Erstes Kapitel Die Generalin von Palikow und Fräulein Malwine Bork , ihre langjährige Gesellschafterin und Freundin , kamen in das Wohnzimmer . Sie wollten sich ein wenig erholen . Die Generalin setzte sich auf das Sofa , das frisch mit einem blanken , schwarz und roten Kattun bezogen war . Sie war sehr erhitzt und löste die Haubenbänder unterm Kinn . Das lila Sommerkleid knisterte leicht , die weißen Haarkuchen an den Schläfen waren verschoben und sie atmete stark . Sie schwieg eine Weile und schaute mit den ein wenig hervorstehenden grellblauen Augen kritisch im Zimmer umher . Das Zimmer war weiß getüncht , wenig schwere Möbel standen an den Wänden umher und über die Bretter des Fußbodens war Sand gestreut , der in der Abendsonne glitzerte . Es roch hier nach Kalk und Seemoos . » Hart , « sagte die Generalin und legte ihre Hand auf das Sofa . Fräulein Bork neigte den Kopf mit dem leicht ergrauten Haar auf die linke Schulter , blickte schief durch die Gläser ihres Kneifers auf die Generalin , und das bräunliche Gesicht , das aussah wie das Gesicht eines klugen älteren Herrn , lächelte ein nachdenkliches , verzeihendes Lächeln . » Das Sofa , « sagte sie , » natürlich , aber man kann es nicht anders verlangen . Für die Verhältnisse ist es doch sehr gut . « » Liebe Malwine , « meinte die Generalin , » Sie haben die Angewohnheit , alles gegen mich zu verteidigen . Ich greife das Sofa gar nicht an , ich sage nur , es ist hart , das wird man doch noch dürfen . « Fräulein Bork erwiderte darauf nichts , sie lächelte ihr verzeihendes Lächeln und schaute schief durch ihren Kneifer jetzt zum Fenster hinaus auf den kleinen Garten , der davor lag . Salat und Kohl wuchsen dort recht kümmerlich , Sonnenblumen standen da mit großen schwarzen Herzen und über alledem lag ein leichter blonder Staubschleier . Dahinter der Strand grell orange in der Abendsonne , endlich das Meer undeutlich von all dem unruhigen Glanze , der auf ihm schwamm , von den zwei regelmäßigen weißen Strichen der Brandungswellen umsäumt . Und ein Rauschen kam herüber eintönig , wie von einem schläfrigen Taktstock geleitet . Die Generalin hatte den Bullenkrug für den Sommer gemietet , um hier an der See ihre Familie um sich zu versammeln . Vor drei Tagen war sie mit Fräulein Bork , Frau Klinke , der Mamsell , und Ernestine , dem kleinen Dienstmädchen , hier angelangt , um alles einzurichten . Es erforderte Arbeit und Nachdenken genug , für alle diese Menschen Platz zu schaffen und nicht nur Platz , » denn , « pflegte die Generalin zu sagen , » ich kenne meine Kinder , bei allem , was ich gebe , sind sie kritisch wie ein Theaterpublikum « . Heute nun war die Tochter der Generalin , die Baronin von Buttlär , mit , den Kindern , den beiden eben erwachsenen Mädchen Lolo und Nini und dem fünfzehnjährigen Wedig , angelangt . Der Baron Buttlär sollte nachkommen , sobald die Heuernte beendet war , und Lolos Bräutigam Hilmar von dem Hamm , Leutnant bei den Braunschweiger Husaren , wurde auch erwartet . » Werden sie auch heute abend alle satt werden ? « begann die Generalin wieder . » Die Reise macht hungrig . « » Ich denke , « erwiderte Fräulein Bork , » da sind die Fische , die Kartoffeln , die Erdbeeren , und Wedig hat sein Beefsteak . « » So , so , « meinte die Generalin , » übrigens der Junge wird es im Leben nicht leicht haben , wenn er immer sein Beefsteak haben muß . « Fräulein Bork zuckte mit den Achseln und sagte entschuldigend : » Er ist so zart . « Aber das ärgerte die Generalin : » Gewiß , ich gönne ihm sein Beefsteak , Sie brauchen ihn nicht zu verteidigen . Nur finde ich , liebe Malwine , daß Sie keinen rechten Sinn haben für das , was man allgemeine Bemerkungen nennt . « Dann schwiegen die beiden Damen wieder . Draußen von der Holzveranda tönte Lärm herüber , Tellergeklapper und hohe Stimmen . Ernestine deckte dort den Tisch für das Abendessen und stritt dabei mit Wedig . Auch Lolo und Nini waren erschienen , sie lehnten an der Holzbrüstung der Veranda schmal und schlank in ihren blauen Sommerkleidern . Der Seewind fuhr ihnen in das leichte rote Haar und ließ es hübsch um die Gesichter mit den fast krankhaft feinen Zügen flattern . Die Mädchen zogen ein wenig die Augenbrauen zusammen und schauten mit den blanken braunroten Augen unverwandt auf das Meer und öffneten die Lippen , als wollten sie lächeln , aber das große bewegte Leuchten vor ihnen machte sie schwindelig . Auch Wedig hatte sich nun zu ihnen gesellt und schaute auch schweigend hinaus . Das kränkliche Knabengesicht verzog sich , als täte all dieses Licht ihm weh . » So , « sagte die Generalin drinnen zu Fräulein Bork , » das war ein angenehmer stiller Augenblick . Ich höre , meine Tochter kommt die Treppe herunter , nun kann es wieder losgehen . « Frau von Buttlär hatte ein wenig geschlafen , trug ihren Morgenrock und hüllte sich fröstelnd in ein wollenes Tuch . Sie mochte früher das hübsche überzarte Gesicht ihrer Töchter gehabt haben , jetzt waren die Wangen eingefallen und die Haut leicht vergilbt . Aufgebraucht von Mutterschaft und Hausfrauentum war sie sich ihres Rechtes bewußt , kränklich zu sein und nicht mehr viel auf ihr Äußeres zu geben . Man setzte sich auf der Veranda zur Abendmahlzeit nieder an den Tisch , über den das rote Abendlicht hinflutete und der Seewind an dem Tischtuch und den Servietten zerrte . Das machte die Gesellschaft schweigsam , so das Meer vor sich , war es , als sei man nicht allein , nicht unter sich . » Ich habe mir das Meer größer gedacht « , erklärte Wedig endlich . » Natürlich , mein Sohn « , meinte die Generalin . » Du willst wohl für dich ein Extrameer . « Frau von Buttlär lächelte gerührt und sagte leise : » Er hat so viel Phantasie . « Fräulein Bork sah Wedig schief durch ihren Kneifer an und meinte : » An die Phantasie des Kindes reicht selbst das Weltmeer nicht hinan . « Nun begann Frau von Buttlär mit ihrer Mutter ein Gespräch über Repenow , ihr Gut , über Dinge , die sie anzuordnen vergessen hatte , von Gemüsen , die eingemacht werden sollten , und Dienstboten , die unzuverlässig waren , lauter Sachen , die seltsam fremd und unpassend in das Rauschen des Meeres hineinklangen , dachte Lolo . Aber unten am Tisch war ein Streit entstanden zwischen Wedig und Ernestine . » Ernestine , « sagte Fräulein Bork streng , » wie oft habe ich es dir nicht gesagt , du darfst beim Servieren nicht sprechen . Oh ! Cet enfant ! « setzte sie hinzu und seufzte . Die Generalin lachte . » Ja , unsere Bork hat es mit Ernestines Erziehung schwer , denkt euch , heute mittag entschließt sich das Mädchen zu baden . Sie geht ins Meer nackt wie ein Finger , am hellen Mittag . « – » Aber Mama ! « flüsterte Frau von Buttlär , die Mädchen beugten sich auf ihre Teller nieder , während Wedig nachdenklich Ernestine nachschaute , die kichernd verschwand . Das Abendlicht legte sich jetzt plötzlich ganz grellrot und unwahrscheinlich über den Tisch und Fräulein Bork schrie auf : » Seht doch ! « Alle fuhren mit den Köpfen herum . An dem blaßblauen Himmel standen riesige kupferrote Wolken und auf dem dunkelwerdenden Meer schwamm es wie große Stücke rotglänzenden Metalls , während die am Ufer zergehenden Wellen den Sand wie mit rosa Musselintüchern überdeckten . Wedig blinzelte mit den roten Wimpern und verzog wieder sein Gesicht , als schmerzte es ihn . » Das ist allerdings rot « , meinte er . Die Generalin jedoch war unzufrieden : » Sie haben mich erschreckt , Malwine , Sie haben eine Art , auf Naturschönheiten aufmerksam zu machen , daß man jedesmal zusammenfährt und glaubt , eine Wespe sitze einem irgendwo im Gesicht . « Die Mahlzeit war zu Ende , die Mädchen und Wedig stellten sich an die Verandabrüstung , um auf das Meer zu starren . Frau von Buttlär hüllte sich fester in ihr Tuch und sprach mit leiser , besorgter Stimme von ihren häuslichen Angelegenheiten . Die gewaltsamen Farben am Himmel erloschen jäh . Die farblose Durchsichtigkeit der Sommerdämmerung legte sich über das Land , und das Meer , jetzt lichtlos , schien plötzlich unendlich groß und fremd . Auch das Rauschen war nicht mehr so geordnet eintönig und taktmäßig ; es war , als ließen sich die einzelnen Wellenstimmen unterscheiden , wie sie einander riefen und sich in das Wort fielen . Klein und dunkel hockten die Fischerhäuser auf den fahlen Dünen , hie und da erwachte in ihnen ein gelbes Lichtpünktchen , das kurzsichtig in die aufsteigende Nacht hineinblinzelte . Auf der Veranda war es still geworden . Das seltsame Gefühl , ganz winzig inmitten einer Unendlichkeit zu stehen , gab einem jeden für einen Augenblick einen leichten Schwindel und ließ ihn stillehalten , wie Menschen , die zu fallen fürchten . » Wer wohnt denn dort ? « begann Frau von Buttlär endlich und wies auf eines der Lichtpünktchen am Strande . » Das dort , « erwiderte die Generalin , » das ist das Haus des Strandwächters . Eine verwachsene Exzellenz hat sich bei ihm eingemietet . Du kennst ihn auch , den Geheimrat Knospelius , er ist bei der Reichsbank etwas , er unterschreibt , glaube ich , das Papiergeld . « Ja , Frau von Buttlär erinnerte sich seiner : » So ein Kleiner mit einem Buckel . Recht unheimlich . « » Aber so interessant « , meinte Fräulein Bork . » Und die anderen Häuser ? « fragte Frau von Buttlär weiter . » Das sind Fischerhäuser « , erklärte Fräulein Bork , das größte dort ist das Anwesen des Fischers Wardein und dort , ja , dort wohnt sie doch . « » Sie ? « fragte Frau von Buttlär , beunruhigt davon , daß Fräulein Bork ihre Stimme so geheimnisvoll dämpfte . » Nun ja « , flüsterte Fräulein Bork , » sie , die Gräfin Doralice , Doralice Köhne-Jasky , die wohnt dort mit – nun ja , sagen wir mit ihrem Manne . « Frau von Buttlär verstand noch nicht ganz . – » Doralice Köhne , die Frau des Gesandten , das ist doch die , die mit dem Maler – die wohnt hier , das ist ja aber schrecklich , man kennt sich doch . « Doch die Generalin ärgerte sich : » Was ist dabei Schreckliches , man hat sich gekannt , man kennt sich nicht mehr . Der Strand ist breit genug , um aneinander vorüberzugehen , eine fremde Frau Grill , nichts weiter . Ihr Maler heißt ja wohl Hans Grill . « » Sind sie wenigstens verheiratet ? « klagte Frau von Buttlär . » Ja , sie sagen , ich weiß es nicht « , meinte die Generalin , » das ist auch gleich . Sie wird das Meer nicht unrein machen , wenn sie darin badet . Es ist kein Grund , liebe Bella , ein Gesicht zu machen , als seiest du und deine Kinder nun verloren . « » Und er ist ein ganz gewöhnlicher Mensch « , jammerte Frau von Buttlär weiter . » Ja , « sagte Fräulein Bork , sie sprach noch immer leise , aber ihre Stimme nahm einen zärtlichen , feierlichen Klang an , als rezitiere sie ein Gedicht , » es ist traurig und doch wieder in seiner Art schön , wie der alte Graf das Talent des armen Schulmeistersohnes entdeckt , er ihn ausbilden läßt , wie er ihn auf das Schloß beruft , damit er die junge Gräfin malt , ja und dort – müssen sie sich eben lieben , was können sie dafür . Aber sie wollen nicht die Heimlichkeit und den Betrug . Sie treten zusammen vor den alten Grafen hin und sagen : Wir lieben uns , wir können nicht anders , gib uns frei , und er , der edle Greis – – « » Der alte Narr « , unterbrach sie die Generalin . » Wer sagt Ihnen denn , daß es so gewesen ist , wer ist denn dabei gewesen ? Wahrscheinlich sind nicht die beiden zu dem Alten gekommen , sondern der Alte ist zu den beiden hereingekommen , das sieht denn anders aus . Köhne war immer ein Narr . Wenn man dreißig Jahre älter als seine Frau ist , läßt man seine Frau nicht malen und spielt man nicht den Kunstfreund . Und diese Doralice , ich habe ihre Mutter gekannt , eine dumme Gans , die nichts zu tun hatte im Leben , als Migräne zu haben und zu sagen : › Meine Doralice ist so eigentümlich ! ‹ Ja , eigentümlich ist sie geworden , gleichviel , da ist nichts , um die Augen gen Himmel zu schlagen und zu sagen : Wie schön ! Lassen Sie die Grill Grill sein , liebe Malwine , wenn Sie sie mit Ihren Phantasien zur Heldin des Strandes machen , verdrehen Sie den Kindern den Kopf . Ernestine läuft ohnehin alle Augenblicke zum Strande hinunter , um die fortgelaufene Gräfin zu sehen , das verbitte ich mir . Seien Sie so gut und halten Sie mit Ihrer Poesie an sich . « » Schrecklich , schrecklich « , seufzte Frau von Buttlär . Fräulein Bork aber schien das Schelten der Generalin nicht zu hören , verträumt schaute sie in die Dämmerung hinein , sah , wie die Dämmerung sich sacht aufhellte , der Mond war aufgegangen , Silber mischte sich in das Dunkel der Wellen und der Strand lag hell beleuchtet da . » Da sind sie ! « schrie Fräulein Bork auf . Erschrocken fuhren alle herum . Am Rande der Düne zeichneten sich gegen den hellen Himmel deutlich die Figuren eines großen Mannes und einer Frau ganz nahe beieinander ab . » Dort stehen sie jeden Abend « , flüsterte Fräulein Bork geheimnisvoll . Frau von Buttlär starrte angstvoll zu dem Paare auf der Düne hinüber , dann rief sie erregt : » Kinder , ihr seid noch da , warum geht ihr nicht schlafen ? Ihr seid müde , nein , nein , geht , gute Nacht « , und beruhigte sich erst , als die Kinder fort waren . Da sah sie sich noch einmal das Paar an da drüben , das jetzt eng aneinander geschmiegt den Strand entlang ging , seufzte tief und sagte kummervoll : » Das ist allerdings unerwartet , unerwartet fatal . Wenn ich mich auf etwas freue , kommt immer so etwas dazwischen . Schon der Kinder wegen ist es mir unangenehm . « » Ich weiß , ich weiß « , meinte die Generalin . » Du mußt immer etwas haben , das dich quält , sonst ist dir nicht wohl . Schon als kleines Mädchen , wenn alles sich auf einen Spaziergang freute , sagtest du : was hilft es , es werden doch Steinchen in die Schuhe kommen . Unsere Mädchen ! Die haben genug Disziplin im Leibe . Sag ' ihnen , da ist eine Frau Grill , die nicht gekannt wird , und ich sehe es , wie Lolo und Nini die Lippen zusammenkneifen und gerade vor sich hinsehen , wenn sie an Madame Grill vorübergehen . « » Ja und dann « , begann Frau von Buttlär wieder leise , » offen gestanden , es ist auch wegen Rolf . Die Person ist sehr hübsch , solche Personen sind immer hübsch und Rolf , du weißt – . « Die Generalin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch : » Natürlich , das mußte kommen , du bist jetzt schon auf Madame Grill eifersüchtig . Aber liebe Bella , so ist dein Mann denn doch nicht . Na ja , immer die eine alte Geschichte mit der Gouvernante , die könntest du auch vergessen . Ab und zu mal im Frühjahr regt sich in ihm noch der Kürassieroffizier , das ist eine Art Heuschnupfen . Aber ihr Frauen bringt durch eure Eifersucht die Männer erst auf unnütze Gedanken . Nein , liebe Bella , wozu ist man , was man ist , wozu hat man seine gesellschaftliche Stellung und seinen alten Namen , wenn man sich vor jeder fortgelaufenen kleinen Frau fürchten sollte . Du bist die Freifrau von Buttlär , nicht wahr , und ich bin die Generalin von Palikow , nun also , das heißt , wir beide sind zwei Festungen , zu denen Leute , die nicht zu uns gehören , keinen Zutritt haben ; so , nun wollen wir ruhig schlafen gehen , als gäbe es keine Madame Grill . Wir dekretieren einfach , es gibt keine Madame Grill . « Alle erhoben sich , um in das Haus zu gehen . Fräulein Bork warf noch einen Blick zum Meer hinab und sagte in ihrem mitleidig singenden Ton : » Die Gräfin Doralice war einst auch einmal solch eine arme kleine Festung . « Die Generalin wandte sich in der Tür um : » Bitte , Malwine , meine Vergleiche nicht mit Ihrer Poesie zu umspinnen , dazu mache ich sie nicht . Und dann noch eines , ich bitte , ferner Madame Grill nicht zum Gegenstand Ihres Verteidigungstalentes zu machen , Madame Grill wird nicht verteidigt . « Oben in der Giebelstube , Lolos und Ninis Schlafzimmer , standen die beiden Mädchen noch am Fenster und schauten hinaus . Das mondbeglänzte Meer , das Rauschen und Wehen da draußen ließ ihnen keine Ruhe , es erregte sie fast schmerzhaft , und das Paar , das dort unten an den blanken Säulen der brechenden Wellen hinschritt , gehörte mit zu dem Erregenden und Geheimnisvollen da draußen , das den beiden Mädchen ein seltsames Fieber in das Blut legte . Unten auf der Bank vor der Küche saß Frau Klinke und kühlte im Seewinde ihre heißen Köchinnenhände . Vor ihr stand Ernestine , wies zum Strande hinunter und sagte : » Nee , Frau Klinke , daß die beiden verheiratet sind , das glaube ich nicht . « Hans Grill und Doralice gingen am Meeresufer entlang . Es ging sich gut auf dem feuchten , von den Wellen glattgestrichenen Sande . Zuweilen blieben sie stehen und schauten auf den breiten , sich sacht wiegenden Lichtweg hinab , den der Mond auf das Wasser warf . » Nichts , heute nichts « , sagte Hans und machte eine Handbewegung , als wollte er das Meer beiseite schieben . » Es ziert sich heute , es macht sich klein und süß , um zu gefallen . « » So laß es doch « , bat Doralice . – » Ja , ja , ich lasse es ja « , erwiderte Hans ungeduldig . Als sie weiter schritten , hing Doralice sich ganz fest in Hansens Arm . Sie konnte sich ja gehen lassen , dieser Arm war stark und sie dachte flüchtig an einen anderen zerbrechlichen und zeremoniösen Arm , der ihr feierlich gereicht worden war und auf den sich zu stützen sie nie gewagt hatte . » Du bist müde ? « fragte Hans . » Ja , « erwiderte sie nachdenklich , » diese langen hellen Tage , glaube ich , machen müde . « » Viel haben wir an diesen langen hellen Tagen nicht getan « , bemerkte Hans . » Getan , « fuhr Doralice fort , » nichts . Im Sande gelegen und auf das Meer gesehen . Aber gleichviel , ich konnte doch alles mögliche tun , Dinge , die ich sonst nie getan , unerhörte Dinge , nichts hindert mich . Auf der Reise war das anders , da tut man die Dinge , die im Reisebuch vorgeschrieben sind , aber hier muß das Neue kommen und das macht vielleicht müde . « » Gewiß , gewiß , « begann Hans in seiner eifrigen Art , » Möglichkeiten , natürlich Möglichkeiten , das ist es , was der freie Mensch hat , es ist gleich , ob er etwas tut , aber nichts zwingt ihn , nichts schiebt ihn ; nichts bindet ihn , was er tut und nicht tut , tut er auf eigene Verantwortung , und das kann müde machen , o ja , das kann müde machen « , und Hans lachte ein lautes Ha ! Ha ! auf das Meer hinaus , » freie Menschen , freie Liebe , denn das ist ja gleich , ob ein alter Engländer in London uns durch die Nase etwas gesagt hat , was wir nicht verstanden haben , das bindet nicht . Also freie Menschen , freie Liebe , freie – « Er hielt plötzlich inne und fragte : » Warum lachst du ? « Doralice hatte ihren Kopf zurückgebogen , um zu Hans hinaufzusehen , und sie lachte . Die schmalen , sehr roten Linien der Lippen öffneten sich ein wenig , ließen im Mondschein für einen Augenblick das Weiß der kleinen Zähne durchschimmern . So hell beschienen war das Gesicht sehr hübsch mit seinem kindlichen Oval , den graublauen Augen , in die das Mondlicht ein seltsam farbiges Schillern legte , und dem hellblonden Haar , an dem der Wind zauste . Ja , Doralice mußte immer lachen , wenn Hans seine großen Worte hersagte , jene Worte , die klangen , als hätten sie in Zeitungen oder langweiligen Büchern gestanden , aber wenn Hans sie aussprach , bekamen sie etwas Junges , etwas Lebendiges , sie klangen , als schmeckten sie ihm gut , wenn er sie so zwischen seinen gesunden weißen Zähnen hervorzischte . » O nichts , « sagte Doralice , » sprich nur weiter von deinen freien Menschen . « Allein Hans war empfindlich geworden : » Meine freien Menschen , da ist doch nichts zu lachen « , dann schwieg er . » Du hast ja ganz recht , « meinte Doralice , um ihn zu versöhnen , » vielleicht macht das müde , wenn nichts einen bindet . Bei uns auf dem Lande dort bei der Roggenernte gehen hinter den Mähern Mädchen her , welche die Ähren zu Garben binden . Das ist sehr anstrengend . Um weniger zu ermüden , binden sie sich Tücher ganz fest um die Taille . So war es vielleicht dort , und jetzt , wo mich nichts festbindet – « – » Unsinn , « unterbrach sie Hans , » ich sehe nicht ein , warum du deine Vergleiche von dort hernimmst , von dort sprechen wir doch nicht . « » Nein , von dort sprechen wir nicht « , wiederholte Doralice . Sie kamen am Strandwächterhäuschen vorüber . Durch das geöffnete Fenster scholl eine laute Männerstimme , und ihr antwortete eine Frauenstimme leidenschaftlich und scheltend . Unten am Strande stand der Geheimrat Knospelius , eine kleine , wunderlich verbogene Gestalt , er stand so nah am Wasser , daß sein unförmlicher Schatten sich in den Wellen badete . Als Hans und Doralice sich näherten , grüßte er , zog seinen Panama sehr tief ab , das graue Haar flatterte im Winde , er lächelte und das regelmäßige , bartlose Gesicht sah aus wie ein großes , bleiches Knabengesicht . » Guten Abend « , sagte Hans . Der Geheimrat lachte lautlos in sich hinein und zeigte mit einem merkwürdig langen , dünnen Finger zum Hause des Strandwächters hinauf . » Die streiten wieder « , bemerkte Hans . – » Dort ist immer reger Betrieb « , erwiderte der Geheimrat geheimnisvoll , » die arbeiten am Leben , bis ihnen die Augen zufallen . So was höre ich gern . « » Ja , hm ! « sagte Hans , » guten Abend « , und sie gingen weiter . » Was sagte er ? « fragte Doralice ängstlich . Hans zuckte die Achseln . » Verrückt wahrscheinlich . Solche kleinen Ungetüme sind gewöhnlich ein wenig verrückt . Kennst du ihn denn ? « Doralice dachte nach . » Gewiß , ich kenne ihn . Ich erinnere mich , auf einer großen Gesellschaft war es , es war spät , alle waren müde und warteten auf die Wagen . Da saß plötzlich dieser kleine Mann neben mir . Seine Füße reichten nicht an den Fußboden , sondern hingen wie bei Kindern frei vom Stuhle herunter . Er sah mir ganz frech in die Augen , wie man das sonst nicht tut , und sagte : › Es fällt mir auf , Frau Gräfin , daß jetzt , wo alle schon schläfrig sind , Ihre Augen noch so wach sind ; die warten noch . ‹ Ich machte wohl ein sehr dummes Gesicht und fragte : › Worauf ? ‹ Da lachte er ganz so , wie er jetzt eben lachte , und sagte : › Nun darauf , daß was geschieht , daß was kommt . O , die geben nicht nach , die stehen auf ihrem Posten . ‹ – Mir war das unheimlich , ich war froh , als in dem Augenblick der Wagen gemeldet wurde . « – » Ich weiß nicht , was du noch immer an allen diesen Erinnerungen hast , erquicklich sind sie nicht « , versetzte Hans verstimmt . » Was kann ich dafür « , verteidigte sich Doralice , » ich habe doch noch keine anderen Erinnerungen , und dann , sie kriechen einem doch überall nach . Da steht der Geheimrat Knospelius plötzlich am Strande , drüben im Bullenkrug zieht die Generalin von Palikow und die Baronin Buttlär ein , auf Schritt und Tritt das alte Leben . Weißt du , was ich möchte ? Dort drüben über dem Meer müßte man eine Hängematte aufhängen können , gerade so hoch , daß die Wellen sie nicht erreichen , aber doch so , daß , wenn ich die Hand herabhängen lasse , ich den Wellen in die weißen Bärte fassen kann , und so , siehst du , könnten , glaube ich , keine Erinnerungen kommen und keine Knospelius und Palikows könnten einem begegnen . « Hans blieb nachdenklich stehen : » Du , « sagte er , » das wollen wir machen . « Er ergriff Doralice , legte sie auf seine Arme : » Lieg , « rief er , » wie ein Kind auf den Armen des Paten während der Taufe « , und nun begann er langsam in das Meer hineinzugehen . Regungslos lag Doralice da und schaute hinauf in den Himmel , der bleich von Mondenschein war . Das Wehen , das vom Meere kam , das Rauschen unter ihr , das goldene Fließen und Flimmern ringsumher , all das schien sie zu zwingen und zu schaukeln , und dann war es ihr , als fiele sie , fiele sie in einen Abgrund von Licht , das sie dennoch trug und hielt . » So , so , weiter , weiter , jetzt sind wir ganz bei ihnen , mitten unter ihnen , das dumme Land ist fort . « Doralice sprach mit einer Stimme , wie Schlafende es tun , lachte ein leises , ganz helles Lachen wie Kinder , die auf einer Schaukel sitzen . Sie ließ ihre Hand herabhängen , griff in den Schaum der Wellen , schnalzte mit den Fingern , als wollte sie kleine Hunde springen lassen . » Wie sie zu mir heraufwollen « , rief sie , » kommt , kommt , nein , das ist zu hoch . « Hans stand bis über die Knie im Wasser und lächelte , das Gesicht rot vor Anstrengung . Aber allmählich wurde er müde , es war nicht leicht , sicher im Wasser zu stehen , und langsam zog er sich an das Ufer zurück . Mit einem befriedigten : » So , das war eine Leistung « , setzte er Doralice auf den Sand zurück . Sie schwankte ein wenig auf ihren Füßen wie berauscht , sie legte die Hand auf die Augen , alles um sie her schien noch sacht zu schwanken . Sie mußte sich an Hans anlehnen . » Du siehst « , sagte sie , » ich vertrage dies dumme Land nicht mehr . « – » Das kommt noch « , meinte er , » das Land wird uns jetzt sehr gut schmecken . Eine warme Stube und Rotwein , ich bin naß und mich friert . « – » Ja , gehen wir « , sagte Doralice kleinlaut , » wir gehören ja doch nicht zu denen dort . Aber wie stark du bist , daß du mich so halten konntest . « – » Nicht wahr « , erwiderte Hans stolz , » und weißt du , wie ich dich so hielt , wenn ich denke , das war eigentlich symbolisch , mitten in den Wellen , und ich halte dich . « Aber Doralice sagte müde : » Ach nein , laß es lieber nicht symbolisch sein . « Hans schaute sie verwundert an und murmelte dann ein wenig empfindlich : » Nun dann auch nicht . « Um den Hof des Wardeinschen Anwesens standen die niedrigen strohgedeckten Häuser , der Schuppen , der Stall , der Speicher , in dem jetzt die Familie des Fischers wohnte , und das Wohnhaus , das Hans Grill gemietet hatte . Hier schien die Hitze des Tages noch eingeschlossen zu sein , die Luft war schwer von den Gerüchen des Strohs , der an Schnüren trocknenden Fische und feuchter Netze . Man hörte durch die kleinen geöffneten Fenster den Atem schlafender Menschen , irgendwo schlug ein Hahn auf seiner Stange mit den Flügeln und im Schuppen grunzte ein Schwein im Traum . Und hier fiel von Doralice der Rausch der Weite und des Lichtes ab , ganz jäh , es schmerzte fast körperlich , und als sie durch die Tür traten , die so niedrig war , daß Hans sich tief bücken mußte , sagte Doralice klagend : » So schlüpfen wir denn auch in unser Loch . « – » Ja , ja « meinte Hans eifrig , » das wird gut tun . « In dem kleinen Wohnzimmer brannte eine Petroleumlampe auf dem Tisch , und es fiel Doralice auf , wie häßlich unrein dieses Licht war , mit welch schläfriger Alltäglichkeit es den weißgetünchten Raum füllte . Hans war ganz geschäftig . » Köstlich , köstlich « , sagte er , » setz ' du dich dort in den Korbstuhl , ich bin gleich wieder da . « Er verschwand , kam dann in weichen Filzschuhen zurück , ging ab und zu , holte Gläser , den Rotwein , schenkte die Gläser voll , setzte sich endlich Doralice gegenüber an den Tisch , rieb sich die Hände und lachte über das ganze Gesicht . Er sah sehr jung aus , das Gesicht von der Luft gerötet und der Bart und das kurzgelockte Haar honiggelb , die braunen Augen blinzelten blank vor Freundlichkeit . » Köstlich « , wiederholte er , » das nenne ich eine Lebenslage , man sitzt so beieinander und die Lampe brennt , man hat seinen Rotwein und dazu sein wunderschönes Weib . « Doralice lehnte sich in ihren Korbstuhl zurück und schloß die Augen . » Ach , « sagte sie müde , » nenne mich , bitte , nicht Weib , das klingt so , ich weiß nicht , nach losen blauen Jacken mit weißen Punkten und Kartoffelsuppe . « Hans errötete : » Nein , nein « , sagte er , » also nicht Weib . Weib ist ein schönes deutsches Wort , aber wie du willst , bitte . « Sie schwiegen beide eine Weile . Aus dem Nebenzimmer hörte man deutlich das Schnarchen der alten Agnes , einer fernen Verwandten von Hans Grill , die ihm jetzt die Wirtschaft führte . Agnes hatte eine seltsame , kummervolle und mißmutige Art des Schnarchens . Am Tage versah sie still und pünktlich ihren Dienst , aber das alte Gesicht , in dem die Fältchen wie Sprünge in einem gelben Lack standen , trug stets den Ausdruck einer geduldigen , hochmütigen Ergebenheit . Jetzt schien es Doralice , als käme mit den verschlafenen Lauten alle Bitterkeit heraus , welche die Alte gegen sie hegte . Doralice preßte die schmalen zu roten Lippen fest aufeinander , und wie sie dalag in dem dunkelblauen Kleide mit dem großen weißen Matrosenkragen , die Stirn ganz verdeckt von dem feuchtgewordenen blonden Haar , sah sie aus wie ein kleines Mädchen , das gescholten wird . Nein , auf die Dauer war es unerträglich , dem Murren dort im Nebenzimmer zuzuhören . Alles , alles wurde traurig , wurde sinnlos , sie wußte nicht mehr , warum sie hier saß , warum – . Und Hans , sie öffnete die Augen und schaute ihn an . Er hatte den Kopf auf die Brust sinken lassen , rauchte aus seiner kurzen Pfeife und trank ab und zu in hastigen kleinen Zügen den Wein . » Bist du noch böse , weil du nicht Weib sagen sollst ? « fragte Doralice und versuchte zu lächeln . Hans hob schnell den Kopf , er begann zu sprechen , aber er mußte einige Male dazu ansetzen , denn eine Erregung schnürte ihm die Kehle zusammen . » Weib oder nicht Weib , das ist doch gleich , der Ton ist es , der Ton . Wenn du den hast , dann bist du mir plötzlich ganz weit , ganz fremd , der streicht plötzlich alles aus , was wir miteinander erlebt haben . Ich freue mich darauf , daß es gemütlich sein wird , man wird beieinander sitzen , man wird lachen , man wird glücklich sein und dann sagst du etwas und dieser Ton ist da und es wird sofort kalt und fremd und peinlich , als setzten wir uns drüben im Schloß vor den weißen Serviettenzeltchen mit dem alten Grafen zum Frühstück nieder . « Doralice hörte ihm gespannt zu , diese erregte Stimme , die sich überstürzenden Worte erwärmten sie . Er sollte weiter sprechen . » Wie ist dieser Ton ? « fragte sie . » Wie ? Wie ? « fuhr Hans leidenschaftlich fort . » Wenn dir etwas nicht schmeckt , dann schiebst du den Teller fort und sagst feindselig : › Das will ich nicht . ‹ So , so ist dieser Ton , als ob du mich und unsere ganze gemeinsame Geschichte fortschiebst . Das kannst du ja auch , es ist ja auch dein Recht , sag es doch . « Doralice lächelte jetzt ihr hübsches , strahlendes Lächeln . Sie hob die Arme in die Höhe und reckte sich : » Ach , Hans , das ist ja Unsinn , ich bin einfach müde . Glaubst du , das strengt nicht an , so zwischen Himmel und Meer zu schweben ? « Hans schaute sie erstaunt an , dann begann auch er zu lachen , sein lautes , ein wenig unerzogenes Lachen . » Also das strengt dich an und ich – glaubst du , es ist leicht , fest im Wasser zu stehen und eine Frau über den Wellen zu halten , die Hängematte zu spielen ? « » Du , « meinte Doralice , » du bist ja so stark . « Befriedigt lehnte Hans sich in seinen Stuhl zurück , goß sich Wein ein , er schüttelte sich vor Gemütlichkeit , als sei eine Gefahr glücklich vorübergegangen . » Und all das kommt daher « , erklärte Hans und stach dozierend mit seiner Pfeife in die Luft hinein , » uns fehlt eine gewisse Enge , eine Gebundenheit , Form , Form , Form , das ist es , das macht reizbar und unsicher . Von Unendlichkeiten kann man nicht leben . Immer kann der eine nicht stehen und den anderen zwischen Himmel und Meer in den Mondschein hineinhalten . Also wir müssen unser Leben einteilen , regelmäßige Beschäftigung , Haushalt , eine Alltäglichkeit müssen wir haben , der ewige Feiertag macht uns krank . « » Du könntest ja wieder malen « , warf Doralice hin . » Das werde ich auch « , rief Hans hitzig , » glaubst du , ich werde ruhig dasitzen und von deinem Gelde leben ? « – » Ach was , das dumme Geld . « » Gleichviel , ich werde arbeiten , ich weiß auch , was ich zu malen habe , ich studiere meine Modelle , euch beide . « – » Uns beide ? « » Ja , dich und das Meer . Ihr beide müßt zusammen auf ein Bild und eine Synthese von dir und dem Meer , verstehst du ? « – » Ja so « , bemerkte Doralice , » ob du nicht versuchst , zuerst das Meer zu malen . Du sagtest doch , daß du mich nicht malen kannst . « Das ärgerte Hans wieder . » Ja dort , dort konnte ich dich allerdings nicht malen . Ich war berauscht von dir . Man muß doch seinem Modell auch einigermaßen objektiv gegenüberstehen . « – » Stehst du mir jetzt objektiv gegenüber ? « fragte Doralice verwundert . » Ja , « meinte Hans , » es kommt wenigstens allmählich und das haben wir nötig , etwas Nüchternheit , so eine selbstgeschaffene Bürgerlichkeit , in die man sich fest einschließt . Du sprachst da vorhin wegwerfend von Kartoffelsuppe , ich möchte sagen , kein Leben , auch das idealste , ist möglich , in dem es nicht einige Stunden am Tage nach Kartoffelsuppe riecht . « Er lachte und sah Doralice triumphierend an , stolz auf seine Bemerkung . Doralice seufzte : » Uff , wenn man da nur atmen kann , ganz eng , fest eingesperrt und riecht nach Kartoffelsuppe . Eine Welt , als ob Agnes sie geschaffen hätte . « » Bitte , « sagte Hans empfindlich , » wer da nicht atmen kann , darf hinaus , wir sind freie Menschen , daß wir uns selbst binden , ist unsere Freiheit , aber keiner von uns ist gebunden . « Doralice zog die Augenbrauen in die Höhe und sagte ziemlich schläfrig : » Ach , lassen wir doch die alte Freiheit . Es ist ja ganz hübsch , wenn eine Tür immer offen steht , aber man braucht doch nicht beständig drauf hinzuweisen . Die Freiheit wird dann fast ebenso langweilig wie das › tenue ma chère ‹ dort , du weißt . « Hans schaute Doralice bestürzt an . Er wollte etwas sagen , verschluckte es jedoch . Er erhob sich und begann im Zimmer auf- und abzugehen , er ging schnell , stapfte stark mit seinen Filzschuhen auf den Boden . Doralice folgte ihm neugierig mit den Blicken . Jetzt war er zornig , jetzt würde er leidenschaftlich losbrechen , sie freute sich darauf , sie liebte es , wenn er die Worte so heiß hervorsprudelte und ein Gesicht machte wie ein zorniger Knabe . Das hatte ihr an ihm gefallen dort in der Welt der beständigen Selbstbeherrschung . Aber es wollte nicht kommen , immer noch ging er schnell und schweigend in dem engen Raum umher . Plötzlich blieb er vor Doralice stehen , kniete nieder mit beiden Knien hart auf den Boden schlagend und legte seinen Kopf auf Doralicens Knie und so begann er zu sprechen leise und klagend : » Wie kannst du das sagen , ich – ich – ich weise auf die Tür hin . Aber wenn du zu dieser Tür hinausgingst , dann wäre es aus , dann hätte nichts mehr einen Sinn , dann hätte ich keinen Sinn , dann hätte die ganze Welt keinen Sinn . « Doralice strich mit der Hand ihm leicht über das krause Haar . » Nein , nein « , sagte sie und das klang müde und mitleidig zugleich , » zusammen , wir bleiben zusammen , wir beide sind ja doch miteinander ganz allein . « Hans richtete sich auf , er lachte wieder , zuversichtlich und triumphierend , indem er Doralicens Arm faßte und ihn schüttelte : » Das will ich meinen und ich werde auch dafür sorgen , daß niemand an dich herankommt . « Dann nahm er ihre kleine Gestalt auf seine Arme , wie man ein Kind nimmt , und trug sie in das Schlafzimmer hinüber . Zweites Kapitel Der Morgen dämmerte , als Doralice erwachte . So war es jetzt immer , wenn sie sich niederlegte , schlief sie schnell und tief ein , aber lange vor Sonnenaufgang erwachte sie , und es war mit dem Schlaf zu Ende . Dann lag sie da , die Arme erhoben , die Hände auf ihrem Scheitel gefaltet , die Augen weit offen und schaute der graublauen Helligkeit zu , wie sie durch die weiß- und rotgestreiften Gardinen in das Zimmer drang , den Waschtisch , die beiden plumpen Stühle , den großen gelben Holzschrank aus der Dämmerung herausschälte , das Zimmer erhellte , ohne es zu beleben , gleichsam ohne es zu wecken . Und dieses Zimmer , klein wie eine Schiffskabine , erschien Doralice als etwas ganz und gar nicht zu ihr Gehöriges . Sie lag da wohl in dem schmalen Bett unter der häßlichen rosa Kattundecke , aber sie hatte nicht die Empfindung , als sei dieses die Wirklichkeit , wirklich für sie war noch die Welt des Traums , aus der sie eben emportauchte . Jede Nacht führte er sie in ihr früheres Leben zurück , jede Nacht mußte sie ihr früheres Leben weiter leben . Am besten war es noch , wenn sie sich in dem alten Heimatshause ihrer frühen Jugend dort in der kleinen Provinzstadt befand . Ihre Mutter lag wieder auf der Couchette , hatte Migräne und eine Kompresse von Kölnischem Wasser auf der Stirn . Sie hörte wieder die klagende Stimme : » Mein Kind , wenn du verheiratet sein wirst und ich nicht mehr sein werde , dann wirst du an das , was ich dir gesagt habe , oft zurückdenken . « Und dieses Wort » wenn du verheiratet sein wirst « , das in den Gesprächen ihrer Mutter immer wiederkehrte , gab Doralice wieder das angenehme , geheimnisvolle Erwartungsgefühl . Draußen der schattenlose Garten lag gelb vom Sonnenschein da , die langen Reihen der Johannisbeerbüsche , das Beet mit den Chrysanthemen , die fast keine Blätter und stark geschwollene bronzefarbene Herzen hatten . Auf der Gartenbank schlummerte Miß Plummers . Das gute alte Gesicht rötete sich in der Mittagshitze . Doralice ging unruhig in Kieswegen auf und ab , das eintönige sommerliche Surren um sie her kam ihr wie die Stimme der Einsamkeit und der Ereignislosigkeit vor . Aber gerade hier in dem alten Garten fühlte sie es stets am deutlichsten , daß dort jenseits des Gartenzaunes eine schöne Welt der Ereignisse auf sie wartete . Sie fühlte es körperlich als seltsame Unruhe in ihrem Blut , sie hörte es fast , wie wir das Stimmengewirr eines Festes hören , vor dessen verschlossenen Türen wir stehen . Nun und dann war diese Welt gekommen , in Gestalt des Grafen Köhne-Jasky , des hübschen älteren Herrn , der so stark nach new mown hay roch , Doralice so verblüffende Komplimente machte und so unterhaltende Geschichten erzählte , in denen stets kostbare Sachen und schöne Gegenden vorkamen . Daß Doralice eines Tages ihr weißes Kleid mit der rosa Schärpe anzog , daß ihre Mutter sie weinend umarmte und der kleine kohlschwarze Schnurrbart des Grafen sich in einem Kusse auf ihre Stirn drückte , war etwas , das selbstverständlich notwendig war , etwas , auf das Mutter und Tochter ihr bisheriges Leben über gewartet zu haben schienen . Am häufigsten aber befand Doralice sich im Traum in dem großen Salon der Dresdner Gesandtschaft . Immer lag dann ein winterliches Nachmittagslicht auf dem blanken Parkett . In den süßen Duft der Hyazinthen , die in den Fenstern standen , mischten die großen Ölbilder an der Wand einen leichten Terpentingeruch . Von der anderen Seite des Saals kam ihr Gemahl entgegen , sehr schlank in seinen schwarzen Rock geknüpft , die Bartkommas auf der Oberlippe hinaufgestrichen . Ein wenig zu zierlich aber hübsch sah er aus , wie er so auf sie zukam , die glatte weiße Stirn , die regelmäßige Nase , die langen Augenwimpern . Allein der Traum spielte ein seltsames Spiel , je näher der Graf kam , um so älter wurde dies Gesicht , es welkte , es verwitterte zusehends . Er legte den Arm um Doralicens Taille , nahm ihre Hand und küßte sie . » Scharmant , scharmant « , sagte er , » wieder eine reizende Aufmerksamkeit . Wir haben unsere Ausfahrt aufgegeben , weil wir wußten , daß der Gemahl heut nachmittag ein Stündchen frei hat . Da wollen wir ihm Gesellschaft leisten und ihm selbst den Tee machen . Gute Ehefrauen habe ich schon genug gesehen , Gott sei Dank , es gibt noch welche , aber ma petite comtesse ist eine raffinierte Künstlerin in Ehedelikatessen . « Doralice schwieg und preßte ihre Lippen fest aufeinander und hatte das unangenehm beengende Gefühl , erzogen zu werden . Natürlich hatte sie ausfahren wollen , natürlich hatte sie gar nicht gewußt , daß der Gemahl heute eine Stunde frei hatte und hatte auch gar nicht die Absicht gehabt , ihm Gesellschaft zu leisten . Allein das war seine Erziehungsmethode , er tat , als sei Doralice so , wie er sie wollte . Er lobte sie beständig für das , was er doch erst in sie hineinlegen wollte , er zwang ihr gleichsam eine Doralice nach seinem Sinne auf , indem er tat , als sei sie schon da . Hatte sich Doralice in einer Gesellschaft mit einem jungen Herrn zu gut und zu lustig unterhalten , dann hieß es : » Wir sind ein wenig vielverlangend , ein wenig sensibel , man kann sich die Menschen nicht immer aussuchen ; aber du hast ja recht , der junge Mann hat nicht einwandfreie Manieren , aber soviel es geht , wollen wir ihn fernhalten . « Oder Doralice hatte im Theater bei einem Stück , das dem Grafen mißfiel , zu viel und zu kindlich gelacht , dann bemerkte er beim Nachhausefahren : » Wir sind ein wenig verstimmt : schokiert , wir sind ein wenig zu streng , aber tut nichts , du hast ganz recht , es war ein Fehler von mir , dich in dieses Stück zu bringen . Ich hätte ma petite comtesse besser kennen sollen , vergib dieses Mal . « Und so war es in allen Dingen , diese ihr aufgezwungene fremde Doralice tyrannisierte sie , schüchterte sie ein , beengte sie wie ein Kleid , das nicht für sie gemacht war . Was half es , daß das Leben um sie her oft hübsch und bunt war , daß die schöne Gräfin Jasky gefeiert wurde , es war ja nicht sie , die das alles genießen durfte , es war stets diese unangenehme petite comtesse , die so sensibel und so reserviert war und ihrem Gemahl gegenüber immer recht hatte . Wie eine unerbittliche Gouvernante begleitete sie sie und verleidete ihr alles . Als der Graf Köhne seinen Abschied nahm , als er , wie er es nannte , gestürzt wurde , und sich gekränkt und schmollend auf sein einsames Schloß zurückzog , um sich fortan damit zu beschäftigen , die Geschichte der Köhne-Jaskys zu schreiben und melancholisch zu altern , da war es eine neue Doralice , die Doralice dort auf dem alten Schlosse erwartete . » Ah , ma petite châtelaine ist hier endlich in ihrem wahren Elemente , stille , ruhige , etwas verträumte Beschäftigungen , der wohltätige Engel des Gemahls und des Gutes , das hat uns gefehlt . « Und der stille wohltätige Engel , der sie nun plötzlich war , drückte auf Doralice wie ein bleiernes Gewand . Da kam Hans Grill ins Schloß , um Doralice zu malen , Hans mit seinem lauten Lachen und seinen knabenhaft unbesonnenen Bewegungen und seiner unbesonnenen Art , noch alles , was ihm durch den Kopf ging , unvermittelt und eifrig auszusprechen . » Ich empfehle dir meinen Schützling « , hatte der Graf zu seiner Frau gesagt , » gewiß , als Gesellschafter kommt er nicht in Betracht , du hast ja ganz recht , ihn sehr à distance zu halten , aber dennoch empfehle ich ihn deinem Wohlgefallen . « Es begannen nun die langen Sitzungen in dem nach Norden gelegenen Eckzimmer des Schlosses . Hans stand vor seiner Leinwand , malte und kratzte wieder ab . Dabei sprach er stets , erzählte , fragte , ließ große Worte klingen . Doralice hörte ihm anfangs neugierig zu , es war ihr neu , daß jemand so sorglos sein innerstes Wesen heraussprudelte . Er sprach stets von sich , zuweilen mit ganz kindlicher Zufriedenheit und Prahlsucht , dann vertraute er Doralice gutmütig an , was ihm an sich selber bedenklich schien . » An Charakter fehlt es zuweilen « , sagte er , » ei , ei ! « Was aus diesen Reden aber am stärksten hervorklang , war ein unbändiger Lebensappetit und ein unumschränktes Vertrauen , alles zu erreichen , wonach er greifen würde . » Oh , ich werde es schon machen , da ist mir nicht bange « , hieß es . Doralice tat das wohl , es erregte auch in ihr wieder Lebenshunger , es erweckte in ihr etwas , das sie fast vergessen hatte , ihre Jugend . Von distance war eigentlich nicht mehr die Rede , die allzu sensible châtelaine fiel ganz von ihr ab und es ging jetzt dort in dem Eckzimmer oft sehr heiter und kameradschaftlich zu . Aber zuweilen , wenn sie gerade recht laut lachten , hielten sie plötzlich inne , horchten hinaus . » Still , « sagte Hans , » ich höre seine Stiefel knarren « und es war , als sei eine geheime Zusammengehörigkeit zwischen ihnen beiden eine selbstverständliche Sache . Hans verliebte sich natürlich in Doralice und war diesem Gefühle gegenüber ganz hilflos . Er zeigte es ihr , er sagte es ihr mit einer naiven , fast schamlosen Offenheit und Doralice ließ es geschehen , es war ihr , als faßte das Leben sie mit starken , gewaltsamen Armen und trug sie mit sich fort . Da begann in diesen Spätherbsttagen Doralices Liebesgeschichte . Helle , kalte Tage und dunkle Abende , auf den Beeten , die von dem Nachtfrost gebräunten Georginen und in den Alleen des Parkes welkes Laub , das auch beim vorsichtigsten Schritte raschelte . Wenn Doralice an diese Zeit dachte , empfand sie wieder das seltsame schwüle Brennen ihres Blutes , empfand sie die stete Angst vor etwas Schrecklichem , das kommen sollte , das jeder Liebesstunde auch ihr furchtbar erregendes Fieber beimischte . Wieder empfand sie jenes wunderlich lose , verworrene Gefühl , jenen Fatalismus , der so oft Frauen in ihrem ersten Liebesrausch erfüllt . Dennoch trug Doralice leichter an den Heimlichkeiten und Lügen als Hans . » Ich halte es nicht mehr aus « , sagte er , » immer einen so vor mir zu haben , den ich betrüge , wir wollen fortgehen , oder es ihm sagen . « » Ja , ja « , meinte Doralice . Es wunderte sie selbst , wie gering die Gewissensbisse waren über das Unrecht , das sie ihrem Manne antat , ja , es war fast nur so wie damals , wenn sie Miß Plummers hinterging . » Und er ahnt es « , sagte Hans , » er bewacht uns , man begegnet ihm überall , hast du es bemerkt ? Seine Stiefel knarren nicht mehr , wir müssen ihm zuvorkommen . « Allein der Graf kam ihnen zuvor . Es war ein grauer Nebeltag , Doralice stand im großen Saal am Fenster und schaute zu , wie der Wind die Krone des alten Birnbaums hin- und herbog und die gelben Blätter von den Zweigen riß und sie in toller Jagd durch die Luft wirbelte . Es sah ordentlich aus , als freuten sich diese hellgelben kleinen Blätter , von dem Baume loszukommen , so ausgelassen schwirrten sie dahin . Doralice hörte ihren Gemahl in das Zimmer kommen . Er machte einige kleine knarrende Schritte , rückte den Sessel am Kamin , setzte sich , nahm ein Schüreisen , um , wie er es liebte , im Kaminfeuer herumzustochern . Als er mit einem » ma chère « zu sprechen begann , wandte sie sich um und es fiel ihr auf , daß er krank aussah , daß seine Nase besonders bleich und spitz war . Er schaute nicht auf , sondern blickte auf das Kaminfeuer , in dem er stocherte . » Ma chère « , sagte er , » ich habe deine Geduld bewundert , aber lassen wir es genug sein , ich habe mit Herrn Grill eben vereinbart , daß er uns heute verläßt . Mit dem Bilde wird es ja doch nichts und von dir ist es zu viel verlangt , dich noch der Langeweile dieser Sitzungen und dieser – Gesellschaft zu unterziehen . So werden wir wieder entre nous sein . Recht angenehm , was ? « Doralice war bis in die Mitte des Zimmers gekommen , da stand sie in ihrem schieferfarbenen Wollenkleide , die Arme niederhängend , in der ganzen Gestalt eine Gespanntheit , als wollte sie einen Sprung tun , in den Augen das blanke Flackern der Menschen , die vor einem Sprunge von einem leichten Schwindel ergriffen werden . » Wenn Hans Grill geht , gehe ich auch « , sagte sie und im Bemühen ruhig zu sein , klang ihre Stimme ihr selbst fremd . – » Wie ? Was ? Ich verstehe nicht , ma chère . « Das Schüreisen fiel klirrend aus seiner Hand und Doralice sah wohl , daß er sie gut verstand , daß er längst verstanden haben mußte . Um seine Augen zogen sich viele Fältchen zusammen und die Bartkommas auf seiner Oberlippe zitterten wunderlich . » Ich meine « , fuhr Doralice fort , » daß ich nicht mehr deine Frau bin , daß ich nicht mehr deine Frau sein darf , daß ich mit Hans Grill gehe , daß , daß – « sie hielt inne , Schrecken und Verwunderung über den Anblick des Mannes dort im Sessel ließen sie nicht weiter sprechen . Er knickte in sich zusammen und sein Gesicht verzog sich , wurde klein und runzlig . War das Schmerz ? War das Zorn ? Es hätte auch ein unheimlich scherzhaftes Gesichterschneiden sein können . Mit großen angstvollen Augen starrte Doralice ihn an . Da schüttelte er sich , fuhr sich mit der Hand über das Gesicht , richtete sich stramm auf . » Allons , allons « , murmelte er . Er erhob sich und ging mit steifen zitternden Beinen an das Fenster und schaute hinaus . Doralice wartete angstvoll , aber auch sehr neugierig , was nun kommen würde . Endlich wandte sich der Graf zu ihr um , das Gesicht aschfarben , aber ruhig . Er zog seine Uhr aus der Westentasche , wurde etwas ungeduldig , weil die Kapsel nicht gleich aufspringen wollte , schaute dann aufmerksam auf das Zifferblatt und sagte mit seiner diskreten , höflichen Stimme : » Fünf Uhr dreißig geht der Zug . « Er sah auch nicht auf , als Doralice jetzt langsam aus dem Zimmer ging . » Mein Herz schlug dabei sehr stark « , hatte später Doralice zu Hans Grill gesagt , » ich hörte es schlagen , es schien mir das Lauteste im Zimmer . Ich weiß nicht , was es war , vielleicht war es plötzlich eine sehr starke Freude . « » Natürlich , natürlich « , meinte Hans Grill , » was sollte es denn anderes gewesen sein . « – Drittes Kapitel Im Wardeinschen Anwesen erwachte das Leben , eine Stalltür knarrte , nackte Füße stapften die Holzstufen am Hause auf und ab . Doralice fuhr aus ihrem Sinnen auf , aus dem Weiterleben des nächtlichen Traumes . Das Zimmer war jetzt ganz hell , die Decke mit den großen Streckbalken , die Möbel in ihrer robusten Häßlichkeit ließen sich nicht mehr wegdenken wie vorhin in der wesenlosen Dämmerung , sie riefen Doralice zu ihrer Wirklichkeit zurück , mahnten sie , daß sie zu ihnen gehörte . Die Tür zum Nebenzimmer stand offen , dort schlief Hans . Doralice sah ihn , wie er in seinem Bette auf dem Rücken lag , die Wangen rot , das gelbe Haar wirr in die Stirn fallend , die Lippen halb geöffnet . Er atmete tief und laut , seine breite Brust hob und senkte sich , die Augenbrauen zog er ein wenig zusammen , was dem Gesicht einen Ausdruck verlieh , als sei das Schlafen eine ernste , schwere Arbeit , der er sich mit ganzer Anstrengung widmete . » Der wird's schon machen « , dachte Doralice , » wer so schlafen kann , wer so dabei ist , ist seiner Sache sicher . « Das tröstete sie ein wenig in der unklaren Traurigkeit ihrer Morgenstunden . Aber sie wollte nicht wieder schlafen , sie fürchtete sich davor , zu träumen , wieder hinüberzugleiten in ihr früheres Leben . Sie sprang aus dem Bette und kleidete sich an . Als sie draußen auf die Düne hinaustrat , wehte ein lebhafter , kühler Seewind ihr entgegen . Über einen blaßblauen Himmel zogen eilige hellgraue Wölkchen und auf dem Meere hoben sich die Wellen ohne Schaum , groß und grüngrau , ein mächtiges stilles Atmen , erst näher dem Strande wurden sie lebhafter und ließen die weißen Schaumtücher flattern . Dieses Atmen des Meeres erinnerte Doralice an etwas , was war es ? Ach ja , an Hans , an seine Brust , die sich dort in dem Zimmer eben ruhig und kraftvoll hob und senkte . Sie begann am Strande entlang zu gehen , der Wind fuhr ihr in die Röcke , er trieb sie , sie spürte es deutlich , wie er zu kleinen Stößen ausholte , bald von hinten , bald von der Seite sie anfiel und das war ein köstlich erfrischendes Spiel , so muß es den Wellen zumute sein , sie wiegte sich im Gehen ; es war ihr , als wogte sie , jetzt fuhr ihr ein stärkerer Windstoß in die Haare , schüttelte sie . Doralice machte einen Satz , stieß einen lustigen kleinen Schrei aus . » Jetzt brande ich , jetzt brande ich « , dachte sie . Über ihr antwortete ein schriller Ruf , eine große weiße Möwe hing über dem Wasser , sie schlug mit den Flügeln , warf sich wie von plötzlicher Lust berauscht auf das Wasser nieder und schwamm dort , ein kleiner weißer Punkt auf dieser wogenden grüngrauen Seide . Vor den Fischerhäusern auf der Düne standen Fischerfrauen , ihre grauen Röcke , ihre roten Tücher flatterten und sie schützten die Augen mit der Hand und schauten auf das Meer hinaus nach den Männern , die in der Nacht zum Fischfang hinausgefahren waren . Als Doralice um den Vorsprung einer Düne bog , sah sie den Geheimrat von Knospelius , der vor ihr her den Strand entlang ging . Im gelben Leinenanzug , den Panama im Nacken , einen schönen gelben Setter neben sich , holte er mit dem dicken Spazierstock weit aus , machte große Schritte , warf sich in den Schultern hin und her , hatte , wie es Verwachsene lieben , die Bewegungen starker , großer Leute . Als er Schritte hinter sich hörte , wandte er sich um , er grüßte sehr tief und das große , bleiche Knabengesicht lächelte . Da es schien , als wolle er etwas sagen , blieb Doralice stehen . » Guten Morgen , gnädige Frau « , begann er und schaute mit seinen stahlblauen Augen scharf und aufmerksam hinauf in Doralicens Gesicht , » schon vor Sonnenaufgang auf dem Posten ? « Doralice errötete und lachte : » Es ist Ihnen wohl entfallen , Exzellenz , daß das letztemal , als wir uns sprachen , Sie mir dasselbe sagten , auch so etwas von auf dem Posten stehen . « » So so « , meinte Knospelius , » möglich , ich interessiere mich für diese Sachen . Sie haben ein gutes Gedächtnis . Darf ich Sie einige Schritte begleiten , gnädige Frau ? « Sie nickte , obgleich es ihr nicht recht war , dieses kleine Ungeheuer neben sich zu haben , das sie von unten auf ansah , unbekümmert , wie man einen Kupferstich , nicht wie man einen Menschen anschaut . Im Gehen sprach er mit tiefer Stimme , deren Metall ihm selbst zu gefallen schien . » Mit dem Schlafen , meine Gnädige , scheint es Ihnen hier auch nicht recht gelingen zu wollen . « » Doch , « meinte Doralice , » nur die anderen alle sind so früh auf , die Fischersleute , die Hähne , nun und das Meer schläft ohnehin nicht . « Knospelius lachte jetzt sein lautloses Lachen : » Ja , ja , hier ist Betrieb , hier kann man was lernen . Denn , sehen Sie « , er wurde ernst , sein Gesicht nahm einen bösen , fast haßerfüllten Ausdruck an , » sehen Sie , es gibt nichts Dümmeres , nichts Sinnloseres als die Schlaflosigkeit , als im Bett zu liegen , auf den Schlaf zu warten und nicht schlafen zu können . In solchen Stunden komme ich mir vor wie meiner Menschenrechte beraubt . Ich tue nicht meine Pflicht als Mensch . « » Pflicht als Mensch « , wiederholte Doralice etwas zerstreut . » Ja , gerade so « , fuhr der Geheimrat fort , zänkisch als hätte jemand ihm widersprochen , » meine Pflicht als Mensch ist , zu schlafen oder mein Handwerk als Mensch zu treiben , zu arbeiten wie da die Fischer oder zu lieben wie Sie und der Herr Maler oder zu streiten wie meine Hausleute , gleichviel , eben Menschengeschäfte zu treiben und können wir das nicht , so haben wir zu schlafen . Das weiß mein Karo auch , kann er den Aufgaben seines Hundelebens nicht nachgehen , dann schläft er . Aber was wir in einer schlaflosen Nacht denken und fühlen , ist ganz unnütz , gar nicht zu brauchen , weggeworfenes Leben . Sehen Sie , ich habe viel zu rechnen , das ist mein Beruf , aber in schlaflosen Nächten muß ich auch rechnen , Rechnungen , die nie stimmen , die keinen Sinn und kein Resultat haben , das ist doch menschenunwürdig . Wenn Karo mal so daliegt und mit der Nase im Buche der Natur liest , dann wittert er wirkliche Hasen und wirkliche Hühner , nicht sinnlose Tiere , die es gar nicht gibt ; nein , nein , ich sage , nicht schlafen können ist ein Skandal und dürfte einem gar nicht passieren . « Knospelius schwieg und schaute ärgerlich auf das Meer hinaus . Doralice tat der kleine Mann leid . Es war doch eine Qual , die zu ihr gesprochen hatte , sie wollte ihm etwas Freundliches sagen . Es kam ihr jedoch kühl und flach heraus : » Ich hoffe die Seeluft wird Ihnen gut tun , Exzellenz . « Knospelius begann wieder weiter zu gehen und murmelte : » Ich , ach , es ist nicht das , ich sage es so im allgemeinen . Wenn man wacht , muß man was erleben können und wenn man schlafen will , muß man schlafen können . Das dürfen wir verlangen . « Plötzlich lächelte er , ein hübsches , fast schüchternes Lächeln . » Na ja , wenn es bei dem einen oder anderen so 'ne Bewandtnis hat , wenn da Hindernisse sind , nu so müssen wir uns an die Erlebnisse der anderen halten . Ich interessiere mich sehr für die Erlebnisse der andern , ich kümmere mich hier stark um die Angelegenheiten meiner Nebenmenschen . Ja , ja , was Leben betrifft , bin ich Kommunist , ich leugne das Privateigentum , ha , ha ! « – » Erleben denn die Leute hier so viel ? « fragte Doralice . » O genug « , erwiderte der Geheimrat , » sehen Sie die Fischer , die Kerls haben sich mit dem Meere eingelassen , und das hält in Atem , das können Sie mir glauben . Und dann die Weiber , wie sie dort oben stehen und warten . So zu stehen und auf den Mann oder Sohn zu warten , das spannt an . Haben Sie die Augen dieser Frauen beobachtet ? Das sind Blicke , die nicht so planlos an den Dingen herumwischen , das sind Blicke , die ohne Umweg gerade auf den Punkt treffen , der ihnen wichtig ist , wie der Hammer in der Hand eines guten Handwerkers gerade und hart immer auf den richtigen Fleck schlägt . Und Sie sollten mal diese Augen sehen , wenn so 'n Mann oder Sohn nicht zurückgekehrt ist und die Frau dann tagelang am Strande hin- und herläuft und jeden dunklen Punkt auf dem Wasser oder auf dem Strande erspäht und mit furchtbarer Aufmerksamkeit beobachtet . Das sind Augen , die ihr Handwerk verstehen . Übrigens hat es mich sehr interessiert , daß Sie hergezogen sind . Sie werden schon Farbe in den Betrieb bringen . Es würde mich freuen , den Herrn Maler kennen zu lernen . Es scheint ein lebensvoller Herr zu sein . Das sehe ich gern . Ha , ha , das sehe ich ebenso gern , wie der Bauernfänger den Herrn mit der dicken Brieftasche gern sieht . « Und er lachte lautlos und andauernd über seinen Witz . Der Himmel wurde jetzt farbig , die Wolken am Horizont bekamen dicke goldene Säume und eine Welle von Rot übergoß den Himmel . Auch in das Graugrün des Meeres mischten sich blanke Fäden , und die Höhlungen der brechenden Wellen am Strande füllten sich mit Rosenrot , und plötzlich begann das Meer weiter dem Horizonte zu ganz in Rotgold zu brennen . Knospelius blieb stehen und machte mit seinem langen Arm eine große Bewegung auf das Meer hinaus , als wollte er das Meer vor Doralice ausbreiten . » Sehen Sie « , sagte er , » das ist nun der allmorgendliche Farbenspektakel . Eine hygienische Maßregel . Die Natur wird ganz rücksichtslos da mit all diesem Rot und Gold überschüttet . Das soll anregen wie uns die Morgendusche oder der Morgenkaffee . Wenn Sie noch einige Schritte weiter gehen wollen , so können wir einen hübschen , ja ich sage geradezu einen hübschen Anblick haben . « So gingen sie denn weiter . Sie kamen an eine Stelle des Ufers , wo eine hohe Sanddüne ganz nah bis an das Wasser herantrat , die Wellen unterspülten sie so , daß die Sandwand teilweise eingestürzt war . Bei hohem Seegang waren große Stücke des Erdreichs abgebröckelt und fortgerissen worden , überall klafften Höhlen und Risse , das alles triefte jetzt von rotem Morgenlicht . Hie und da ragte aus dem hellbeschienenen Sande morsches Holzwerk hervor , das metallisch glänzte , und weiße Stücke , die – » Aber , « rief Doralice , » das ist dort eine Hand . « » Allerdings , « erklärte der Geheimrat , » das da ist eine Hand und ein Arm und dort ist ein Schädel hübsch rosa angeleuchtet und in dem verfallenen Sarge dort ein ganzer Mann . Wie Sie sehen , ist dies ein Friedhof , mit dem das Meer langsam aufräumt . Für Friedhofsromantik und Friedhofschauer habe ich wenig übrig , die sind billig . Dies aber gefällt mir . Ein Friedhof , von dem jede Sturmnacht ein Stück abschneidet , wie von einem Kuchen , und aus dem Sande gucken dann all diese Stillen heraus und lassen sich den Seewind um die Knochen wehen . Sehen Sie , wie kokett sie sich im Morgenrot färben , die blühen wie die Rosen . Und dann kommt die Sturmnacht und holt sie ab , dann geht es auf die Reise ins Meer hinaus . Aus dem denkbar Engsten und Stillsten in das Weiteste und Lauteste hinein . Das gefällt mir . Wie auf einer Landungsbrücke stehen die hier und warten auf das Schiff , das sie abholt . Das könnte mich reizen . Da ist doch Betrieb . Dem Tode wird hier das Muffige genommen , mit dem man ihn zu umgeben liebt . Nicht ? « Knospelius schaute zu Doralice auf . Sie war ein wenig bleich geworden , sie preßte die Lippen aufeinander und zog die Augenbrauen zusammen . Es sah aus , als sei sie böse . » Nun , es scheint Ihnen nicht zu gefallen « , bemerkte der Geheimrat , » fürchten Sie sich vielleicht ? Wir werden ja zur Furcht vor diesen Dingen erzogen . « – » Nein , « erwiderte Doralice , » ich fürchte mich nicht . Dies hier ist sehr seltsam . Nur , ich weiß nicht , ich hätte es vielleicht heute morgen lieber nicht gesehen . « » So , so « , meinte der Geheimrat , » dann können wir ja gehen . Sie haben übrigens recht , über den Tod und was mit ihm zusammenhängt nachzudenken ist wohl augenblicklich ganz und gar nicht Ihr Beruf . « Auf dem Rückweg war Doralice schweigsam . Knospelius plauderte behaglich vor sich hin . Die Generalin Palikow , ja , die kannte er . Eine kluge alte Frau , ein wenig laut , und liebte es , die Angelegenheiten anderer Leute fest in ihre Hand zu nehmen . Sie fühlt sich stets verantwortlich für die Angelegenheiten an derer . Der Baron Buttlär , nun – der hat einen wunderschönen blonden Schnurrbart . Wenn er nach Berlin kam , da brauchte er viel Sekt und suchte Abenteuer . Solch ein Schnurrbart verpflichtet eben und macht auch den christlichen Hausvater und Gatten oft unruhig . Die Töchter , übrigens hübsche Mädchen , schmal und biegsam wie Weidenruten . Das ist die moderne Fasson . Junge Mädchen mußten jetzt aussehen wie Arabesken . Er , Knospelius , zog das frühere , das dreidimensionale Format dem heutigen Stile vor . Doralice hörte ihm mit Abneigung zu . Sie fand jetzt ihren Begleiter unheimlich und er verdarb ihr den schönen Morgen . Was ging sie die Welt der Buckligen an , sie sehnte sich nach Menschen mit geradem Rücken . Dazu hatte er eine unangenehme Art , so von unten herauf ihr scharf auf die Lippen zu sehen . Doralice verzog die Lippen , als schmeckte sie etwas Bitteres . Nach Sonnenaufgang hatte sich der Wind gelegt . Das Meer glättete sich und glitzerte weit hinaus . Viele Fischerboote kehrten heim . Von den Dünen liefen die Fischerfrauen zum Strande hinab , schürzten ihre Röcke hoch auf und wateten in das Wasser , um den Männern behilflich zu sein die Boote auf den Sand zu ziehen . Mitten im Brandungsschaum standen alle diese Menschen blank von Wasser und Sonnenschein . » Ah , unsere Fischer « , sagte der Geheimrat . Er trat an eins der Boote heran , begrüßte die Fischer , die er kannte : » Guten Morgen , Andree , guten Morgen , Wardein , nun , hat es sich gelohnt ? « – » Bißchen was ist da « , sagte Wardein und wischte sich den Wellenschaum aus dem grauen Bart . Knospelius beugte sich über den Bootsrand , um die Fische zu sehen , die auf dem Boden des Bootes lagen . Er streifte sich den Rockärmel auf und fuhr mit seinen langen Fingern mitten hinein zwischen die Dorsche mit ihren bleichen Silberleibern , die Butten , die aussahen wie bräunliche Bronzescheiben , an denen wunderlich verzerrte Gesichter sitzen und die Fülle der kleinen Brätlinge , die blank waren wie frischgeprägte Markstücke . Knospelius kniff ein Auge zu und lachte das Lachen eines ausgelassenen Schuljungen . » Betrieb , auch Betrieb « , sagte er . Doralice sah ihm einen Augenblick zu , dann wandte sie sich mit einem kurzen » guten Morgen « ab und ging schnell weiter . Jetzt hatte sie Eile , bei Hans Grill zu sein . Da kam er ihr schon entgegen in seinem weißen Leinenanzug , das Badetuch über der Schulter , das Gesicht rot und über und über lächelnd . Wie er sich freut , mich zu sehen , dachte Doralice , und sie fühlte diese Freude wie etwas , das sie plötzlich erwärmte . Hans legte seinen Arm um ihre Taille , nahm sie an sich , wie man sein Eigentum an sich nimmt . Er hatte schon gebadet , er roch nach Seewasser . » Kalt war 's « , berichtete er , » aber das liebe ich , wenn die Wellen einen ins Fleisch zwicken , willst du nicht auch baden ? « Nein , Doralice wollte später baden . » Ich weiß , ich weiß , « meinte Hans , » du liebst es , wenn das Meer eine lauwarme Tasse Tee ist . Schön , schön . Aber hungrig sind wir , ich habe Agnes gesagt , daß sie für jeden von uns wenigstens vier Eier bereithalten soll . « » Was sagte Agnes ? « fragte Doralice . Hans lachte . » O die , ihr Gesicht versteinerte sich und sie meinte , sie habe nicht gewußt , daß adlige Damen so viel essen müssen . « Viertes Kapitel Der Tag war sehr heiß . Die Generalin hatte die Strandkörbe auf die Düne stellen lassen . Dort saßen sie und ihre Tochter und machten Handarbeit . Fräulein Bork ruhte vor ihnen im Sande und zeichnete das Meer . Sie zeichnete immer das Meer , lange leichtgewellte Linien , am Horizont ein Segelboot . Wedig saß neben seiner Mutter und mußte aus Fénélons » Télémaque « vorlesen . Er las ganz eintönig in einer Art klagender Melodie , die wie das Schlummerlied für diese heiße Stunde klang . Er selbst fühlte sich ganz hoffnungslos , sein Feriengefühl war ihm abhanden gekommen . Dieses ewig glitzernde Meer , dieser heiße Sand , der sich an die Finger hing und sie nervös machte , die Ereignislosigkeit , all das schien Wedig gewöhnlicher Alltag und machte ihn weltschmerzlich . Dazu noch dieser Mentor mit seinen endlosen Reden . Wedig wünschte , er hätte ihm die Nase abreißen können . Frau von Buttlär hörte der Vorlesung nur unaufmerksam zu , nur mechanisch warf sie hin und wieder ein zerstreutes » faites les liaisons , mon enfant « hin . Oft griff sie nach ihrem Opernglase , um zum Strande hinabzusehen , wo Lolo und Nini auf- und abgingen und sich abkühlten , bevor sie in das Wasser gingen . In den roten Badeanzügen , weiße Stoffkappen auf dem Kopf , sahen sie wie sehr schlanke Knaben aus und sie gingen ganz aufrecht , die Beine ihrer Freiheit ungewohnt ein wenig befangen und steif bewegend . » Sagen Sie , Malwine , « fragte die Generalin , » sahen wir in unserer Jugend auch so aus , wenn wir badeten ? « Fräulein Bork kniff das eine Auge zu und lächelte gefühlvoll : » Ach , das ist so hübsch « , meinte sie , » wie kleine rote Silhouetten auf einem grünen Lampenschirm sehen sie aus . « » Ja , o ja « , versetzte die Generalin , » daß das , was wir in unserer Jugend Hüften nannten , immer mehr abkommt ! « Jetzt gingen die Mädchen in das Wasser , vorsichtig wateten sie durch die Brandungswellen , verschwanden zuweilen ganz im weißen Schaum und warfen sich endlich auf das Wasser , um zu schwimmen , zwei rote Striche , in dem weißlichen Grün , das heute die Farbe des Meeres war . Sie waren gute Schwimmerinnen , aber Lolo überholte Nini weit , wunderbar leicht und schnell schoß sie vorwärts , geradeaus , als habe sie ein Ziel . » Aber wohin will sie « , rief Frau von Buttlär , » warum bleiben sie nicht beisammen ? Ich habe ihnen gesagt , sie sollen beisammen bleiben , ich habe ihnen verboten , bis zur zweiten Sandbank zu schwimmen . Lolo ! Lolo ! « Frau von Buttlär rief und winkte mit ihrem Taschentuche , aber der rote Strich dort drüben fuhr immer weiter ins Meer hinaus . » Ich sage es immer « , klagte Frau von Buttlär , » Lolo hat einen schwierigen Charakter , sie kann nicht gehorchen , ihr Mann wird es schwer haben . Lolo ! Lolo ! « » Wer geht denn dort ins Meer ? « fragte Wedig und zeigte zum Strande hinab . » Das « , sagte die Generalin , » muß die Köhne sein . « » Wo ? Was ? « rief Frau von Buttlär . » Ach , nenne sie doch nicht Köhne , Mama , sie heißt doch nicht so . « »– Ach was , « meinte die Generalin , » wenn die Leute beständig ihren Namen ändern , kann mein alter Kopf es nicht behalten , und Grill , wer kann sich das merken , das ist nichts . « Einen Augenblick schwiegen alle und schauten gespannt auf das Meer hinab . Wedig hatte den Télémaque fortgeworfen und legte sich platt in den Sand , lag da wie eine Robbe und starrte vor sich hin . Jetzt kam vielleicht doch ein Ereignis . » Reizend , « bemerkte Fräulein Bork , » marineblau und einen kleinen gelben Dreimaster und wie sie schwimmt ! « » Sehr schick « , brummte Wedig . Das jedoch erregte aufs neue Frau von Buttlärs Aufregung . » Schweig , « herrschte sie ihren Sohn an , sie stand auf , schwenkte ihr Tuch , rief wieder : » Lolo ! Lolo ! Aber sie schwimmen ja aufeinander zu , auf der Sandbank müssen sie sich ja treffen . Ach Gott , mein armes Kind ! « » Na , setz ' dich , Bella , « beruhigte die Generalin ihre Tochter , » jetzt ist es nicht zu ändern . Sie wird Lolo auch nicht gleich anstecken . « » Muß man so etwas erleben « , seufzte Frau von Buttlär und setzte sich kummervoll in den Stuhl zurück . Gespannt folgten alle mit den Augen dem roten und dem marineblauen Punkte dort auf der lichtüberglitzerten Fläche . » Die Dame ist doch zuerst da « , rief Wedig triumphierend . » Lolo scheint müde , sie schwimmt langsam « , bemerkte Fräulein Bork ; » ah , ah , die Gräfin geht ihr entgegen , sie will ihr helfen . « » Unerhört « , stöhnte Frau von Buttlär . » Jetzt reicht sie Lolo die Hand « , meldete Wedig , » ah , jetzt steht Lolo , die Dame legt ihr den Arm um die Taille und Lolo stützt sich auf ihre Schulter . « » Dem setzt man sich aus , wenn man so ohne weiteres ins Meer hinausschwimmt « , klagte Frau von Buttlär . Aber die Generalin ärgerte sich : » Bella , du übertreibst wieder , wenn das Kind müde ist vom Schwimmen , so ist es gut , daß jemand ihr die Hand reicht , und das Kind nimmt die Hand und fragt nicht erst : Sind Sie Ihrem Manne auch treu gewesen ! « Lolo stand drüben auf der Sandbank , sie war bleich geworden und atmete schnell . » Oh , ich halte Sie schon « , sagte Doralice , » legen Sie den Arm auf meine Schulter , so wie man beim Tanzen den Arm auf die Schulter des Herrn legt – so . Es war doch ein wenig zu weit , Sie sind das nicht gewohnt . « » Danke , gnädige Frau « , sagte Lolo und errötete , » jetzt ist mir besser , ich bin das Meer nicht gewohnt und ich wollte dort immer im Blanken schwimmen und das war ein wenig zu weit . « » Nun erholen wir uns noch « , fuhr Doralice fort . » Ja , im Blanken schwimme ich auch gern , die Sonnenstrahlen fahren einem dann so über die Haut wie kleine warme Fische , das liebe ich . Aber wie Ihr Herz schlägt . Zurück schwimmen wir geradeaus , da ist es nur eine kleine Strecke bis zur ersten Sandbank . « Lolo antwortete nicht , sie dachte nur , würde sie doch noch sprechen . Nach der Anstrengung des Schwimmens kam ein köstliches Behagen über sie . Gern wollte sie lange noch so stehen in dem lauen Wasser , sich schwesterlich an diese schöne geheimnisvolle Frau lehnend , diese seltsam schimmernden Augen , diesen Mund mit den schmalen , zu roten Lippen ganz nahe haben . Doralice sprach jetzt von gleichgültigen Dingen , von dem heißen Tage und daß es am Bullenkruge wenig Schatten gebe und vom Schwimmen und Lolo hörte ihr zu wie etwas Erregendem , Verbotenem , dessen Schönheit sie , sie allein jetzt plötzlich erkannt hatte . » Jetzt , denke ich , schwimmen wir « , schlug Doralice vor und sie warfen sich in das Wasser , schwammen dicht nebeneinander , wandten zuweilen die Gesichter einander zu , um sich anzulächeln . » Geht es ? « rief Doralice . » Wir sind gleich da . « » Oh , es geht , es geht schön « , antwortete Lolo . Es war fast so bequem , dachte Lolo , als lägen sie beide auf einer grünen Atlascouchette und könnten sich unterhalten . Ja , das war es , sie wollte sich unterhalten . Sie fühlte sich nicht mehr so befangen wie dort auf der Sandbank . Sollte sie fragen , ob es bei Wardeins sehr eng sei ? Nein , das war zu unpersönlich , so sagte sie denn : » Gnädige Frau , ich sehe Sie jeden Abend von meinem Fenster aus im Mondschein spazierengehen . « » So , « erwiderte Doralice und legte sich auf die Seite , um Lolo ansehen zu können , ihr Gesicht war über und über mit flimmernden Tropfen übersät , » das ist dann wohl Ihr Fenster oben im Giebel , in dem ich jeden Abend Licht sehe ? « » Ja « , rief Lolo begeistert zurück . Es freute sie , daß Doralice zu ihr hinaufgeschaut hatte . Nun waren sie angekommen und gingen ans Ufer . » Es ist hübsch « , meinte Doralice , » so zu zweien zu schwimmen « , und sie reichte Lolo die Hand . Lolo nahm diese kleine feuchte Hand , hielt sie einen Augenblick und führte sie dann schnell an ihre Lippen . Ich – ich danke Ihnen , gnädige Frau « , sagte sie leise . » Nicht doch « , wehrte Doralice , beugte sich vor und küßte Lolo auf den Mund . Von der Düne her aber bewegte sich ein Zug eilig auf Lolo zu . Voran Frau von Buttlär , die unausgesetzt » Lolo ! « rief und mit dem Taschentuch winkte , ihr folgte Fräulein Bork mit dem Badetuche , dann Wedig die Hände in den Hosentaschen und ein ironisches Lächeln auf den Lippen und zuletzt die Generalin erhitzt und ganz außer Atem . Lolo ging dem Zuge ein wenig zögernd entgegen . » Da bist du endlich « , rief Frau von Buttlär , » du bringst mich noch um mit deinen Geschichten . « Lolo ließ sich schweigend in das Badetuch hüllen , man sah ihrem eigensinnigen Gesicht sofort an , daß sie nichts zu ihrer Entschuldigung anführen wollte . Während sie jetzt alle wieder zum Badehause zogen , ging Frau von Buttlär hinter ihrer Tochter her und schalt unausgesetzt : » So etwas kann nur dir passieren , gerade dieser Person in die Arme zu laufen und geküßt hat sie dich . Wie kommt sie darauf , die freche Person ? Und du läßt das geschehen . Von wem wirst du dich nicht noch alles küssen lassen . « Da wandte Lolo ein wenig den Kopf und sagte entschlossen und eigensinnig : » Sie hat mich geküßt , weil ich ihr die Hand geküßt habe . « » Du hast ihr die Hand geküßt « , rief Frau von Buttlär , » hat man so etwas gehört und warum ? ich bitte dich . Diese Person , sie ist ja halbnackt , keine Ärmel und die Dekolletage ! Aber du hast keinen Stolz , du bist verlobt , du sollst eine ehrliche Frau werden ; wir ehrliche Frauen müssen doch Front machen gegen diese Damen und du küßt ihnen die Hände . Dein Bräutigam wird sich freuen . Ach Gott , mir ist ganz übel , so schäme ich mich . « Da legte sich die Generalin ins Mittel , sie schob Lolo in das Badehaus und sagte : » Für jetzt ist es genug , Bella , das Kind ist angegriffen , geschehen ist geschehen , wir werden ihr mit etwas Baldriantee den Kuß der Jasky wieder wegkurieren . « Zu Hause schickte Frau von Buttlär Lolo sofort zu Bett , sie selbst legte sich auch hin und Ernestine lief mit Baldriantee treppauf , treppab . Lolo lag oben in ihrem Zimmer auf ihrem Bett noch immer bleich und schaute mit ihren erregten Augen nachdenklich zur Decke auf . Nini saß neben ihr , sie sprach nichts , sondern schaute Lolo nur wartend an . Endlich begann Lolo zu sprechen , langsam und versonnen : » Ja , sie war herrlich , aber das wußte ich , und daß ich sie werde lieben müssen , das wußte ich auch , aber ich wußte nicht , daß sie etwas an sich hat , das einen weinen machen könnte . Ich hatte so das Gefühl im Halse wie bei ganz rührenden Stellen in Romanen , das ist natürlich deshalb , weil alle so schlecht von ihr sprechen , weil alle so gegen sie sind . Aber ich bin für sie . « – » Ich auch « , sagte Nini . » Du ? « fragte Lolo verwundert . » Du kennst sie ja gar nicht . « – » Das tut nichts « , meinte Nini , » ich war schon für sie den ersten Abend , als ich sie im Mondschein spazieren gehen sah . Aber was wirst du jetzt tun ? « » Ich weiß , was ich tun werde « , sagte Lolo ernst . Sie stand auf , setzte sich an ihren Schreibtisch und begann einen Brief zu schreiben . Nini wartete geduldig und fragte dann : » Hast du an sie geschrieben ? « » O nein « , antwortete Lolo überlegen . » Ich habe mir aus der Stadt sehr viel rote Rosen kommen lassen , die werde ich ihr abends durch das Fenster in ihr Zimmer werfen . « » Und ich « , beschloß Nini , » werde mich so lange üben , bis ich auch zur zweiten Sandbank schwimmen kann , und wenn ich dabei auch ertrinke . « Fünftes Kapitel Es folgten sich Tage mit unbewölktem Himmel und unerbittlichem Sonnenschein . Überall lag dieses heiße grelle Licht , es schwamm und zitterte auf dem Wasser , es sprühte auf dem Sande , erweckte Funken auf den Kieseln und auf den harten Stengeln des Strandhafers und der Seggen . » Man kann sich vor Licht nicht mehr retten « , sagte Hans Grill . Aber auch die Abende und Nächte brachten weder Kühlung noch Dunkel . Ein leichter Westwind bewegte die Schwüle nur , ohne sie zu mildern . In einem dunstigen violetten Gewölk wetterleuchtete es jeden Abend am Horizont und dann kam der Mond fast voll und das Glitzern und Sprühen begann wieder allerorten . » Man möchte zu dieser ewigen Helligkeit sagen « , bemerkte wieder Hans Grill , » ich will meine Ruhe . « Allein auch in den Stuben war diese Ruhe nicht zu finden , dort war es zu eng und zu heiß , und die Dunkelheit legte sich über den Schläfer wie eine dicke schwarze Decke . Selbst die Fischer , die sonst mit einbrechender Dunkelheit in ihre Hütten zu verschwinden pflegten , saßen vor ihren Häusern und starrten auf das Meer hinaus . So saßen die Wardeins auf der langen Bank vor ihrer Haustür , alle waren sie da neben einander aufgereiht wie Seevögel auf einer Klippe . Die achtzigjährige Großmutter , groß und knochig wie ein Mann , legte ihre seltsam knorrigen Hände flach auf die Kniescheiben , um sie zu kühlen . Wardein rauchte seine Pfeife ; seine bleiche Frau hielt das Jüngste an der Brust und die anderen Kinder saßen da im Hemde und wiegten unruhig die nackten Füßchen . Keiner sprach ein Wort , und alle , auch die Kinder , schauten ernst und geduldig gerade vor sich hin . Wenn das Wetterleuchten drüben eilig den Horizont erhellte , wies Wardein stumm mit der Pfeife zu ihm hinüber . Unten am Strande gingen ganz stille Liebespaare hin , sie gingen mit herabhängenden Armen nebeneinander her , träge die Füße über den Sand ziehend . Was sollten sie sich sagen , hier hatte immer seit Menschengedenken das Meer das Wort und wozu ihm unnütz dreinreden . Doralice und Hans wohnten jetzt fast den ganzen Tag in einer Einsenkung der Düne . Hans spannte dort seinen Malschirm aus , breitete eine Decke über den Sand , auf der Doralice liegen konnte , er selbst saß vor seiner Staffelei und malte das Meer . » Das ist das einzige « , behauptete Grill , » wir müssen es machen wie die Hühner , die sich Erdlöcher machen und sich kühlen . « Doralice schloß die Augen und murmelte , fast zu faul um die Lippen zu bewegen : » Ganz still liegen , sich nicht bewegen , denn , spürst du das auch ? in uns da zittert und flackert es immer so wie der Sonnenschein auf dem Wasser . Das macht müde . « » Gut , gut , lieg nur still « , sagte Hans väterlich und beruhigend . Sie schwiegen sie eine Weile , bis Hans seinen Pinsel fortwarf und sich auch auf den Sand ausstreckte . » Es will und will nicht werden « , sagte er ärgerlich . Doralice öffnete die Augen und schaute das Bild auf der Staffelei an und meinte : » Warum , es ist ja ganz gut , das ist durchsichtig , das ist grün . « Hans fuhr auf erregt und eifrig : » Durchsichtig und grün . Ein Stück Glas ist auch durchsichtig , ein Stück Stoff kann grün sein . Nein , das ist noch kein Meer . Das Meer muß gezeichnet werden , siehst du , nur die Linie hat Bewegung und Leben . Ich kann dein blaues Kleid malen , nichts leichteres als das , aber es so zu malen , daß jeder sieht , du steckst da drin unter dem Blauen , das ist die Kunst . Im Meer steckt eben auch unter dem Durchsichtigen und Grünen etwas , das lebt und sich bewegt , und das ist eben das Meer . « » Ah , so ist es « , sagte Doralice wieder mit geschlossenen Augen , » mach ' das doch , Lieber . « » Machen , machen « , wiederholte Hans , » das ist es eben . Ich möchte wissen , wo zum Teufel mein Talent hingekommen ist , es war doch da . « » Bin ich daran schuld ? « fragte Doralice ruhig und schläfrig . Hans antwortete nicht sogleich . Er lag da und starrte zum Himmel auf und dachte nach . Ja , wie war das denn ? Und er begann langsam zu sprechen , wie zu sich selber : » Schuld , eine Schuld kann da nicht sein , aber das ist es , du nimmst jetzt in mir einen so großen Raum ein , daß das Talent nicht mehr Platz hat . Natürlich , das ist es . Du bist doch in mein Leben hereingekommen wie ein Wunder und noch bist du jeden Augenblick ein unbegreifliches Wunder . Wie soll da etwas anderes Platz haben . Immerfort ein Wunder zu erleben , strengt an . « – » Und glaubst du « , unterbrach ihn Doralice ein wenig gereizt , » es strengt nicht an , immer , den ganzen Tag , ein Wunder zu sein ? « Hans lachte gutmütig : » Laß es gut sein , ich gewöhne mich schon an das Wunder . « – » O wirklich , du gewöhnst dich dran « , warf Doralice hin . » Sicher , « fuhr Hans fort , » alles , was uns jetzt selbstverständlich scheint , ist einmal ein Wunder gewesen . Du wirst mir auch selbstverständlich werden . Warte nur , bis wir in unserer Ordnung sind . « Doralice hob ihre Arme hoch über den Kopf empor und streckte sich : » Ach ja , deine Ordnung , nun also erzähle von deiner Ordnung . Ein Häuschen , nicht wahr , damit fängt es doch an ? « » Allerdings ein Häuschen « , begann Hans gereizt , » ein Häuschen irgendwo , sagen wir in einem Vorort von München , ein Häuschen , das deine eigenste Schöpfung ist , der Ausdruck deines Wesens , dort waltest du . Mein Atelier ist natürlich in der Stadt , ich komme zu Mittag heim und du erwartest mich – « – » Das weiß ich alles schon « , unterbrach ihn Doralice , » nur möchte ich wissen , was ich den ganzen Vormittag allein gemacht habe . « » Du hast eben deinen Wirkungskreis « , erklärte Hans , » du hast dein Hauswesen , dem du dein Gepräge gibst . « Doralice zuckte mit den Achseln : » Ach Gott , ich kann doch nicht den ganzen Vormittag allein dasitzen und dem Hauswesen mein Gepräge geben . « Hans errötete und machte ein Gesicht , wie jemand , dem es in allen Gliedern ruckt , weil er einen Knoten nicht aufbringen kann : » Allein , warum allein ? Da werden doch Menschen sein , wir schaffen uns unseren Kreis , unsere Gesellschaft , wir sind an keine Gesellschaft gebunden , wir sind die Schöpfer unserer Gesellschaft , das ist es . « Doralice richtete sich ein wenig auf und sah Hans an und ihre Augen wurden groß und bekamen einen hilflosen , angstvollen Ausdruck : » Menschen , « sagte sie leise , » du weißt doch , ich fürchte mich vor den Menschen . « Hans konnte sich vor dem schmerzhaften Mitleid , das diese Augen in ihm erregten , nur retten , indem er sich in Zorn redete . Er schrie ordentlich : » Fürchten , das sollst du nicht , das darfst du nicht , wenn ich da bin , das ist eine Beleidigung für mich , und wir können nicht immer in einer Einsamkeit leben . Ich will nicht , daß wir Ausnahmen sind . Du sollst nicht für mich das Außerordentliche bleiben , nein , du mußt mein Alltag sein , mein tägliches Brot , dann erst besitze ich dich ganz . Und wir müssen leben wie die anderen Menschen und mit den anderen Menschen . Die Welt ist voll guter herrlicher Menschen , du wirst Frauen finden , großzügige , freidenkende , edle Frauen . « Doralice hatte sich wieder ruhig zurückgelehnt und die Augen geschlossen : » Diese Frauen kenne ich « , bemerkte sie , » sie tragen Velveteen-Reformkleider und sprechen von objektiv und subjektiv . Zwei frühere Schülerinnen besuchten einmal Miß Plummers , die waren so und Miß Plummers nannte sie : very clever indeed ! « Hans hatte die Hände voll Strandhafer , den er in seinem Zorn ringsumher ausriß : » Das ist immer so « , sagte er , » du willst mich nicht verstehen . Weil du deine Gesellschaft verlassen hast , glaubst du , es gäbe keine deiner würdigen Menschen mehr . Das ist Hochmut , oder schämst du dich meiner vor den Menschen ? Sag , schämst du dich meiner ? « Doralice lächelte mit geschlossenen Augen : » Nein , du bist gut « , erwiderte sie , » du bist mir schon recht , nur deine Frau Grill mit dem Gepräge , die ist mir nicht sympathisch , die möchte ich lieber nicht kennenlernen . « » Aber du mußt sie kennenlernen « , rief Hans , » wenn du mich willst , mußt du auch Frau Grill wollen , ich trete für sie ein , ich werde nicht erlauben , daß du sie hochmütig beiseite schiebst . Aber so geht es immer , wir reden und reden , als ob der eine auf der ersten Sandbank steht und der andere auf der zweiten . Und keiner versteht , was der andere sagt , und wir rufen uns nur immer : was ? was ? zu . « Hans war aufgesprungen , er stand vor Doralice und sah sie an . Wie ruhig sie dalag in ihrem gelben Sommerkleide , das heiße Gesicht ganz umflimmert von dem blonden Haar , wie ein friedlich schlafendes ganz junges Mädchen sah sie aus . Nur das Zucken des Mundes mit den schmalen zu roten Lippen sprach von einer Erregung , die in ihr wach war . Weiß sie denn nicht , was ich leide ? dachte Hans . Er drückte seinen Strohhut tiefer in die Stirn und lief die Düne hinab an das Meer . Ins Wasser gehen , schwimmen , das war in solchen Augenblicken noch das einzige , was er tun konnte . Hans Grill hatte nie erwartet , daß das Leben ihn verwöhne , er hatte sich tapfer genug mit Not und Widerwärtigkeiten herumgeschlagen ; aber er hatte ihm vertraut , er hatte es zuweilen hart gefunden , aber nie unverständlich . Alles Unklare in der Welt wurde sofort klar , wenn Hansens zwanzigjähriger Egoismus es zu sich selbst in Beziehung brachte , und alle Rätsel lösten sich , wenn er ihnen die Frage stellte : bist du für oder gegen Hans Grill ? Jetzt aber verstand er nicht mehr . Etwas war in sein Leben gekommen , das es ihm selber fremd machte , als lebte es ein anderer für ihn . Mädchen , und was man so Liebe nennt , waren ihm schon früher begegnet , und so etwas verwirrt zuweilen , man begeht Torheiten , aber verständlich war das und ging schließlich hübsch glatt in das allgemeine Erleben auf . Man mußte nur fest und ein wenig rücksichtslos zugreifen . » Stramm halten , dann verfitzt es sich nicht « , pflegte Hansens Großmutter zu sagen , die für Geld Strümpfe strickte , wenn der kleine Hans vor ihr saß und die Baumwollsträhnen zum Abwickeln hielt . Aber diese Frau hier , warum mußte er sie so schmerzhaft begehren , jetzt , wo er sie besaß ? Warum hatte er nie das ruhige , glückliche Gefühl des Besitzes , warum mußte er , wenn er sie am festesten hielt , stets fürchten , sie zu verlieren ? Alles in ihm war voll von dieser Frau und doch war sie ihm fern . Er verstand nicht , er verstand nicht , und es blieb ihm nichts übrig , als wie ein Raubtier knurrend seine Beute fest zuhalten , damit niemand sie ihm entreiße . Hans hatte sich entkleidet und ging langsam durch die Brandung in das Meer hinein . Ich will es schon erzwingen , dachte er ingrimmig , ich will sie schon in das Hans Grillsche umrechnen . » Ich habe die Ehre « , hörte er eine Stimme neben sich . Unter einer brechenden Welle wie unter einer grünen Glaswölbung stand Knospelius in gelbem Badetrikot . Nun ging die Welle über ihn nieder , verbarg ihn hinter einem weißen Schaumvorhang , gleich darauf tauchte er wieder auf , schüttelte sich , nickte und sagte : » Von Knospelius . Ich habe schon die Ehre gehabt , Ihre Frau Gemahlin zu begrüßen . « Hans verbeugte sich steif . » Heiße Tage « , fuhr der Geheimrat fort , » man kann nicht genug vom Baden haben . Sonst ein hübscher Aufenthalt hier . Nur ein wenig mehr Geselligkeit wäre zu wünschen . Es fängt doch an , sich zu beleben hier . Baron Buttlär kommt nächstens mit seinem künftigen Schwiegersohn . « » Ach , meine Frau und ich sind nicht eben gesellig « , erwiderte Hans und schaute neugierig auf das große , bleiche Knabengesicht nieder . Knospelius lachte . » Ich weiß , ich weiß , Flitterwochen , les jeunes mariés . Einer scharmanten Frau dienen , das ist die Beschäftigung der Beschäftigungen . Jeder normale Mensch hat sie oder sucht sie . Alles andere ist daneben nur Nebenbeschäftigung . Aber ein alter Junggeselle wie ich , der nur Nebenbeschäftigungen hat , muß sich an die Geselligkeit halten . So ein winziges Norderney sollten wir hier gründen . Ich erlaube mir , bei Ihnen nächstens meine Aufwartung zu machen . « » Ich glaube « , meinte Hans , » die meisten suchen hier die Einsamkeit . « Während er sprach , verschwand der Geheimrat unter einer Welle , wie eine Maus in der Ackerfurche . Als er wieder auftauchte , hob er dozierend seinen langen Finger und sagte : » Das sind immer die heitersten Gesellschaften , die aus lauter Leuten bestehen , welche die Einsamkeit suchen . Jetzt muß ich hinaus , mein Klaus erwartet mich bereits . « Er verbeugte sich förmlich und ging dem Strande zu , wo ein sehr großer , ernster Mann mit einem Badetuche seiner harrte . Hans zuckte die Achseln . Was will der wieder ? dachte er . Lauter ganz unwahrscheinliches Zeug hängt sich jetzt an einen . Er ging weiter , begann dann zu schwimmen , schwamm weit auf das Meer hinaus . Das tat wohl . Da war nichts Unverständliches , man regt kräftig Arme und Beine , durchschneidet das Wasser und bleibt immer oben und kümmert sich um all die dunklen Tiefen nicht , die unter einem liegen . Das Bad hatte Hans gut getan ; er fühlte sich seiner selbst sicherer und hatte wieder das Vertrauen , daß er es schon machen würde . Als er zur Düne emporstieg , fand er Knospelius bei Doralice . Er hörte schon von weitem , wie sie lachten . Wieder der , dachte Hans mit jenem ärgerlichen Gefühl , das wir zu haben pflegen , wenn eine Fliege sich uns immer wieder auf die Nase setzt . Der Geheimrat saß auf Hansens Malstuhl und sprach angeregt . Doralice hatte sich aufgerichtet , stützte sich auf ihren Ellenbogen , das Gesicht über und über rosa , hörte ihm zu mit dem liebenswürdigen , ein wenig befangenen Ausdruck , den junge Frauen haben , die zum ersten Male in ihrem Salon empfangen . » Sie sehen « , rief der Geheimrat Hans entgegen , » ich mache mit der Geselligkeit gleich den Anfang . Ich habe Ihrer Frau Gemahlin eben ein Kompliment über die Lebenslage gemacht . Famos ! Für einen Maler geradezu unbezahlbar . Der gelbe Sand , der gelbe Batist des Kleides , das goldene Haar , eine Symphonie in Blond . Nicht ? « » Ja , hm « , knurrte Hans . – » Jetzt aber muß ich gehen « , fuhr Knospelius fort und kletterte von seinem Stuhl herab . » Ich will noch einen Besuch bei Buttlärs machen . Zum Abschied noch un mot pour rire . Die Frau von Lossow mit den sieben Töchtern , Sie kennen sie , sagte mir , als Karoline , die dritte , sich mit dem nationalliberalen Doktor Krapp verlobte : › Es tut mir leid , wir Lossows waren immer konservativ , aber wenn man so viel Töchter zu verheiraten hat , kann man sich nicht nur an eine Partei halten . ‹ Was ? Nett ? Blockpolitik in der Familie . « Er lachte selbst herzlich über seine Anekdote und , was Hans wunderte , Doralice lachte auch darüber . Konnte sie das unterhaltend finden ? Als der Geheimrat gegangen war , streckte Hans sich schweigend auf dem Sande aus . Auch Doralice schwieg eine Weile . Sie starrte zum Himmel auf und lächelte noch immer das liebenswürdige Gesellschaftslächeln . Lächelt sie noch immer über die Geschichte des Buckligen ? dachte Hans . Endlich sagte sie : » Warum bist du so unfreundlich gegen den Kleinen ? « » Was will er denn von uns ? « fragte Hans verdrießlich . – » O nichts , glaube ich « , meinte Doralice , » er will sich unterhalten . Bist du eifersüchtig auf ihn ? Er ist doch nur eine groteske Nippfigur . « Hans fuhr auf : » Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig . Das gibt es unter freien Menschen nicht . Für eine Liebe , die ich bewachen muß , danke ich . Nein , aber diese kleine Exzellenz ist für mich ein Stück deiner Vergangenheit , deiner Gesellschaft , die sich wieder an dich herandrängen , sich wieder zwischen dich und mich stellen will , das ist es . « » Meine Gesellschaft « , erwiderte Doralice , etwas Müdes in der Stimme , » die drängt sich gewiß nicht an mich heran . Die kleine Buttlär dort auf der Sandbank , welch ein seltsames Gesicht sie machte , ein Gesicht , als habe sie ein ganz verwegenes , ganz verbotenes Abenteuer zu bestehen . « – » So laß sie doch alle « , rief Hans , faßte Doralice bei den Schultern und drückte sie an sich mit einer zornigen Leidenschaftlichkeit , » die gehen uns alle nichts mehr an . « » O ja « , erwiderte Doralice , » ich lasse sie und sie lassen mich . « Die Sonne ging unter , das strenge Licht schmolz , wurde zu roten und violetten Dunstschleiern , ehe es erlosch . Dann gab es , ehe der Mond höher stieg , eine kurze Zeit des Zwielichts , das den Augen wohltat . Aber diese bleiche Dämmerung legte über das grauwerdende Meer eine unendliche Einsamkeit , das Meer wurde ernst und traurig . » Warum sprichst du nicht ? « fragte Hans Doralice , während sie wie jeden Abend Arm in Arm den Strand entlang gingen . » Ich weiß nicht « , antwortete Doralice , » um diese Zeit ist die Luft immer so sorgenvoll . « » Wir haben keine Sorgen « , entschied Hans mit Nachdruck . » Nein , wir haben keine Sorgen « , wiederholte Doralice , » ich fürchtete schon , du würdest sagen : Freie Menschen haben keine Sorgen . « Und wenn ich das gesagt hätte ? « Doralice lachte : » Du siehst , heute ist kein glücklicher Sprechtag . Sobald wir zu sprechen anfangen , streiten wir uns . « » Oh , das tut nichts « , erklärte Hans , » was in uns ist , muß heraus , das gibt Vertrauen . « Doralice wiegte müde den Kopf . » Ach , das ist so umständlich . Weißt du , um sich ganz zu verstehen , müssen wir es so machen wie die da vor uns . « Sie wies auf ein stilles Liebespaar hin . Der Bursch und das Mädchen wiegten ihre schweren Körper wohlig hin und her , schwenkten taktmäßig die herabhängenden Arme . Doralice ließ Hansens Arm los : » Ganz so wie die « , sagte sie . Und nun gingen sie auch nebeneinander her , wiegten sich in den Hüften , schwenkten die Arme und schwiegen . Allein , als sie eine Weile so gegangen waren , blieb Hans stehen . » Nein , das geht nicht « , sagte Hans , » wenn du so still neben mir gehst , glaube ich , du denkst etwas Unfreundliches von mir oder du hast etwas gegen mich . « » Schade , « meinte Doralice , » es war so schön . Ich fing schon an zu fühlen , daß ich ganz so wurde wie das Mädchen da . Gerade als du zu sprechen anfingst , wollte ich stehenbleiben , den Mund weit aufmachen und auf das Meer hinausgähnen , ho ho ho , ganz wie das Mädchen vorhin . Denken , man denkt ja überhaupt nicht , wenn man so geht , und daher versteht man sich . « Nein , nein , Hans wollte das nicht . » Tun wir etwas « , schlug er vor , » da ist der Mond . Soll ich dich wieder nehmen und über die Wellen halten oder sollen wir aufs Meer hinausfahren , oder sollen wir heute nacht Wardein auf den Fischfang begleiten ? Tun , tun , siehst du , das fehlt uns . « Aber Doralice hatte heute zu nichts Lust und so schlugen sie den Heimweg ein . Als sie zu Hause in ihr Wohnzimmer traten , fanden sie , daß Agnes die Lampe nicht angezündet hatte . Das Zimmer war voller Mondschein und ein starker , sehr süßer Duft schlug ihnen entgegen . Auf dem hellbeschienenen Fußboden aber lag es wie eine dunkelrote Lache . » Sieh doch , Rosen , lauter Rosen « , rief Doralice . Sie kniete vor den Rosen nieder , beugte sich ganz auf sie hinab , griff nach ihnen , hatte beide Arme voll von ihnen , drückte ihr Gesicht in sie hinein , als wollte sie sich in ihnen baden . An einem der Sträuße hing ein Papierstreifen , auf dem » Lolo « stand . » Oh , sieh doch « , sagte Doralice , » die kleine Lolo hat mir all die Rosen durch das Fenster geworfen , das gute Kind . « Da fühlte sie , daß Hans sie von hinten um die Taille faßte , sie emporhob , sie heraushob aus allen Rosen und sie hörte ihn leise und grimmig sagen : » Jetzt kommen sie durch alle Fenster zu uns herein . Laß sie und ihre dicken Rosen , was sollen wir damit . « Doralice lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter : » Ach ja « , sagte sie wie mutlos , » nimm mich fort von ihnen « , und aus ihren schlaff werdenden Armen fielen die Rosen wie ein dunkelroter Strom schwer auf den Fußboden nieder . Sechstes Kapitel Im Bullenkruge waren die Herren angekommen : » Jetzt wird das Leben bei uns ganz freiherrlich « , sagte Ernestine . Die große Abendtafel auf der Veranda nahm einen feierlichen Anstrich an . Fräulein hatte sie mit einem Strauß ein wenig sandiger Ziererbsen und Mohnblüten geschmückt . Die Generalin ging aufgeregt ab und zu und fragte immer wieder : » Liebe Malwine , wird mein Schwiegersohn auch Eis für seine Erdbeerbowle haben ? Werden die Spargeln auch weich genug sein ? Sie kennen doch meinen Schwiegersohn . « Fräulein Bork lächelte ihr geheimnisvolles , zerstreutes Lächeln und erwiderte : » Frau Generalin , die Spargeln sind himmlisch . « Bei der Mahlzeit saß der Baron Buttlär zwischen seiner Schwiegermutter und seiner Frau , er strich seinen langen blonden Schnurrbart , schüttelte vor Behagen leicht seine breiten Schultern und war sehr liebenswürdig , sehr anregend , erzählte mit lauter , klingender Stimme Geschichten , die allgemein interessieren sollten , und Frau von Buttlär interessierte sich sehr angelegentlich für diese Geschichten . Die eingefallenen Wangen leicht gerötet war sie heute nicht mehr nur die besorgte Mutter , die sich selber ganz vergißt , etwas von der Gesellschaftsdame , ja fast etwas Kokettes war heute in ihrem Wesen . Unten am Tisch saß die Jugend und Leutnant Hilmar erzählte Geschichten , über die Wedig und Nini so laut lachten , daß Frau von Buttlär ein strenges » Aber Kinder ! « hinüberrufen mußte . Hilmar schlank und schmalschultrig im hellen Sommeranzug sah fast wie ein Knabe aus , allerdings wie ein auffallend hübscher Knabe . Durch das sehr dichte schwarze Haar bahnte sich der Leutnantsscheitel nur mühsam seinen Weg . Über der Stirn saß eine dicke schwarze Locke , wie neapolitanische Burschen sie zu tragen pflegen . Die regelmäßigen Züge des bräunlichen Gesichtes hatten das zu Scharfe , ein wenig Gespannte , wie es sich bei sehr alten Rassen zuweilen findet . Die dunklen Augen waren sehr lebhaft , es ging beständig in ihnen etwas vor , es sprühte zuweilen in ihnen so , daß man deutlich goldene Pünktchen über den schwarzen Sammet der Iris hinfahren sah . » Keine Disziplin in den Augen « , hatte der Onkel General von dem Hamm gesagt . Als die Erdbeerbowle kam , wurde Baron Buttlär ganz der feine Genießer . Er zündete sich seine Havanna an , trank einen Schluck Bowle , warf einen Blick auf das mondbeglänzte Meer , ließ ein jedes verständnisvoll auf sich wirken . Er wurde gefühlvoll : » Mondschein und Meer , Mondschein und Meer « , sagte er und wiegte sachte seinen Kopf , » da kann man gefühlvoll werden , ja da muß man gefühlvoll werden . Das Meer macht immer Eindruck . Die Unendlichkeit ist eben die Unendlichkeit , nicht wahr ? « Alle schwiegen einen Augenblick und sahen das Meer an . Dann aber lenkte Frau von Buttlär das Gespräch auf ihr Gut zurück . Sie sprach so gern von ihrem Vieh , ihren Milchmädchen , ihren Hühnern und ihrer Butter . Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dieser fetten Wohlhabenheit zurück . Unten am Tische wurde die Jugend unruhig . Nini und Wedig erklärten , auf die Düne gehen zu wollen , und sie taten geheimnisvoll . Sie hatten eine neue Beschäftigung gefunden . Jeden Abend machten sie , wie sie es nannten , Jagd auf die Gräfin . Es kam darauf an , Doralice zu begegnen . Auch das Brautpaar wollte zum Meere hinabgehen : » Ich muß Steine auf dem Meere springen lassen « , sagte Hilmar , » erst wenn ich ihm ein Dutzend Steine ins Gesicht geworfen habe , kriege ich ein Verhältnis zu ihm . « » Der hat keine Ruh , der muß immer etwas vorhaben « , sagte Baron Buttlär und schaute dem Brautpaar wohlwollend nach . Frau von Buttlär jedoch seufzte und meinte : » Das macht mir oft Sorge , er ist so waghalsig . Beim letzten Rennen ist er doch wieder gestürzt . « » Hitzig ist er « , bestätigte der Baron , » er reitet gut und anfangs auch vernünftig , aber dann kriegt er es mit der Leidenschaft , die teilt er dem Pferde mit , das Pferd übernimmt sich und der Unfall ist da . « » Ich kann mir wohl denken , daß der Leutnant seine Leidenschaft anderen mitteilen kann « , ließ Fräulein Borks verträumte Stimme sich vernehmen , allein die Generalin wies sie zurecht : » Von Pferden ist die Rede , Malwine , bitte . « Frau von Buttlär machte noch immer ihr besorgtes Gesicht und sagte : » Ich habe Hilmar verboten , ein Pferd oder ein Auto mitzubringen , und wenn er segelt , fährt Lolo nicht mit . Solange ich über das Kind zu wachen habe , soll er es nicht umbringen . « » Umbringen , « rief der Baron gutgelaunt , » sag , Mama , als du mir Bella gabst , hattest du auch das Gefühl , daß du sie sozusagen in einen Abgrund hinabstürztest ? « » Abgrund vielleicht nicht « , erwiderte die Generalin , » aber daß ich sie auf einen Luftballon setze , von dem man nicht weiß , wohin der Wind ihn wehen wird . « » Bitte , bitte « , rief der Baron Buttlär , » ein sehr lenkbarer Luftballon , das weiß Bella gut « , und er lachte über seinen Witz sehr laut und sehr lange , länger vielleicht als es nötig gewesen wäre . Allein das Gefühl , das geistvolle Haupt der Familie zu sein , das Heiterkeit um sich verbreitet , tat ihm wohl . Fräulein Bork hatte nicht mitgelacht , sie schaute noch immer nachdenklich dem Brautpaare nach und sprach dann aus ihren Gedanken heraus : » Ich finde den Leutnant herrlich , er sieht aus wie der Page einer spanischen Königin oder wie der Page in dem Lied , der am Brunnen auf die Königstochter wartet : Ich bin vom Stamme jener Asra , die da sterben , wenn sie lieben . « » Was ? Was ? « fuhr die Generalin auf » Was ist das , Asra ? Wer stirbt , wenn er liebt ? Die Hamms nicht . Die kenne ich , die gewiß nicht . Liebe Malwine , reden Sie solches Zeug der Lolo nur nicht vor , das Kind neigt ohnehin zur Überspanntheit . « » Ach ja « , klagte Frau von Buttlär , » auch wieder eine große Sorge . Denke dir , Buttlär « , und nun berichtete sie mit bekümmerter Stimme die Geschichte von Doralice , der Sandbank und dem Kuß . » Was sagst du dazu , Buttlär « , schloß sie , » ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können . « Der Baron wurde ernst und zog sinnend seinen Schnurrbart durch die Finger .