingst du nicht « – oder » Die Erde ist rund , der Himmel weit « – manchmal blickte er auch pfiffig ermutigend Casanova und gleich darauf die diesem gegenüber , ihrem Gatten zur Seite sitzende Amalia an , als läge ihm daran , die beiden alten Liebesleute neu miteinander zu verkuppeln . Casanova aber dachte an nichts anderes , als daß Marcolina sich jetzt in ihrem Zimmer langsam entkleidete , und daß , wenn das Fenster offen stand , ihre weiße Haut in die Nacht hinaus schimmerte . Von einer Begier erfaßt , die ihm die Sinne verstörte , wollte er sich von seinem Platz neben dem Marchese erheben und den Raum verlassen ; der Marchese aber nahm diese Bewegung als einen Entschluß , sich am Spiel zu beteiligen und sagte : » Nun endlich – wir wußten ja , daß Sie nicht Zuschauer bleiben würden , Chevalier . « Er legte eine Karte vor ihn hin , Casanova setzte alles , was er bei sich trug – und dies war so ziemlich alles , was er besaß – zehn Dukaten etwa , er zählte sie nicht , ließ sie aus seiner Börse auf den Tisch gleiten und wünschte , sie auf einen Satz zu verlieren : dies sollte dann ein Zeichen sein , ein glückverheißendes Zeichen – er wußte nicht recht wofür , ob für seine baldige Heimkehr nach Venedig oder den ihm bevorstehenden Anblick der entkleideten Marcolina ; – doch ehe er sich entschieden , hatte der Marchese das Spiel gegen ihn bereits verloren . Auch Casanova ließ , wie Lorenzi es getan , den verdoppelten Einsatz stehen , und auch ihm blieb das Glück treu wie dem Leutnant . Um die übrigen kümmerte sich der Marchese nicht mehr , der schweigsame Ricardi stand beleidigt auf , der andre rang die Hände – dann standen sie zusammen in einer Ecke des Saales wie vernichtet . Der Abbate und Olivo fanden sich leichter ab ; der erste aß Süßigkeiten und wiederholte seine Sprüchlein , der andre schaute dem Fall der Karten in Erregung zu . Endlich hatte der Marchese fünfhundert Dukaten verloren , in die sich Casanova und Lorenzi teilten . Die Marchesa erhob sich und gab dem Leutnant einen Wink mit den Augen , ehe sie den Saal verließ , Amalia geleitete sie . Die Marchesa wiegte sich in den Hüften , was Casanova anwiderte ; Amalia schlich an ihrer Seite wie ein demütiges ältliches Weib . Da der Marchese sein ganzes Bargeld verloren hatte , übernahm Casanova die Bank , er bestand , zum Mißvergnügen des Marchese , darauf , daß die andern wieder am Spiele teilnähmen . Sofort waren die Brüder Ricardi zur Stelle , gierig und erregt ; der Abbate schüttelte den Kopf , er hatte genug , und Olivo spielte nur mit , um sich dem Wunsch seines edlen Gastes nicht zu versagen . Lorenzi hatte weiter Glück ; als er im ganzen die Summe von vierhundert Dukaten gewonnen , stand er auf und sagte : » Morgen bin ich gern bereit , Revanche zu geben . Jetzt bitte ich um die Erlaubnis , nach Hause reiten zu dürfen . « – » Nach Hause , « rief der Marchese hohnlachend , der übrigens ein paar Dukaten zurückgewonnen hatte , » das ist nicht übel ! Der Leutnant wohnt nämlich bei mir ! « wandte er sich zu den andern . » Und meine Gattin ist voraus nach Hause gefahren . Gute Unterhaltung , Lorenzi ! « – » Sie wissen sehr gut , « erwiderte Lorenzi , ohne eine Miene zu verziehen , » daß ich geradeswegs nach Mantua reite und nicht nach Ihrem Schloß , wo Sie so gütig waren , mir gestern Unterkunft zu gewähren . « – » Reiten Sie , wohin Sie wollen , zum Teufel meinetwegen ! « – Lorenzi empfahl sich von den andern aufs höflichste und ging , ohne dem Marchese eine gebührende Antwort zu erteilen , was Casanova in Verwunderung setzte . Er legte weiter die Karten auf und gewann , so daß der Marchese bald mit ein paar hundert Dukaten in seiner Schuld stand . Wozu ? fragte sich Casanova anfangs . Allmählich aber nahm ihn der Reiz des Spiels doch wieder gefangen . Es geht nicht übel , dachte er ... Nun sind es bald tausend ... es können auch zweitausend werden . Der Marchese wird seine Schuld bezahlen . Mit einem kleinen Vermögen in Venedig Einzug halten , das wäre so übel nicht . Doch warum nach Venedig ? Man wird wieder reich , man wird wieder jung . Reichtum ist alles . Nun werd' ich sie mir doch wenigstens wieder kaufen können . Wen ? Ich will keine andere ... Nackt steht sie am Fenster – ganz gewiß ... wartet am Ende ... ahnt , daß ich kommen werde ... Steht am Fenster , um mich toll zu machen . Und ich bin da . – Indes teilte er weiter die Karten aus , mit unbeweglicher Miene , nicht nur an den Marchese , auch an Olivo und die Brüder Ricardi , denen er zuweilen ein Goldstück hinschob , auf das sie keinen Anspruch hatten . Sie ließen sich 's gefallen . Aus der Nacht drang ein Geräusch , wie die Hufschläge eines über die Straße trabenden Rosses . Lorenzi , dachte Casanova ... Von der Gartenmauer schallte es wie im Echo wider , dann verklang allmählich Hall und Widerhall . Nun aber wandte sich das Glück gegen Casanova . Der Marchese setzte hoch , immer höher ; und um Mitternacht fand sich Casanova so arm wie er gewesen , ärmer noch ; er hatte auch seine eigenen paar Goldstücke verloren . Er schob die Karten von sich weg , erhob sich lächelnd . » Ich danke , meine Herren . « Olivo breitete die Arme nach ihm aus . » Mein Freund , wir wollen weiterspielen ... Hundertfünfzig Dukaten , – haben Sie denn vergessen , – nein , nicht hundertfünfzig ! Alles , was ich habe , was ich bin – alles – alles ! « Er lallte ; denn er hatte während des ganzen Abends zu trinken nicht aufgehört . Casanova wehrte mit einer übertrieben vornehmen Handbewegung ab . » Die Frauen und das Glück zwingt man nicht « , sagte er mit einer Verneigung gegen den Abbate hin . Dieser nickte befriedigt und klatschte in die Hände . » Auf morgen also , mein verehrter Chevalier , « sagte der Marchese , » wir werden gemeinsam dem Leutnant Lorenzi das Geld wieder abnehmen . « Die Ricardi bestanden darauf , daß weitergespielt würde . Der Marchese , sehr aufgeräumt , gab ihnen eine Bank . Sie rückten mit den Goldstücken heraus , die Casanova sie hatte gewinnen lassen . In zwei Minuten hatte der Marchese sie ihnen abgenommen und lehnte es entschieden ab , mit ihnen weiterzuspielen , wenn sie nicht Bargeld vorzuweisen hätten . Sie rangen die Hände . Der ältere begann zu weinen wie ein Kind . Der andere küßte ihn wie zur Beruhigung auf beide Wangen . Der Marchese fragte , ob sein Wagen schon wieder zurückgekommen sei . Der Abbate bejahte ; er hatte ihn vor einer halben Stunde vorfahren gehört . Der Marchese lud den Abbate und die Brüder Ricardi in seinen Wagen ein ; er wollte sie vor ihren Wohnhäusern absetzen ; – und alle verließen das Haus . Als die andern fort waren , nahm Olivo Casanovas Arm und versicherte ihn immer wieder , mit Tränen in der Stimme , daß alles in diesem Hause ihm , Casanova gehöre und daß er damit schalten möge , wie es ihm beliebe . Sie kamen an Marcolinens Fenster vorbei . Es war nicht nur verschlossen , auch ein Gitter war vorgeschoben , und innen senkte sich ein Vorhang herab . Es gab Zeiten , dachte Casanova , wo all das nichts nützte oder wo es nichts zu bedeuten hatte . Sie traten ins Haus . Olivo ließ es sich nicht nehmen , den Gast über die etwas knarrende Treppe bis in das Turmgemach zu begleiten , wo er ihn zum Abschied umarmte . » Also morgen , « sagte er , » sollen Sie das Kloster zu sehen bekommen . Doch schlafen Sie nur ruhig , wir brechen nicht in allzu früher Stunde auf und richten uns jedenfalls völlig nach Ihrer Bequemlichkeit . Gute Nacht . « Er ging , die Tür leise hinter sich schließend , aber seine Schritte dröhnten über die Treppe durch das ganze Haus . Casanova stand allein in seinem durch zwei Kerzen matt erhellten Zimmer und ließ das Auge von einem zum andern der vier Fenster schweifen , die nach den verschiedenen Himmelsrichtungen wiesen . In bläulichem Glänze lag die Landschaft da , nach allen Seiten fast das gleiche Bild : weite Ebenen , mit geringen Erhebungen , nur nordwärts verschwimmende Berglinien , da und dort vereinzelte Häuser , Gehöfte , auch größere Gebäude ; darunter eines etwas höher gelegen , aus dem ein Licht herschimmerte , nach Casanovas Vermutung das Schloß des Marchese . Im Zimmer , das außer dem freistehenden breiten Bett nichts enthielt als einen langen Tisch , auf dem die zwei Kerzen brannten , ein paar Stühle , eine Kommode und einen goldgerahmten Spiegel darüber , war von sorglichen Händen Ordnung gemacht , auch war der Reisesack ausgepackt worden . Auf dem Tische lag die versperrte abgegriffene Ledermappe , die Casanovas Papiere enthielt sowie ein paar Bücher , deren er für seine Arbeit bedurfte und die er daher mit sich genommen hatte ; auch Schreibzeug war bereit . Da er nicht die geringste Schläfrigkeit verspürte , nahm er sein Manuskript aus der Mappe und durchlas beim Schein der Kerzen , was er zuletzt geschrieben . Da er mitten in einem Absatz stehengeblieben , war es ihm ein leichtes , auf der Stelle fortzufahren . Er nahm die Feder zur Hand , schrieb hastig ein paar Sätze und hielt plötzlich wieder inne . Wozu ? fragte er sich , wie in einer grausamen inneren Erleuchtung . Und wenn ich auch wüßte , daß das , was ich hier schrieb und schreiben werde , herrlich würde ohne Vergleich , – ja , wenn es mir wirklich gelänge , Voltaire zu vernichten und mit meinem Ruhm den seinen zu überstrahlen ; – wäre ich nicht trotzdem mit Freuden bereit , all diese Papiere zu verbrennen , wenn es mir dafür vergönnt wäre , in dieser Stunde Marcolina zu umarmen ? Ja , wäre ich um den gleichen Preis nicht zu dem Gelübde bereit , Venedig niemals wieder zu betreten , – auch wenn sie mich im Triumph dahin zurückholen wollten ? Venedig ! ... Er wiederholte das Wort , es klang um ihn in seiner ganzen Herrlichkeit ; – und schon hatte es die alte Macht über ihn gewonnen . Die Stadt seiner Jugend stieg vor ihm auf , umflossen von allem Zauber der Erinnerung , und das Herz schwoll ihm in einer Sehnsucht , so qualvoll und über alles Maß , wie er sie noch nie empfunden zu haben glaubte . Auf die Heimkehr zu verzichten erschien ihm als das unmöglichste von allen Opfern , die das Schicksal von ihm fordern dürfte . Was sollte er weiter in dieser kläglich verblaßten Welt ohne die Hoffnung , die Gewißheit , die geliebte Stadt jemals wiederzusehen ? Nach Jahren und Jahrzehnten der Wanderungen und Abenteuer , nach all dem Glück und Unglück , das er erlebt , nach all der Ehre und Schmach , nach den Triumphen und nach den Erniedrigungen , die er erfahren , mußte er doch endlich eine Ruhestatt , eine Heimat haben . Und gab es eine andere Heimat für ihn als Venedig ? Und ein anderes Glück als das Bewußtsein , wieder eine Heimat zu haben ? In der Fremde vermochte er längst nicht mehr ein Glück dauernd an sich heranzuzwingen . Noch war ihm zuweilen die Kraft gegönnt , es zu erfassen , doch nicht mehr die , es festzuhalten . Seine Macht über die Menschen , Frauen wie Männer , war dahin . Nur wo er Erinnerung bedeutete , vermochte sein Wort , seine Stimme , sein Blick noch zu bannen ; seiner Gegenwart war die Wirkung versagt . Vorbei war seine Zeit ! Und nun gestand er sich auch ein , was er sich sonst mit besonderer Beflissenheit zu verhehlen suchte , daß selbst seinen schriftstellerischen Leistungen , daß sogar seiner Streitschrift gegen Voltaire , auf die er seine letzte Hoffnung gesetzt hatte , niemals ein in die Weite tragender Erfolg beschieden sein würde . Auch dazu war es zu spät . Ja , hätte er in jüngeren Jahren Muße und Geduld gehabt , sich mit derlei Arbeiten ernstlicher zu beschäftigen , – das wußte er wohl – den ersten dieses Fachs , Dichtern und Philosophen , hätte er es gleichgetan ; ebenso wie er als Finanzmann oder als Diplomat mit größerer Beharrlichkeit und Vorsicht , als ihm eigen war , zum Höchsten wäre berufen gewesen . Doch wo war all seine Geduld und seine Vorsicht , wo waren alle seine Lebenspläne hin , wenn ein neues Liebesabenteuer lockte ? Frauen – Frauen überall . Für sie hatte er alles hingeworfen in jedem Augenblick ; für edle wie für gemeine , für die leidenschaftlichen wie für die kalten ; für Jungfrauen wie für Dirnen ; – für eine Nacht auf einem neuen Liebeslager waren ihm alle Ehren dieser und alle Seligkeiten jener Welt immer feil gewesen . – Doch bereute er , was er durch dieses ewige Suchen und Niemals- oder Immer-Finden , durch dies irdisch-überirdische Fliehen von Begier zu Lust und von Lust zu Begier sonst im Dasein etwa versäumt haben mochte ? Nein , er bereute nichts . Er hatte sein Leben gelebt wie keiner ; – und lebte er es nicht noch heute in seiner Art ? Überall noch gab es Weiber auf seinem Weg : wenn sie auch nicht mehr gerade toll um ihn wurden wie einstmals . – Amalia ? – er konnte sie haben , wann er wollte , in dieser Stunde , in ihres betrunkenen Gatten Bett ; – und die Wirtin in Mantua – war sie nicht verliebt in ihn wie in einen hübschen Knaben , mit Zärtlichkeit und Eifersucht ? – und die blatternarbige , aber wohlgebaute Geliebte Perottis – hatte sie ihn nicht , berauscht von dem Namen Casanova , der die Wollust von tausend Nächten über sie hinzusprühen schien – hatte sie ihn nicht angebettelt , ihr eine einzige Liebesnacht zu gewähren , und hatte er sie nicht verschmäht wie einer , der noch immer nach eigenem Geschmacke wählen durfte ? Freilich – Marcolina – solche wie Marcolina waren nicht mehr für ihn da . Oder – wäre sie niemals für ihn dagewesen ? Es gab ja wohl auch Frauen solcher Art . Er war vielleicht in früheren Jahren solch einer begegnet ; aber da immer zugleich eine andere , willigere zur Stelle war , hatte er sich nicht damit aufgehalten , auch nur einen Tag vergeblich zu seufzen . Und da es nicht einmal Lorenzi gelungen war , Marcolina zu erobern , – da sie sogar die Hand dieses Menschen ausgeschlagen , der ebenso schön und ebenso frech war , wie er , Casanova , in seiner Jugend es gewesen – so mochte Marcolina in der Tat jenes Wundergeschöpf vorstellen , an dessen Vorhandensein auf Erden er bisher gezweifelt – das tugendhafte Weib . Nun aber lachte er so hell auf , daß es durchs Zimmer hallte . » Der Ungeschickte , der Dummkopf ! « rief er laut , wie er es bei solchen Selbstgesprächen öfters tat . » Er hat die Gelegenheit nicht zu benützen verstanden . Oder die Marchesa läßt ihn nicht los . Oder hat er sich die erst genommen , als er Marcolina nicht bekommen konnte , die Gelehrte – die Philosophin ?! « Und plötzlich kam ihm der Einfall : Ich will ihr morgen meine Streitschrift gegen Voltaire vorlesen ! Sie ist das einzige Geschöpf , dem ich das nötige Verständnis dafür zutrauen darf . Ich werde sie überzeugen ... Sie wird mich bewundern . Natürlich wird sie ... » Vortrefflich , Herr Casanova ! Sie schreiben einen glänzenden Stil , alter Herr ! Bei Gott ... Sie haben Voltaire vernichtet ... genialer Greis ! « So sprach er , so zischte er vor sich hin und lief im Zimmer hin und her wie in einem Käfig . Ein ungeheurer Grimm hatte ihn erfaßt , gegen Marcolina , gegen Voltaire , gegen sich selbst , gegen die ganze Welt . Er nahm seine letzte Kraft zusammen , um nicht aufzubrüllen . Endlich warf er sich aufs Bett , ohne sich auszukleiden , und lag nun da , die weit offenen Augen zum Gebälk der Decke gerichtet , inmitten dessen er jetzt an einzelnen Stellen im Schein der Kerzen Spinnengewebe silbrig glänzen sah . Dann , wie es ihm zuweilen nach Spielpartien vor dem Einschlafen begegnete , jagten mit phantastischer Geschwindigkeit Kartenbilder an ihm vorbei , und endlich versank er wirklich in einen traumlosen Schlummer , der aber nur eine kurze Weile dauerte . Nun horchte er auf die geheimnisvolle Stille rings um sich . Nach Osten und Süden standen die Fenster des Turmgemachs offen , aus Garten und Feld drangen linde , süße Gerüche aller Art , aus der Landschaft unbestimmte Geräusche zu ihm herein , wie die kommende Frühe sie aus der Weite und Nähe zu bringen pflegt . Casanova vermochte nicht länger stillzuliegen ; ein lebhafter Drang nach Veränderung erfaßte ihn und lockte ihn ins Freie . Vogelgesang rief ihn von draußen , morgenkühler Wind rührte an seine Stirn . Leise öffnete Casanova die Tür , ging vorsichtig über die Treppe hinab , mit seiner oft erprobten Geschicklichkeit brachte er es zuwege , daß die Holzstufen unter seinem Schritt nicht im geringsten knarrten ; über die steinerne Treppe gelangte er ins Erdgeschoß , und durch das Speisezimmer , wo auf dem Tisch noch die halbgefüllten Gläser standen , in den Garten . Da auf dem Kies seine Schritte hörbar wurden , trat er gleich auf die Wiese über , die nun , im Frühdämmer schein , zu unwirklicher Weite sich dehnte . Dann schlich er sich in die Allee , nach der Seite hin , wo ihm Marcolinens Fenster in den Blick fallen mußte . Es war vergittert , verschlossen , verhängt , so wie er es zuletzt gesehen . Kaum fünfzig Schritt vom Hause entfernt setzte sich Casanova auf eine Steinbank . Jenseits der Gartenmauer hörte er einen Wagen vorbeifahren , dann war es wieder still . Aus dem Wiesengrund schwebte ein feiner grauer Dunst ; als läge da ein durchsichtig-trüber Teich mit verschwimmenden Grenzen . Wieder dachte Casanova jener Jugendnacht im Klostergarten von Murano – oder eines andern Parks – einer andern Nacht ; – er wußte nicht mehr welcher – vielleicht waren es hundert Nächte , die ihm in der Erinnerung in eine einzige zusammenflössen , sowie ihm manchmal hundert Frauen , die er geliebt , in der Erinnerung zu einer einzigen wurden , die als Rätselgestalt durch seine fragenden Sinne schwebte . Und war denn nicht am Ende eine Nacht wie die andere ? Und eine Frau wie die andere ? Besonders , wenn es vorbei war ? Und dieses Wort » vorbei « hämmerte in seinen Schläfen weiter , als sei es bestimmt , von nun ab der Pulsschlag seines verlorenen Daseins zu werden . Es war ihm , als raschelte irgend etwas hinter ihm längs der Mauer hin . Oder wär 's nur ein Widerklang ? Ja , das Geräusch kam vom Hause her . Marcolinens Fenster stand mit einemmal offen , das Gitter war zurückgeschoben , der Vorhang nach der einen Seite hin gerafft ; aus dem Dunkel des Gemachs hob sich eine schattenhafte Erscheinung ; Marcolina selbst war es , die in hochgeschlossenem weißen Nachtgewand an die Brüstung trat , wie um die holde Luft des Morgens einzuatmen . Casanova hatte sich rasch von der Bank heruntergleiten lassen ; über ihren Rand , durch das Gezweig der Allee sah er gebannt Marcolina an , deren Augen scheinbar gedanken- , ja richtungslos in die Dämmerung tauchten . Nach ein paar Sekunden erst schien sie ihr noch wie schlafbefangenes Wesen in einem Blicke sammeln zu können , den sie nun langsam nach rechts und links schweifen ließ . Dann beugte sie sich vornüber , wie um auf dem Kies etwas zu suchen , und gleich darauf wandte sie das Haupt mit dem gelösten Haar nach aufwärts , wie zu einem Fenster des oberen Stockwerks . Dann stand sie wieder eine Weile ohne Bewegung , die Hände beiderseits an die Fensterstöcke stützend , wie an ein unsichtbares Kreuz geschlagen . Nun erst , als wären sie plötzlich von innen erleuchtet worden , gewannen ihre dämmernden Züge für Casanova an Deutlichkeit . Ein Lächeln spielte um ihren Mund , das gleich wieder erstarrte . Nun ließ sie die Arme sinken ; ihre Lippen bewegten sich sonderbar , als flüsterten sie ein Gebet ; wieder schweifte ihr Blick langsam suchend durch den Garten , dann nickte sie kurz , und im selben Augenblicke schwang sich jemand über die Brüstung ins Freie , der bis jetzt zu Marcolinens Füßen gekauert sein mußte , – Lorenzi . Er flog mehr als er ging über den Kies zur Allee hin , durchquerte sie kaum zehn Schritte weit von Casanova , der , den Atem anhaltend , unter der Bank lag , und eilte dann jenseits der Allee , wo ein schmaler Wiesenstreif die Mauer entlang lief , den Blicken Casanovas entschwindend , nach rückwärts . Casanova hörte eine Tür in den Angeln seufzen , – es konnte keine andre sein als diejenige , durch die er selbst gestern abend mit Olivo und dem Marchese in den Garten zurückgekehrt war – dann war alles still . Marcolina war die ganze Zeit völlig regungslos dagestanden : sobald sie Lorenzi in Sicherheit wußte , atmete sie tief auf , schloß Gitter und Fenster , der Vorhang fiel nieder wie durch eigene Kraft , und alles war , wie es vorher gewesen ; – nur daß indes , als hätte er nun keinen Anlaß mehr zu zögern , der Tag über Haus und Garten aufgezogen war . Auch Casanova lag noch da , wie zuvor , die Hände vor sich hingestreckt , unter der Bank . Nach einer Weile kroch er weiter , in die Mitte der Allee , und weiter auf allen vieren , bis er an eine Stelle kam , wo er weder von Marcolinens Fenster , noch von einem andern aus gesehen werden konnte . Nun erhob er sich mit schmerzendem Rücken , reckte sich in die Höhe , dehnte die Glieder und kam endlich zur Besinnung , ja fand sich jetzt erst selber wieder , als hätte er sich aus einem geprügelten Hund in einen Menschen zurückverwandelt , der die Prügel nicht als körperlichen Schmerz , sondern als tiefe Beschämung weiter zu verspüren verdammt war . Warum , fragte er sich , bin ich nicht zu dem Fenster hin , solang es noch offen stand ? Und über die Brüstung hinein zu ihr ? – Hätte sie Widerstand leisten können – dürfen – die Heuchlerin , die Lügnerin , die Dirne ? Und er beschimpfte sie immer weiter , als hätte er ein Recht dazu , als hätte sie ihm Treue gelobt wie einem Geliebten und ihn betrogen . Er schwor sich zu , sie zur Rede zu stellen von Angesicht zu Angesicht , ihr ins Antlitz zu schleudern , vor Olivo , vor Amalia , vor dem Marchese , dem Abbate , vor der Magd und den Knechten , daß sie eine lüsterne kleine Hure war und nichts anderes . Wie zur Übung , in aller Ausführlichkeit , erzählte er sich selber vor , was er eben mit angesehen , und machte sich das Vergnügen , allerlei dazu zu erfinden , um sie noch tiefer zu erniedrigen ; daß sie nackt am Fenster gestanden , daß sie im Spiel der Morgenwinde von ihrem Geliebten sich habe unzüchtig liebkosen lassen . Nachdem er so seine Wut fürs erste zur Not beschwichtigt hatte , dachte er nach , ob mit dem , was er nun wußte , nicht doch vielleicht was Besseres anzufangen wäre . Hatte er sie jetzt nicht in seiner Gewalt ? Konnte er nun die Gunst , die sie ihm gutwillig nicht gewährt hätte , nicht durch Drohungen von ihr erzwingen ? Aber dieser schmähliche Plan sank sofort wieder in sich zusammen , nicht so sehr , weil Casanova dessen Schmählichkeit , als weil er dessen Zweck- und Sinnlosigkeit gerade in diesem Fall erkennen mußte . Was konnten seine Drohungen Marcolina kümmern , die niemandem Rechenschaft schuldig , die am Ende auch , wenn 's ihr darauf ankam , verschlagen genug war , ihn als einen Verleumder und Erpresser von ihrer Schwelle zu jagen ? Und selbst wenn sie aus irgendeinem Grunde das Geheimnis ihrer Liebschaft mit Lorenzi durch ihre Preisgabe zu erkaufen bereit war ( er wußte freilich , daß er etwas erwog , das außer dem Bereich aller Möglichkeiten lag ) , mußte ein so erzwungener Genuß für ihn , der , wenn er liebte , tausendmal heißer danach verlangte , Glück zu geben , als Glück zu empfangen , sich nicht in eine unnennbare Qual verwandeln , – die ihn zum Wahnsinn und in Selbstvernichtung trieb ? Er fand sich plötzlich an der Gartentür . Sie war versperrt . Lorenzi hatte also einen Nachschlüssel . Und wer – fiel ihm nun ein – war denn durch die Nacht auf trabendem Roß davongesprengt , nachdem Lorenzi sich vom Spieltisch erhoben ? Ein bestellter Knecht offenbar . – Unwillkürlich mußte Casanova beifällig lächeln ... Sie waren einander würdig , Marcolina und Lorenzi , die Philosophin und der Offizier . Und ihnen beiden stand noch eine herrliche Laufbahn bevor . Wer wird Marcolinens nächster Liebhaber sein ? fragte er sich . Der Professor in Bologna , in dessen Hause sie wohnt ? O , ich Narr . Der wär 's ja längst ... Wer noch ? Olivo ? Der Abbate ? Warum nicht ?! Oder der junge Knecht , der gestern glotzend am Tore stand , als wir angefahren kamen ? Alle ! Ich weiß es . Aber Lorenzi weiß es nicht . Das hab' ich vor ihm voraus . – Zwar war er im Innersten überzeugt , daß Lorenzi nicht nur Marcolinens erster Liebhaber , sondern er vermutete sogar , daß es heute die erste Nacht war , die sie ihm geschenkt hatte ; doch das hielt ihn nicht ab , seine boshaft-lüsternen Gedankenspiele weiterzutreiben , während er den Garten längs der Mauer umkreiste . So stand er denn wieder vor der Saaltür , die er offen gelassen , und sah ein , daß ihm vorläufig nichts andres zu tun übrigblieb , als ungesehen und ungehört sich zurück ins Turmgemach zu begeben . Mit aller Vorsicht schlich er hinauf und ließ sich oben auf den Lehnstuhl sinken , auf dem er schon früher gesessen ; vor den Tisch hin , auf dem die losen Blätter des Manuskriptes seiner Wiederkehr nur zu warten schienen . Unwillkürlich fiel sein Auge auf den Satz , den er vorhin in der Mitte abgebrochen hatte ; und er las : » Voltaire wird unsterblich sein , gewiß ; aber er wird diese Unsterblichkeit erkauft haben mit seinem unsterblichen Teil ; – der Witz hat sein Herz aufgezehrt , wie der Zweifel seine Seele , und also – « In diesem Augenblick brach die Morgensonne rötlich flutend herein , so daß das Blatt , das er in Händen hielt , zu erglühen anfing , und wie besiegt ließ er es auf den Tisch zu den andern sinken . Er fühlte plötzlich die Trockenheit seiner Lippen , schenkte sich ein Glas Wasser ein aus einer Flasche , die auf dem Tisch stand ; es schmeckte lau und süßlich . Angewidert wandte er den Kopf nach der Seite ; von der Wand , aus dem Spiegel über der Kommode , starrte ihm ein bleiches , altes Gesicht entgegen mit wirrem , über die Stirn fließendem Haar . In selbstquälerischer Lust ließ er seine Mundwinkel noch schlaffer herabsinken , als gälte es , eine abgeschmackte Rolle auf dem Theater durchzuführen , fuhr sich ins Haar , daß die Strähne noch ungeordneter fielen , streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus , krächzte mit absichtlich heiserer Stimme eine Reihe alberner Schimpfworte gegen sich selbst und blies endlich , wie ein ungezogenes Kind , die Blätter seines Manuskriptes vom Tisch herunter . Dann begann er von neuem Marcolina zu beschimpfen , und nachdem er sie mit den unflätigsten Worten bedacht , zischte er zwischen den Zähnen : Denkst du , die Freude währt lang ? Du wirst fett und runzlig und alt werden wie die andern Weiber , die mit dir zugleich jung gewesen sind , – ein altes Weib mit schlaffen Brüsten , mit trockenem grauen Haar , zahnlos und von üblem Duft ... und endlich wirst du sterben ! Auch jung kannst du sterben ! Und wirst verwesen ! Und Speise sein für Würmer . – Um eine letzte Rache an ihr zu nehmen , versuchte er sich sie als Tote vorzustellen . Er sah sie weiß gekleidet im offenen Sarge liegen , doch war er unfähig , irgendwelche Zeichen der Zerstörung an ihr zu denken ; sondern ihre wahrhaft überirdische Schönheit brachte ihn in neue Raserei . Vor seinen geschlossenen Augen wurde der Sarg zum Brautbett ; Marcolina lag lächelnd da mit blinzelnden Lidern , und mit ihren schmalen , bleichen Händen , wie zum Hohn , über ihren zarten Brüsten zerriß sie das weiße Gewand . Doch wie er seine Arme nach ihr ausstreckte , sich auf sie stürzen , sie umfangen wollte , zerfloß die Erscheinung in nichts . – Es klopfte an die Tür ; er fuhr aus dumpfem Schlaf empor , Olivo stand vor ihm . » Wie , schon am Schreibtisch ? « – » Es ist meine Gewohnheit , « erwiderte Casanova sofort gefaßt , » der Arbeit die ersten Morgenstunden zu widmen . Wie spät mag es sein ? « – » Acht Uhr , « erwiderte Olivo , » das Frühstück steht im Garten bereit ; sobald Sie befehlen , Chevalier , wollen wir unsere Fahrt nach dem Kloster antreten . Doch ich sehe , der Wind hat Ihnen die Blätter verstreut ! « Und er machte sich daran , die Papiere vom Fußboden aufzulesen . Casanova ließ es geschehen , denn er war ans Fenster getreten und erblickte , um den Frühstückstisch gereiht , den man auf die Wiese in den Schatten des Hauses gestellt hatte , alle weiß gekleidet , Amalia , Marcolina und die drei kleinen Mädchen . Sie riefen ihm einen Morgen grüß zu . Er sah nur Marcolina , sie lächelte freundlich zu ihm auf mit hellen Augen , hielt einen Teller mit frühgereiften Trauben auf dem Schoß und steckte eine Beere nach der andern in den Mund . Alle Verachtung , aller Zorn , aller Haß schmolz in Casanovas Herzen dahin ; er wußte nur mehr , daß er sie liebte . Wie trunken von ihrem Anblick zog er sich wieder ins Zimmer zurück , wo Olivo , noch immer auf dem Fußboden kniend , die verstreuten Blätter unter Tisch und Kommode hervorsuchte , verbat sich dessen weitere Bemühungen und wünschte allein gelassen zu werden , um sich für die Spazierfahrt fertigzumachen . » Es eilt nicht , « sagte Olivo und streifte den Staub von seinen Beinkleidern , » wir sind zum Mittagessen bequem zurück . Übrigens hat der Marchese bitten lassen , daß wir mit dem Spiel heute schon in früher Nachmittagsstunde beginnen ; offenbar liegt ihm daran , vor Sonnenuntergang zu Hause zu sein . « » Mir ist es ziemlich gleichgültig , wann das Spiel beginnt , « sagte Casanova , während er seine Blätter in die Mappe ordnete , » ich werde mich keineswegs daran beteiligen . « » Sie werden « , erklärte Olivo mit einer Entschiedenheit , die sonst nicht seine Art war , und legte eine Rolle von Goldstücken auf den Tisch . » Meine Schuld , Chevalier , spät , doch aus dankerfülltem Herzen . « Casanova wehrte ab . » Sie müssen , « beteuerte Olivo , » wenn Sie mich nicht aufs tiefste beleidigen wollen ; überdies hat Amalia heute nacht einen Traum gehabt , der Sie veranlassen wird – doch den soll sie Ihnen selbst erzählen . « Und er verschwand eiligst . Casanova zählte immerhin die Goldstücke ; es waren hundertfünfzig , genau die Summe , die er vor fünfzehn Jahren dem Bräutigam oder der Braut oder ihrer Mutter – er wußte es selbst nicht mehr recht – zum Geschenk gemacht hatte . Das Vernünftigste wäre , sagte er zu sich , ich steckte das Geld ein , nähme Abschied und verließe das Haus , womöglich ohne Marcolina noch einmal zu sehen . Doch hab' ich je das Vernünftige getan ? – Und ob nicht indes eine Nachricht aus Venedig gekommen ist ? ... Zwar hat meine vortreffliche Wirtin versprochen , sie mir unverzüglich nachzusenden ... Die Magd hatte indes einen großen irdenen Krug mit quellkaltem Wasser heraufgebracht , und Casanova wusch sich den ganzen Leib , was ihn sehr erfrischte ; dann legte er sein besseres , eine Art von Staatsgewand an , wie er es schon gestern abend getan hätte , wenn er nur Zeit gefunden , die Kleidung zu wechseln ; doch war er's nun ganz zufrieden , daß er heute in vornehmerer Tracht als am vergangenen Tag , ja gewissermaßen in einer neuen Gestalt vor Marcolina erscheinen durfte . In einem Rock von grauer Glanzseide mit Stickereien und breiten spanischen Silberspitzen , in gelber Weste und kirschroten seidenen Beinkleidern , in edler , dabei nicht geradezu stolzer Haltung , mit einem zwar überlegenen aber liebenswürdigen Lächeln um die Lippen , und das Auge wie im Feuer unverlöschlicher Jugend strahlend , so trat er in den Garten , wo er zu seiner Enttäuschung vorerst nur Olivo vorfand , der ihn einlud , neben ihm am Tische Platz und mit dem bescheidenen Frühmahl vorlieb zu nehmen . Casanova erlabte sich an Milch , Butter , Eiern , Weißbrot und dann noch an Pfirsichen und Trauben , die ihm köstlicher dünkten als irgendwelche , die er jemals genossen . Die drei Mädchen kamen über den Rasen herbeigelaufen , Casanova küßte sie alle , und der Dreizehnjährigen erwies er kleine Liebkosungen in der Art , wie sie sich gestern solche auch vom Abbate hatte gefallen lassen ; doch die Funken , die in ihren Augen aufglimmten , waren , wie Casanova wohl erkannte , von einer andern Lust als der an einem kindisch-harmlosen Spiel entzündet . Olivo hatte seine Freude daran , wie gut der Chevalier mit den Kindern umzugehen verstünde . » Und Sie wollen uns wirklich schon morgen wieder verlassen ? « fragte er schüchtern-zärtlich . – » Heute abend « , sagte Casanova , aber mit einem scherzhaften Blinzeln . » Sie wissen ja , mein bester Olivo , die Senatoren von Venedig – « » Haben es nicht um Sie verdient « , unterbrach ihn Olivo lebhaft . » Lassen Sie sie warten . Bleiben Sie bei uns bis übermorgen , nein , eine Woche lang . « Casanova schüttelte langsam den Kopf , während er die kleine Teresina bei den Händen gefaßt und zwischen seinen Knien wie gefangen hielt . Sie entwand sich ihm sanft mit einem Lächeln , das nun gar nichts Kindliches mehr hatte , als Amalia und Marcolina aus dem Hause traten , jene mit einem schwarzen , diese mit einem weißen Schaltuch über den hellen Gewändern . Olivo forderte sie beide auf , ihre Bitten mit der seinigen zu vereinen . » Es ist unmöglich « , sagte Casanova mit einer übertriebenen Härte in Stimme und Ausdruck , da weder Amalia noch Marcolina ein Wort fanden , Olivos Einladung zu unterstützen . Während sie durch die Kastanienallee dem Tore zuschritten , richtete Marcolina an Casanova die Frage , ob er heute nacht seine Arbeit , über der ihn Olivo , wie er gleich erzählt , noch am hellen Morgen wach gefunden , beträchtlich gefördert habe ? Schon gedachte Casanova ihr eine zweideutig-boshafte Antwort zu geben , die sie stutzig gemacht hätte , ohne ihn doch selbst zu verraten ; aber er zügelte seinen Witz in der Erwägung , daß jede Voreiligkeit von Übel sein könnte , und erwiderte höflich , daß er nur einige Änderungen angebracht habe , zu denen er die Anregung der gestrigen Unterhaltung mit ihr verdanke . Sie stiegen in den unförmlichen , schlechtgepolsterten , aber sonst bequemen Wagen . Casanova saß Marcolinen , Olivo seiner Gattin gegenüber ; doch das Gefährt war so geräumig , daß es trotz des Hinundherrüttelns zu keiner ungewollten Berührung zwischen den Insassen kommen konnte . Casanova bat Amalia , ihm ihren Traum zu erzählen . Sie lächelte ihn freundlich , fast gütig an ; jede Spur von Gekränktheit oder Groll war aus ihren Zügen verschwunden . Dann begann sie : » Ich sah Sie , Casanova , in einem herrlichen , mit sechs dunklen Pferden bespannten Wagen vor einem hellen Gebäude vorfahren . Vielmehr : der Wagen hielt an und ich wußte noch nicht , wer drin saß – da stiegen Sie aus , in einem prächtigen , weißen , goldgestickten Staatsgewand , fast noch prächtiger anzuschaun , als Sie heute angetan sind – ( es war ein freundlicher Spott in ihren Mienen ) – und Sie trugen – wahrhaftig , die gleiche schmale Goldkette trugen Sie , die Sie heute tragen , und die ich doch wahrlich niemals noch an Ihnen gesehen habe ! ( Diese Kette mit der goldenen Uhr und eine mit Halbedelsteinen besetzte goldne Dose , die Casanova eben wie spielend in der Hand hielt , waren die letzten Schmuckstücke von mäßigem Wert , die er sich zu bewahren gewußt hatte . ) – Ein alter , bettelhaft aussehender Mann öffnete den Wagenschlag – es war Lorenzi ; Sie aber , Casanova , Sie waren jung , ganz jung , noch jünger , als Sie damals gewesen sind . – ( Sie sagte › damals ‹ , unbekümmert darum , daß aus diesem Worte flügelrauschend all ihre Erinnerungen geflattert kamen . ) Sie grüßten nach allen Seiten , obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war , und traten durch das Tor ; es schlug heftig hinter Ihnen zu , ich wußte nicht , ob es der Sturm zugeschleudert oder Lorenzi ; – so heftig , daß die Pferde scheuten und mit dem Wagen davonrasten . Nun hörte ich ein Geschrei aus Nebengassen , wie von Menschen , die sich zu retten suchen , das verstummte gleich . Sie aber erschienen an einem Fenster des Hauses , ich wußte jetzt , daß es ein Spielhaus war , und grüßten herab nach allen Seiten , und es war doch niemand da . Dann wandten Sie sich über Ihre Schulter nach rückwärts , als stände irgendwer hinter Ihnen im Zimmer ; aber ich wußte , daß auch dort niemand war . Nun erblickte ich Sie plötzlich an einem andern Fenster , in einem höhern Stockwerk , wo genau dasselbe vor sich ging , dann wieder höher , und wieder , es war , als wüchse das Gebäude ins Unendliche ; und von überall grüßten Sie herunter und sprachen mit Menschen , die hinter Ihnen standen , aber doch eigentlich gar nicht da waren . Lorenzi aber lief immerfort auf den Treppen Ihnen nach , ohne Sie einzuholen . Sie hatten nämlich nicht daran gedacht , ihm ein Almosen zu geben ... « » Nun ? « fragte Casanova , als Amalia schwieg . – » Es kam wohl noch allerlei , aber ich hab' es vergessen « , sagte Amalia . Casanova war enttäuscht ; an ihrer Stelle hätte er , wie er es in solchen Fällen , ob es sich nun um Träume handelte oder um Wirklichkeiten , immer tat , der Erzählung eine Abrundung , einen Sinn zu geben versucht , und so bemerkte er nun etwas unzufrieden : » Wie der Traum doch alles verkehrt . – Ich – als reicher Mann und Lorenzi als Bettler und alter Mann . « – » Mit Lorenzis Reichtum , « sagte Olivo , » ist es nicht weit her ; sein Vater ist zwar ziemlich begütert , aber er steht mit dem Sohne nicht zum besten . « – Und ohne sich mit Fragen weiter bemühen zu müssen , erfuhr Casanova , daß man des Leutnants Bekanntschaft dem Marchese verdanke , der ihn vor wenigen Wochen eines Tages einfach in Olivos Haus mitgebracht habe . Wie der junge Offizier mit der Marchesa stünde , das müsse man einem Kenner , wie dem Chevalier , nicht erst ausdrücklich zu verstehen geben ; da übrigens der Gatte nichts dagegen einzuwenden finde , könne man sich als Unbeteiligter gleichfalls dabei beruhigen . » Ob der Marchese so einverstanden ist , wie Sie zu glauben scheinen , Olivo « , sagte Casanova , » möchte ich bezweifeln . Haben Sie nicht bemerkt , mit welchem Gemisch von Verachtung und Grimm er den jungen Menschen behandelt ? Ich möchte nicht darauf schwören , daß die Sache ein gutes Ende nimmt . « Auch jetzt rührte sich nichts in Marcolinens Antlitz und Haltung . Sie schien an dem ganzen Gespräch über Lorenzi nicht den geringsten Anteil zu nehmen und sich still am Anblick der Landschaft zu erfreuen . Man fuhr eine in zahlreichen Windungen sanft ansteigende Straße durch einen Wald von Oliven und Steineichen ; und da man eben an eine Stelle kam , wo die Pferde noch langsamer trotteten als vorher , zog es Casanova vor , auszusteigen und neben dem Gefährt einherzugehen . Marcolina sprach von der schönen Umgebung Bolognas und von den Abendspaziergängen , die sie mit der Tochter des Professors Morgagni zu unternehmen pflegte . Auch erwähnte sie der Absicht , nächstes Jahr nach Frankreich zu reisen , um den berühmten Mathematiker Saugrenue von der Pariser Universität , mit dem sie in Korrespondenz stehe , persönlich kennenzulernen . » Vielleicht mache ich mir das Vergnügen , « sagte sie lächelnd , » mich auf dem Weg in Ferney aufzuhalten , um aus Voltaires eigenem Mund zu erfahren , wie er die Streitschrift seines gefährlichsten Widersachers , des Chevaliers von Seingalt , aufgenommen . « Casanova , die Hand auf der Seitenlehne des Wagens , neben Marcolinens Arm , dessen sich bauschende Hülle seine Finger streifte , erwiderte kühl : » Es wird sich weniger darum handeln , wie Herr Voltaire , als vielmehr wie die Nachwelt meine Schrift aufnimmt ; denn diese erst wird ein Recht darauf haben , die endgültige Entscheidung zu treffen . « – » Sie glauben , « meinte Marcolina ernsthaft , » daß in den Fragen , die hier zur Sprache stehen , überhaupt endgültige Entscheidungen gefällt werden können ? « – » Diese Frage wundert mich aus Ihrem Munde , Marcolina , deren philosophische , und wenn das Wort hier angebracht erscheint , religiöse Ansichten mir zwar keineswegs an sich unbestreitbar , aber doch in Ihrer Seele – falls Sie eine solche als vorhanden annehmen – vollkommen fest gegründet schienen . « – Marcolina , der Spitzen in Casanovas Rede nicht achtend , sah ruhig zum Himmel auf , der sich in dunkler Bläue über die Wipfel der Bäume breitete , und erwiderte : » Manchmal , besonders an Tagen wie heute , « – und in diesem Wort klang nur für Casanova , den Wissenden , aus den Tiefen ihres erwachten Frauenherzens eine bebende Andacht mit – » ist mir , als wäre all das , was man Philosophie und Religion nennt , nur ein Spiel mit Worten , edler freilich , doch auch sinnloser , als alle andern sind . Die Unendlichkeit und die Ewigkeit zu erfassen wird uns immer versagt sein ; unser Weg geht von der Geburt zum Tode ; was bleibt uns übrig , als nach dem Gesetz zu leben , das jedem von uns in die Brust gesenkt ist – oder auch wider das Gesetz ? Denn Auflehnung wie Demut kommen gleichermaßen von Gott . « Olivo sah auf seine Nichte mit scheuer Bewunderung , dann ängstlich zu Casanova hin , der nach einer Entgegnung suchte , mit der er Marcolinen klarmachen könnte , daß sie Gott sozusagen in einem Atemzug bewies und leugnete , – oder daß Gott und Teufel für sie eines seien ; – aber er spürte , daß er gegen ihr Gefühl nichts andres einzusetzen hatte als leere Worte , – und nicht einmal die boten sich ihm heute dar . Doch der sonderbar sich verzerrende Ausdruck seiner Mienen schien in Amalia die Erinnerung an seine wirren Drohungen von gestern wieder aufzuwecken , und sie beeilte sich zu bemerken : » Und doch ist Marcolina fromm , glauben Sie mir , Chevalier . « – Marcolina lächelte verloren . » Wir sind es alle in unsrer Weise « , sagte Casanova höflich und sah vor sich hin . Eine plötzliche Biegung des Wegs , und das Kloster lag vor ihnen . Über die hohe Umfassungsmauer ragten die schlanken Enden der Zypressen . Auf das Geräusch des heranrollenden Wagens hatte sich das Tor aufgetan , ein Pförtner mit langem weißen Barte grüßte andächtig und ließ die Gäste ein . Durch einen offenen Bogengang , zwischen dessen Säulen man beiderseits in einen ganz verwachsenen , dunkelgrünen Garten sah , näherten sie sich dem eigentlichen Klostergebäude , von dessen grauen , völlig schmucklosen , gefängnisartigen Mauern eine unfreundlich-kühle Luft über sie geweht kam . Olivo zog an dem Glockenstrang , es tönte schrill und verhallte sofort , eine tiefverschleierte Nonne öffnete schweigend und geleitete die Gäste in den geräumigen kahlen Sprechsaal , in dem nur ein paar einfache hölzerne Stühle standen . Nach rückwärts war er durch ein dickstäbiges Eisengitter abgeschlossen , jenseits dessen der Raum in ein unbestimmtes Dunkel verschwamm . Bitternis im Herzen , dachte Casanova jenes Abenteuers , das ihm auch heute noch eines seiner wunderbarsten dünkte und das in ganz ähnlicher Umgebung seinen Anfang genommen : in seiner Seele stiegen die Gestalten der zwei Nonnen von Murano auf , die in der Liebe für ihn als Freundinnen sich gefunden und ihm gemeinsam unvergleichliche Stunden der Lust geschenkt hatten . Und als Olivo im Flüsterton von der strengen Zucht zu sprechen anhub , in der hier die Schwestern gehalten seien , die , einmal eingekleidet , ihr Antlitz unverhüllt vor keinem Manne zeigen dürften und überdies zu ewigem Schweigen verurteilt wären , zuckte um seine Lippen ein Lächeln , das gleich wieder erstarrte . Die Äbtissin stand in ihrer Mitte , wie aus dem Dämmer hervorgetaucht . Stumm begrüßte sie die Gäste : mit einem über alle Maßen gütigen Neigen des verhüllten Hauptes nahm sie Casanovas Dank für den auch ihm gewährten Einlaß entgegen ; Marcolina aber , die ihr die Hand küssen wollte , schloß sie in die Arme . Dann lud sie alle durch eine Handbewegung ein , ihr zu folgen , und führte sie durch einen kleinen Nebenraum in einen Gang , der im Viereck rings um einen blühenden Garten lief . Im Gegensatz zu jenem äußeren verwilderten schien er mit besondrer Sorgfalt gepflegt , und die vielen reichen sonnbeglänzten Beete spielten in wundersamen aufgeglühten und verklingenden Farben . Den heißen , fast betäubenden Düften aber , die den Blütenkelchen entströmten , schien ein ganz besonders geheimnisvoller beigemischt , für den Casanova in seiner Erinnerung keinen Vergleich zu finden wußte . Doch wie er eben zu Marcolina hiervon ein Wort sagen wollte , merkte er , daß dieser geheimnisvolle , herz- und sinnerregende Duft von ihr selber ausging , die den Schal , den sie bisher über den Schultern getragen , über den Arm gelegt hatte , so daß aus dem Ausschnitt ihrer nun loser gewordenen Gewandung aufsteigend der Duft ihres Leibes sich dem der hunderttausend Blumen wie ein von Natur verwandter und doch eigentümlicher beigesellte . Die Äbtissin , immer stumm , führte die Besucher zwischen den Beeten auf schmalen , vielfach gewundenen Wegen , wie durch ein zierliches Labyrinth hin und her ; in der Leichtigkeit und Raschheit ihres Ganges war die Freude zu merken , die sie selbst daran empfand , den andern die bunte Pracht ihres Gartens zu weisen ; – und als hätte sie 's drauf angelegt , sie schwindlig zu machen , wie die Führerin eines heiteren Reigentanzes , schritt sie , immer eiliger , ihnen voran . Plötzlich aber – Casanova war es zumute , als wachte er aus einem wirren Traume auf – fanden sie sich alle im Sprechsaal wieder . Jenseits des Gitters schwebten dunkle Gestalten ; niemand hätte zu unterscheiden vermocht , ob es drei oder fünf oder zwanzig verschleierte Frauen waren , die hinter den dichtgestellten Stäben wie aufgescheuchte Geister hin und her irrten ; und nur Casanovas nachtscharfes Auge war imstande , in der tiefen Dämmerung überhaupt menschliche Umrisse zu erkennen . Die Äbtissin geleitete ihre Gäste zur Tür , gab ihnen stumm das Zeichen , daß sie entlassen seien , und war spurlos verschwunden , ehe jene nur Zeit gefunden hatten , ihr den schuldigen Dank auszusprechen . Plötzlich , als sie eben den Saal verlassen wollten , erklang es aus der Gegend des Gitters her von einer Frauenstimme – » Casanova « – nichts als der Name , doch mit einem Ausdruck , wie ihn Casanova noch niemals gehört zu haben vermeinte . Ob eine Einstmalsgeliebte , – ob eine Niemalsgeschaute eben ein heiliges Gelübde gebrochen , um ein letztes , – oder ein erstes Mal seinen Namen in die Luft zu hauchen ; – ob darin die Seligkeit eines unerwarteten Wiedersehens , der Schmerz um unwiederbringlich Verlorenes oder die Klage gezittert , daß ein heißer Wunsch aus fernen Tagen sich so spät und nutzlos erfüllte , – Casanova vermochte es nicht zu deuten ; nur dies eine wußte er , daß sein Name , so oft Zärtlichkeit ihn geflüstert , Leidenschaft ihn gestammelt , Glück ihn gejubelt hatte , heute zum erstenmal mit dem vollen Klang der Liebe an sein Herz gedrungen war . Doch eben darum schien jede weitere Neugier ihm unlauter und sinnlos ; – und hinter einem Geheimnis , das er nimmer enträtseln sollte , schloß sich die Tür . Hätten nicht die andern durch Blicke sich scheu und flüchtig zu verstehen gegeben , daß auch sie den gleich wieder verhallten Ruf gehört , so hätte jeder für seinen Teil an eine Sinnestäuschung glauben können ; denn keiner sprach ein Wort , während sie durch den Säulengang dem Tore zuschritten . Casanova aber folgte als letzter , mit geneigtem Haupt , wie von einem großen Abschied . – Der Pförtner stand am Tor , empfing sein Almosen , und die Gäste stiegen in den Wagen , der sie ohne weiteren Verzug heimwärts führte . Olivo schien verlegen , Amalia entrückt , Marcolina jedoch völlig unberührt ; und allzu absichtlich , wie es Casanova dünkte , versuchte sie mit Amalia ein Gespräch über Angelegenheiten der Hauswirtschaft einzuleiten , das aber Olivo an Stelle seiner Gattin aufnehmen mußte . Bald nahm auch Casanova daran teil , der sich auf Fragen , die Küche und Keller betrafen , vortrefflich verstand , und keinen Anlaß sah , mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen auch auf diesem Gebiet , wie zu einem neuen Beweis seiner Vielseitigkeit , zurückzuhalten . Nun wachte auch Amalia aus ihrer Versonnenheit auf ; nach dem fast märchenhaften und doch beklemmenden Abenteuer , aus dem sie eben emporgetaucht waren , schienen sich alle , besonders aber Casanova , in so irdisch alltäglicher Atmosphäre vorzüglich zu behagen , und als der Wagen vor Olivos Hause hielt , aus dem ihnen schon einladend der Geruch von Braten und allerlei Gewürzen entgegenströmte , war Casanova gerade in der äußerst appetitreizenden Schilderung eines polnischen Pastetengerichts begriffen , der auch Marcolina mit einer liebenswürdig-hausfraulichen , von Casanova als schmeichelhaft empfundenen Teilnahme zuhörte . In einer seltsam beruhigten , beinahe vergnügten Stimmung , über die er selbst verwundert war , saß er dann mit den andern bei Tische und machte Marcolinen in einer scherzhaft aufgeräumten Weise den Hof , wie es sich etwa für einen vornehmen altern Herrn einem wohlerzogenen jungen Mädchen aus bürgerlichem Hause gegenüber schicken mochte . Sie ließ es sich gern gefallen und gab ihm seine Artigkeiten mit vollendeter Anmut zurück . Ihm machte es ebenso große Mühe , sich vorzustellen , daß seine gesittete Nachbarin dieselbe Marcolina war , aus deren Fenster er heute nacht einen jungen Offizier hatte flüchten sehen , der offenbar noch in der Sekunde vorher in ihren Armen gelegen war , – als es ihm schwer fiel , anzunehmen , daß dieses zarte Fräulein , das sich mit andern kaum erwachsenen Mädchen im Gras herumzuwälzen liebte , eine gelehrte Korrespondenz mit dem berühmten Saugrenue in Paris unterhielt ; und er schalt sich zugleich ob dieser lächerlichen Trägheit seiner Phantasie . Hatte er nicht schon unzählige Male erfahren , daß in jedes wahrhaft lebendigen Menschen Seele nicht nur verschiedene , daß sogar scheinbar feindliche Elemente auf die friedlichste Weise darin zusammenwohnten ? Er selbst , vor kurzem noch ein im tiefsten aufgewühlter , ein verzweifelter , ja ein zu bösem Tun bereiter Mann ; – war er jetzt nicht sanft , gütig und zu so lustigen Späßchen aufgelegt , daß die kleinen Töchter Olivos sich manchmal vor Lachen schüttelten ? Nur an seinem ganz außerordentlichen Hunger , der ihn immer nach starken Aufregungen zu überfallen pflegte , erkannte er selbst , daß die Ordnung in seiner Seele noch keineswegs völlig hergestellt war . Mit dem letzten Gang zugleich brachte die Magd ein Schreiben , das ein Bote aus Mantua soeben für den Chevalier abgegeben hätte . Olivo , der merkte , wie Casanova vor Aufregung erblaßte , gab Auftrag , dem Boten Speise und Trank zu reichen , dann wandte er sich an seinen Gast mit den Worten : » Lassen Sie sich nicht stören , Chevalier , lesen Sie ruhig Ihren Brief . « – » Mit Ihrer Erlaubnis « , erwiderte Casanova , erhob sich , mit einer leichten Verneigung , vom Tisch , trat ans Fenster und öffnete das Schreiben mit gut gespielter Gleichgültigkeit . Es kam von Herrn Bragadino , seinem väterlichen Freund aus Jugendtagen , einem alten Hagestolz , der , nun über achtzig und vor zehn Jahren Mitglied des Hohen Rats geworden , Casanovas Sache in Venedig mit mehr Eifer als die andern Gönner zu führen schien . Der Brief , ausnehmend zierlich , nur von etwas zittriger Hand geschrieben , lautete wörtlich : » Mein lieber Casanova . Heute endlich befinde ich mich in der angenehmen Lage , Ihnen eine Nachricht zu senden , die , wie ich hoffe , in der Hauptsache Ihren Wünschen gerecht werden dürfte . Der Hohe Rat hat sich in seiner letzten Sitzung , die gestern abend stattfand , nicht nur bereit erklärt , Ihnen die Rückkehr nach Venedig zu gestatten , sondern wünscht sogar , daß Sie diese Ihre Rückkehr tunlichst beschleunigen , da beabsichtigt wird , die tätige Dankbarkeit , die Sie in zahlreichen Briefen in Aussicht gestellt haben , baldigst in Anspruch zu nehmen . Wie Ihnen vielleicht nicht bekannt ist , mein lieber Casanova ( da wir ja Ihre Gegenwart so lange entbehren mußten ) , haben sich die innern Verhältnisse unsrer teuern Vaterstadt im Laufe der letzten Zeit sowohl in politischer als auch in sittlicher Hinsicht einigermaßen bedenklich gestaltet . Geheime Verbindungen bestehen , die gegen unsre Staatsverfassung gerichtet sind , ja einen gewaltsamen Umsturz zu planen scheinen , und wie es in der Natur der Dinge liegt , sind es vor allem gewisse freigeistige , irreligiöse und in jedem Sinne zuchtlose Elemente , die an diesen Verbindungen , die man mit einem härteren Worte auch Verschwörungen nennen könnte , in hervorragendem Maße teilhaben . Auf öffentlichen Plätzen , in den Kaffeehäusern , von Privatörtlichkeiten gar nicht zu reden , werden , wie uns bekannt ist , die ungeheuerlichsten , ja geradezu hochverräterische Unterhaltungen geführt ; aber nur in den seltensten Fällen gelingt es , die Schuldigen auf frischer Tat zu ertappen oder ihnen etwas Sicheres nachzuweisen , da gerade gewisse , auf der Folter erzwungene Geständnisse sich als so unzuverlässig erwiesen haben , daß einige Mitglieder unsres Hohen Rats sich dafür aussprachen , in Hinkunft von einer solchen grausamen und dabei oft irreführenden Untersuchungsmethode lieber abzusehen . Zwar ist kein Mangel an Leuten , die sich gern in den Dienst der Regierung stellen , zum Besten der öffentlichen Ordnung und des Staatswohls ; aber gerade von diesen Leuten sind die meisten als gesinnungstüchtige Anhänger der bestehenden Verfassung zu sehr bekannt , als daß man sich in ihrer Gegenwart so leicht zu einer unvorsichtigen Bemerkung oder gar zu hochverräterischen Reden hinreißen ließe . Nun wurde von einem der Senatoren , den ich vorläufig nicht nennen will , in der gestrigen Sitzung die Ansicht ausgesprochen , daß jemand , dem der Ruf eines Mannes ohne sittliche Grundsätze und überdies der Ruf eines Freigeistes voranginge – kurzum , daß ein Mensch wie Sie , Casanova , sobald er sich in Venedig wieder zeigte , zweifellos gerade in den verdächtigen Kreisen , von denen hier die Rede ist , sofortiger Sympathie und – bei einiger Geschicklichkeit von seiner Seite – bald einem rückhaltlosen Vertrauen begegnen müßte . Ja meines Erachtens würden sich mit Notwendigkeit , wie nach dem Walten eines Naturgesetzes , gerade diejenigen Elemente um sie versammeln , an deren Unschädlichmachung und exemplarischer Bestrafung dem Hohen Rat in seiner unermüdlichen Sorge um das Wohl des Staates am meisten gelegen ist , und so würden wir es nicht nur als einen Beweis Ihres patriotischen Eifers , mein lieber Casanova , sondern auch als ein untrügliches Zeichen Ihrer vollkommenen Abkehr von all jenen Tendenzen betrachten , die Sie seinerzeit unter den Bleidächern zwar hart , doch , wie auch Sie heute einsehen ( wenn wir Ihren brieflichen Versicherungen glauben dürfen ) , nicht ganz ungerecht büßen mußten , – wenn Sie sich bereit fänden , in dem oben angedeuteten Sinne sofort nach Ihrer Heimkehr bei den nun genügend gekennzeichneten Elementen Anschluß zu suchen , sich ihnen in freundschaftlicher Weise zuzugesellen , wie einer , der den gleichen Tendenzen huldigt , und von allem , was Ihnen verdächtig oder sonstwie wissenswürdig erschiene , dem Senat unverzüglichen und eingehenden Bericht zu erstatten . Für diese Dienste wäre man geneigt , Ihnen fürs erste einen monatlichen Gehalt von zweihundertfünfzig Lire auszusetzen , abgesehen von Extragratifikationen in einzelnen besonders wichtigen Fällen , sowie Ihnen natürlich auch alle Ihnen in Ausübung Ihres Dienstes erwachsenden Kosten ( als da sind Freihalten des einen oder andern Individuums , kleine Geschenke an Frauenspersonen usw. ) ohne Bedenklichkeit und Knickerei ersetzt würden . Ich verhehle mir keineswegs , daß Sie gewisse Skrupel werden niederzukämpfen haben , ehe Sie sich in dem von uns gewünschten Sinne entscheiden sollten ; aber erlauben Sie mir als Ihrem alten und aufrichtigen Freunde ( der auch einmal jung gewesen ist ) , Ihnen zur Erwägung zu geben , daß es niemals als unehrenhaft gelten kann , seinem geliebten Vaterlande irgendeinen für dessen gesichertes Weiterbestehen notwendigen Dienst zu erweisen , auch wenn es ein Dienst von einer Art wäre , wie sie dem oberflächlich und nicht patriotisch denkenden Bürger als minder würdig zu erscheinen pflegen . Auch möchte ich noch hinzufügen , daß Sie , Casanova , ja Menschenkenner genug sind , um den Leichtfertigen vom Verbrecher oder den Spötter vom Ketzer zu unterscheiden ; und so werden Sie selbst es in der Hand haben , in berücksichtigungswerten Fällen Gnade vor Recht ergehen zu lassen , und immer nur denjenigen der Strafe zuzuführen , dem eine solche Ihrer eigenen Überzeugung nach gebührt . Vor allem aber bedenken Sie , daß die Erfüllung Ihres sehnlichsten Wunsches – Ihre Rückkehr in die Vaterstadt – wenn Sie den gnädigen Vorschlag des Hohen Rates ablehnen sollten , auf lange , ja , wie ; ich fürchte , auf unabsehbare Frist hinausgeschoben wäre , und daß ich selbst , wenn ich auch das hier erwähnen darf , als einundachtzigjähriger Greis nach aller menschlicher Berechnung auf die Freude verzichten müßte , Sie jemals in meinem Leben wiederzusehen . Da Ihre Anstellung aus begreiflichen Gründen nicht so sehr einen öffentlichen als einen vertraulichen Charakter tragen soll , bitte ich Sie , Ihre Antwort , die ich mich anheischig mache , dem Hohen Rate in der nächsten , heute über acht Tage stattfindenden Sitzung mitzuteilen , an mich persönlich zu adressieren ; und zwar mit möglichster Beschleunigung , da , wie ich schon oben andeutete , täglich Gesuche von zum Teil höchst vertrauenswürdigen Personen an uns gelangen , die sich dem Hohen Rat aus Liebe zum Vaterland freiwillig zur Verfügung stellen . Freilich gibt es kaum einen unter diesen , der es an Erfahrung und Geist mit Ihnen , mein lieber Casanova , aufzunehmen imstande wäre ; und wenn Sie zu alldem noch meine Sympathie für Sie ein wenig in Betracht ziehen , so kann ich kaum daran zweifeln , daß Sie dem Rufe , der von so hoher und wohlgeneigter Stelle an Sie ergeht , freudig Folge leisten werden . Bis dahin bin ich in unveränderlicher Freundschaft Ihr anhänglicher Bragadino . Nachschrift . Es wird mir angenehm sein , Ihnen sofort nach Ankündigung Ihres Entschlusses einen Wechsel im Betrage von zweihundert Lire auf das Bankhaus Valori in Mantua zur Bestreitung der Reisekosten auszustellen . Der Obige . « Casanova hatte längst zu Ende gelesen , aber noch immer hielt er das Blatt vors Gesicht , um die Totenblässe seiner verzerrten Züge nicht merken zu lassen . Das Geräusch des Mahles mit Tellergeklapper und Gläsergeklirr ging indes weiter , doch niemand sprach ein Wort . Endlich ließ sich Amalia schüchtern vernehmen : » Die Schüssel wird kalt , Chevalier , wollen Sie sich nicht bedienen ? « – » Ich danke « , sagte Casanova und ließ sein Antlitz wieder sehen , dem er nun dank seiner außerordentlichen Verstellungskunst einen ruhigen Ausdruck zu verleihen vermocht hatte . » Es sind vortreffliche Nachrichten , die ich hier aus Venedig erhalten habe , und ich muß unverzüglich meine Antwort absenden . Ich bitte daher um Entschuldigung , wenn ich mich sofort zurückziehe . « – » Tun Sie ganz nach Ihrem Belieben , Chevalier « , sagte Olivo . » Aber vergessen Sie nicht , daß in einer Stunde das Spiel beginnt . « Casanova ging auf sein Zimmer , sank auf einen Stuhl , kalter Schweiß brach an seinem ganzen Körper aus , Frost warf ihn hin und her , und der Ekel stieg ihm bis zum Halse hinauf , so daß er glaubte , auf der Stelle ersticken zu müssen . Einen klaren Gedanken zu fassen war er vorerst außerstande , und seine ganze Kraft verwandte er darauf , sich zurückzuhalten , ohne daß er zu sagen gewußt hätte , wovor . Denn hier im Hause war ja niemand , an dem er seinen ungeheuren Zorn hätte austoben können , und den dumpfen Einfall , daß Marcolina irgendwie an der namenlosen Schmach mitschuldig sei , die ihm widerfahren , vermochte er immerhin noch als Tollheit zu erkennen . Als er sich zur Not gesammelt , war sein erster Gedanke , an den Schurken Rache zu nehmen , die geglaubt hatten , ihn als Polizeispion dingen zu können . In irgendeiner Verkleidung wollte er sich nach Venedig schleichen und all die Wichte auf listige Weise vom Leben zum Tode bringen – oder wenigstens den einen , der den jämmerlichen Plan ausgeheckt hatte . War es etwa gar Bragadino selbst ? Warum nicht ? Ein Greis – so schamlos geworden , daß er diesen Brief an Casanova zu schreiben wagte , – so schwachsinnig , daß er Casanova – Casanova ! den er doch einst gekannt hatte – für einen Spion eben gut genug hielt ! Ah , er kannte eben Casanova nicht mehr ! Niemand kannte ihn mehr , so wenig in Venedig als anderswo . Aber man sollte ihn wieder kennen lernen . Er war freilich nicht mehr jung und schön genug , um ein tugendhaftes Mädchen zu verführen – und kaum mehr gewandt und gelenkig genug , um aus Kerkern zu entwischen und auf Dachfirsten zu turnen – aber klüger war er noch immer als alle ! Und wenn er nur einmal in Venedig war , so konnte er dort treiben und lassen , was ihm beliebte ; es kam nur darauf an , endlich dort zu sein ! Dann war es vielleicht gar nicht nötig , irgendwen umzubringen ; es gab allerlei Arten von Rache , witzigere , teuflischere , als eine gewöhnliche Mordtat wäre ; und wenn man zum Schein etwa den Antrag der Herren annahm , so war es die leichteste Sache von der Welt , gerade diejenigen Leute zu verderben , die man verderben wollte , und nicht diejenigen , auf die es der Hohe Rat abgesehen hatte und die unter allen Venezianern gewiß die allerbravsten Kerle waren ! Wie ? Weil sie Feinde dieser niederträchtigen Regierung waren , weil sie als Ketzer galten , sollten sie in dieselben Bleikammern , wo er vor fünfundzwanzig Jahren geschmachtet , oder gar unters Beil ? Er haßte die Regierung noch hundertmal mehr und mit bessern Gründen als jene taten , und ein Ketzer war er sein Leben lang gewesen , war es heute noch und mit heiligerer Überzeugung als sie alle ! Er hatte sich ja selber nur eine vertrackte Komödie vorgespielt in diesen letzten Jahren – aus Langeweile und Ekel . Er an Gott glauben ? Was war denn das für ein Gott , der nur den Jungen hold war und die Alten im Stich ließ ? Ein Gott , der sich , wann es ihm beliebte , zum Teufel wandelte , Reichtum in Armut , Unglück in Glück und Lust in Verzweiflung kehrte ? Hast du deinen Spaß mit uns – und wir sollen zu dir beten ? – An dir zweifeln ist das einzige Mittel , das uns bleibt – dich nicht zu lästern ! – Sei nicht ! Denn , wenn du bist , so muß ich dir fluchen ! Er ballte die Fäuste zum Himmel , er reckte sich auf . Unwillkürlich drängte sich ein verhaßter Name auf seine Lippen . Voltaire ! Ja , nun war er in der rechten Verfassung , seine Schrift gegen den alten Weisen von Ferney zu vollenden . Zu vollenden ? Nein , nun erst sollte sie begonnen werden . Eine neue ! Eine andre ! – in der der lächerliche Greis hergenommen werden sollte , wie er es verdiente ... um seiner Vorsicht , seiner Halbheit , seiner Kriecherei willen . Ein Ungläubiger der ? Von dem man in der letzten Zeit immer wieder hörte , daß er sich aufs trefflichste mit den Pfaffen stand und zur Kirche , an Festtagen sogar zur Beichte ging ? Ein Ketzer der ? Ein Schwätzer , ein großsprecherischer Feigling – nichts andres ! Nun aber war die fürchterliche Abrechnung nah , nach der von dem großen Philosophen nichts übrigbleiben sollte als ein kleines witziges Schreiberlein . Wie hatte er sich aufgespielt , der gute Herr Voltaire ... » Ah , mein guter Herr Casanova , ich bin Ihnen ernstlich böse . Was gehen mich die Werke des Herrn Merlin an ? Sie sind schuld , daß ich vier Stunden mit Dummheiten verbracht habe . « – Geschmackssache , mein bester Herr Voltaire ! Man wird die Werke Merlins noch lesen , wenn die Pucelle längst vergessen ist ... und auch meine Sonette wird man möglicherweise dann noch schätzen , die Sie mir mit einem so unverschämten Lächeln zurückgaben , ohne ein Wort darüber zu äußern . Doch das sind Kleinigkeiten . Wir wollen eine große Angelegenheit nicht durch schriftstellerische Empfindlichkeiten verwirren . Es handelt sich um die Philosophie – um Gott ... ! Wir wollen die Klingen kreuzen , Herr Voltaire , sterben Sie mir nur gefälligst nicht zu früh . Schon dachte er daran , seine Arbeit auf der Stelle zu beginnen , als ihm einfiel , daß der Bote auf Antwort wartete . Und mit fliegender Hand entwarf er einen Brief an den alten Dummkopf Bragadino , einen Brief voll geheuchelter Demut und verlogenen Entzückens : er nehme die Gnade des Hohen Rats mit freudiger Dankbarkeit an und erwarte den Wechsel mit wendender Post , um sich seinen Gönnern , vor allem seinem hochverehrten väterlichen Freunde Bragadino sobald als möglich zu Füßen legen zu dürfen . Während er eben daran war , den Brief zu versiegeln , klopfte es leise an die Tür ; Olivos ältestes Töchterlein , die Dreizehnjährige , trat ein und bestellte , daß die ganze Gesellschaft bereits versammelt sei und den Chevalier mit Ungeduld zum Spiel erwarte . In ihren Augen glimmte es sonderbar , ihre Wangen waren gerötet , das frauenhaft dichte Haar spielte bläulichschwarz um ihre Schläfen ; der kindliche Mund war halb geöffnet : » Hast du Wein getrunken , Teresina ? « fragte Casanova und machte einen langen Schritt auf sie zu . – » Wahrhaftig – und der Herr Chevalier merken das gleich ? « Sie wurde noch röter , und wie in Verlegenheit strich sie sich mit der Zunge über die Unterlippe . Casanova packte sie bei den Schultern , hauchte ihr seinen Atem ins Gesicht , zog sie mit sich , warf sie aufs Bett ; sie sah ihn mit großen , hilflosen Augen an , in denen das Glimmen erloschen war ; doch als sie ihren Mund wie zum Schreien öffnete , zeigte ihr Casanova eine so drohende Miene , daß sie fast erstarrte und alles mit sich geschehen ließ , was ihm beliebte . Er küßte sie zärtlich wild und flüsterte : » Du mußt es dem Abbate nicht sagen , Teresina , auch in der Beichte nicht . Und wenn du später einen Liebhaber kriegst oder einen Bräutigam oder gar einen Mann , der braucht es auch nicht zu wissen .